Mittwoch, 15. Januar 2020

Ist der Zölibat noch zu retten? Gedanken zur Debatte um Kardinal Sarah

Kardinal Robert Sarah ist aktuell wohl der Lieblingskardinal der traditionsverbundenen Katholiken. (Um nicht von Traditionalisten zu sprechen, was gewisse Kreise offenbar ungern hören.) Der Mann aus Guinea leitet seit einigen Jahren die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung im Vatikan. Papst Johannes Paul II. hatte ihn, den jungen Erzbischof von Conakry, der Hauptstadt seines Heimatlandes, nach Rom geholt und Papst Benedikt XVI. hatte ihn mit wichtigen Aufgaben betraut und zum Kardinal ernannt. Vor einigen Jahren machte sein Engagement für die Rückkehr zu einer gemeinsamen Gebetsrichtung von Priester und Gläubigen im Gottesdienst Furore, weil dieses Thema eine zentrale Symbolik besitzt, für alle jene, die eine Rückkehr zur „alten“ Liturgie fordern. „Der will zurück vor das zweite Vatikanum“, so klang es entsetzt aus dem eher liberalen Lager der Kirche. Anders als die inzwischen "pensionierten" Kardinäle Brandmüller, Burke oder Müller leitet Kardinal Sarah ja nach wie vor eine wesentliche Kurienbehörde und seine Stimme hat Gewicht.

Er hatte zwischenzeitlich drei viel beachtete Gesprächsbände mit dem Journalisten Nicolas Diat veröffentlicht, deren letzter „Herr bleibe bei uns: Denn es will Abend werden“ erst gerade auf den Markt gekommen ist. Vor einigen Tagen gelang ihm nun ein weiterer Coup, der weltweite Aufmerksamkeit erzeugte. Ein französischer Verlag kündigte – gemeinsam mit Verlagen anderer Sprachen – ein weiteres Buch des Kardinals an. Das Besondere daran: es sollte ein Buch zweier Autoren werden, neben dem afrikanischen Kardinal habe es auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. verfasst. Das Buchcover zeigt beide Autoren gleichwertig, verzichtet sogar darauf, den emeritierten Papst als emeritiert zu kennzeichnen.

Ein echter, publizistischer Paukenschlag! Wer kann schon von sich behaupten, mit einem Papst ein gemeinsames Werk verfasst zu haben? Das ist einigermaßen beispiellos! Aber, ist es mehr als ein Marketing-Coup? Denn diese Tatsache sollte innerhalb weniger Stunden eine Bedeutung bekommen, die der Kardinal offenbar nicht korrekt eingeschätzt und vorausgesehen hatte. 

Mal ganz ehrlich, egal wo Sie kirchenpolitisch stehen: Welchen Neuigkeitswert könnte ein solches Werk eigentlich haben? Die Bücher über das Priestertum und den Zölibat, sie füllen Regalmeter in theologischen Bibliotheken. Gibt es irgendwas, was zum Zölibat noch nicht gesagt und noch nicht geschrieben wurde? Pro und Contra Zölibat liegt jedes Argument von allen erdenklichen Seiten geprüft und in allen Facetten beleuchtet auf dem Tisch. Was sollte dieses Buch Neues bringen? Eigentlich ein Werk für Fachtheologen, die es aber nur kurz zur Hand nehmen, um zu sehen, ob es interessante persönliche Sichtweisen gibt oder ob hier anderen theologischen Autoren begründet widersprochen wird. 

Undenkbar, dass der Kardinal und der emeritierte Papst plötzlich den Kritikern dieser priesterlichen Lebensform Futter bieten oder ein Entgegenkommen signalisieren würden. Natürlich kann das nur eine mehr oder minder spirituelle Schrift für den Zölibat sein, in der die wohlbekannten Argumente noch einmal aufgewärmt und im Kontext der aktuellen Zeiten neu dargelegt werden. 

Entsprechend bekommt das Werk seine Bedeutsamkeit im Grunde eher von Außen. Und zwar vor allem durch zwei Tatsachen. Einmal ist da die im Rahmen der Amazonassynode geforderte ausnahmsweise Zulassung verheirateter, gestandener Männer zur Priesterweihe. Dabei geht es um solche Männer, die sich als Diakone schon seit längerem in der Leitung einer kleinen, abgelegenen Missionsgemeinde bewährt haben und wo man auf diese Weise die Spendung der Sakramente der Beichte und der Eucharistie und die ordentliche kirchenrechtlich saubere Hirtensorge für diese Gemeinde sichern möchte. 

Die zweite Tatsache ist der in Deutschland wieder lauter werdende Chor derjenigen, die eine Reform des Zölibats oder überhaupt die Reform der priesterlichen Lebensform fordern und in den in den letzten Monaten verstärkt auch priesterliche und bischöfliche Stimmen einstimmen. 

Kardinal Sarah und seine Verlage priesen das Werk daher auch ausdrücklich als Vergewisserung in Zeiten, wo der Zölibat (und damit das Priestertum) zunehmend unter Beschuss gerät. 
In einem Interview mit dem Figaro hatte der Kardinal im Figaro deutliche Worte zur Forderung der Mehrheit der Synodenväter gefunden: Er nannte es „eine Instrumentalisierung der Lage in Amazonien“. Medien und „selbsternannte moralische Autoritäten“ hätten ungehörigen „Druck auf die Bischöfe“ ausgeübt. „Man wollte uns glauben machen, der Zölibat sei eine historisch relativ junge disziplinarische Regel; man hat historische Lügen aufeinandergehäuft.“

Auf katholisch.de wird der Kardinal mit noch klareren Worten zitiert: „Bischöfe, Priester und Laien sollten sich nicht von "irregeleiteten Einwänden, theatralischem Gehabe, diabolischen Lügen und im Trend liegenden Fehlern" einschüchtern lassen, die dazu dienen sollen, "den priesterlichen Zölibat abzuwerten". Das Buch solle auch Priestern Mut machen, den Zölibat treu zu leben. "Die Priesterschaft geht durch eine dunkle Zeit", viele Priester seien verunsichert durch "das Offenbarwerden vieler Skandale, die konstante Infragestellung ihrer heiligen Ehelosigkeit".

Diese Sicht verwundert doch sehr, zumal ich nicht sehe, dass ein Bischof, der unter dem ungehörigen Druck der Medien später, zurück in der „Freiheit des Amazonas“ sein Abstimmungsverhalten bei der Synode bedauert hätte. Ich war ja selbst während der Synode in Rom und kann sagen, dass die Medien sich während der Synode vor allem mit den Behauptungen und dem Handeln eines österreichischen Aktivisten und Vandalen beschäftigten und der Frage, ob man sich in Zukunft im Namen des Vaters, der Mutter Erde (Pachama), des Sohnes und des Hl. Geistes zu bekreuzigen habe. 

Die eigenartige Sichtweise, die Forderung nach einer Lockerung des Zölibatsgebots sei der Kirche quasi von außen aufgedrückt (von welchen Kräften auch immer (frustrierten Laien, Kirchenfeinde, der Teufel, schwachen Gläubigen, gescheiterten Priestern...) irritiert mich immer stärker. Nach meiner Wahrnehmung kommt diese Forderung inzwischen aus der Mitte der Kirche selbst. Und weitgehend von Menschen, die der Kirche zutiefst wohlgesonnen sind. Die Antwort, die ich von einem Kardinal erwarten würde, wäre, dass er sich der Sorgen annimmt und mit guten Argumenten und konsequentem Handeln die Zölibatskritiker überzeugt. Und sie nicht in „gute“ und „schlechte“ Christen separiert und eine Spaltung fördert.

Mit seinen Wortmeldungen zum geplanten Buch hat der Kardinal daher selbst die Tonlage vorgegeben, in die hinein das Buch erscheint. Und er verstärkt damit die Bedeutung der Tatsache, dass dass Buch als gemeinsames Werk von Papst em. Benedikt und Kardinal Sarah erscheint. Ein Paukenschlag, denn es klingt von Anfang an so, als unterstütze Papst Benedikt den Kampf gegen die „antizölibatären Kräfte“ die von Außen, aus der Welt und vom zunehmend abtrünnigen europäischen Rand der Kirche her die überlieferte priesterliche Lebensform in Frage stellten. Und es entstand der Eindruck, der emeritierte Papst wende sich gegen eine möglicherweise vom Papst unterstützte Ausnahmeregelung für „entlegene Gebiete“. 

„Das gibt Ärger!“, so dachte ich schon, als nur die ersten Bilder des Buchcovers die Runde machten und die Deutung Benedikt gegen Franziskus noch gar nicht ausgesprochen war. Aber unterstützt durch die Wortmeldungen des Kardinals und die Werbung der Verlage spitzte sich die öffentliche Diskussion schnell zu. 

Bis dato hatte Papst em. Benedikt XVI. bei allen persönlichen Wortmeldungen immer ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er zuvor die Erlaubnis von Papst Franziskus erhalten habe bzw. dass dieser seine Wortmeldung unterstütze oder gar wünsche. Auch dann warf das schon durchaus theologische Fragen auf, nach der Bedeutung und dem Stellenwert solcher Wortmeldungen. Auf diese gab interessanterweise ausgerechnet Gerhard Ludwig Kardinal Müller in diesen Tagen eine Antwort. Der emeritierte Papst spreche im Grunde nur als „emeritierter Bischof“, die persönliche Ansprache des emeritierten Papstes mit „Vater Benedikt XVI.“ oder Papst em. sei eine Geste der Höflichkeit. 

Hier konnte jetzt also irgendetwas nicht stimmen. Wenn sich Papst Benedikt XVI. nun ohne Absprache mit dem amtierenden Papst zur Wort meldet und dies tut, noch bevor Papst Franziskus sich zu der konkreten Forderung der Synodenväter aus dem Abschlussdokument verbindlich und lehramtlich geäußert hatte, dann will er offenbar Druck ausüben und dessen Entscheidung beeinflussen.

Ob Kardinal Sarah diese Deutung nicht vorausgesehen hatte?

Einigen Beobachtern kam die Angelegenheit so sonderbar vor, dass sie in Frage stellten, ob das Buch wirklich „vierhändig“ geschrieben sein könnte. Offenbar wurde der Druck auch im inneren Zirkel und im Umfeld von Papst Benedikt so groß, dass Kardinal Sarah sich genötigt sah, auf Twitter persönliche Briefe Benedikts zu publizieren. Doch da war es schon zu spät. Mit großer Deutlichkeit teilte Erzbischof Gänswein im Namen von Benedikt XVI. mit, dass er zwar einen Text für den Kardinal verfasst habe, aber keineswegs als Co-Autor eines Buches auftreten wollte und dass das Buch in dieser Form und mit diesem Cover nicht erscheinen könne. Auch distanzierte er sich von zwei angeblich gemeinsam verfassten Texten, die nicht mit seiner Unterschrift erscheinen dürften. 

Einzig der von Benedikt XVI. selbst verfasste Text sei zu 100 % von ihm. Und das stimmt, wie man seit der Veröffentlichung dieses Textes in der Tagespost heute morgen selbst sehen kann. Auch hier zieht Benedikt XVI. klug die Notbremse durch Klarheit und Offenheit und lässt den Text selbst publizieren, bevor die Spekulationen allzusehr ins Kraut schießen. 

Und dass ist sehr gut, denn die im Vorfeld kolportierten Auszüge daraus waren doch von einer erschütternden Banalität und Schlichtheit, so dass selbst einige ihm sehr wohlgesonnene Kommentatoren zu Recht in Frage stellten, ob dieser kluge Denker so etwas wirklich jemals aufgeschrieben hätte.

Und heute hat dann auch der fe-Verlag reagiert (s.o.) und für die deutsche Übersetzung einen im Sinne von Benedikt XVI. veränderten Buchtitel präsentiert. Konsequent! So hätte man der Kirche und Papst em. Benedikt XVI. manchen Ärger erspart. 

Ich habe den Text von Benedikt XVI. Über Priestertum und Zölibat heute morgen gelesen. Ein sicher sehr gut geschriebener Artikel über das Priesteramt und den Übergang von den Ämtern des Judentums zur Ämterstruktur des NT. Mit einem kleinen Seitenhieb auf die Liturgiewissenschaftler, die das Bibelwort “Du hast uns berufen vor Dir zu stehen und Dir zu dienen...” so interpretieren, dass die “Umstehenden” sich als Zeichen der Ehrfurcht und der Würde erheben und stehen während der Wandlung. Hier finden sich auch – in weit differenzierterer Weise, als es die Buchpromotoren im Vorfeld verbreiteten, die Bemerkungen über den Aspekt, dass der Dienst als Priester eine Ausschließlichkeit für den Dienst an Gott erfordere und keinen Raum für eheliche und familiäre Pflichten lasse. 

Glücklicherweise findet sich darin nicht die zitierte und verbreitete Bemerkung, dass die Verpflichtungen einer Familie den ganzen Mann so forderten, dass er nicht daneben noch einer beruflichen Tätigkeit und ehrenamtlichem Engagement nachgehen könne. 

Als Seelsorger weiß ich ein Lied davon zu singen, wie schwierig manchmal der Dienst im Weinberg des Herrn mit den Verpflichtungen eines Vaters und Ehemanns überein zu bringen sind. Geschweige denn die Zeit zu finden, das Familienleben bzw. das Eheleben auch jenseits von Pflichten und konkreten Aufgaben zu leben. Es ist ja wirklich eine Herausforderung, Berufs- und Familienpflichten, Liebesleben und Engagement in einem normalen Tag unter zu bringen. Es ist herausfordernd und nicht ohne Konflikte – aber es geht! Dass es schwierig, aber möglich ist, davon können doch die verheirateten Priester der Orthodoxie, die der griechisch-katholischen Traditionen und auch die im Zuge von Ausnahmeregelungen geweihten Ehemänner und Familienväter berichten. Auch das Ordensleben fordert Raum für die Pflege der Gemeinschaft, wenn es gelingen soll. Wie muss es solche Menschen schmerzen, in der Diskussion als Priester 2. Klasse oder minderer Güte betrachtet zu werden. 

Papst Benedikt XVI. beschreibt in seinem Text ein hehres Ideal. Man liest das, schaut zum Horizont und seufzt sehnsuchtsvoll: „Wie schön wäre es, wenn Priester so wären!“ Und umso düsterer erscheint dann der Kontrast zu den Themen, die uns in diesen Tagen beschäftigen und nicht zur Ruhe kommen lassen: Priester, die ihren Sexualtrieb entarten lassen und Menschen missbrauchen, Männer, Frauen, Kinder...! Priester die anderen Menschen Gewalt antun! Und dies offenbar quer durch alle Hierarchien der Kirche bis hin zum hohen Amt des Bischofs und des Kardinals. Priester, Bischöfe, Ordensgründer, Ordensverantwortliche, die Menschen spirituell missbrauchen und auf Wege schicken, die der HERR eigentlich nicht für sie vorgesehen hatte. Die Menschen in ein Ideal hineinquetschen, das nicht ihrer Berufung entspricht oder sie gar für nicht reflektierte und eingestandene eigene Wünsche und Sehnsüchte miss- und gebrauchen. 

Dieser Kontrast erstaunt nicht nur, er lässt mich als Beobachter verstummen, ja er schmerzt zutiefst.  

In vielfältiger Weise hat die Kirche daher auch immer wieder Kompromisse gemacht. In den Worten des emeritierten Papstes scheint ja auch das Ideal eines Priesters und Bischofs auf, der nicht nur auf Ehe und eigene Nachkommen verzichtet, sondern auch seine Egoismen und den Wunsch überwindet, eigenes Vermögen aufzuhäufen. Und auch hier zeigt die Realität der Kirche ein ganz anderes Bild. Welches aber nicht so finster wirkt, wie die Besudelung der Botschaft Jesu Christi (und der Kirche) durch missbräuchliche Priester. 

Nein, ich glaube nicht, dass die Lösung darin liegen kann, die Ideale aufzugeben. Nach wie vor halte ich das Zölibat mit Papst Benedikt XVI., Papst Paul VI und Papst Franziskus für die ideale Lebensform priesterlicher Existenz. Aber ich glaube auch, dass es neben den Idealen auch eine gesunde Portion Pragmatismus braucht. 

Zum Jahreswechsel habe ich das Buch „Sodom“ des französischen Journalisten Frederic Martel gelesen. Ich bin erstaunt, dass es aus dem Umfeld des Vatikan bis dato kaum namhafte Stimmen gibt, die diesem Buch detailliert und begründet widersprechen. Ich weiß nicht, ob es meiner Neigung, in jedem Menschen das Gute zu sehen geschuldet ist, dass ich mir nach der Lektüre immer wieder sage: „Der Mann übertreibt! So schlimm ist es bestimmt nicht ...“. Was Martel aber überzeugend herausarbeitet, das ist, dass selbst im Zentrum der Kirche, im Umfeld von Papst und am Ort der Gräber der Apostel zahlreiche Menschen an den Idealen der apostolischen Räte scheitern. Das ist ja durchaus menschlich. Und dafür kennen wir Buße, Beichte und Umkehr. Erschütternd wird aber die Beschreibung dieser Realität aus der Tatsache heraus, dass sich für nicht wenige hieraus ein Doppelleben entwickelt. Dass sie Seiten ihrer Selbst abspalten, dass sie als strenge Verfechter des Zölibats auf der dunklen Seite ihrer Existenz junge Flüchtlinge als Prostituierte missbrauchen und für ihr dunkles Leben die abstrusesten, manchmal gar mit Bruchstücken des Evangeliums kaschierte Begründungen erfinden und sich immer mehr verstricken, bis hin zur Erpressbarkeit.

Ähnliche Phänomene haben wir in den letzten Jahren ja auch z.B. rund um den Bau der bischöflichen Residenz in Limburg oder den Skandal um den Aachener Weihbischof erlebt. Am Ende ergibt sich immer wieder ein Mix aus uneingestandenen Sehnsüchten, spiritueller Überhöhung, Un- und Halbwahrheiten und der Neigung, sich selbst von allen Sünden frei zu sprechen, weil man ja vordergründig nur das Gute für die Anderen und die Kirche gewollt habe. Wie heilsam wäre da manchmal ein klarer Blick in die dunklen Seiten des eigenen Ich. Und ein offenes Eingeständnis: „Ja, ich habe gesündigt“. 

Und das vermisse ich aktuell auch bei Kardinal Sarah, der gestern auf die klare Ansage von Erzbischof Gänswein wieder per Twitter mit einer offiziellen Erklärung geantwortet hat und damit auf offener Bühne diesem und Papst Benedikt XVI. Widerspricht.

Ja, es mag ja stimmen, dass beide inhaltlich mit Blick auf Priestertum und Zölibat einer Meinung sind. Es stimmt auch, dass Benedikt einen Text verfasst hat und diesen dem befreundeten Kardinal zur Verfügung stellte. Aber dass der Eindruck entstand, Papst Benedikt XVI. mische sich öffentlich in die Ausübung des Papstamtes durch Papst Franziskus ein, ja widerspreche diesem, daran sind nicht nur die bösen Medien schuld oder die klaren Geschäftsinteressen der Verlage. Diesen Eindruck hat Kardinal Sarah durchaus selbst zu verantworten. Er hätte Größe bewiesen, indem er das einsieht, die Verantwortung übernimmt und alles tut, um weiteren Schaden von Papst em. Benedikt XVI abzuwenden. 

In Kürze erreicht Robert Kardinal Sarah, den Viele als „papabile“ gesehen und gewünscht hätten das 75. Lebensjahr. Es ist nicht das erste Mal, dass sein Temperament und sein Furor ihn über das Ziel hinaus getragen haben.

Ob er dem Anliegen, die Diskussion um den Zölibat, so zu führen, dass sein Wert für die Kirche auch von seinen Kritikern klarer gesehen wird gedient hat? 

Wer den Zölibat retten will, der muss sich der offenen Diskussion um ihn stellen. Papst Franziskus warnt nicht umsonst vor der Vertiefung der Gräben, politisch inspiriertem Agieren in Glaubensfragen und vor Parteiungen unter Katholiken. Interessanterweise zitieren diese Warnungen ausgerechnet diejenigen, die sich immer enger mit Getreuen ähnlicher Überzeugungen umgeben und kritische Anfragen damit abtun, dass es sich um mangelnde Glaubensqualität handele. Aber die Worte zielen auf Bischof Voderholzer (seit Kurzem im Kuratorium des Kongresses Freude am Glauben) ebenso wie auf die Vertreter des BDKJ im synodalen Prozess oder auf Christiane Florin, die für das Priesteramt der Frau streiten. 

Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass der Zölibat eine ideale Lebensform für Priester und Bischöfe ist. Ich glaube aber auch, dass verheiratete Männer und Frauen gute Seelsorger sein können, dass sie auch priesterliche Dienste im Auftrag der Kirche tun können. Wenn der Zölibat dazu führt, dass es Priester gibt, die im Alter vereinsamen, deren Freundeskreis verloren geht und die am Ende einsam im Seniorenheim versterben, dann erwarte ich von der Kirche nicht nur die klare Verteidigung des Ideals, sondern auch Antworten auf die Frage, wie diese Vereinsamung zu vermeiden ist. 

Bischof Oster z.B. zeigt ja, dass sogar Bischöfe in einer verbindenden und verbindlichen Lebensgemeinschaft mit Männern wie Frauen leben können. Wir müssen Wege finden, dass Priester ihr Amt im Miteinander ausüben. Und zwar im privaten Leben, aber auch im Dienst. Daher sollten Priester bevorzugt in geistlichen Gemeinschaften, Orden oder in Lebensgemeinschaften mit anderen Menschen wohnen und leben. Und dienstlich sollten sie eingebunden sein in engagierte Teams, die die Verantwortung des seelsorglichen Dienstes teilen. Das können jeweils andere Priester und Laien sein. Hier gäbe es vor einer möglichen Weihe verheirateter Männer noch manche Aufgabe zu bearbeiten und manche Frage zu beantworten. 

Das Ideal des geistlichen Lebens als Priester ist nicht der einsame Wolf, der Leithammel oder der Eremit. Nur wer gleichzeitig Antworten auf die realen Nöte der heutigen Priester gibt, kann auch überzeugend für die Beibehaltung des Zölibats plädieren. 

Hier geht ja argumentativ auch immer alles durcheinander. Aktuell geht es um die Frage, ob es als Ausnahme hier und da eine Weihe bewährter, verheirateter (gestandener) Männer geben könnte. Das ist ja etwas völlig Anderes als die Frage, ob sich ein junger Mann noch vor der (Diakonen-)Weihe für ein Leben als verheirateter Priester entscheiden könnte. Was ja dann gleich die Schwierigkeit mit sich bringt, was er denn in der Zeit macht, bis er „die Richtige“ gefunden hat. Und noch einmal etwas Anderes ist die Frage, ob ein bereits geweihter Priester auch später noch heiraten kann. 

Ich finde, die Argumentation für den Zölibat wird auch keinesfalls geschwächt, wenn die Kirche in derart besonderen Situationen wie am Amazonas eine Ausnahme zu ermöglicht und im Einzelfall einen verheirateten Mann zum Priester weiht. Das tut sie seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden. Ob das auch im anderen Kontext, wie z.B. am Amazonas wirklich geschehen wird, das steht noch in den Sternen. Dringlich fände ich aber eine Antwort auf die Frage, wie Gemeinden geführt und wie Sakramente gespendet werden, wenn priesterliche Seelsorge nicht möglich ist. Wer übernimmt die Leitungsfunktionen, wie werden Ehen geschlossen, wie und durch wen werden Kinder getauft? Wie kann eine Gemeinde dauerhaft existieren und katholisch bleiben, wenn ihnen Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens fehlen? Was ist unsere katholische Antwort auf die zunehmend attraktiven und passgenauen Angebote gewisser Bewegungen, die ein empathisches, seelsorgliches Angebot machen und zur Stelle sind, wo die katholische Kirche schockstarr auf die geheiligte Tradition schaut und Veränderungen ablehnt?

P.S.: „Meine Verbundenheit gegenüber Benedikt XVI. bleibt intakt, mein filialer Gehorsam gegenüber Papst Franziskus absolut.“ Kindlicher Gehorsam oder ähnliche Demutsbekundungen gegenüber Papst Franziskus scheinen inzwischen eine innerkirchliche Chiffre für etwas ganz Anderes zu werden. Sie machen mich inzwischen aufmerksam. So wie Sätze, die das Wörtchen "Aber" enthalten. Denn die Erfahrung lehrt (fast) "Alles was vor dem "ABER" steht oder gesagt wird, ist gelogen."

Unbedingt lesen: der Beitrag von Papst Benedikt XVI. zum Buch von Kardinal Sarah: