Sonntag, 2. Oktober 2022

Wofür soll(te) sich Kardinal Koch entschuldigen?

Es hat einige Empörung ausgelöst, dass der römische (ursprünglich schweizerische) Kardinal Kurt Koch, die Bemühungen des Synodalen Weges mit einem Verweis auf eine Parallele in der Nazizeit kritisiert hat. 

Diese Nachricht traf offenbar den Vorsitzenden der deutschen Bischöfe am letzten Tag der Bischofskonferenz auf dem falschen Fuß. Der nannte dies eine inakzeptable Entgleisung, forderte eine Entschuldigung und wollte gar Beschwerde beim Papst einlegen. Der Kardinal habe sich "theologisch disqualifiziert." Prof. Thomas Söding (Vizepräsident des Synodalen Weges) verbat es sich, mit den „Deutschen Christen“ verglichen zu werden. Eine Welle von teils unflätiger Kritik flutete durch die sozialen Medien, eine Reise des Kardinals nach Deutschland wurde aufgrund von Hassbotschaften und Drohungen abgesagt. Was ist da los?

Gestern habe ich mir in diesem Zusammenhang die dreieinhalbstündige Übertragung eines Symposiums der Schülerkreise von Joseph Ratzinger auf Youtube angehört. Im römischen Institutum Patristicum Augustinianum in Rom endete das Treffen der Schülerkeise mit einer öffentlichen Podiumsveranstaltung, moderiert vom deutschen Journalisten Martin Lohmann. Im Kontext dieser Versammlung hat dieser das kritisierte Interview mit Kurt Kardinal Koch, dem römischen Protektor (Beschützer) der beiden Schülerkreise, geführt.

Die Tagung der Ratzinger-Schülerkreise ist so etwas wie das jährliche Hochamt der lehramtstreuen, (deutschsprachigen) römischen Theologie. Und damit der (eher gesetzte und seriöse) Antipol zu liberaleren Theologen und damit auch zum Synodalen Wege in Deutschland. (Im Unterschied zu den Hau-Drauf-Kritikern des Synodalen Weges.)

Unter dem Motto „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe.“ - Verbindliche Wahrheit und Weiterentwicklung der Lehre der Kirche“ sprachen die Vertreter eines konservativ-katholischen „Think-Tanks“ vor allem miteinander und voreinander. Augenscheinlich war in den Gesprächen und Vorträgen der deutsche Synodale Weg als Elefant im Raum, besonders hörbar auch im Abschlussreferat von Bischof Voderholzer. Ein Dialog mit jenen, die auf einen Wandel in der Kirche und Entwicklung der Lehre drängen, war ganz offensichtlich nicht eingeplant. 

So verwundert es nicht, dass der teilnehmende Kardinal Koch für das Interview entsprechend eingestimmt war und darin etwas auf den Busch klopfte. Vielleicht muss man das einmal so sehen, wie beim politischen Aschermittwoch oder bei einer Bierzeltrede des CSU-Vorsitzenden in München sehen, wenn starke Worte vor lauter Gleichgesinnten gesprochen werden. 

Passend zum Thema der Tagung ging es im Interview um die Frage, ob es neben der Bibel, der Hl. Schrift und der Tradition der Kirche weitere Quellen der Offenbarung geben kann. Das 2. Vatikanum hatte die „Zeichen der Zeit“ und den „Glaubenssinn der Gläubigen“ zum Thema gemacht, wenngleich darin wohl nicht eine Quelle der Offenbarung gesehen, worauf der Kardinal zum Abschluss der Übertragung deutlich hinweist (und gleichzeitig die Traditionalisten in die Schranken weist.) 

Es lohnt sich, das Interview und die betreffende Stelle genau zu lesen, beginnend mit der Frage Lohmanns (die dann später dem Kardinal ein Fluchttürchen öffnet): 

„Man kann immer wieder, auch von Bischöfen, hören, dass es angeblich neue Offenbarungsquellen gibt. Der Zeitgeist und das - ich nenne das mal so - Gefühl der Gläubigen spielen da offenbar eine Rolle. Lässt sich denn die Lehre der Kirche auf diese Weise ändern? Ist beziehungsweise wäre das eine Weiterentwicklung?"

