Freitag, 15. Februar 2013

Christus zieht aus, Allah zieht ein!


In Hamburg hat die muslimische, arabische Al-Nour-Moscheegemeinde ein altes Gebäude erworben, das seit gut zehn Jahren im Stadtteil Horn leer steht und mehr und mehr verfällt. 
Der Vorgang hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt, vor allem, weil es sich bei dem Gebäude nicht um eine alte Fabrikhalle, ein ehemaliges Bordell oder ein Geschäftshaus handelt, sondern um eine ehemalige evangelische Kirche. Bis 2002 betete in der damaligen Kapernaum-Kirche eine offensichtlich eher überschaubare christliche Gemeinde. Aus Kostengründen beschloss die evangelisch-lutherische Kirche das Gotteshaus aufzugeben. Es wurde entwidmet und geräumt, die Orgel und die Glocken hat man an andere Kirchengemeinden verkauft.  
Der Beobachter fragt sich, was hat die muslimische Gemeinde geritten, sich so etwas anzutun? Nicht nur die Aufregung, die dieser „Präzedenzfall“ in der „kritischen“ Öffentlichkeit auslöste, auch die Tatsache, dass die Muslime ein Gebäude übernehmen, für dessen Erhalt die Finanz- und Glaubenskraft der kirchensteuerfinanzierten christlichen Gemeinde nicht mehr ausreichte, lässt einen zunächst an der Vernunft der muslimischen Akteure zweifeln.
Die Presseberichte legen jedoch einen wichtigen Aspekt offen. Die Gemeinde hatte sich zunächst um andere Immobilien beworben – kam aber nirgendwo zum Zuge. Eine muslimische Gemeinde, die ihr Gotteshaus dort errichten möchte wo ihre Mitglieder wohnen, nämlich mitten in der Stadt, hat es nicht leicht. Freiflächen stehen kaum noch zur Verfügung und das Baurecht verbannt die meisten dieser Bauten oft in die Rand- und Gewerbebezirke der Städte. Die besonderen „Privilegien“ im Kirchenbau, die die Christen (zumindest theoretisch noch) genießen, gelten bis dato nicht für islamische Moscheen oder hinduistische Tempel. Widerstand aus der Bürgerschaft führt die gern übervorsichtigen Politiker dazu, das Baurecht vorzuschieben, bevor man sensible Fragen des Zusammenlebens oder die Islamskepsis bis Islamfeindlichkeit (und andere Gründe) diskutiert oder sich in der Öffentlichkeit dazu positionieren muss. 
So blieb der muslimischen Gemeinde in Hamburg nichts anderes übrig, als sich eine "Schrottimmobilie" zu kaufen, einen Kirchenbau des Jahres 1958, für den sich in den vergangenen 10 Jahren (trotz zunächst konkreter Pläne (eine Kindertagesstätte) und vertraglicher Vereinbarungen) keine vernünftige Folgenutzung gefunden hat. 
Der „Islam in Deutschland“ bietet ein komplexes Bild mit vielen unterschiedlichen Akteuren, Vereinen und Institutionen. Daher möchte ich hier meinen Blick ausschließlich auf die Frage richten, was wirklich gegen die Nutzung einer ehemaligen Kirche als Gebetsraum für Muslime spechen könnte. Ich gehe dabei von muslimischen Partnern aus, die an Dialog und guter Nachbarschaft ehrlich interessiert sind, also von den weitaus meisten Muslimen in Deutschland. 
Rollen wir das Feld einmal in Ruhe auf und betrachten einzelne Aspekte der – durchaus problematisch erscheinenden – Folgenutzung von Kirchenbauten. Für zusätzliche Aspekte bin ich durchaus dankbar. 
Als Katholik gehe ich erst einmal von der katholischen Sicht der Dinge aus. Ein katholischer Kirchenraum wird durch die Kirchweihe zu geweihtem Boden. Alljährlich wird der Weihetag dieser Kirche festlich begangen. Die Weihe hebt das Gebäude aus dem profanen Umfeld heraus. Die Gebete und Gottesdienste, die in einer Kirche gefeiert und gesprochen werden, „laden“ das Gebäude in gewisser Hinsicht mit Heiligkeit auf. Daher ist es im Grunde undenkbar, einen solchen Ort der Gottesverehrung einfach aufzugeben. Der Platz, auf dem der Beter steht, ist „heiliger Boden“. Daher bedarf es auch der ausdrücklichen Anweisung des katholischen Bischofs und eines festlichen Aktes, in dem eine Kirche wieder „profaniert“ wird. 
