Montag, 8. Dezember 2014

Mein Beitrag zur Plaßmann - Challenge: Was macht man so - als Christ?

An Thomas Plaßmann gefällt mir sehr, dass er – beiläufig und ganz “normal” – auch christliche Alltagsthemen mit spitzer Feder aufspießt. Da kriegt jede(r) sein Fett weg, ob es der Papst ist oder einer wie ich als “normaler” Christ. Aber es ist nie unfair und gemein!

Die Karikatur zur Plaßmann – Challenge kannte ich schon, und ich kenne auch solche Gesprächssituationen. Eine erste Antwort fällt mir dann leicht, denn viele wissen: “Der ist Pastoralreferent.” Ich habe ja mein Christentum, den Ruf Jesu zum Beruf gemacht. Wobei ich Beruf jetzt nicht so sehr im Sinne von Broterwerb verstehe, sondern im Sinne von Berufung. Als etwas älterer Jugendlicher habe ich mich sehr ernsthaft mit diesem Ruf Jesu auseinandergesetzt und wollte schon in ein Kloster eintreten. Taizé hat mich damals fasziniert, aber auch die Franziskaner, später eher ein kontemplativer Orden. Aber meine Vorstellungen vom Ordensleben waren damals noch zu idealistisch, so ist es am Ende “nur” Pastoralreferent geworden… und später Ehemann und Vater von vier Kindern.

Die Situation, die Plassman anspitzt, kenne ich trotzdem. Meist wissen die Leute ja um meinen Beruf, und das macht es einfacher, über religiöse Themen zu sprechen. Manche nutzen auch die Gelegenheit, gezielt den Glauben zum Thema zu machen, andere meinen: “Du musst ja so reden, als “Kirchenmann”. Die Frage, was man da so macht, könnte ich dann leicht mit einem Verweis auf meine beruflichen Tätigkeiten beantworten. Menschen besuchen, Beerdigungen, Erstkommunionkatechese, Familiengottesdienste, Schokonikolausaktion, Firmkatechese, Kinder- und Jugendarbeit, Planung einer Freizeit auf Ameland u.v.m…

Aber ich denke, die Frage aus der Karikatur zielt eher aufs “Eingemachte” und nicht aufs “Offensichtliche”. Was mache ich als Christ?
Zunächst einmal “Beten”. Mir ist es wichtig, sonntags aber auch wochentags zur Kirche zu gehen, mit anderen Christen Eucharistie zu feiern. Genauso bedeutsam ist für mich aber das regelmäßige Gebet. Es fällt bei mir meist kurz aus, ab und an bete ich zwar auch das Stundengebet, den Rosenkranz, das Herzensgebet; meist aber nehme ich mein Leben ins Gebet und die Menschen, deren Anliegen und Sorgen mich anrühren. Die können ganz in der Nähe sein, aber auch weit weg, z.B. in Uganda, wo ein Freund von mir als Priester tätig ist. Oder ich bete für die Menschen, die unter dem Terror der IS-Milizen grausam leiden, für den Menschen, der bei Facebook um ein Gebet bittet, oder jemanden, dessen Schicksal mir eine Zeitung nahe brachte.

“Wer glaubt, ist nie allein”, das ist, so erinnere ich mich, ein Wort von Papst Benedikt XVI. So erfahre ich es auch im alltäglichen Leben. Ich rechne mit der Präsenz Gottes, der nicht nur dann da ist, wenn zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln, sondern auch, wenn ich einem anderen Menschen begegne. Gott ist mir nahe, diese Überzeugung verlässt mich nicht. Das ist ein Geschenk! Er bleibt da, auch im vergangenen Jahr, wo ich gegen eine Krebserkrankung zu kämpfen hatte. Für mich ist er allerdings kein Gott, der die Welt eigenhändig wie ein großer Marionettenspieler bedient, sondern Gott, der die Welt erschaffen hat und ihr eine geheimnisvolle Ordnung eingepflanzt hat. Jeden Tag neu darf ich an dieser Welt mit bauen, und wenn es mein Widerstand gegen Unrecht ist oder der Kampf gegen eine Krankheit, oder der Versuch mit einer schwierigen Situation fertig zu werden. Ich rechne mit meinem Gott, nicht damit, dass er alles umkrempelt und zum Guten wendet, aber dass er immer da ist, an meiner Seite und meine Nöte und Sorgen hört und mir Frieden (und Kraft für den nächsten Schritt) schenkt.

“Wenn ich einen Grashalm beobachte, dann werde ich fromm.” Das hat mir vor einigen Monaten ein sehr talentierter Grafikdesigner gesagt, inzwischen ist er mit weit über 80 Jahren verstorben. Ich könnte es nicht schöner sagen, in der Schöpfung finde ich die Spuren Gottes. Ich versuche täglich mein (und unser) Tun (als Menschen) mit den Augen Gottes, also im großen Zusammenhang zu sehen. Die Natur schenkt mir inneren Frieden und lässt mich immer wieder staunen. Aber ich sehe auch mit großer Sorge, dass es uns Menschen nicht gelingt, diesen großen Garten Gottes zu bebauen und zu bewahren. Und auch, wie viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit in dieser unserer Welt herrscht. Das alles kann ich nur aushalten in der Hoffnung auf einen Gott, der mit uns geht und der uns hilft, alles zum Guten zu wenden.

Als Christ rede ich gern mit Menschen, auch in sozialen Netzwerken. Nur in der Begegnung mit Anderen werde ich ganz. Daher schreibe ich auch ab und an einen Artikel für mein Blog. Meist geht es um Themen, die mich selbst beschäftigen, die ich durchdenken möchte. Irgendwann ist das Thema dann reif und ein Text entsteht. Früher habe ich das nur für mich gemacht, um etwas zu klären und zu Ende zu denken. Heute stelle ich es ins Netz und ich bekomme ab und an die schöne Rückmeldung, dass es auch für andere hilfreich war. “Du hast komische Hobbys”, meinte kürzlich mal jemand dazu.

Ich möchte gern etwas weitergeben von diesem Leben mit Gott. Jesus hat uns einen guten Weg gezeigt, wie unser Leben – mit den Anderen – und inmitten der Schöpfung gelingen kann. Ich freue mich über die Gemeinde und über meine Kirche, die mir einen Rahmen und einen Raum für dieses Leben schenkt. Zusammen mit Anderen suche ich Gelegenheiten, Räume, Aktionen, Medien, wo Gott zur Sprache kommen kann und wo man nicht unsicher zusammenstehend mit den Füßen scharrt, wenn die Rede auf das Thema Glaube kommt. Schön wäre es, wenn es dort mehr und mehr heißt: Du bist Christ, erzähl doch mal! Und dass mir dann die richtige Antwort einfällt, aber nicht nur mir, sondern Dir auch, und Dir und Dir…

Markus Gehling, 47 Jahre alt, gebürtig aus dem Münsterland (Vreden), seit 23 Jahren Pastoralreferent im Bistum Münster, Imker, Hobbyfotograf. Bloggt privat und katholisch auf kreuzzeichen.blogspot.de, verheiratet, vier Kinder. Theologische Hobbys: Klosterleben und Bischof Nikolaus.

Alle Beiträge zur Plaßmann - Challenge lassen sich von hier aus finden: http://sende-zeit.de/2014/12/die-plassmann-challenge-markus-gehlings-antwort/

Freitag, 5. Dezember 2014

Steh auf! Nikolaus!

Nikolaus von Martina Reimann, Voerde
Der Nikolaus ist ein "Stehaufmännchen". Das belegen die zahlreiche Legenden, die von seinen Taten berichten... aber das belegt auch die Kirchengeschichte ein ums andere Mal. 

Hinter dem heutigen Adventskalendertürchen verbirgt sich die Möglichkeit für mich, einmal ausführlich über meinen Lieblingsheiligen zu sinnieren, dessen Gedenktag wir heute (nicht nur liturgisch) feiern dürfen. Das morgige Türchen (7) öffnet sich bei http://kephas.de. Das Türchen von gestern (5) ist hier: http://lara-liest.blogspot.de

Ein Überflieger - Überheiliger

Im Laufe der Jahrhunderte war Nikolaus zu einem "absoluten Heiligen" geworden, die Ostkirche verehrt ihn als "apostelgleich" oder als "hyperhagios", einen "Überheiligen". In der Bilderwand (Ikonostase) einer russisch-orthodoxen Kirche zeigt die größe Heiligenikone (nach Maria) meist den Hl. Nikolaus. Ein bulgarisches Sprichwort sagt (so charmant wie theologisch schräg): „Wenn Gott stirbt, dann wählen wir den heiligen Nikolaus zu seinem Nachfolger!"
Nikolaus Name war auch in der westlichen Kirche in aller Munde und dies schon lange, bevor Leute aus Bari (in Italien) im April 1087 die Gebeine des Heiligen "vor den anrückenden Muslimen retteten" oder aber – je nach Geschichtsdeutung – schlicht für den höheren Ruhm Bari's "mitgehen" ließen. 

Nikolausemail von Egino Weinert
Die liturgische Degradierung des Nikolaus

Was jedoch die "Architekten" der Liturgiereform und des erneuerten Römischen Kalenders geritten hat, den Gedenktag des populären Heiligen vom allgemein gebotenen Gedenktag zu einem Nullachtfünfzehn – Gedenktag herabzustufen, wird wohl kaum zu ergründen sein. Ob es daran lag, dass die Liturgiker feststellten, dass man "historisch" trotz aller Legenden wenig über Nikolaus weiß? Eine Geburts- und Weiheurkunde ließ sich wohl in keinem vatikanischen Archiv auftreiben. Daher muss dieser Fauxpas wohl in einem Zusammenhang mit Plänen gesehen werden, die beliebten Festtage der Hl. Christophorus, Barbara, Ursula und Katharina ganz zu streichen, weil deren historische Existenz nicht mehr nachzuweisen war. (Gott sei Dank hat man sich das doch nicht getraut). Aber dennoch: heute könnte also ein Pfarrer am 6. Dezember 2014 die Messe feiern, ohne den Hl. Bischof und Bekenner Nikolaus überhaupt mit einem Wort zu erwähnen. Wird aber hoffentlich keiner tun, denn die Popularität des Bischofs von Myra macht aus dem kleinen g im Direktorium (Verzeichnis der liturgischen Festtage) ein gefühltes großes G. Heiligsprechungen wurden in der frühen Kirche ja auch nicht durch den Papst vorgenommen, sondern durch die erkennbare Verehrung eines Heiligen durch die Gläubigen.
So hat sich Nikolaus bis heute seiner liturgischen Degradierung widersetzt. 

Der Heilige – ein Mythos?

