Dienstag, 20. Februar 2024

Synodale Rat-Losigkeit?

Dass die katholische Kirche in unserem Land in einer tiefen Krise steckt, das spürt vermutlich jedes Kind. Die Ursachen, die dafür auf dem Wochenmarkt, beim Kirchenkaffee und beim Stammtisch besprochen werden: Missbrauchsfälle, Kirchenaustritte, Mangel an Priestern, Strukturreformen, Reformunwilligkeit der Kirche, die Eigenarten eines Pastors oder der pastoralen Mitarbeiter, manchmal sogar noch die Kreuzzüge, die Hexenverfolgung oder bei alten 68ern: Rolf Hochhuths Drama über Papst Pius XII. und die Nazis.

Dass aber der Wunsch der katholischen Laienverbände, vieler Bischöfe und des Synodalen Weges, einen sogenannten „Synodalen Rat“ zu gründen, die wahre Krise der katholischen Kirche in unserem Lande sein soll, das wird vermutlich die fromme Lieschen Müller doch sehr wundern, wenn der Pastor vorbei kommt, um ihr zum 85. Geburtstag zu gratulieren. Auch als regelmäßiger Kirchgänger kann ich mich nicht erinnern, das Stichwort jemals in einer Predigt gehört zu haben. 

Während der normal engagierte Katholik gerade mit Spannung und Sorge auf die Pläne für Großgemeinden und pastorale Räume schaut, hat sich eine besondere katholische Blase das Projekt eines Synodalen Rates als Ziel ihrer Agitation gewählt. Es drohe die Spaltung, das Schisma, die Loslösung von Rom.

Was ist also los, dass sich einer der profiliertesten Köpfe des Katholizismus im deutschsprachigen Raum, der Wiener Kardinal Christoph Schönborn tief besorgt zeigt über die Situation der Kirche im Nachbarland. Dass er in einem ausführlichen Interview sogar selbst das Wort „Schisma“ übernimmt, vor einer Kirchenspaltung warnt?, 

Ernsthaft? Eine Kirchenspaltung wegen eines Gremiums von Katholiken, dass die Bischöfe beraten soll? Wird da nicht zu heiß gegessen, was da der Synodale Weg gekocht hat? 

In der Tat ist die Mitbestimmung und Mitberatung in der Kirche, die „Demokratie“ also, seit jeher ein heikles Thema. In der Vergangenheit habe ich mich auch hier schon oft damit auseinander gesetzt.

Bei all den Demonstrationen für Demokratie und gegen rechtsextreme Bestrebungen der letzten Wochen waren kirchliche Gruppen und Gemeinden, ja sogar Bischöfe engagiert und beteiligt. Dieser Einsatz der Kirche für Demokratie wird allerdings auch gern kritisiert, da ja die Kirche in ihren eigenen Strukturen weder Demokratie noch Mitbestimmung kenne. In ihrer Verfasstheit ähnelt sie nach wie vor einer Monarchie, Gewaltenteilung kennt sie kaum, auch in ihrem Arbeitsrecht geht sie einen alternativen Weg...

In der Tat hat der Bischof in der katholischen Kirche eine ungewöhnliche Machtfülle und abgeleitet hiervon auch ein Pfarrer. In jeder katholischen Gemeinde muss ein Pfarrer die letzte Vollmacht und zumindest auf dem Papier und im Zweifel die Leitung haben – was zu immer größeren Pfarren und pastoralen Räumen führt, weil die Zahl der Pfarrer, die diese Leitung auch ausfüllen könnten immer mehr sinkt und immer weniger Pfarrer diese Verantwortung auch tragen möchten. Wer mag schon pastoraler Raumpfleger werden, wenn er Priester und Seelsorger sein wollte.

Trotzdem gibt es in der Kirche immer Bestrebungen Macht zu teilen, Macht zu begrenzen und dem Bischof Räte zur Seite zu stellen. Sie sollten ihm helfen, gute Entscheidungen zu fällen. Im Raum der Kirche liegt bei kirchliche Räten die Betonung daher immer auf „Beratung“. Die konkreten Entscheidungen fällt in der Regel dann der Bischof oder die von ihm beauftragten Männer, in letzter Zeit aber auch zunehmend Frauen. Im Bistum Münster gibt es eine ganze Reihe von Räten, wie z.B. der Priesterrat, der Diakonenrat, der Diözesanrat, der Rat der Pastoralreferentinnen und Referenten. Oft gibt es auch Räte, die den Bischof und das Bistum in gesellschaftspolitischen Fragen beraten. Im Bistum Essen kann man das sehr schön sehen. 

Ich habe persönlich einige Erfahrungen in Räten dieser Art gesammelt, war vor der Familiengründung engagiertes Mitglied im Diözesanpastoralrat und im Pastoralreferent*innenrat und über diese Gremien auch im Diözesanforum, einer großen Versammlung, die die Weichen für Zukunft der Kirche im Bistum Münster stellen wollte. 

Nach meinen Erfahrungen dort ist ein synodaler Rat auf Bundesebene wirklich nicht mein feuchter Zukunftstraum für die Kirche. Zu groß bleibt das Risiko, dass die Entscheidungen dort fernab der Lebenswirklichkeit in den Gemeinden getroffen werden, zu „speziell“ sind die Themen und das Denken in den katholischen Echokammern. Wenn ich die Szene der hoch engagierten Kirchenleute sehe, erwarte ich nicht, dass die automatisch bessere Entscheidungen treffen und hilfreichere Papiere verfassen, als es die Bischöfe allein täten. Auch kenne ich Laien, die an Klerikalismus (in der Definition des Papstes) meinen Bischof um Längen übertreffen. 

Dennoch finde ich es wichtig, dass Bischöfe und Pfarrer gut beraten werden und – ganz wesentlich dabei – guten Rat auch annehmen und umsetzen. Sie dürfen ihre Ratgeber aber nicht enttäuschen, wenn zwar im großen Kreis Machtloser beraten wird, am Ende aber von machtbewussten Einzelpersonen und kleinen Entscheidungsgremien ganz Anderes beschlossen wird. Es verwundert nicht, dass solche Räte am Ende niemanden mehr anziehen und es ist inzwischen ein verbreitetes Phänomen, dass z.B. Priesterräte und Gremien immer schwieriger zu besetzen sind.

In meiner Zeit im Diözesanpastoralrat und auch in den Pfarr(gemeinde)räten und Kirchenvorständen meiner bisherigen Gemeinden habe ich hoch kompetente Menschen erlebt, die mit ihrem Sachverstand, ihrem Wissen, ihrer Lebens- und Berufserfahrung, ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung, mit Leidenschaft und Liebe zur Kirche dem Bischof (und den Seelsorgern) zur Seite stehen und ihm/ihnen einen guten Rat geben wollten. Das ist auch eine ehrenvolle Aufgabe und Räte dieser Art blicken ja auch auf eine lange Geschichte zurück. Es waren oft besonders ausgezeichnete Personen, die die Mächtigen im Land berieten und mithalfen, dass gute Entscheidungen fallen. Gute Regierungskunst ist, die Mannschaft mitzunehmen auf den gemeinsamen Weg. 

Im Übrigen glaube ich, dass die gute Führung eines Beratungsgremiums weit schwieriger ist, als die Führung eines klar strukturierten Stadtrates, wo klare Entscheidungen mit politischer Mehrheit gefällt werden. Daher ist ein synodales Gremium, wie es Papst Franziskus vorschwebt, eine wirkliche geistliche Herausforderung. 

In Deutschland gibt es ja neben den Räten auch Gremien, in denen es um klare Entscheidungen geht, wie den Kirchenvorstand oder den Kirchensteuerrat. Hier wird manchmal auch ein Pfarrer überstimmt. Im Hintergrund solcher Strukturen stehen oft staatliche Institutionen, die die Machtposition der Kirchenführungen begrenzen und kontrollieren wollten. Besonders weit gediehen ist dies in der Schweiz, die eine weltweit beinahe einzigartige Kirchenverfassung hat mit Kirchenparlamenten und Präsidenten. Das ist zwar in der Weltkirche ein besonderes Phänomen, aber man sieht, dass es geht und dass nicht jede Entscheidung in der Kirche allein dem geweihten Amt zukommen muss. 

Um den aktuellen Streit besser zu verstehen, hilft ein kleiner Blick zurück in die Kirchen-Geschichte: Nach dem zweiten vatikanischen Konzil kamen verstärkt Laien (also Menschen ohne ein kirchliches Weihe-Amt) in gewählte Gremien und Räte und standen hier den Pfarrern und Bischöfen zur Seite. Gleichzeitig war auch aus katholischen Vereinen und Verbänden, wie z.B. Kolping, KAB, Frauengemeinschaft etc. ein Netzwerk von Organisationen gewachsen, aus dem eine ganz eigene, selbstbewusste Vertretung der organisierten Gläubigen in der Kirche entstand, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das ZdK. Es hat den Anspruch, die katholischen Laien aus Gemeindegremien, Gruppen und Verbänden zu vertreten. Mitglied kann man dort auf recht verschlungenen Wegen mit Wahlen und Delegationen werden. Da dies recht kompliziert erscheint, wird die Legitimation der ZdK-Vertreter von interessierten Kreisen gern bestritten. Dabei geht es im Grunde weniger um diese Strukturen selbst, sondern um die Meinungen, die hier vertreten werden. 

Seitdem das ZdK mit den deutschen Bischöfen den sogenannten Synodalen Weg beschlossen und durchgeführt hat, steht diese Vertretungsstruktur in ständiger Kritik. 

Sehr gern spottet und polemisiert man dabei über den Begriff des Zentralkomitees, weil dieser Begriff auch im Kommunismus Verwendung fand. Dieses sei besetzt mit lauter „Funktionären“, die ihre Pfründe behalten wollten. Nach meiner Erinnerung bestanden die Pfründe in Wirklichkeit jedoch in der Teilnahme an langen (sicher ehrenvollen) Sitzungen und der Erstattung von Fahrtkosten. Andere schwurbeln über die angebliche Planung einer katholischen „Räterepublik“ nach dem Vorbild der Arbeiter- und Soldatenräte aus der Frühzeit des Kommunismus.  

Ein besonderes Sperrfeuer konservativer Kreise geht nun gegen den sogenannten Synodalen Rat der Kirche in Deutschland. (Ich bin darauf hingewiesen worden, dass man weder den Papst noch Kardinal Schönborn, noch Kardinal Kasper, Prof. Tück oder Kardinal Fernández hier subsummieren könne. All diese Kritiker der Pläne für einen Synodalen Rat sind theologisch eher liberal. Das stimmt! Und sie haben mit ihrer Kritik in der Sache ja auch recht.) Dieser Synodale Rat sollte als Vertretung aller deutschen Katholiken mit den Bischöfen gemeinsam beraten und möglichst verbindliche Beschlüsse für die ganze Kirche treffen. Das wäre ein Novum! Um diesen Rat zu gründen und Bedenken auszuräumen, soll es zunächst einen Synodalen Ausschuss geben. 

Was aus Sicht des ZdK, das auf eine lange Tradition einer bundesdeutschen Organisationsform und einer engen Zusammenarbeit mit den Bischöfen zurück blickt und was sich aus den Erfahrungen des Synodalen Weges sicher nahe legt – begegnet nun aber einigen hohen kirchenrechtlichen Hürden.

  • Eine solche Hürde taucht nun in der Tatsache auf, dass die Bischofskonferenz nur ein Hilfsinstrument ist, das die Zusammenarbeit der Bischöfe in einem bestimmten Gebiet unterstützen soll. Die Kirche ist gegliedert in Bistümer, an deren Spitze nun mal ein Bischof steht. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz ist nicht deren Chef sondern eher ein Sprecher . Ein Rat, der einen einzelnen Bischof sogar in Glaubens- und Gewissensfragen Vorgaben machen könnte – das widerspricht ausdrücklich der katholischen Kirchenverfassung. Und dies selbst bei der liberalsten Lesart der Texte des II. Vatikanischen Konzils. Darauf weist Kardinal Schönborn aber auch Kardinal Kasper in Rom zu Recht und mit klaren Worten hin. Selbst liberalste Kirchenrechtler haben laut und vernehmlich gewarnt, ohne dass die Unterstützer eines Synodalen Ausschusses (ob die Mehrheit der Bischöfe oder auch das ZdK) ihre Argumente berücksichtigt oder überhaupt nur beantwortet hätten. Eine Steilvorlage für alle, die das Vorhaben verhindern möchten. 

  • Der zweite Knackpunkt ist die Frage, ob ein solcher Rat den einzelnen Bischof auch in Glaubens- und Gewissensfragen zu einem ausführenden Organ seiner (Mehrheits-)Beschlüsse machen könnte. Das würde die überlieferte Kirchenverfassung auf den Kopf stellen. Man könnte fragen, warum es noch geweihte Kirchenmänner (vielleicht irgendwann auch Frauen) geben soll, wenn sie denn dann nur zu tun haben, was Vereinsvorstände und Gemeinde(rats-)versammlungen entscheiden. Und wie wäre es um die Einheit bestellt, wenn auf diese Weise einmal alle Bistümer in unterschiedliche Richtungen marschieren, je nachdem, welche „Partei“ dort gerade das Sagen hat. 

Insofern ist ein „Synodaler Rat“ in Deutschland, der verbindliche Beschlüsse für die Katholische Kirche in Deutschland fasst, ein unmöglich umzusetzendes Gremium. Dies ließe sich nur erreichen, wenn man die Kirchenverfassung einmal komplett umkrempelt und das Kirchenrecht umschreibt. 

Es erschließt sich mir im Übrigen gar nicht, warum das ZdK und auch die Mehrheit der Bischöfe für ein solches Gremium kämpfen, als sei dies in genau dieser Form der erlösende Faktor für alle Probleme unserer Kirche. Ich habe aber überhaupt keine Zweifel, dass auch kirchliche, geistliche Macht geteilt und kontrolliert werden muss.

In diesem Zusammenhang muss sich auch der Limburger Bischof Georg Bätzing Kritik gefallen lassen. Als Theologe und Bischof weiß er um die Schwierigkeiten, er gibt aber keine Antworten und zeigt keine gangbaren Wege. Allein auf „Rom“ zu schimpfen, die sich notwendigen Reformen verweigerten … mich überzeugt das nicht. Er wäre in der Verantwortung gangbare Wege zu eröffnen und uns nicht in Sackgassen zu führen. In der FAZ beschreibt der für seine spitze Feder bekannte Christian Geyer die deutschen Bischöfe diesbezüglich gar als "Juristische Deppen". 

Es ist sicher wirklich gut gewollt und gemeint – aber ich sehe keinen Weg, das jetzt und heute sinnvoll umzusetzen. Die Archillesferse der Pläne haben die Gegner des Synodalen Weges sehr genau erkannt und nutzten alle Kanäle und Verbindungen, um dies zu torpedieren. Der innerkirchliche Konflikt (der aber in erster Linie nur die Leitungsebene beschäftigt) wird auf beinahe unverantwortliche Weise angeheizt, ohne dass Lösungen für die gravierenden Probleme der Kirche sichtbar würden. Was aktuell geschieht, ist im höchsten Maße schädlich und kontraproduktiv. Leider zeigen sich auch die Verfechter des Synodalen Weges wenig diplomatisch und nutzen nicht ihre Chance, zu argumentieren und dem Sperrfeuer (nicht nur) aus dem konservativen Lager Paroli zu bieten. Sie kommen sicher auch nicht daran vorbei, eigene Fehler einzuräumen. Auch der Vatikan nutzt nicht seine Möglichkeiten, diese Krise (die ein Randschauplatz der eigentlichen Probleme, ja im Grunde ein Stellvertreterkrieg ist), zu managen. Ein angekündigte Besuch des Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Fernández in Deutschland ließ vor einigen Wochen aufmerken. 

Es macht Hoffnung, dass Kardinal Schönborn die „unendliche Geduld“ des Hl. Vaters beschwört und dass auch die letzte vatikanische Intervention einigermaßen verständnisvoll formuliert ist. 

Es bleibt wünschenswert, dass der Vatikan sich wirklich ernsthaft der Sorgen seiner deutschen Bischöfe und der Lage der Kirche und der Christenheit in den europäischen Ländern annimmt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich hier in Deutschland, ja in Europa beispielhaft zeigt, was auch in zahlreichen anderen Gegenden dieser Welt droht, wenn unsere Kirche nicht ihre Hausaufgaben macht und Wege findet, die Menschen besser mitzunehmen. Und es führt kein Weg an Partizipation und Beteiligung der Gläubigen vorbei. Hier braucht es Augenhöhe und geduldiges Mitgehen mit den Menschen. Hier braucht es eine Atmosphäre in der Kirche, an der beispielhaft ablesbar wäre, wie ein gutes Miteinander in unseren Städten und Dörfern, in unserer Gesellschaft funktionieren kann. Kirche muss die Basis sein und immer mehr werden, dass Christen das Ferment der Versöhnung in der Gesellschaft sein können.

Partizipation, das ist weit mehr als Mit-Bestimmen können. Wenn man sich als Bischof, als Kirche auf einen synodalen Weg der Beratung einlässt, dann muss das auch greifbare Folgen haben. Wenn ein Bischof sich als beratungsresistent zeigt, dann muss er sich nicht wundern, dass niemand mehr kommt, wenn er einen Priesterrat oder Diözesanrat einberuft – oder dass am Ende jene Gestalten diese Gremien füllen, deren Rat kein guter Rat ist. Beteiligungssimulation und Verantwortungsverdunstung möchte im Grunde kein Katholik fördern. Sich Beraten zu lassen, das ist eine wahre Kunst. 

Skurril erscheint mir das Wüten einiger Aktivisten gegen die Mehrheit der deutschen Bischöfe und das ZdK auch aus einem anderen Grund. Letztlich geht es denen ja darum, dass sie deren Ideen und Pläne für eine Veränderung der Kirche nicht billigen. In langen Briefen und Texten beschwört man einen besseren Weg, fordert andere Entscheidungen, fordert „Neuevangelisierung“, als müsse man nur das Kirchenrecht und den Katechismus besser kommunizieren, um die neue Blüte der Kirche zu initiieren. Die postulierte kirchentreue Demut gegenüber dem Bischof ist aber nirgendwo zu spüren. Der Bischof soll nicht auf synodale Räte hören, wohl aber auf sie, die wahren Katholiken. Treue zum Bischofsamt – aber nur dann, wenn der Bischof zum ausführenden Organ eines Kirchenbildes von gestern wird. Bitter ist auch die Sprache, in der man über missliebige Bischöfe in diesen Kreisen inzwischen spricht. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz stehe „theologisch blank bis auf die Unterhose“ da. Was er sage sei „Zum Fremdschämen!“ - so nur ein einziges, spontan gewähltes Beispiel – aus der Feder eines der Wortführer jener Leute, die sich auf dem synodalen Weg kleben und damit die Kirche zu retten glauben. 

An dieser Stelle zeigt sich doch auch die Absurdität mancher Diskussion. Da werden spirituelle, geistliche Ideale beschworen, um dem Weiter-So das Wort zu reden. Leider auch durch Kardinal Schönborn. Der sagt, dass es für die Amtsführung eines Bischofs ja „die bestbewährte Compliance, die es überhaupt gibt: das Evangelium“ gäbe. Das möchte ich ihm für seinen Dienst gerne abnehmen. Aber, wenn ein Bischof diesem Ideal nicht gerecht wird, wer greift dann ein? Und warum ist es in der Vergangenheit so häufig schief gegangen und wo waren die bischöflichen Lichtgestalten nach dem Bilde Jesu, wenn man die tausende Seiten der Missbrauchsstudien der vergangenen Jahre studiert? Nicht mal das Bild eines Karl Lehmann, eines Klaus Hemmerle, eines Johannes Dyba leuchtet noch.

Dabei sind die Missbrauchsfälle und der Umgang damit wohl eher nur die Spitze eines Eisberges. Dieser offenbart in welcher Weise Macht durch durch Bischöfe, Kirchenbehörden und Kirchenleitungen missbraucht (im Sinne von falsch genutzt) werden kann. Wo Macht unkontrolliert bleibt - steht sie immer in der Gefahr missbraucht zu werden. Dafür hat schon Jesus deutliche und prophetische Worte gefunden, ich erinnere nur an den Mühlstein! Und manchmal braucht es Propheten und Kritiker, die von außen kommen und den Finger in die Wunden legen.

Lesen wir weiter beim Wiener Kardinal: „Wenn ich unbescheiden nach nun fast dreißigjähriger Erfahrung im Bischofsamt zurückblicken darf, so sieht gelebte Synodalität für mich vor allem so aus: Ein Grundvertrauen den Gläubigen gegenüber, eine dankbare Wertschätzung für alle Dienste und Charismen in der Kirche, ein hörendes Herz für die Zeichen, die der Herr für den gemeinsamen Weg seines Volkes gibt. Und auch, das sei nicht vergessen, die Bereitschaft zum Zeugnis – opportune oder inopportune, ob gelegen oder ungelegen. Christus, der auferweckte Gekreuzigte, ist und bleibt der Kompass für die Ausübung des Bischofsamtes und den gemeinsamen Weg der Kirche.“ 

Ja, aber wenn es nicht so ist, was dann? Er muss doch nur mal auf seinen Vorgänger im Amt blicken, dem es an der „Bereitschaft zum Zeugnis“ nicht mangelte – und den deshalb noch heute Leute verehren. Der aber im Umgang mit den ihm geistlich anvertrauten jungen Männern offenbar jede Grenze überschritt, sie missbrauchte – geistlich, emotional und auch sexuell.

Erstaunlich, dass sich dieses Interview in eine Kette von Wortmeldungen dieser Tage einreiht, für die der in Emmerich geborene Wiener Dogmatiker Prof. Dr. Jan Heiner Tück verantwortlich ist. Ein echter Coup, dass muss man dem Niederrheiner lassen, der sich auch schon ausführlich am neuen Gemeinsamen Rat des Bistums Essen abarbeitete, was ihm den energischen Widerspruch des Bistums einbrachte. 

Bei all der Energie, die aktuell investiert wird, um den Synodalen Weg zu bekämpfen bzw. ihn zu einer Verstetigung oder einem Finale zu führen... Ich frage mich, was denn nun die Alternative ist. Überall, wo ich unterwegs bin, ob auf Reisen oder im Netz suche ich, wo denn der kraftvolle Neuaufbruch stattfindet, wo denn die postulierten Rezepte Frucht bringen, ja was überhaupt alternativ vorgeschlagen und gelebt wird.

Allenthalben wird zunächst Evangelisierung gefordert, manchen reicht selbst das nicht, er will sogar eine „Neuevangelisierung“. Aber wo klappt das denn wirklich – jenseits der oft mühsamen Arbeit im Weinberg des Herrn? Ja es stimmt, gewisse religiöse Biotope gedeihen, das Gebetshaus in Augsburg, ein Mehr – Kongress, Pfingstreffen in Salzburg, Adoratiokongress in Altötting, Night fever. Wer noch richtiges echtes Priestertum wie früher will, der geht nach Zaitzkofen oder notfalls auch nach Heiligenkreuz. All das wächst, während die normalen Ortsgemeinden schwächeln. Ich frage mich: Ist das Neuaufbruch – oder ist es ein Symptom der Krise? Das ganz normale katholische Leben in der Welt, in den Gemeinden, es trocknet immer weiter aus. Die „religiös Musikalischen“ fahren lieber dorthin, wo die fetzigste Lobpreis-Band spielt und der charismatischste Pfarrer predigt, oder wo die Messe noch wie früher, richtig lateinisch und im barocken Ambiente stattfindet. Das schätzen im Übrigen auch die jungen Paare für ihre Hochzeits- oder Segungsfeier, wenn der erwählte Partner denn dann nicht ins katholische Raster passt.

Ich glaube, für eine wirklich nachhaltige Evangelisierung muss erst der Boden bereitet werden, für eine Kirche die aus tiefen Wurzeln (des Evangeliums und der Tradition) Kraft schöpft, aber im Ackerboden der heutigen Zeit wächst und gedeiht. Und zwar ganz konkret so, dass man miteinander christliches Leben dort gestaltet – wo man lebt, in der Gemeinde, der Gemeinschaft vor Ort. 

Ich frage mich schon seit dem Ende des Synodalen Wegs, was uns ein Synodaler Rat bringt, der am Ende schlimmstenfalls die vielen Ratlosigkeiten unserer Zeit und die bedrückenden Fragen, die die Welt uns stellt, nur mit Geschäftigkeit und schlauen Worten und Beschlüssen garniert. 

Vielleicht braucht es hier jetzt ein Moratorium. Lasst uns die Pläne für einen Synodalen Rat zur Seite legen (aber an eine gut sichtbare Stelle) und den synodalen Prozess der Weltkirche abwarten. Und bis dahin versuchen, dem bischöflichen Ideal nachzueifern, das Kardinal Schönborn formuliert (und durchaus vorgelebt hat). Er bekennt in aller Klarheit: „Die moralische Autorität bischöflicher Entscheidungen aber wächst, wenn sie zuvor durch einen Beratungs- und Konsultationsprozess hindurchgegangen ist.“ 

Wesentlich wird es sein und bleiben, dass wir als zaghafte oder überzeugte Katholiken Zeugnis geben von der Hoffnung die uns erfüllt. Und dies in Wort und Tat, mit der Rückendeckung unserer Priester und Bischöfe, Hand in Hand mit den konservativen und liberalen Schwestern und Brüdern und aus der Kraft des Hl. Geistes. 

Diese Hoffnung wird weder bestärkt durch „ich glaube an die Entscheidungen des Synodalen Rates“ oder „ich glaube, dass der Bischof in „persona Christi“ die Diözese führt“ sondern durch den gemeinsamen Glauben an den dreieinen Gott.

Ergänzend noch ein Link zu den Wortmeldungen der Kardinäle Kasper: 

https://www.herder.de/communio/theologie/synodales-miteinander-statt-unfruchtbares-gegeneinander-auswege-aus-der-krise/

und Schönborn: 

https://www.herder.de/communio/theologie/ein-gespraech-mit-kardinal-christoph-schoenborn-mich-beeindruckt-die-geduld-des-papstes/ 

Samstag, 24. Juni 2023

Immer fleißig druff? Prügel für die Bischöfe!

Im Aufbau unserer katholischen Kirche ist das Amt des Bischofs sicher das bedeutsamste Element. Man könnte sagen, das Bischofsamt ist konstitutiv und die Basis unserer Kirche. Die Bischöfe sind zentrale Persönlichkeiten und sie führen ihre Bischofsweihe zu Recht auf die jeweiligen Apostel zurück, als deren Nachfolger sie eingesetzt wurden. Die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus haben in den letzten Jahrzehnten gerade ihre Aufgabe als Bischöfe von Rom neu akzentuiert. Als solche sind sie der Mittelpunkt, das Haupt und oberste Pontifex (Brückenbauer) im Bischofskollegiums, was sicher in der bevorstehenden Synode in Rom sichtbar vor Augen geführt wird. 

Daher berührt es umso mehr, auf welch atemberaubende Weise das Bischofsamt in diesen Tagen ausgerechnet von jenen angegriffen wird, die sich als besonders kirchen- und papsttreu betrachten. Während sie gleichzeitig lautstark beklagen, dass die deutsche Kirche den vier führenden Bischöfen Kardinal Woelki, Bischof Voderholzer, Bischof Oster und Bischof Hanke nicht folge, scheint jegliche Achtung vor missliebigen Bischöfen den Bach herunter zu gehen. Eine Entwicklung, die ich vor 10 Jahren noch komplett ausgeschlossen hätte. 

Natürlich steht das Bischofsamt bzw. der konkrete Bischof heute auch öffentlich unter Beschuss und muss manche Ungerechtigkeit ertragen. So trägt Kardinal Woelki die Hauptlast der öffentlichen Kritik am Missbrauchskomplex und badet das Versagen seiner Mitbischöfe und Vorgänger sicher zum Hauptteil aus, obwohl ihm selbst weniger Versagen nachgewiesen wurde - als manchem Mitbruder. Und Bischof Voderholzer stemmte sich mit aller Macht der liberaleren Theologie seiner ehemaligen Professorenkollegen entgegen, was ihm manch unangenehme Diskussion und manchen bösen Brief oder Zeitungskommentar einbrachte. 

Gerade ungeduldige Reformer gehen durchaus auch hart mit Bischöfen ins Gericht. Aber darüber möchte ich heute nicht schreiben. 

Ich muss gestehen, dass ich in meiner Familie immer zu Respekt vor Politikern, Bürgermeistern, Lehrer, Professoren, Pastören und Bischöfen erzogen wurde. Das steckt mir noch immer in den Knochen und nimmt mir manchmal auch die notwendige Unbefangenheit. 

Was ich aber in den letzten Tagen in der katholischen Tagespost über Bischof Kräutler lesen musste, das geht mir nicht nur deshalb gegen den Strich. 

Kräutler, werden Sie fragen, wer ist das? Wenn Sie nicht sehr in der katholischen Szene verwurzelt sind, werden sie den vormaligen Bischof der Territorialprälatur Xingu am Amazonas in Brasilien vermutlich gar nicht kennen. 

Dabei ist unser Land sehr verbunden mit dem riesigen Land in Lateinamerika. Nicht wenige Priester und Bischöfe, insbesondere Ordensleute, z.B. Franziskaner aus Brasilien, stamm(t)en aus Deutschland. Für mein Heimatstädtchen war das Kloster Bardel ein anziehender Ort für uns Jugendliche, es gehörte – obwohl in Niedersachsen gelegen – zur brasilianischen Ordensprovinz. 

Der Amazonas (Xingu ist eine riesige, aber dünn besiedelte Quasi-Diözese), war kirchlicherseits fest in deutschsprachiger Hand. Nachdem Papst Pius XI. die Territorialprälatur 1934 begründet hatte, setzte er den Franziskaner Bischof Armando Bahlmann aus Essen/Oldenburg als Prälaten ein. Nicht unwahrscheinlich, dass der heutige Bischof von Óbidos am Amazonas, Johannes Bahlmann, ebenfalls Franziskaner, geboren in Visbek, mit ihm verwandt ist. 

Auf Bischof Bahlmann folgte dann (später) 1971 – 1981 Erich Kräutler und dann – sicher ungewöhnlich - dessen Neffe, Erwin Kräutler, der bis 2015 in diesem Amt war. Beide gehör(t)en (wie auch ihr Vorgänger Clemens Geiger) dem Orden der Missionare vom Kostbaren Blut (CPPS) an. 

2019 teilte Papst Franziskus die Territorialprälatur aufgrund der schieren Größe in ein Bistum und eine neue Territorialprälatur auf, die inzwischen von brasilianischen bzw. spanischen Ordensleuten geleitet werden. 

Bischof Erwin Kräutler habe ich bei dem ein oder anderen Vortrag erleben dürfen. Der Österreicher hat es vermocht, viele Gemeinden und Christen für die Unterstützung seiner Amazonas-Mission zu gewinnen. Sicher auch, weil des dort zahlreiche Stämme und Gruppen gibt, die fernab der sogenannten Zivilisation und teils „unkontaktiert“ und isoliert leben. 

An einen Abend erinnere ich mich besonders gut, auch wenn ich nicht mehr sicher weiß, in welchem Pfarrheim viele Besucher den Worten des Bischofs lauschten. Der saß zunächst unauffällig im hinteren Teil des Raumes auf einem Stuhl. Dann trat er ans Rednerpult und berichtete mit spürbarer Verbundenheit vom Leben in den Pfarreien, von langen, beschwerlichen Reisen, von der Freude, gemeinsam Eucharistie zu feiern, von der Schwierigkeit im feuchten, tropischen Klima die Hostien vor dem Verschimmeln zu bewahren. Am Ende beteten wir gemeinsam das Vater unser und er sprach den bischöflichen Segen. Er hat mich sehr berührt und als Persönlichkeit beeindruckt.  Einfach, klar, demütig, sich aber seiner Rolle und Aufgabe bewußt. 

2010 wurde Kräutler mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Er gilt als Co-Autor der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus. Man hat ihn in seiner Diözese mit dem Tod bedroht und verprügelt, weil er sich für die Armen, die indigenen Völker und die Natur engagiert hat.

Besondere Aufmerksamkeit fand Kräutlers Person im Umfeld der Amazonas-Synode in Rom. Damals war er als Bischof bereits in Pension, aber als Vizepräsident noch engagiert im Amazonas-Netzwerk REPAM, das Diözesen und Initiativen der Amazonasregion miteinander vernetzt. 

Hier hat er u.a. die Weihe bewährter verheirateter Männer zu Priestern gefordert und sich später enttäuscht gezeigt, dass der Hl. Vater dem mehrheitlichen Wunsch der Synodalen dazu nicht folgte. 

Später erkrankte Kräutler schwer und wäre wohl beinahe gestorben. 

In der Tagespost erschien nun ein Kommentar von Stephan Baier vom 22.6.2023. Unter der Überschrift „Frustrierte Linkskatholiken“ wird ein unvorteilhaftes Bild des Amazonas-Bischofs (der nach wie vor in seiner Wahlheimat lebt) gezeigt.

Spöttisch wird der „legendäre Amazonas-Bischof“ zitiert: „Es fällt mir schwer zu glauben, dass Papst Franziskus nun schon mit mehr als 86 Jahren den Mut aufbringt, beispielsweise den Pflichtzölibat aufzuheben“.

Eigentlich eine harmlose Bemerkung aus einem langen Text mit vielen interessanten Themen. Ich glaube das übrigens auch nicht... Aber wer weiß, Franziskus überrascht ja immer wieder. 

Baier kann sich den Hinweis nicht verkneifen, dass Bischof Kräutler selbst ja „nur drei Jahre jünger sei“. Dieser zeige sich „vor allem frustriert, dass Papst Franziskus die Amazonas-Synode nicht dazu genutzt hat, die von Kräutler ersehnte und herbeigeredete Agenda durchzuziehen.“ ...

Lange haben Bischof Kräutler und seine Gesinnungsgenossen versucht, Papst Franziskus für sich zu instrumentalisieren und in ihrem Sinn zu interpretieren. … Weil Franziskus dieser Agenda trotz einer Mehrheit in der Synodenaula nicht folgen wollte, genügte es nun offenbar nicht mehr, bösen Hardlinern im Vatikan den Schwarzen Peter zuzuschieben. Also wird der Papst selbst pathologisiert: Der alte Mann bringt den Mut nicht auf, so lautet das neue Kräutler-Narrativ.“

Interessant, was man in einen doch eigentlich harmlosen Satz hinein lesen kann. Hätte Kardinal Müller genau dasselbe gesagt, wer hätte da von "Gesinnungsgenossen", von "instrumentalisieren" und "pathologisieren" gesprochen. 

Und dann holt Baier noch mal ganz weit aus und klagt: „Das ist eine altbekannte, aber unehrliche Methode: Bischöfen, die sich der linkskatholischen Agenda verweigern, wird Angst und fehlender Mut unterstellt. Nun also auch Papst Franziskus, garniert mit einer Anspielung auf sein Alter. Ist es für Kräutler & Co. völlig unvorstellbar, dass der Papst eine Wertschätzung für den Zölibat – immerhin die Lebensform Jesu – aufbringt? Und braucht ein Papst in Zeiten wie diesen nicht viel mehr Mut, einer Synodenmehrheit und zugleich dem Zeitgeist zu widerstehen als sich der pseudo-demokratischen Mehrheit einfach zu fügen?“

Schließlich dreht der Kommentator die ehrliche Sorge des Bischofs um die Menschen seiner Diözese auf eine sehr persönliche Ebene. Den Satz Bischof Kräutlers „Wenn die Menschen weder an Weihnachten noch an Ostern noch an Pfingsten eine Eucharistiefeier haben, dann fehlt etwas.“ wendet er in einen persönlichen Vorwurf. Daran sei dieser schließlich selbst schuld, er habe einfach nicht genug dafür getan, Priesterberufungen zu fördern: „Ja, ganz richtig! 35 Jahre lang war der aus Vorarlberg stammende Kräutler als Bischof von Xingu dafür verantwortlich, den Menschen im Amazonasgebiet das Evangelium zu verkünden. Wenn der Priestermangel dort jetzt so dramatisch ist, dann trägt er als Bischof dafür eine Mitverantwortung. Aber es ist natürlich bequemer, vom Papst eine Reform der weltkirchlichen Ordnung zu verlangen, als über die Förderung von Priesterberufungen – und die eigenen Versäumnisse hierbei – nachzudenken.“

Beinahe erwartbar sekundiert auch kath.net: „Weltsynode: Bei „Umstürzlern“ wie Bischof Kräutler breitet sich Resignation aus...“ Der Bischof hätte für seine „zeitgeistigen Positionen“ viel Presseaufmerksamkeit“ erhalten. Gerade von „kirchensteuerfinanzierten“ Medien. 

Schließlich wird dort resümiert: „Sollte dies ein Wink Kräutlers mit dem Zaunpfahl sein, dass Papst Franziskus zurücktreten möge? Das wäre nicht nur eine Unverschämtheit eines Bischofs, sondern es wäre obendrein eine eklatante Realitätsferne. Weiß Kräutler ernsthaft nicht, dass die Verantwortung, die katholische Kirche in ein neues Schisma zu führen, auch keiner der Nachfolger von Papst Franziskus leichtfertig auf sich nehmen können wird?“.

Der Bischofstitel fällt in diesen Zitaten locker unter den Tisch. In den Diskussionen zu solchen Texten in sozialen Medien wird es dann gänzlich unerträglich. Kräutler sei ein Rassist, weil er einheimische Kandidaten den Weg zum Priestertum verschlossen habe. Er habe ihnen die Fähigkeit zum Zölibat abgesprochen. Worauf diese Vorwürfe zurückgehen – steht auch in dem sehr lesenswerten Text von Bischof Kräutler, denn er hat hin und wieder davon gesprochen, dass in den indianischen Dörfern die Ehelosigkeit der Priester nicht verstanden wird. Beinahe mitleidig reagiert der Kazike (der Vorsteher) des Dorfes, als der Bischof ihm erzählte, dass er nicht verheiratet sei und daher auf seinen Reisen ohne Unterstützung seiner Frau unterwegs sein müsse.

Natürlich ist das sicher kein Argument gegen die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Aber man muss die Kultur der Menschen dennoch wahrnehmen und verstehen. Dabei ist Kräutler niemand, der die grundsätzlich sakramentale Struktur der Kirche und die Ämter der Priester, Bischöfe und Diakone in Frage stellt. Im Gegenteil! Und er betont die Bedeutsamkeit der Eucharistie für die Katholiken in einer Weise, die ich mir hierzulande manchmal wünschen würde. Und dennoch müssen 90 Prozent der Gemeinden am Amazonas fast ohne sonntägliche Eucharistie, ohne Beichte und Krankensalbung, ohne zeitnahe Taufe und Eheschließung leben und sich ohne priesterliche Leitung organisieren.

Gerade die Eucharistie ist doch von so existentieller Bedeutung "Quelle und Höhepunkt" für die Kirche, dass es geradezu verstört, warum diese nicht weltweit alles nur Mögliche tut, dass Christus im eucharistischen Brot auch unter den Menschen überall gegenwärtig sein - und verehrt werden kann. Wenn das nicht Christen jeglicher Spiritualität zusammen führt - was denn dann?

Die Frage des Bischofs ist doch mehr als berechtig, warum es in der existentiellen pastoralen Notsituation in Lateinamerika, die sich am Amazonas ja besonders zeigt, die Kirche keine Lösungen anbietet? Warum wir die Menschen dort den pfingstlerischen Sekten und sonderbaren Gemeinschaften überlassen, die Wohlstand versprechen und reichlich Missionare schicken, die oft genug engagiert für den eigenen Wohlstand arbeiten - aber präsent sind. 

Wer von uns hier kann sich vorstellen, wie das ist, wenn Priester nur ein bis zweimal im Jahr (wenn überhaupt) vorbei kommt? „Der Priester gehöre nicht zum Dorf, sei im Grunde kein Mitglied der Gemeinde, sagte ich ihm (dem Hl. Vater), sondern komme halt mal vorbei, wenn es ihm möglich ist. Wie oft haben mich Gemeindemitglieder selbst gefragt: „Wann kommst du wieder?“ und ich gab eine verlegene Antwort: „So bald als möglich!“. Oft vergingen Jahre, bis ich mein Versprechen einhalten konnte.“

Was soll verkehrt daran sein, wenn ein Bischof davon träumt, dass Männer und Frauen als Diakone das Leben ihrer Gemeinden teilen und einige von ihnen, die sich besonders bewährt haben – in Berufung und Familie – auch zu Priestern geweiht werden?

Das allein hat gereicht, um Bischof Kräutler zur Hassfigur gewisser Kirchenkreise zu machen. Als sei er nicht ein verdienter Mann, der sein Leben in den Dienst Jesu Christi gestellt hat - sondern ein politischer Aktivist für den eigenen Vorteil. Ich finde das schäbig.

