Mittwoch, 27. Juni 2012

Bischof Gregor Maria Hanke ./. Prälat Peter Neher

Diesmal soll mein Blog-Beitrag in einem Brief an den Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke OSB bestehen. Als normaler Katholik war ich etwas irritiert über den - wenn auch unfreiwillig - öffentlich ausgetragenen Disput. Hierauf versuche ich mit diesem Brief an Bischof Hanke zu reagieren. Möglicherweise ist mein Brief auch für den ein oder anderen Leser dieses Blogs interessant.

Lieber Bischof Gregor Maria Hanke!

Bitte entschuldigen Sie, dass ich diese vertraute Ansprache der formalen Anrede vorziehe. Nehmen Sie es bitte als Zeichen der inneren Verbundenheit mit Ihrer Person und Ihrem Amt.
In diesen Tagen wurde offensichtlich durch eine Indiskretion Ihr Brief an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher publik. Ihr Ordinariat hat bestätigt, dass dieser Brief authentisch ist.
Auch wenn er nicht an mich gerichtet war und Ihnen selbst die Veröffentlichung nicht recht sein kann, erlauben Sie mir aus der Perspektive eines vierfachen Familienvater, der zudem Vater eines „echten Krippenkindes“ ist, eine Reaktion auf die von Ihnen aufgeworfene Problematik.
Lassen sie mich vorab betonen, dass ich eine gewisse Verbundenheit mit Ihnen empfinde, da ich ein hohe Interesse am Orden des Hl. Benedikts habe, Ihren Ordensgründer sehr verehre, Ihr persönliches Engagement für die Bewahrung der Schöpfung hoch schätze und mir als Pastoralreferent in der Katholischen Diözese Münster das Wort eines Bischof durchaus etwas bedeutet.
Als ehemaliger Benediktinerabt werden Ihnen die Worte des Hl. Benedikt über den Abt noch im Herzen klingen. „Bei Zurechtweisungen gehe er mit Klugheit vor und gehe nie zuweit, sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er es allzu sauber vom Roste reinigen will. Er rechne immer mit seiner eigenen Schwäche und erinnere sich, dass man ein geknicktes Rohr nicht vollends brechen darf. Damit wollen wir jedoch nicht sagen, er dürfe Fehler fortwuchern lassen, vielmehr soll er sie, wie schon gesagt wurde, mit Klugheit und Liebe ausrotten in der Weise, die er für jeden einzelnen zuträglich findet.“
Ob Sie diese Worte bei der Abfassung Ihres Briefes wohl ausreichend beherzigt haben? Ich bin jedenfalls verwundert über den scharfen Ton Ihres Briefes. Ich habe die Äußerungen von Prälat Neher (soweit sie mir zugänglich waren) noch einmal gelesen. Er spricht sich ja in keiner Weise gegen eine „Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsleistungen“ aus. Im Gegenteil! Er fordert sie ebenso und macht auch konkrete Vorschläge hierzu. Vielleicht hätte er an einer Stelle noch einen Satz wie den Folgenden anfügen können: „Nun, das, was da mit dem Erziehungsgeld kommen soll ist nicht gut, es ist nicht unbedingt sozial gerecht, aber es ist besser als gar nichts...“
Dass Sie in Ihrem Brief dem Caritasverband sogar eigene ökonomische Interessen unterstellen empfinde ich als besonders problematisch. Gerade wo Sie selbst eine Dissonanz in widerstreitenden kirchlichen Meinungsäußerungen beklagen, sollten Sie doch auch selbst vermeiden, bestimmte, der Kirche nicht wohl gesonnene Kreise in ihrem Vorurteilen gegenüber dem Caritasverband (und der Kirche) zu bestärken.
Hier im Bistum Münster haben wir als Kirchengemeinde eigene Kinderbetreuungseinrichtungen. In beiden Einrichtungen unserer Gemeinde nehmen wir auch Kleinkinder auf. Nicht aus finanziellen Gründen oder weil wir gegen die „katholische Soziallehre“ arbeiten (wo genau ist denn hier eigentlich gesagt, dass die Soziallehre der Kirche sich gegen frühe Betreuung ausspricht?), sondern weil es einen Bedarf gibt; weil Eltern zur Berufstätigkeit gezwungen oder gedrängt sind und gute Betreuung brauchen; weil im Einzelfall den Kindern die Zeit in unserer Einrichtung gut tut und sie davon profitieren. Meine eigene, jüngste Tochter war von ihrem 6. Lebensmonat an in der Betreuung einer Caritas-Kindertageseinrichtung. Daher weiß ich auch, was das für das Kind und die Familie bedeutet.

Lieber Bischof Hanke! Ich kann Ihre Perspektive durchaus verstehen, unterstütze sehr die Vorstellung, dass der Staat und die Gesellschaft mehr tun müssen, um Eltern zu unterstützen, die die Kinder, die Gott uns schenkt gut zu versorgen und zu erziehen. Ich teile auch die Ansicht, dass ein Mehr an Betreuungsmöglichkeiten, das allenthalben, sogar von „christlichen“ Politikern gefordert wird, nicht die einzig notwendige Unterstützung ist, die Eltern benötigen. Es ist ja auch etwas widersinnig, von Unterstützung werdender und „seiender“ Eltern zu sprechen und das Miteinander von Eltern und Kindern durch immer neue Betreuungsformen und Ausweitung der Schulzeiten zu begrenzen. In unserem Bundesland NRW gibt es zur Zeit die widersinnige Diskussion, dass in der offenen Ganztagsschulen die Kinder möglichst bis zum Ende um 16.00 Uhr verbleiben mögen und nicht mehr flexibel und früher von den Eltern abgeholt werden sollen. Hier geht es vor allem um eine bessere Ausnutzung der Einrichtungen und damit der zur Verfügung gestellten Finanzmittel. Hier würde ich mir durchaus ein klares Wort eines Bischofs oder der Caritas wünschen.
Doch in meinem Wunsch nach „Anerkennung und damit Hochschätzung meiner Erziehungsleistung“ als Vater finde ich mich dennoch ebenso in Ihrem Grundanliegen und der im Brief an die Bayrische Staatsministerin Christine Haderthauer formulierten Position, wie auch in der Argumentation von Prälat Neher als Präsidenten des Deutschen Caritas-Verbandes wieder.
Ich kann nicht erkennen, dass der Caritasverband die erzieherische Eigenverantwortung der Eltern als unaufgebbares Prinzip kirchlicher Soziallehre in Frage gestellt hat. Wo seine Aussagen der „katholischen Soziallehre“ widersprechen, erschließt sich mir weder aus der Kenntnis der katholischen Soziallehre noch aus der wiederholten Lektüre Ihres Briefes an Prälat Peter Neher.

Aber so wenig das Betreuungsgeld diese elterliche Eigenverantwortung unterstützt, so wenig nehme ich wahr, dass sich der Caritasverband vor den Karren mancher Familienideologen spannen lässt, die glauben, dass eine externe Erziehung der Kinder in Krippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen dem erzieherischen Einfluss der Eltern vorzuziehen sei. Aber die Situation der Familien ist heute bunt und vielschichtig. Sie brauchen eine individuelle Unterstützung und Förderung, die eben nicht immer in zusätzlichem Geld und weniger pädagogischer Begleitung besteht. Es ist und bleibt auch problematisch, dass die jetzt umzusetzende Variante des Betreuungsgeldes gerade dort nicht ankommt, wo mehr Geld in den Familien echte Not wenden könnte. Es wäre doch viel sinnvoller, genau hinzuschauen und passgenau mit dem zu helfen, was in dieser besonderen Familie gerade gebraucht wird. Manchmal ist das Geld, manchmal ist es frühe Förderung und Betreuung durch Fachkräfte in der Familie und in Einrichtungen, manchmal seelsorgliche Begleitung, Verständnis und Zuwendung. Und genau davon hat ja auch Prälat Neher gesprochen.

Ich frage mich, warum Sie als Bischof, bei allem – in Ihrem Brief förmlich spürbaren Ärger über die eine oder andere Argumentationsspitze des Prälaten – nicht zum Telefonhörer greifen, sich durchstellen lassen und mit ihrem Amtsbruder ein klärendes Gespräch im „nichtöffentlichen“ Raum suchen. Bisher hatte ich es als angenehm empfunden, dass Prälat Peter Neher in der öffentlichen Diskussion eine kritische Stimme war, die sowohl den politischen Gegnern des Betreuungsgeldes widersprach, indem er sagte: jawohl, Familien brauchen finanzielle Hilfen als auch den politischen Freuden dieser Geldleistung, indem er sagte: aber auch mit dem Betreuungsgeld bleiben die Probleme in den Familien und da müsst ihr noch mehr tun, statt euch nun gemütlich zurückzulehnen und auf das Betreuungsgeld zu verweisen.

Aber ich würde gerne noch auf meine Erfahrungen als Familienvater zurückkommen. Als Pastoralreferent, der in der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit tätig ist, kenne ich viele Familien und deren manchmal schwierige Situation.
Schön wäre es, wenn die Betreuungseinrichtungen möglichst passgenaue Betreuungsangebote anbieten würden, die uns Eltern entlasten (so wir berufstätig sein müssen) und uns dennoch erlauben, so viel Zeit als möglich mit unseren Kindern zu verbringen. Da fehlt es insgesamt noch an Vielseitigkeit, Flexibilität und Kundenfreundlichkeit.

Leider ist in all den aktuellen Diskussionen viel zu viel Ideologie im Spiel. Oft sind bestimmte „wissenschaftliche“ Befunde von Interessen und erkenntnisleitenden Überzeugungen bestimmt. Das gilt leider auch für die Diskussion über die psychischen Folgen der frühen Betreuung oder über den erhöhten „Kortisolspiegel“ bei Kindern. Hier würde ich mir mehr unvoreingenommene Fachlichkeit bei klarer Parteinahme für das wirkliche Wohl der Kinder wünschen. Die Ursache psychischer Auffälligkeiten ist vielschichtig und nicht selten liegt sie eher in den Familien begründet denn in anderen Einflüssen.
Sie schreiben: „Es ist unbestreitbar, dass es für ein Kleinkind im Normalfall kaum einen besseren Hort der Erziehung und der ge-/erlebten Wertevermittlung gibt als das Leben innerhalb der eigenen Familie.“ Ich hoffe sehr, dass diese Aussage zumindest für meine Familie und unsere vier Kinder stimmt. Auch wir bemühen uns sehr, unsere Kinder zu gläubigen Menschen zu erziehen. Ob uns das besser als anderen Familien gelingt? Manchmal zweifle ich durchaus daran.
Die Vielfalt in den Familien, die ich in meiner Arbeit aber auch in der Schule und im Kindergarten erlebe, ist groß. Der „Normalfall“ ist heute selten. Und ich erfahre auch, dass meinen Kindern die Zeit im Kindergarten, in der Betreuung, in der Schule gut tut. Dass sie dort Dinge erfahren, auch Werte vermittelt bekommen, die ich ihnen im Rahmen unseres Familienlebens nicht hätte vermitteln können. Dabei kommt unsere Familie dem Familienideal der katholischen Soziallehre vermutlich näher als bei manchen anderen Familien. Um so mehr gilt dies für die Familien in denen Kinder allein, einzeln aufwachsen.

Sie werden mich hoffentlich nicht falsch verstehen. Es ist ein hohes und wichtiges Ideal, das auch von Ihnen verteidigt wird und ich gehe sehr davon aus, dass Ihnen die Sorge um ein gelingendes Familienleben mit den entsprechenden Rahmenbedingungen sehr am Herzen liegt.

Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Kirche hier mit einer Stimme spricht, Partei für Familien in ihrer ganzen Vielfalt ergreift (selbst dann, wenn sie sich vom kirchlichen Familienideal entfernt haben) und sich spürbar von der Lebenswirklichkeit der Familien inspirieren und von Familienvätern und Müttern beraten läßt. Die Verantwortung hierfür liegt aber auch innerhalb der bischöflichen Amtsführung. Ganz bestimmt gibt es in der verfassten Caritas einen „Entweltlichungsbedarf“ und an der ein oder anderen Stelle auch deutlich Reformbedarf. Ich fände es gut, wenn die Bischöfe hier in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der Caritas einen guten Weg finden und nicht über halböffentliche Briefe verkehren, die sowohl auf die Arbeit der Caritas als auch die Absichten der Kirche einen gewissen Schatten werfen.
Ich bin jedenfalls dankbar, dass sowohl Prälat Neher als auch Sie, Bischof Hanke, eine Lanze für uns Familien brechen möchten. Ich nehme wahr, dass Sie jeweils andere Familienwirklichkeiten im Blick, aber letztlich das eine Ziel vor Augen haben.
Möge es auf die Fürsprache des Heiligen Menschenkenners Benedikt gelingen, dass Sie miteinander für das Wohl der Kinder und Familien etwas zum Besseren bewegen können. So verbleibe ich im Gebet verbunden mit frohem Gruß!
Ihr
Markus Gehling

P.S.: Ich erlaube mir, diesen Brief an Sie auch Herrn Prälat Dr. Peter Neher zur Kenntnis zu geben und ihn in meinem katholischen Blog www.kreuzzeichen.blogspot.com zu veröffentlichen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort geben könnten.


Die Stellungnahmen von Prälat Dr. Peter Neher:

Mittwoch, 13. Juni 2012

Richard Steiner und Rudolf Williamson?

Was sagt Ihnen eigentlich der Name Rudolf Steiner? Denken Sie – bevor Sie weiter lesen – doch einem Moment hierüber nach.
Die meisten Menschen werden vermutlich sagen: kenne ich nicht! Der Name ist mir fremd! Lebt der noch? Vermutlich kommen Sie aber darauf, wenn ich Ihnen ein weiteres Stichwort hinzu gebe: Waldorfschule! Ach ja, auf Steiners Ideen beruht die Pädagogik der Waldorfschule und er ist der Begründer der sog. Anthroposophie. Viele Menschen, die heute in Bioläden „Demeter“-Waren oder biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel erwerben, ahnen gar nicht, wie viel das mit den Ideen Rudolf Steiners zu tun hat. Steiner lebte von 1861 bis 1925. Hier ist nicht der Platz, eine so vielfältige Persönlichkeit und ein so vielfältiges Werk (Hunderte von Büchern, Aufsätzen und Vorträgen) zu würdigen. Aber, nur die wenigstens „Fans“ des biologisch-dynamischen Landbaus oder der Waldorfpädagogik haben sich umfassend mit Steiners Werk auseinandergesetzt. Das wird auch schwer fallen, angesichts der schieren Menge der überlieferten Texte. Manche seiner Gedanken sind durchaus anregend und sympathisch. Seine Sprache ist „speziell“ und manche seiner theologisch – philosophischen Gedanken muten uns heute fremd an. Wer einmal an einem Gottesdienst, einer sog. Menschenweihehandlung in der von Steiner inspirierten Christengemeinschaft teilnehmen konnte, wird in der äußeren Form manches finden, was katholisch anmutet. Auch die hohe Verehrung, die die Anhänger der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik einigen katholischen Heiligen entgegen bringen, macht neugierig. Alles in allem, ist das „Katholische“ in seiner Lehre aber eher Äußerlichkeit und die Gedankenwelt dahinter wirkt eigentümlich verstaubt und überholt. Viele von Steiners Erkenntnissen halten einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht mehr stand. Was die biologisch-dynamischen Landwirte aber nicht davon abhält, die Äcker in bestimmten Mondnächten mit Ackerschachtelhalmtee oder Heilpflanzenextrakten zu „informieren“. Wer sich mit Steiners Lehre beschäftigt, blickt wie durch ein Guckloch in die Gedankenwelt bestimmter Kreise des frühen 20. Jahrhunderts.

Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich mich mit den Schriften der Piusbruderschaft beschäftige, die für sich selbst beansprucht, den theologischen Schatz von 1.900 Jahren Kirchengeschichte zu bewahren. Auch hier schaue ich durch ein Schlüsselloch in eine vergangene Geisteswelt, allerdings scheint es mir weit eher nur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sein. Ich denke, die Bruderschaft nennt sich auch deshalb nach dem Hl. Papst Pius X. (Amtszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts von 1903 bis 1914) und nicht nur wegen des Antimodernisteneides und weil sie ihn für einen der letzten „vollständigen“ Päpste hält, ohne die aus Sicht der Bruderschaft – bei seinen späteren Nachfolgern diagnostizierten theologischen Defizite. Nicht von ungefähr – so meine ich – verwendet die Bruderschaft in ihren Publikationen vor allem Bilder aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 und stattet auch ihre Kirchen und Sakristeien mit liturgischer Kunst dieser Zeit aus. Schauen wir einmal in die Kirchengeschichte, so ist das eine Zeit der Rückkehr zu alten Bauformen und zu – meist pseudo – mittelalterlicher Kunst. „Neoromanik“ und „Neogotik“ lauten die Stichworte und „Historismus“. Von ihrer religiösen Wirkung und künstlerisch-architektonischer Kraft her bleiben diese Plagiate aber weit hinter den Originalen zurück.

Heute stellt sich für uns die Diskussion um die Wiedereingliederung dieser Gemeinschaft in die katholische Kirche vor allem als ein Streit um in rechten Weg in Liturgie und Theologie dar. Aber vermutlich ist es viel mehr und die Gedankenwelt der Anhänger der Piusbruderschaft ist wesentlich vielfältiger. Ginge es „nur“ um diese Fragen, so ließe sich in der doch sehr vielfältigen katholischen Kirche sicherlich eine einfache Lösung finden und ein Platz für diese Gemeinschaft.

Aber es geht vielen in ihr um das „große Ganze“. Der extreme Zweig hält an der Überzeugung fest, dass es nur eine wahre katholische Kirche gebe und die sei nicht nur „subsistit in“ sondern sie ist allein die Piusbruderschaft. Jedenfalls gilt das so lange, bis sich „Rom“ zum „Ewigen Rom“, also den Vorstellungen der Piusbruderschaft bekehre. Vor dem Hintergrund dieses Denkens kann es keine Einigung geben. Diese extreme Auffassung vertreten vor allem die drei Titularbischöfe Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta.

Es hat den Hl. Vater Benedikt XVI. besonders in Bedrängnis gebracht, dass der konvertierte Anglikaner Richard Williamson sich im Umfeld der Bemühungen um eine Aufhebung der Exkommunikation der „gültig aber unerlaubt“ geweihten Bischöfe der Piusbruderschaft als Holocaustverharmloser präsentierte. Vermutlich hat man im Vatikan bei der Prüfung dieser Angelegenheit vor allem auf die frommen Überzeugungen der Bruderschaft geblickt und weniger darauf, dass die Gründung der Piusbruderschaft auch politische Hintergründe hat und dass hinter all der Theologie auch politische bzw. kirchenpolitische Überzeugungen stehen. Es ist doch eigenartig, dass gerade ein sich katholisch nennender Christ, gar Priester und Bischof irgendwelche Sympathien für die Nationalsozialisten zu Protokoll gibt. Schließlich waren gerade Katholiken für die Nationalsozialisten ein rotes Tuch. Heute zeigt sich mehr und mehr, dass Williamson ein erbitterter Gegner der Rückkehr der Gemeinschaft in den „Schoß“ der Kirche ist und auch genau so agiert. Ist es da so unwahrscheinlich zu fragen, ob die Holocaustleugnung nicht Methode hatte? Mit keiner theologischen Provokation wäre der Papst derart in Bedrängnis geraten, wie nach dem Bekanntwerden dieser Aussage. Ein probates Mittel also, eine Annäherung zu torpedieren. 

Aber sicher fallen die antisemitischen und antijudaistischen Positionen nicht vom Himmel. Innerhalb der Piusbruderschaft ist durchaus ein gestörtes Verhältnis zum Judentum zu beobachten, was zu zahlreichen zumindest sehr grenzwertigen Aussagen führt. Stilblüte am Rande: In den Ausgaben ihres Mitteilungsblattes 4+5/2012 präsentiert sie den angeblich orthodoxen (im Judentum höchst umstrittenen) Juden Reuven Cabelmann als Kronzeugen ihrer Judentumsfreundlichkeit und stellt den Lesern zudem eine sehr spezielle jüdische Splittergruppe unter den ultraorthodoxen Juden vor, nämlich die, die ausgerechnet den Zionismus und die Gründung des Staates Israel vehement ablehnen. Einer ihrer wenigen Vertreter in Deutschland ist Cabelmann. Damit bedient sich die Piusbruderschaft gewisser Stereotypen, die auch von Rechtsextremen in Deutschland gern benutzt werden. Das vom Verfasser des Artikels präsentierte Bild des orthodoxen Judentums ist allerdings nicht mehr als ein Zerrbild oder letztlich eher als ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen Piusbruderschaft und katholischer Kirche.

Aber, vermutlich liegt bei Williamson noch mehr im Argen. Seine Sympathie für totalitäre Regierungen deckt sich mit der Idee einer Beziehung von „Kirche und Staat“ in der die Kirche in bestimmten Fragen das staatliche Handeln zu lenken hat. Von klarer Trennung zwischen Kirche und Staat ist in der Piusbruderschaft nur selten die Rede. Und wer im Besitz der Wahrheit ist, wird auch wohl das Bestreben haben, diese Wahrheit auch mit Mitteln der Macht in die Tat umzusetzen und andere Menschen im Zweifel „in die Wahrheit“ zu zwingen. Kardinal Henri Schwery aus der Schweiz hat kürzlich noch auf diesen Aspekt hingewiesen. Im Extremfall also ein totalitärer Staat unter dem Christus König, geführt von seinen Stellvertretern auf Erden.
In solchen Denkwelten stören natürlich die Wortmeldungen und die Lehre eines amtierenden Papstes weit mehr als wenn man nur im Kontakt mit dem „ewigen Rom“ steht, das in der Regel nicht widerspricht. In manchen „liberalen“ Kreisen der Kirche gibt es ja ähnliche Phänomene.

Aber die Piusbruderschaft ist nicht nur Williamson und seine Anhänger. Für dessen Anhänger (die sich z.B. in Deutschland geballt bei kreuz.net tummeln) kann es keine Einigung mit der katholischen Kirche geben. Sie würden sich hiermit den Ast absägen, auf dem sie sitzen, denn sie müssten die Kirche und ihren Papst als rechtmäßig anerkennen und sich zumindest mit seinen Ansichten und Lehren auseinandersetzen. Aber sie sind es seit Jahrzehnten nicht gewohnt, ihre Ansichten in Frage stellen zu lassen. Sie verkünden sie schließlich in der Autorität des „ewigen Rom“ und letztlich glauben sie den Willen Christi zu kennen. Bernard Tissier de Mallerais fasste diese Haltung einmal so zusammen: „Wir ändern unsere Positionen nicht, aber wir haben die Intention, Rom zu bekehren, das heißt, Rom zu unseren Positionen zu führen.“ Wenn sie ehrlich sind müssten sie zugeben, dass sie – notdürftig getarnte – Sedisvakantisten sind, solche Spinner, die den Papst und seine Autorität völlig ablehnen und irgendwann selbsternannten Gegenpäpsten nachlaufen.

Mein Eindruck ist allerdings, dass die Mehrheit in der Piusbruderschaft das inzwischen alles anders sieht. Dass es ihnen vor allem um die liturgische Heimat und die Treue zu überlieferten Glaubensüberzeugungen geht. Ich vermute, dass es – je tiefer man in der Hierarchie geht – immer mehr sind, die sich eine Rückkehr in die katholische Kirche und einen Platz darin von Herzen wünschen. Steht es bei den Bischöfen noch 1 (Bernhard Fellay) zu 3, so kehrt sich bei den Priestern dieses Verhältnis vermutlich um und noch besser dürfte es bei den Laien und Ordensleuten sein.

Natürlich steckt in den Überzeugungen der Traditionalisten manche (vorsichtig gesagt) Einstellung, die höchst problematisch ist. Aber mit dem Weg in die Kirche muss die Gemeinschaft auch bereit sein, sich in Frage stellen zu lassen. Sie müssen ihre Positionen an der Wirklichkeit erproben. Und mancher andere Katholik muss sich mit den Meinungen der Piusbruderschaft konfrontieren lassen. Ich hoffe, da klärt sich dann manches. Und ich hoffe, den Verantwortlichen der Piusbruderschaft geht auf, dass beim eiligen Abschied aus der „großen Kirche“ auch manches mitgenommen wurde, was nicht bewahrt gehört, sondern auf den Müllhaufen der Geschichte. Da gibt es nämlich auch manches, was nur durch Zufall im Traditionsregal der Kirche stand und nicht, weil Jesus Christus es uns anvertraut hat. Man erkennt noch viel Ideologie des späten 19. Jahrhunderts, die mit dem echten Glauben nichts zu tun hat. Weg damit!
Vielleicht finden wir „normalen“ Katholiken in diesem Regal auch den ein oder anderen Schatz wieder, der in der Umbruchphase der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verschwunden ist. Das alles wird sicher ein langer Weg. Ich hoffe, dass möglichst viele ihn mit gehen.

http://www.pius.info/