Freitag, 25. September 2020

„Die Angst vor dem Verlust kann so stark werden...“

Was muss sich in der katholischen Kirche ändern?

Denken Sie doch mal kurz nach – was steht auf ihrer eigenen Liste?

  1. Lebensform der Priester?
  2. Rolle der Frauen?
  3. Kirchensteuer?
  4. Umgang mit den Themen Sexualität, Liebe, Ehe?
  5. Verhältnis zu den anderen Kirchen und Konfessionen?
  6. Umgang mit Macht, Geld, Einfluss?
  7. Umgang mit Verbrechern in den eigenen Reihen und deren Opfern?
  8.  
  9. ...
Ach, es liegt so viel im Argen… 

Mutter Theresa, die aus Albanien stammende Ordensschwester, die fast ihr ganzes Leben lang in Indien tätig war und in der ganzen Welt wie eine Heilige verehrt wurde und wird, sie sagte einmal auf die Frage, was sich in der Kirche ändern müsse: 

Nur zwei Dinge: „Sie und ich!“

Dieser Spruch wird sehr gern zitiert, wenn die Verteidiger eines idealisierten Kirchenbildes auf notwendige Reformen angesprochen werden. 

Ich hatte in den letzten Tagen etwas Zeit, um in den sozialen Medien, in Zeitungsartikeln und im Fernsehen die Versammlung unserer Bischöfe in Fulda zu verfolgen. An dem, was mich rund um die Bischofsversammlung berührt und beschäftigt hat, möchte ich euch teilhaben lassen. 

So hatte ich gestern, als ich das Mittagessen für die Familie zubereitete, die Stimme von Georg Bätzing im Ohr. Wirklich, ein liebenswürdiger Typ der neue Vorsitzende. Ein anderer Ton! Manchmal redet auch er um den heißen Brei herum. Alles mit Höflichkeit und Freundlichkeit. Ein Schlüssel-Moment wie vor einigen Monaten scheint bei ihm kaum möglich: Wer erinnert sich nicht, als sich die Bischöfe Ackermann und Marx auf die Frage nach persönlichen Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal (Rücktritt eines oder mehrerer Bischöfe) ratlos anschauten, bevor der damalige Vorsitzende sich zu einem sehr verbissenen NEIN durchrang.

Lockere Sprüche über Verbloggen und Verblöden kämen dem Neuen wohl kaum in den Sinn. 

Das Gegenstück zur abschließenden Pressekonferenz war ein erstes Pressegespräch zu Beginn. Da schilderte der freundliche Vorsitzende die Situation, die durch das Schreiben aus dem Vatikan zum Thema der eucharistischen Gastfreundschaft entstanden war. In allergrößter Freundlichkeit machte er sogar ausdrücklich Werbung für die Tagespost, die ein vatikanisches Schreiben veröffentlicht hatte, zu dem der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz selbst noch gar nicht sagen konnte, ob und wann es denn veröffentlicht werden dürfte, also jetzt offiziell. 

In der ZEIT war zu lesen, dass der apostolische Nuntius den an Bischof Bätzing adressierten Brief zeitgleich allen deutschen Bischöfen geschickt hatte. Und irgendwo zwischendrin hatte jemand den Brief auch gleich der Tagespost gegeben. Darüber war der freundliche Vorsitzende zu Recht wenig erfreut, wie eine Mail zeigte, die irgendwie den Weg in die ZEIT gefunden hatte.

Man beginnt zu verstehen, dass sich mancher Beobachter die Zeit handgeschriebener, gesiegelter Briefe zurückwünscht, die mit berittenen Boten über die Alpen transportiert werden. 

Ganz offensichtlich herrscht unter unseren Bischöfen keineswegs eitel Freude und Einigkeit, wenn sie in Fulda zusammen kommen. 

Die Leseordnung der Liturgie lieferte Kardinal Woelki, in dem Manche neuerdings den Retter ihres Kirchenideals sehen, eine echte Steilvorlage für seine Predigt. Die dieser natürlich verwandelte: Wenn die Leute das Wort Gottes nicht gerne hören... „Da ist dann unter Umständen die Versuchung groß, dem Wort Gottes etwas hinzuzufügen, um es angenehmer zu machen.“ Zustimmenden Applaus gab es im Netz von seinen alten und neuen Fans. Ja, es lohnt sich wirklich, die Predigt von Kardinal Woelki von Anfang bis zum Ende zu lesen. Schön, dass er die Herausforderungen der Lesungstexte sehr persönlich aufgenommen hat. Es geht darin nämlich auch um Auftritt, Macht und Reichtum.

Hören wir kurz zu: 

„Aber wer würde sich denn dann auch gegen Reichtum wehren?

Warum betet da jemand, dass der Herr ihn davor bewahren möge und erbittet sich nur das Brot, das nötig ist? Auch aus dieser Bitte, liebe Schwestern, liebe Brüder, spricht eine tiefe psychologische Erkenntnis: wer reich ist, wer viel hat, der kann auch viel verlieren. Die Angst vor dem Verlust kann so stark werden, dass man am Ende den Herrn verleugnet.“

Ist das nicht eine großartige Erkenntnis, wenn man durch diese Brille mal auf die aktuelle Krise der Kirche schaut? „Die Angst vor dem Verlust kann so stark werden...“ 

Lesen Sie mit diesem Satz im Herzen mal, was Bischof Ackermann auf die Frage gesagt hat, warum bis heute kein Bischof aufgrund des kirchlichen Versagens im Umgang mit den Missbrauchs fällen zurückgetreten ist. Oder das Interview, dass Erzbischof Heße in der ZEIT gegeben hat und seine Antworten auf die Frage nach persönlicher Schuld. 

„Exzellente Fragen an seine Exzellenz.“ kommentierte Christiane Florin. Und ließ sich bei facebook auf die Diskussion mit einer Dame ein, die die Überforderung der Bischöfe durch die Herausforderungen der Missbrauchsfälle entschuldigend ins Feld führte. Bischöfe und Priester sollten solche Leitungsposten in der Verwaltung, als Personal- oder Finanzchef nicht ausüben. Das sollten Laien tun. Bischöfe und Priester seiden dort schlicht überfordert, die seien doch berufen, das Wort zu verkünden, die Sakramente zu spenden, die Hl. Messe zu feiern. 

„Bei uns stiehlt man sich nicht durch Rücktritt aus der Verantwortung“, so Bischof Ackermann sinngemäß. 

Ja, es ist schwierig! Nicht nur in der Kirche. Das zeigte an anderer Stelle eine große Geburtstagsanzeige für Hartmut von Hentig in der FAZ. Wie geht man mit einem Heroen der Reformpädagogik um, der nur schwer einsehen konnte, dass sein Freund und Lebensgefährte furchtbar an Kindern gehandelt hatte,  dass er damals in der Odenwaldschule zum Verbrecher wurde? Wie geht man mit einem Kardinal um, der nicht sehen wollte, was in der Eliteeinrichtung der Regensburger Domspatzen geschehen war, durch renommierte Persönlichkeiten, denen man vertraute, und die musikalisch Großartiges geleistet hatten?

Was tun, wenn sich liebenswürdige Menschen, großartige Meister ihres Fachs und im kirchlichen Kontext: aufopferungsvolle, kirchentreue oder moderne Priester als janusköpfig erweisen und wenn man plötzlich der hässlichen Fratze ins Angesicht blicken muss?

Und was ist in Rom los? Ein Dreizeiler des vatikanischen Presseamtes von gestern Abend machte bekannt, dass Kardinal Giovanni Angelo Becciu (72), der Präfekt der Heilig- und Seligsprechungskongregation des Vatikans, von diesem Amt zurückgetreten ist und auf alle mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte verzichtet. Solch einen Vorgang hat es in der Römischen Kurie noch nie gegeben. Über die Hintergründe ist kaum etwas bekannt, ob dessen Beteiligung an einem umstrittenen Geschäft des Vatikan in London für diesen Absturz eine ausreichende Erklärung ist?

Man darf gespannt sein. Papst Franziskus will eine arme Kirche an der Seite der Armen. Davon ist immer wieder zu lesen. Wie passt das mit Immobiliengeschäften in London zusammen? Wie passt das damit zusammen, dass Paderborn nach einem gründlichen Blick in die Schatullen nun vermeldet, dass dort 7,15 Milliarden Euro liegen?

Angesichts der 114,7 Milliarden, über die Bill Gates allein verfügt, mag das auch nicht so unfassbar viel sein, aber die Nachricht überraschte schon. Und trägt nicht zum positiven Bild bei, das die Kirche in der Öffentlichkeit bietet. Dabei ist der Kardinalfehler sicher nicht, dass ein Bistum gut wirtschaftet und evtl. Überschüsse gut anlegt. Für mich ist der Kardinalfehler, dass es erst jetzt vermeldet wird und dass wir nicht seit Jahren für die notwendige Transparenz sorgen. 

Und jetzt lesen Sie noch mal die Predigt von Kardinal Woelki oder den von mir zitierten Satz daraus. 

Ich bin dankbar, dass es uns in der Kirche gelungen ist, deutlich verantwortlicher mit dem Geld der Gläubigen umzugehen, als dies in manchen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens geschehen ist. Wie gut, dass wir nicht bis über beide Ohren verschuldet sind. Aber es sei auch erinnert an die Haltung des Heiligen Franziskus und den großen, heute fast vergessenen Streit um die Katharer und deren Idee einer besitzlosen Kirche. Mir kommt der Gedanke in den Sinn, mit dem die Kartäusermönche ihre Form des einsamen Lebens erklären: So viel Einsamkeit wie möglich – so viel Gemeinschaft wie nötig. Also: So viel Armut und Einfachheit wie möglich – so viel Besitz wie nötig. 

„Wenn ich mir das vorstelle: ganz ohne Geld, ohne Vorratstasche, ohne alles loszulaufen.“ – sagt Kardinal Woeki in seiner Predigt. 

Diese Form der Besitzlosigkeit würde man sich in vielen anderen Bereichen der Kirche wünschen. Sicher auch in allen Fragen der Machtausübung und des Umgangs mit den einfachen Gläubigen. 

Ich will mal ein winziges, persönliches Beispiel bringen, ein Erleben der jüngsten Tage. Als einziges deutsches Bistum hat Limburg als zweiten Patron den Hl. Bischof Nikolaus. Der vormalige Limburger Bischof Franz Peter Tebartz van Elst hatte im Portal des Bischofshauses eine Darstellung des heiligen Kinderfreundes einarbeiten lassen. Vor dem Sommer schrieb ich daher dem Bischof von Limburg eine längere e-mail. Ich bat ihn um ein geistliches Wort für unsere Schokoladen-Nikolausaktion, bei der wir jedes Jahr eine Nikolauslegende mit einem Bischöflichen Wort veröffentlichen. Ich legte Flyer mit den Texten verschiedener Bischöfe und Kardinäle bei, die das in den letzten Jahren schon für uns getan hatten, damit er nicht denkt, es mit irgendwelchen windigen Leuten zu tun zu haben. Nachdem dann sechs Wochen keine Reaktion kam, dachte ich: Schreib noch mal ordentlich per Post. Also machte ich einen Brief fertig und schickte ihn per Post nach Limburg. Jetzt, wo es etwas knapp wird, um noch einen Flyer zu erstellen fragte ich noch mal sehr freundlich und ausführlich in seinem bischöflichen Büro, ob man mir wenigstens mitteilen könnte, ob ich mit einer Antwort rechnen könnte. Bis heute habe ich auf diese drei Anschreiben keine Antwort erhalten. Weder eine Absage noch ein vertröstendes Schreiben. Nichts. 

Kurz vorher hatte ich im Frühsommer auch den Wiener Kardinal Schönborn angeschrieben, mit Verweis auf die österreichische Herkunft unserer Nikoläuse. Der reagierte nach wenigen Tagen mit einer wirklich liebenswürdigen  Absage und dem Hinweis auf seine angegriffene Gesundheit.

Jetzt kam ich in Not und folgte dem ursprünglichen Gedanken und schrieb auf deutsch eine Mail an das Erzbistum Ljubljana in Slowenien. Nur wenige Tage später meldete sich der Weihbischof persönlich und übersandte mir ein schönes geistliches Wort zum Hl. Nikolaus, dem Patron der Kathedralkirche des Erzbistums Laibach. Ebenfalls sehr liebenswürdig und sehr direkt.

Das mag alles Zufall sein oder der "Vielfalt der Zuschriften und Anfragen geschuldet". Dennoch, manch einer kann ein Lied singen von solchen Erfahrungen in der Kommunikation mit kirchlichen Stellen. Auch in weit existentielleren Fragen.

Vor dem Fuldaer Dom standen einige Frauen der KfD und wollten einen eigens gestalteten Zollstock an die Bischöfe überreichen. Eine gute Anzahl der Bischöfe sei aber kommentarlos vorbei gegangen und habe das Geschenk nicht in Empfang genommen. 

Ein Bischof ist ein wichtiger Mann. Ein Mensch mit Einfluss, Verantwortung, Macht. Er beschäftigt in Deutschland tausende von Menschen (unter dem Strich), unterstützt von einer großen Verwaltung. Wohin er kommt erregt er Aufmerksamkeit und erfährt eine herausgehobene Behandlung. Wenn er eine Gemeinde besucht (visitiert) zeigt man sich von der besten Seite. Bevor man den Bischof mit kritischen Fragen konfrontiert muss schon Druck auf dem Kessel sein. Korrekt spricht man ihn mit "Exzellenz" an. Ich frage mich oft, wie das alles seine Weltsicht prägt. 

Aber, wir müssen sehr klar erkennen, dass all die Macht und Bedeutsamkeit eines Kirchenamtes die Kirche nicht aufbaut. Ohne "Jünger", ohne "Follower", ohne einfache Gläubige ist ein Bischof oder Priester nichts. Und ohne Menschenfreundlichkeit und tiefe Frömmigkeit auch nicht. 

Wir kommen nicht umhin, die Menschen vom Glauben zu überzeugen und für die Kirche zu gewinnen. Die Botschaft muss gewinnend sein und der Überbringer auch überzeugend. Dabei meine ich nicht "nach dem Mund reden" und einschleimen oder irgendwelche Formen des geschickten Marketing. Was wahr und richtig ist, das darf auch mal ungemütlich und unbequem sein. Auch da gebe ich Kardinal Woelki recht. Aber nicht alles, was ungemütlich und unbequem ist ist auch gleich wahr und richtig. 

Der Bischof von Görlitz, Wolfgang Ipolt meldete sich am Rande der Herbstvollversammlung der Bischofkonferenz im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Tagespost“: „Zum einen missfalle ihm der Ton, in dem oft Kritik geäußert werde…“ Wenn Menschen, die selbst Angestellte der Kirche seien, "das eigene Nest beschmutzen", müsse man daran erinnern, dass es das Geld der Gläubigen sei, mit dem die Kirche sie bezahle. Genauso verhalte es sich mit dem Reformprozess an sich: "Diese Veranstaltung, wer bezahlt sie denn? Wer gibt dieses Geld?", fragte Ipolt. Es seien die einfachen Gläubigen, die in die Kirche gingen. Für sie wolle er "eine Lanze brechen", deren Glauben müsse man stärken.

Zum anderen äußerte sich der Görlitzer Bischof kritisch über das oftmals sehr theologische Niveau der Debatten, dem "einfache Gläubige oft nicht folgen können". Daher plädiere er dafür, ein theologisches Fundament aufzubauen, auf dem alle Seiten – Bischöfe, Laien, Frauen und Männer – lernen müssten, gemeinsam zu reden. "Das sehe ich im Augenblick als die größte Herausforderung an", so Ipolt.“

Da erscheint vor meinem geistigen Auge die kleine Schwester aus Kalkutta mit ihrer Bemerkung zur Kirchenreform. Und flüstert mir ins Ohr: Ändern in der Kirche müssen Sie sich, Bischof Ipolt! Und diejenigen, die Sie „Nestbeschmutzer“ nennen natürlich auch. 

Interessant, dass ein Bischof sich zum Anwalt der kleinen Leute in der Kirche macht. Ich hoffe, das gilt auch noch dann, wenn über den Bau eines Bischofshauses entschieden wird oder den Neubau einer Bistumsverwaltung, den Abriss einer Kirche oder den Ankauf eines Gästehauses in Rom. 

Interessant, dass ein Bischof für ein Diskussionsniveau plädiert, dem die einfachen Leute zu folgen in der Lage sind – während der ein oder andere Mitbruder gerade die Volkstümlichkeit der Diskussion beklagt, deren theologisches Niveau zu wünschen übrig lasse. 

Interessant, dass man kritische Kirchenangestellte (ich denke, wir reden hier von Menschen, die sich als Priester, Pastoralreferent*innen, engagierte Verbandsvorstände, Theologieprofessor*innen, sogar Bischöfe) in den Dienst der Kirche gestellt haben aufgrund ihres kritischen Tons als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet. 

Es ist leider mitnichten so, dass „die einfachen Gläubigen“ die Kirche der 60er Jahre zurück wollen. Ich erlebe es zunehmend, auch bei den Treuesten der Treuen, dass sie den Zölibat oder die exklusive Stellung der Priester im Gefüge der Kirche in Frage stellen. Inzwischen komme ich immer mehr in die Situation, die Kirche und ihre Traditionen verteidigen zu müssen, selbst dort, wo es die einfachen Leute sind, die Woche für Woche in die Kirche kommen. 

Es ist schön, dass Bischof Ipolt via Tagespost einmal einen Bick in sein Herz und seine Empfindungen möglich gemacht hat. Trotzdem irritiert diese Weltsicht. Mit der „Nestbeschmutzer“ – Keule kann ich jede Kritik abbügeln. Und vom Tisch wischen. Natürlich braucht es Kritik. Es braucht auch schmerzhafte Kritik. Und ein Ringen um die Wahrheit. Und es braucht gute Antworten, die auch dann überzeugen, wenn sie nicht von der machtvollsten Seite gegeben werden. 

Hier sei einmal an den heiligen Benedikt und seine Regel erinnert: Im dritten Kapitel legt der dem Abt nahe: „Tue alles mit Rat, dann brauchst du nach der Tat nichts zu bereuen.“ Für Benedikt spielt dabei sogar der Rat der Jüngsten eine wichtige Rolle. Der Abt soll ihn einholen, weil die Jüngsten dem Ideal noch sehr nah sind. Von dieser Dialogkultur könnte die Kirche lernen und wirklich profitieren. 

Die katholische Welt in der ich lebe, hat unterschiedliche Dialogräume. Da ist einmal die Gemeinde er einfachen Gläubigen, die in die Kirche gehen. Und dann ist da das Dekanat, das Bistum in dem ich tätig bin und die einen Rahmen bilden, der mir die pastorale Arbeit vor Ort überhaupt möglich macht. Und schließlich die katholische Blase in der ich mich bewege, was ich also so in sozialen und öffentlichen Medien wahrnehme und teils bei facebook diskutiere. 

Darin ist in der Szene derjenigen, die eine ideale, am Lehramt ausgerichtete Kirche erträumen, gerade mal wieder gern vom Schisma die Rede. Einige sehnen das offenbar herbei. Da heißt es, der Papst habe Bischof Bätzing bei seinem Antrittsbesuch gesagt, es gäbe ja in Deutschland schon eine evangelische Kirche und die deutschen Bischöfe mögen doch bitte keine weitere protestantische Kirche gründen. Man wisse um diese Bemerkung aus sicherer Quelle und wenn es nicht wahr sei, so sei es doch gut erfunden. Viele aus meiner Blase kommentieren kritische Wortmeldungen turnusmäßig mit der Aufforderung, die Kirche zu verlassen und sich den Protestanten anzuschließen. In Rom schüttele man sowieso den Kopf über die deutsche Kirche. Einzelne Diskutanten schmähen Bischöfe als Häretiker, Schismatiker, Bischofsdarsteller, Karrieristen. Mit leichter Hand trennt man die Spreu vom Weizen im deutschen Episkopat. Die Guten ins Töpfchen, die „Schlechten“, die „Mietlinge“ ins Kröpfchen. Kardinal Woelki hat man dann noch schnell vor dem hungrigen Schnabel des Täubchens bewahrt und ins Töpfchen gerettet. 

Gerade die Kritiker des synodalen Weges haben offenbar das Ohr gewisser Kreise im Vatikan. Daher tragen sie auch Verantwortung dafür, ob sie und wie sie die Berichterstattung zuspitzen.

Mir gefällt auch nicht, wenn Kreuze pink angepinselt werden oder Gebet und Gottesdienst zu kirchenpolitischen Zwecken zugespitzt werden. Selbst wenn die Anliegen dahinter mehr als berechtigt sind. 

Bischof Ipolt hat recht. Die einfachen Gläubigen können dem „oft nicht folgen“ und auch mir missfällt der Ton, in dem ein Bischof Overbeck, ein Bischof Bätzing, ein Bischof Bode, ein Kardinal Marx kritisiert werden. Mir missfällt auch der Ton in dem ein Bischof Voderholzer, ein Weihbischof Schwaderlapp, ein Kardinal Woelki kritisiert wird. Und letztendlich missfällt mir auch der Ton, in dem Bischöfe und Kardinäle sich gegenseitig kritisieren. 

In der Beziehung bin auch ich „einfacher Gläubiger“, der mit seiner Kirchensteuer all das bezahlt und der auch von der Kirchensteuer bezahlt wird. 

Und ich wünsche mir nichts mehr als ein sauberes Nestchen. 

Aber manchmal muss man sich auch einfach hinstellen und sagen: Schaut bitte mal hin, wie vollgeschissen dieses Nest inzwischen ist. 

Ich habe kein Rezept, wie wir zurückkommen zu einer Kirche, 

  • in der Jesus Christus so verkündigt wird, dass es seinem Wirken auf Erden ganz nahe kommt, 
  • in der Gott angebetet wird und in der ich Kraft für mein Leben tanken kann, 
  • in der das Evangelium wirklich allen Menschen verkündigt und angeboten wird, 
  • ohne dass diese Kirche sich zu einer Kirche der Wahren und Reinen verzwergt 
  • und der Glaube in unserem gesellschaftlichen Leben keine prägende und gestaltende Bedeutung mehr hat, 
  • weil er nur noch in Sonderwelten gelebt wird. 

Ich bin sicher, die einfachen Gläubigen wünschen sich eine Kirche, die in den Dörfern und Städten präsent ist. Die gastfreundlich ist und ein offenes Ohr hat. Deren Türen offen stehen für alle und in denen das Evangelium in seiner ganzen Fülle verkündet wird. Sie wünschen sich, dass vom Evangelium Impulse für das alltägliche Leben ausgehen und dass Menschen in der Kraft des Evangeliums das Leben in den Städten und Dörfern prägen. Sie wünschen sich eine Kirche, die da ist in der Not und die da bleibt, auch wenn sie Fehler gemacht haben. Sie wünschen sich Kirchenvertreter. Sie möchten diese Kirche mitgestalten und Ideen einbringen. Sie möchten, dass in dieser Kirche Männer wie Frauen gleichberechtigt sind und dass ihr Rat in jeglicher Hinsicht gehört wird. Sie wünschen sich, dass in der Kirche kein Unrecht und kein Verbrechen geschieht. Sie wünschen sich, dass ihre Kinder sicher und geschützt sind und dass Menschen miteinander auf Augenhöhe umgehen. Sie wünschen sich Hirten mit dem Geruch der Schafe, die mal voran gehen, mal mit ihnen gehen und mal der Herde folgen. Sie wünschen sich keine Skandale und keine Karrieristen in der Kirchenleitung und eine Kirchenverwaltung, die mithilft, dass der Glaube in der Familie und in der Gemeinde gelebt werden kann. Sie wünschen sich Leitungspersönlichkeiten, die nicht Herren des Glaubens, sondern Diener der Freude sein wollen. Sie wünschen sich einen barmherzigen Umgang mit allen Gescheiterten und beherzte Hilfestellung, dass diese umkehren und neu beginnen können. Sie wünschen sich...

Was für ein weises Wort der Heiligen aus Kalkutta: Sie und ich!

Was für ein weises Wort des Bischofs von Görlitz: Die einfachen Gläubigen! Selbst die, die nicht immer in die Kirche kommen, möchte man ergänzen.

Was für ein weises Wort des Kardinals von Köln:  Die Angst vor dem Verlust kann so stark werden.

Vielleicht sollten wir einfach wieder mehr aufeinander hören, miteinander reden, gemeinsam beten. Und alle Verdächtigungen, alle taktischen Spielchen, alles Bewerten von Menschen hintan stellen. 

Hoffentlich gelingt es mir auch ganz persönlich, dem Wort von Mutter Theresa gerecht zu werden. Und wenn es mal nicht gelingt, will ich es immer wieder neu versuchen. 

Predigt von Kardinal Woelki: 
https://dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2020/2020-147-HVV-Fulda-Predigt-Kard.-Woelki.pdf

Mittwoch, 9. September 2020

Bitte, nicht schon wieder... - "ein Bischof tritt noch vor seiner Weihe zurück!"

Ein ganz normaler Dienstag in der ersten Septemberhälfte 2020: 

Ich scrolle mein Facebook heute einmal fix durch, mal sehen, was sich so tut in der katholischen Welt. Es ist so, dass sich meine Info-Blase bei Facebook (neben Schafen, Heimatnachrichten und Bienen) auf Kirchenthemen focussiert: 

  • Die englische Abtei Downside löst sich auf. Die wenigen, verbliebenen Mönche litten an der Schuld, die ihre Mitbrüder auf sich und auf sie geladen haben. Ein Missbrauchsskandal im angeschlossenen Elite-Internat war vor 6 Jahren aufgedeckt worden. 

  • Der erwählte Bischof eines amerikanischen Bistums reicht seinen Rücktritt schon vor der festlichen Weihe ein, weil ihn Missbrauchsvorwürfe einholen. 

  • Einem Eichstätter Vatikan-Diplomaten werfen zwei Mitbrüder sexuelle Übergriffe im Schatten des Petersdoms vor. Der Vorgesetzte hätte sie zu sexuellen Handlungen gezwungen. 

  • Freunde eines indischen Priesters, unterstützt durch seine jetzige Einsatzgemeinde starten eine Petition. Der Priester beklagt sexuelle Übergriffe eines ehemaligen Kreisdechanten, den zögerlichen Umgang des Bistums Münster damit und die sehr unsensiblen Verlautbarungen der betreffenden Stellen.

Seit 2010 schauen wir aufgrund des Missbrauchsskandals durch eine neue Brille und mit einem anderen Blick auf die katholische Kirche. Ich brauche die traurigen Fakten nicht zu wiederholen. Der Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein nannte die Aufdeckung das 9/11 der katholischen Kirche. Ganz von der Hand zu weisen ist nicht, dass die Mißbrauchstäter in Priesterhemd, Ordenskleid und Soutane ihren Opfern unendliches Leid zugefügt habe und dass ihre Taten nun auch in der Kirche verheerende Auswirkungen zeigen. 

Auch wenn ich den Vergleich nicht mag, es kommt mir aktuell so vor, als wird der Moment beschrieben, wo die Zwillingstürme nach dem Einschlag der Flugzeuge für kurze Zeit noch stehen. 

Die Verbrechen zu vertuschen, das war wie wenn man ein in seiner innersten Struktur schwer beschädigtes Gebäude mit etwas Putz und Farbe wieder schön macht. Über Jahrzehnte waren offenbar kirchliche Obere, Bischöfe, Kardinäle und sogar Päpste mit dem Farbeimer unterwegs, um die bröckelnden Bauten, ja die Gräber – um es biblisch zu sagen – zu übertünchen. 

So wird das nichts, mit dem Neuanfang! 

Dieser Satz schoss mir gestern nach dem kurzen Blick auf meine facebook-Timeline durch den Kopf. Wann liegt endlich alles auf dem Tisch?

Die Hoffnung, dass mit der Aufdeckung und Aufarbeitung des Skandals irgendwann einmal wieder Ruhe und Alltag in der Kirche einkehren könnte, dass wir langsam wieder eine Vertrauensbasis aufbauen könnten, dass man irgendwann wieder mit stiller Freude und Stolz in einer Runde sagen könnte: „Ja, ich stehe zur katholischen Kirche, das ist eine großartige Gemeinschaft.“, diese Hoffnung schwindet mehr und mehr dahin. Es kommt mir vor wie mit Corona, immer mehr wird uns bewusst, dass es – wenn überhaupt – lange dauern wird, bis so etwas wie Normalität wieder in unser gesellschaftliches und familiäres Leben einkehren kann.

Mit Blick auf den Missbrauchsskandal in der Kirche haben wir es offenbar mit einem vielschichtigen Phänomen zu tun, das viele Facetten kennt. Besonders schmerzhaft ist es, dass man das nicht „outsourcen“ kann, es gibt augenscheinlich nicht die an sich gute Kirche, aus der man eine Art „Krebsgeschwür“ mit Hilfe von Aufdeckung, Aufklärung und Prävention und Einschärfung strikter Regeln ausmerzen kann. Selbst traditionalistische Gemeinschaften, die sich selbst als reine Kirche sehen kennen Missbrauch in den eigenen Reihen.

Es ist auch nicht der „Rauch des Satans“, der aufgrund des immer lockereren gesellschaftlichen Umgangs mit der Sexualität in die Kirche eingedrungen ist. Dazu gibt es zu viele Beispiele von menschlich und geistlich scheinbar tadellosen, „heiligmäßigen“ Missbrauchstätern. Sie haben die fromme Fassade bewusst ausgebaut, um eine dunkle Seite ihrer Persönlichkeit sorgfältig zu verbergen. Teilweise sogar vor sich selbst. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Fassade nun „liberal“ oder gar „erzkonservativ“ angestrichen war. Selbst grausamste Missbraucher haben mit großartigen Predigten das Herz der Menschen berührt, moderne Priester haben junge Menschen für die Kirche begeistert, manchen gelang es, junge Katholiken für ein Lebensengagement in Kirche, Orden oder Priesteramt zu interessieren. Die Gründer neuer geistlicher Gemeinschaften konnten sogar den Hl. Vater selbst für ihre neuen Aufbrüche begeistern. Selbst wenn sie ihm morgens in einer privaten Audienz begegneten zerriss es sie offenbar nicht, am Abend schon eine junge Schwester oder einen Bruder in ihr Bett zu drängen und deren Verstörung mit frommen Floskeln zu vernebeln.

Solches Handeln zerstört die Struktur der Kirche bis ins Mark. Verantwortliche, die solches Handeln vertuschen, sorgen dafür, dass die Schäden nicht beseitigt werden, sondern inzwischen als irreparabel zu Tage treten. Verantwortliche, die sich nicht entschlossen an die Seite der Opfer stellen und ihr Leid zu lindern trachten sorgen dafür, dass selbst die Grundmauern unserer Kirche unwiederbringlich zerfallen. Der Eckstein bleibt allein an seinem Platz. 

Aktuell stellt der „Synodale Weg“ die Lebensform der Priester, den Zölibat und die Sexualmoral der Kirche auf den Prüfstand. Ausdrücklich wird immer wieder der Missbrauchsskandal und seine Aufarbeitung als Anlass für den „Synodalen Weg“ benannt. Die Verteidiger der „wahren Lehre“ bekämpfen ihn mit allen Mitteln, sprechen sogar vom „Missbrauch, der mit dem Missbrauch“ betrieben werde, um den Zölibat und die Sexualmoral der Kirche „auszuhebeln“. Die sei ja nicht schlecht, denn hätten sich alle Priester immer an das gehalten, was die Kirche vorschreibe, wäre es ja nie dazu gekommen.

Besonders der Zölibat ist umkämpft. Und der habe – so ist von verschiedener Seite zu hören – nichts mit dem Missbrauch zu tun. Da lohnt es sich, einmal die vier oben geschilderten Fälle anzusehen. Mindestens zwei davon erzählen von Priestern, die Priester missbrauchen. Dass Missbrauch von Kindern entsetzlich ist, darauf kann man sich leicht einigen. Aber wenn – wie aktuell in meinem Bistum – ein junger indischer Priester die Übergriffigkeit eines weithin geschätzten leitenden Pfarrers und Kreisdechanten beklagt, da fallen dann die Meinungen offenbar weniger eindeutig aus. Ähnliches liest man auch zum Fall des vatikanischen Prälaten, der heute in Eichstätt lebt und dem ähnliche Vorwürfe gemacht werden. Ein erwachsener Mann wird sich doch der Übergriffigkeit eines Vorgesetzten erwehren können? Ich frage mich, ob wir nach dem Skandal um Kindesmissbrauch jetzt eine innerklichliche #metoo – Debatte bekommen? Oder gar brauchen? Aus anderen Ländern klang sowas ja schon an, wenn Ordensfrauen Übergriffe durch Priester oder gar Bischöfe beklagen. Die übergriffigen Personen finden in der Regel leicht Unterstützer, die sie mit Zähnen und Klauen verteidigen. Und solche, die das alles nicht gut finden, aber sagen: „Er ist doch ein erwachsener Mann.“ Meist finden auch die Gerichte da wenig zu verurteilen, auch weil sie sich schwer tun, die feinen Mechanismen der Machtausübung in der Kirche zu verstehen. Wo im „normalen Leben“ die hübsche Sekretärin einigermaßen energisch die Übergriffigkeiten eines Vorgesetzten abwehrt dürfte es in der Kirche vermutlich weniger robust zugehen, wenn der leitende Pfarrer den eigenen Hintern tätschelt. 

In dem aktuellen Fall der beiden Priester aus Münster wissen wohl nur ganz wenige Personen, was da vorgefallen sein mag. Ich kann mir allerdings gut vorstellen, dass ein indischer Mitbruder in eine Art Schockstarre verfällt, wenn er eine Übergriffigkeit seines Vorgesetzten erlebt. Wer weiß schon wie harmlos es am Anfang erschien und welches Netz aus Schuldgefühlen, moralischen Überzeugungen und kulturellen Hürden  einen entschlossenen Widerstand unmöglich macht?

Stellen wir uns schlicht einmal vor, ein Priester neigt dazu, einer anderen Person eine Massage anzubieten. Ein Anderer nimmt (fast) jeden zur Begrüßung und zum Abschied in den Arm. Während einzelne das schätzen gewöhnen sich Andere langsam und widerstrebend daran und nehmen es hin, eher wenige erwehren sich. „Der ist halt so...“ „Und weil es der Pastor ist, kann es ja sich „soooo (sexuell) gemeint sein“. „Aber er kann so gut zuhören.“

Wie reflektiert ist der Umarmer und Massierer mit sich selbst? Wird ihm klar, dass Umarmen und Massieren auch seine persönliche Bedürftigkeit stillt, dass es auch ihm gut tut zu Umarmen und Massieren? Wo konkret ist die Grenze und wer sorgt dafür, dass diese eingehalten werden? Wie kann ein Bistum angemessen reagieren? Wie ist es überhaupt möglich, einen kirchenrechtlich sauber installierten, aber durch übergriffiges Verhalten auffälligen Pfarrer (ohne eine eindeutige Verurteilung) aus dem Pfarramt zu entfernen (möglichst bevor das Kind in den Brunnen fällt). Und das scheinbar Harmlose kann durchaus – in gewissen Situationen ins Gefährliche abgleiten. Und auch der Täter wird sich in seinem Inneren die Dinge schön reden und vielleicht auch selbst daran glauben.

Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass der Zölibat ohne Risiken in dieser Beziehung ist. Er muss ernsthaft auf den Prüfstand. Obwohl ich grundsätzlich ein Freund dieser Lebensform bleibe und nicht einmal seine Abschaffung für Weltpriester fordern würde. Wenn es uns aber nicht gelingt, die jungen Priester auf dem Weg ihrer Reifung und Formung so zu begleiten, dass sie ihren Zölibat so einhalten können, dass sie nicht im Verborgenen (oder gar offen) Menschen für ihre sexuellen Bedürfnisse „gebrauchen“, dann ist der Preis für dieses prophetische Zeichen zu hoch. Viel zu hoch. 

So naiv es ist, den Zölibat mit Zähnen und Klauen als Risikofaktor für Mißbrauch auszuschließen, so naiv ist es, die Priesterehe als Lösung für alle Probleme zu propagieren. 

Wir müssen in der Kirche über Sexualität reden. Und damit vielleicht damit beginnen, ohne gleich die fein austarierte Sexualmoral zu bemühen. Wenn wir uns in den freien, westlichen Gesellschaften die Bilanz der sexuellen Revolution anschauen, so ergibt sich ein buntes, vielgestaltiges Bild. Wer einmal mit älteren Menschen in der Gemeinde über die katholisch geprägte gelebte Moral der 30er – 50er Jahre gesprochen hat, wird allerdings nicht nur Niedergang entdecken. 

Einige Beobachtungen aus unserer Zeit: 

  • Selbst junge, katholische Frauen haben keine Bedenken, sich im Freundeskreis eine Auswahl an Sexspielzeug anzuschauen.
  • Selbst Priester und Diakone werden als Konsumenten von Kinderpornografie erwischt. Grauenhafte Netzwerke und Straftaten werden nur ab und an aufgedeckt. 
  • Priester besuchen Bordelle oder pflegen heimliche Partnerschaften.
  • Homosexuelle Paare werden auch in den Dörfern und Städten sichtbarer und selbstverständlicher.
  • Eltern und deren Kinder tun sich nach wie vor mit dem offenen Gespräch über Sexualität schwer. 
  • Zahlreiche Menschen haben keinen Sex, Singles aber auch Paare.
  • Es gibt frei im Internet verfügbar jede Form von Pornografie. Kinder und Jugendliche werden damit früh konfrontiert. 
  • One-Night-Stands sind fast normal, bei Tinder finden sich leicht Sexpartnerschaften. Es gibt noch weit eindeutigere Angebote im Internet.
  • Sexshops bieten die abstrusesten Sexspielzeuge und erzeugen damit eine neue, künstliche Normalität.
  • In einigen muslimischen Familien wird die „Jungfräulichkeit“ der Schwestern von Jungs verteidigt, die selbst jede Gelegenheit zum Sex nutzen. 
  • Sexszenen im öffentlichen Fernsehen werden immer expliziter, die Privatsender gehen hier voran. 
  • Prostitution changiert zwischen „Sugar Babe“ und brutalem Menschenhandel.
  • Eine „offene“ Partnerschaft wird normaler, Treue verliert an Wert, sich und dem Anderen sexuelle Abenteuer „gönnen“ wird als Wert deklariert. 
  • Beziehungen zwischen mehr als zwei Personen werden denkbarer. 
  • Jugendliche erleben immer früher „das erste Mal“. 
  • Sexualität wird nicht immer auf Augenhöhe ausgelebt. Es gibt Menschen, die genießen Macht- und Gewaltausübung. Bücher wie "50 Shades of Grey" werden Bestseller mit Millionenpublikum.

Mit der „Freiwilligkeit“ als Maßstab allein ist das so eine Sache, wenn inzwischen schon Kurse angeboten werden, die Männern bzw. Frauen über persönlich Grenzen hinweg "helfen" sollen und an anderer Stelle im Pornogeschäft junge Darstellerinnen zu immer härteren Praktiken gedrängt werden. Pornografie prägt die gelebte Sexualität junger Menschen weit mehr als christliche Sexualethik.

Mein Fazit: Die menschliche Sexualität ist extrem komplex und anfällig. Angesichts der Tatsache, dass immer weniger Menschen aufgrund ihrer Religiösität auch Maßstäbe für richtig und falsch oder eher richtig und eher falsch für ihre gelebte Sexualität entwickeln, bräuchte es auch gesellschaftlich eine breite und offene Debatte über die Vielgestaltigkeit der Sexualität. Da reicht es nicht, nur über Einzelthemen wie Pornografie, Sexualerziehung oder Prostitution zu reden. 

Mein früherer Seelsorgeamtsleiter, heute Generalvikar in Berlin, Pater Manfred Kollig SSCC fragte jüngst bei einem Treffen zum „Synodalen Weg“ in Berlin „für wen man denn die Sexualethik umformulieren wolle. Für alle Menschen? Für jene mit einer Gottesbeziehung? Oder Katholiken?“

Die Frage ist interessant. Ich bin davon überzeugt, dass im Kern der katholischen Sexualethik Werte stehen (sollten), die allen Menschen, unabhängig von der Tiefe ihrer Glaubensüberzeugungen bei der menschlichen Ausgestaltung ihrer persönlichen Sexualität helfen könnten. Aber wir müssen auch in der Lage sein, offen und tolerant selbst mit jenen im Gespräch zu sein, die unsere ethischen Überzeugungen auf den ersten Blick ablehnen. 

Was tragen wir als Kirche zu dieser Debatte bei? Es ist viel zu billig zu sagen, wenn sich alle an die katholische Sexualmoral halten würden, dann hätten wir keine Probleme. Wir müssen konstatieren, dass sich offenbar selbst Priester, Bischöfe und Kardinäle, die ja die „fleischgewordene Moral“ der Kirche darstellen müssten, nicht daran halten. Nein, das schlechte Beispiel macht die katholische Ethik ja nicht schlecht. Aber wir sollten schon darüber reden, warum unsere Moralverkündigung von rund 99 Prozent der Menschen und sogar von 95 Prozent der Katholiken konsequent überhört wird. (Die Zahlen sind symbolisch gemeint, aber sicher nicht unrealistisch.) Dass inzwischen in der normalen Feld-, Wald- und Wiesengemeinde kaum noch über Sexualmoral gepredigt wird, dass die deutschen Bischöfe einst die Königsteiner Erklärung abgegeben haben, das halte ich in der Tat nicht für die Ursache dieses Phänomens, allenfalls für einzelne Symptome.

Statt einem einzelnen Menschen im Detail zu erklären, warum er als Katholik kein Kondom anfassen soll, sollten wir ihm vermitteln können, welchen Schatz die gelebte Sexualität darstellt, welche Bedeutung die Fruchtbarkeit des Menschen in diesem Kontext hat. Wenn dann jemand mit guten Gründen (und seinem Gewissen gegenüber verantwortet) ein Kondom wegwirft, auf eine sexuelle Begegnung verzichtet oder ein Kondom verwendet, dann dürfen wir ab und an ein wenig stolz sein. Ich denke da eher so, wie es Antoine de Saint-Exupéry in einem berühmten Satz formuliert: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Erst dann käme der handwerkliche Unterricht, denn Schiffbau ist auch eine Kunst.

Die brennende Frage „Wie hilfreich ist die kath. Sexuallehre und die kath. Sexualmoral für die Ausprägung meiner persönlichen Sexualität und mein Sexualleben?" stellt sich nicht nur an den sog. Rändern der Kirche. Nein, sie brennt in ihrer Mitte, in ihrem Herzen. Und man kann leider nicht sagen, dass Lehre und Moral unschuldig geblieben sind mit Blick auf die Verbrechen, die die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert haben und offenbar nach wie vor täglich erschüttern. Auch darüber müssen wir reden. Dringend!

Ich hoffe, dass dies beim Synodalen Weg gelingt. 

Oder, dass es dort zumindest beginnt... 


Mehr Informationen

Zum römisch - eichstättischen Prälaten: 
https://www.die-tagespost.de/kirche-aktuell/aktuell/missbrauchsskandal-im-apostolischen-palast;art4874,211833?fbclid=IwAR29XzyzTtN8weDGAnTzpXP-_QLI39Q0aqEECOReZFyZLLzrixPYNFArNhw

Zur Petition für den indischen Priester:
https://www.st-peter-recklinghausen.de/cgi-bin/spart_.pl?usr=0#ID1599208597 

Rücktritt des erwählten Bischofs von Duluth:
https://www.katholisch.de/artikel/26798-missbrauchsvorwuerfe-ernannter-bischof-tritt-noch-vor-weihe-zurueck

Auflösung der Abtei Downside Abbey: 
https://www.kirche-und-leben.de/artikel/nach-missbrauchsskandal-moenche-schliessen-ihr-eigenes-kloster

Donnerstag, 23. Juli 2020

Auf! Aufbruch! Per Instruktion zur pastoralen Umkehr!

Kürzlich gab es für das älteste deutsche Bistum eine Vollbremsung im Prozess der Neuaufstellung der Pastoral. Ausgelöst wurde die von einen Brief aus Rom. Begleitet von Jubelrufen all jener, die sich Ähnliches auch für den Synodalen Weg erhoffen!

In einer aufwendigen Diözesansynode hatte man sich in Trier u.a. überlegt, wie man angesichts immer weiter sinkender Priesterzahlen noch eine geordnete Seelsorge sicher stellen kann. Das Ergebnis war (neben vielen anderen Plänen) dass die vielen (887 an der Zahl) kleinen Pfarreien im Moselbistum zu 35 Großpfarreien zusammen geführt werden sollten. Rein rechnerisch hätte sich dann ein leitender Pfarrer um 25 Kirchtürme (und meist noch viel mehr Dörfer) zu kümmern. Das ist schon eine Nummer und daher hatte man auch geplant, die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen und dem Pfarrer in Verwaltung und Seelsorge gut qualifizierte Mitarbeiter*innen zur Seite zu stellen. 

Damit waren jedoch viele Engagierte in den Pfarreien nicht einverstanden. Viele Laien vor Ort und auch nicht wenige Pfarrer wollten „ihren“ Kirchtum behalten und sahen ihre kirchliche Verortung in Gefahr. Sie protestierten vor dem Dom und beklagten sich brieflich beim kirchlichen „Weltgerichtshof“ im Vatikan. Die Folge war, dass Bischof Ackermann nun erst mal zurück rudern muss. 

Offenbar hatten sich einige Mitarbeiter der Kleruskongregation der Sache im Nachgang noch gründlicher angenommen und dachten nun, dass man sich grundsätzlicher zu der Frage äußern müsse, was denn nun in der ganzen Kirche zu gelten habe. Schließlich sind – bei allen Unterschieden im Detail – fast alle Bistümer auf ähnlichen Reformpfaden unterwegs.

Man bewegt sich dabei im Wesentlichen an zwei Leitplanken entlang: die Leitungsfunktion der Pfarrer soll nach wie vor gegeben sein, selbst wenn der Pfarrer sie konkret aufgrund der übergroßen Pfarreien kaum noch wahrnehmen kann. Daran haben neben der Kleruskongregation und den Bischöfen auch die Ordinariate und Generalvikariate ein großes Interesse im Sinne einer geordneten und strukturierten Verwaltung. Gleichzeitig sollten Laien und auch hauptamtlich tätige Personen in Verwaltung und Seelsorge angesichts ihrer hohen Qualifikation auch entsprechend eingesetzt werden und im notwendigen und sinnvollen Rahmen Leitungsaufgaben übernehmen. Mal geschieht dies ohne, aber inzwischen auch hier und da schon mit einem Verweis auf den schwierigen Canon 517,2 CIC.

Insgesamt spricht mich in der Instruktion manches an, so die hohen Hürden, die für die Aufhebung von Pfarreien gesetzt werden und für die Profanierung von Kirchen. Die Möglichkeit, Laien im Notfall für Gottesdienste, Beerdigung, Taufe und Trauung - auch Gemeindeleitung (selbst wenn es nicht so heißen darf) zu beauftragen, eine ausdrückliche Predigterlaubnis, Primat für die Weitergabe des Evangeliums, die Mission... Man fragt sich schon, ob in Zeiten, wo das CIC im Internet verfügbar ist, nicht ein Verweis aus die einschlägigen Canones gereicht hätte. Es gibt zwar einige interessante Aspekte einer Analyse der sich rasant wandelnden Welt und passende Zitate von Papst Franziskus. Aber sonst eigentlich keine Neuerungen. Unter dem Strich wird auch nichts Dramatisches gesagt. Die Autoren in Rom werden vermutlich über die Resonanz recht erstaunt sein.

In die nun veröffentlichte Instruktion hat man weitere Gedanken einfließen lassen, Dinge, die man für regelungswürdig hielt, wo es aber offenbar bisher keine Gelegenheit gab, sie unterzubringen. Da ist der Hinweis, dass es sich sich beim Messstipendium um eine freiwillige Gabe und nicht um eine Gebühr handele. Oder der eher skurrile Einschub, der Pfarrern ein Leben in seiner Herkunftsfamilie ermöglicht, soweit kein Pfarrhaus zur Verfügung steht. Ich habe dazu manche Reaktion von Pfarrern erlebt: Irgendwo zwischen amüsiertem Lachen und Fassungslosigkeit. Soll es ernsthaft eine Lösung sein, dass ein Pfarrer in sein geräumiges altes Kinderzimmer zieht und dann täglich von Mama und Papa aus über 50 km zur Arbeit in seine Großpfarrei aufbricht? Und dann wird das auch noch mit der geistlichen Begründung versehen, dies sei ja der Ort „der menschlichen Formung und der Berufungserfahrung“ und gewährleiste eine „ruhige und beständige häusliche Umgebung“. 

Ähnlich auch die Einschärfung: Laien könnten schon mit der Predigt beauftragt werden, aber nie und nimmer mit einer Homilie in der Eucharistie. (Das Problem, dass ein Laie in einer Eucharistiefeier predigt, wird ja sowieso mit jedem Jahr kleiner. Wenn denn schon mal der Pfarrer in den Ort kommt, dann sollte er auch predigen. Da bin ich ganz einverstanden. Ich weiß nur nicht, ob es eine gute Entwicklung ist, dass die Zahl unserer Eucharistiefeiern so deutlich zurück geht, auch wenn wir Laien damit die Möglichkeit zur Predigt bekommen.) 

Grundsätzlich stärkt das Papier all jenen den Rücken, die sich um die Zukunft ihrer Kirche sorgen. Die Hürden für einen Abriss einer Kirche werden nun deutlich höher gesetzt. Es stärkt auch all jene, die in den immer größeren Gemeinden kein Zukunftsmodell sehen. Oder darin eine Planung vom grünen Tisch vermuten. Und in der Tat darf man ja an die immer größeren Einheiten auch pastoral ein großes Fragezeichen setzen. Zumal, wenn dann quer über ein Bistum teils tausendjährige Pfarreien per bischöflichem Dekret aufgehoben und allein aus praktischen Erwägungen zu neuen Pfarreien fusioniert werden. Auch manchem Pfarrer wird ja Angst und Bange, wenn er gefragt wird, ob er ein pastorales Gebilde von der Größe (gemessen an den Mitgliedszahlen) des Bistums Görlitz übernehmen möchte. Von daher sehe ich die Instruktion auch positiv. 

Wenn wir als katholische Kirche schon eine ja durchaus bewährte und überlieferte Struktur haben, nämlich dass die Pfarrei von ihren Pfarrer inspiriert, zusammengehalten, begleitet, geführt, unterstützt wird. Dann sollten wir diese Struktur auch nicht allzu leichtfertig aufgeben. Ich arbeite sehr gern in einem überschaubaren Arbeitsfeld eng mit einem Pfarrer zusammen, der sich auf Leitung versteht. Mit dieser Hoffnung bin ich in den pastoralen Dienst gegangen. Pfarrersurrogat wollte ich als Pastoralreferent nie werden. Pfarrer auch nicht. 

Aber ich habe in den fast 30 Jahren meines Dienstes auch erfahren, dass die Vorstellung des Pater familias und der überschaubaren Pfarrfamilie nicht mehr tragfähig ist und dass zunehmend mehr Schafe keinen Hirten mehr haben. Reisen und Partnerschaften in Afrika und Lateinamerika haben mir vor Augen gestellt, dass es die Pfarrgemeinde (wo also Pfarre und Gemeinde als christliche Lebensgemeinschaft zusammen fällt) dort fast nie und nirgendwo gegeben hat. Wohl ist dort die Rolle des Pfarrers weit weniger angefragt als hierzulande. Und die Bedeutsamkeit des Priesters ist da nicht davon geprägt, ob er in allen Fragen der Pastoral und des Gemeindelebens „den Hut auf hat“. Nach wie vor würde ich gerne einmal konkret in einem solchen Papier ausformuliert haben, was unverzichtbar zu den Hirtenaufgaben eines leitenden Pfarrers gehört und was auch vertrauensvoll an Gemeindemitglieder delegiert werden kann. Und in welchem Rahmen ein Pfarrer die Möglichkeit hat, in Entscheidungsprozesse einzugreifen und Entscheidungen an sich zu ziehen. 

Natürlich ist es richtig, dass man jemanden, der nicht Priester ist, nicht zum Pfarrer erhebt. Aber jemand, der eine wichtige Funktion in der Gemeinde bekleidet braucht auch eine Funktions- und Berufsbezeichnung, die von Außenstehenden verstanden und richtig eingeordnet wird. Warum man daher ausdrücklich darauf setzt, alle Begriffe zu vermeiden, die sich nach Leitung anhören wie „Leitungsequipe, Leitungsteam“ erschließt sich nicht. Dass man jemanden nicht Kaplan nennt, der keiner ist – absolut einverstanden. Aber warum sollte jemand, der eine Gemeinde leitet ohne Pfarrer zu sein nicht Leiter der Gemeinde heißen? Dazu muss man doch nur die Rolle des Pfarrers klar beschreiben und fertig. Ich sehe da die Rolle des Pfarrers durch nichts beschnitten, wenn andere Personen sprechende Funktionsbeschreibungen haben. Wenn die Kongregation gewisse Begriffe vermeiden will, warum macht sie dann nicht einfach gute Vorschläge für solche Funktionsbeschreibungen. Beauftragter für …, Assistent, Koordinator... alles genauso schräg wie der Begriff Pastoralreferent, den man dann einstmals auch nur zähneknirschend durch gehen ließ, weil es irgendwie ein wenig nach Verantwortlichkeit klingt.

Ich frage mich seit Jahren: „Warum diese Angst?“ „Warum ist die Kirche nicht in der Lage, Verantwortung auch an jene zu übertragen, die keinem Bischof „Ehrfurcht und Gehorsam“ versprochen haben?

Interessant ist ja die Hierarchiefolge Pfarrer, Priester, Diakon, Gottgeweihte, Laie, die eigens eingeschärft wird. Übernimmt also demnächst der ehren-/nebenamtliche, betagte Diakon Aufgaben, für die ihm sowohl die Zeit als auch möglicherweise die Kräfte fehlen, während die hauptamtlich beschäftigten Pastoralreferenten (manchmal mit Doktortitel und Doppeldiplom) die Briefe an die Kommunionkinder eintüten, den Pfarrbrief tippen und die Kapelle ausfegen? Ich habe immer geglaubt, der Diakon bekleide ein Amt für die Armen und wegen der konstitutiven Bedeutung der Sorge für die Armen erhalte er eine Weihe. Hier riecht es nun doch wieder nach Pfarrer i.V. mit minderer Weihe. „Ein Diakon hat Vortritt vor Gottgeweihten und Laien.“ Ich dachte immer „Ihr aber seid einer in Christus“. 

Ich bin unbedingt dafür, das Amt des Pfarrers klar zu profilieren. Ich habe in keiner Weise den Wunsch, meinem Pfarrer etwas wegzunehmen oder ihn aus seiner Rolle zu verdrängen. Ich möchte ihm aber zur Seite stehen. In Deutschland erlebe ich eine hoch organisierte und bürokratisierte Kirche. Hier läuft alles sehr ordentlich und nach Recht, Gesetz, Verordnungen und Durchführungsbestimmungen. Alle Projekte werden vielfach geprüft und ordentlich bearbeitet und archiviert. Mal eben so – da geht wenig. Höchstens noch Katechese und Verkündigung und pastorale Projekte. Allein schon die Mitverantwortung in der Führung zahlreicher Kindergärten oder eines großen Krankenhauses fordert einen Pfarrer über alle Maßen. Ich werde nie vergessen, wie ein befreundeter Kaplan in seiner ersten Pfarrstelle als Chef von 2.500 Mitarbeiter*innen im Krankenhaus begrüßt wurde. Gleichzeitig hatte der Nachbarpfarrer noch eine Pfarre mit 2.500 Gemeindemitgliedern, was ihn voll auslastete. Langeweile kommt doch in der Seelsorge nie auf, wenn man nur die pastoralen Herausforderungen wahrnimmt und sich an die Arbeit macht. 

Dadurch, dass ein Pfarrer heute den Stallgeruch seiner Schäfchen und oft auch ihre Gesichter und Namen nicht mehr kennen kann, sinkt auch die Identifkation mit der Pfarrei und die Bereitschaft, sich hierfür in die Seile zu hängen. Zumal bei jenen, wo der berufliche Druck steigt. Und die man ob ihrer Qualifikation in der Gemeindearbeit sehr gut gebrauchen könnte. Aber wer beruflich gewohnt ist, Verantwortung zu tragen - warum sollte der in der Pfarrei Aufgaben übernehmen, wo er an ganz kurzer Leine geführtes, ausführendes Organ ist? Er möchte nicht nur als Notnagel gesehen werden, der beiseite tritt, sobald irgendwer das wünscht. Das ist einfach auch eine Frage der Wertschätzung. Und Wertschätzung für das vielfältigen Engagement der Laien gerade der vielen Frauen, ohne das es keine Kirche gäbe – das vermisse ich in dieser Instruktion.

Was mir an der ganzen Instruktion (die viele schöne Worte verwendet) weiter schmerzlich fehlt ist eine Antwort auf die Frage, was denn dort ist, wo in einer katholischen Pfarrei kein Pfarrer mehr eingesetzt werden kann. Wo z.B. der § 517,2 CIC dauerhaft zum Tragen kommen muss. Das ist doch in weiten Regionen der katholischen Welt schon lange der Fall. Seit Jahren, ja Jahrzehnten kümmern sich hier die Katechisten um die Dörfer, trauen, taufen, beerdigen, halten Gottesdienste und Katechesen. 

Warum spielt man nicht mal konkret durch, wie Gemeindeleitung (nicht Pfarreileitung) durch Katechisten geht? Der Begriff Katechist taucht im Papier nirgends auf, obwohl unglaublich viele Dorfgemeinden in Afrika, Asien, Lateinamerika von Katechisten (ich zähle uns Pastoralreferenten hierzu) "geleitet" werden.

 Ich stelle einmal die These auf, nicht weil die Laien in die Macht- und Leitungspositionen drängen, sondern weil es bis heute keine vernünftige Vorgabe des Mit- und Zueinanders von Priestern und Katechisten aus Rom gibt, haben wir überhaupt erst die verkorksten Leitungsmodelle in manchen Bistümern. Denn dort wollte man gerade den gegebenen Rahmen einhalten, gleichzeitig die Kompetenz der studierten Laien für die Gemeindeleitung nutzbar machen und den Pfarrer von allzu viel Verantwortung in der Leitung frei stellen. Dann hätten die Laien „Leitplanken“ für ihr Engagement ohne allzu häufig in Situationen zu geraten, wo das Fehlen eines von einem Pfarrer ausgeübten Hirtenamtes schmerzlich empfunden wird. Und wo man als Laie ab und an reagieren muss, um als Kirche glaubwürdig zu bleiben. 

Das Papier fordert in den anregenden ersten Zeilen Aufmerksamkeit für tiefgehenden den Wandel der Welt – gibt allerdings wenige Antworten auf die Schwierigkeiten der Kirche und ihrer Pfarreien auf diesen Wandel adäquate Antworten zu geben. 

Papst Franziskus wird mit dem klaren Wort zitiert, dass alles kirchliche Engagement: „mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung“ dienen soll. Welche Konsequenz ist heraus zu ziehen?

Und weiter: „ein festgelegter und unveränderbarer Kontext“ entspreche „immer weniger dem Leben der Menschen...“ Andererseits (?) habe „die digitale Kultur in unumkehrbarer Weise das Raumverständnis, die Sprache und das Verhalten der Menschen … verändert.“ Es sei daher „dringend notwendig, das ganze Volk Gottes in das Bemühen einzubeziehen....“

Bezeichnend ist eine Wendung: „Diese Aufgabe ist keine Last, die zu ertragen ist, sondern eine Herausforderung, die es mit Enthusiasmus anzupacken gilt.“ Offenbar ist selbst den Autoren im Vatikan nicht entgangen, dass die Situation der Kirche in Europa eher im ersten Teil des Satzes repräsentiert ist. „Last, Erschöpfung, Frustration...“ Wie der Turn around zum 2. Teil des Satzes geschehen soll verraten Sie jedoch nicht. 

Ganz bemerkenswert finde ich den Verweis auf die Wallfahrtsorte und die Gastfreundschaft, die diese dem Pilger bieten. Die Autoren ziehen von hier aus Parallelen zum Leben der Pfarrei. Das ist ein richtig guter Ansatz, dass sie bei uns einer „gastfreundlichen Kirche“ begegnen, die nicht nach Vorleistungen fragt. 

Das Papier will, so heißt es eingangs, Einladung an die Pfarrgemeinden sein: „sich zu öffnen und Instrumente für eine auch strukturelle Reform anzubieten, die sich an einem neuen Gemeinschaftsstil, an einem neuen Stil der Zusammenarbeit, der Begegnung, der Nähe, der Barmherzigkeit und der Sorge für die Verkündigung des Evangeliums orientiert“. Leider werden die Instrumente im Text dann nicht ausgeführt, statt dessen wird Altbewährtes und Bekanntes wiederholt. 

Es reicht nicht mehr aus, Aufbruch zu fordern ohne konkrete, lebbare und praktikable Wege zu zeigen, wie der dann auch beginnen könnte.

Die Frage, die viele in der Mitte wie auch an den Rändern der Kirche bewegt, ist doch, wie Kirche mit immer weniger Priestern weiterhin lebendig und erreichbar sein kann. Warum dann keine konkreten Hinweise, welche Aufgaben der Pfarrer delegieren kann und in welcher Weise ihn in den Dorf- und Stadtteilgemeinden Menschen entlasten können, die ihrerseits für Christus und seine Kirche brennen. Ohne dabei „Gottgeweihte“ in einer Weise zu sein, die über Taufe und Firmung hinausgeht. Warum keine Hinweise, wie sich das Hirtenamt des Pfarrers wandeln müßte... ?

Es wäre einfach hilfreich, wenn die Kleruskongregation definiert, was genau zum dreifachen Amt des Priesters, was zu seinem Leitungsamt unaufgebbar dazu gehört. Und was unter besonderen Umständen auch in bewährte Hände abgegeben werden könnte. Ruhig mit konkreten Beispielen. Solange das nicht geschieht, wird in allen Fragen von Leitung, Macht, Amt jemand zucken und STOP rufen. 

Gut, der Grund wird darin liegen, dass die Verfasser in der Kongregation für den Klerus arbeiten und daher vor allem die Priester, Diakone und Bischöfe im Blick haben. Daher wäre es mir ein Anliegen, dass umgehend ein Papier „Christifideles laici 2“ in der Verantwortung des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben folgt. Ein inspirierender, begeisternder Text, der wirklich Lust auf ein von Geist und Glaubensfreude getragenes Engagement für die Kirche, für den Glauben und die Verkündigung der frohen Botschaft macht. Kardinal Farell, übernehmen Sie!

Unsäglich ist, dass aktuell in Deutschland weite seelsorgliche Felder von Priestern unversorgt sind, weil es entweder zu wenige gibt, oder weil ihre Kräfte durch die Administration und die Erwartungen der Ordinariate an die Qualität der pfarrlichen Leitung und Organisation gebunden werden. So kumuliert sich ein manchmal unüberschaubarer Wust an Aufgaben beim Pfarrer. Kein Wunder, dass mancher „leitende“ Pfarrer diesen Beruf sehr gern gegen den eines Priesters in der Seelsorge eintauscht. Ein Pfarrer dürfe ja auch nach Vollendung des 75. Lebensjahrs noch Pfarrer bleiben. Ich wäre gern dabei, wenn der Bischof diese frohe Nachricht zu Beginn einer Tagung der leitenden Pfarrer verkündet. Es ist für mich kein Wunder, dass mancher Interessent für den kirchlichen Dienst angesichts dessen, was er als einfaches Kirchenmitglied mit nicht wenigen Pfarrern erlebt, mit ihrer einsamen Chef-Position, mit ihrer Überlastung, mit ihrer Ehelosigkeit, ihrer Lebensweise, mit einer sehr speziellen Kirchen-Kultur und Sprache... kein Wunder, dass mancher diesen Weg für sich selbst als nicht begehbar abhakt. Und ich glaube nicht, dass dies notwendig zur Prüfung der Echtheit einer Berufung gehört. 

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass wir in der Kirche selbst mindestens so sehr dafür sorgen, dass der Weg der besonderen Nachfolge weniger begangen wird, wie dies der Wandel der Welt tut. Und dass die Krise des Priestertums möglicherweise nicht darin begründet liegt, dass die Laien der Kirche ihre Unterstützung und ihre Mitarbeit anbieten.

Montag, 20. Juli 2020

Der Hl. Bruno – ein fast vergessener Sohn des hilligen Köln?

Neben dem Hl. Benedikt, dem Hl. Bernhard, dem Hl. Franziskus und dem Hl. Dominikus (um mal nur die Männer aufzuzählen) dürfte der Hl. Bruno (1031 – 1101) wohl einer der bedeutendsten Ordensgründer der katholischen Kirche sein. 


In ganz Europa gab es die sehr besonderen Kartäuserklöster, bis zur Reformation und auch darüber hinaus wurden zahlreiche Kartausen eröffnet. Der Orden erlebte eine dynamische Erfolgsgeschichte. Und während die Klosterdisziplin und die Befolgung der Ordensregeln in anderen Klöstern immer wieder zusammenbrach, so wird dies von den Kartäusern nur selten berichtet. Bei Bruno handelt es sich also um eine wirklich herausragende Gestalt der Kirchengeschichte. 

Ich schreibe das in dieser Weise, weil Bruno (was wohl viele nicht wissen) ein Kölner ist. Daher wäre es ja eigentlich zu erwarten, dass Köln ihn ehrt, so wie das Nursia mit Benedikt tut und Assisi mit dem Hl. Franziskus. Aber trotz aller Bemühungen konnte ich in Köln keine einzige Pfarrei mit seinem Patrozinium entdecken. Und auch im ganzen Erzbistum findet sich eine einzige St. Bruno-Kirche und das ausgerechnet in Düsseldorf. Ihr Patrozinium verdankt die 1964 erbaute Kirche hier wohl dem nahe gelegenen Kartäuserkloster, das aber just im Baujahr der heutigen Kirche aufgegeben wurde. Die Kartäusermönche zogen ins stille Allgäu.  

Ob es auch hier so ist, dass der Prophet im eigenen Land nichts zählt? 

Es mag vielfältige Gründe geben, warum die Verehrung des Hl. Brunos im Erzbistum Köln und überhaupt in ganz Europa außerhalb seines Ordens kaum Spuren hinterlassen hat. In der Stadt Köln lag das sicher auch an der Bedeutung des Domes und der Reliquien der Hl. Drei Könige. Die prägen die Kölsche Frömmigkeit, das Stadtbild, die Kunst über alle Maßen. Ein weiterer Grund wird darin liegen, dass Bruno zunächst nur im Orden selbst verehrt wurde. Erst die Wiederentdeckung seines Grabes im Jahre 1502 brachte einen gewissen Wandel. Bruno wurde nie formell heiliggesprochen, die Verehrung wurde dann 1514 von Papst Leo X. für den Orden und 1622 von Papst Gregor XV. für die ganze Kirche anerkannt. Also weit über ein halbes Jahrtausend nach seinem Tod. Das ist auch der Grund, dass es nur ganz wenige ältere Darstellungen Brunos gibt. So gehört ein im Kölnischen Stadtmuseum aufbewahrter Holzschnitt von 1520 zu den ältesten und stilprägenden Darstellungen  des Heiligen. 

Trotz vieler historischer Gründe wäre es sicher wünschenswert, wenn Köln oder wenn die Kirche in Deutschland ihren großen Sohn wieder für sich entdeckte. Man könnte spirituell hiervon sicher profitieren aufgrund des geistlichen Erbes des Kartäuserordens, in der Entdeckung der Stille und des Schweigens, für die rechte Balance zwischen Gemeinschaft und Einsamkeit, die geistlichen Schriften, z.B. des Dionysius Carthusianus, die Schlichtheit und Einfachheit des Lebens, der Treue zu  Gott, zu den eigenen Überzeugungen und eines eigenständigen Lebenswegs. Dem von Bruno gegründeten Orden verdanken wir die Überlieferung der Schriften der Devotio moderna; der mittelalterlichen Mystik, das Rosenkranzgebet und manches mehr. In vielen Städten erinnern Flur und Straßennamen an das Wirken des Ordens und an Niederlassungen der Kartäuser.  

So lade ich Sie, lieber Leser jetzt zu einer kleinen Wallfahrt auf den Spuren Brunos ein. 

Wenn wir dazu nach Köln kommen, dann kann diese Wallfahrt im Grunde auch nur im Dom beginnen. Man muss ein wenig suchen, um Brunos Spuren im Dom zu entdecken. Aber es gibt sie. So z.B. findet sich direkt unter dem Richterfenster eine Reihe von lebensgroßen Figuren. Meist überstrahlt vom Licht des berühmten Fensters sind sie nur schwer erkennbar. Die großen Figuren hat 1870 der Künstler Peter Fuchs geschaffen. Bruno steht dort in einer Reihe mit weiteren Ordensgründern. Von links nach rechts handelt es sich um folgende Heilige: Benedikt, Dominikus, Franziskus, Bruno von Köln, Ignatius von Loyola und Theresia. Über ihnen stehen Engelfiguren mit Schriftbändern, deren Worte sich auf die darunter dargestellten Heiligen beziehen. Das Schriftband des Engels über Bruno trägt den Begriff BONITAS (Güte) - entsprechend des von ihm überlieferten Gebetes "O Bonitas!". Bruno trägt einen großen Stern auf der Brust (in Erinnerung an eine Vision des Bischofs Hugo von Grenoble, der diesen zum Patron der Klostergründung Brunos werden ließ und heute auch das Ordenswappen prägt) und ist aufgrund seines typischen Ordensgewand ist leicht als Kartäuser zu erkennen. Den Dom selbst hat Bruno natürlich nie betreten, da mit seinem Bau erst 1248 begonnen wurde. 

Ein weiteres Mal hat den Hl. Bruno ausgerechnet ein Bayrischer König zurück in den Dom seiner Heimatstadt getragen. Das letzte Fenster im Hauptschiff, bevor das südliche Querhaus des Domes beginnt (wo die Bruno-Figur hängt) ist nur zur Hälfte ausgeführt. Gestiftet wurde es 1848 von König Ludwig I.. Hier entdecken wir ein eher kleines Brustbild des Ordensgründers.









Interessant ist für den Kartäuserfreund auch dieses Fenster: 

Es zeigt einen Mönch im Gewand der Kartäuser. Auch das Kreuz und der Stern auf der Brust scheinen auf Bruno zu verweisen. Aber es steht eindeutig darunter: "Bernhard von Clairvaux". Freundlicherweise hat die Dombauhütte (Frau Dr. Ulrike Brinkmann, Leiterin der Glasmalereiwerkstatt) mir auf meine Nachfrage ausführlich geantwortet: "Sie haben Recht: Die Figur des hl. Bernhard ist im Habit eines Kartäusermönches dargestellt. Dass Bernhard gemeint ist, ist allerdings sicher. Das Bildprogramm – abgestimmt mit dem damaligen Domkapitel – sollte im Mittelbild das Apostelkonzil zu Jerusalem zeigen und darunter herausragende Gestalten der vier großen Mönchsorden: Papst Leo IV. (Benediktiner), Bernhard von Clairvaux (Zisterzienser), Thomas v. Aquin (Dominikaner), und Johannes Fidanza, Ordensname Bonaventura (Franziskaner). Das „Petrusfenster“ oder “Apostelkonzil-Fenster“ ist eine Stiftung der Rheinischen Eisenbahngesellschaft und wurde 1876 im Dom eingesetzt. Den künstlerischen Entwurf und dessen Umsetzung auf Glas besorgten Mitarbeiter der königlichen Glasmalereianstalt in München. Mit dem ordensspezifischem Habit der Zisterzienser hat man es sichtlich nicht so genau genommen, vielleicht störte man sich auch an deren schwarzem Skapulier – eine „Unfarbe“ für Glasmaler. Offenbar hat das aber niemanden gestört, im entsprechenden Schriftverkehr im Archiv der Dombauverwaltung ist jedenfalls nichts zu finden. Dreißig Jahre zuvor hatte die königliche Glasmalereianstalt in München die fünf Fenster im südlichen Seitenschiff angefertigt (die sogenannten „Bayernfenster“), darunter das Johannesfenster, in dem, wie Sie selber bemerkten, ein Brustbild von Bruno dem Kartäuser zu sehen ist. Hier hat alles seine ikonografische Richtigkeit.
Nochmal zur Darstellung des hl. Bernhard im Petrusfenster: Der goldene Stern auf seiner Brust soll die Wirkung widerspiegeln, die der Anblick des Kruzifixus in Bernhard auslöste - eine Anspielung auf sein mystisches Kreuzerlebnis."

Nachdem uns die Gestalt des Heiligen nun in der Mutterkirche des Erzbistums Köln schon begegnet ist, verlassen wir die Kirche und gehen hinunter zum Rhein, der Lebensader dieser bedeutenden europäischen Stadt. Wir unterqueren am Rheinufer die Hohenzollernbrücke und erreichen nach einigen hundert Metern die romanische Kirche St. Kunibert. In ihrer heutigen Gestalt wurde sie erst vor wenigen Jahrzehnten wieder vollendet. In der in die Kirche integrierten Schatzkammer kann man ein kleines Reliquiar des Hl. Bruno entdecken. Es steht zwischen weiteren wertvollen Reliquiaren, eher unscheinbar auf einem Fuß aus Alabaster. Es erinnert daran, dass Bruno in den 30er Jahren des 11. Jahrhunderts in Köln geboren wurde, wie eine spätere Überlieferung sagt als Sohn einer bekannten Familie namens Hardefust. 

Bruno ging an St. Kunibert zu Schule und wechselte dann zu weiteren Studien nach Reims, damals das bedeutendste religiöse Zentrum Frankreichs. Später wurde Bruno auch Kanoniker an St. Kunibert, ohne hierfür dauerhaft in die Heimat zurückzukehren. Er begründete die Kartause bei Grenoble, heute das Mutterkloster aller Kartäuser und wurde dann von seinem ehemaligen Schüler, Papst Urban II. nach Rom gerufen. Das ihm angetragene Amt eines Bischofs lehnte Bruno ab, lieber gründete er ein weiteres Kloster in Kalabrien, wo er schließlich starb. Als im Rahmen der Säkularisation das Kartäuserkloster in Köln aufgehoben wurde, kam einer der übrig gebliebenen Mönche als Geistlicher nach St. Kunibert. Er, Pater Engelbert Marx vermachte das Reliquiar nach seinem Tod 1837 dieser Kirche. Leider konnte ich in St. Kunibert keine weitere Erinnerung an den Heiligen entdecken. 





Eine weitere Darstellung des heiligen Bruno findet sich am Rathausturm des Kölner Rathauses. Nach Kriegszerstörungen wurde das Bildprogramm neu entwickelt. In der oberen Etage finden sich in chronologischer Reihenfolge die „Schutzheiligen“ der Stadt, beginnend mit den Drei Heiligen Königen. Seite an Seite mit seinem Zeitgenossen dem Hl. Bischof Anno II. blickt die 1990 geschaffene Figur des Hl. Bruno auf der Westseite des Turms in Richtung Innenstadt und hat den Rhein und den Altermarkt „im Rücken“. Auf der Figur ist das Wappen der Kartäuser zu erkennen. Die Weltkugel, die vom Kreuz überragt wird und die 7 Sterne aus der Vision des Hl. Bischofs Hugo von Grenoble. Stat crux dum volvitur orbis („das Kreuz steht fest, während [solange] der Erdball [die Welt] sich weiterdreht“, so lautet der entsprechende Wahlspruch des Kartäuserordens.






Anfang Februar 1335 kamen sieben (!) Kartäuser aus Mainz nach Köln, um hier eine Kartause zu gründen. Auf dem gestifteten Gelände für das geplante Kloster bestand eine alte Kapelle, die der Hl. Barbara geweiht war. Diese Kapelle übernahmen die Mönche zunächst, sie gabe auch der Kartause bis zu ihrer Auflösung den Namen. Das Klostergelände lag unmittelbar hinter der Stadtmauer in entwickelte sich prächtig. Als Prioren des Klosters im Heimatort des Ordensgründers wuchs diesen ein beträchtliches Selbstbewusstsein zu. Nach und nach entstand die Klosterkirche, die kleinen Einsiedler-Häuschen der Mönche an einem großen Kreuzgang, ein kleiner Kreuzgang, der die Kirche mit den anderen Gebäuden des Klosters und dem Haus der Brüder verband. Und auch eine lange Klostermauer, die in großen Teilen bis heute erhalten ist. 1451 verbrannte die komplette berühmte Bibliothek mit kaum ersetzbaren Büchern, das Herz des Klosters. Die Mönche setzten alles daran, sie wieder aufzubauen und betrieben sogar eine frühe Druckerpresse im Kloster. Die Säkularisation setzte dem Kloster ein Ende, die Mönche mussten das Kloster aufgeben, 1802 wurde es – wie viele andere Klöster aufgehoben. Einem der damals aus dem Kloster vertriebenen Mönche Franz Karl Gereon Marie Farina verdankt die Stadt Köln das Rezept für das „Kölnisch Wasser / 4711“. Zunächst wurde das aber als Heilmittel vertrieben, erst ein französisches Gesetz, das die Offenlegung von „Geheimrezepten“ verlangte sorgte für eine Wandlung zum „Duftwasser“. 

In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts übertrug man die zwischenzeitlich militärisch genutzten Gebäude und große Teile des Geländes einschließlich der Klosterkirche der ev. Stadtgemeinde Kölns. Die sorgte für eine Renovierung der noch bestehenden Gebäude, die dann allerdings im 2. Weltkrieg erhebliche Schäden erlitten. So ist es bemerkenswert und auch dem Engagement der evangelischen Mitchristen zu verdanken, dass heute noch nennenswerte Teile der Klosteranlage vorhanden sind. So die Klostermauer und in ihr drei von vier Andachtsbildern, die Klosterkirche mit der Marien- und Engelkapelle und der ehemaligen Sakristei, Teile des kleinen Kreuzgangs, ein kleiner Teil des großen Kreuzgangs, das Kapitelhaus, das ehemalige Küchenhaus und auch das große Brüdergebäude, das heute der ev. Kirchenkreis nutzt. Auf diese Weise kann man sich noch heute einen gewissen Überblick über die Klosteranlage verschaffen. Ein Besuch lohnt unbedingt. Ebenso die Lektüre des in der Kartäuserkirche angebotenen Ausstellungskatalogs „Die Kölner Kartause um 1500“, der an eine umfassende Ausstellung von 1991 erinnert. Das damals ausgestellte Klostermodell steht noch in einer Seitenkapelle. 
























Es war ein Lebenstrauma der verbliebenen Kartäuser, die am 23. Oktober 1794 die Weisung bekamen, ihr Kloster binnen 24 Stunden zu räumen. Sie konnten gerade wenig mehr als ihr Archiv und einige Teile des Kirchenschatzes in Sicherheit bringen, als sie miterleben mußten, dass Kölner Bürger das Kloster gerade plünderten und mitnahmen, was ihnen verwendbar erschien. Vieles wurde dabei zerstört. Ein Teil der Bücher und Kunstwerke (Bilder, Altäre, Fenster) kam in andere Kirchen und Klöster. Im Ausstellungskatalog von 1991 sind viele dieser Werke verzeichnet. So wäre ein Besuch des Museums Wallraf unweit des Kölner Rathauses sicher auch eine gute Station dieses Pilgerweges. Einige der dort überlieferten Bilder zeigen auch den Hl. Bruno selbst und andere Heilige des Ordens, wie den hl. Hugo von Lincoln. Im Museum Schnütgen werden weitere Erinnerungen an die Kartäuser bewahrt, wie z.B. dieser Chormantel. In St. Mauritius befindet sich ein Reliquiar mit der Darstellung des Hl. Bruno bzw. eines Kartäusers.


In die Kölner Kirche St. Severin, die nicht weit vom Kloster entfernt liegt, brachte man einen Zyklus von Bildern aus dem Leben des Hl. Bruno. Diese Bilder (ca. 162 x 153 cm groß) malte Peter Joseph Schmitz 1753 nach dem Vorbild der im 17. Jahrhundert für die Pariser Kartause gemalten 22 Bilder des Lebens des Heiligen. Als Vorlage nutzte er damals verbreitete Kupferstiche aus dem Jahr 1680, die aber seitenverkehrt waren, so dass auch die Bilder nun seitenverkehrt sind. Aus den Szenen wählte er folgende Motive aus: 


1. Die Legendes des Raymond Diocrès. Bei dessen Beerdigung soll Bruno anwesend gewesen sein. Der geschätzte und tote Theologe soll sich während der Trauerfeier viermal aufgerichtet und damit seine verborgenen Sünden eingestanden haben. 
2. Bruno lehrt in Reims (und kniet betend vor einem Altar)
3. Bruno zieht mit 6 Gefährten in die Einsamkeit, Engel weisen ihnen den Weg
4. Erzbischof Hugo von Grenoble begrüßt die sieben und führt sie in das Tal der Chartreuse (wovon der Orden bis heute seinen Namen herleitet)
5. Einkleidung Brunos
6. Bruno trifft seinen ehemaligen Schüler Papst Urban II.
7. Bruno lehnt das ihm angebotene Erzbistum ab. 
8. Brunos Tod.









Von daher bietet es sich an, bei einer Wallfahrt auf Brunos Spuren in Köln nach einem Besuch der Reste der Kartause hier in St. Severin den Pilgerweg vor dem 8. Bild des Todes des Hl. Bruno zu beschließen. 




Ich glaube, es ist nicht übertrieben im Blick auf das Leben des Hl. Brunos und die Bedeutung des von ihm gegründeten Ordens, diesen Mann für einen der bedeutendsten geistlichen Söhne der Stadt zu halten. Gibt es noch einen anderen Kölner, der durch sein Wirken die letzten 1.000 Jahre der Geschichte der katholischen Kirche wesentlicher beeinflusst hat? Vielleicht fällt ihnen ja noch jemand ein. Mit dieser Frage möchte ich aber keineswegs die Bedeutung irgendeines anderen heiligmäßigen Menschen schmälern, zumal in Köln ja zu Recht an das Wirken des Hl. Thomas von Aquin, an den Hl. Albertus Magnus, an den Hl. Johannes Duns Scotus, an Adolf Kolping, viele bedeutende und hl. Bischöfe aber auch an die Hl. Ursula und ihre Gefährtinnen, die Hl. Edith Stein und viele andere heilige Frauen erinnert wird. 

Aber es wäre doch schön, wenn sich Köln wenigstens ab und an mit Stolz und Glaubensfreude an den große Sohn der Stadt erinnerte und ihn aus dem Schatten vieler anderer Persönlichkeiten etwas mehr ins Licht stellte. Auch und gerade in der heutigen, schwierigen Zeit der Kirche.

Hl. Bruno - bitte für uns!
Hl. Guigo de Castel - bitte für uns!
Hl. Hugo von Lincoln - bitte für uns!
Hl. Hugo von Grenoble - bitte für uns!
Hl. Märtyrer des Kartäuserordens - bittet für uns!

Die Kartäuser selbst streben keine Heiligsprechungen ihrer Mitbrüder an. Die Initiative zur Heiligsprechung der obigen Ordensheiligen ging von anderen Personen aus. 

P.S.: Übrigens, auch außerhalb Kölns sind St. Bruno – Kirchen und Kapellen weit seltener als die baulichen Reste von Klöstern der Kartäuser. So ist die Kirche des Dorfes Lünten, das zu meiner Heimatstadt Vreden gehört, dem Gründer der Kartäuser geweiht. Der Wahlspruch der Kartäuser ziert den Kirchturm der Marienkirche in Dinslaken-Lohberg. Gerne können Sie mir noch weitere Hinweise geben. Im Bistum Münster bestanden Kartausen in Dülmen – Weddern und in Wesel, später in Xanten. Insgesamt wurden im Laufe eines knappen Jahrtausends etwa 275 Kartausen gegründet, heute sind davon noch 21 Kartausen vorhanden, davon vier für Frauen und 17 für Männer geblieben. Nach der Aufhebung aller 18 deutschen Kartausen wurde nach der Säkularisation eine neue Kartause in Düsseldorf-Unterrath gebaut, die aber 1964 aufgrund der Erweiterung des dortigen Flughafens geschlossen und nach Seibranz ins Allgäu verlegt wurde.