Über den historischen Nikolaus wissen wir wirklich wenig, seine Verehrung in der Ostkirche ist schon um das Jahr 550 belegt, in der Westkirche vom frühen achten Jahrhundert an. Der Gründerbischof des Bistums Münster, der Hl. Liudger brachte die Verehrung des Hl. Nikolaus über die Alpen und weihte ihm noch vor dem Jahr 800 eine Nikolauskirche in Billerbeck. Im reichen Bestand der Legenden (der in der Orthodoxie noch umfassender ist) ging die historische Wahrheit aber schnell "flöten".  Die Fachleute sagen, dass den Freunden des Heiligen manche Verwechslung unterlaufen ist. So wissen wir heute, dass die Geschichten über zwei Personen ineinander geflossen sind. Daher hat der heutige Nikolaus eigentlich zwei Väter, nämlich den Hl. Abt Nikolaus von Sion (was ganz in der Nähe von Myra lag) und den Hl. Nikolaus der im 4. Jahrhundert Bischof von Myra war. Wobei nicht mal sicher ist, ob Nikolaus sein Name oder nur ein Ehrentitel war. Der Onkel des zuvor genannten Hl. Abtes hieß ausgerechnet auch noch: Nikolaus und war: Bischof von Myra. Das macht die Verwirrung komplett – und war so komplett, das man heute nicht mehr trennen kann, welche Legenden nun wirklich zu "unserem" Nikolaus gehören. Manch einer möchte ihn daher gleich als "Märchenfigur" abtun. Aber das ist voreilig, denn die Nikolauslegenden enthalten weit mehr "Wahrheit" als in den Daten und Fakten eines Einwohnermeldeamtes festzuhalten wäre.

Nikolaus besiegt den Kanibalen!

Klassische Nikolausdarstellungen zeigen ihn als Bischof mit Evangelienbuch und drei goldenen Kugeln, was an die stille Hilfe für die drei Mädchen in großer Not erinnert. Eine andere Darstellung nimmt Bezug auf eine Legende über den Hl. Nikolaus als "Kinderfreund". Die ursprüngliche Legende ist jedoch wenig "kinderfreundlich" und vermutlich nicht mal jugendfrei, denn sie schildert, wie ein Wirt drei Schüler ermordet und sie in Salzlake einpökelt - um sie heimlich seinen Gästen anzubieten. Brrr! Der Bischof kommt ihm auf die Schliche und erweckt die Drei wieder zum Leben. Dargestellt wird das meist durch drei Kinder in einer Art Badezuber, die lieblich zu Füßen des Heiligen sitzen. Möglicherweise hat seine Verehrung als Kinderfreund auch mit diesen Bildnissen zu tun, vergleichbar mit dem irgendwann zum Schwein gewordenen Dämon in der Darstellung des Hl. Antonius, der daraufhin zum Schutzpatron der Schweine wurde. Ich denke, es hat den Schweinen nicht geschadet.

Nikolaus, ein Glaubenswächter wird handgreiflich!

Wenig bekannt ist, dass der Name des Hl. Bischofs von Myra in etlichen Listen der Teilnehmer des Konzils von Nicäa überliefert ist. Diese Geschichte wird normalerweise heute nicht erzählt, sie ist dennoch interessant: 
Im Jahr 325 berief Kaiser Konstantin I. das Konzil von Nicäa ein, an dem auch der Bischof Nikolaus teilnahm. Ein gewisser Arius lehnte die Lehre von der Dreifaltigkeit ab und zog mit seiner Argumentation viele der fast 300 Bischöfe auf seine Seite. Die Überlieferung besagt, dass Nikolaus über diese Irrlehre sehr wütend wurde. Er stand auf und verpasste Arius eine schallende Ohrfeige. Dafür wurde er zunächst bestraft und musste das äußere Zeichen seiner Bischofswürde, das Omophorion, abnehmen. Doch in der Nacht erschienen dem Vorsteher des Konzils die Gottesmutter mit Jesus im Traum und sprachen: “Der morgige Tag wird Nikolaus rechtfertigen.” Und wirklich: Arius wurde als Irrlehrer erkannt und das Dogma der Dreifaltigkeit setzte sich durch. So kann man in Nikolaus sicher einen der Mitbegründer unseres Glaubens an die Trinität sehen. 

Nikolaus besiegt sogar Martin Luther!

Nicht einmal Martin Luther hat es geschafft, seinen Protestanten die Freude am Hl. Nikolaus auszutreiben. Auch in der eigenen Familie gelang ihm das nicht. Während er den Nikolausbrauch in einer Predigt am Nikolaustag 1527 als "kyndisch Ding" ablehnte - weist seine private Haushaltsrechnung auch 1535 noch Nikolausgeschenke für Frau, Kinder und Gesinde aus. Der wortgewaltige Prediger ordnete sich im normalen Leben offensichtlich den kraftvollen Bräuchen unter. Da wundert es nicht, dass der gestrenge Reformator auch seine Protestanten nicht so leicht überzeugen konnte. Auch der Trick, die Geschenke – reformtheologisch sauber - dem "Hl. Christ" zuzuordnen (woraus später das geschenkebringende Christkind wurde (das dann in Nürnberg gar zu einem Hyperengel mutierte)) half nicht. Eine Art "Nikolaus" musste auch zu Luthers Jüngern weiter kommen und Geschenke bringen, bei denen der eigentliche Geber im Verborgenen blieb. Auch konnte er den kleinen Bengels vielleicht beiläufig die ein oder andere Tugend vermitteln und die vergeblichen Erziehungsbemühungen der Eltern wirkungsvoll unterstützen. So verlor der Heilige Bischof zwar seine katholischen und christlichen Insignien, als Nikolaus blieb er aber aktiv, wie uns seine Darstellung im Struwelpeter heute noch lebendig vor Augen führt. Das ist im Jahre 1845 schon ein säkularisierter Nikolaus. 

Nikolaus widersteht den Calvinisten

(c) Jan Arkesteijn / Wikipedia
Noch erfolgloser war der reformierte (calvinistische) Zweig des Protestantismus in den Niederlanden. Während sich der neue Glaube (mit dem Ende der spanischen Herrschaft) erfolgreich verbreitete, blieb der Nikolaus als katholischer Bischof bis auf den heutigen Tag im Brauchtum lebendig. Zu eng war das wasserreiche Land der Hanse und dem Schutzpatron der Schiffahrt verbunden, als dass man ihn aufgeben würde. So kommt Sinterklaas allen Reformatoren zum Trotz Jahr für Jahr per Schiff aus Spanien und der Bescherungstag blieb am Vorabend seines Festtages für die kleinen Niederländer erhalten. Aus Utrecht ist belegt, dass reiche Bürger, Geldstücke in den Schuhen verbargen, damit die Armen diese Opfergaben am Nikolaustag selbst erhielten.

Dem Hl. Nikolaus konnten die Wechselfälle der Geschichte offensichtlich wenig anhaben, er steht immer wieder auf und ist in den Herzen der Menschen durch die Jahrhunderte lebendig. 

Nikolaus sticht in See!

(c) Thomas Nast / Wikipedia
Mit den seefahrenden Holländern überquerte Nikolaus den großen Ozean und fand sich plötzlich inmitten einer bunten konfessionellen Mischung im Hafen von Neu Amsterdam, dem späteren New York wieder. In dieser Atmosphäre holte der niederländische Nikolaus das Schicksal seines deutschen Bruders schnell nach. Aus Sinterclaas wurde Santa Claus, der vorbildliche Nikolaus mutierte Schritt für Schritt zum Weihnachtsmann. 

Mehr Gemütlichkeit: Schlummermütze und kuscheliger Bademantel

Wie aus den bischöflichen Gewändern ein roter, plüschbesetzter Bademantel und aus der Mitra eine Zipfelmütze wurde, darüber gibt es manche Legenden. Belegt ist, dass der amerikanische Zeichner Thomas Nast 1862 den Santa Claus zeichnete. Da hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem säkularen Bruder aus dem Struwwelpeter. Die rote Farbe setzte sich erst nach und nach gegen grüne und blaue Varianten durch, aber von 1880 an nutze Nast "seine" Figur in rot (was auch in den neuen Möglichkeiten des Farbdrucks begründet sein dürfte). Seinen endgültigen Phänotyp entwickelte die Märchen- und Verkaufsfigur erst später durch den Pinsel des Coca – Cola – Designers Haddon Sundbloom, der den Weihnachtsmann als dickbäuchigen gemütlichen Alten neu erschuf und über Jahrzehnte für die amerikanische Brause und der Werbung hierfür vereinnahmte.
(c) obs/Coca-Cola AG

Die Russen kommen! Nikolaeske Farbmischungen!

Unter Volkskundlern ist umstritten, inwieweit der im Osten und im Norden Europas präsente Figur des "Väterchen Frost" (russisch Ded Moros) mit dem Hl. Nikolaus "verschmolzen" ist. Er ist eine ursprünglich russische (jahrhundertealte) Märchenfigur, der in der Neujahrsnacht die Kinder beschenkte. Bis heute tritt er in Russland als "erblaute" oder verfrorene Variante des Weihnachtsmannes in Erscheinung. So wie der Weihnachtsmann seine Entstehung letztlich der bunten Mischung unterschiedlicher Christentümer in Amerika und irgendwie (wider Willen) auch der Reformation Martin Luthers  verdankt, so wurde Väterchen Frost durch die antichristlichen Maßnahmen der Kommunisten richtig "groß". Inzwischen ist hat sich Väterchen Frost von seinem kommunistischen Dünger genau wieder befreit; so wie es in Amerika "Santa Claus" mit seinen christlichen Wurzeln getan hat. Amüsanterweise vermischen sich selbst in
(c) Wikipedia
Russland die Traditionen; das Weihnachtsmannrot färbt inzwischen Väterchen Frost und manche Winterromantik bei uns nimmt dem Weihnachtsmann etwas von seinem Rot. Und es ist nicht einmal auszuschließen, dass ein Nikolaus im roten Chormantel seine "Farbe" der Weihnachtsmann-Tradition verdankt und auch sein Bart dank des Weihnachtsmannes an Länge und Volumen gewonnen hat. 

Beim Barte des Nikolaus

Es mag verwundern, aber es gibt in der westlichen Kirche mindestens so viele Nikolausbilder mit wie ohne Bart. Daher wirkte ein kürzlich entfachter Streit um den Vorschlag eines katholischen Jugendverbandes, einen Nikolaus ohne Bart auftreten zu lassen doch etwas skuril. Zahlreiche altehrwürdige Kunstwerke zeigen ihn so, währen der Bischof auf den Ikonen des Ostens in der Regel einen gut gestutzten weißen Vollbart. Wir werden sehen, ob der von den Russen so sehr verehrte Bischof der kommunistischen Kommerztradition demnächst Widerstand leistet.

Rechts: Nikolaus von Lorenzo di Credi
Wir sehen, dass dem Weihnachtsmann ein ähnliches Schicksal beschieden war, wie es auch Nikolaus viel früher erleben musste. Aus zwei Figuren wurde eins. Nur bei Nikolaus handelt es sich um reale Personen. Und seine Legenden sind keine Märchen, sondern sie künden vom Evangelium und von Ereignissen und Glaubenserfahrungen der Menschen. 

Der Weihnachtsmann als Kitschmagnet!