Schon hier verwundert die zugespitzte Fragestellung. Hier ist nun (abwertend) von Zeitgeist und Gefühlen der Gläubigen die Rede, von denen nicht mal beim Synodalen Weg gesprochen wird. Ich habe auch noch keinen einzigen Bischof gehört, der behauptet, man müsse mehr einem Zeitgeist folgen oder sich stärker von Gefühlen leiten lassen. Aber hören wir die Antwort des Kardinals einmal komplett: 

„Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die so genannten „Deutschen Christen“ Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben. Dagegen hat die Bekennende Kirche mit ihrer Barmer Theologischen Erklärung im Jahre 1934 protestiert, deren erste These heißt: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle der Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“

Der christliche Glaube muss stets ursprungsgetreu und zeitgemäß zugleich ausgelegt werden. Die Kirche ist deshalb gewiss verpflichtet, die Zeichen der Zeit aufmerksam zur Kenntnis und ernst zu nehmen. Sie sind aber nicht neue Offenbarungsquellen. Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des „Synodalen Weges“.“

Ein Nazi-Vergleich ist immer heikel, das mussten Politiker und Kirchenleute immer wieder erfahren. Man sollte also gewarnt sein. Ganz unabhängig vom Inhalt und ob der Sprecher nicht evtl. recht haben könnte, wird es automatisch Widerspruch von vielen Seiten geben. Von jenen Opfern der Nationalsozialisten, die darin eine Verharmlosung der damaligen Zeiten sehen. Von denen, die das Gefühl haben, plötzlich in eine Nazi-Schublade zu kommen, weil sie („wie die Nazis“) -und in diesem Kontext - mit „untauglichen Werkzeugen“ an den Kern der kirchlichen Verkündigung gehen und am offenen Herzen des Glaubens werkeln. Nicht zuletzt kämpfen ja rechts-konservative Politiker und Querdenker in gutem Sinne (manchmal) zu Recht gegen den allzu flink vergebenen Nazi-Stempel. 

Es ist natürlich verständlich, dass man in einer heftigen Diskussion auch einmal zum groben Besteck greift. Und gibt es gröberes Besteck als die Vorkommnisse unter der Diktatur Hitlers? Vielleicht war es die allgemeine Stimmung des Symposiums, die Kardinal Koch fragen ließ: Wenn denn die „Zeichen der Zeit“ am Ende nur Zeitgeist sind, was schützt dann das Heilige, den Kern des Katholischen vor allzu voreiligen Reformen? Eine berechtigte Frage. Ein drastisches Beispiel könnte da die Problematik offen legen.

Im genannten Beispiel versuchten die Vertreter der deutschen Christen, die Bibel zu arisieren, ja sogar das Alte Testament umzuschreiben oder ihm den Status der Hl. Schrift zu entziehen. Das Problem bei solchen Vergleichen ist allerdings, dass im konkreten Kontext mindestens soviel an dem Vergleich falsch wie richtig ist. So kamen ja auch gewichtige Einwände und auch die sehr berechtigte Frage, wo der Kardinal denn die gefährliche und machtvolle Ideologie sieht, die in dieser Weise die kirchliche Lehre verbiegen möchte?

Das ist durchaus ein heikler Punkt, holt er hier doch just jene Kreise ab, die in allen Ecken irgendwelche Weltverschwörungen, Bestrebungen zur Konstruktion einer One-World-Religion erkennen, den Teufel am Werk wähnen oder in den Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter und jenen der LGBTQIA*-Bewegung ein Ende des christlichen Abendlandes erwarten. 

Eigentlich skurril, dass der römische Kurienkardinal ausgerechnet einen ur-evangelischen Teil der „Barmer Erklärung“ zitiert, die das – gegen die katholische Theologie gerichtete – Prinzip des „Sola scriptura – nur die Hl. Schrift“ hoch hält. So manche ureigene katholische Tradition hatte der Protestantismus in und nach der Reformation aufgegeben, weil sie sich gerade nicht mit dem Rückgriff auf die Bibel rechtfertigen ließ. Hier zeigt sich schon, wie heikel ein solcher historischer Vergleich ist und wie schnell er missverstanden werden kann. 

Man fühlt sich erinnert an die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI., wo ein kleines historisches Zitat über Missionierung mit Gewalt einen Sturm der Entrüstung auslöste, weil es klang, als habe der Papst negativ über den Propheten des Islam gesprochen. 

So geht es nun auch Kardinal Koch, unmittelbar nachdem er die erboste Kritik seines deutschen Amtsbruders vernommen hatte, meldete er sich erneut über die Tagespost zu Wort, mochte aber seinen so treffenden Vergleich nicht zurücknehmen, entschuldigte sich aber bei all jenen, die sich getroffen fühlten. Er habe auf eine allgemein gestellte Frage reagiert. 

„Ich antworte umgehend, kann aber meine grundsätzliche Aussage nicht zurücknehmen, und zwar schlicht deshalb, weil ich keineswegs den Synodalen Weg mit einer Nazi-Ideologie verglichen habe, und ich werde dies auch nie tun.“

Ich halte Kurt Kardinal Koch für einen sehr klugen und ehrlichen Menschen und nehme ihm das ab. Leider aber tun seine allerlautesten Verteidiger aktuell genau dies und preisen den Kardinal für den Klartext und den Schlag den er, der Großtheologe dem Synodalen Weg versetzt habe. Die Theologen des Synodalen Wegs sind dieser Unterstützerszene nicht besser als die Theologen Hitlers aus den Reihen der Deutschen Christen. 

„Es war in keiner Weise meine Absicht, jemanden zu verletzen. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte, auch aus einer sehr schwierigen, lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich nachträglich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind. Diejenigen, die sich von mir verletzt fühlen, bitte ich um Entschuldigung und versichere sie, dass dies nicht meine Intention gewesen ist und nicht ist.“

Bischof Georg Bätzing ist mit dieser Antwort gar nicht zufrieden und der Konflikt schlägt weiter Wellen. Mariano Delgado, ein Schweizer Theologe und Kirchenhistoriker spricht mit Blick auf die Formulierungen von Kardinal Koch von einem „katastrophalen Kommunikationsfehler.“ und schreibt. „Dass der Kardinal darauf antwortet, er habe es nicht so gemeint, wie es von vielen verstanden wurde (und wir können es ihm gerne glauben), gehört zur «Busse» bei solchen katastrophalen Kommunikationsfehlern.“

In der Tat, sehe ich auch in dem historischen Vergleich nicht den eigentlichen Fauxpas. Das kann man tatsächlich wagen, auch mit Blick auf Geschehnisse der heiklen Nazi-Zeit. Man sollte es aber dann vielleicht noch etwas kontextualisieren und weitere Beispiele bringen, wie z.B. das Verhalten des russischen Patriarchen Kyrill, der die russische Orthodoxie zum Pudel Putins macht, indem er keinerlei prophetischen Protest gegen den Krieg erhebt. 

Was aber letztlich auch Kardinal Koch einleuchten sollte, ist eine aufmerksame Re-Lektüre des Interviews. Natürlich muss man ihm zu Gute halten, dass ihm eine sehr allgemeine Frage gestellt wurde. Aber nach dem Symposium wusste doch jeder, dass „der Elefant Synodaler Weg im Raum stand“. Worauf sonst sollte sich ausgerechnet Lohmanns Frage beziehen, der sich ja in seiner sonstigen publizistischen Tätigkeit als geradezu fixiert auf den Synodalen Weg zeigt?

Insofern ist der falsche Satz in der Antwort des Kardinals nicht der Verweis auf die Versuche der frühen 1930er Jahre, ein regimeverträgliches Christentum zu konstruieren.

Gänzlich falsch ist aber ein Nebensatz, der da lautet: „und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht.“

Hierfür sollte sich der Kardinal entschuldigen, nicht für den historischen Bezug selbst. Denn, nur durch diesen Nebensatz muss man die Antwort des Kardinals als Kritik an jenen lesen, die sich auf dem synodalen Weg um einen Ausweg aus der Krise bemühen, in die die Kirche in Deutschland und weltweit aufgrund ihres Versagens im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch und aufgrund mancher anderer Sünden geraten ist und die sie mehr und mehr von den Menschen entfremdet und ihre Mission der Verkündigung des Evangeliums schwer macht. Die Kirche in ihrer heutigen Gestalt erweist sich durchaus als Klotz am Bein des Christseins und der Verkündigung des Glaubens an den dreieinen Gott. 

Die Anfrage des Kardinals ist sicher berechtigt. Aber, der oben schon kurz zitierte Prof. Delgado schreibt weiter: „Wer sich ... mit pointierten Stellungnahmen ... äußert und dies auch mit der Autorität seines Amtes tut, muss auch in Kauf nehmen, dass ihm widersprochen wird."

Das gehört zur Kunst der theologischen Streitkultur, die heute leider zu wenig gepflegt wird, weil sich die Fronten verhärten und wir nicht mehr «die Wahrheit des Anderen» zu retten bemüht sind, wie Ignatius von Loyola anmahnte.  

Leider zeigt sich auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nicht als jemand, der eine kunstvolle theologische Streitkultur pflegt. Und es wird sich mir nie erschließen, warum in einer solchen kommunikativen Krisensituation der eine Bischof nicht sofort den anderen Bischof anruft. Was hätte Kardinal Koch eigentlich verloren, wenn er den Vergleich mit den Deutschen Christen umgehend zurückgenommen und sich für die Missverständlichkeit unmissverständlich entschuldigt hätte. Statt alles mit einer gewundenen Erklärung zu verschlimmbessern. Was man zur Antwort Bischof Bätzings leider auch sagen muss. Ein Traum, wenn Kardinal Koch dann seinem Amtsbruder eine öffentliche Disputation über die Bedeutung des Glaubenssinns der Gläubigen, über Quellen der Offenbarung und „loci theologici“, über Zeitgeist und Zeichen der Zeit angeboten hätte. Diese Disputation hätte sicher aufgrund der kurzzeitig großen Aufmerksamkeit mehr Herzen und Hirne erreicht, als die Übertragung eines dreieinhalbstündigen Vortragssymposiums mit wenig überraschenden Antworten auf EWTN. (Den Theologen unter uns sei das dennoch empfohlen, spannend wäre allerdings wenn dort auch der Disput mit Personen wie Thomas Söding, Julia Knop und Michael Seewald (der direkt angesprochen wurde) gesucht worden wäre.)

Die Verhärtung der Fronten wird uns als Kirche nicht weiter bringen. Wenn die jeweiligen Unterstützerzirkel der beiden Kontrahenten sich enger um ihre zeitweiligen Idole scharen, wird das nur die Lagerbildung in der Kirche verschärfen. Einer Gestalt von Kirche, die nach wie vor ein Klotz am Bein der Verkündigung bleiben und immer mehr werden wird, weil die Menschen sich abwenden, wenn die Rede von Gott immer weiter zu einem Gezänk um des Kaisers Bart verkommt. 


Interview von Martin Lohmann mit Kurt Kardinal Koch:

www.die-tagespost.de/kirche/aktuell/die-wahrheit-macht-frei-nicht-die-freiheit-wahr-art-232532

Reaktion von Bischof Bätzing nach der Bischofskonferenz:

www.katholisch.de/artikel/41259-nach-nazi-vergleich-baetzing-fordert-umgehende-entschuldigung-von-koch

Antwort des Kardinals: 

www.die-tagespost.de/kirche/synodaler-weg/koch-antwortet-baetzing-nehme-aussage-nicht-zurueck-art-232671

Antwort des Vorsitzenden der Bischofskonferenz: 

www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/bischof-baetzing-stellungnahme-zur-antwort-von-kardinal-kurt-koch-vom-29-september-2022

Kommentar von Prof. Dr. Mariano Delgado:

www.kath.ch/newsd/katastrophaler-kommunikationsfehler-mariano-delgado-kritisiert-kardinal-koch/


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