Freitag, 9. Februar 2018

Kardinale Parteiungen - zum Wohle der Katholiken?

Ein ganzes Wochenende haben wir mit den Mitgliedern des Pfarreirates und der Gemeindeausschüsse unserer Pfarrei kürzlich getagt. Die Gespräche drehten sich im Grunde alle darum, wie es uns als Pfarrei gelingen kann, Menschen in unterschiedlichen sozialen Milieus anzusprechen und Leute mit dem Evangelium zu erreichen, die sonst das Wort Gottes nicht hören würden. 

Neben manchen Schwierigkeiten, das Evangelium in die Welt zu tragen, war für viele der ehrenamtlich Aktiven auch das Bild, das die Kirche nach außen hin abgibt ein wesentlicher Hemmschuh. So wird verhindert, dass das Gotteswort auf fruchtbaren Boden fällt. Die Kirche trägt – leider – selbst dazu bei, dass die Samenkörner des Evangeliums in einen eher steinigen Acker gesät werden. Man mag vielerlei Ungerechtigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung beklagen, aber durch das Handeln kirchlicher Würdenträger und die manchmal dilettantische kirchliche Öffentlichkeitsarbeit bzw. das Bemühen, kirchliches Fehlverhalten zu verbergen oder schön zu reden, ist ein wirklicher Flurschaden entstanden, der inzwischen auch durch kleinste Fehler immer wieder aktiviert wird.

Sicher sind es heute vor allem gesellschaftliche Metatrends, die der Kirche ihre öffentliche Wirksamkeit erschweren, bzw. diese weitgehend auf Menschen beschränken, die der christlichen Gemeinde auf irgendeine Weise bereits verbunden sind bzw. im Laufe ihrer Biografie bereits mit dem Evangelium in Berührung kamen. Einzele „Konvertiten“ mit bemerkenswert anderen Lebensläufen sind ja eher die Ausnahme denn die Regel. 

Just in diesen Tagen bestätigt die kirchliche Wirklichkeit wieder, was schon längst in den Köpfen unserer (mehrheitlich) unfrommen Mitbürger als Tatsachen verankert ist: 

Die Kirche ist reich, so reich, dass sie locker mal 50 - 60 Mio. Euro auf dem Immobilien – Zockermärkten Amerikas verspielen kann, wie es jüngst aus Eichstätt berichtet wird. Und sie geht mit dem Geld der Gläubigen nicht ordentlich um, was dazu führt, dass sie nun Schulen in Hamburg gleich in Reihe schließen muss. Sie kann aber für 30 - 40 Mio. Euro Bischofsresidenzen bauen oder Ordinariatsgebäude, schließt gleichzeitig aber in breiter Fläche Kirchen und Pfarrheime im Ruhrgebiet (und anderswo) gegen den Widerstand der Gläubigen und der Gemeinden. 

Erschütternde Mißbrauchszahlen wurden erst kürzlich wieder aus Australien gemeldet und der Papst selbst stützt einen Bischof in Lateinamerika, von dem ausgesprochen verstörende Geschichten berichtet werden, während in Kleve ein Pfarrer die angemessene Distanz zu einem Jugendlichen nicht zu wahren weiß, etwas, was ja eigentlich zu den Kernkompetenzen eines Seelsorgers gehören sollte. 

Immer wieder verabschieden sich auch heute noch hoffnungsvolle junge Priester aus dem Dienst und stürzen sich ins Eheleben, ohne dass jemand gleichzeitig überzeugend, berührend und entspannt die Freuden des zölibatären Lebens zu schildern wüsste. 

Kardinäle zanken öffentlich über die rechte Weise des Umgangs mit dem chinesischen Regime und just gestern erklärt Kardinal Cordes seinen „Kollegen“ Kardinal Marx zum Beinahe – Häretiker: „Vorstoß von Kardinal Marx missachtet eindeutige Offenbarung Gottes“. Ganz zu schweigen von der hartnäckigen Opposition einiger Kirchenleute gegen den Hl. Vater. 

Es gibt Tage, da frage ich mich ernsthaft, warum ich mich jeden Tag wieder ins Büro, Pfarrheim, Kindergarten, Schule und Kirche aufmache, um Menschen die Botschaft Jesu Christi nahe zu bringen und sie für ein Engagement in seiner Kirche zu begeistern (äh, motivieren) versuche, wenn man sich doch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass manche Leute immer wieder mit dem Hintern umstoßen, was wir vor Ort aufbauen.

In den 25 Jahren, die ich nun hauptberuflich im kirchlichen Dienst bin, gab es einen deutlichen Wandel im Umgang mit homosexuellen Personen. In meiner Jugend kam das Thema im Grunde nur auf „Katholikentagen von unten“ vor. In der Gemeinde wurde es schlicht verdrängt. Doch nach und nach nahm die Offenheit zu, in der Seelsorge kam man mehr und mehr in Kontakt mit Einzelnen und Paaren, auch homosexuell veranlagte Priester konnte ich kennenlernen. Bis zum heutigen Tag ist die Aufgeschlossenheit und Akzeptanz für diese Personen in den Gemeinden deutlich gewachsen. 

Der vorläufige und aktuelle Höhepunkt dieser Entwicklung sind – wenn auch noch etwas verhaltene – Stimmen aus dem Kreis der deutschen Bischöfe, für ein Zugehen auf Menschen mit homosexuellen Veranlagungen und Lebensweisen. Bischof Bode hat sich hier zuerst aus dem Fenster gelehnt und von Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare gesprochen; Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz sagte in einem Interview einen entsprechend deutbaren Satz, der ihm den Widerspruch (u.a. von Kardinal Cordes einbrachte): „Da muss man auch ermutigen dazu, dass die Priester und Seelsorger den Menschen in den konkreten Situationen auch einen Zuspruch geben.“ Von Segensfeiern (wie ihm unterstellt wird) hat er gar nicht ausdrücklich gesprochen. Aber ich denke, man interpretiert ihn nicht ganz falsch, ebenso wie das doch flächendeckende Schweigen im deutschen Episkopat zu diesem Thema.

Dagegen setzt Kardinal Cordes nun die „Offenbarung Gottes“ und klagt: „Marx erwähnt nicht einmal, dass Homosexualität immer dem Willen Gottes widerspricht.“ 

Erzbischof Charles J. Chaput von Philadelphia schrieb aktuell in einem Brief an Priester und Diakone in seiner Erzdiözese: „Verwirrung um wichtige Glaubenswahrheiten zu stiften, egal wie positiv die Absicht ist, macht nur eine schwierige Aufgabe noch schwieriger." 

Man bekommt angesichts der aufgescheuchten Diskussion geradezu den Eindruck, die Lehre der Kirche würde durch vereinzelte Segenshandlungen vor dem Zusammenbruch stehen. Ich habe just heute morgen noch mal in Joseph Ratzingers „Einführung ins Christentum“ und in Gerhard Ludwig Müllers „Katholische Dogmatik“ geblättert. Aber ganz offenbar war beiden Autoren das Stichwort „Homoousios“ im Kontext von Glaubenswahrheiten wesentlicher als Homosexualität oder gar Unzucht. Beides sucht man im Inhaltsverzeichnis nämlich vergeblich. 

Die Kirche tut sich allgemein schwer mit Fragen der Sexualität. Und sie tut sich zunehmend schwerer, hierzu öffentlich zu sprechen bzw. überhaupt gehört, wahr und ernst genommen zu werden. Und dies nicht nur wegen der komplexen Materie, sondern auch, weil immer wieder Fälle an die Öffentlichkeit geraten, wo Menschen, die mehr als jeder Andere die Kirche und Christus repräsentieren, selbst am Anspruch der Kirche scheitern. Da braucht man nicht mal den noch immer blutenden und schmerzhaften Skandal der Priester zu nehmen, die Kinder und Jugendliche mißbrauch(t)en. Da gibt es auch Priester, die zu Prostituierten gehen, Priester, die verborgene Beziehungen zu Frauen (und Männern) pflegen, Priester in Swingerclubs, Priester, die Pornos oder gar Kinderpornografie konsumieren oder einfach sonderbare Formen von Nähe und Zärtlichkeit mit anderen Menschen und Gemeindemitgliedern pflegen. Dazu braucht man nicht einmal an die Causa Groer erinnern. Gibt es einen einzigen Katholiken, der nicht eine solche Story erzählen könnte (wenn auch nur vom Hörensagen)? Wie kann eine Kirche glaubwürdig ihr Evangelium von einer humanen und gottgefälligen Sexualität verkündigen, wenn nicht mal alle ihre Hirten dieses Evangelium leben?

Solche Unwahrhaftigkeiten schaden der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit. Aber sie schaden ja auch den einzelnen Persönlichkeiten, die sie – eingespannt zwischen Ideal und ihren Trieben – auf Abwege bringen. Im ungünstigen Fall bewirkt die kirchliche Verkündigung gerade das Gegenteil, was sie erreichen möchte und erzeugt Brüche in der Persönlichkeit bzw. forciert gar eine Abkehr vom Glauben. 

Ich denke konkret an einen sehr geschätzten, schwulen und sehr frommen Mann, der die Traditionen der katholischen Kirche in und auswendig kannte und wirklich zutiefst aus ihnen gelebt hat, der treu die Gottesdienste besuchte und sich rund um die Kirche nützlich machte. Und dennoch litt er so sehr unter seiner Einsamkeit, dass er immer wieder einmal einen „Ausflug“ in eine promiske Schwulenszene unternahm.

Wenn wir in der Kirche von Sexualität reden, dann stellen wir ein hohes Ideal in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Legitime Sexualität kann es nur in der Ehe geben, kann es nur geben, wenn sie offen ist für Kinder, für Fruchtbarkeit. Ich vermute, wir reden innerkirchlich im Grunde nur von „Blümchensex“ und decken mit dem Mäntelchen der Keuschheit und des Schweigens die vielfältigsten Spielarten menschlicher Sexualität zu. 

Ich schätze den Zölibat als Lebensform sehr. Aber er bringt gerade im Feld der Sexualmoral auch Schwierigkeiten mit sich. Zölibatär lebende Menschen haben wenig Erfahrungen mit den Höhepunkten und Abgründen menschlicher Sexualität. Über die Vielfalt in diesem Lebensbereich gibt es zu wenig Wissen in der Theologie. Texte der Kirche zur Sexualmoral kranken daran, dass sie eher recht theoretische Überlegungen darstellen. Hier wäre es sicher auch nicht hilfreich, zölibatären Theologen umfangreiche „Feldstudien“ nahezulegen. Aber von der Erfahrung der Laien sollte die Theologie sich hier deutlich mehr als bisher bereichern lassen. Dieser Gedanke schließt natürlich nicht aus, dass auch ehelos und keusch lebende Priester und Ordensleute wertvolle Beiträge zu Fragen einer menschenwürdig gelebten Sexualität beitragen können. Und dies gerade auch wegen ihrer Erfahrungen als Menschen, die auf ausgelebte Sexualität verzichten. 

Wer ein homosexuelles Paar segnet, so höre ich immer wieder, der würde ja seinen Segen zu allen Perversitäten und Entartungen der menschlichen Sexualität geben. „Heute die Homosexuellen, morgen die Ehen zu dritt oder zu viert. Übermorgen dann die Akzeptanz inzestuöser Verbindungen. Mit der Segnung homosexueller Paare würde der Unmoral Tür und Tor geöffnet.“

Mir sind die Grundlagen der katholischen Sexualmoral sehr wichtig. Und in Zeiten, wo Pornografie unser Alltagsleben überschwemmt und die Verunsicherung in all diesen Fragen eher ansteigt als dass durch das Übermaß an Sexthemen die Einzelnen aufgeklärter erscheinen. Es gibt reichlich Pseudowissen, das eine human gelebte Sexualität eher erschwert. Das gilt besonders bei für Jugendliche. Ich halte es für falsch, wie wir als Kirche heute über Sexualität kommunizieren, indem wir ein eher welt- und wirklichkeitsfremdes Ideal hochhalten, das so weit von der „lebenswirklichen“ Realität entfernt ist, dass daran letztlich nur noch winzige Minderheiten ihr Sexualleben ausrichten. 

Als Kirche müssen wir auf die Fragen der Menschheit überzeugende Antworten geben, überzeugend in der Weise, dass der einzelne Mensch Hilfen findet für einen menschlichen Umgang mit der – letztlich rätselhaften und herausfordernden – Triebkraft der eigenen Sexualität. Wir müssen Antworten bereit halten, die vernünftig und einleuchtend sind, zumindest aber vor der Wissenschaft und dem Verstand der Menschen bestehen können, auch wenn diese keine hundertprozentigen Katholiken sind. Die Klarheit und Eindeutigkeit der Lehre allein reicht nicht aus. Welchen Sinn macht es, eine Art Vitrine im Museum der reinen Lehre kunstvoll mit Exponaten zu schmücken, wenn all dies keine Relevanz für das Leben draußen mehr hat? Und keiner mehr rein geht und sich die Exponate anschaut?

Schließlich basiert auch das Naturrecht auf menschlicher Vernunft und Einsicht. Umso mehr sollten die Regeln, die wir daraus ableiten, der menschlichen Vernunft und Einsicht entsprechen. 

Drei(einhalb) Aspekte sind mir im Kontext katholischer Sexualmoral (und Pädagogik) sehr wichtig geworden. 

  • Der erste Aspekt ist die Offenheit einer sexuellen Beziehung für das geschenkte Leben, die Offenheit für Kinder, die Gott schenkt. Daher setzt sie eine entsprechende Beziehung, eine Ehe voraus. 


  • Die menschliche Sexualität ist ein Geschenk Gottes. Er hat sie mit Freude und Lust verbunden, die einen Wert in sich darstellen. Wenn es nur um Fruchtbarkeit gehen würde, hätte man den „Vorgang“ auch ganz anders gestalten können. In der Tierwelt gibt es zahlreiche Beispiele, wie das Männchen sein Spermienpaket auch eher beiläufig „abliefern“ und für Fortpflanzung sorgen könnte. 


  • Aber diese Lust und Freude an der Sexualität steht nicht frei im Raum, sondern sie ist auch eine besondere Form der Kommunikation die eine tiefe und intensive Liebesbeziehung voraussetzt. Die sexuelle Kommunikation hat darin eine Funktion. Sexuelle Kommunikation außerhalb einer Liebesbeziehung kann sehr verletzend und zerstörerisch sein. Das gilt im Grunde auch für andere Formen von Kommunikation, wobei diese ihren Raum ausschließlich (idealerweise) in einer Ehe hat. 


Wenn wir als Kirche etwas dazu beitragen können, dass menschliche Sexualität gelingt, dann sicherlich in diesem Dreiklang von Fruchtbarkeit – Lust und Liebeskommunikation. Hierfür finden sich auch vielfache Anknüpfungspunkte in der klassisch-kirchlichen Moralverkündigung, wenngleich das hier nur sehr verkürzt ausgedrückt werden kann. 

  • Hier würde ich schon noch das Stichwort „Keuschheit“ in den Ring werfen, wenngleich das ein schillernder Begriff ist. Aber wie das Fasten oder die Armut in den evangelischen Räten ist auch der Verzicht auf gelebte Sexualität ein Wert an sich, auch innerhalb einer Ehe, solange es der Beziehung eines Paares nicht schadet. 


Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass man mit diesem Dreiklang (Vierklang) auch Kriterien gewinnen kann, die vielen Spielarten menschlicher Sexualität einzuordnen und hierzu  Sinnvolles zu sagen. Und vor allem, die Adressaten unserer Botschaft mit einem klaren, hilfreichen Wort auch zu erreichen. 

Wir sollten uns über die Welt nicht täuschen. Die große Fangemeinde der 50 Shades of Grey sollte uns wach machen. Es wäre ja hoch spannend, sich eine bischöfliche Stellungnahme zu diesem Phänomen vorzustellen, die von den offenbar Millionen Lesern dieser Bestseller als bedenkenswert wahrgenommen und gelesen werden würde. Oder haben wir als Kirche an diesem Punkt längst kapituliert?

Wer in der „bunten“ oder grauschattierten Welt des Sadomasochismus mit anderen Gleichgesinnten in entsprechenden Swingerclubs allerlei sehr spezielle Sexualpraktiken erprobt, der wird die kirchliche Moralverkündigung allenfalls noch als milde brummendes Hintergrundrauschen vernehmen. Aber ich sehe uns schon in der Verantwortung, auch noch diesen Personen etwas mitzugeben, das sie möglicherweise ins Nachdenken bringt. Wenn sie ihre Sexualität schon in eher halblegalen und verborgenen Räumen ausüben und sich von den noch eher prüden gesellschaftlichen Konventionen schon weit entfernt haben, dann sind sie über die verschämten Worte des klassischen kirchlichen Lehramtes schon lange hinweg.  

Es hilft nichts, wir müssen als Kirche sprachfähiger und überzeugender werden mit unserer Botschaft von einer menschenwürdigen Sexualität. Wir müssen das umso mehr, wie wir doch sehen könnten (wenn wir möchten), dass seit vielen Jahrzehnten (auch schon als die kirchliche Welt noch heiler aussah), Lusterfüllung in Formen gesucht wurde und wird, die manchen beteiligten Menschen nicht gut tun und andere Menschen sogar beschädigt und in vielfacher Hinsicht verletzt haben. Und dies nicht nur im Swingerclub, sondern auch und wohl noch mehr im ehelichen Bett. Von den schillernden und oft menschenverachtenden Formen von Prostitution und Pornografie einmal ganz zu schweigen. Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Formen sexueller Begegnung und hoffentlich beinahe so viele Varianten menschlich gut gelebter Sexualität wie es Paare gibt. 

Daher halte ich es für notwendig, dass wir mehr differenzieren. Und hier hoffe ich, dass die Diskussion um eine Segnung für homosexuelle, treue Paare uns weiter führen kann. Mir ist es nämlich immer noch lieber, wir segnen ein langjähriges schwules Paar und begleiten dessen Beziehung durch gute und schwere Zeiten, als dass wir die Spendung des Ehesakramentes feiern für ein Paar, wo der Mann seine sexuellen Neigungen und Phantasien mit viel Druck oder gar Gewalt auf Kosten seiner Frau auslebt.

Immer wieder wird an diesem Punkt entgegnet, dass es ungerecht sei, wenn die Kirche hier differenziere und von den Einen die Einhaltung eines hohen Ideals erwarte, die Anderen davon aber faktisch dispensiere. Aber mir kommt das Wort des Paulus in den Sinn: „Wer es fassen kann, der fasse es...“. Es entwertet doch Enthaltsamkeit nicht, wenn es Menschen gibt, die sie nicht leben. Im Gegenteil. Gerade der Verzicht wird in christlicher Sichtweise als besonders verdienstvoll gesehen. Und gerade da, wo sexuelle Neigungen ins Kriminelle abzugleiten drohen, sollten Gesellschaft und Kirche alles tun, um Menschen die Überwindung solcher Neigungen und Enthaltsamkeit zu ermöglichen. 

Viele bringen in die Segensdiskussion das Stichwort „Absegnen“ hinein. Nein, als Kirche können wir nicht alles, was Menschen tun, nicht einmal alles, was eine Mehrheit der Menschen tut, absegnen. Aber wir können sicherlich Menschen segnen, wir können auch Paare segnen, auch wenn wir nicht alle ihre Handlungen absegnen und für gut heißen. Und diese Segenshandlung darf ihnen sicher auch Ansporn sein, das Leben nach den Grundprinzipien kirchlicher Lehre auszurichten. Wer um den Segen bittet, spricht dem Segnenden auch sein Vertrauen aus. Und damit auch das Vertrauen, dass Kirche mit ihrer Verkündigung das Gute für diesen Menschen will. 

Ich bin froh, dass ich nicht regelmäßig gefordert bin, das Handeln der Menschen einem Urteil zu unterwerfen, bevor ich für sie um den Segen Gottes bitte. 

Aber widerspricht diese Haltung nicht den Worten der Bibel und einer ungebrochenen Tradition? Ja, ich sage aufrichtig: das ist ein Punkt. Mag man die Worte des alten Testaments auch aus dem Kontext erklären können und zu der Feststellung kommen, dass sich manche Formulierung aus dem Denken der damaligen Zeit ergibt und heute nicht mehr in diesem Maß Beachtung finden muss; mag man auch festhalten, dass sich Jesus nicht ausdrücklich zur Frage gleichgeschlechtlicher Liebe geäußert hat, so bleibt man doch spätestens bei den Worten des Paulus hängen, die da eindeutiger zu sein scheinen, besonders der Text aus dem Römerbrief. Aber in der geschilderten Situation spielt auch stark der Bruch ehelicher Treue hinein und die allgemeine Auflösung moralischer Regeln. Der Hintergrund anderer Texte ist die im antiken Griechenland gesellschaftlich (leider) akzeptiere Pädophilie als Missbrauch von Knaben. Die Exegese all dieser Texte wäre sicher ein ganzes Buch wert, vermutlich kann man aber durchaus feststellen, dass sie alle wohl kaum unmittelbar auf die heutige Situation und das Leben eines homosexuellen und treuen Paares angewendet werden können. 

Man muss sicher festhalten, dass Homosexualität nicht dem in die Natur eingeschriebenen Schöpfungsideal Gottes entspricht. Aber das tut beispielsweise Trisomie 21 wohl auch nicht. Dennoch ist beides ein Phänomen, dem wir in der Schöpfung Gottes begegnen, ja das Teil dieser Schöpfung ist. 

Homosexualität entspricht sicher nicht dem Schöpfungsideal Gottes, aber sie ist auch nicht das Übel und die Sünde schlechthin. Sicher müssen wir als Kirche das Ideal der Ehe und der gleichberechtigten Partnerschaft von Frau und Mann hoch halten und als Christen diese Männern und Frauen auf der Suche nach einem guten Miteinander, nach einer einvernehmlichen Weise gelebter Sexualität und durch alle Höhen und Tiefen des Lebens begleiten. 

Dafür bietet die Lehre der Kirche zahlreiche Leitplanken, die den Einzelnen helfen, den richtigen Weg für sich zu finden. Aber wir dürfen doch nicht Menschen das Gefühl geben, sie seien Personen, die uns als Kirche weniger wichtig sind, weil sie nicht unserem Idealbild vom Menschen entsprechen. Zumal die sexuelle Identität auch nicht das Brennglas sein kann, durch das wir das ganze Leben eines Menschen betrachten. Auch ein gleichgeschlechtlich lebendes Paar kann in seiner Beziehung auf überzeugende Weise Ideale verwirklichen, die wir bei ihnen ebenso hochschätzen sollten wie bei einem heterosexuellen Paar. Und wir sind es auch jedem gleichgeschlechtlichen Paar schuldig, ihnen das Evangelium weiter zu sagen, ihnen von Jesus Christus und seiner frohen Botschaft zu erzählen. 

Die christkatholische Botschaft kann doch nicht immer wieder neu lauten: „eure Liebe ist defizitär“, wenn gleichgeschlechtlich liebende Menschen ihren Glauben in und mit der Kirche leben möchten.  Sie wissen in der Regel, welches Ideal die Kirche hier vertritt. Welchen Sinn sollte es haben, sie beständig zurückzustoßen? Es kann doch auch nicht unser Ziel sein, solche Paare auseinanderzubringen. Für all das, was sie in ihrem Leben Gutes tun brauchen sie – wie jeder von uns – Gottes Segen, denn „Niemand ist gut außer der eine Gott.“

Kardinal Marx ist sicher zuzustimmen, dass wir nicht in erster Linie ein offiziöses Ritual brauchen, sondern dass es darum geht, den betreffenden Personen und Paaren Wertschätzung, Begleitung und Zuspruch zu vermitteln, Zuspruch auf Augenhöhe, nicht erhobene Zeigefinger. 

Sein Ausspruch: „Es gibt Dinge, die lassen sich nicht regeln“, dürfte gleich in mehrfacher Hinsicht wahr sein und ist selbst für ganz normale Eheschließungen nicht ohne Gültigkeit. Sicher können wir weiter versuchen, alle Varianten menschlicher Liebesbeziehungen über einen Leisten zu schlagen, doch dann müssen wir auch in Kauf nehmen, dass die Relevanz  der kirchlichen Moralverkündigung weiterhin sinkt. Wir dürfen uns doch nicht damit zufrieden geben, die Schönheit und Klarheit der kirchlichen Lehre zu preisen und deren saubere Verkündigung zu feiern, wenn die schönen und klaren Worte weitgehend wirkungslos verhallen. Wir müssen auch dann noch fundierte Lebenshilfe geben, wenn die Paare, um die es geht, die Ideallinie nicht erreichen möchten/ zu erreichen vermögen.