Ein solcher Traum, auch wenn er nicht – oder noch nicht – wahr wird, berührt in keiner Weise die Fundamente und die Basis unseres Glaubens. Im Gegenteil, die Frage des Diakonats der Frau wird in der Kirche doch offen beraten, sogar durch päpstlich eingesetzte Kommissionen. In den unierten, östlichen Kirchen gibt es schon lange verheiratete Priester, im Westen – mit Ausnahmegenehmigungen – ebenfalls, dazu noch die oft verheirateten ständigen Diakone. 

Demgegenüber sägt der feindselige Umgang mit Bischöfen, die – aufgrund ihrer langjährigen seelsorglichen Erfahrung zu kritischen Fragen an die Kirche kommen – und vor allem der abwertende, despektierliche Ton, in dem sie inzwischen angegangen werden, deutlich an den Wurzeln der Kirche. 

Gegen Widerspruch und Kritik ist gar nichts einzuwenden. Aber wenn darin nicht mehr die grundsätzliche Liebe zur Kirche und die Achtung vor den Nachfolgern der Apostel zu spüren ist, wenn diese grundlegenden Umgangsformen nicht einmal mehr von den so kirchentreuen Journalisten und Aktivisten eingehalten werden – dann läuft etwas grundsätzlich falsch.

Erst recht, wenn man sich nicht zu schade ist, Bischöfe als "Mietlinge" zu titulieren, wie dies z.B. bei den Demonstrationen am Rande der letzten Bischofskonferenzen und bei Protesten zum Synodalen Weg immer wieder zu sehen war. 

Selbst wenn man den Überzeugungen von Bischof Kräutler nicht folgen mag und ihm widersprechen möchte: Niemand kann seine vielfachen Verdienste um die Kirche, sein segensreiches Wirken für die Indigenas und die kostbare Natur des Amazonasgebietes bestreiten. Allein dies sollte einem verdienstvollen alten Kirchenmann Respekt und Interesse einbringen. Selbst dann, wenn dieser im Laufe seines Lebens auch Fehler gemacht haben sollte oder zu strittigen Überzeugungen gekommen ist. 

Spott, Häme, haltlose Unterstellungen und die Überinterpretation einzelner Bemerkungen oder Anekdötchen werden unsere Kirche keinen Schritt voran bringen. Im Gegenteil sie stoßen ab. 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. 

Ich fände eine Entschuldigung angemessen.

Und dann könnte ja eine Diskussion folgen. 


Hier der Text von Bischof Kräutler in der Herder Korrespondenz:

www.herder.de/hk/online-exklusiv/amazonas-und-weltbischofssynode-eiskalte-dusche/


Den Text von Petra Lorleberg bei kath.net findet man hier: www.kath.net/news/81894

Und hier den misslungenen Kommentar von Stephan Baier: 

www.die-tagespost.de/kirche/weltkirche/frustrierte-linkskatholiken-art-239639

Freitag, 12. Mai 2023

Das Wohnzimmer des emeritierten Bischof von Chur...

Seit einigen Wochen kursieren Beiträge des inzwischen emeritierten Bischofs der Schweizer Diözese Chur im Internet. Der dortige Bischof, Vitus Huonder war nach seiner Emeritierung in das von der Piusbruderschaft betriebene Jungeninternat „Sancta Maria“ in das Örtchen Wangs im Kanton St. Gallen gezogen. Dieser Schritt hatte einige Beobachter überrascht, hatte sich die Piusbruderschaft doch im Streit um die Liturgiereform von der katholischen Kirche getrennt. Die damals vom Erzbischof Lefebvre geweihten Bischöfe waren damals exkommuniziert worden. Seitdem gab es Gespräche zur Versöhnung und vor allem unter Papst Benedikt und Papst Franziskus einige Versuche, Signale der Versöhnung zu senden, wie die Aufhebung dieser Exkommunikation und die Erlaubnis zur gültigen Spendung einiger Sakramente durch Priester dieser ordensähnlichen Priestergemeinschaft. Von der Leitung dieser Gemeinschaft gab es aber trotz der ausgestreckten Hände letztendlich keine konkrete Bewegung auf Rom zu, im Gegenteil, es folgten weitere Distanzierungen und ein Rückzug auf die Haltung, dass der Hl. Vater ihnen noch weiter entgegen zu kommen habe.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen katholischen Kirche und der Piusbruderschaft steht die Frage der Liturgiereform. Die Bruderschaft hält an der ausschließlich lateinischen Liturgie fest, wie sie bis zum 2. Vatikanischen Konzil in der Katholischen Kirche gefeiert wurde. Und sie lehnt zahlreiche weitere Reformen dieses Konzils entschlossen ab. 

Nun sehen wir in diesem Video einen katholischen Bischof, der sich 1:1 die Haltung der Piusbruderschaft zu Eigen macht. Er tritt – ohne jedes kritische Wort – als Botschafter dieser Gemeinschaft auf und klagt Papst Franziskus an, die Kinder der Kirche „hungern“ zu lassen und Verantwortlich für eine große Wunde zu sein, die sich zu einer giftigen Furunkel entwickele. 

Hintergrund der bischöflichen Empörung sind die Einschränkungen für die Feier der alten Liturgie, die Papst Franziskus kürzlich verfügt hat, weil er im Kreis von deren Anhängern vor allem eine beinahe romantische Verklärung der Vergangenheit beobachtet und die irrationale Hoffnung, wenn man nur zu Haltungen und liturgischen Formen glorreicher Zeiten zurückkehre – so wäre die Krise der Kirche überwunden. 

Und als wolle Bischof Huonder diese Haltung des Papstes bestätigen, so liegt er argumentativ genau auf dieser Linie. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Hier spricht ein Bischof, der aufgrund seiner Haltung nachhaltig Unfrieden in seiner Diözese gestiftet hatte. Man blicke nur zurück auf die letzten Jahre seiner „Regentschaft“ und wie sehr auch konservative Katholiken in den Schweizer Bistum aufatmeten, als endlich ein Versöhner (ausgerechnet ein Opus-Dei-Mann) zum Bischof gewählt wurde. Was von Huonders Anhängern zuvor noch mit schmutzigen Verfahrenstricks sabotiert werden sollte. 

Besonders entlarvend erweist sich das von Huonder verwendete Bild, für das er zunächst noch ausgerechnet Erzbischof Gänswein und den verstorbenen Papst Benedikt XVI. vor seinen Karren spannt, indem er dessen angebliche Wortmeldungen bei der Frühstückslektüre des „Osservatore Romano“ zitiert. Nach dieser zurecht gebogenen „Steilvorlage“ versteigt sich Huonder zu der Formulierung, es ginge darum „eine Große Wunde zu heilen, denn sie blutet immer noch, sie blutet neuerdings, die Kirche leidet mehr denn je an dieser Wunde, sie wird größer, sie wird zu einem giftigen Furunkel, der den ganzen Körper in einen schlimmen Fieberzustand versetzt.“

Man fragt sich einen Moment, ob man recht gehört hat. Offenbar hatte sich der Bischof in sein Bild derart verliebt, dass er gar nicht merkt, wie schräg das alles ist. Denn einen giftigen Furunkel, das weiß schon der Karl May – Leser, muss man aufstechen, die Wunde muss gereinigt werden (mancher Traditionelle schwört hier noch auf die sogenannte Zugsalbe). „Die Ärztin oder der Arzt öffnet den Eiterabszess mit einem kleinen Schnitt, desinfiziert die Wunde und legt Stoffstreifen ein, die den Eiter aufsaugen und ableiten. Die Wunde heilt offen aus, muss also nicht vernäht werden.“ 

Dieses Bild wendet sich in einer Weise gegen die Piusbruderschaft, dass man beinahe hofft, der Bischof hätte sich diesen Gedankengang gespart. 

Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt, dass ich bezüglich der Einschränkungen für den traditionellen Ritus die Einschätzung des Hl. Vaters nicht teile. Allerdings kann ich seine Sorge um die Einheit der katholischen Liturgie verstehen. Und offensichtlich ist es ja so, dass die ausgestreckte Hand von Papst Benedikt XVI. nicht ergriffen wurde. Im Gegenteil, man hat den Hl. Vater damals stehen lassen, hat ihn zu vereinnahmen versucht, hat seine Hand zurückgeschlagen oder versucht ihn über den Tisch zu ziehen. Die Videos von Bischof Huonder machen das noch einmal überdeutlich. Es gibt für ihn nur einen Weg der Reform in der Kirche, das ist die Umgestaltung dieser Kirche nach dem Vorbild der Piusbruderschaft. Nach meiner Wahrnehmung ist das eine ungeeignete Medizin, deren Prinzipien eher jenen der Homöopathie ähneln als jenen der modernen Medizin oder selbst jenen des Mittelalters. 

Die Ursache für die Krise der Kirche sind vielschichtig und liegen mitnichten darin, dass die Kirche sich mit dem 2. Vatikanum (noch dazu allzu spät) geweigert habe, den Weg in ein selbstgewähltes katholisches Ghetto zu gehen, sondern sich entschied „Sakrament für die Welt“ und „Ferment der Versöhnung“ in der Gesellschaft sein zu wollen. Mir kommt die Piusbruderschaft vor wie eine Amish-Gemeinde, wie die Gemeinschaften chassidischer Juden in Israel und den USA oder die Wahhabiten im Islam. Man beschreibt ein Glaubensideal, das nur in Abschottung und Abgrenzung von der modernen Welt gelebt werden kann. Man hat ein relativ einfaches Glaubensideal, das zum Allheilmittel aller Probleme und zum Weg der Erlösung stilisiert wird mit einzelnen Bausteinen, die nicht ohne Wahrheit und Überzeugungskraft sind und für die man göttliche Geltung beansprucht. 

Kompromisse sind von dieser Position aus nicht möglich. Diese Konstrukte sind erstaunlich stabil, in einem gewissen Umfang sicher auch missionarisch. Ich lasse an dieser Stelle aber die Frage offen, ob sie einen Weg in die Zukunft darstellen oder nicht letztendlich eine Ursache des Fiebers und der gesellschaftlichen Spannungen sind, unter denen die Menschheit so leidet. Im Bereich des Islam muss man diese Frage leider mit ja beantworten. Auch Huonder zitiert Benedikt XVI. Mit den Worten „es sei immer gefährlich, eine Gruppe von Gläubigen in die Ecke zu drängen“ und ihren das Gefühl zu vermitteln „verfolgt zu sein.“

Nur, wäre es nicht seine Aufgabe als Bischof, als Pontifex, zur Befriedung beizutragen, statt derlei Ängste und Sorgen anzuheizen?

Es ist nicht allein die Haltung der römischen Kirche, die die Wunde der Liturgiereform nicht hat heilen lassen (auch wenn hier viele Fehler gemacht wurden und werden). Es ist aber in erster Linie die ideologische Abschottung der Piusbrüder, die die Transformation der schmerzenden Wunde in einen eiternden Furunkel erst ermöglich hat. Um das Bild des emeritierten Bischofs weiter zu strapazieren. 

Zum Ende seines Films fabuliert der Bischof dann von einer angeblichen „innerkirchlichen Verfolgung“ und sieht sich in der Tradition des Ambrosius im Kampf gegen den sog. „Arianismus“ der frühen Kirche und zitiert dazu den Kirchenvater Basilius mit dessen Reflektion der Verfolgung der Glaubenstreuen im 4. Jahrhundert des Christentums. Er spricht von „Hetzjagden“ gegen die Anhänger der überlieferten Liturgie und es klingt, als würden Menschen (wenn nicht jetzt – dann aber bald - massenhaft verbannt, verbrannt und ermordet. Das Gegenteil ist der Fall. Mit der Autorität des Bischofsamtes irrlichtern eine ganze Reihe einst katholischer Bischöfe durch die Welt und sägen munter an den Stuhlbeinen der päpstlichen Kathedra.

Kein Wunder, dass auch die diesbezüglichen Hemmungen der liberalen Gegenseite in den letzten Jahren gefallen sind. 

Fast kommen einem die Tränen, wenn man den Bischof abschließend seine Anklage an den Papst (der ihn angeblich nicht mehr empfangen würde) formuliert: „Was veranlasst ihn dazu? Warum nimmt er den Kindern das Brot weg? Was veranlasst ihn dazu sie hungern zu lassen? Was veranlasst ihn dazu sie zu Grunde gehen zu lassen. … Sie haben ein Recht auf diese Nahrung. Ich betonte, sie haben ein Recht auf DIESE Nahrung.“

Lieber Bischof Huonder, der Papst lässt die Kinder nicht hungern. Er lädt sie ein. So zum Beispiel in die Pauluskirche nach Voerde. Dort lässt er ihnen das Brot reichen. Am Samstag um 18.30 Uhr, am Sonntag um 9 Uhr und um 11 Uhr. Dazu noch in der Woche am Montag, Donnerstag und Freitag. Und wenn der Geschmack des Brotes dort nicht genehm ist: es gibt auch noch das Stift Heiligenkreuz, es gibt die Bethlehemschwestern in den hesssischen Wäldern und auf der Kinderalm, es gibt die Priorate der Petrusbruderschaft und Maria Vesperbild, des gibt Neviges, Banneux und das Kloster Beuron. In beinahe jeder kleinen Kapelle wird das Hl. Opfer dargebracht und das „Brot vom Himmel“ gereicht. Und kein Priester wird dem traditionellen Katholiken die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn er vor der Hl. Messe die Beichte ablegen möchte. 

Der Papst lässt seine Kinder keineswegs hungern. Es sind (die glücklicherweise wenigen) Bischöfe wie Vitus Huonder, die mit Gewalt die Türen der Brotschränke geschlossen halten, indem sie suggerieren, dass nur die alte Liturgie zum Heil führt und indem sie die erneuerte, gültige Liturgie der Kirche für minderwertig, ja wertlos erklären. 

Und nicht nur das. Letztendlich stehen sie auf diese Weise auch dem sehr berechtigten Anliegen von Papst Benedikt XVI. im Wege, die Schwächen der Liturgiereform nach dem 2. Vatikanum tatsächlich und von der Wurzel her anzugehen. Benedikt XVI. hat sich eine Reform der Reform gewünscht und gehofft, dass die von ihm verfügten Öffnungen und Erleichterungen für die alte Liturgie zu einer offenen Atmosphäre des Dialogs, ja zu einer neuen liturgischen Bewegung führen. Das Gegenteil war (zumindest im Umfeld der Piusbruderschaft der Fall). Zunächst wurde offenbar, dass inzwischen auch höchst unappetitliche Kreise an der Bruderschaft angedockt hatten, wie der Skandal um den Holocaustleugner Bischof Williamson beispielhaft offenbarte. Aber auch weitere zweifelhafte Persönlichkeiten zeigten sich in diesem Kontext. Im Zuge der hierdurch entstandenen Krise scheiterten dann auch alle Bemühungen, die Bruderschaft wieder unter den Schirm der regulären katholischen Kirche zu integrieren. 

Diese versammelte sich nämlich wieder stärker um den traditionalistischen Kern, entmachtete die reformbereiten Kräfte und entschied sich, weiter „das eigene Ding“ zu machen. Im Zuge dessen entstanden sogar einige neue Ableger, die man in der Wortwahl von Bischof Huonder wohl als komplett eingekapselte Furunkel betrachten muss, die glücklicherweise (hoffentlich) keinen Schaden mehr anrichten können. Obwohl... 

Kommen wir noch einmal auf Bischof Huonder zurück. Es bedrückt, dass er in einem Internat lebt, wo junge Menschen in diese Gedankenwelten hinein geführt werden. Ja, wo Nachwuchs für diese Form einer Restauration der Kirche herangezogen wird. Nach seiner Emeritierung wollte Huonder den Dialog mit der Bruderschaft fördern. Mit seinen Videos zeigt er nun, dass er die Brücke überschritten hat und längst auf der Insel angekommen ist. In seinen Videos zeigt er sich als Bischof der Piusbruderschaft, an deren Haltung nicht der Hauch einer Kritik spürbar wird. Dialog bedeutet ein Ringen um die Wahrheit, ein Durchdenken auch der „gegnerischen“ Haltung und Position. Sowenig dies in der offiziellen Kirche der Schweiz und Deutschlands mit der Haltung der Piusbruderschaft zu geschehen scheint, so wenig geschieht dies bei Bischof Huonder und der Bruderschaft. De facto gibt es keinen Dialog, de facto dient der Dialog, dienten diese Videos allein der Mission für die eigene Position. Der Bischof ist kein Brückenbauer mehr, er ist ein Missionar einer anderen Kirche geworden. Konsequenterweise müsste man ihn auch offiziell in die Bruderschaft aufnehmen und aus dem Annuario Pontifico, dem päpstlichen Jahrbuch streichen, das u.a. die Namen der römisch-katholischen Bischöfe nennt. Da die Position des aus der Bruderschaft ausgeschlossenen Bischofs Williamson ja vakant geblieben ist, könnte er dessen Nachfolge antreten. Da die Bruderschaft ja durchaus erfolgreich missioniert, wäre sein Einsatz auch notwendig. 

Offen fordert Bischof Huonder gar eine Entschuldigung der römischen Kirche gegenüber der Piusbruderschaft. Und selbst hier bringt er einen verborgenen und zutiefst vergifteten Seitenhieb ein, der erst beim zweiten Hören in seiner Ungeheuerlichkeit offenbar wird. Er spricht von "Phantomgräbern", für die sich die Kirche entschuldigt habe. Mit diesem Begriff dürfte er sich auf den Skandal der in Irland und Kanada im Umfeld katholischer Internate und Heime aufgefundenen Gräberfeldern, die für einen gewaltigen Skandal gesorgt hatten. Dort waren in katholischer Obhut verstorbene Kinder von unverheirateten Mädchen bzw. indigenen Völkern beigesetzt worden. Strittig ist, inwieweit die Kirche hier allein verantwortlich zu machen ist und was man konkret den damaligen Priestern, Ordensschwestern und Erzieher*innen vorzuwerfen hat. Trotzdem aber decken diese Skandale schreckliche Zustände auf, die ihre Ursache auch in einer moralischen Selbstüberhebung der Kirche haben, die durchaus auch Menschen ins Unglück gestürzt hat. Diesen komplexen Zusammenhänge mit der Wendung "Phantomgräber" zu marginalisieren ist im Grunde eine Ungeheuerlichkeit, die eines Bischofs unwürdig ist. Dafür empfinde ich eine gewisse Scham, weil ich Huonders Wirken in Chur vor vielen Jahren noch positiv gedeutet und teilweise verteidigt habe. 

Einstweilen wird noch viel Wasser den Tiber herab fließen, bevor es zu einem Kirchenmodell kommt, wo möglicherweise eine Piusbruderschaft, eine Communauté von Taizé, ein Kartäuserorden und eine Lebensgemeinschaft katholischer Familien wie auch eine Gruppe feministisch gesinnter Katholiken versöhnt mit- und nebeneinander unter dem Dach der einen heiligen, weltweiten und apostolischen Kirche existieren könnten. Und die ohne aus der Hl. Schrift und den Worten der Heiligen und Päpste Knüppel, Sensen und Dreschflegel zu machen, die man „den Anderen“ um die Ohren haut. Und in der eine Vielfalt römisch katholischer Liturgieen gefeiert werden, vom einfachen Wortgottesdienst über einen Ritus von Zaire (oder vom Amazonas) bis hin zu einer reformierten katholischen (gerne auch lateinischen) Hochliturgie. Dazu sicher weiter der mozarabische und ambrosianische Ritus und in den Kapellen der Piusbruderschaft ein tridentinischer Ritus nach einer neu aufgelegten Variante der Messbücher von vor 1962. Verbindend wird in dieser Kirchenvision das Wort des Herrn, die frohe Botschaft des Evangeliums sein und nicht das Messbuch des Konzils von Trient und der Syllabus errorum. Ob die Bruderschaft auch einmal unter dieses Dach schlüpfen wird, das liegt ganz allein in deren Hand.

Die Filme des Bischofs verlinke ich diesmal nicht, da sie leicht bei Youtube zu finden sind.

Montag, 20. März 2023

Hilfe, Hurra, diese Hierarchie geht unter... (K.I.Z.)

Dä! Da haben wir's nun! Das Schisma! Angeblich hat ja ein Teil der Kirche und der Bischöfe in unserem Land aufgehört, so richtig katholisch zu sein, weil sie sich entschieden haben, den Papst zu bitten, doch möglichst bald auch Frauen zu Diakoninnen zu weihen; weil normale Katholiken dem Pastor oder gar ihrem Bischof nicht nur guten Rat geben möchten, sondern auch mit ihm entscheiden, bei Fragen, die die Zukunft der Kirche betreffen; weil sie meinen, dass das Versprechen eines gleichgeschlechtlichen Paares, das Leben gemeinsam in Liebe und Treue zu leben, einen Gottesdienst und eine Segensfeier wert wäre; weil eine Pastoralreferentin nicht mehr ihren Job verlieren soll, wenn sie ihre Partnerin heiratet; weil demnächst ab und an einmal ein Laie das Evangelium in der Hl. Messe auslegen wird. Ich glaube, das waren grob gesprochen die wesentlichen Reformen, die in den nächsten Jahren (vielleicht) in deutschen katholischen Pfarreien möglich werden. Ob die Menschen dies wohl als grundstürzende Reformen erleben?

Weit stärker werden die Katholiken in Deutschland aber den Wind der Realitäten spüren, dass Kirchen geschlossen werden, dass Pastoralteams zusammenschmelzen wie der Schnee in der Sonne, dass gar keine Hl. Messe mehr am Wochenende in ihrer Heimatkirche gefeiert werden kann und für die Beerdigung der Oma vielleicht gar kein Seelsorger mehr verfügbar ist.

Mir ist durch den Kopf gegangen, dass ich auch nach dem letzten synodalen Wochenende das Glaubensbekenntnis noch genauso und mit Überzeugung beten kann, wie das zuvor möglich war. Denn der Synodale Weg hat den Glauben an den dreifaltigen Gott nicht abgeschafft, er bekannte sich ausdrücklich zu Christus und immer wieder sogar zum Hl. Geist. Auch die Geburt Jesu als Sohn der Jungfrau Maria wurde nicht in Frage gestellt und die Göttlichkeit Jesu offenbar ebenso wenig. Selbst die Gemeinschaft der Heiligen, die Auferstehung der Toten, die Wiederkunft in Herrlichkeit, die zwei Naturen und der Primat des Papstes soll nicht abgeschafft werden, nicht einmal die besondere Stellung des bischöflichen und priesterlichen Amtes. Man mag es nicht glauben: der Synodale Weg steht zum katholischen Priesteramt.

Kürzlich las ich im aktuellen Band „Nichts als die Wahrheit“ von Erzbischof Gänswein, dass Papst Benedikt XVI., der seine Bücher überaus liebte, sich zur Gewohnheit machte, für ein neues Buch ein anderes aus seiner Bibliothek auszusortieren. Diese Stärke habe ich leider nicht. So werde ich wohl bald zum Textband der Gemeinsamen Synode und zum Band mit den Ergebnissen des Diözesanforums auch noch die Texte des Synodalen Weges dazu stellen können.

Natürlich kann ich die Besorgnis verstehen, die manche konservative Beobachter des Synodalen Weges in den vergangenen Jahren vorgetragen haben. In der Tat ist die Reform der katholischen Kirche nicht so einfach, wie mancher Lautsprecher dies rund um die Synodalversammlungen so eingefordert hat. Und die vorgeschlagenen Lösungen beim Synodalen Weg erschienen mir leider auch etwas dürftig. Ganz besonders der verbissene Kampf um einen Synodalen Rat hat mich erstaunt. Als sei dies der feuchte Traum eines jeden synodal bewegten Katholiken. Auch ich denke, dass Papst Franziskus mit seiner Frage, ob hier in Deutschland der synodale Weg nicht von einer gewissen Form von „Elite“ geprägt sei, durchaus (auch) recht hatte. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Indizien.

Es ist schwer, hier und heute schon ein Fazit zu ziehen. Mir hat vieles nicht gefallen, was beim Synodalen Weg zu hören war. Zu einfach sollten wir es uns mit der Synodalität, den Ergebnissen des Synodalen Wegs und der Zukunft der Kirche nicht machen.

Daher möchte ich in diesem Test einem gewichtigen Thema nachgehen, angeregt durch das Wort MACHT, das im heutigen Sonntagsgottesdienst in unseren Gemeinden in Voerde besonders bedacht wurde. Inspiriert durch MISEREOR und die Erwählung des kleinen David unter den vielen Söhnen des Ísai in der heutigen Lesung.

Macht, das war auch beim Synodalen Weg einer der schillerndsten Schlüsselbegriffe.

Lautstark beklagten die konservativen Kritiker, dass es den Synodalen (Laien) in erster Linie um die Macht ginge. Kirche sei keine Demokratie, sie sei eine Hierarchie und Christus ihr Haupt. Das ginge nicht anders... In der Tat ist das ein Knackpunkt vieler Diskussionen – wenn auch anders als einige Kommentatoren meinen. Hierzu möchte ich gern einige Beobachtungen zu Papier bringen.

Wie im Brennglas hat auch der Synodale Weg selbst die Probleme gezeigt. So wurde dort immer wieder (meist zwecks Verharmlosung in Richtung der Kritiker) betont, dass man ja keine bindenden Beschlüsse fassen könne und dass alles, was dort beschlossen würde, erst von einem Bischof oder gar vom Papst in Kraft gesetzt werden müsse. In aller Regel ist in diesem Ideal der römisch-katholischen Welt der Prozess des Beratens vom Prozess der Entscheidung strikt getrennt. Schon die Zusammensetzung des Synodalen Weges zeigt diese Besonderheit des Katholischen. Auch wenn dem Plenum vorgeworfen wurde, dass es zu sehr von „Laienfunktionären“ bestimmt sei, so zeigt doch ein Blick in die Teilnehmerliste: Rund die Hälfte der Teilnehmer waren gar keine Laien, sondern Kleriker, Diakone, Priester und Bischöfe. Die Bischöfe mussten den Beschlüssen gar mit einer eigenen 2/3 – Mehrheit zustimmen. Kam die nicht zustande – galt die Zustimmung der sonstigen Versammlung nichts.

Ein Kommentator beim Synodalen Weg (ich glaube, es war Prof. Tiefensee) sagte in seiner Wortmeldung etwa: In die DNA der katholischen Kirche sei nach wie vor die Monarchie als Konstruktionsplan eingeschrieben. In der Tat ist da ja etwas dran: Der Vatikan als heutiger Kleinstaat ist ja nach wie vor eine Art Monarchie, in der der Papst der absolute Monarch ist. Nach diesem Prinzip ist auch die kirchliche Hierarchie gestrickt.

In Deutschland ist diese Regierungsform ja hier und da auch wieder „en vogue“, man schaue nur auf die Zunahme der Reichsbürgerszene. Allerdings scheint mir dahinter eher eine Idealvorstellung der Monarchie zu stecken, als eine real existierende oder irgendwie existenzfähige Regierungsform. Der gute König ist und bleibt leider Gottes eine Märchengestalt. Kein Wunder, dass sie so viele Märchen prägt und doch nur selten (oder nie) Wirklichkeit wurde. Die Regel ist doch, dass der König allenfalls mittelmäßig, wenn nicht gar ein grottenschlechter Regent ist. Dennoch ist uns Menschen offenbar die Sehnsucht nach einem starken Mann, einem Kaiser, König oder Führer ins Herz geschrieben. Die wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie, die Kritik an Politikern, die Wahl von Populisten in höchste Staatsämter, all das demonstriert diese irreale Sehnsucht überdeutlich. Gerade unser Volk hat diesen Wunsch-Traum teuer bezahlen müssen, als es das verklärte Bild vom deutschen Kaiser eintauschte gegen einen Führer, der ein tausendjähriges Reich versprach – und dann unser Land innerhalb kürzester Zeit in einen Abgrund stürzte.

Auch die Bibel kennt den verklärten König aller Könige in David und Salomo. Wobei drumherum immerhin genügend Geschichten eingeflochten werden, die die Königsgestalten wieder zu entzaubern vermögen. Aber der Traum von einem idealen König, der ein Land zu Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden führt – der durchzieht die Jahrhunderte und glimmt auch heute noch unter der demokratischen Asche.

Zu einer meiner frühesten Erinnerungen an kirchliche Gremienarbeit gehört, dass in meiner Heimatgemeinde das sogenannte „Vetorecht“ des Pfarrers hitzig diskutiert wurde. Das muss jetzt weit über 30 Jahre her sein. Der Pfarrer könne mit seinem Veto jede Entscheidung des Pfarrgemeinderates zu Fall bringen. Jede? Ernsthaft? Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Pfarrer einmal diese Karte gezogen hat. Ganz ähnlich erlebte ich das in diözesanen Gremien, wo es verschiedenen Akteuren immer extrem wichtig war, zu betonen, dass es sich (nur – oder immerhin) um Beratungsgremien handeln würde, die keine Entscheidungsvollmacht hätten. Vor diesem Hintergrund ist es eine schöne Erfahrung, dass meine Stimme in einer Frage im Jugendhilfeausschuss der Stadt eine Entscheidung durchbringen oder verhindern kann. Es ist schon ein Unterschied, ob Wort und Stimme im Zweifel auch Gewicht haben. Oder ob es egal ist, wie viel ich mich engagiere und ob ich recht oder unrecht habe.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Gerangel beim Synodalen Weg um die sogenannte „Selbstbindung“ der Bischöfe an Entscheidungen synodaler Gremien. Man sieht hierin einen Ausweg aus dem Dilemma, dass der Bischof in der katholischen Kirchenverfassung letztlich die Person ist, die eine Entscheidung zu fällen hat. Wenn der Bischof nun verspricht, nicht gegen die Entscheidung eines synodalen Rates zu handeln, dann ist das im theoretischen Machtkonstrukt der katholischen Kirche eine trickreiche Idee, um dem Gremium zu signalisieren: „Ihr seid keine reine Quasselbude!“ Ich schätze euren Rat und eure Meinung.

Ist das jetzt wahrhaftig? Außenstehende Personen werden hierüber den Kopf schütteln und darin möglicherweise einen Selbstbetrug sehen. Ob man mit so einem Verfahren Glaubwürdigkeit zurück gewinnt?

Dagegen scheint immerhin beim Kirchenvorstand die demokratische Welt auch in die Kirche eingezogen zu sein. Hier zählt die Stimme des Pfarrers nicht mehr als jene des einfachen Mitglieds, auch wenn der Pfarrer der „geborene“ Vorsitzende dieses Gremiums ist. Der Kirchenvorstand ist jedoch ein deutscher Sonderweg, Staatskirchenrecht, das der Kirche um 1925 aufgezwungen wurde. Der Staat wollte damit die Verbindung der deutschen Gemeinden zum vatikanischen Machtzentrum jenseits der Alpen schwächen. Es ging um Eigenständigkeit des deutschen Reichs und man unterstellte den Pfarrern bloße Befehlsempfänger einer ausländischen/externen Macht zu sein. Heute kenne ich jedoch kaum einen Pfarrer, der grundsätzlich auf die Unterstützung verzichten möchte, die ein Kirchenvorstand und ein Rendant in der Leitung einer Gemeinde bringt. Die Mitglieder tragen ein großes Maß an Fachexpertise und Engagement bei.

Insofern ist die reine katholische Lehre ja heute schon an vielen Stellen durch Räte und Kirchenvorstände aufgebrochen. Und das ist gut so, auch wenn über allzuviele Ratssitzungen auch gerne geklagt wird, gerade auch von Priestern und Bischöfen. Auf der anderen Seite klagen die Laien. Der Ausgangspunkt des Synodalen Weges ist doch durchaus auch die Erfahrung des Scheiterns der Hirten, die im Gottesvolk den Wunsch weckt, die eigene Expertise mit einbringen zu können, ja selbst mit entscheiden zu können. Und der Bischof tut gut daran, die Meinung der Laien mit Offenheit und auf Augenhöhe zu hören, zu berücksichtigen, ja ihr durchaus zu folgen. Hier bringt die hohe Stellung und Hochachtung des Priester- und Bischofsamtes auch Probleme. Nichts verschlimmbessert eine Fehlentscheidung so sehr, wie zahlreiche windschnittige Berater, die nur das Beste für den Bischof wollen. Das war ja in den Konflikten rund um Papst Benedikt und seine Rolle in einigen Fällen des Münchner Missbrauchsgutachten zu erleben. Lauter Verteidigungsstellungen, wo doch ein schlichtes Mea culpa angebracht gewesen wäre. Und dies auch dann, wenn es dabei nicht nur um eigene Schuld und Fehler sondern gerade um die der ganzen Kirche und die der früheren Zuarbeiter und Untergebenen geht.

Aber es ist jetzt an der Zeit, nicht nur das Phänomen zu betrachten, sondern einen kurzen Blick auf die theologische Basis zu werfen.

Kernproblem ist (und das haben die Konservativen und Traditionalisten sofort erkannt), dass in der gewachsenen Struktur der katholischen Kirche das Priester- und Bischofsamt im Zentrum steht. Das 2. Vatikanische Konzil hat diese Tradition noch einmal etwas zugespitzt, indem es in der Bischofsweihe die Vollgestalt des Weihesakraments sah und die Lehre vom dreifachen Amt (triplex munus) Jesu Christi als König, Priester und Prophet noch einmal schärfte. Obwohl jeder Getaufte mit diesem dreifachen Amt von Christus her und aufgrund der Taufgnade ausgestattet ist, so sind es die dazu berufenen und von der Kirche als solche angenommenen und mit dem Weihesakrament ausgestatteten Priester und Bischöfe, die im Namen des Herrn der Gemeinschaft der Getauften gegenüber treten dürfen, um sie zu lehren, zu heiligen und zu leiten.

Auch wenn ein Priester bei der Weihe seinem Bischof (oder Ordensoberen) Gehorsam verspricht, so ist ein jeder Pfarrer in seiner Pfarrei doch nach Kirchenrecht ein kleiner Bischof mit eigenen Rechten, oder wie das Kirchenrecht sagt: „der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft (…) wahr, (…) um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben...“

Diese, von Christus, dem eigentlichen Haupt und Hirten der Kirche abgeleitete Leitungsvollmacht der Priester ist es, die das Teilen von Verantwortung und Leitungsaufgaben so komplex macht. Da das dreifache Amt unmittelbar dem Priester- und Bischofsamt zugeordnet ist und hierzu in aller Regel nur zölibatäre Männer zugelassen sind, werden Leitungsaufgaben in der hierarchischen Struktur der Kirche ausschließlich von Männern wahrgenommen. Sie prägen auch das Bild der Kirche nach außen. Ein sprechendes Bild dafür sind die neuesten Fotos der deutschen Bischofskonferenz mit der einsamen Generalsekretärin Beate Gilles.

Kein Wunder, dass dies als Ungerechtigkeit empfunden wird und dass Reformgruppen vehement Geschlechtergerechtigkeit einfordern und fehlende Menschen- und Frauenrechte in der Kirche beklagen. Streng genommen trifft diese Diskriminierung ja nicht nur Frauen, sondern auch Familienväter und andere Laien.

Anders, als zu früheren Zeiten, als es in kirchlichen Kontexten mächtige Fürstinnen und Königinnen „von Gottes Gnaden“ und Klostervorsteherinnen, Äbtissinnen gab, die machtvolle Rollen ausfüllten – sieht man heute in kirchlichen Spitzenrollen fast nur Priester und Bischöfe.

Die Bischöfe spüren natürlich diesen Stachel im Fleisch der Kirche und versuchen Abhilfe zu schaffen, indem sie zunehmend Leitungspositionen außerhalb der klassischen Hierarchie aufwerten und hohe Verwaltungsposten bzw. repräsentative Aufgaben mit Frauen besetzen. Selbst im Vatikan ist dies inzwischen so, wenngleich hier häufiger Ordensfrauen zum Zuge kamen. Im Bistum Mainz hat man nun sogar eine Art dreifaltige Bistumsleitung aus Bischof, Generalvikar und Amtsleiterin geschaffen. Im Bistum Münster soll sogar eine Kanzlerin neben dem Generalvikar amtieren können – wenn denn diese Position tatsächlich wieder besetzt werden sollte. Ein interessanter kleiner Fortschritt ist in den letzten Monaten beinahe unbeachtet geblieben. Abt einer Benediktinerabtei kann heute auch ein Laienbruder werden. „Optisch“ treten allerdings solche Laien und Frauen in den Leitungspositionen der Kirche nicht in Erscheinung. Das Bild ist nach wie vor von Männern in Dalmatik und Messgewand, mit Mitra, Soutane und Stab geprägt. Eine Ordensschwester, die auf einem hohen Posten im vatikanischen Staatssekretariat bekleidete erzählte mir einmal im Flugzeug, wie sehr viele ihrer männlichen, priesterlichen Kollegen nach Titeln und Ehrenzeichen strebten, eine Haltung, die sie zutiefst befremdete.

"Seht ihr, es geht wieder nur um Macht.“ Dieser Vorwurf erschallt aus dem konservativeren Kirchenflügel, wann immer Frauen und Laien eine demokratischere Kirche und Mitbestimmung fordern. Dabei ist „Macht“ in der Kirche ja sowieso ein eher vergifteter Begriff. Viel lieber spricht man von Dienst und Hirtenamt.

Dennoch ist es nicht zu leugnen, dass das Amt eines Priesters und Bischofs mit Macht ausgestattet ist. Da ist zunächst einmal die Macht, die mit der jeweiligen Position verbunden ist. Die Tradition, die Theologie und das Kirchenrecht definieren, was ein Bischof ist. Diese Amtsmacht steht natürlich auch in Verbindung, mit der Person die diese Macht wahrnimmt, mit der Art der Machtausübung, mit seinem Talent der Mitarbeiterführung, der Manipulation, seinem mehr oder minder überragenden Wissen, seinem rhetorischen Talent und natürlich auch mit Hilfe weiterer mächtiger Verbündeter und manchmal auch alter „Seilschaften“ wird es dem Amtsinhaber gelingen, seine Macht zu festigen oder gar zu erweitern. Geld und Besitz spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Wer über relevante Mittel verfügt, kann mehr bewegen. Ein Bischof in einem armen Land Afrikas ist diesbezüglich sicher anders aufgestellt als beispielsweise der Erzbischof von Köln, der über einen gewaltigen Apparat und weltkirchlich beinahe beispiellose Finanzmittel verfügt.

Die vielfache „Unwucht“ in der katholischen Kirche wird auf lange Sicht ein Ärgernis bleiben. Noch so viele Frauen in kirchlichen Verwaltungs-Leitungs-Ämtern werden dieses Ungleichgewicht nicht verändern. Auch nicht die Beauftragung von Frauen mit der Gemeindeleitung in Gemeinden, die keinen eigenen Pfarrer mehr haben. Hier behilft man sich aktuell noch mit dem Trick, einem Priester die Pfarrverwaltung zu übertragen, der die Füße still hält, solange er nicht gefordert ist. Aber, wie glaubwürdig ist das?

Die wollen ja nur an die Macht.“ Dieser Vorwurf wirkt heute mehr als abwegig, wenn er von jenen ausgesprochen wird, die an den Schalthebeln der Macht sitzen. Und ist damit wenig überzeugend.

Der Vatikan wehrt sich mit Händen und Füßen gegen einen Synodalen Rat. Auf keiner Ebene der Kirche könne niemand, weder ein Bischof noch eine Synode so etwas einführen. So war es im Vorfeld des Synodalen Wegs klar und deutlich zu hören. Man schüttelt den Kopf, gibt es doch in der Kirche schon längst erfolgreiche Gremien der Mitverantwortung, die mehr und mehr auch Entscheidungen treffen.

Die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop zieht nach dem vorläufigen Abschluss des Synodalen Weges ein bitteres Fazit: „Am neuralgischen Punkt, an dem Heilung tatsächlich beginnen könnte, haben sich die Bischöfe auf dem Synodalen Weg verweigert: Sie lassen auf ihre Macht nichts kommen“. Die empfindlichste Stelle für die Bischöfe sei die Macht, seien die eigenen Privilegien, sei die eigene Rolle im System. „Daran soll partout nicht gerührt werden. Und jeder Versuch, das zu tun, löst sofort ihren Abwehrreflex aus.“

Für weit größer als das Problem der Akkumulation von Macht bei den Priestern und Bischöfen halte ich in der Kirche das Problem der nicht oder schlecht ausgeübten Macht. Aus der Soziologie und der Gruppenpsychologie wissen wir, dass es Strukturen von Leitung und Macht in jeder Gruppe und in jeder Organisation gibt. Entsteht hier ein Machtvakuum, weil jemand seine Aufgaben nicht erfüllt oder aus anderen Gründen, so füllen schnell Andere dieses Vakuum aus. Es gibt das Phänomen einer „geheimen Leitung“ und es gibt auch Priester, ja sogar Bischöfe, die sich von machtvollen Persönlichkeiten aus ihrem Umfeld steuern lassen. Weit größer ist jedoch das Problem, dass es aktuell immer weniger Priester gibt, die ein immer größeres Aufgabenfeld und eine immer größere Verantwortung zugeordnet bekommen. Aus der überschaubaren Gemeinde mit dem Pastor vor Ort werden pastorale Räume oder gar neue Pfarreien, die die Größe des Bistums Görlitz inzwischen leicht übertreffen.

Der pastorale Raum Dinslaken – Voerde – Hünxe und Walsum wird demnächst etwas unter 50.000 Katholiken umfassen. Um das Konstrukt zu leiten sind in Zukunft leitende Pfarrer und Pfarrverwalter für die vier Gemeinden vorgesehen, die werden administrativ unterstützt von Verwaltungsreferenten, der pastorale Raum selbst soll von einem Team aus Seelsorgern und einem Verwaltungsdirektor administriert werden. Wer mag, darf in diesem Konstrukt gern Aufstiegsmöglichkeiten für Laien suchen und entdecken. Der Frust scheint mir vorprogrammiert.

Wichtiger als eine theologisch saubere Struktur mit römisch-ordentlich ausgeübtem Hirtenamt wäre mir eine gut durchdachte und funktionierende Struktur. Wenn die wenigen vorhandenen Priester ihre Leitungsaufgaben nicht mehr ausfüllen können, dann braucht es saubere Delegation und Beauftragung. Insofern wird Leitung in Zukunft nur noch durch ein Team aus Frauen und Männern geschehen können, die das Vertrauen der Gemeinde und das des Pfarrers haben. Zumindest letzterer braucht dazu auch das Charisma, das Talent zur Leitung – und Delegation. Ich persönlich habe nichts dagegen, dass grundsätzlich ein Priester an der Spitze steht – nur muss dies jemand sein, der dies auch kann und ausfüllt.

Die Kehrseite der Allmacht des kirchlichen Hirtenamtes ist in der grassierenden Kirchenkrise deutlich zu Tage getreten. Es waren die Bischöfe, die ihrer Verantwortung gegenüber den missbrauchten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht gerecht wurden und auch nicht ihrer Verantwortung als Chefs der Täter. So viel „wir“ habe ich in der Kirchen noch nie gehört, wie in der Frage, wer denn nun für das Versagen im Umgang mit Missbrauch zuständig war.

Im theologischen Ideal geht in einem Bistum alle Macht vom Bischof aus. Damit konzentriert sich aber auch alle Verantwortung auf diese eine Person. Aber diese Machtfülle hat auch eine Kehrseite. Am Beispiel des Kölner Erzbischof kann man diese aktuell in Deutschland besichtigen. Natürlich kann der Bischof in einem komplexen System, wie einer Diözese in Deutschland nicht alle Fäden in der Hand halten. Er ist damit nicht nur persönlich, er ist auch strukturell überfordert. Alle schauen auf ihn und warten auf seine Entscheidung oder zumindest auf seine Duldung von Entscheidungen. Am Ende erlebt man, dass es wieder niemand gewesen sein will. Weder der Bischof selbst noch die Entscheider in seinem Auftrag. Ein frustrierendes Pingpong-Spiel.

Misslingt Leitung, so wird es einsam um den Betreffenden, wie man am Fall des Limburger Bischofs und sicher auch im Erzbistum Köln beobachten kann. Oder es bleibt nur eine bestimmte Art Anhängerschaft, auch dies ist niemandem zu wünschen. Zumal deren Treue in aller Regel auch vergänglich ist. Ist das Vertrauen einmal futsch – dann ist es kaum noch zu kitten, selbst wenn die persönliche Schuld verzeihbar ist.

Um so wichtiger wäre es, dass in die Kirche eine Kultur geteilter Verantwortung gelebt wird. Wenn man den Gläubigen vor Ort zutraut, das Prinzip der Subsidiarität zu leben und die Entscheidungen, die die Gemeinde selbst betreffen – auch selbst zu fällen. Das rein demokratische Verfahren ist hier aber sicher auch nicht das „Non plus Ultra“. Über manche Glaubensthemen kann man nicht einfach abstimmen und hier sind die Mahnungen von Papst Franziskus bezüglich einer echte Synodalität wichtig. Andererseits kann man auch nicht solange verhandeln, bis ein fauler Kompromiss dabei heraus kommt. Und mit jenen eine Lösung zu finden, die für sich die unumstößliche Wahrheit des Glaubens beanspruchen, das kann einfach nicht gelingen, wie unserer Kirche ja in der unendlichen Geschichte der Verhandlungen mit der Piusbruderschaft immer wieder vor Augen gestellt wird. Insofern ist das Papstamt schon eine geistgewirkte Institution, eine Person, die die Einheit symbolisiert und für die Einheit arbeitet. Aber das ist ein lebendiger Prozess und nicht mit der Verkündigung von Dogmen oder dogmatisch aufgeladenen Entscheidungen erledigt.

Der Papst hat immer wieder schöne Impulse gegeben, wie er sich das Hirtenamt des Bischofs vorstellt. So in Evangelii gaudium 31 über den Bischof: „Darum wird er sich bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen und die Hoffnung des Volkes aufrecht zu erhalten, andere Male wird er einfach inmitten aller sein mit seiner schlichten und barmherzigen Nähe, und bei einigen Gelegenheiten wird er hinter dem Volk hergehen, um denen zu helfen, die zurückgeblieben sind, und – vor allem – weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden.“ Und weiter schreibt er: „Es ist klar, dass Jesus Christus uns nicht als Fürsten will, die abfällig herabschauen, sondern als Männer und Frauen des Volkes. Das ist nicht die Meinung eines Papstes, noch eine pastorale Option unter möglichen anderen. Es sind so klare, direkte und überzeugende Weisungen des Wortes Gottes, dass sie keiner Interpretation bedürfen...“

Ich weiß nicht, ob unsere Kirche einen Synodalen Rat braucht. Was aber notwendig ist, dass die Gläubigen auf überzeugende Art an der Entscheidungsfindung beteiligt werden, dass Frauen und Männer gleichberechtigt entscheiden können, was sie persönlich und die Gemeinde vor Ort betrifft und bewegt. Dabei kommt dem Pfarrer oder dem vom Bischof beauftragten Gemeindeleiter, Katechisten oder Diakon sicher eine besondere Aufgabe zu, die Einheit mit der Gesamtkirche und die Übereinstimmung mit dem Evangelium und der Lehre der Kirche sicher zu stellen.

Auf Dauer werden sich keine ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen mehr gewinnen lassen, wenn sie in ihrem Verantwortungsbereich nicht auch mitbestimmen können. Und die Frustrationstoleranz wird bei heutigen Ehrenamtlichen eher nicht größer, wenn sie mehrfach erleben müssen, dass der Pfarrer ihnen vor den Kopf stößt. Erst recht, wenn dieser im übernächsten Nachbarstädtchen amtiert und nur ab und an einem exklusiven Personenkreis im eigenen Sozialraum begegnet.

Und hier läge für mich auch der Ausweg aus der verfahrenen Situation, die die geweihten Amtsträger zunehmend zu überfordern droht. Die überlieferte Struktur der Kirche macht nach meiner Wahrnehmung nach wie vor Sinn. Aber die Hirtenaufgabe muss noch einmal deutlicher akzentuiert werden. Nicht jede Entscheidung, die heute noch dem Pfarrer oder Bischof zukommt, hat geistliche Qualität. In einer jüdischen Gemeinde – so hat es mir ein Rabbiner mal erklärt – käme niemand auf die Idee, ihm in seine Amtsausübung hineinzureden. In Sachen des Glaubenslebens ist der Rabbiner die Autorität. Er hat aber mit der Organisation der Synagoge oder der gemeindeeigenen Schule, Küche, Mikwe nur insofern zu tun, als dies den religiösen Bereich betrifft. In der Küche muss der die koschere Versorgung sicher stellen, in der Schule den Religionsunterricht und die Einhaltung der Gesetze. Aber ums kaputte Dach des Kindergartens kümmern sich andere und auch um die Aufgaben des Hausmeisters oder die Anstellung einer Erzieherin.

Wer das Hirtenamt der Bischöfe und die Andersartigkeit der Synodalität in der katholischen Kirche betont muss auch klarer und für die Gläubigen verlässlich definieren, was damit gemeint ist und was nicht. Und sich dabei zu Herzen nehmen, was Papst Franziskus in seiner Theologie des Hirtenamtes so nachdrücklich beschreibt. Wäre dies Wirklichkeit, so bräuchte es keinen Synodalen Weg. Und mir wäre um die Zukunft der Kirche weniger bange.

Hirten, nicht Herrscher: Papst Franziskus über die Gestalt des Bischofs (herder.de)

Das Thema scheint auch Andere zu beschäftigen. Hier ein Text eines Kirchenhistorikers, Thomas Jürgasch, Juniorprofessor für Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen: 

https://www.feinschwarz.net/was-macht-macht-perspektiven-eines-kirchenhistorikers-auf-bischoefliche-macht/?fbclid=IwAR3EmXmdsx1CvECkmjJ_jwgYJOxBxZhphAIEtZi0OYWPwQyVwTjm5C8VFrQ

Samstag, 11. März 2023

Maria macht mobil - Folge 1.0

(c) Synodaler Weg /
Maximilian von Lachner
Eines muss man den Akteuren von Maria 1.0 neidlos zugestehen. Es ist beeindruckend, welche Aufmerksamkeit eine doch überschaubare Gruppe von katholischen Aktivisten auf sich ziehen kann, wenn sie nur professionell genug agiert und in gewisser Weise einen Nerv in der Diskussion trifft. Zudem wecken sie Aufmerksamkeit, weil sie als junge Frauen für den Erhalt einer angeblich frauenfeindlichen Institution kämpfen. Am kommenden Dienstag kann man zur besten Sendezeit im Rahmen der Reihe 37 Grad im ZDF eine Dokumentation über die Gruppe sehen. (Ab Sonntag vorab in der Mediathek verfügbar). 

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad-leben/update-gescheitert-kirche-im-reformversuch-102.html

In der Öffentlichkeit wird Maria 1.0 durchaus als gleichgewichtige Gegenbewegung zu Maria 2.0 gehandelt und kann ihre Position als Kontrast hierzu in manchen Zeitungen darlegen. Die Aktivistinnen werden immer wieder auch für Interviews und Diskussionen angefragt. Witziges Detail: Auf der Cocktailkarte bei den abendlichen Begegnungen des Synodalen Weges im März 2023 gab es die Varianten 1.0 und 2.0 des Cocktails Bloody Mary.

Gegründet wurde Maria 1.0 als unmittelbare Reaktion auf die Initiative Maria 2.0, die sich im Kontext des Synodalen Weges Anfang 2019 zunächst in der Gemeinde Hl. Kreuz im Münsteraner Kreuzviertel bildete, aber bald Unterstützung durch katholische Frauenverbände wie die KFD und den KDFB erhielt. Durch einen sogenannten „Kirchenstreik“ und weitere Aktionsformen fand die Bewegung sehr viel öffentliche Resonanz. Nach drei Jahren sind einige prominente Aktivistinnen inzwischen aus der katholischen Kirche ausgetreten, was sie aber nicht hindert, sich weiter zu engagieren und weitreichende Reformen in der Kirche zu verlangen.

Für kirchlich-konservative Kreise war diese Bewegung offenbar ein rotes Tuch und so gründete die Schongauer Lehrerin Johanna Stöhr die Bewegung Maria 1.0, die Frauen sammeln wollte, die die deutliche Kritik an der Haltung der katholischen Kirche nicht teilten. Man könne die Kirche nicht „wie einen von Menschen gemachten Verein verändern.“ Mit den Worten: „Maria braucht keine Update!“ bringt die Gruppe, der sich bald weitere Frauen anschlossen, ihre Haltung bis heute auf den Punkt. Maria sei perfekt.

Inzwischen will man den Status einer Gegenbewegung zu Maria 2.0 überwunden haben und „ nimmt jetzt jedoch alle katholischen Themen in den Blick und verleiht so der katholischen Lehre eine Stimme“, wie man auf der Homepage nachlesen kann. Stöhr sah sich nicht als Traditionalistin, sie wolle „normal katholisch sein“ und sich „an der katholischen Lehre orientieren.“ https://www.youtube.com/watch?v=mhdI0Drmdus

Weil Johanna Stöhr mehr Zeit für die Familie haben wollte übernahm im Mai 2021 die heute 25jährige Clara Steinbrecher die Leitung der Initiative, weitere exponierte Vertreterinnen sind Jessica Brandstetter als Vize-Leitung Margarethe Strauss, die als Mag. Strauss auch mit zahlreichen Youtube-Videos im Netz präsent ist und die Journalistin Dorothea Schmidt, die schließlich von der deutschen Bischofskonferenz als Vertreterin der Bewegung in den Synodalen Weg berufen wurde und diese Position auch für einen sehr kritischen Blog und zahlreiche Artikel in der Tagespost nutzte.

Wer und was ist nun die Bewegung Maria 1.0?

Per Selbstdefinition ist sie lt. Dorothea Schmidt dies: „Der innere Kern von Maria 1.0 sind junge, ehrenamtlich tätige Frauen, vor allem junge Mütter, die abends neben Beruf und Familie Interviews geben, Newsletter schreiben, organisieren et cetera. Ich denke, es gibt unzählige Menschen auf der ganzen Welt, die uns im Gebet unterstützen und die vor allem den Spirit von Maria 1.0 leben, die mit der Muttergottes leben, sie lieben und sie zum Vorbild haben.“

Konkret spricht man von Unterstützerzahlen von ca. 3.000 – 5.000 Katholiken in Deutschland und teilweise hierüber hinaus. 4.481 Menschen folgen deren Facebook-Auftritt. Den offenen Brief an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Bischof Georg Bätzing vom Sommer 2022, in dem dieser aufgefordert wurde, die Zusammenarbeit mit der Präsidentin des Zentralkomitees der dt. Katholiken aufzukündigen, unterschrieben ca. 2.600 Katholiken, darunter auch viele bekannte Protagonisten der konservativen Kirchenszene. Eine formale Mitgliedschaft scheint es nicht zu geben, auf der Homepage kann man sich mit seiner Adresse als Unterstützer*in eintragen. Selbst spricht die Bewegung jedoch von ca. 50 Unterstützern und Unterstützerinnen, wobei man auch Männer in diesen Reihen sieht.

Mit dem offenen Brief an Bischof Bätzing wollte man „dem stillen Schrei der treuen Katholiken" Gehör verschaffen. Mit auffallender Deutlichkeit werden in Presseerklärungen und weiteren Wortmeldungen der Bewegung auch Bischöfe angegriffen und belehrt. Ganz zu Schweigen von den Diskussionen, die auf Social Media geführt werden.

Am 28. Februar 2022 besuchten Clara Steinbrecher, Jessica Brandstetter und Johanna Stöhr den apostolischen Nuntius, Dr. Nikola Eterović, der die Gruppe angeblich ermutigte „weiterzumachen“ und deren Arbeit lobte. Auch Bischöfe lobten die Gruppe und empfingen sie wie z.B. Bischof Rudolf Voderholzer von Regensburg oder der vormalige Bischof von Augsburg Konrad Zdarsa. Kardinal Kurt Koch traf Clara Steinbrecher, auch gab es Begegnungen mit einigen weiteren Bischöfen.

Als wesentliches Thema ihres Engagement benennt die Bewegung auch den Lebensschutz, u.a. durch Präsenz beim "Marsch für das Leben".

Darüber hinaus strebt man eine stärkere Vernetzung sog. glaubenstreuer Kreise an. „Ein großer Wunsch von uns wäre, dass Maria 1.0 eine Art Sammelstelle für verschiedene katholische Initiativen und Bewegungen wird. Deshalb sind wir dabei uns mit anderen katholischen Gruppierungen zu vernetzen und wollen u.a. die Bandbreite dieser katholischen Angebote über unsere Kanäle darstellen.“ Quelle: Kath.news

Nach meiner Wahrnehmung hat Maria 1.0 inzwischen die katholische Mitte klar verlassen., Das ist immer wieder spürbar, so z.B. kürzlich auf der Facebook-Seite von Maria 1.0 als dort die Mundkommunion diskutiert wurde. Hier kommt einem der Text vor, wie von einer Traditionalisten-Seite abgeschrieben, wenn hier z.B. vom „Novus Ordo“ die Rede ist. „VA II hat weder die Kommunionbank abgeschafft, noch die Handkommunion eingeführt. Letzteres erfolgte eigenmächtig durch einige europäische Bischöfe.“ Die folgende Diskussion ist dann wirklich erhellend, wie überhaupt der Kreis jener, die sich dort als Freunde der Bewegung äußern.

Konkret gelang es der Bewegung, bei der Frühjahrsvollversammlung in Dresden 35 Gebetsdemonstrant*innen für eine Gebetsdemo zu motivieren, wobei der Anteil junger Menschen bei unter einem Dutzend blieb. Etwas größer war die Gruppe beim der Gebetsdemonstration bei der heute beendeten Versammlung des Synodalen Weges in Frankfurt. Man sei mit 14 Personen vor Ort. Hier in Frankfurt wurden sie flankiert von Demonstranten der Bewegung TFP, für Tradition, Familie und Privateigentum, mit deren auffälligen roten Fahnen. In Dresden waren Demonstranten von Pro Missa Tridentina präsent. Auf Transparenten in Dresden und Frankfurt wurden Bischöfe als „Mietlinge“ tituliert – im Sinne der Worte Jesu aus dem Evangelium, als Hirten, die vor der Verantwortung fliehen, weil sie nur bezahlte Knechte sind. In den Kommentarspalten klingt das dann unwidersprochen so: „Weicheier mit Mitra“, „modernistische Zeitgeistgefocuste Karrieretiger“.

Für einen Skandal sorgte Maria 1.0 aktuell mit einem auf allen sozialen Medien verbreiteten Filmschnipsel aus der Performance, die im Frankfurter Dom das Thema des Missbrauchs in den Focus stellen wollte. Teil dieser Inszenierung war eine Tanzperformance, die von der Gruppe in einem – interessanterweise – englischsprachigen Kommentar als „satanisch“ und „dämonisch“ bezeichnet wurde. Die Kirche sei hierdurch entweiht (desecrating) worden. Auch eher konservative Bischöfe wie Bischof Oster und wohl auch Kardinal Woelki distanzierten sich daraufhin von dieser Wortmeldung, auch sonst gab es viel Kritik. Maria 1.0 verteidigte diese Sicht jedoch vehement in den Kommentarspalten und bat um Unterstützung aus der Weltkirche, was wohl auch von vornherein so intendiert war.

Nachvollziehbar ist sicherlich das Unbehagen, die Frankfurter Hauptkirche zum Schauplatz einer Performance zu machen. Das verwendete Vokabular und die Skandalisierung machen jedoch darauf aufmerksam, dass Maria 1.0 längst zum Kristallisationspunkt einer eher ultrakonservativen und rechthaberischen Kirchenszene geworden ist. Die Gruppe ist mitnichten einfach nur ein Zusammenschluss jener, die „normal katholisch“ bleiben wollen, sondern längst tief vernetzt mit Personen und Bewegungen wie z.B. TFP, Petrusbruderschaft, Forum Deutscher Katholiken, „Neuer Anfang“, „Pro Missae Tridentina“. Der Kanal des TFP-Aktivisten Mathias von Gersdorff wird vom Maria 1.0 am 23.2.23 auf facebook ausdrücklich empfohlen. Dieser arbeitet sich mit täglichen Videostatements am Synodalen Weg, den Bischöfen und seinen Unterstützern ab. Für einen Eindruck sollte man ruhig einmal seinen Kanal aufsuchen. Es ist schon ein sehr besonderer Ton, der hier angeschlagen wird.


Zum Ende der Synodalversammlung demonstrierte eine Gruppe der KJB, der Jugendorganisation der Piusbruderschaft vor dem Tagungsgebäude am "Kap Europa" mit einer "Gebetskundgebung". Maria 1.0 schreibt dazu bei facebook: "Ein Teil unseres Teams harrte bis zum Nachmittag am Lifestream aus, während eine zweite Abteilung sich aufmachte, um einer gleichgesinnten Jugendgruppe bei einer Glaubenskundgebung Verstärkung zukommen zu lassen. Clara bog von dort aus zu einem Interview ab. Am Nachmittag beteten wir mit der erwähnten Jugendgruppe den Rosenkranz vor dem Dom, während die Synodalen zur Abschlussmesse einzogen, welche mit allen notwendigen Elementen wie Laienpredigt und Abweichung von den liturgischen Vorgaben versehen war." Auf den Fotos und Filmen der Proteste sind die markanten Transparente der KJB "Der synodale Irrweg" deutlich zu erkennen und auch die Maria 1.0 - Aktiven mit einem Transparent "Nein zu Häresie und Schisma". Bemerkenswerte Koalitionen!

Ich habe gar keine Schwierigkeiten mit frommen und konservativen Überzeugungen. Im Gegenteil, diese müssen unter dem Dach der katholischen Kirche Raum haben und mehr als nur Duldung oder Gastrecht.

Selbst über die aktuelle Diskussion um die sogenannte „Alte Messe“ und die vatikanischen Maßnahmen dagegen bin ich sehr unglücklich. Das Vorgehen des Vatikans wird die Probleme nicht lösen. Natürlich ist die Argumentation des Hl. Stuhls nachvollziehbar. Der Kern des Problems liegt aber nicht in der traditionellen Liturgie selbst oder gar bei jenen, die ihre Spiritualität in der alten Messe, den lateinischen Gebeten, der Hochachtung vor dem künstlerischen Ausdruck der katholischen Tradition und Vergangenheit, der Freude am gregorianischen Gesang suchen und darin Gott begegnen.

Schwierig wird es aber dann, wenn die erneuerte Liturgie als minderwertig, ungültig oder häretisch angesehen wird. Und schwer wird es – gerade auch in Sinne der angestrebten Synodalität – wenn die Diskussionen sich so zuspitzen, dass es nicht in erster Linie die Spiritualität ist, die mir persönlich und meinem Glauben gerecht wird, sondern die Spiritualität, der nach meiner Meinung die ganze Kirche, ja möglichst die ganze Welt folgen sollte und die zum Hebel wird, andere Gläubigkeiten und Spiritualitäten auszugrenzen.

Genau diese Haltung hat aber in der Kirche zugenommen, übrigens durchaus auch im reformerischen Lager. Der Stil, in dem liberale Katholiken sich zu Wort melden ist leider wenig erfreulich, ja manchmal geradezu abstoßend. Die Klagen von Dorothea Schmidt über ihre Erfahrungen auf dem Synodalen Weg sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Wenngleich sie selbst auch nicht zimperlich ist.

Ich bin fest überzeugt, dass wir als Kirche von den Bewahrern der alten Traditionen profitieren, dass sie die Reflektion über den richtigen Weg der Kirche bereichern. Sie müssen Raum haben in unserer Kirche, ohne als überkommen gebrandmarkt und marginalisiert zu werden. Aber ihr Weg ist ihr Weg und nicht das Rezept für den Weg der ganzen Kirche. Im Stil der Amish-People, der Piusbruderschaft, der Gruppe von Palmar oder als Katholiban haben wir keine Zukunft.

Gesunden Zulauf werden auch traditionsverbundene Gruppen nur haben, wenn sie sich offen und einladend zeigen und vor allem ihren Mitgliedern auch jederzeit ermöglichen, dieses Umfeld, den eigenen Raum ganz entspannt wieder zu verlassen – wenn es letztendlich nicht zur Person passt. Im Raum einer einzig wahren und unfehlbaren Religion und Spiritualität besteht – das mussten wir als Kirche bitter erfahren – ein großes Risiko des spirituellen und sonstigen Missbrauchs. Der Glaube muss uns in die Freiheit führen, auch der recht verstandene Gehorsam gegenüber religiösen Autoritäten.

Unerfreulich wird es leider immer wieder, wenn man versucht, über die unumstößlichen Positionen zu diskutieren. Erst recht, wenn diese für sich in Anspruch nehmen, dass sie die reine Lehre der Kirche, die Lehre an sich repräsentieren. In dieser Gefahr sehe ich die Protagonisten von Maria 1.0 inzwischen deutlich. Es ist eine gewisse Hybris spürbar, wenn eine junge Studentin glaubt einen katholischen Bischof einfach so als Häretiker verdammen oder als „Mietling“ brandmarken zu können. Ich glaube einfach, auf diese Weise leistet man weder der Diskussion noch der Sache der Kirche einen hilfreichen Dienst.


Abschließend noch einige Informationen über wichtige Aktivisten von Maria 1.0, die diese öffentlich in Interviews und Wortmeldungen bekannt gemacht haben:

Clara Steinbrecher stammt aus München. Sie ist Studentin für das Gymnasiallehramt mit den Fächern Mathematik und Schulpsychologie und seit letztem Jahr mit Felix Steinbrecher (wiss. MA an der theol. Fakultät, Eichstätt) verheiratet. Nach eigener Aussage hat sie die Gemeinschaft Emmanuel kennengelernt und engagierte sich bei der Jugend 2000 in Eichstätt. Prägend sei für sie auch der „Vetus ordo“, die Messe, wie sie früher gefeiert wurde. Dies verbinde sie mit der „Kirche aller Zeiten.“ Sie lebt in Eichstätt. Ihr Ehemann war offenbar früher auch in der Nightfever-Bewegung engagiert. Aktuell strebt er seine Promotion an.

Jessica Brandstetter lebt ebenfalls in Eichstätt. Sie kommt aus einer eher atheistischen Familie, hat dann aber zum Glauben gefunden, sich firmen lassen und „geht wie Clara auch gern zum alten Ritus“.

Dorothea Schmidt kommt aus Peiting im Erzbistum München. Sie gehört offenbar zur ersten Generation von Maria 1.0. 2019 war sie mit Johanna Stöhr und Katrin Schwegele beim Regensburger Bischof zum Gespräch. Sie arbeitet als „freie Journalistin“ und hat unter dem Titel „Pippi Langstrumpf – Kirche“ ein Buch über ihre Erfahrungen beim Synodalen Weg geschrieben. „Ich mach mir die Kirche … wie sie mir gefällt....“ Schmidt hat den Synodalen Weg vor der letzten Versammlung öffentlichkeitswirksam verlassen, gemeinsam mit drei weiteren Frauen. Zur Begründung sagte sie auf Domradio: „Ich habe auf echte Debatten gehofft, auf sachliche Debatten, einen echten Austausch, eine echte Suche auch nach dem Willen Jesu für die Kirche, damit wir die Krise überwinden können. Aber von Anfang an habe ich mich auf einer rauen politischen Bühne befunden, in der es im Tauziehen um Mehrheiten ging, statt um ein Ringen um die Wahrheit.“ Es gab auch immer wieder Emotionalisierungen, die den notwendigen sachlichen Diskurs einfach ersticken. Denn bei Emotionalisierung gewinnt immer der, der die extremsten Gefühle zeigt. Aber die Kirche ist doch eine Familie, keine politische Bühne. Sie ist der Leib Christi mit Christus als Haupt. Da hätte ich mir eine echte Suche nach der Wahrheit im Gebet gewünscht.“

Dr. Margarete Strauss scheint erst später dazu gestoßen zu sein. Sie stellt sich selbst auf ihrem Blog so vor: „Als katholische Theologin und Publizistin setze ich mich mit meinem Internet-Apostolat für die Neuevangelisierung unserer Gesellschaft und eine kniende Theologie in unserer Kirche ein.“ Sie wurde in Karaganda, Kasachstan geboren und kam mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Als „Familie Berger“ ist die Familie auch musikalisch aktiv. Sie studierte an der Universität Münster und promovierte im Fach „Exegese des Neues Testaments“ bei Prof. Dr. Adrian Wypadlo.