Mögen wir als Christen (wissend um die Hintergründe) die kommerzielle Werbefigur auch ablehnen und "weihnachtsmannfreie Zonen" ausrufen. Wir sollten trotzdem seine Verdienste nicht schmälern. Denn er bewahrt seit Jahrzehten den Nikolaus vor allerlei Verkitschung und manchem Klamauk. Wer sich einmal aus einer gewissen Distanz das vielfältige Nikolausbrauchtum in ganz Europa anschaut, der wird auch manches finden, was sich mit dem Christentum und der menschenfreundlichen Botschaft des Bischofs von Myra nur schwer vereinbaren läßt. Was wäre wohl aus dem Nikolaus geworden, wenn der Weihnachtsmann nicht als Kitschmagnet gewirkt hätte und es uns ermöglicht hätte, den Heiligen Bischof aus Myra neu zu entdecken und sein Brauchtum neu zu gestalten. "Danke Weihnachtsmann, friere Du ruhig den ganzen Advent lang vor dem
Weihnachtsmann in Bad Windsheim
Kaufhauseingang, schenke Du ruhig meinen Kindern Bonbons und Schokolade... So habe ich die Chance, den Kindern in der Schule oder im Kindergarten von den großen Taten des Heiligen zu berichten und sie zu ermuntern, in seinen Fußstapfen zu gehen. So können sie lernen, die Not ihrer Nächsten zu sehen, zu teilen und sich ihrer anzunehmen."
Ob das Sinterklaas mit all seinen Pieten in Holland auch wohl hinbekommt, wo er jedes kommerzielle Angebot der Vorweihnachtszeit zu schmücken hat? Jedenfalls von Mitte November bis zum 6. Dezember, wo das Sinterklaasgeschäft in den Niederlanden zu Ende geht. Dazu beschäftigen sich die Niederländer viel zu viel mit dem Streit um die angeblich "rassistische" Figur des Zwarte Piet und vergessen die Botschaft des Heiligen darüber. 

Nikolaus wird siegen! (Niko-Laos/Νικόλαος = Sieger des Volkes)

Nikolausfigur aus Boldixum
Die Gestalt und die Legenden des Hl. Nikolaus entfalten bis zum heutigen Tage eine ganz erstaunliche Wirkung. So wie der Hl. Martin wird auch der Hl. Nikolaus im christlichen Brauchtum zum Urbild eines Heiligen überhaupt. An ihnen konnte man (nicht nur) den Kindern leicht erklären, was christliches Leben bedeutet.

Der wahre Kinderfreund war Nikolaus zu seiner Zeit und in seiner Folge sind es viele, die in dessen Fußspuren (und in seiner Gestalt) die Botschaft weiter immer sagten und auch ganz handfest spürbar machten. Letztendlich wird sich Nikolaus als "Stehaufmännchen" erweisen. Und wir können mithelfen, wenn wir ihn und seine Botschaft der Mitmenschlichkeit überzeugend und fröhlich und nicht miesepetrig und miesmachend den Leuten anbieten.

Nikolaus steht für die Freude am Schenken (ohne Dankbarkeit zu erwarten), weil wir alle von Gott reich beschenkt sind. Nikolaus steht für Gerechtigkeit, für Hilfe in höchster Not, für persönliche Bescheidenheit und die Bereitschaft zu teilen. Nikolaus praktiziert stille Aufmerksamkeit für die Not der Nächsten und die Sorgen derer, die ihm anvertraut sind. Oft erscheint er im Namen Gottes als Retter in höchster Not. Und er steht fest verwurzelt im Glauben an Christus, den er sich nicht beschneiden lassen möchte, weder von Arius noch von manchem seiner Nachfolger bis in die heutige Zeit.

Nikolausikone, vor 1180
St. Johann, Burtscheid
Voneinander getrennt und doch verbunden: Nikolaus baut eine Brücke zwischen den beiden "Lungenflügeln" der Kirche, der des Westens und der des Ostens. Er zeigt sich als Brückenbauer zu unseren orthodoxen Schwestern und Brüdern. Er baut aber auch Brücken in eine zunehmend säkulare Lebenswelt, er öffnet Türen zum Glauben, weil er auf ganz einfache Weise zeigt, wie Kirche ist (oder sein könnte) und dass Christusnachfolge keine komplizierte Theologie erfordert. Papst Benedikt formulierte diesen Gedanken so: "Der Glaube ist einfach. Glauben heißt Jesus Christus vertrauen. Er offenbart uns den Vater und zeigt uns den Weg zum wahren, glücklichen Leben. Öffnen wir Christus unser Herz und lernen wir von Ihm, so Mensch zu sein, wie Gott es will. (Angelus, 6. Juli 2008).

Auf diesem Weg öffnet uns der Hl. Nikolaus eine Tür. Hoffentlich auch mit diesem Adventskalenderbeitrag. 

Morgen geht es weiter bei: http://kephas.de

Zur Nikolausverehrung: www.michaelhesemann.info/7_1_1.html 

Mittwoch, 12. November 2014

Raymond Leo Burke: Ein Kardinal und sein Papst

Eines muss man ihm lassen: der Mann macht eine gute Figur! Googeln Sie mal das Stichwort "Kardinal Burke". Sie werden ein wunderbares "Bilderbuch" des Katholizismus finden, und trotz all der – aus der Zeit gefallenen – "Prachtentfaltung", zu der die kath. Kirche in der Lage ist: es gibt kaum Bilder darunter, die nicht eine gewisse Faszination und Würde ausstrahlen. Aber es wirkt auch ein wenig wie aus "längst vergangener Zeit". 
Auf jeden Fall ist ein augenfälliger Kontrast zum Auftreten des amtierenden Papstes Franziskus nicht zu leugnen. Dieser neigt ja eher dazu, mit Blick auf den "Augenhonig" in der katholischen Liturgie etwas "abzurüsten". 

Ähnliche Konstraste gibt es häufiger in der Kirche. Da sind die eher auf schlichte Schönheit setzenden Schwestern und Brüder von Jerusalem; die eher ästhetisch wirkenden und an der Ostkirche orientierten  Schwestern und Brüder von Bethlehem; die sehr kargen Kartäuser und die voll in die Sakristeischränke der letzten hundertfünfzig Jahre greifenden Kleriker des Institutes Christus König (und manche mehr). 

Oft sind mit den äußerlichen "Kleiderfragen" auch theologische Positionen verbunden, allerdings dürfte es schwer sein, vom äußeren Anschein direkt auf "innere Qualitäten" zu schließen oder die Gleichung aufzustellen: "viel Lametta", Spitzen, Bordüren ...  also ... eher konservativ bis traditionalistisch; schlicht dann gleich entspannt und liberal. Manches Mal findet man in der Verpackung etwas, was die äußere Form nicht versprochen hat. (Eine höchst bedenkenswerte Anregung zu dieser Diskussion bietet ausgerechnet die Website www.summorum-pontificum.de, wo man lesen kann: "Katholiken, die der Tradition und damit der Kirche selbst treu bleiben wollen, haben sicher Grund, darüber nachzudenken, inwieweit die aus monarchischen Zeiten überkommenen Zeichen und Symbole heute noch das vermitteln können, was sie einst vermitteln sollten und konnten.") Der Grat zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit kann manchmal sehr schmal sein (was ich ausdrücklich nicht auf Kardinal Burke selbst beziehen möchte).

Kardinal Burke hat sich spätestens seit seinen Auftritten rund um die außerordentliche Bischofssynode im Herbst an die Spitze einer Bewegung gestellt. Er war schon vorher so etwas wie der Patron der konservativ-traditionellen "Fraktion" in der Kirche, er widmete sich dem Institut Christus König und Hoherpriester, einer aufstrebenden Gemeinschaft, die die außerordentliche Form des römischen Ritus und eine gewisse katholische "Buntheit" erfolgreich pflegt. Nun ist er von seinem "erstklassigen" Posten an der römischen Kurie (quasi als oberster Kirchenrechtler) auf einen "drittklassigen" Posten versetzt worden. Zuvor hatte Papst Franziskus ihn schon in zwei wichtigen Kongregationen durch andere Bischöfe abgelöst. (Was auch den Hintergrund haben könnte, dass er hier die Stimme der Ortskirchen gegenüber der Kurie stärken wollte.) 

Der Blog "Demut jetzt" schreibt: "Burke ist eine Reizfigur, er weiss das und es macht ihm nichts aus. Sowohl in seinem liturgischen Auftreten als auch in seinen theologischen Äußerungen ist er wahlweise der Gott-sei-bei-Uns oder der Fels in der Brandung. Gegen ihn wirkt Kardinal Müller geradezu lieb, chillig und liberal."

Fakt ist, dass Kardinal Burke – weltlich gesprochen – an Einfluss verloren hat. Es macht für ihn keinen Sinn, zukünftig Reden vor Leuten zu halten, die ihm sowieso zustimmen. Er muss sehen, wie er seine Überzeugungen und Argumente weiterhin in den kirchlichen Diskurs einbringen kann und zwar in der sachlich - theologischen Auseinandersetzung mit anderen Positionen. Ich denke, das Papstwort von der Synode gilt auch ihm: "Nach dem letzten Konsistorium, bei dem über die Familie gesprochen wurde, hat mir ein Kardinal geschrieben: ‚Schade, dass einige Kardinäle aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewisse Dinge zu sagen, weil sie annahmen, dass der Papst vielleicht anders denkt.’ Das geht nicht! Das ist nicht Synodalität! Man muss alles sagen, was man sich im Herrn zu sagen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Zögern!“ Das dies nicht "leere Worte" waren hat der Papst u.a. auch durch die Berufung des Bischofs von Bologna Carlo Kardinal Caffarra belegt, der sich als entschiedener Kritiker der Position von Kardinal Kasper profiliert hatte. 

Der Aufschrei in der Szene der Burke – Verehrer hallt jedenfalls seit Tagen nach. Viele haben sich hinter ihn gestellt und ihn mehr und mehr zur konservativen Reizfigur gemacht (eine Rolle, die er durchaus aktiv angenommen hat). Vermutlich ist es ihm aber nicht recht, was seine "Fans und Freunde" nun schreiben und lamentieren. (Wer solche Freunde hat...) Ein viel gelesener Blogger, der Kreuzknappe, hat gleich das Bloggen aus Protest vorläufig eingestellt. Seine Ankündigung, nun weniger öffentlich zu schreiben als still zu beten, sollten sich einmal die langsam in Richtung Sedisvakantismus abgleitenden Kommentatoren und Schreiberlinge der einschlägigen Tradi – Homepages zu Herzen nehmen. Der Haß, der sich dort zur Zeit gegen Papst Franziskus entlädt, ist so manche Beichte und jahrelanges Bußschweigen wert. 

Gloria – TV widmet ihnen am Tag nach der Nachricht gleich die kompletten "Nachrichten". Dort wird ein amerikanischer, geistlicher Blogger zitiert: "Durch Burke’s Entlassung hat Franziskus ein mediales Megaphon für seine zunehmend enttäuschten katholischen Gegner geschaffen.“ Franziskus hat diesen Katholiken – Zitat – „einen klaren Anführer (gegeben), sondern Burke auch zu einer Berühmtheit und zu einer Art Märtyrer gemacht.“ 

Ich denke, man muss Papst Franziskus zugestehen, dass er sich sein Führungspersonal selbst auswählt. Wer die Kurie reformieren will (was der große Wunsch vieler Kardinäle war), der muss auch Strukturen verändern und Personen austauschen. Das tut der Papst, mit Ruhe, aber gründlich. 

Ich glaube nicht daran, dass die Tatsache der Ablösung des obersten Kirchenjuristen hilfreich ist, um Papst Franziskus endlich einwandfrei in das hierzulande vertraute kirchenpolitische Koordinatensystem einzuordnen. Er entzieht sich den üblichen Kategorien und das war auch wohl ein gewichtiger Grund für seine Wahl und Berufung ins Papstamt. Ich gehe davon aus, dass uns dieser Papst auch in Zukunft noch überraschen wird und dass er sich nach wie vor vor keinen Karren spannen läßt. 

Ihm "Unbarmherzigkeit" oder "Abservieren eines Kritikers" vorzuwerfen oder gar von Bestrafung, Rachegelüsten oder dass der Papst keine "Kritik vertragen" könne zu fabulieren, das offenbart durchsichtige Manöver, den Hl. Vater in schlechtem Licht dastehen zu lassen. Aber auch die zumeist zustimmenden liberalen Tageszeitungen neigen einer ähnlichen Interpretation zu und preisen die päpstliche Führungsstärke. Beide Variaten dürften nicht stimmen, denn der Betroffene selbst hatte schon vor der Synode mehrfach auf seine bevorstehende Ablösung hingewiesen. Mag sein, dass er sich hierdurch bei der Synode noch eher zu einem offenen Wort ermuntert fühlte. 

Ein Mitarbeiter, der seinen Chef (spitzen wir es mal zu) auf offener Bühne widerspricht, der ihm sogar (ob nun so oder anders formuliert) kirchen- und glaubensschädigendes Verhalten öffentlich vorhält, mag zwar dennoch ein guter und verdienstvoller Kardinal und eine wichtige Stimme in der Kirche sein und bleiben; er muss aber nicht zum engen Mitarbeiterkreis des Kritisierten gehören. Von seinen engen Mitarbeitern darf der Papst, gerade auch dieser Papst, ein offenes Wort erwarten, aber er darf auch erwarten, dass dieses offene Wort im geschlossenen Raum bleibt und nicht auf die Straßen und in die Gazetten getragen – oder gar über diesen Weg überhaupt erst ausgesprochen wird. 
Der Papst ist frei in der Auswahl seiner engen und direkten Mitarbeiter. Wenn mir einer sagt, mit Deiner Amtsführung bin ich unzufrieden und Du schadest der Kirche und der Lehre... Dann würde ich sage: natürlich darfst Du diese Meinung haben und vertreten... aber was unsere Zusammenarbeit angeht, hat dies Konsequenzen. Und ein Papst darf von seinen Mitarbeitern erwarten, dass sie loyal bleiben, und im Zweifel auch einmal Wege mitgehen, die sie zuvor im Gespräch kritisch gewürdigt haben. Wer dazu nicht bereit ist, der taugt ganz bestimmt als Kardinal, er eignet sich aber nicht als Präfekt der Apostolischen Signatur.

Werfen wir einmal einen Blick darauf, wer Raymond Leo Kardinal Burke eigentlich ist. Bevor wir ihn selbst in "Schubladen" einsortieren. Viel ist darüber leider nicht zu erfahren, selbst bei "Wikipedia" ist nur ein schmaler Artikel verfügbar. Das mag auch daran liegen, dass die Kirche in Amerika von uns Europäern nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält. 

Geboren wurde er vor 66 Jahren, am 30.06.1948 in Wisconsin, sein Vater starb, als er 8 Jahre alt war. 1975 empfing er den Rom die Priesterweihe durch den heute seligen Papst Paul VI.. Schwerpunkte seiner theologischen Ausbildung und seines Wirkens waren die Priesterausbildung und das Kirchenrecht. Ein entsprechendes Studium mit Promotion absolvierte er in Rom, wo er später als Ehebandsverteidiger am Kirchengericht arbeitete und an der Universität lehrte. Viel erfahren wir hier – jenseits des großen Teichs nicht über diesen Kirchenmann. Wenn, dann findet sich etwas auf eher "einschlägigen" Webseiten; Kritisches findet sich aus seiner Zeit in der amerikanischen Kirche im Netz kaum. Zwei interessante Einblicke liefern vielleicht folgende Notizen aus dem Netz: 

In seiner Zeit als Bischof der Diözese La Crosse (ab 1995) im US-Bundesstaat Wisconsin veröffentlichte er 2003 ein offizielles kirchenrechtliches Dekret, mit dem er Politikern, die für Abtreibung oder Euthanasie eintreten, vom Empfang der Hl. Kommunion ausschloß. Dieser Schritt wurde auch in Europa wahrgenommen. 

Der Blogger "Rom, römer am Römsten" schreibt im Mai 2008 in einem Beitrag über den damaligen Erzbischof von St. Lois und über dessen erfolgreiche Berufungspastoral: "Immer mehr Männer vernehmen wieder den Ruf und folgen ihm. Aber Erzbischof Burke leistete eifrige Hilfe, indem er die Berufungsfrage zur Priorität machte ... die Tatsache, daß er konservativ ist, spricht junge Seminaristen an. Da junge Männer, die heute einer Beufung folgen, in der Regel konservativer sind als ihre Altersgenossen, können sie mit dem Erzbischof leicht eine Verbindung herstellen. Die Seminaristen reden offen darüber, daß sie Burke als ihren spirituellen Vater betrachten und begrüßen die traditionsbewußte Atmosphäre, die der Erzbischof in der Diözese und im Seminar bevorzugt. So ist Burke zum Beispiel einer der großen Unterstützer der tridentinischen Messe, die seit vergangenem Jahr jeden Freitag im Seminar zelebriert wird. Auch wird bei Morgen- und Abendgebet nun auf formellere Kleidung geachtet. Burke sagt, daß solche "kleinen Dinge" hilfreich sind, um eine "starke Identität bei den Seminaristen zu kreieren." ... "Erzbischof Burke wird angerechnet, daß er Probleme, die junge Männer vom Verfolgen ihrer Berufung abhalten könnten, offen anspricht. Er ... kennt die Seminaristen - ihre Namen, ihre Lebensgeschichten, ihre Freuden und Ängste."

Eine gewisse Direktheit und Offenheit scheint durchaus zu den Charakterzügen des Kirchenmannes zu gehören. Seit 2008 ist er wieder in Rom als Präfekt der Apostolischen Signatur und Präsident des Obersten Gerichtshofs des Vatikanstaates. Im November 2010 nahm ihn Benedikt XVI. als Kardinaldiakon ins Kardinalskollegium auf. 

Bekannt wurde er als einer der wenigen Kardinäle, die persönlich die "außerordentlichen Form  römischen Ritus" zelebrierten. Bilder von Kardinal Burke in der "Cappa Magna" gingen um die (katholische) Welt und wurden teils hochachtungsvoll, teils abschätzig kommentiert. Der "tridentischen Messe" ist Raymond Leo Burke allerdings schon lange verbunden, schon lange vor "Summorum Pontificum" konnten Gläubige in seiner Diözese problemlos diese Form der römischen Liturgie mitfeiern.

Einige merken schon an, dass Kardinal Burke ja erst 66 Jahre alt, Papst Franziskus dagegen schon 78 Jahre alt ist. Und dass dieser nun umso mehr Zeit hat, nicht nur Kardinalpatron der Malteserritter (was ja eher ein Titel als ein Amt ist) sondern als Kardinalpatron aller Traditionalisten durch die Weltgeschichte zu reisen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass diese Rolle einem Mann, der mit der Kirche fühlt, recht sein kann. Daher glaube ich auch nicht, dass er sich ernsthaft der "kirchenpolitischen Rolle" widmen wird, die manche Kommentatoren für ihn vorgesehen haben, die schon mit dem Ruf "Burke for Pope" in die sozialen Netzwerke auszogen. Manche hoffen, dass "Franziskus mit seinem Vorgehen gegen Burke ... selbst die Voraussetzungen schafft, daß ihm eine mächtige innerkirchliche Opposition erwächst, die ihn auch einmal beerben könnte." So etwas ist zwar in der Tendenz denkbar, allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass Kardinal Burke sich für eine solche Strategie einspannen ließe. In einem Interview sagte er hierzu: "Ich habe allen Respekt vor dem Petrusamt und möchte nicht den Anschein erwecken, dass ich eine Stimme gegen den Papst bin."

Vielleicht ist es Kardinal Burke ein Trost, was der Blogger Cordialiter schreibt: "Menschlich gesehen war die Aufgabe eines Präfekten der Apostolischen Signatur einflußreicher als die eines Kardinalpatrons des Souveränen Ritter- und Hospitalordens vom heiligen Johannes von Jerusalem von Rhodos und von Malta. Als Jünger Jesu Christi haben wir aber nicht auf irdisches Prestige zu achten, sondern allein auf die größere Ehre Gottes.
Durch sein Apostolat unter den Ordensrittern kann Kardinal Burke Großes für deren Seelenheil wirken, wie er es bereits als Diözesanbischof ... getan hat. Sollte mittels seines Apostolats auch nur eine Seele mehr durch die unendliche Barmherzigkeit Gottes gerettet werden, hätte es sich gelohnt, die prestigeträchtigere und einflußreichere Aufgabe an der Römischen Kurie zu verlieren ... 
Zudem wird ... (er), befreit von der Last seiner Aufgabe ... und dem Aktenstudium, mehr Möglichkeiten haben, geistlicher Begleiter der Seelen zu sein, die wirklich im Glauben und der Tugend wachsen wollen." 

Das er (und mit ihm viele seiner "Fans") das so sehen kann, das wünsche ich ihm von ganzem Herzen.

Sonntag, 19. Oktober 2014

Briefe von jungen, intelligenten, katholischen Frauen...

Wer bekommt nicht gerne Post, erst recht einen Brief einer jungen und intelligenten Frau? So hoffe ich, dass Walter Kardinal Kasper auch erfreut war, einen Brief von Victoria Bonelli zu erhalten, die nach eigener Auskunft in Wien Kommunikationswissenschaften studiert und nebenbei für ein katholisches Nachrichtenportal schreibt. Mit der Überschrift "Briefe aus Siena" knüpft sie an die Geschichte der Hl. Katharina von Siena an, die für ihre Zeit einen ungewöhnlich regen Briefwechsel mit mächtigen Personen in Staat und Kirche geführt hat - und dabei ein sehr offenes Wort pflegte. Im Alter von nur 33 Jahren starb die Heilige in Rom. 

Der aktuelle Brief aus Siena an den emeritierten Kurienkardinal Kasper motivierte mich zu einer Antwort nach Vienna. Ich bin gespannt, ob Frau Bonelli nach dem Vorbild der von ihr ausgewählten großen Heiligen und Patronin Europas auch den ganz normalen, wenig hochgestellten Briefeschreiber einer Antwort für würdig hält. Der ursprüngliche Brief kann hier nachgelesen werden: www.kath.net/news/47906

Domine non sum dignus! (Herr, ich bin nicht würdig...)

Liebe Frau Bonelli,
herzlichen Dank für Ihren Brief an Kardinal Kasper, den ich mit hohem Interesse gelesen habe. Ich finde es gut, wenn auch ganz normale Gemeindemitglieder ab und an einem Würdenträger der Kirche zu schreiben. Und natürlich macht es mich (und viele andere) neugierig, was eine junge (frisch verheiratete) Frau einem Kardinal der römischen Kirche, der auf ein langes Leben zurückblickt, zu sagen hat. So ganz genau haben Sie Ihr Alter in Ihrem Brief nicht offenbart, aber ich denke es könnte passen, wenn ich Ihnen schreibe, dass ich vermutlich etwa 15 Jahre älter bin als Sie. Ich bin nicht frisch, sondern seit 17 Jahren verheiratet. Gott hat uns in unserer Ehe vier Kinder im Alter von 8, 10, 12 und 14 Jahren geschenkt. Vor 23 Jahren habe ich meine Tätigkeit als Industriekaufmann aufgegeben, um einen kirchlichen Beruf zu ergreifen. 

Gerne habe ich in den letzten Monaten Ihre "Briefe aus Siena" gelesen, schon länger wollte ich Ihnen schreiben, da ich finde, dass diese Briefe gut formuliert sind, die Dinge präzise auf den Punkt bringen, mich immer wieder nachdenklich machen, aber auch zur eigenen Klärung und zum Widerspruch herausfordern. Sie schreiben, dass Sie Kommunikationswissenschaften studieren. Das merkt man Ihren Briefen und deren Präsentation durchaus auch an. 
Die Hl. Katharina war eine faszinierende Frau, für ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin und Patronin Europas bin ich sehr dankbar. Auch wenn es manchmal befremdet, wie sie aus unterschiedlichen Positionen manchmal vereinnahmt wird, z.B. für den „Tag der Diakonin“. Da gefällt mir Ihr Gedanke, in die Fußstapfen der Hl. Katharina zu steigen und ihren Briefwechsel mit mächtigen Männern (und Frauen) in Kirche und Welt als Vorbild zu nehmen. 

Die Hl. Messe am Sonntag (28. Sonntag im Jahreskreis) war dieses mal auch für mich etwas Besonderes, da es die erste Messe war, die ich wieder in der Gemeinschaft meiner Heimatgemeinde mit feiern durfte. Durch eine Immunabwehrschwäche aufgrund meiner Krebstherapien war ich über Monate am Kirchenbesuch weitgehend gehindert. Ich bin meinen priesterlichen Kollegen sehr dankbar, dass sie jeden Sonntag mit der Hl. Kommunion zu mir gekommen sind. 
Ich freue mich, dass Sie – obwohl Sie Kommunikationswissenschaften und nicht Theologie studieren - dennoch so theologisch gebildet und mit klarer Positionierung schreiben. Davon bräuchten wir in der Kirche noch mehr Mitchristen. Leider habe ich an Theologie auch nur anzubieten, was ich durch mein Fernstudium und fleißige autodidaktische Lektüre erlernen konnte. Von daher mögen Sie evtl. Mängel entschuldigen. 

Natürlich hörte ich am Sonntag so wie Sie das Evangelium von der königlichen Hochzeit und die Schilderung der dramatischen Szene, in der der nicht disponierte Gast in die äußerste Finsternis verbannt wird. "Denn viele sind gerufen, aber nur wenige sind auserwählt“.
Der Priester gab sich in meiner Gemeinde große Mühe, das sperrige Evangelium aus dem historischen Kontext heraus zu erklären. Zunächst einmal formulierte er den exegetischen Befund, dass der Evangelist hier einige Jesusworte zusammengestellt habe, so dass sie in die Situation der damaligen Gemeinde hinein sprechen. Der Prediger schilderte die Situation der christlichen Gemeinde – u.a. gegenüber dem Judentum – und machte deutlich, wen der Evangelist mit den Gästen meint, die eingeladen waren, sich aber nicht als würdig erwiesen hatten, ja sogar vor einem Mord an den königlichen Boten nicht zurückschreckten. Die drastische Strafe deutete er mit Bezug auf die Erfahrung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Mit den dann eingeladenen Gästen von allen Straßen und Plätzen seien die gemeint, die (aus allen Völkern gerufen) nun an Christus glauben. Warum derjenige, der kein Hochzeitsgewand trägt, nun auch recht drastisch gestraft wird vermochte er allerdings nicht stimmig darzulegen. 

Ich bin nicht sicher, ob ich über den Text so gepredigt hätte, ich neige nicht dazu einen sperrigen Text exegetisch zu entschärfen. Doch "in Hinblick auf die Eucharistie" und die konkrete Messe in der Kapelle hätte ich den Text nicht ausgelegt. Damit tut man dem biblischen Text doch ein wenig Gewalt an. 
Daher kann ich verstehen, dass einige Leute in Ihrer Gemeinde Unmut äußern, weil sie mit dem Mann ohne Hochzeitsgewand gleich gesetzt wurden, mit einem, der in die äußerste Finsternis gehört, weil er – wie sie - nicht ausreichend disponiert und im Stand der Gnade zum Kommunionempfang hervortreten. Das mag ja kirchenrechtlich (möglicherweise) sogar stimmen, aber es kommt doch etwas mit dem Holzhammer daher.

Mein Pfarrer merkt ab und an im Gottesdienst an, dass niemand zur Kommunion „vorgeladen“ wird, dass man auch sitzen bleiben kann und dass zum Kommunionempfang gehört, dass man Christus begegnen möchte und daran glaubt, dass Christus selbst in der Hostie zu uns kommt. Noch nie hat jemand deshalb erbost die Kirche verlassen. Wohl aber sind manche sitzen geblieben, die sonst kommuniziert hätten, „weil man das halt so tut.“
Wohlgemerkt, mit der "unveränderlichen kirchlichen Lehre" in diesem Punkt, dass ich zur Kommunion nur im "Stand der Gnade" gehe, habe ich gar kein Problem. Doch verstehe ich, dass jemand nicht unmittelbar mit diesem zu verstoßenden Gast identifiziert werden möchte. Auch erhebt sich der Priester hier in die Position des Königs, der ja hier als Gleichnis Gottes zu verstehen ist. Ich denke, dass der Herr selbst im Evangelium häufig dafür sorgt, dass seine Zuhörer im innersten angerührt werden, dass er aber gerade nicht verurteilt, sondern dafür sorgt, dass die Menschen selbst erkennen, dass sie Sünder sind, die der Herr angeschaut hat. 
Ich hätte eher Mitleid mit "diesen armen Menschen" empfunden und gerne mit ihnen geredet, warum sie sich an dieser Stelle so getroffen und verletzt gefühlt haben. Ich bin nicht sicher, ob Ihre harte Interpretation, "dass sie sich nicht dafür interessieren, was sie tun müssen um die heilige Kommunion würdig zu empfangen" wirklich zutrifft. Möglicherweise, aber sicher ist das nicht. Auch muss es nicht sein, dass es sich um "sporadische" Messbesucher gehandelt hat.

Durchaus teile ich Ihre Einschätzung, dass manche Gottesdienstbesucher zu wenig darüber nachdenken, was der Kommunionempfang tatsächlich bedeutet. Hier verkehrt sich das bedeutsame Reformanliegen des Hl. Papstes Piux X. in sein Gegenteil. Aber bei aller Hochachtung vor dem Lebenszeugnis des Hl. Tarcisius; ob ich im Fall der Fälle wirklich mein Leben geben würde, um einen Räuber daran zu hindern mir die Krankenburse zu stehlen, das weiß ich auch nicht. Ich habe während der Krebstherapie häufiger darüber nachgedacht, ob die Angst vor einer möglichen Infektion, die die Therapie gefährden würde, für mich wichtiger ist als die Teilnahme an der Eucharistiefeier. Von daher fühle ich mich von diesem Satz in Ihrem Brief durchaus angerührt. 
Doch ist das wirklich ein Ausweis wahren Christentums in den Augen einer so jungen Frau? Ich würde sicher mein Möglichstes geben, aber wenn mir einer ein Messer vorhält wohl auch nicht in die Klinge springen, da bin ich ehrlich. Bin ich deshalb in Ihren Augen ein defizitärer Christ?

Dass die Beichte als Sakrament in einer tiefen Krise steckt, beschreiben Sie ja sehr gut. Nur mit Ihrer „Illustration“ der Probleme bin ich nicht ganz einverstanden. Zu einer guten Beichtvorbereitung im Rahmen der Erstkommunion sollte durchaus auch gehören: was war gut, was kann ich gut, wo bin ich gut ... und auf der anderen Seite, was ist schief gegangen, wo habe ich Fehler gemacht. Im Rahmen meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bin ich dafür neu aufmerksam geworden, dass auch die positiven Seiten angemessen gewürdigt gehören. Wenn ich in einer Ferienfreizeit mit einem der Betreuer über seine "Schwächen" sprechen möchte, darf ich nicht vergessen, auch seine Stärken zu beschreiben, sonst kommt manches "schief" rüber und eine positive Entwicklung kann verhindert werden. Von daher wird es die Religionslehrerin "gut gemeint" haben. Ich bin sicher, eine "böse Kirche" haben Kommunionkinder heute nicht mehr erlebt, eine "strenge Kirche" ab und an noch einmal deren Eltern. Aber ansonsten gehen sie sehr unbefangen an die Beichte heran und erleben diese als positiv.

Dein Eindruck, dass viele Menschen "NICHTS zu bereuen" haben teile ich durchaus. Das hat leider mit der sehr großen Individualität und Vereinzelung zu tun, aber sicher auch mit der Natur des Menschen, der dazu neigt, sich das eigene Verhalten schön zu reden. Ich kenne das von mir ja auch und wir sind ja täglich damit konfrontiert, auch im ganz normalen Zusammenleben, selbst in der katholischen Gemeinde. Selbstreflexion und Gewissenserforschung werden immer seltener, sogar unter treu Frommen und kirchentreuen, konservativen Katholiken. Was da alles im Brustton der eigenen Gerechtigkeit z.B. auf facebook und in „christlichen“ Foren formuliert und teils Anderen unterstellt wird... All das wirft ja auch ein Schlaglicht darauf, ob jemand zum demütigen Zuhören und auch zum in-sich- und auf-Gott-Hören in der Lage ist und zur ehrlichen Einsicht in die eigenen Schwächen. „Non serviam!“ das ist auch hier manchmal mit Händen greifbar.

Ich bin selbst Pastoralreferent und es macht mich neugierig, wo man in meinem Beruf einmal in die Verlegenheit kommt, einer Kirchengemeinde Anweisungen zu erteilen. Wie auch immer, man sollte die Kollegin einmal auf die biblische Quelle dieser liturgischen Antwort hinweisen und sie bitten, zunächst den biblischen Text zu lesen. Dann verbietet sich diese leicht-fertige Interpretation von selbst. Ich persönlich kann das gut mitsprechen, „Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst...“, weil ich weiß, dass ich es nötig habe, dass er sich mir zuwendet und dass ich Gott nicht von mir aus auf Augenhöhe begegne, sondern dass er selbst sich zu mir niederbeugt und sich für mich klein gemacht hat und bis heute klein macht. Natürlich heißt das Wort – recht verstanden - nicht: "Ich bin unwürdig...", sondern man müsste deutend sagen: "Herr, ich bin würdig Dir zu begegnen, weil Du mir Würde geschenkt hast, weil Du mir entgegenkommst..." Ich hoffe einmal, dass die Kollegin das auch gemeint hat. Ich teile aber nicht Ihren Eindruck, dass viele Menschen sich aus sich selbst heraus zur Gottesbegegnung für würdig halten, sich selbst also letztlich über Gott erheben. Und bei allem Spott, der manchmal über uns Katholiken hineinbricht, verbitterte Christen (wie sie das beschreiben) begegnen mir (zum Glück) selten. (Wir sollten  nicht übersehen, es gibt wirklich Menschen, deren Selbst-Bewußtsein angekratzt ist und die die Formulierung „Ich bin nicht würdig...“ falsch verstehen könnten und auf ihren Selbstwert beziehen. Hier müssen wir sensibel sein.)
Aber ich vermute, dass ich Ihrem Gedankengang nicht ganz richtig folgen konnte, es geht Ihnen offensichtlich mehr um eine Haltung, aus der man sich einen Gott selbst zurechtdefiniert, einen Gott, der letztlich nicht mehr als ein Götze ist. Das wäre in der Tat ein schwerer Fehler und eine Ur-Sünde. 

Ist es wirklich so, dass die Studenten, mit denen Sie zusammen sind, so wenig spüren, wie bedeutsam die Eucharistie für uns Katholiken ist? Es kommt sicher auf den Blickwinkel an, ich würde schon denken, dass die weitaus meisten Katholiken, die bei uns in Voerde die Kirche besuchen, in diesem Punkt durchaus noch gut katholisch orientiert sind. Allerdings sind diese ja wirklich nur ein Teil – sagen wir mal 20 Prozent – von denen, die offiziell noch als Kirchen(steuer)mitglieder dabei sind. Da fürchte ich, haben Sie mit Ihrer Diagnose wohl recht. Diese Menschen erreichen wir mit unseren pastoralen Aktivitäten leider kaum. Wobei die Pastoral, das möchte ich betonten, schon sehr stark um die Eucharistie "kreist". Es ist durchaus die Mitte der Gemeinde, dass wir Eucharistie und Gottesdienst feiern, beten, pilgern... Dass wir Besinnungstage halten und Katechesen für Tauffamilien, Erstkommunionkinder und Jugendliche, die die Firmung empfangen möchten. Ich denke, das ist – auch wenn ich nicht Priester oder Diakon bin - doch der Schwerpunkt meiner Arbeit. Ob das Ziel der Pastoral nun sein muss, dass sie bereit wären, für die "konsekrierte Hostie das Leben" zu geben... das würde ich so nicht sagen. Aber doch, im Glauben im Leben verankert zu sein und im Fall des Falles sich auch für den eigenen Glauben ins Zeug zu legen und wirklich etwas dafür zu tun, das sollte schon zu den Zielen gehören. 
Glücklicherweise gehört das Blutzeugnis in Deutschland noch nicht so zum christlichen Leben, wie das zur Zeit unsere Schwestern und Brüder in Syrien und im Irak erleben. Aber wir können etwas für sie tun, wenn sie unsere Hilfe brauchen oder gar als Flüchtlinge an unsere Türen klopfen. Wir haben z.B. beschlossen ein leer stehendes Pfarrhaus zukünftig als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. 

Sie erzählen eine Begebenheit aus dem Firmunterricht. Ich frage mich, ob diese Deutung eigentlich zwingend ist. In unserer Kirche würde es sich so nicht ereignen, weil der Pfarrer den Ministranten und den anderen Diensten die Kommunion reicht. Aber wenn ich in der Situation des Kommunionhelfers gekommen wäre hätte ich möglicherweise auch gefragt, warum sie nicht kommunizieren wollte und mich vermutlich über deren Antwort gefreut. Es hätte ja auch anders sein können, so dass das Mädchen nicht versteht, dass es in der Kommunion Christus empfängt und dass der Spender als Person hinter diese Wirklichkeit im Grunde vollständig zurück tritt. Es hätte ja auch sein können, dass sie einen verborgenen Groll gegen den Spender fühlte und dieser ihrer Christusbegegnung im Wege stand. Und nach dem Wort, das Jesus einmal gesagt hat: Versöhne Dich bevor Du Dein Opfer zum Altar bringst.... achte auch ich darauf, dass ich am Sonntag jedem die Hand zum Friedensgruß reichen kann. 

Sie haben sehr fein gespürt, wo in Kardinal Kaspers "Evangelium von der Familie“ die Schwächen stecken und halten ihm diese Schwäche vor Augen. Wenn ein geschiedener Wiederverheirateter "Verlangen nach dem Sakrament hat" ... "dann wird er sicherlich bereit sein, zu beichten und in Zukunft enthaltsam zu leben.“ Bei aller Hochachtung für die Worte des heiligen Papstes Johannes Paul II in Familiaris consortio überzeugt mich das Konzept der "Josefsehe" nicht. Das führt für mich die Frage der Sakramente sehr eng. Ehebruch wäre dann nur, wenn die Partner aus einer getrennten Beziehung sich nicht "der Akte enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind". Das ist mir – ehrlich gesagt – zu genital! Hier ist für mich das Gebäude der kirchlichen Ehelehre etwas wackelig oder grob und wenig überzeugend. Wie soll das gehen; auf der einen Seite eine Wertschätzung der Sexualität zu verkünden und auf der anderen Seite dann Grenzen definieren zu müssen, wo diese Akte denn nun im katholischen Verständnis beginnen? Ist ein Abschiedskuss am Morgen noch statthaft oder eine zärtliche Umarmung? Darf man noch zusammen in einem Schlafzimmer schlafen oder muss man sich eine neue Wohnung mit getrennten Zimmern anmieten? Wie "Bruder und Schwester" kann ein Paar sicher nicht leben, wenngleich ich schon der Meinung bin, dass die Bedeutung der genitale Sexualität auch hin und wieder übertrieben gesehen wird. Hier gäbe es noch manches zu durchdenken und zu durchbeten. 

Ich bin ein großer Freund der kirchlichen Ehelehre und bin der festen Überzeugung, dass sie für die Kirche (wie für die Paare) ein Schatz ist. Wie schön, dass ich in den Armen meiner Frau spüren darf, wie treu Gott zu mir steht. Wie schön, dass sie mich hält und für mich in ihrer Liebe Christi Liebe auch dann erfahrbar ist, wenn es mir schlecht geht und ich zum Gebet nicht in der Lage bin. 
Die Frage ist für mich, was wir konkret tun können, damit die Ehe eine spürbare sakramentale Wirklichkeit auch für die Welt bleibt. Welchen Sinn macht eine sauber formulierte Ehelehre, wenn kaum noch einer danach lebt, weil sie als schwer nachvollziehbar und wirklichkeitsfremd erlebt wird. Das Rezept kann aber nicht sein, die sakramentale Dimension der Ehe aufzugeben oder ein Sakrament "light" zu entwickeln, sondern eher den Kern der kirchlichen Lehre von Überkrustungen und Verschlackungen zu befreien. 

Heute ist es so, dass die eigentliche Theologie der Ehe und das Evangelium von der Familie in der kirchlichen Diskussion sehr von kirchenjuristischen Definitionen überlagert ist. Die Diskussion um den Ehevollzug, den "Akten", die Eheleuten vorbehalten sind und der Möglichkeit einer Zweitehe als "Josefsehe" müsste hier in den Blick genommen werden. Wir können doch nicht ernsthaft behaupten, dass der Kern des Problems bei der Kommunionzulassung derer, die in zweiter Ehe verheiratetet sind, in dem Aspekt liegt, dass sie miteinander Sex haben. Hier sollten wir uns von überkommenen Vorstellungen lösen und die Ehe und den "Ehevollzug" ganzheitlicher betrachten. Dazu gehört doch mehr als der "Beischlaf" in der Hochzeitsnacht. Mag es im Jahre 1563 noch notwendig gewesen sein, solche Aspekte (kirchenrechtlich und juristisch) klar zu formulieren, so hat sich mit der höheren Wertschätzung der zwischenmenschlichen Liebesbeziehung, wie sie sich in den letzten 100 – 150 Jahren entwickelt hat, die Perspektive doch deutlich verändert. Wie wäre sonst wäre z.B. eine Ehe wie die zwischen Ihnen und Herrn DDr. Bonelli möglich gewesen? Wie sollten wir als Kirche diese "Liebesheiraten" nicht als "Wink des Hl. Geistes" interpretieren, erst recht, wenn wir in der liebevollen Beziehung, ja sogar im geschlechtlichen Miteinander der Eheleute ein Sakrament, ein Ab-Bild der Beziehung Gottes zu den Menschen erkennen. 

Ich freue mich, dass die Synode sich in diesen Tagen all diesen Fragen offensichtlich widmen möchte und schließe mich der in der Relatio formulierten Überzeugung an, dass es notwendig ist „das Band zwischen dem Sakrament der Ehe und der Eucharistie in Beziehung zu Kirche und Sakrament theologisch zu vertiefen“. Nur aus einer vertieften und durchbeteten Erkenntnis hierüber kann eine Lösung für die heutigen Probleme entwickelt werden. Das würde auch die berechtigten Bedenken des polnischen Erzbischofs Gadecki aufgreifen: „Unser erstes Ziel sollte es doch sein, die Familienseelsorge zu unterstützen und nicht, sie zu beschädigen, indem wir auf schwierige Situationen eingehen!“
Nein, die Lösung kann natürlich nicht von den „schwierigen Situationen“ her kommen, sondern muss aus dem tieferen Verständnis der Sakramentalität der Ehe heraus gefunden werden. In diesem Zusammenhang sollte auch die Haltung der Kirche zum Gottesgeschenk der menschlichen Sexualität weiter geklärt werden. 
Wir sollten uns letztlich die Frage stellen, welchen Sinn eine „saubere“, nur an der Tradition der Kirche orientierte erneute Festschreibung der Lehre hat, wenn diese für das konkrete Leben der Christen nicht mehr relevant ist. Ich halte es für notwendig, eine Sakramententheologie der Ehe (nicht neu zu „erfinden“, sondern sie neu) zu formulieren, die auch für einfache, gläubige Menschen verständlich und spürbar ist und deren Wahrheit in den täglichen Erfahrungen als Verliebte und später auch schon länger verheiratetes Paar konkret spürbar wird.

Es klingt mir in den aktuellen Diskussionen (in den Medien und unter Katholiken) viel zu sehr nach "alles oder nichts". Auf der einen Seite die Verteidiger der "reinen Lehre", auf der anderen Seite – angeblich – die, die diese Lehre aufgeben wollen. Dafür ist ja Kardinal Kasper schon vielfach hart angegangen worden, Ihr Brief stellt da vom Ton her eine angenehme Ausnahme dar.  Erzbischof Gänswein hat in diesen Tagen gesagt: „Zulassung der Wiederverheiratung widerspreche dem Willen Jesu“. Wer möchte ihm da widersprechen. Aber es geht ja auch gar nicht um die Zulassung einer sakramentalen Wiederverheiratung sondern um den pastoralen Umgang mit Menschen, die in dieser Situation leben. 
Die Polarität die hier aufgerichtet wird, wird der Problemlage aber nicht gerecht. Leider drängt sich der Eindruck auf, dass in der Presse und in publizistischen Aktionen Bischöfe in eine Positionierung gedrängt werden, die der Thematik nicht angemessen ist. Auch der "Kasper – Seite" geht es um die unverfälschte Lehre und den Willen Jesu. Bei Menschen, die in nach katholischer Auffassung ungeordneten Beziehungen leben, geht es ja nicht um Verbrecher und Todsünder in weltlicher Auffassung. Das sollten sie im Umgang der Kirche und der Gemeinden mit ihnen auch spüren. Daher halte ich den Vorschlag Ihres österreichischen Kardinals Schönborn (Gradualität), der auch in der Relatio von Kardinal Erdö seinen Niederschlag gefunden hat, für sehr hilfreich, dass wir anerkennen, dass es auch jenseits der klassischen Ehe Stufen und Schritte des Guten und Wahren gibt. Es mag manchen Kritikern sehr nach „Der Weg ist das Ziel“ klingen, aber es kommt dagegen für uns Katholiken darauf an, am Ziel festzuhalten, ohne dem Pilgerweg jede Bedeutung abzusprechen. 

Jetzt ist es doch viel länger geworden als zunächst geplant. Aber nehmen Sie es als Zeichen der Verbundenheit und Wertschätzung. 

Mit den besten Wünschen für Ihre junge Ehe, verbunden mit einem herzlichen Gruß an Ihren Ehemann verbleibe ich im Gebet verbunden
Ihr
Markus Gehling

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Kein Selfi mit Kardinal Müller? Schade!

Wir leben in einer visuellen Welt. Zu einer richtigen Nachricht gehört ein Foto. Das Phänomen geht so weit, dass Meldungen aus Kriegs- und Krisengebieten mit Fotos bebildert werden, die gar nicht zeigen, was sie zu illustrieren vorgeben.

Kürzlich sorgte eine – eigenartig bilderlose – Meldung für ein kurzes Rauschen im katholischen Blätterwald: Nach längerer Funkstille trafen sich Gerhard Ludwig Kardinal Müller und Bernhard Fellay, der "unerlaubt" geweihte Bischof und Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X. (Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii Decimi FSSPX) im Vatikan. Je nach "ideologischer" Ausrichtung wählten die jeweiligen Medien dazu Bilder aus ... nur ein echtes Foto der wirklichen Begegnung wurde nicht publik. War bei den Beteiligten die Sorge zu groß, dass eine(r) der Abgebildeten zu freundlich oder fröhlich (oder auch frustriert) schaute und dieser Blick zu Interpretationen Anlass geben könnte?

Im offiziellen "Kommuniqué" der Bruderschaft war von "herzlicher Atmosphäre" die Rede und dass man den Austausch suchen wolle, um "auseinanderweichende Punkte" zu klären. Der Vatikan teilte mit, die Begegnung habe im "herzlichen Klima" stattgefunden und man habe über einige "Probleme lehrmäßiger und kirchenrechtlicher Natur" gesprochen und wolle diese mit dem Ziel der "vollen Aussöhnung" überwinden. Klingt ein wenig wie "hat sich bemüht..." im Arbeitszeugnis.

Ich glaube ja gern, dass das Treffen selbst für die Beteiligten nicht unangenehm war. Im Grunde ging es dabei um nichts, denn alle Probleme sind längst benannt, der Streit längst gestritten und die Positionen klar. Der eine Partner sagt: es gibt eine "Präambel" und nur durch diese Pforte geht es rein; der andere Partner sagt: wir würden ja durch diese Pforte gehen, aber wir haben Angst vor dem, was uns hinter der Tür erwartet... Schlimmstenfalls ist es nämlich Fidenzio Volpi, der dann nach den Franziskanern der Immaculata auch mit der Piusbruderschaft "Schlitten fährt". 

Dass die Querelen rund um diesen traditionalistisch überzuckerten oder unterfütterten neuen franziskanischen Orden einen Widerhall in der Szene rund um die Piusbruderschaft finden, zeigt Bischof Fellay eindrucksvoll mit seiner Predigt bei der Wallfahrt des deutschen Distriks nach Fulda, wo er die "Zerstörung der Franziskaner der Immaculata" anprangerte (das war noch vor dem Besuch bei der Glaubenskongregation). Den "wahren Grund" für die Visitation dieser Gemeinschaft und die Einsetzung eines apostolischen Kommissars (durch Papst Benedikt) sieht er darin, dass die Gemeinschaft begonnen habe "über das Konzil zu sprechen". Er bedauert ausdrücklich, dass die marianischen Franziskaner nicht wagen würden, sich gegen den Vatikan zu wehren. Fellay behauptete, dass zwei Drittel der Franziskaner eine neue traditionalistische Gemeinschaft gründen würden, wenn es ihnen denn erlaubt würde (andere Quellen sprechen allerdings von 30 Austrittswilligen bei 300 Mitgliedern). Bischof Fellays Fazit: "So wollen wir nicht enden." 

Vor diesem Horizont kann man froh sein, dass im Hause Müller eine "herzliche Atmosphäre" geherrscht haben soll. Hoffentlich hat Bischof Fellay seine Sorgen nicht nur bepredigt sondern auch offen angesprochen und dabei in "herzlichem Klima" vielleicht auch einen kleinen Einblick in die Probleme dieser jungen Gemeinschaft bekommen, die womöglich nicht nur in der alten Messe und einer zu eng geführten Theologie begründet sind. Da Papst Benedikt XVI. höchstselbst die Visitation veranlasst hatte, mag ich nicht so recht an Umtriebe einer allzu liberalen Kurie glauben. Offizielle Stellungnahmen gibt es hierzu leider nicht, aber der Furor, mit dem interessierte Kräfte die Visitation kirchenpolitisch vereinnahmen, macht mich ausgesprochen skeptisch. Ob da auch wohl Kommentatoren dabei sind, denen eine weitere Annäherung zwischen Piusbruderschaft und offizieller Kirche ein Dorn im Auge wäre?

Ich kenne Bischof Fellay nicht und bin auch Kardinal Müller nur einmal persönlich begegnet. Bernhard Fellay erscheint mir in Texten und Videos jedenfalls als sympathischer, besonnener, kluger und ausgleichender Mann. Mein Eindruck ist, dass beide Kirchenmänner sich herzlich begegnen können und auch in manchen Punkten der Betrachtung des ganzen breiten Themenfeldes, das sich im Umfeld der Problematik der Piusbruderschaft auftut miteinander reden können und manchmal auch ähnlich denken. Müller ist ein gebildeter Dogmatiker und guter Denker. Und er ist sehr klar, wenn es darum geht, was machbar ist und was nicht. 

Zur Zeit wird viel über Salafismus diskutiert und darüber, was das mit dem Islam zu tun habe. Mein Eindruck ist, dass es durchaus gedankliche Verbindungslinien gäbe, dass man die Bruderschaft durch diese Brille auch einmal (soziologisch) als Salafisten des Katholizismus betrachten dürfte. Sie nehmen für sich in Anspruch, einen besonders "reinen" und "ursprünglichen" Katholizismus zu leben, der auf die eigentlichen Quellen und die reiche Tradition des christlichen Glaubens und die Kirchenväter zurückgeht. Ganz ähnlich argumentiert ja auch mancher Salafist. Natürlich wird sich ein Freund der Piusbruderschaft wegen der Gegnerschaft, die diese auch zum Islam(ismus) kultiviert, über den Vergleich empören, aber ganz abwegig und unangemessen ist er wohl nicht. Die Piusbruderschaft setzt klar auf die Herrschaft der göttlichen Gebote auch in einer säkularisierten Gesellschaft; sie hält sich für den "heiligen Rest" einer Kirche, der sich über die Umbrüche des 2. Vatikanums in die heutige Zeit gerettet hat. Auch wenn sie sich der "Erneuerung des katholischen Priestertums" widmen will, so ist mit Erneuerung hier eher Restauration gemeint. 

Ich halte gar nichts von eine Dämonisierung der Piusbruderschaft, wie es vielfach geschieht, erst recht nach der "Panne" mit dem Exzentriker und Holocaustleugner Bischof Richard Williamson. Manchen geistlichen Text aus den Mitteilungsblättern der Piusbruderschaft lese ich mit Gewinn. Die Piusbruderschaft bewegt sich im Allgemeinen in vernünftigen Grenzen, denn im bunten Reich des Traditionalismus ist vieles möglich. Wer einmal etwas über das Leben von Luigi Villa gelesen hat für den dürfte die Piusbruderschaft ihren "Schrecken" verloren haben. (Im Übrigen ist Don Villa leider nicht die einzige obskure Figur vom Rand der Kirche; mehr über ihn findet man in einem wunderlichen Artikel auf http://gloria.tv/?media=364501&language=oe7Kk4CL1hU),  Wenn es der Bruderschaft gelänge, solche Typen einzubinden, bevor sie vollends abdrehen (und sie somit "unschädlich" zu machen) dann hat sie sich schon um die Kirche verdient gemacht. Aber dies nur am Rande!

"Die Priester, die katholisch bleiben wollen, haben eine strenge Pflicht, sich von der Konzilskirche zu trennen! bis sie (Rom) die Tradition der Kirche und den katholischen Glauben neu entdeckt haben wird." Dieses (und manche ähnliche) Worte gab Erzbischof Marcel Lefebvre seinen Anhängern mit auf den Weg. Neben seinen sicher lesenswerten geistlichen Texten steckt in solchen Worten ein nicht zu unterschätzender Zündstoff. Seinem Nachfolger Bischof Fellay wird von Teilen der Bruderschaft bereits jetzt vorgeworfen, dass er allein mit "herzlichen" Gesprächen schon das Erbe des Gründers verrät. Denn es ist keineswegs damit zu rechnen, dass "Rom" einen Weg zurück hinter die Veränderungen und Reformen des Konzils antreten wird. In der in oder anderen Frage mag es eine Rückbesinnung geben, aber insgesamt geht die Kirche, geführt durch den Hl. Geist ihren Weg durch die Zeit. Das hätte allerdings auch "der Erzbischof" in den letzten Jahren seines Lebens und Wirkens einsehen müssen und die Weichen für die Bruderschaft entsprechend stellen sollen. Selbst eine Kirche, die sich wieder neu auf die Theologie, Frömmigkeit und Pastoral vor dem 2. Vatikanum ausrichten würde, wäre nicht (mehr oder wieder) die Kirche, auf die "der Erzbischof" wartete. Der emeritierte Erzbischofs von Poitiers, Albert Rouet, kommentierte solche Hoffnungen so: "Die Vergangenheit wirkt so beruhigend, weil sie tot ist." Der inzwischen aus der Piusbruderschaft ausgeschlossene Bischof Williamson facht inzwischen mit Verweis auf Marcel Lefebvre das Feuer an und unterhält Kontakte zu den Revoluzzern, die sicherlich bei einer Annäherung beider Seiten unmittelbar eine Piusbruderschaft 2.0 gründen werden. Schon werden aus dieser Ecke die treuen Anhänger Fellay's als "Neo-Piusbruderschaft" bezeichnet. 

Dabei ist Fellay verbal ausgesprochen eindeutig und klar, in der schon zitierten Predigt vom 7.9.14 sagt er: "Wir sind unglaublich empört, wir vereinen uns mit dem Zorn Gottes und wir beten. Was wir mit dem neuen Papst sehen, ist eine deutliche Verschlimmerung der Sache. All diese Irrtümer, diese falschen Haltungen, diese Annäherung an die Welt, die werden jetzt beschleunigt, zum großen Leiden der Kirche." .... "Wir gehen nach Rom, wieder einmal gerufen, wir werden einfach wiederholen, was wir immer sagen, nichts anderes. Wir halten fest an ... all dem, was das Katholische gemacht hat über Jahrhunderte..." 

Im Vatikan dagegen ließ Kardinal Müller mit Blick auf die dogmatische Präambel und das Bild von der Tür in der für ihn typischen Prägnanz verlauten: "Diese Tür steht offen, wir schließen sie nicht. Aber es gibt auch kein Hintertürchen."

Mir wird immer klarer, warum aus dem Projekt einer "Eingliederung" der Piusbruderschaft in die "offizielle" katholische Kirche nichts werden kann. Denn es geht nicht nur um "kleine" kirchenrechtliche (also quasi technische) Probleme, wie z.B. die Frage, in welcher rechtlichen Struktur man die Bruderschaft möglichst frei vom Einfluß möglicherweise mißliebiger Ortsbischöfe halten kann (Personalprälatur?).

Man sollte in all den Spekulationen und Strategien nicht vergessen: Ein, wenn nicht gar "der" Existenzgrund der Piusbruderschaft ist schlicht der "sichere" Abstand zur Kirche und die hierdurch gegebene Eigenständigkeit, die in dieser Form (in der und mit der Kirche) nicht zu halten sein wird. Ob man diese bequeme Situation um der Einheit und um zusätzlicher pastoraler Wirksamkeit willen aufgeben möchte? Ich denke, die klugen Köpfe in der Bruderschaft wissen, dass "die Grenzen des Wachstums" beinahe erreicht sind. Es mögen zwar noch eine Reihe von Priestern hinzu kommen (quasi antizyklisch zur Situation in diözesanen Seminaren), die Bruderschaft wird noch das ein oder andere Priorat oder einen Messort eröffnen... aber ohne die Verzahnung mit der Kirche bleiben sie eine relativ bedeutungslose Gruppe. 

So hat die FSSPS heute ein selbst gewähltes und selbst gestaltetes Reservat. Hier herrscht die "reine Lehre", jeden Abweichler kann man getrost zur Petrusbruderschaft oder in den Sedisvakantismus abgeben oder demnächst zu einer Piusbruderschaft 2.4 oder Marcel-Bruderschaft, die sich um "Bischof" Williamson gründen mag. "Publikum", auch finanziell potent, wird es wohl immer geben auch für eine neu gegründete Piusbruderschaft, wenn wider Erwarten einmal die offizielle Piusbruderschaft in die Kirche eingegliedert würde. Aber auch ich frage mich: was genau wird sie dann davor bewahren, (theologisch und pastoral) eine Petrusbruderschaft 2.0 zu werden, wenn auch womöglich mit einer größeren kirchenjuristischen Eigenständigkeit und eigenem Bischof? Es ist überhaupt nicht abzusehen, dass es bei einer Einigung meinetwegen zum 18.7.2018 anders laufen würde als 30 Jahre zuvor mit der Petrusbruderschaft. Möglicherweise haben wir damit eine neue ruthenische (marcellinische) Kirche unter dem Primat des Papstes irgendwie uniert und integriert und das Problem damit verkleinert. Aber mehr wird nicht zu erreichen sein.

Mit der eigenen Propaganda hat die FSSPX sich das Potential an Unzufriedenheit mit der "Konzilskirche" über Jahrzehnte sorgfältig selbst geschaffen und ausgebaut. Aus den Argumentationsmodellen kann man im Grunde nicht mehr entkommen, ohne sich selbst den Boden unter den Füßen zu entziehen. Der "heilige Rest" der Priester und Gläubigen, die sich für die einzig wahre Kirche und die römische Kirche unter dem Papst für "konzilsverseucht" halten, dieser Rest wird bleiben.

„Das, was die Piusbrüder vertreten und was die Lehre des Konzils ist, zu der sich die Päpste ausnahmslos bekennen, ist diametral entgegengesetzt“, meint dazu der emeritierte Professor für Dogmatik  Wolfgang Beinert (ehemaliger Assistent von Joseph Ratzinger) in einem „Domradio“-Interview. Es gebe daher nur eine Einigung, wenn einer nachgebe. „Und das würde für beide Seiten den theologischen Selbstmord bedeuten... Den kann der Papst nicht begehen und den kann auch die Piusbruderschaft nicht begehen, sonst gäbe sie sich selber auf“, so Beinert weiter. 

Wenn ich dem Dogmatiker im ersten Teil auch nicht zustimme, so hat er im letzten Halbsatz in jedem Fall recht. Die "Einheit" mit "Rom" wäre für die Bruderschaft tatsächlich riskant. Eine Einigung mit der Glaubenskongregation wäre für die Bruderschaft zum heutigen Zeitpunkt gleichzusetzen mit dem Eingeständnis, an den eigenen Zielen gescheitert zu sein. Diese Tatsache werden interessierte Kreise unmittelbar zu nutzen wissen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen das Risiko nicht sehen und kann mir daher nicht vorstellen, dass sie ein solches "Experiment" riskieren. Obwohl es für beides Seiten not-wendig wäre, aufeinander zuzugehen. Die Bruderschaft kann ohne den Bezug zum Hl. Vater und zum wirklichen (nicht nur gefühlten Rom) auf Dauer nicht katholisch bleiben. Und der Hl. Vater und der Vatikan kann nicht akzeptieren, dass eine Gruppe, die sich für katholisch hält und wohl auch ist; dass einige hundert Priester, die im Hochgebet für Papst Franziskus beten, getrennt von ihm existieren. Der aktuelle Tweet des Pontifex "Die Spaltung innerhalb einer christlichen Gemeinschaft ist eine sehr schwere Sünde; sie ist ein Werk des Teufels." gilt auch hier. 

So ist es mit beiden wie mit manchem (Ehe-)paar. Sie können nicht zusammen, aber sie können auch nicht getrennt leben. Aber vielleicht ist ja ein solches "Bruderschaft" - gewordenes Fragezeichen ein beständiger und hilfreicher (geistgewollter) Dorn im Fleisch einer hier und da bequem gewordenen Theologie und Glaubenspraxis. 

Man wird aber nicht den Fehler begehen, in der Piusbruderschaft den Hort der reinen jesuanischen Lehre zu sehen und ihr die Stellung zu geben, die eigentlich der Bibel und der Überlieferung der authentischen Tradition zukommen. Dazu ist die Bruderschaft ideologisch und theologisch zu eng. Allenfalls ist sie eine legitime Ausdrucksform des Katholizismus. 

Der Wahlspruch der Bruderschaft: "Instaurare omnia in Christo" meint recht verstanden – in Christus alles erneuern, nicht in Christus alles "restaurieren". Bei der gesamten Diskussion kommt mir manchmal das Bild eines uralten Kreuzes in einer Kirche in den Sinn. In der jüngeren Vergangenheit war es oft so, dass man solche Kreuze regelmäßig "restauriert" hatte, wobei man sich an der noch vorhandenen letzten Farbfassung orientierte. Manchmal führte das zu einer eindeutigen Verschlimmbesserung des Kunstwerkes, das von zahlreichen Farbschichten überlagert wurde. Heute schaut man mit großem Aufwand nach, wie die ursprüngliche Farbfassung gewesen ist. Und lässt dann aber lieber die Spuren der Jahrhunderte sichtbar, als durch eine "stimmige" Restaurierung den Eindruck zu vermitteln, man habe ein makel- und zeitloses Kunstwerk vor sich.

Eine Einheit im Sinne des Papstes wird nur möglich sein, wenn die Bruderschaft sich in Teilen vom ansonsten sicher verdienstvollen Nachlass ihres Gründers verabschiedet und anerkennt, dass es auch neben dem Spektrum der von ihnen aktuell als authentisch anerkannten Glaubenslehrern noch weitere gute Theologen und Lehrerinnen gibt. Möge es Ihnen geschenkt werden, zu entdecken, dass die Erneuerung nicht nur in der römischen Kirche sondern auch in der Bruderschaft selbst zu beginnen hat. 

Der Hl. Papst Pius X. (dessen 100. Todestag wir in diesem Jahr (am 20.8.) feiern konnten) stellte sein Wirken unter das Leitwort "Omnia instaurare in Christo" und führte eine Reihe von Reformen durch, die teils massiv mit liebgewordenen Traditionen brachen, das katholische Leben umgestalteten und es teilweise noch bis auf den heutigen Tag prägen (allsonntäglicher Kommunionempfang, frühe Erstkommunion u.s.w.).
In seiner ersten Enzyklika schrieb er: "Im Vertrauen auf Gottes Kraft legen wir Hand ans Werk und erklären, daß das leitende Ziel Unseres päpstlichen Waltens das ist: "in Christus alles zu erneuern", auf daß "Christus alles in allem sei". Weise sieht er dabei voraus: "Es wird gewiß nicht ausbleiben, daß man das Göttliche mit dem Maßstabe des Menschlichen mißt, die Absichten Unseres Inneren zu ergründen und im Sinne weltlicher Bestrebungen und Parteiziele zu deuten sucht." ... "Wenn daher jemand von Uns einen Wahlspruch verlangt, der die Ziele unseres Innern offenbart, so werden Wir Uns immer zu dem einen bekennen: "Alles zu erneuern in Christus".

Der heilige Papst verweist in seiner Enzyklika auf den 10. Vers des 1. Kapitels des Epheserbriefes, wo dieses Wort in der heutigen Einheitsübersetzung lautet: "Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist." Dieses Wort beschreibt sehr zutreffend, was wir alle in der Nachfolge des Hl. Giuseppe Sarto gemeinsam anstreben sollten, ob wir nun skeptisch auf dessen Amtsnachfolger Franziskus schauen oder von diesem eine grundlegende Erneuerung der Kirche erhoffen.