Auch wenn es eigentlich nicht sein darf, natürlich geschieht es, dass Kirchen aufgegeben werden. Und auch für solche Fälle muss eine Möglichkeit gefunden werden, mit dem Undenkbaren umzugehen. Einfach ist das, wenn es sich um ein Gebäude von historischem Rang handelt, ein Erbe der Menschheit oder ein Erbe für den Ort, in dem es steht. Hier werden Viele ein Interesse haben, dieses Gebäude nicht verfallen zu lassen. In den Niederlanden sehen wir das an den großen Kirchen, die heute zur Besichtigung offen stehen, aus denen sich die Christen aber längst zurückgezogen haben. Schwieriger wird es, wenn ein sakrales Gebäude keinen – in der Gegenwart schon erkennbaren – historisch–künstlerischen „Wert“ hat. 
Hier muss man auch schon einmal in der Lage sein, sich nach einem angemessenen Trauerprozess von einem Gotteshaus zu trennen. Das ist schmerzlich für alle, die in einem solchen Haus gebetet haben, schmerzhafter noch für die, die es mit eigener Hände Arbeit oder eigenem Geld errichtet und gestaltet haben. Aber das Leben mutet uns immer wieder zu, Abschied zu nehmen, von Menschen, von Plänen, von Häusern. Als Christen ist uns der Tabernakel, das Zelt Gottes immer noch näher als die „feste Burg“. Wir haben hier auf Erden (eigentlich) keine bleibende Stätte.
In der Diskussion um eine Kirche, die zur Moschee wird, richten sich die Blicke (und die Vorwürfe) zunächst auf die Muslime. Aber das ist unfair! Für Muslime ist das Kirchengebäude selbst zunächst nur einfach ein Gebäude. Er muss halt einige Voraussetzungen erfüllen, damit er nutzbar ist. Die bisherige Nutzung ist kein Kriterium... Das Gebäude selbst ist kein heiliger Ort, entscheidend ist, dass dort gebetet wird. In Dinslaken-Lohberg befindet sich eine Moschee in einer ehemaligen Metzgerei. Dort beten die Muslime also an dem Ort, wo zuvor Schweine geschlachtet wurden. Für die Gläubigen ist das kein Problem.
Ich halte es für absolut unangebracht, die muslimische Gemeinschaft, die eine Kirche als Gebetsraum nutzt, zum Sündenbock zu machen. Letztlich übertragen wir die Enttäuschung darüber, dass es dem Christentum (das es uns Christen) immer weniger gelingt unsere Gesellschaft zu prägen, von innen her menschlich zu machen und auf Gott hin auszurichten, auf die, denen das augenscheinlich „besser“ gelingt. Es erscheint manchen angesichts der Umwandlung einer Kirche so, als habe der Islam über das Christentum „gesiegt“. Die Gründe für den Rückgang des Christentums sind vielschichtig. Ein angeblicher muslimischer Missionserfolg ist daran kaum schuld. Der Schmerz der Christen angesichts eines immer schwächer werdenden Christentums kann nicht bei unseren muslimischen Schwestern und Brüdern abgeladen werden.
Dennoch sollten sich Muslime gut überlegen, ob sie eine Kirche zur Moschee umgestalten. Es kann auch ihnen nicht egal sein, welche Gefühle sie bei Christen (oder denen, die sich irgendwie noch dafür halten) damit auslösen. 
Die bauliche Gestalt einer Kirche ist ein Glaubenszeugnis. Es wäre gut, wenn Muslime dies vor der Umnutzung bedenken. Vor allem katholische Kirchen haben eine, dem Bau eingeprägte Symbolik, die je nach Kunstepoche unterschiedlich ist. Sie ist allerdings nicht zu leugnen. Es stellt sich also die Frage, ob der Kirchenbau so neutral und schlicht gehalten ist, dass er zur Moschee umgebaut werden kann, ohne beständig an die ehemalige Kirche oder theologische Überzeugungen zu erinnern. Ob im Kirchenbau eine Ausrichtung nach Mekka möglich ist, werden die Verantwortlichen sowieso prüfen. Oft erfordert aber diese Ausrichtung ein Abweichen von der christlichen Ostung einer Kirche.  Die Kapernaum – Kirche in Hamburg wird offensichtlich durch Öffnung des Daches und Einbau einer Empore auch baulich entscheidend verändert. Der Kirchturm allerdings, der 1958 besonders hoch gebaut wurde, um einen baulichen Gegenpol zu den umgebenden Hochhäusern zu bieten, er wird wohl kaum in ein Minarett verkleidet werden und immer an den christlichen Ursprung der Moschee erinnern. 
Belastend ist sicherlich bis heute der geschichtliche Befund, dass Kirchen von kämpferischen Muslimen, von den muslimischen Eroberern eines christlichen Landes in der Vergangenheit in Moscheen umgewandelt wurden. Das bekannteste Beispiel ist die heute – sensiblerweise zum Museum umgewandelte – Hagia Sophia – Kirche. Die antike Kirche aus dem 7. Jahrhundert, Hauptkirche des byzantinischen Reiches wurde 1453 erobert und fortan als Moschee genutzt. Angesichts ihrer geschichtlichen und kunsthistorischen Bedeutung wandelte Kemal Atatürk sie ab 1934 in ein Museum um. Solche traumatischen Erfahrungen der Christenheit haben eine gewisse Auswirkung bis in die Diskussionen des heutigen Tages hinein, auch wenn sie unter anderen Vorzeichen stattfinden und das allgemeine Geschichtsbewußtsein der Bevölkerung häufig lückenhaft ist. Man sollte die Nachwirkungen solcher „Kränkungen“ aber nicht völlig negieren und vernachlässigen. 
Es gibt übrigens auch gegenteilige Beispiele: Im Zentrum von Pécs (Ungarn) steht z.B. eine Moschee (Moschee Gazi Khassim), die heute als Kirche genutzt wird. Sie ist ein Überbleibsel aus dem osmanischen Reich. Der Halbmond auf ihrer Kuppel umschließt ein christliches Kreuz. 
Im Verlauf der Jahrhunderte hat sich eine Moscheebaukunst entwickelt, die zwar nicht unbeeinflußt von den antiken Kuppelbauten christlicher Kirchen ist, aber dennoch eigenständig. Die christliche Hagia Sophia beispielsweise wirkte für Moscheen stilprägender als für die späteren Kirchen. Doch auch in anderen Epochen, beispielsweise während der muslimischen Zeit in Spanien, bereicherten sich christliche und muslimische Baukunst gegenseitig. Dennoch: Muslime, die einen fertigen christlichen oder profanen Bau zur Moschee umgestalten wollen, müssen zahlreiche Kompromisse machen. Geld, das in aufwendige Umbauten, Renovierungen oder gar in das Beheizen schlecht isolierter Altbauten investiert wird, ist zunächst einmal verschwunden. Es könnte vielleicht auch besser investiert werden.
Letztlich steckt eine moderne europäische Moscheearchitektur noch in den Kinderschuhen. Einzelne „moderne“ Moscheen, wie z.B. die neue DITIB-Zentralmoschee in Köln oder die DITIB-Moschee in Moers, die Moschee des islamischen Forums in Penzberg oder das islamische Kulturzentrum in Wolfsburg scheinen noch Ausnahmen zu sein. Warum sollten muslimische Gemeinden nicht stärker in "moderne" Moscheen investieren, statt Altbauten zu sanieren. Leider orientieren sich die muslimischen Gemeinschaften  heute noch gern an historischen Bauten ihrer Heimatländer, was auch ein Schlaglicht auf eine besondere Funktion des angestammten Glaubens wirft, nämlich die eigene Identität im fremden Land zu wahren. 
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was spricht in der Tiefe, also theologisch gegen die Folgenutzung einer Kirche (die baulich dafür geeignet ist) durch Muslime? Sicher, es gibt gute pastorale Gründe (in einer Zeit des Übergangs), die allerdings nicht ewig gültig sein können. In die Diskussion um eine Kirchennutzung durch Muslime bringen ja selbst hochrangige Kirchenvertreter und gebildete Theologen fast ausschließlich Argumente mit den Stichworten „Emotion“ „Symbolkraft“ und Gefühl ein. Selbst Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland ist aus diesen "Gründen" kein Freund solcher Umnutzungen: „Ich ganz persönlich spreche mich auch grundsätzlich dagegen aus, ich glaube, dass damit religiöse Gefühle verletzt werden können, und darauf sollte man es nicht ankommen lassen“, sagte er (der FAZ). Die kirchenoffiziellen Verlautbarungen gehen in exakt dieselbe Richtung. Die Deutsche Bischofskonferenz hat festgelegt, dass die „kultische Nutzung“ von Kirchenbauten durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften „wegen der Symbolwirkung nicht möglich ist“. In einer Handreichung der EKD von 2006 heißt es, dass die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee „oftmals von vielen Christen nicht nur als ein persönlicher Verlust empfunden“ wird und „darüber hinaus auch zu Irritationen in der öffentlichen Wahrnehmung führen“ kann. Diese Argumentation greift der Hamburger Hauptpastor Alexander Röder mit der Bemerkung auf: „Religion ist nicht nur vernünftig, sondern auch emotional." 
Aber taugt eine so „flache“ Argumentation für eine endgültige Lösung des Problems? Dann müssten nämlich im Gegenzug die Kirchen bereit sein, jedes "heilige" Kirchengebäude auf Dauer zu nutzen und sinnvoll mit Leben zu füllen. Das wird in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht einfacher werden, bei aller postulierten Liebe zum Kirchen-Gebäude, gerade auch durch nicht praktizierende Personen. Eine Kirche kann nur ein Haus aus lebendigen Steinen sein. Der Kult um ein „totes Gebäude“ ist im Grunde Götzendienst. 
Die inzwischen häufig gehörte Universallösung: „Besser Abriß als Moschee oder Disko“ hilft zwar kurzfristig aus einem Dilemma heraus. Allerdings bezweifle ich stark, dass die Zerstörung eines Kirchenraumes aus vordringlich emotionalen Gründen wirklich Balsam für das leidende Herz eines Christen sein kann. Und: welchen Sinn macht eine solche Vernichtung von Werten (nicht nur materieller Art) angesichts der Forderung, die Schöpfung (und die Kultur) zu bewahren. Auch die Architektur der letzten hundert Jahre ist wertvoll bzw. wird in Zukunft als wertvoll erkannt werden. Was, wenn die Muslime im 15. Jahrhundert die Hagia Sophia abgerissen hätten, weil man zu der Überzeugung gekommen wäre, dass ein uralter christlicher Bau sich nicht als muslimische Gebetsstätte eignet.
Ein anderer Grund, der gegen eine Umwidmung von Kirchen in Moscheen sprechen könnte, sind die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen. Man könnte sagen (manche tun das), die Kirche müsse alles tun, um einem anderen Glauben die Missionsarbeit zu erschweren. EKD-Kirchenamtspräsident Hans Ulrich Anke bringt das so auf den Punkt, man solle Kirchenräume nicht für das Predigen anderer Gottesbilder zur Verfügung stellen. Ob das sich aber an der Gebäudefrage entscheidet, wage ich zu bezweifeln.  Katholischerseits springt ihm der Hamburger Weihbischof Jaschke bei und meint: „Die Austauschbarkeit von Christentum und Islam ist nicht im Sinne eines guten interreligiösen Dialogs.“ Wirklich fundierter Einwände klingen anders. 
Im Grunde ist die Folgenutzung von Kirchen ein eher unbedeutendes Problem. Nicht jede Kirche eignet sich zur Nutzung durch andere Konfessionen und Religionen. Bis heute sind daher erst wenige Kirchen an Muslime verkauft worden. Aber als Christen sollten wir es nicht kategorisch ausschließen. Wenn es für profanierte Kirchen eine Folgenutzung geben soll, dann ist mir persönlich der muslimische Beter lieber als der christliche Geschäftemacher. 
Ich halte es allerdings für wichtig, darauf zu achten, dass die Gebäudediskussion nicht den Konflikt der Religionen befeuert und dass keine unnötigen Gegensätze entstehen. Eine Umwandlung einer Kirche in eine Moschee braucht also theologische Grundlegungen und intensive Gesprächs- und Informationsprozesse. Und die wären auch für ein besseres Miteinander der Glaubenden der abrahamitischen Religionen sinnvoll.
Vermutlich wird die Zukunft zeigen, dass das, was in Großstädten anderer Länder schon längst „normal“ ist, auch hierzulande keinen mehr aufregt. Was spricht wirklich dagegen, dass glaubende Menschen die Gebetsräume anderer Religionen für sich übernehmen und nutzen. Schließlich gibt es schon heute zahlreiche Beispiele interreligiöser Gebetsräume in Schulen, Flughäfen und vereinzelt auch schon in großen Städten. In denen – wohlgemerkt – jeder bleiben kann, was er ist, Katholik, Protestant, Buddhist oder Muslim.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen