Donnerstag, 30. April 2020

Wer nimmt mir die Hl. Messe weg? Sonderbare Untertöne klingen in meinem Ohr...

Gebt uns unsere Hl. Messe zurück!
Mehrfach flimmerte diese Aufforderung in den letzten Wochen über meinen Bildschirm. Natürlich habe ich mir auch das kleine Filmchen im Netz angeschaut, das es in einer österreichischen und einer deutschen Variante gab. Erst mal: „Hut ab! Gut gemacht!“ Und es erschien mir durchaus authentisch. Allein die Ausrichtung an die Bischöfe (es waren die österreichischen gemeint, wie mir dann aufging) löste bei mir etwas Kopfschütteln aus. Hatten sich die dortigen Bischöfe irgendwie besonders eifrig beim Zusperren der Kirchen gezeigt? Gab es in Österreich andere Regeln für Gottesdienstfeiern als bei uns in Deutschland?

Kurz darauf erschien auch noch eine deutsche Variante dieses Films, die aber leider nicht das Niveau des Originals erreichte. Leider erkannte ich auch niemanden der in den beiden Videos präsenten Personen, die sich offenbar in anderen katholischen Kreisen bewegen als ich. Auch werden ja nirgends Namen oder Verantwortliche erwähnt. Ich gehe mal davon aus, dass kath.net hier seine Jugend-Kontakte zusammen gebracht hat. Dort schreiben ja auch ab und an mal junge Leute Artikel fürs Netz. 

Inzwischen gibt es noch ein drittes Video, worin sich die (österreichischen) Akteure der Kampagne auch namentlich bei einer Reihe von Bischöfen bedanken. Und dieses Video war auch der Punkt, an dem ich hängen blieb. Etwas befremdet dachte ich nachher: Hm, und was ist mit meinem Bischof Felix? Ich hatte auch nicht im Ansatz den Eindruck, dieser wolle nicht so schnell wie möglich zu öffentlichen Gottesdiensten zurück. Wieso sollte ein katholischer Bischof, jeder katholische Bischof auch nur im Ansatz auf den kruden Gedanken kommen, den Katholiken oder gar der Menschheit die Hl. Messe vorzuenthalten? Da rennt man doch offene Türen, ja offene Scheunentore ein mit einem solchen Appell. 

Heute frage ich mich mehr als zuvor: warum wendet man sich mit diesem Appell direkt nach dem Osterfest an die österreichischen Bischöfe? Hatte sich dort irgendwer dafür ausgesprochen, die Hl. Messe möglichst lange auszusetzen und den Priestern vielleicht mal wirklich einige Wochen wohlverdienten Urlaub und Zeit für Ruhe, Zeit für Stille und Gebet zu gönnen? Ich konnte nichts finden, im Gegenteil. Kardinal Schönborn sagte – offenbar als Reaktion auf die Kampagne: „Wir werden wieder gemeinsam Gottesdienst feiern dürfen, aber wir brauchen noch Geduld." Ähnlich klang es landauf/landab aus den Ordinariaten. Die weitaus meisten Bischöfe forderten die Priester ausdrücklich auf, privat die Hl. Messe für die Menschen zu feiern und wo möglich organisierten und unterstützten sie Videoübertragungen. Ich selbst hatte den Eindruck, man könne inzwischen von Morgens um sieben an ununterbrochen bis in den späten Abend irgendwo auf der Welt die Hl. Messe eines Priesters oder Bischofs mitverfolgen und mitbeten und habe das einige Male sogar am National Shrine in Namugongo, Uganda getan. Echtes Weltkirchenfeeling, sogar mit kleinen Gesprächen mit ugandischen Mitchristen am Rand. Das halte ich inzwischen für einen echten Gewinn und hoffe, dass einiges davon bleiben wird. 

