Dienstag, 10. Dezember 2013

Nachdenken über Wörter: "Liturgischer Missbrauch"

Es ist inzwischen ein allgemein verwendetes Schlagwort geworden, die Rede vom „liturgischen Missbrauch“. Wir verdanken dieses Wort vermutlich der Instruktion der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung: „Redemptionis sacramentum - über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind“.

Mir persönlich gefällt dieses Wort nicht, und mir gefällt nicht, wie undifferenziert es in vielen Diskussionen verwendet wird. Zumal das Stichwort „Missbrauch“ inzwischen ja auch anders akzentuiert ist durch die Diskussion über sexuellen Missbrauch in Kirche und Gesellschaft. Das lädt die Begriffskombination „liturgischen Missbrauch“ noch einmal mit unheilvoller Bedeutung auf. Allein diese Bedeutungsübersprünge sollten uns nachdenklich machen, ob wir den Begriff weiter so inflationär verwenden sollten. 

In der genannten Instruktion aus dem Jahre 2004 kommt das Wort Missbrauch in der Tat mehrfach vor. Genau 18 mal habe ich es gefunden, allerdings nur einmal in der Kombination „liturgischer Missbrauch“. In Nr. 169 wird definiert, um was es eigentlich geht: „Wo in der Feier der heiligen Liturgie ein Missbrauch begangen wird, handelt es sich um eine wirkliche Verfälschung der katholischen Liturgie. Schon der heilige Thomas hat geschrieben: «In das Laster der Falschheit fällt, wer seitens der Kirche Gott Verehrung erweist entgegen der von der Kirche kraft göttlicher Autorität festgesetzten und in der Kirche üblichen Art»“. Der lateinische Begriff „abusus“ kommt im originalen Text übrigens 26 mal vor. 

Aufgabe des Ortsbischofs sei es, Mißbräuche (oder gar Straftaten) in der Liturgie zu verhindern, wobei er sich eines geeigneten anderen Klerikers bedienen kann. Abschnitt 184 war in der Diskussion um die Instruktion besonders umstritten: „Jeder Katholik, ob Priester, Diakon oder christgläubiger Laie, hat das Recht, über einen liturgischen Missbrauch (abusu liturgico) beim Diözesanbischof oder beim zuständigen Ordinarius, der ihm rechtlich gleichgestellt ist, oder beim Apostolischen Stuhl aufgrund des Primats des Papstes Klage einzureichen. Es ist aber angemessen, daß die Beschwerde oder Klage nach Möglichkeit zuerst dem Diözesanbischof vorgelegt wird. Dies soll immer im Geist der Wahrheit und der Liebe geschehen.“ Nur hier kommt auch das entsprechende Wortpaar vor. 

Konkret werden als Missbräuche benannt: Hostien mit anderen Substanzen zu backen als hierfür vorgesehen; einem Laien oder Diakon Teile des eucharistischen Hochgebetes sprechen zu lassen; das Brechen der Hostie bei der Wandlung; den Ritus der Brotbrechung über Gebühr auszudehnen und zu betonen; Texte und Riten anderer Religionen einzufügen; die Laien bei der Kommunion das Brot selbst nehmen zu lassen und die Eheleute sich gegenseitig die Kommunion spenden zu lassen; die Eucharistiefeier unter dem Vorwand „eucharistischen Fastens“ ausfallen zu lassen und letztlich die Eucharistie nicht in der vorgesehenen liturgischen Kleidung zu zelebrieren. Leicht ließe sich der Begriff des „Missbrauchs“ natürlich auch auf weitere Vorschriften der Instruktion ausdehnen, aber nur hier wird er explizit gebraucht. 

Auch der selige Papst Johannes Paul II. verwendet den Begriff „Missbrauch“ im Zusammenhang mit der Liturgie in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“. Dem Papst stehen hier wohl gravierende Dinge vor Augen, die die gesamte Feier ihrer Vielschichtigkeit zu Gunsten eines schlichten Gemeinschaftsmahles berauben. Ich zitiere hier den Abschnitt 52, einer von zwei Stellen, wo er den Begriff benutzt: „Aus dem Gesagten wird die große Verantwortung vor allem der Priester verständlich, denen es zukommt, der Eucharistiefeier in persona Christi vorzustehen. Sie sichern ein Zeugnis und einen Gemeinschaftsdienst nicht nur für die unmittelbar an der Feier teilnehmende Gemeinde, sondern auch für die Gesamtkirche, die mit der Eucharistie immer in Beziehung steht. Leider ist zu beklagen, daß es - vor allem seit den Jahren der nachkonziliaren Liturgiereform - infolge einer falsch verstandenen Auffassung von Kreativität und Anpassung nicht an Mißbräuchen gefehlt hat, die Leiden für viele verursacht haben. Insbesondere in einigen Gebieten hat eine gewisse Gegenbewegung zum »Formalismus« manche dazu verleitet, die von der großen liturgischen Tradition der Kirche und von ihrem Lehramt gewählten »Formen« für nicht verbindlich zu erachten und nicht autorisierte und oft völlig unpassende Neuerungen einzuführen.“

Der lateinische Begriff abusus bringt mich wieder darauf, dass das Wort „Missbrauch“ eigentlich nicht mehr und nicht weniger als „fehlerhafter, falscher Gebrauch“ bedeutet. Abweichung von der Norm, vom „Normalen“. In meinen Ohren klingt aber sogleich „schwer strafwürdig“ mit und „da verschafft sich einer durch Mißbrauch einen persönlichen Vorteil auf Kosten eines anderen.“ In der Medizin wird mit Blick auf „Drogenmißbrauch“ von unterschiedlichen Klassen von Miss-/Gebrauch gesprochen, nämlich (verkürzt) von unerlaubtem, gefährlichem, dysfunktionalem und schädlichem Gebrauch. Dabei wird letztlich das wenig differenzierende „Miss-“ durch differenzierendere Begriffe ersetzt. 

Worauf will ich hinaus? Ich möchte eine andere Sprache im Umgang mit – sagen wir es neutraler – unterschiedlichen liturgischen Auffassungen. Jede Abweichung in der Liturgie als „Missbrauch“ zu stempeln – wird der Sache und auch den Motivationen der Liturgen nicht gerecht.

Es macht auch die angemessene Auseinandersetzung schwer. Dabei geht es mir in keiner Weise darum, die bunte liturgische Blumenwiese zu eröffnen. Es geht mir um mehr Differenzierung und um mehr Miteinander. Vielleicht ausgehend vom dem Wort aus der zitierten Instruktion, alles möge im Geist der Wahrheit und der Liebe geschehen, was ich für eine überaus kluge Formulierung halte. 

Sebastian Berndt hat in einem Blogbeitrag: http://metal-und-christentum.de/liturgie-der-buchhalter/ über seinen Ärger über „liturgische Missbräuche“ geschrieben, dass ihn störe, dass „alle diese Formen der tätigen Teilnahme ... durch unübliche Abläufe oder Texte unterbrochen“ würden. „Völlig offensichtlich ist dies beim Mitbeten, das durch Umformulierungen und Ergänzungen schlicht unterbrochen wird. Doch auch das Meditieren wird gestört, denn das setzt innere und äußere Ruhe voraus, und die wird schlicht zerstört, wenn man nicht mehr so genau weiß, wo der Zelebrant jetzt eigentlich gerade ist. Statt mitzuvollziehen und geistlich betrachten muß ich nun plötzlich aufpassen und zuhören, was der Zelebrant da für tolle Eingebungen hatte...“ 

Natürlich hat er da (auch) recht. Aber „participatio actuosa“ ist schon noch mehr als sanftes Mitdämmern in der Liturgie. Da gibt es auch einige durchaus erlaubte Texte und Aktivitäten, die eine solche Art der Mitfeier „unterbrechen“ und das kann auch schon mal hilfreich sein und in die Tiefe führen. Ich habe einen Pastor, der schon mal einen nachdenklichen Halbsatz für mein Gefühl absolut stimmig in ein liturgisches Gebet einfügt und der damit eine neue Tiefe bei mir stimuliert. So eine Art „freudiges liturgisches Erwachen“. Streng genommen ist das (ab und an) ein liturgischer Missbrauch. Ich denke an einen anderen Priester, der den Embolismus so betete: „Bewahre uns vor Verwirrung, Terror, Krieg und Sünde...“ Ein Satz, der wohl aus der eigenen Kriegserfahrung angereichert war, und der mich noch heute innerlich anrührt, weil ich in der Messe still den Einschub „Terror, Krieg...“ noch immer bete. Wobei mich der echte „Missbrauch“ weit mehr schmerzt, wenn ein Pfarrer den Embolismus mal wieder für verzichtbar hält und wohl glaubt, das Vater unser käme ohne diesen Einschub der „ipsissima vox christi“ näher. 

Aber vielleicht hilft ja dann doch, was Berndt weiter schreibt, wenn man es ähnlich wie den Abschnitt 169 der Instruktion als Definition betrachtet: „Liturgische Missbräuche zerstören den inneren Kern dessen, was Liturgie bedeutet.“ Möglicherweise gibt es dann aber auch den ein oder anderen Punkt, wo ein sogenannter „Liturgischer Missbrauch“ letztlich das genaue Gegenteil ist, nämlich eine Hinführung in die Tiefe und diesen inneren Kern. 

Na sicher kann man mir da widersprechen. Weil damit aus den „klaren Regeln“ für „liturgische Buchhalter“ wieder eine „liturgische Spielwiese“ zu werden scheint. Aber ich bin schon der  Meinung, dass die Liturgie feste Regeln braucht und auch einen regelmäßigen Ablauf. Wenn man experimentieren möchte, dann gibt es zunächst auch im liturgischen „Umfeld“ einer Eucharistiefeier genügend Möglichkeiten, die „participatio actuosa“ derer zu fördern, die bei diesem Begriff an eine besonders schöne Pflanze in Pfarrers Garten denken und mit Liturgie im Grunde weniger anzufangen wissen. Aber auch die Eucharistiefeier selbst, insbesondere im Rahmen von Kindergottesdiensten bietet ausreichend Möglichkeiten, auf die Fähigkeiten der Kinder zur tätigen Teilnahme an einem Gottesdienst angemessen einzugehen, ohne dass selbst der zufällig anwesende Präfekt der Glaubenskongregation oder auch Sebastian Berndt selbst am Ende einen dicken Ordner mit „Ermittlungsakten“ nach Rom tragen würden (oder wollten). Leider gibt es immer wieder Priester und Laien, die im Innersten der Liturgie herumfuhrwerken, ohne überhaupt liturgisch und theologisch ernsthaft begründen zu können, warum und weshalb. Nur nach Gefühl und allein „geleitet vom Hl. Geiste“ geht es wirklich oft schief. 

So sehr ich Berndts Gedanken (es ist leider nur einer – da wäre doch noch mehr drin!) in seinem Blogbeitrag folgen kann.... Bei einer Vorstellung darin bin ich skeptisch, nämlich wenn er schreibt, dass der liturgisch gebildete Laie die „Fehler“ bemerke, „weil er durch Nichtvorgesehenes aus seiner Andacht (auch so ein selten gewordenes Wort) gerissen wird“. Ich weiß nicht, ob „Andacht“ die angemessene Form der „participatio actuosa“ ist. Er hat es sicher nicht so gemeint, weil er ja später auch noch davon schreibt, dass seine „ganze Glaubenskraft geweckt“ werden soll, „so dass er sie in den Mitvollzug der Liturgie legen kann.“ Aber ich denke, wir sind gefordert, hellwach in der Liturgie zu sein, lebendig verbunden mit unserem Gott, durchaus auch milde ... wenn wir in unserer Andacht „gestört“ werden durch experimentierfreudige Priester oder unruhige Kinder, aber auch mutig, die Motive und Handlungen der Zelebranten zu hinterfragen. 

Für mich war es vor vielen Jahren ein schwerer Missbrauch, einen Priester zu erleben, der einen großen Teil des (1.) Hochgebets still betete und mir so die Möglichkeit des Mitvollzugs weitgehend nahm. Dabei präsentierte er sich in Habitus und liturgischer Gewandung (Baßgeige) als kirchentreu. Aber dann muss man auch den Mut haben, diesen Priester dann anzusprechen und einen Dialog zu beginnen. 

Authentisch und persönlich wird die von einem Priester (oder Bischof) gefeierte Liturgie weder durch liturgische Experimentierfreude noch durch sklavische Rubrikentreue. Authentisch und persönlich wird es, wenn man spürt, dass der Liturge hier feiert, was auch auch glaubt und lebt. Und es kann auch in der Liturgie „Fehler“ auf der offiziellen Seite geben, wenn man einmal die Diskussion um die Neuübersetzung des Messbuches beobachtet. „Die Ohren der göttlichen Barmherzigkeit“ führen mich immer irgendwohin, aber sicher nicht zu einer vertieften Meditation der Barmherzigkeit Gottes. 

Mir wäre es lieb, wenn wir das Wort vom „liturgischen Missbrauch“ sparsam verwenden würden. Wenn wir daraus zumindest kein Schwert im kirchenpolitischen Kampf machen würden, sondern für Differenzierung sorgen könnten. Vielleicht bräuchten wir ähnliche Kategorien wie in der Medizin. Ganz bestimmt gibt es liturgische Fehler, die schädlich sind, solche die ärgerlich sind, solche, die die Andacht stören... Aber es gibt auch liturgische Fehler, die uns wieder zum Eigentlichen führen könnte. Aber solche „Fehler“ entspringen nicht (oder nur selten) der spontanen Eingebung, sondern einem vertieften Nachdenken darüber, was Liturgie und Glaube eigentlich sind und wollen. Und in all den Jahrhunderten hat es schon auch immer wieder liturgische Neuerungen und Errungenschaften gegeben, die nur dann möglich sind, wenn unser Geist sich der Führung des göttlichen Geistes anvertraut. 

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