Mittwoch, 16. Mai 2018

Alles Schein-Riesen und Schein-Heilige?

Wer den Namen „David Berger“ bei Google eintippt, der findet dort zahlreiche Fotos eines attraktiven Herrn im Anzug, meist mit offenem blauen Hemd und Jacket. Der „Theologe und Publizist“ präsentiert sich vor allem mit seinem Blog „philosophia perennis“ als reichlich AfD-nah und posiert für einen Wahlaufruf für diese Partei auch in einem innigen Doppelportrait mit deren Frontfrau Alice Weidel. Der als Kenner der Theologie und der Schriften des Hl. Thomas von Aquin einst schon in jungen Jahren in konservativen und traditionalistischen Kreisen der Kirche sehr beliebte und hofierte junge Mann hat in den vergangenen 10 Jahren ganz erstaunliche Wandlungen durchgemacht.

Über einige Jahre war er der Herausgeber der Zeitschrift für konservative Theologie „Theologisches“, einem Blatt, dass früher einmal monatlich kostenlos an jeden deutschen Pfarrer geschickt wurde. Während meiner Ausbildungszeit habe ich es meist vor dem Papierkorb meines Ausbildungspfarrers gerettet und mit Interesse gelesen.

Berger ist etwas jünger als ich und begann – wie ich – 1991 seine theologische Ausbildung. Ende März 2010 legte er mit einer Erklärung seine Herausgeberschaft für die Zeitschrift „Theologisches“ nieder und kam damit seinem Rauswurf zuvor. Gleichzeitig outete er sich als homosexuell und in einer langjährigen Partnerschaft mit einem Mann lebend. Zuvor hatte er eine glänzende Karriere mit Dissertation, Habilitation und Aufnahme in wissenschaftliche Institutionen hingelegt, die ihm auch eine Aufgabe als „Lektor der Päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre“ einbrachten. Im November 2010 brachte er ein Buch auf den Markt, in dem er über sein Leben als schwuler Theologe in der katholischen Kirche berichtete. Diesem Buch gab er den Titel „Der heilige Schein“ und zog zu dessen Vermarktung alle medialen Register.

So spekulierte er über homosexuelle Neigungen des Papstes und weiterer Kirchenmänner und teilte mit, dass nach seinem fachkundigen Urteil zwischen der Hälfte und zwei Dritteln aller katholischen Priester homosexuelle Tendenzen hätten.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner entzog Berger 2011 die Lehrerlaubnis, worauf dieser nicht mehr als Lehrer an einem Kölner Gymnasium unterrichten konnte. Er wechselte daraufhin in das Berufsfeld des Publizisten und schrieb kirchenkritische Texte und übernahm die Redaktion eines Magazins für homosexuelle Männer. In dieser Zeit engagierte er sich stark gegen die anonyme, reaktionär-vulgärkatholische Website kreuz.net, die schließlich abgeschaltet wurde. Berger trat in dieser Zeit auch offiziell aus der Kirche aus.

Nach und nach kam seine konservative Grundhaltung wieder durch, so dass man sich 2015 von Berger trennte und das „Männer“-Magazin wenig später einstellte.

Alles diese Vorgänge waren durchaus Schlagzeilenträchtig. Schon 2015 warf man Berger vermehrt „Rechtspopulismus“ vor, ein Vorwurf, dessen Berechtigung der Theologe und Publizist inzwischen mit seinem Blog tagtäglich unter Beweis stellt, obwohl er in seine Biografie noch eine einjährige Episode als CDU – Mitglied einfügen konnte, die aber spätestens mit seiner Wahlempfehlung für die AfD im Herbst 2017 zu Ende ging.

Ich hatte mich bisher immer geweigert, einen Blick in Bergers Buch zu werfen. Da dieser Autor mir aber im Netz immer wieder begegnet und mehr und mehr in rechtspopulistischen Kreisen gehypt bzw. inzwischen auch wieder in konservativen Kirchenkreisen gelesen wird, habe ich mir kürzlich doch die Mühe gemacht, Bergers Buch zu lesen. Was mir leicht fiel, da es inzwischen für rund 50 ct. in den Antiquariaten verfügbar (und als Taschenbuch schon für 5,49 € zu haben ist).

Mir war Berger schon nach seiner etwas übergriffigen Kritik an den Theologen Rahner und Hans Urs von Balthasar suspekt und sein Name blieb daher durchgängig für mich ein „rotes Tuch“. Für ihn gilt in meinem Empfinden der alte Spruch: „Der Niederrheiner ist nicht nachtragend, aber er vergißt auch nichts.“ Leider sind viele der Theologen, die nach wie vor in Benedikt XVI., ihren geistlichen und geistigen Vater sehen, im Blick auf Berger heute alles Andere als Niederrheiner.

Wie auch immer, die Lektüre des Buches „Der heilige Schein“ ist durchaus erhellend. Ich habe nicht bereut, den Band gelesen zu haben. Bei einer oberflächlichen Lektüre, erscheint es geradezu so, als wolle Berger die Analyse der Autorin Liane Bednarz in ihrem Buch „Der heilige Schein“ vorwegnehmen. So verwendet er mehrfach den später eher Bednarz zugeschriebenen Begriff der „Rechtskatholiken“ und sieht noch weit stärkere und tiefergehende inhaltliche und personelle Verflechtungen des konservativ-katholisch-traditionalistischen Milieus mit rechtsextremen Kreisen im In- und Ausland. Hier beschreibt Berger auch ausdrücklich Verbindungen zur NPD (die AfD gab es damals ja noch nicht) und er tut dies aus intimer Milieukenntnis.

Der Klappentext des Buches gibt zwei Rezensionen wieder. In der ZEIT stand offenbar „Dieses Buch gehört zum Unglaublichsten, was derzeit über die katholische Kirche zu lesen ist.“ Im Tages-Anzeiger wurde geurteilt: „Der heilige Schein trifft den Nerv der Kleriker-Kirche und des Ratzinger-Pontifikats.“ Diesem Urteil möchte ich mich nicht anschließen. Das Buch beleuchtet einen sehr kleinen, wenn auch aktiven und sicher einflussreichen Teil der Kirche. Es zeigt, dass und wie finanzkräftige konservative Personen Einfluss auf den Kurs von Kirche und Theologie zu nehmen versuchen. Hier beschreibt der Autor seine Verbindungen in diese Welt konservativer und teils adeliger Akteure, deren Verbindungen untereinander und bis hinein in den Vatikan. Was er hier berichtet, erscheint mir durchaus zutreffend und interessant, wenngleich es im Grunde auch schon wieder Geschichte ist. Viele Protagonisten sind inzwischen verstorben, sie wirken nun nur noch über ihre Nachlässe in der Finanzierung gewisser Initiativen nach.

Über „die Kirche“ sagt das Buch allerdings nur wenig aus. Die ist ja nach wie vor von den normalen Pfarrgemeinden und den Ordensgemeinschaften geprägt. Das von Berger beschriebene erzkonservative Milieu spielt hier nur am Rande eine Rolle, allenfalls dann, wenn ein Pfarrer aus diesem Umfeld in einer Gemeinde eingesetzt ist und entsprechende Initiativen startet. So käme ich in unserer Gemeinde vielleicht mal auf drei oder vier Personen, die ich dem traditionalistischen Milieu zurechnen würde und wohl kaum ein Promille der Gemeindemitglieder hätte vor 2010 eine halbwegs konkrete Vorstellung haben können, wer dieser Dr. habil. David Berger überhaupt ist.

Wie bei Liane Bednarz fragt man sich auch bei Berger immer wieder, wo die „rote Linie“ zu ziehen wäre zwischen Papst- und Kirchentreuer-katholischer Theologie und legitimen konservativen Überzeugungen und reaktionären Übertreibungen und menschenverachtenden Machtspielen.

Der Titel der Buches „Der heilige Schein“, spielt auf Bergers Beobachtung an, dass er – nach seiner Auffassung relativ offen - schwul war und mit seinem Lebenspartner zusammenlebte, den er als „Cousin“ auch beständig in seinem Umfeld hatte. Dies sei von der Kirche geflissentlich so lange ignoriert worden, wie der „Schein“ gewahrt blieb, wo nicht offen die Homosexualität zum Thema gemacht wurde. Dies sei überhaupt ein typisches Kennzeichen einer weit verbreiteten „Scheinheiligkeit“ in der Kirche, für die er noch andere „Belege“ präsentiert.

Über Bergers Analyse und Deutungen wird man sicher streiten können. Sie erscheinen aber teilweise reichlich konstruiert und vom Bemühen um Selbstrechtfertigung getragen. Im Grunde ist „Der heilige Schein“ ein eher autobiografisches Buch, das wenig über die katholische Kirche als sehr vielschichtige Organisation, immerhin aber etwas über das konservativ-traditionalistische Milieu und letzlich recht viel über die Persönlichkeit David Bergers offenbart. So spürt man durchaus, dass er seine eher konservative Grundhaltung letzlich nicht in Frage stellt. Seine Hinwendung an das eher liberale Kirchenmilieu erscheint unter dem Druck seiner theologischen Gegner und der Kritiker seiner privaten Lebensführung aus eben diesem Umfeld.

Er schildert sich selbst als theologisch „Verführten“, der durch die Leute um sich herum über die „roten Linien“ hinaus gedrängt wurde. Er schildert auch seinen Kampf gegen besonders extreme theologische Positionen und gegen Antisemitismus, obskure Glaubensformen und Gruppen und manches mehr. Man spürt jedoch, dass er sich in einem, teils von extremen Überzeugungen geprägten Umfeld und Unterstützerkreis um einen theologisch verantworteten Weg mit Maß und Mitte bemüht.

Interessanterweise bezieht er schon damals Stellung gegen eine positive Haltung gegenüber den Muslimen, die offenbar vor 10 Jahren noch in der konservativ-katholischen Szene verankert war, weil man im Islam einen Partner gegen die weitere Auflösung von Moral und Sittlichkeit erkannte. Das würde heute vermutlich nicht mehr so vertreten werden, aber David Berger hat seine Position hier inzwischen auf seinem aktuellen Blog noch deutlich zugespitzt.

Insoweit ist Berger inzwischen einen aufschlußreichen Weg gegangen. Seine Themen haben sich aus dem Bereich des Theologischen stark in die Welt der Politik und Gesellschaft verlagert. Man kann sicher sagen, dass er sich radikalisiert hat. Das, was ihm in seinem theologischen Wirken offenbar wichtig war – scheint inzwischen vergessen. David Berger ist mit seinem Blog bestimmt kein Vertreter von Maß und Mitte mehr.

Originellerweise nennt er ihn – anknüpfend an seine früheren Orientierungen – gerade auch an Thomas von Aquin - auf lateinisch: „Philosophie perennis“ und will sich damit die Orientierung an zeitlosen, immergültigen, kulturübergreifenden Prinzipien zur Leitlinie machen. Diesem Anspruch wird er aber keineswegs mehr gerecht.

David Berger war einmal ein aufgehender Stern am Theologenhimmel, mit dem konservative Theologen einige Hoffnungen verbanden. Aber er war auch jemand, der sich nicht einfach vor den Karren spannen ließ, sondern durchaus eigenständige Wege ging. Es wäre (auch ihm) sehr zu wünschen, dass er einmal – altersweise und altersmilde – zu seinen Wurzeln zurückkehren möge. Hoffentlich dauert es nicht mehr allzu lange.

Er gibt mit seinem Buch „Der heilige Schein“ tiefe Einblicke, welche Folgen es haben kann, dass die Kirche und ihre Theologie noch immer ein gebrochenes Verhältnis zur Homosexualität und zu homosexuellen Menschen hat. Besonders zeigen sich diese Brüche unter denen, die doch eigentlich der kirchlichen Lehre zu 100 Prozent folgen möchten und den selbst gesetzten Ansprüchen nicht gerecht zu werden vermögen. Das Ergebnis ist keineswegs glänzend, nicht überzeugend und noch weniger anziehend.

Mich hat er nicht überzeugt mit der Idee, dass die Homosexualität (und andere moralische „Verfehlungen“) von Kirchenleuten systematisch ausgenutzt werden, um die kleinen Rädchen im Getriebe gefügig zu machen. Auch wenn er solche persönlichen Erfahrungen schildert. Dennoch darf man auch sein Buch getrost als Gewissenserforschung lesen. Im Beichspiegel trifft mich auch nicht jede einzelne Frage. Aber wo sie mich trifft, da sollte ich nicht schnell weiter blättern, sondern genauer hinschauen. Daher wäre Bergers Buch auch den kirchlichen Verantwortungsträgern empfohlen, um hier die notwendigen Hinweise zwischen den Zeilen zu lesen.

Wenn sich die Heiligkeit der Kirche zu einem heiligen Schein entwickelt, dann fehlt nur wenig, dass sich ihre Scheinheiligkeit offenbart. Daher ist es so wichtig, dass sich die Kirche nicht nur an der philosophia perennis orientiert, sondern wirkliche Antworten findet, die sich in Bibel und Tradition verankert wissen, aber auch im Leben der Menschen hilfreich sind, weil sie ihre Erfahrungen, Kämpfe, Sorgen und ihr Versagen mit berücksichtigen. Der Weg, den die Kirche weisen will, er muss gangbar sein. Ein jeder Mensch trägt seine eigene, individuelle Last. Jesus sagt dazu: „Nehmt euer Kreuz auf euch und folgt mir nach.“ Das ist Kirche! Und: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“

Das putzige Bild von David Berger mit Alice Weidel findet sich hier:
https://philosophia-perennis.com/2017/09/14/david-berger-afd/

David Berger war 2013 schon einmal Thema in diesem Blog:
http://kreuzzeichen.blogspot.de/2013/02/wie-macht-man-in-der-kirche-karriere.html 
Kreuzzeichen-Blog 2013

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