„Bitte gebt uns „unsere“ / die Hl. Messe zurück“, in diesen Videos legen eine ganze Reihe von Jugendlichen und jungen Ehepaaren dar, dass für sie die Hl. Messe nicht weniger lebenswichtig ist als ein Supermarkt und argumentieren: „Was könnte für uns essentieller sein als die Hl. Messe?“ Zupackend wie sie sind, versprechen sie, sich um Desinfektion und Ordnungsdienst zu kümmern: „Wir machen die Kirchen sicherer als jeden Supermarkt.“ Die 80 Sekunden enden mit einer Art Bittlitanei, wo das Anliegen „Bitte gebt uns die Hl. Messe zurück“ zu einem anschwellenden Ruf wird. Als hätten die Bischöfe und nicht die Infektionsgefahr (und die behördlichen Maßnahmen) den Menschen die Messe genommen. 

Rund 13.500 Aufrufe verzeichnet das Video bei Youtube, interessanterweise trifft es aber offenbar nicht nur auf Zustimmung, 328 klicken „Daumen rauf“, 216 aber „Daumen runter“. Insgesamt sollte es auch weit häufiger geklickt worden sein, denn es gibt das Video ein zweites Mal und auch kath.net hat ja einen eigenen Videokanal auf seiner Seite. Um das Video auf dem kath.net – Kanal bei Youtube zu bewerten, muss man zumindest über einen google-Account angemeldet sein. Daher finde ich die Zahl von 216 „Daumen runter“ schon bemerkenswert. Widerspruch erntete die offenbar von kath.net organisierte und begleitete Aktion auch auf anderen Portalen, wie z.B. durch den Salvatorianerpater Erhard Rauch, allerdings kommentierte er ohne die Aktion der jungen Leute direkt zu erwähnen. „Gerade von diesen Gruppen kommt auch der Ruf: „Gebt uns unsere Messen zurück!“ Seit wann sind das „unsere“ Messen? Wie überheblich muss man denn sein, um sich den Gottesdienst einverleiben zu wollen, als ob ich ein Recht auf meinen eigenen hätte. Wenn es ein Recht auf Eucharistie gibt, weil es ein menschliches Grundbedürfnis ist, dann ist das allen Menschen überall auf der Welt zuzugestehen.“

Man mag den leicht bissigen Ton seiner Stellungnahme kritisieren. Aber er spricht auch viel Wahres aus. Der Text wäre jedenfalls einen freundlichen, inhaltlichen Disput wert. Und auch er spricht in keiner Weise dagegen, wieder öffentliche Gottesdienste zu feiern. Mit den Worten: „Es täte uns gut, auch einmal mit diesen Menschen (in Afrika, in Lateinamerika) mitzufühlen und unsere eucharistische Abstinenz, die ja höchstens zwei Monate dauern wird, etwas gelassener anzunehmen.“ bringt er die Dinge gut auf den Punkt. Peter Winnemöller (auch kath.net-Autor) gelingt es in seiner Replik nicht angemessen auf die Bedenken des Ordensmannes einzugehen. Auch er macht aus kritischen Anfragen an diejenigen, die so schnell wie möglich zu öffentlichen Gottesdiensten zurückkehren wollen, ein kirchenpolitisches Spielchen. Nein, auch unter diesen Stimmen sind geistliche, fromme, rechtgläubige Katholiken. Der rechte Umgang mit der Infektionsgefahr und mit dem Virus ist keine Frage der „wahren Gläubigkeit“. Sondern eine Frage der wissenschaftlich fundierten Abschätzung von Risiken und Gefahren. Hier muss ich (ausnahmsweise) mindestens auch auf die Stimme des Verstandes genauso achten, wie auf die Stimme von Herz und Seele. 

Meinen Sie, Peter Winnemöller, dass diese Worte die Wirklichkeit der Kirche in ihrer ganzen Fülle und Vielfalt angemessen beschreiben: „Wir werden nach der Krise sehen, was von einer Kirche übrig bleibt, die sich ausgerechnet in der Krise so irrelevant gemacht hat. Wir werden erleben, dass die Zukunft der Kirche tatsächlich nur da zu finden ist, wo sie sich um die Eucharistie versammelt. „Wahre Ordensmänner“ wie P. Rauch dürften dann verzichtbar sein. Vielleicht mag er in Brasilien beim Eucharistieverzicht aushelgen (?), wenn ihm die „wahren Gläubigen“ in Europa nicht so sehr behagen. Für katholische Jugendliche sind solche Ordensleute ohnehin keine geeigneten Seelsorger.“ Werden wir so, den Anstrengungen der vielen Gläubigen und Kirchenleute gerecht, die versuchen in der Krise ihren Gemeinden nahe zu sein? Selbst wenn nicht alles gelingt?

Einige Tage später fanden sich offenbar auch deutsche Jugendliche zusammen, um einen ähnlichen Appell an die deutschen Bischöfe zu richten. Hier wird der Ton etwas vorwurfsvoller und weniger demütig: „Sie sind unsere Hirten, warum setzen sie sich nicht dafür ein, dass wir endlich wieder in die Messe gehen dürfen?“ „Wir brauchen keinen Live-Stream-Jesus, wir brauchen seine Realpräsenz.“ (Sehr schönes Wortspiel übrigens.) In diesem Video spielen auch eine Reihe von Kindern mit und auch einige „ältere“ Personen. Auch dieses Video endet mit dem drängenden Aufruf: „Gebt uns unsere Heilige Messe zurück.“

Gleichzeitig erschien noch eine englische Version. Auch hier zeichnet kath.net verantwortlich. Und offenbar gibt es vergleichbare Projekte auch in Spanien, denen inzwischen ein spanischer Kardinal mit deutlichen Worten widersprach.

Wie wir wissen, war es nur eine Frage der Zeit, dass in den Kirchen neben den gestreamten Gottesdiensten auch Gottesdienste mit kleineren und größeren Gruppen wieder aufgenommen werden konnten. Mit den allgemeinen Lockerungen haben die Bischöfe und die Bistümer entsprechende – durch Sicherheitskonzepte abgesicherte – Vereinbarungen mit den Behörden geschlossen, unter welchen Bedingungen man zu öffentlichen Gottesdiensten zurück kehren kann. Dieser Weg war aber auch vor Ostern schon abzusehen. 

Artig bedankten sich nun (weitere) Jugendliche in einem weiteren  gut gemachten Videobeitrag bei den Bischöfen, dass nun (ab Anfang Mai zumeist) wieder Gottesdienste stattfinden. Einige Bischöfe werden darin auch namentlich erwähnt, zuvörderst Kardinal Woelki, weil der mit der Religionsfreiheit argumentiert hatte und frühzeitig Vorbereitungen zur Rückkehr zu öffentlichen Gottesdiensten ankündigte, aber auch Bischof Voderholzer, Bischof em. Zdarsa, die Bischöfe Bürcher, Bätzing, Oster, Hanke, Ipolt und Krautwaschel und zu guter Letzt auch noch der inzwischen – ausgerechnet von Bischof Bürcher – mit einem Mundschutz ausgestattete Weihbischof Marian Eleganti.

Diese Auswahl lässt den kirchenpolitisch versierten Beobachter dann doch aufmerken. Wessen Lieblingsbischöfe werden hier aufgezählt? Natürlich habe ich jetzt ein quasi moralisches Problem, wenn ich in Frage stelle, dass die Jugend, die als Zukunft der Kirche in diesem Video Gesicht zeigt, hier eine recht eigenwillige Auswahl von Bischöfen aufzählt und das anhand derer Verdienste manchmal noch eigenwilliger begründet.

Das gibt zu denken, z.B. bei Bischof Konrad Zdarsa, von 2007 an Bischof, ab 2010 Bischof von Augsburg. Wenn dieser zu Beginn seiner Amtszeit dort so deutlich auf die Bedeutung der sonntäglichen Eucharistie hingewiesen hatte, soll das dem Jugendlichen von heute noch in guter Erinnerung sein, ja sogar Auswirkungen auf aktuelle politische Entscheidungen haben? Wer heute mit 18 seinem Bischof für irgendetwas dankt, was er damals sagte, der war ja vermutlich damals Erstkommunionkind. Soll ich sowas ernsthaft für die Stimme „der Jugend halten“ und nicht für eine Kampagne, die von gewissen Interessen geleitet ist? Ah, wenn ich Peter Winnemöller folge, dann gehört ja zur „Jugend“ auch nicht jeder dazu. Jedenfalls nicht die Jugendlichen, die in Verbänden organisiert sind und Kontakt zum BDKJ halten. Man (die Bischöfe) ignoriere ja Jugendliche, „die einfach nur katholisch sein möchten, wie es die Tradition ihnen überliefert hat.“ Ich weiß nur nicht, ob die Antwort der wahren Katholiken sein kann, nun ihrerseits den Beitrag anderer Jugendlicher zur Debatte für irrelevant zu erklären oder ob wahre Katholiken nicht alle Stimmen wahrnehmen sollten und das Gespräch mit allen suchen. Ich habe auch unter dem Dach und in den Aktivitäten des BDKJ (ich erinnere mal an die Schönstattjugend, Malteser oder Fahrten zu Weltjugendtage) viele tief fromme Jugendliche getroffen. Und bin froh, dass dieser Dachverband so viele junge Leute mit unterschiedlichsten Glaubenshaltungen unter seinem Dach zusammenführt. Selbst wenn mir nicht jede Aktion gefällt. Ich glaube jedenfalls daran, dass man in dieser Weise dem Missionsauftrag der Kirche, der ja der Auftrag Jesu ist, durchaus eher gerecht wird. Und dass dieser Auftrag auch dann noch allen jungen Menschen gilt, auch wenn man frustrierende Erlebnisse mit Vertretern dieser Kirche machen musste. Ob diese nun Pater Rauch heißen oder Bischof Overbeck. Der BDKJ verdient ein offenes Ohr - wie auch die Jugendlichen aus dem kath.net-Video.

Ich finde es grandios, wenn junge Leute sich dafür einsetzen, dass in diesen Tagen die Botschaft Jesu in alle Welt getragen wird. Auch in eine Welt, die fest gehalten wird von einem tückischen Virus und den Maßnahmen, die Ausbreitung dieses Virus zu verhindern. Dazu gehört sicher auch, dass in verantwortlicher Weise Menschen miteinander beten und die Hl. Messe feiern. Aber auch manche Maßnahmen im Internet tragen zur Erfüllung dieses Missionsbefehls bei. Übrigens: das gemeinsam - getrennte Beten beim Glockengeläut um 19.30 Uhr empfand ich als Bereicherung.

„Danke liebe Bischöfe, wir brauchen ihren Hirtendienst, Wir bauen auf sie!“ Mit diesen Worten endet das Danke – Video. Ich hoffe, es ist damit gemeint: „Wir nehmen Deinen bischöflichen Hirtendienst an, wir tragen und begleiten ihn im Gebet und in unseren Herzen und Gedanken mit.“ Ehrlich gesagt klingt mir da inzwischen – auch durch die Auswahl der Bischöfe – ein ganz klein wenig mit: „Wir hoffen, dass Du in Deinem Hirtendienst leistest, was wir von Dir erhoffen.“ Vielleicht irre ich mich, hoffentlich! Und mögen mir diejenigen, die es lesen, diesen kleinen Denkanstoß zur Gewissenserforschung nicht übel nehmen. Wenn es euer Herz nicht berührt – vergesst es einfach!

Christoph Zeller-Zellenberg, der ebenfalls für kath.net tätig ist, braucht immerhin über die Hälfte seines 20minütigen Videoblogs, um die 80 - Sekunden - Initiative junger Leute zu preisen: „Da haben zwei Videos im deutschsprachigen Raum die Kirche bewegt, tatsächlich etwas bewegt...“ Er nimmt damit den „Erfolg“ für kath.net und deren junge Unterstützer in Anspruch. Hoffentlich trägt kath.net auch die Verantwortung – wie versprochen – mit, für die Umsetzung der Hygiene- und Abstandsmaßnahmen wie auch mögliche zusätzliche Infektionen. Auch Zeller-Zellenberg bringt das Argument: „Wo Baumärkte offen haben – muss auch Kirche öffnen.“ und spottet über die „Baumarktgläubigen“ dieser Zeiten. Dazu ist ja inzwischen auch schon einiges Substanzielleres gesagt worden. Er nimmt die Sicherheitsvorkehrungen kritisch aufs Korn und konstruiert daraus den Vorwurf, irgendwer wolle vermutlich und im Grunde Gottesdienste verhindern und den Gläubigen die Freude dran verleiden. Irgendwie folgerichtig legt er nahe, es seien die „Reformkatholiken“ da mitverantwortlich. Nun ja, „im Westen (oder ist Linz jetzt irgendwie Osten?) nichts Neues.“ 

Hätte doch die Sehnsucht nach gemeinsamem Gebet, nach Gottesdienst, nach der Hl. Messe, nach Miteinander im Lob Gottes und in der Anbetung gerade in der Krise als verbindende Mitte der Katholiken wieder stärker entdeckt und in den Blick genommen werden können. Für mich war das eine Erkenntnis aus der Krise und ein Thema, auf das man in jeder seelsorglichen Begegnung zu sprechen kam. Dazu leistet diese von kath.net orchestrierte Kampagne leider keinen besonderen Beitrag. Eigentlich schade! 

Wenn wir über Versagen der Kirche reden, dann wäre das die Frage, die wir uns in der Beichtvorbereitung einmal stellen könnten. Haben wir auf der Suche nach Fehlerhaftem, nach Versagen, nach Schuldigen vielleicht die Chancen übersehen? Auch die Chance, uns über kirchenpolitische Gräben wieder die Hand zu reichen? Haben wir gesehen, was Gott uns inmitten dieser Krise wirklich sagen möchte?

P.S.: Ich bin im Grunde kein Gegner von kath.net und habe dort selbst schon Texte veröffentlicht. Auch sind dort manche Leute aktiv und engagiert, die das aus tiefem Glauben und tiefster Überzeugung tun. Manche „Nachrichten“ finde ich nur dort oder dort besonders früh. Einige Mitarbeiter schätze ich ganz persönlich. In kritischen Anmerkungen zur Kirche von heute steckt Wahres. Von manchen kritischen Anfragen habe ich durchaus profitiert. Von daher verdient es kath.net auch, dass man ab und an Kritik äußert.

Sonntag, 19. April 2020

Heilige Obi und Toom, bittet für uns? Von Kirchen und Baumärkten.

„Wo zwei, und nicht drei, in meinem Namen versammelt sind....“ Dieser gelungene Lied-Witz prägte in den letzten Wochen das kirchliche Leben. Unseren Gemeinden ist aktuell ihre Herz-Mitte genommen, der gemeinsame Gottesdienst. Man behilft sich mit gestreamten Messen, Geistermessen, die die Priester stellvertretend feiern und privaten Gebeten. Die Online-Aktivitäten der Seelsorger*innen changieren zwischen gut gemeintem Dilettantismus, sympathischen Filmchen und  dem engagiertem und gekonnten Nutzen neuer Chancen. 

"Lehrt Not beten?", fragt in diesen Tagen die Journalistin Christian Florin: „Die Empirie gibt das nicht her. Not lehrt eher basteln, grillen, heimwerkern.“ Wer gestern bei gutem Wetter in den Bau- und Gartenmarkt musste, der weiß, wie sehr die Beobachtung stimmt. Trotzdem, die Situation (nicht die Not) hat nach meiner Wahrnehmung auch Leute beten lassen, die im stressigen Alltag sonst nicht dran denken oder nicht dazu kommen. 

Beinahe noch sehnlicher als auf die Osternacht haben offenbar viele Kirchenleute auf die Oktavwoche nach Ostern gewartet. Hieß es doch, die Regierung wolle dann über Lockerungen entscheiden, die den Druck des Corona-Regimes wieder für alle erträglicher machen sollten. 

Schon im Vorfeld hatten namhafte Kirchenleute und kirchliche Aktivisten mit zunehmender Lautstärke die Wiederzulassung öffentlicher Gottesdienste gefordert. 

Sogar Bischöfe verstiegen sich zu Bemerkungen wie „Wenn sogar Baumärkte öffnen dürften, dann könne man doch Kirchen nicht verschließen. Zumal diese den Besuchern mehr Platz böten als enge Gänge in Bau- und Supermärkten. Und man könne problemlos in den großen Kirchen alle Hygiene und Abstandsregeln einhalten, die auch sonst beim Einkaufen und Spazieren gehen gelten würden. 

Die Krone der Argumentation war dann das engagierte Eintreten für das Grundrecht der Religionsfreiheit, die ja ausgerechnet jenes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes unterstrichen habe, mit dem dieses höchste Gericht den Eilantrag einiger Personen auf Aufhebung der Gottesdienstverbote zurückgewiesen hatte. Die Kirche fordere nur ihr verbrieftes Grundrecht ein, auch in der Pandemie die Menschen zum Gottesdienst zusammen zu führen. 

Und dann war - ausgerechnet für die Kirchen und Religionen - nichts dabei. Einige Lockerungen verkündete die Bundeskanzlerin, nur keine des Gottesdienstverbotes. Aber man wolle mit den Religionsvertretern darüber sprechen. Aus der wohl formulierten Stelllungnahme des Bischofskonferenzvorsitzenden dazu klang deutlich vernehmbar Frust und Enttäuschung durch. 

Die Gespräche haben stattgefunden! Noch ohne konkrete Ergebnisse. Doch nun steigt die Erwartung, dass in zwei Wochen endlich, schrittweise wieder zur Normalität öffentlicher Gottesdienste zurückgekehrt werden könne. Die Stimmen aus der Mitte der Kirche, die diese Hoffnung mit Nachdruck vertreten, nehmen deutlich zu. Konkrete Vorschläge liegen schon auf dem Tisch!

Ich bin da skeptischer. Zumal auch wegen der argumentativen Tiefe mancher Diskussionsbeiträge. Deren Spitze sind Leute, die damit argumentieren, dass in vergangenen Jahrhunderten Menschen für die Mitfeier eines Gottesdienstes das Martyrium in Kauf genommen, manchmal auch wahrhaftig erlitten hätten. In diesem Sinne müsse die Kirche notfalls auch gegen einen Staat kämpfen, der Gottesdienste verbiete. Drumherum verbreiteten diese Leute sehr verharmlosende Aspekte des Coronavirus und der Covid-19 – Erkrankung. Alles halb so schlimm? Alles ließe sich mit etwas Disziplin und gutem Willen in den Griff bekommen? Da möchte ich gern an die alte kirchliche Regel erinnern, dass man das Martyrium nicht suchen darf. Gott hat sogar dem hl. Franziskus hier "Nachhilfe" erteilt, als dieser vom (vermeintlich feindlich gesinnten) Sultan wider Erwarten freundlich empfangen wurde. Dieser war keineswegs darauf aus, den späteren Heiligen zum Himmel zu schicken. 

Andere Kirchenleute arbeiten sich am Stichwort der „Systemrelevanz“ ab. Nicht nur Bau- und Supermärkte, Müllabfuhr und Essenslieferdienste seien systemrelevant, sondern auch die Kirchen. Böten sie den Menschen doch Trost und Hoffnung durch den Glauben. Das sei kaum jemals wichtiger gewesen als heute. Das Stichwort "systemrelevant" eignet sich trefflich für einen Beichtspiegel oder eine Bußandacht. Es ist ja schwer erträglich, dass die Kirche, Mittelpunkt des eigenen Lebens und Dreh- und Angelpunkt der seelsorglichen Aktivitäten als verzichtbar betrachtet wird. 
„Ich streame, also bin ich....“ kommentierte kürzlich jemand spöttisch die zahlreich im Netz übertragenen Gottesdienste aus priesterlichen Wohnzimmern und improvisierten Hauskapellen. Das kannte man bis dato nur von irgendwelchen pseudokatholischen Minisekten oder Sedisvakantistenkapellen. Ich würde dem bösen Wort von der „Systemrelevanz“ schlicht mal das alte kirchliche Kernwort von der DEMUT entgegen halten. Und diesen Aspekt einmal zur Meditation empfehlen. Natürlich ist Kirche bedeutsam und wichtig. Aber ein runtergefahrenes kirchliches Leben nimmt der Kirche und dem Glauben nicht die Lebensrelevanz. 

Natürlich ist es ärgerlich zu sehen, dass Baumärkte am Samstag überquellen und dass massenhaft Pflanzen und Heimwerkermaterialien herausgetragen werden. Aber vielleicht ist es ja auch ein Zeichen der göttlichen Vorsehung, wenn gutes Wetter und Aktivitäten in Haus und Garten dazu beitragen, dass den Leuten aktuell nicht die Decke auf den Kopf fällt und die familiären Spannungen sich in heftigen Streitereien entladen. 

Die Argumentation "die Anderen dürfen das auch..." finde ich mindestens schwierig. Lockerungen werden dort eingeführt, wo gute Argumente dafür sprechen, ein erhöhtes Infektionsrisiko einzugehen. Man sollte also argumentieren, warum die Feier von Gottesdiensten aktuell so wichtig ist, dass man ein entsprechendes Risiko zu tragen bereit ist.
Ich stelle mir die Frage, ob manche kirchliche Aktivisten die Absicht der aktuellen Regelungen überhaupt verstanden haben, dass jede vermeidbare Infektion auch vermieden werden solle und daher strengste Regeln gelten müssen. Es geht nicht darum, ob bei dieser und jener Aktivität gewisse Infektionsschutzregeln eingehalten werden könnten, sondern darum, dass es z.B. weit besser ist den Wocheneinkauf allein an einem Tag zu machen als unter Einhaltung aller Regeln jeden Tag frisch den Tagesbedarf an Klopapier zu erwerben. Ich merke selbst, wie schnell man im Alltag da nachlässig wird. Diese Zeit ist eine echte Schule in Selbstdisziplin. Und das ist ja doch auch ein Kernaspekt des geistlichen Lebens, oder? 

Überhaupt, ist es nicht eine Selbstverzwergung, wenn Kirche sich mit Bau- und Supermärkten vergleicht? Da vergleicht man doch Äpfel mit Birnen. Natürlich ist es ärgerlich zu sehen, dass dort sehr viel verkauft wird, was nicht „lebens- und überlebensnotwendig“ ist. Mit Ausnahme von Klopapier, welches ja lange schon aus ist. Aber viel ärgerlicher und existenzieller ist das für die Inhaber kleiner Geschäfte, wie z.B. der Schreibwarenhändlerin, wenn sie sieht, dass der Discounter all das verkaufen kann, was sie nicht verkaufen darf. Oder nur im Wege des Bestell- und Lieferdienstes. 

Auch kommt es in Bau- und Supermärkten gemeinhin nicht zu Versammlungen. Das größte Risiko ist, dass ich nicht schnell genug an den Anderen vorbeikomme, wenn die Gänge blockiert sind – oder ich allzu lang in der Kassenwarteschlange stehen muss. 

In der Kirche dagegen halte ich mich ruhig über längere Zeit auf. Zudem sagen Wissenschaftler, dass das gemeinsame Singen eigene - höhere Infektionsrisiken birgt (Bioaerosole) und es ist leider auch ein Fakt, dass die weitaus größte Gruppe der Gottesdienstbesucher besonders gefährdete Personen sind. Kürzlich bemerkte jemand, dass Gottesdienste doch genau die Art von Veranstaltungen sind, die unter Seuchenpräventionsgesichtspunkten hoch riskant seien. Eine Gottesdienstfeier ähnelt nun mal, es mag einem gefallen oder nicht, eher einer Karnevalssitzung in Heinsberg als einem Baumarktbesuch in Voerde. 

Haben wir als Kirche hierfür wirklich die richtige Antwort? Ich weiß es nicht. Und bin gespannt, wie das konkret umgesetzt werden soll. Wollen wir wirklich Gottesdienstfeiern, wie jetzt bei den Fernsehgottesdiensten? So wie heute morgen mit 6 Personen plus Organist und Pfarrer? Ohne Messdiener? Und die Gottesdienstbesucher dann in katholischer Maximalverteilung – höchstens eine Person auf zwei Bänke?

Wie sollen "mehr" Gottesdienste möglich sein, wo die Priester schon vor der Krise in manchen Gemeinden nicht mehr in jeder Kirche auch nur einen sonntäglichen Gottesdienst ermöglichen konnten? Eher greift da nach Erik Flügges Vorschlag die "Sonntagspflicht" auch auf die folgenden Werktage auszudehnen. 

Ja, ich bin durchaus dafür, dass statt Geistergottesdiensten je nach Kirchengröße auch einige Personen zum Gottesdienst zugelassen werden können. So, dass sie wirklich weiten Abstand halten können, durchaus weiteren als unbedingt notwendig nach den geltenden Abstandsregeln für Vorübergehende und Beieinanderstehende. Das ist auch für die Priester eine wichtige „Lockerung“, weil Gottesdienstfeier immer auch Gemeinschaftsfeiern sind. 

Wir haben aus diesen Gründen jetzt die Erstkommunionfeiern in den Herbst verlegt. Die allermeisten Eltern konnten sich ein solches Fest für ihre Kinder im engsten Kreis nicht vorstellen und setzen darauf, dass dann echte Gemeinschaftsfeiern möglich sind. Wobei wir schon heute planen, aus zwei Gottesdiensten sechs zu machen. Denn Gemeinschaft bedeutet ja nicht, dass es rappelvoll ist, sondern dass liebe Menschen mit uns feiern und uns nahe sind. Zumindest im Herzen und im Gebet.

Ach Übrigens – unsere Kirchen sind in diesen Tagen keineswegs geschlossen, sondern bieten Raum und Anregungen zum persönlichen Gebet. Es wird rege – wenn auch nicht übermäßig genutzt. Wir haben also noch Platz!

Ja, mir fehlt wirklich etwas. Ich würde so gern wieder - wie früher - mit meinen Schwestern und Brüdern in der Kirche sitzen, beten, Gottesdienst feiern, Eucharistie feiern... So gern...

Auch würde ich lieber ein gutes Wort für alle Trauernden einlegen, dass wir Wege finden, dass sie mit ihren Freundes- und Familienkreisen in guter Weise Abschied nehmen können. So gut, wie es eben geht - unter den Bedingungen der Zeit (aber besser als jetzt).

Aber ich möchte erst dann wieder zu regelmäßigen Gottesdiensten zurückkehren, wenn ich einigermaßen sicher sein kann, dass nicht durch meine und unsere Verantwortung Menschen dem Martyrium einer schwer verlaufenden Covid-19 – Erkrankung überantwortet werden. Da warte ich lieber noch einige Wochen ab. Und dieses geistliche Fasten wäre es mir auch dann wert, wenn wir dadurch einige Wochen eher wieder zum gemeinschaftlichen Beten zurückkehren könnten.

Beten wir bis dahin für alle, die von der Krankheit betroffen sind.
Für alle, die in den Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen.
Für alle, die die Pandemie vor große Herausforderungen stellt.
Für alle, die das gottesdienstliche Fasten bedrückt.

Heilige Cosmas und Damian, bittet für uns.
Heiliger Lukas, bitte für uns.
Heiliger Damian de Veuster, bitte für uns.
Heiliger Lukas von Simferopol, bitte für uns.

Und hören wir auf Gottes Wort, wie es uns heute in der 2. Lesung verkündet wird:
"Gottes Macht behütet euch durch den Glauben, damit ihr das Heil erlangt, das am Ende der Zeit offenbart werden soll. 
Deshalb seid ihr voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst.
Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist."