Mittwoch, 13. Januar 2021

Die Worte des Bischofs von Köln...

Das „hillige Köln“. Die schöne Stadt am Rhein ist für meinen Glauben durchaus ein Sehnsuchtsort, nicht nur in diesen Tagen, wo sich die Aufmerksamkeit den Hl. Königen aus dem Morgenland zuwendet, deren Grab ja – sogar geografisch – der Mittelpunkt dieser Stadt ist. Hier auf meinem Blog finden sich vermutlich mehr Berichte über das Erzbistum als über mein Heimatbistum Münster. Ob das der Einfluss des Rheins ist?

Es hat nun ein viertel Jahr gedauert, bevor sich mir ein Thema aus der Kirche für einen Blogartikel aufdrängte. Ich glaube ja auch nicht, dass ich Wesentliches beizutragen hätte, sondern möchte schlicht meine Gedanken mit anderen teilen und diskutieren. Auch war dies neben Corona wohl einer milden Form von Enttäuschung geschuldet. 

„Warum schweigen so viele Kirchenleute zu den Vorgängen in Köln?“ „Jetzt muss ein Aufschrei durch das Bistum gehen.“ So triggerten mich zwischenzeitlich manche Netzfreunde in den vergangenen Monaten. Ich habe damals geantwortet: „Was soll ich dazu Substanzielles beitragen, was nicht von weit besser informierten Journalisten und Pfarrern im Erzbistum schon gesagt wurde...?“ 

Doch Sonntag sprach mich ein pensionierter Kollege beim Betrachten einer Krippe an: „Was meinst Du, wie lange sich der Woelki noch hält?“ Morgens, beim Scrollen meiner Timeline hatte ich den wöchentlichen Netzbeitrag des Kölner Kardinals ebenso wie den seines Weihbischofs Schwaderlapp schon nach wenigen Sekunden abgeschaltet, was jeweils weder an den Inhalten noch an der Aufmachung lag. Es war ja wieder inhaltlich gut und technisch gut gemacht. Aber es sträubt sich inzwischen etwas in mir, ich empfinde es so, dass deren Glaubwürdigkeit in Frage steht, solange sie sich in der Frage der Missbrauchsaufklärung nicht überzeugend erklären. Tragen sie evtl. gar mit Schuld am Leid missbrauchter Kinder, Jugendlicher, Erwachsener? 

Ich spüre, ich kann ihre Beiträge nicht mehr unbefangen hören und könnte ihren Predigten nicht mehr mit offenen Herzen lauschen. Zu drängend sind die Fragen: „Was haben sie gewußt? Was hätten sie tun können und haben es nicht getan?“

Wie kann ich einen Menschen zur Feier meiner Kardinalserhebung als Gast mit nach Rom nehmen, von dem ich weiß, dass er ein Kind im Kindergartenalter missbraucht hatte? Oder einen Priester katechetische Bücher schreiben lassen, den man schon vor Jahrzehnten mit Jugendlichen onanierend im Gebüsch aufgegriffen hat? Und über den ich viele weitere Beschwerden gehört habe? Darauf muss man doch eine Antwort geben können. 

Dabei hat mich der Amtsantritt des Kölner Kardinals damals tief beeindruckt und nachhaltig für ihn eingenommen. Nach meiner Krebserkrankung, die ich im Herbst 2014 gerade überstanden hatte und die mich in die Selbstisolation zwang (wegen des angegriffenen Immunsystems) habe ich die Amtseinführung des Kölner Kardinals als meinen ersten Gottesdienst unter Menschen mitgefeiert. Ich habe hier auch darüber berichtet... Eine großartige und freudige Feier mit einer weiten Palette von Kirchenmusik und einem höchst sympathischen und humorvollen Erzbischof. Nie vergessen werde ich den Moment, wo er nach der Eucharistie geduldig und schmunzelnd wartete, bis ihm die Mitra angereicht wurde. Dann wandte er sich den Gläubigen zu und sagte augenzwinkend „Wer vornehm sein will, kommt mit Hut, nicht...“ Und dann fand anschließend auf dem Roncalliplatz eine locke Feier mit Bewirtung für Jedermann statt. Die Bischöfe und Kardinäle (darunter auch Kardinal Müller) mischten sich unter das Kölsche Volk, vom Obdachlosen bis zum Minister standen alle zusammen. Wirklich hoffnungsvoll! Und das nicht, weil Kardinal Woelki sich von seinem Vorgänger absetzen wollte, wie mancher glauben machen wollte. Dass Woelki ein eher konservativer Theologe ist, das stand doch niemals in Frage. Er hat sich da auch nicht im Laufe seiner Amtszeit wesentlich verändert, wenngleich er sich in Berlin vermutlich anders entwickelt hätte als nun in Köln mit einem hier weit größeren Hintergrund an Traditionen, Lebensart, Macht, Geld und persönlichen Verbindungen. Man nennt Letzteres hier auch Klüngel.

Von Anfang an hatte er mit klaren Worten über das Drama des Missbrauchs auch im Erzbistum Köln gesprochen und rückhaltlose Aufklärung zugesagt und sehr frühzeitig versucht, auch die Betroffenen in den Prozess mit einzubeziehen. Auch in die Prävention und Aufklärung hat der neue Oberhirte offenbar investiert und hierfür wirksame Strukturen geschaffen. Von seinem Handeln her ist Kardinal Woelki kein Vertreter einer Täterorganisation, de facto muss er dieses Erbe aber annehmen.

Man hatte zunächst den Eindruck, dass er in der Frage der Aufklärung wirklich voran gehen will. So hat er selbst sich die Hürde sehr sehr hoch gelegt und wird nun auch daran gemessen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass einigen anderen Akteuren in der Kirche die hohe Aufmerksamkeit für Kardinal Woelki durchaus recht kommt. So kann man sich etwas zurücklehnen und schaut mal, was geschieht. (Das Bistum Aachen konnte damit punkten, dass sie veröffentlichten, was Köln zurückhielt – ein Gutachten aus derselben juristischen Quelle.) Das ist ja alles auch durchaus menschlich. Positiv gesehen kann man aus den Kölner Erfahrungen lernen ohne dieselben Schmerzen, kritisch betrachtet kann man weiter die Füße still halten und untätig bleiben. 

Aber das Verhalten geht ja weit über den Raum der Kirche hinaus. Als katholsiche Kirche stehen wir seit Jahren im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und das sicher zu recht. Hoffentlich erledigen auch alle anderen gesellschaftliche Akteure derweil ihre Hausaufgaben in Sachen Prävention und Aufarbeitung ordentlich. Warum gibt es eigentlich von Seiten der Politik aktuell keine nennenswerten Bestrebungen, die Aufklärung von Missbrauchsfällen an sich zu ziehen und Fachleute damit beauftragen?

Aber zurück nach Köln. Und zu dem innerlichen Widerstand, der sich bei mir aktuell einstellt, wenn ich die Verkündigung von Kardinal Woelki und Anderen höre. Ich frage mich, was die Aufklärung des Missbrauchs so schwer macht? Und was ein gradliniges, offenes und schnelles Handeln verhindert?

Viel kritisiert und analysiert wurden Woelkis Worte in der Christmette.  „Zu den Sorgen, die Sie alle durch Corona ohnehin schon haben, haben wir, habe ich leider noch eine Bürde hinzugefügt. Was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten. Für all das bitte ich Sie um Verzeihung."

Er habe vor zwei Jahren sein Wort gegeben, "dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Vorgänge aufklären und auch Verantwortliche benennen werden". Das solle "ungeschönt und ohne falsche Rücksichten" geschehen. "Ich stehe weiterhin zu diesem Wort, auch wenn dies öffentlich gerade anders gesehen und angezweifelt wird", sagte der Kölner Erzbischof Woelki.

Das erscheint zunächst einmal als ziemlich verdrehte Formulierung, die missverstanden werden kann. Und was falsche und richtige Rücksichtnahmen sind, das wäre ein weites Feld... 

Ich glaube aber, ein einziges Wort hätte die Erklärung weit besser gemacht: „Was Sie an berechtigter Kritik...“

Vielleicht hat er es sogar so gemeint, denkbar ist das. Ich glaube durchaus, dass Woelki es gut und richtig machen will. Aber, viele Köche verderben den Brei und viele Berater und Rechtsanwälte machen die Fakten nicht unbedingt klarer. Erst recht nicht, wenn sie darauf aus sind, dass die Beschuldigten (in diesem Fall die Personalverantwortlichen) mit einer einigermaßen milden Verurteilung und ohne Karriereknick davon kommen. Ich glaube gern, dass die Juristen dem Kardinal die Risiken dargelegt haben, die eine schlichte Veröffentlichung des ersten Gutachtens mit sich brächte. Und dass er sein gegebenes Wort nicht zurücknehmen wollte, ohne hierfür die Unterstützung der Betroffenen zu haben. Aber auch das ist wieder schief gegangen. Und währenddessen offenbarte sich der Betroffenheitston des Kardinal Meisner „Nichts gewußt...“ als das, was es ehrlicherweise sein sollte: „Ich, Kardinal Meisner, ich habe es nicht glauben, ich habe es nicht wissen wollen. Ich habe die Augen zugemacht vor diesem Abgrund... Weil...“

Ja, warum eigentlich? Warum begibt sich ein wortmächtiger und ansonsten durchaus glaubwürdiger Kardinal auf derart glattes und dünnes Eis?

Die ganze Angelegenheit zeigt: „Es ist an der Zeit, die Dinge aus der Hand zu geben.“ Es braucht eine Aufklärung durch absolut unabhängige Stellen. Die Kirchenleitung muss die Kontrolle abgeben. Es ist an der Zeit? Nein, eigentlich ist es schon viel zu spät. „Wovor habt ihr solche Angst...“ „Fürchtet euch nicht.“ Offenbar schlagen diese Sätze aus dem Evangelium der Weihnacht in diesem Bereich nicht durch bis in die Herzen der Kirchenverantwortlichen. 

Überhaupt fragt man sich, wie wahrhaftig unsere Verkündigung in Fragen von Schuld und Sünde, Vergebung und Neuanfang ist, wenn man sieht, wie sich die bischöflichen Sünder und ihre Verwaltungsspitzen gegen ein rückhaltloses Mea culpa wehren. Zählt hier nur noch die Andachtsbeichte und ist das Klopfen an die Brust ein leerer Ritus geworden? „Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr....“ Dieser Satz aus einem lieb gewordenen Lied von Huub Osterhuis enthält eine tiefe Wahrheit und Erkenntnis, ohne dass ich deshalb glaube, ich sei völlig wertlos und ohne Fähigkeiten. Aber genau diese Wahrheit spüre ich doch, wenn mir ein Missbrauchsopfer sein Schicksal und seinen Hass gegen diese Kirche, diese Täterorganisation erzählt. Da kann die Antwort wirklich nur lauten: „Ja, ich glaube Dir!“ Und nicht „Ja, aber Du musst auch sehen und verstehen, dass...“ Genau das hat das TV-Gespräch zwischen Kardinal Schönborn und Doris Reisinger so berührend gemacht.

Nicht wenige fordern heute den Rücktritt des Kardinals. Nicht nur vermeintliche Kirchenfeinde. Da kann die Reaktion doch nicht sein, dem Pfarrer den Personalchef auf den Hals zu hetzen und ihn an seine Loyalitätspflichten zu erinnern und mit Sanktionen zu drohen. So tut das ein straff geführtes Unternehmen. Und selbst dieses wäre da nicht immer gut beraten. In einer derart aufgeheizten und auch für den Kardinal existenziellen Situation mag es die weit hilfreichere Geste sein, des Morgens im Zivil in der Werktagsmesse eben dieses Pfarrers zu sitzen und ihn anschließend in der Sakristei um ein Gespräch zu bitten. Oder gar bei ihm zu beichten. Oder einem kritischen Journalisten schlicht in einem Kölschen Brauhaus Rede und Antwort zu stehen. Allein und ungeschützt!

Dabei bin ich mir keineswegs sicher, dass Kardinal Woelki in diesem Drama der Böse ist. Die Bibel hält ja ein gerüttelt Maß an Lebensweisheit bereit. So zitiert das Buch Hesekiel ein Sprichwort (und lehnt es gleichzeitig ab): „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf.“

Aber ist es nicht genau dies, was Kardinal Woelki und auch die anderen Bischöfen gerade erleben? Sie „ernten“ die Folgen der Versäumnisse ihrer geistlichen Väter. 

Vermutlich haben sich die Allermeisten von ihnen keine persönlichen und gravierenden Fehler vorzuwerfen. Sie meinen es gut. 

In den Präventionskursen und von jenen, die Opfer sexueller Gewalt begleiten, lernen wir doch etwas über die Täterstrategien. Diese schaffen um sich und ihre Taten herum ein Umfeld von Freunden und Anhängern, sie präsentieren sich als glänzende Katecheten und Prediger, als fromme und gebildete Priester, als zugewandte und freundliche Menschen, denen man nichts Böses zutraut. Ihr Umfeld soll einfach nicht glauben können, dass dieser Priester „so etwas“ getan hat und so den Täter abschirmen und die Aufdeckung seiner Taten verhindern. 

Das funktioniert leider. Diese Reflexe begegnen uns auch in der kirchlichen Diskussion immer wieder. So kürzlich, als der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer in einem Aufsatz über einen „gesunden Generalverdacht“ gegenüber Priestern und kirchlichen Mitarbeitern sprach (mit dem Akzent auf gesund). Er wollte damit sagen: „Man muss das Unmögliche für denkbar halten, ohne dauernd mit Misstrauen durch die Welt zu laufen. Aber man müsse wachsam sein für kleine Anzeichen und den Opfern Glauben schenken." „Und wenn der großartige Priester doch eine dunkle Schattenseite hat?“ Sicher schwierig, aber leider ein notwendiger Spagat.

Das Thema stellt unendlich viele Fragen und auch eine unabhängige Stelle wird mit gewaltigen Problemen konfrontiert sein und Fehler machen. Aber sie ist nicht verstrickt in Strukturen von Freundschaft, Vertuschung, Verharmlosung, Klerikalismus... Sie kennt keine Ehrfurcht vor Priestern und Bischöfen, vor Hoch- und Merkwürden. 

Ich habe durchaus etwas Verständnis dafür, wie schwer sich die Personalverantwortlichen (Bischöfe, Generalvikare, Personalchefs, Geheimsekretäre) früher mit solchen Fällen taten. Zumal in einer hochkomplexen und hochprofessionellen Verwaltung die Verantwortung auch solange aufgeteilt wurde, dass am Ende niemand mehr der Letzt- oder allein Verantwortliche ist. Und sogar dafür, dass ein Kardinal Meisner dann – ohne zu erröten sagen konnte – er habe es nicht gewusst. Denn um das Unappetitliche und die Details kümmerte sich ja vermutlich der Personalchef. Oder man konnte sich mit dem Gedanken beruhigen, dass die Taten ja Jahrzehnte zurück lagen. Oder man hat den sexualisierten Anteil der Beschuldigungen klein geredet... 

In diesem Zusammenhang ist das aktuelle Buch von Bernhard Meuser sehr aufschlussreich. Dieser schildert in „Freie Liebe“ wie der Pfarrer, bei dem er als Jugendlicher seit einiger Zeit im Haus lebte, ihn unvermittelt in einem Moment der Nähe küsst und zwischen die Beine greift. Im ersten Moment ist man als Leser versucht zu sagen: Es passiert vermutlich auf jeder zweiten Firmenparty, dass ein Kollege übergriffig wird. Aber Meuser schildert sehr berührend, dass durch dieses Erlebnis im Grunde alles zerstört wird und er braucht Jahre, um wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Jetzt könnte man sich Meusers Missbrauchsgeschichte harmlos reden und über den Pfarrer und seine Schwächen und seine naive Sehnsucht, zu einer reale Vater-Figur zu werden, seiner Sehnsucht nach Liebe sinnieren. Und genau sowas wird vermutlich in zahlreichen Gesprächen hinter verschlossenen Türen geschehen sein. Aber wir müssen die Dinge konsequent auch aus der Sicht und an der Seite der Opfer sehen. Und dafür sorgen, dass solche Übergriffe nicht wieder geschehen, weil sie unendlich viel zerstören. Das legt Bernhard Meuser unter der Überschrift: „Ein Vater darf alles, nur nicht geil auf sein Kind sein.“ erschütternd und wortmächtig dar.

Wie konnten Menschen, die mit der Bibel leben, die deutlichen Worte Jesu zu all diesen Fragen derart ignorieren? Da sind einmal die Worte Jesu über die „Kleinen“, was in jüngerer Zeit (aber auch früher schon) als „Option für die Armen“ gedeutet wird. Was ging wohl im Bischof vor, der einem Missbrauchsopfer gerade einen Vertrag über eine Entschädigungszahlung mit Verschwiegenheitserklärung vorgelegt hatte und am Abend im feierlichen Gottesdienst das Evangelium nach Lukas vorliest: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, im Licht hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert, das wird man auf den Dächern verkünden. Euch aber, meinen Freunden, sage ich: Fürchtet euch nicht.“ Es müsste ihm doch eigentlich die Sprache verschlagen.

Was ist die Folge all der Bemühungen, das Versagen einzelner kirchlicher Mitarbeiter nicht öffentlich werden zu lassen? Die Folge ist, dass wir heute einen sehr hohen Preis zahlen, in vielfacher Hinsicht. Doch, weit höher ist ja der Preis, den die Opfer zu zahlen hatten. Das dürfen wir nie vergessen und müssen es immer wieder neu erkennen. Und wir müssen durchaus tief in die Taschen greifen, wenn ihnen das helfen kann.

Auf vielfältige Weise hat unsere Kirche in der Vergangenheit versagt. Es gilt – bei aller Aufarbeitung – sicher auch darum, zu lernen, wie man Prävention verbessern, aber auch die Opfer besser zu begleiten und am Ende auch, wie man mit Tätern richtig umgehen kann. 

Damit muss man aber wirklich nicht warten, bis auch die letzte Studie rechtssicher und öffentlich ist. Die Benennung von Verantwortlichen der Vergangenheit ist sicher ein ganz heißes Eisen. Aber es kann doch nicht darum gehen, ihr Versagen zu brandmarken, ihre Gräber klammheimlich aus den Domen und Kreuzgängen zu entfernen und alle Bischof Xxxyz – Häuser umzubenennen. Wir müssen klar sehen, was geschehen ist, worin die Verletzungen der Opfer konkret bestehen, wie wir ihnen zur Seite stehen und bei der Bewältigung der Folgen der Taten helfen.

Auch die Täter müssen dabei einsehen, worin die Schwere ihrer Tat begründet liegt, alle Verharmlosung muss vom Tisch. Diesen Dienst sind wir auch ihnen schuldig. Es ist ein Unterschied, ob mir als 14jährigem ein gleichaltriger Bekannter betrunken auf einer Party in die Hose greift, oder ob das der Priester tut, der glaubt, dass er die Stelle des abwesenden Vaters bei mir einnehmen kann und mir dies auch vermittelt. Auch wenn ein Priester (wie die Meisten) niemals übergriffig wird, er muss wissen und jeden Tag neu reflektieren, wer er in seiner Rolle ist und ob er seine Rolle gegenüber schutzbedürftigen Menschen falsch einsetzt. Analog gilt das auch für jede Pastoralreferentin und jeden Erzieher.

Der Bischof ist dafür verantwortlich, dass seine Mitarbeiter*innen die Prävention ernst nehmen und dass sie als gestandene und gefestigte, reflektierte Persönlichkeiten ihren Dienst tun. Und dass es im Bistum eine Fehlerkultur gibt, die es möglich macht, noch vor dem Abgrund inne zu halten und Hilfe zu finden. Und dies möglichst schon ausreichend früh, bevor ein Mensch durch mich zu Schaden kommt.

Wer dazu nicht in Lage ist, der darf weder geweiht noch gesandt werden. Wer in seiner Dienstzeit dokumentiert, dass er seine (Sehn-)süchte nicht kontrollieren kann, muss im Notfall auch konsequent aus diesem Dienst entfernt werden. In diesem Umfeld werden wir auch noch einmal auf den Zölibat schauen müssen. Ich schätze den Zölibat sehr. Aber ich habe Fragen an Verantwortliche wie Pfr. Regamy Thillainathan (Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln), wenn dieser sagt: „Aus meiner Erfahrung heraus kann ich aber sagen, dass dies (die Ehelosigkeit) letztendlich nicht das entscheidende Kriterium ist, sich gegen das Priesteramt zu entscheiden.“ Umso dringlicher ist es, diese Frage zum Thema zu machen und umso dringlicher ist es, fromme junge Menschen, die sich für das Priesteramt interessieren sehr gut zu begleiten. Pfr. Thillainathan ist da sicher auf einem guten Weg, aber an einer offenen Diskussion über Auswirkungen der Zölibatsverpflichtung kommen wir trotzdem nicht vorbei.

Was geschieht mit jenen, die bis zum Weihetag nicht bis zur notwendigen Reife gelangen? Gibt es eigentlich echte Alternativen für fromme junge Männer? Gibt es auch noch andere Lebensformen analog zu Klöstern oder geistlichen Lebensgemeinschaften oder auch Berufe in der Kirche, die eine weitere Reifung und einen gelingenden Lebensweg ermöglichen ohne die besonderen Herausforderungen, die das priesterliche Amt bereithält?

Wir müssen uns all diesen Fragen dringend stellen – und erste und weitere Lösungsansätze entdecken. Das Gerangel um die Deutungshoheit steht uns da sehr im Weg. „Ist der Missbrauchskandal nun das Fanal, dass nach einer neuen Sexualmoral schreit oder braucht es eine Rückbesinnung auf das, was die Kirche schon immer dazu gesagt haben will.“ 

Ich denke, da muss es noch was in der Mitte geben, ein gemeinsames Suchen und Ringen um den richtigen Weg, bei dem nicht derjenige der Böse ist, der die Moralverkündigung der Kirche und den Zölibat in Frage stellt. Und auch derjenige nicht verteufelt wird, der gegen eine Segenshandlung für homosexuelle Paare argumentiert. 

Soll der Kardinal in Köln also zurücktreten? Ich weiß es nicht. Dieser Frage muss Rainer Maria Woelki sich selbst und letztlich allein stellen. 

Die Frage stellt sich ja durchaus auch jenseits persönlicher Schuld. Wie kann Glaubwürdigkeit wieder gewonnen werden? Ein Sündenbock ist es wohl nicht, der unsere Kirche dauerhaft wieder glaubwürdig macht. Nicht einmal, wenn es ein Weihbischof, ein Erzbischof oder Kardinal wäre. 

Bei Hesechiel wird das Sprichwort „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf.“ von Gott selbst abgelehnt. Gott verspricht Gerechtigkeit für jeden Einzelnen, misst jeden Einzelnen an seinem Tun und Lassen. Trotzdem tragen wir Katholiken jetzt in der Öffentlichkeit an der Schuld der Täter und am Versagen der Verantwortlichen der Vergangenheit und Gegenwart schwer. Unsere Zähne fühlen sich wahrhaft stumpf an. 

Aber Gott verheißt Gerechtigkeit. 

Wohl dem, der dem kommenden Christus in seinem Leben ohne Angst entgegen gehen kann.

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