Freitag, 27. Juni 2014

Unterwegs zu einer anderen Kirche? Ein Pfarrer schlägt Alarm!

Ein katholische Pastor hat einen Brief geschrieben! Einen (offenen) Brief an sein Bistum und seinen Bischof Rainer Maria Kardinal Woelki! Die „Netzzeitung“ Freiewelt.net, die den Text veröffentlichen durfte, drückte dem Vorgang sogar den Stempel der „Konspiration“ auf. Der Brief, der bisher „über private Kanäle in den Kreisen der katholischen Kirche zirkuliert“ sei „aufrüttelnd“ und warne vor dem „Weg zu einer anderen Kirche“, den das Bistum Berlin mit vielen anderen deutschen Bischöfen eingeschlagen habe.

Ich war durchaus neugierig, was der katholische Pfarrer der Teltower Gemeinde (in der Nähe von Berlin) mit dem klangvollen Namen Sanctissima Eucharistia kritisiert und vor allem, welche Vorschläge er für einen besseren Weg hat. Da der Brief lang war und manche Blogger und einige von mir geschätzte theologische Querdenker direkt Beifall klatschen war meine Erwartung hoch. Schließlich teile ich das „Magengrummen“, das viele Katholiken angesichts der Großraumpastoral befällt, egal ob sie sich einem „kirchenpolitischen Lager“ zuordnen oder einfach nur katholisch sein wollen.

Zunächst habe ich mich durch die Homepage der Gemeinde geklickt und geschaut, wer Pfarrer Michael Theuerl eigentlich ist. Er leitet die Gemeinde als Pfarrer, ist dort als Priester allein, es gibt zwei Kirchen. Zur Seite steht ihm eine Schwester als Seelsorgehelferin. Ansonsten handelt es sich offensichtlich um eine recht normale Gemeinde mit einem ganz lebendigen Gemeindeleben. Er hat im Bistum offensichtlich auch schon besondere Funktionen übernommen und eine Zeitlang in Russland mit Bischof Joseph Werth zusammen gearbeitet. Im Jahr 1999 gab er dem FELS ein lesenswertes Interview über seine Erfahrungen in der DDR und die 10 Jahre nach der Wende. Viele Themen seines aktuellen Briefes klingen auch hier schon an. Er ist also ein Mann der pastoralen Praxis mit einem weiten Horizont.

Mit seinem Brief greift er zunächst das verbreitete Unbehagen auf, mit dem viele Katholiken, die aktuellen kirchlichen Entwicklungen hin zu größeren pastoralen Einheiten beobachten. Egal, ob nun „Großgemeinden“ gegründet werden oder „Pfarr(eien)verbünde“; in der Regel führt dies dazu, dass diese pastoralen Großräume nunmehr von einem größeren Team aus Priestern und Laien „betreut“ werden. Im Normalfall gibt es einen Priester, den der Bischof als Leiter oder gar Moderator ernennt. Hintergrund dieser Entwicklungen ist der zunehmende Mangel an Priestern, aber auch sinkende Zahlen z.B. bei den Gottesdienstbesuchern und bei den Gläubigen insgesamt. Auch die finanziellen Mittel, die eine Gemeinde zur Verfügung hat, stagnieren (wenn auch noch auf hohem Niveau). In den meisten Bistümern (auch im Bistum Berlin) versucht man die Umstrukturierungen den Gläubigen und ihren Priestern über die erhoffen positiven Aspekte von Kooperation nahe zu bringen. Mancher Brief und manches Arbeitspapier aus den bischöflichen Ordinariaten überschlägt sich mit entsprechenden Euphemismen, statt ehrlich zuzugeben, dass es um einen angemessenen Weg geht, den Mangel (an Priestern, Geld, Gläubigen...etc.) zu verwalten. Positive Nebeneffekte nimmt man dann auch gerne mit.

Pfr. Michael Theuerl beginnt seinen Brief mit einigen atmosphärischen Beobachtungen, mit denen er einen grundlegenden Wandel in der Kirchenorganisation illustrieren will; die Sorge um geistliche Berufe habe der Gemeindeberatung weichen müssen; der BDKJ vergebe einen Demokratieförderpreis (was dieser aber schon seit vielen Jahren nicht mehr macht) und die hierarchische Organisation der Kirche sei inzwischen dem Organisationsmodell „Runder Tisch“ gewichen. Die in einigen Bistümern geförderte „kooperative Pastoral“ führe zu einer Aushöhlung des kath. Amtsverständnisses.

Hier setzt der Teltower Pfarrer mit seiner Kritik an und bringt seine Bedenken auf einen prägnanten Satz: „Man kann es als die Grundhäresie der westlichen Kirche bezeichnen: die theoretische und faktische Abschaffung des Hirtenamtes, des Apostolischen Amtes und der sakramental-hierarchischen Grundstruktur, die zum Wesen der göttlichen Stiftung Kirche gehört und ohne die man nicht mehr von Katholischer Kirche sprechen kann.“ 

Ich stimme dem sehr zu, es gibt Grundpfeiler des Katholischen, die man nicht aufgeben sollte. Allerdings möchte ich auch kritisch fragen, ob die Beobachtung des Pfarrers zutrifft. Er untermauert seinen starken Satz mit einigen kirchenpolitischen Beobachtungen und Beispielen, die man zusammenfassend sicher so interpretieren darf: Natürlich werden die „katholischen Basics“ heute nicht einfach offen abgeschafft, aber im Hintergrund werden Fakten geschaffen, die letztlich doch dazu führen. Diesen Eindruck von der deutschen Kirche teilen offensichtlich viele konservative Beobachter.

Es stellt sich wirklich die Frage, welche Position der Pfarrer einer Großgemeinde noch hat, wenn ihm nahe gelegt wird, eher als Moderator eines großen Teams aus – theologisch voll ausgebildeten – Pastoralreferenten, weiteren Priestern, Gemeindereferenten, Kirchenmusikern, Laien etc. etc. zu wirken und dabei 10.000 – 40.000 Katholiken angemessen zu betreuen. Das bedeutet einen enormen Wandel in der Arbeitsweise des Priesters und viele neue Herausforderungen. Wo früher manches leicht, schnell und eindeutig zu regeln und zu entscheiden war – ist heute viel mehr Absprache, Kooperation, Planung, Disziplin, Zeitmanagement, Organisation erforderlich. Die Reibungsverluste werden größer und mancher Konflikt kann schmerzhaft werden. 

Hören wir Pfarrer Theuerl einmal zu, wenn er sagt: „Man mag noch so oft betonen, das Hirtenamt werde nicht beschädigt – das Gegenteil ist der Fall bei der „Pastoral des Runden Tisches“. Denn schon rein menschlich wird der Pfarrer auf Dauer sich nicht gegen die Leute am Tisch stellen wollen. Bestenfalls wird er die Rolle als Moderator einnehmen. Das ist aber nicht das Hirtenamt.“ Und weiter: „Das Resultat wird kein anderes sein als Streit, Sich Zurückziehen, Dienst nach Vorschrift, Verantwortungslosigkeit oder Burn out und gänzliches Weggehen.“

Ich denke, man sollte über diese Sorgen nicht leicht hinweg gehen. Es ist die Aufgabe der Bischöfe, darauf zu achten, dass diese Befürchtungen nicht Wirklichkeit werden: „Das ist aber nicht das Hirtenamt“ - für Pfr. Michael Theuerl ist dies das Kernproblem und sicherlich ist seine Analyse ein bedeutsamer Einwurf in die Diskussion. Hier darf es auch keine Zweideutigkeiten geben: eine Neuorganisation der kirchlichen Strukturen muss vor dem Horizont einer klaren Antwort auf die Fragen geschehen: „Welche Rolle übernehmen die haupt- und ehrenamtlichen Laien?“ und „Wie wahren wir in der Frage des Amtes und der Sakramente das katholische Fundament?“ 

Pfarrer Theuerl erinnert an den seligen Bernhard Lichtenberg, der zu seiner Zeit (Priester von 1899 – 1943) eine Pfarrgemeinde mit 36.000 Katholiken geleitet habe. Damals sei die Pastoral auch in einem solchen, großen pastoralen Raum noch katholisch organisiert gewesen. „Er hatte seine Kapläne, die er anleitete, Anweisungen gab; und diese wiederum hatten vor Ort ihre Helfer – unendlich viel mehr Beichten, Kommunionen, Krankensalbungen, Messen … als irgendwo heute im Erzbistum Berlin.“

Wer möchte sich nicht am Beispiel eines, erst recht dieses seligen Priesters ausrichten? Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der heutige Teltower Pfarrer (1984 geweiht) mit etwas verklärtem Blick in die Vergangenheit blickt. Ich habe in einem alten Buch einmal einen „Hilferuf“ einer Berliner Pfarrei aus den 1920er Jahren gefunden. Dort wurde die pastorale Notsituation in Berlin mit der „komfortablen“ Situation der Pfarreien in der nordischen Diaspora verglichen, wo auf einen Priester und zahlreiche Ordensleute eher wenige Katholiken kamen, während man in Berlin nicht wußte, wie man mit so wenigen Geistlichen die Arbeit im Weinberg des Herrn stemmen soll. 

Grundsätzlich teile ich Pfarrer Theuerl Wunsch: Die Pfarrei der Zukunft sollte strukturell so klar wie zu Lichtenbergs Zeiten organisiert werden. Aber im Detail ist die Situation damals mit der heutigen nicht mehr vergleichbar. Wo es früher verhältnismäßig viele Kapläne gab müssen heute gestandene Priester diese Aufgaben übernehmen, ergänzend dann noch Gemeinde- und Pastoralreferenten und evtl. noch Seelsorgehelferinnen (davon gibt es nur noch wenige); evtl. auch noch ehrenamtliche Kräfte. Die meisten dieser Priester sind inzwischen älter und als gestandene Pfarrer nicht unbedingt mehr bereit, schlicht Anweisungen von oben auszuführen. Auch hat sich insgesamt der gesellschaftliche Umgangston geändert. Die Menschen sind es gewöhnt, auf Augenhöhe miteinander umzugehen, die Ehrenamtlichen mögen sich zwar im Beruf noch manchmal nach Anweisungen von oben richten müssen; im ehrenamtlichen Engagement möchten sie aber mitbestimmen und nach ihren Wünschen und Fähigkeiten arbeiten. Vieles, was heute „im Fluss ist“, war zu Lichtenbergs Zeiten noch klar und eindeutig. All das macht die theoretisch sehr einfache Kirchenorganisation heute schwieriger und manchmal nur lückenhaft umsetzbar. Dabei möchte ich nicht dafür plädieren, den Priester unter die „pastoralen Mitarbeiter“ zu subsummieren (was Pfr. Theuerl schon 1999 im FELS beklagte), sondern dafür, (soweit möglich) ein klares Berufsprofil für Pfarrer und Priester wieder zu gewinnen, da dieses teilweise wirklich zu verschwimmen droht.

Hier fehlt mir allerdings in dem offenen Brief eine realistischere Sicht der Problematik, denn die angebliche „Protestantisierung“ der Kirchenstruktur durch die Pastoral der runden Tische ist nur eine Seite. Dringend zu klären wäre, was denn das Hirtenamt des Priesters ausmacht. Denn dass es nicht einfach so weiter gehen kann wie früher, wo der einzelne Pfarrer der Vater einer überschaubaren Pfarrfamilie war, das liegt doch auf der Hand. 

Ich erinnere mich gut an zahlreiche Diskussionen des Diözesanforums im Bistum Münster. Interessant wurde es immer, wenn das Stichwort „Leitung“ fiel. „Leitung“, so lautete eine Position, kommt in der Pfarrei nur dem Pfarrer zu! Er hat die Leitung! Punkt! Ich habe dann oft gesagt, dass für mich Leitung nicht nur ein theologischer, sondern auch ein soziologischer Begriff sei und dass es notwendig sei zu klären, was theologisch mit „Gemeindeleitung“ gemeint ist, also mit dem Hirtenamt des Pfarrers.

Wenn Kinder im Kindergarten und in der Grundschule streiten, dann geht es manchmal darum, wer in einer Gruppe der „Bestimmer“ ist. Also, wer hat es zu sagen, wer bestimmt, was gespielt wird und wer zur Gruppe gehört...?

Schwierig wird es, wenn für die Pfarrer ungeklärt ist, was Leitung bedeutet. Es geht schief, wenn der Pfarrer im Grunde aus seinen Leitungspositionen verdrängt wird, wenn er z.B. in der Messe nur „zur Wandlung“ da ist und der Liturgiekreis sonst alles andere übernimmt. Da stimmt was nicht! Schwierig ist es aber auch, wenn der Pfarrer im Grunde jede noch so kleine Entscheidung an sich zieht und im Zweifel noch darüber bestimmen kann und will, welches Bronzekreuz die Kommunionkinder als Andenken überreicht bekommen, obwohl die ganze Katechese und Organisation eigentlich in der Verantwortung des Kaplans liegen. Ein Pfarrer Lichtenberg hätte seine Zeit nicht in solche – (mutmaßlich) unwichtigen – Details investieren wollen. Ein Pfarrer, der sein Hirtenamt wahrnimmt, muss heute (wie damals) auch gut delegieren können. 

Es kommt also darauf an, dass die Leitungsfrage für den Pfarrer und die weiteren Priester in der Pfarrei sorgfältig geklärt wird. Ein Hinweis mag das Weihegebet der Bischofsweihe geben. Dort wird gebetet: „Gieße jetzt aus über deinen Diener, den du erwählt hast, die Kraft, die von dir ausgeht, den Geist der Leitung. Ihn hast du deinem geliebten Sohn Jesus Christus gegeben, und er hat ihn den Aposteln verliehen. Sie haben die Kirche an den einzelnen Orten gegründet als dein Heiligtum, zur Ehre und zum unaufhörlichen Lob deines Namens." Leitung wird hier als Charisma verstanden. 

Die Frage der Gemeindeleitung, des Hirtenamtes geht daher weit über praktische Fragen hinaus. Sie ist auch und zunächst eine geistliche Frage. Sie hat mit dem Selbstbild eines Priesters zu tun und sie hat mit der katholischen Lehre zu tun. Die Rolle des Priesters im lebendigen Organismus, im lebendigen Leib der christlichen Gemeinde muss möglichst klar und deutlich erkennbar sein. Und sie ist konstitutiv und bedeutsam, auch wenn der Priester gut delegieren kann und in vielen Arbeitsfeldern nicht mehr der Bestimmer ist. Er muss in der Lage sein seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und alle sind gefordert, Grenzüberschreitungen klar zu benennen und diese zu verhindern. 

Als Pastoralreferent stößt mir – naturgemäß – immer sauer auf, wenn meine Kolleginnen und Kollegen (und damit ich selbst) aus konservativer Perspektive immer wieder als „Grenzüberschreiter“ dargestellt und als Bedrohung für das rechte Verständnis des Priesteramtes gesehen werden. Oft schießt hier die Kritik über das Ziel hinaus, wie gerade heute noch wieder auf „gloria.tv“, wo eine Pastoralassistentin aus der Schweiz präsentiert wurde. Die Moderatorin mokiert sich über deren Predigtdienst und dass sie sich als „Priesterin“ verkleidet habe. Dabei trägt sie nur eine schlichte weiße Albe und der Videobericht lässt nicht erkennen, ob sie nicht – wie erlaubt – ein Glaubenszeugnis zur Einführung in den Gottesdienst gegeben hat. Dass sie in dem Video mit einem Bischof zu sehen ist, lässt mich aber vermuten, dass hier durchaus alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Auch Michael Theuerl geht auf meine Berufsgruppe ein. Zunächst mit einem ähnlichen, wie dem oben geschilderten Beispiel: „dazu braucht man keine Pastoralreferenten, die sich im Vespermantel auf den Priestersitz setzen und sich freuen, einen Gottesdienst „selbständig“ zu leiten“. Da hat er sicher recht, die braucht man nicht; aber vermutlich braucht man schon einen Pastoralreferenten, der in eine schlichte Albe gekleidet, den Wortgottesdienst zur Begräbnisfeier eines Katholiken leitet und auch die Predigt hält. Jedenfalls so lange die Priester der Gemeinde nicht beschließen, dass jede Trauerfeier mit einer Eucharistie verbunden wird oder dass sie jeden Verstorbenen selbst zum Grabe geleiten. Die „Spitze“ gegen den Kollegen im Vespermantel halte ich für übertrieben. Ich würde einen Vespermantel im Gottesdienst nicht tragen, denn das Gewand für den liturgischen Dienst der Laien ist die Albe, evtl. noch Talar und Rochett, wenn es in der Gemeinde für liturgische Dienste (z.B. Lektor, Kommunionhelfer) so üblich ist. Der Vespermantel hat seinen liturgischen Ort anderswo, aber dazu braucht man nicht die Pastoralreferenten abzuschaffen, sondern sollte eine Einigung über angemessene liturgische Kleidung herbeiführen. Rosenkranz, Laudes, Vesper oder eine Andacht aus dem Gotteslob ... dazu brauchen die Gemeinden wirklich keinen „Oberlaien“ als Vorsteher. Aber es gibt auch Gottesdienstformen, wo die Bischöfe eine liturgische Kleidung auch für Laien empfehlen oder vorschreiben.

Weiter im O-Ton Pfarrer Theuerl: „Als vor vielen Jahren die Seelsorgehelferinnen (so die richtige theologische Bezeichnung) sich in Gemeindereferenten umbenannten, hat offensichtlich niemand den tieferen Hintergrund und Bewusstseinswandel bemerkt: nicht mehr Helfer sein wollen (- non serviam!)! Aber wenn man seine theologische Position nicht richtig erfasst oder gar ablehnt, dann ist die Auseinandersetzung vorprogrammiert. Leute, die nicht dienen wollen und etwas anderes im Sinn haben, können wir in der Kirche nicht brauchen, weder bei Priestern noch bei Helfern in der Seelsorge. Sie sind eine Karikatur, wie Papst Franziskus sagt.“ 

In seiner Gemeinde hat der Teltower Pfarrer nun also kein Problem; seine pastorale Mitarbeiterin ist Seelsorgehelferin. Über die neuen Namen der pastoralen Laienberufe kann man sicher streiten, sie sind auch unter Gemeinde- oder Pastoralreferent(inn)en nicht unumstritten. Allerdings haben sich diese den Namen auch nicht selbst gegeben. Inhaltlich hat der Pfarrer bestimmt recht, zumal er seine Kritik ja ausdrücklich auch auf Priester ausweitet. Entscheidend ist sicher auch, einige Gedanken darauf zu verwenden, wem man dienst, Gott, der Kirche, der Gemeinde oder dem Pfarrer. Der Name Gemeindereferent selbst leistet dem Phänomen, dass jemand seine „theologische Position nicht richtig erfasst“ bestimmt keinen Vorschub. Ein „Referent“ ist qua Bezeichnung jemand, der etwas weiter gibt, das er nicht aus sich selbst heraus hat. In der Schweiz (und im Vatikan) spricht man von „Assistenten“, das kommt dann den „Helfern“ wieder nahe. „Helfer“ finde ich persönlich nicht mehr stimmig, weil es die Konnotation von „Hilfskraft“ hat und man an ungelernte Arbeiter auf Baustellen oder in der Landwirtschaft erinnert wird. Und das kann ja nicht die richtige Bezeichnung für einen Mitarbeiter mit theologischem Hochschulabschluss sein. Da finde ich es entscheidender, zu einer klaren Beschreibung des Berufsbildes und der Grenzen der Verantwortlichkeiten zu kommen, als sich auf solchen Nebenschauplätzen zu verlieren. Mir gefällt die Bezeichnung „Katechist(in)“, die man z.B. in Afrika und Lateinamerika verwendet. Ich meine, es muss auch möglich sein, den Beruf des Pastoralreferenten als geistlichen Beruf zu betrachten und die Berufsträger als Seelsorger(innen) zu sehen, ohne damit die Rolle und Funktion des Priesters und des Pfarrers auch nur um Millimeter zu schwächen. Was ist so schwer daran, den Beruf (im Sinne von Berufung) und die Funktionen von Pfarrern, Priestern, Kaplänen, Gemeindereferentinnen etc. klar zu beschreiben und deren Zusammenwirken zu regeln? Wir sollten dankbar sein für jede(n), der einen solchen geistlichen Beruf im „Weinberg“ des Herrn ergreift und diese nicht in Konkurrenz zueinander betrachten. Das schließt die Forderung an die Einzelnen zu guter Kooperation und Vermeidung von Grenzüberschreitungen ein. Wer Priester sein will sollte nicht Pastoralreferent werden. 

Ich kann viele der weiteren Überlegungen von Pfarrer Theuerl nachvollziehen: Welches Signal sende ich als Kirche mit Blick auf die Sakramentalität der Kirche aus, wenn ein Laie (zudem eine Frau) das Seelsorgeamt leitet? Diese Überlegung spricht zwar nicht grundsätzlich dagegen, einer Frau diese Aufgabe anzuvertrauen, aber es spricht deutlich dafür, die Bedeutung der Sakramente in der Seelsorge - vielleicht gerade aus der Perspektive dieser Frau - entsprechend in den Blick zu nehmen und zu fördern. 

Bei vielen seiner Argumente bin ich jeweils versucht laut „JA“ zu rufen, aber auch leise ein „ABER“ anzufügen. Natürlich sollte es möglich sein, dass sich Priester unter sich treffen. Es ist nicht gut, zwangsweise eine Gruppe von Laien bei Priestertreffen einzuführen. Aber es macht auch Sinn, wenn Priester und Laien sich miteinander treffen und miteinander austauschen. Ich habe das erst kürzlich sehr positiv erfahren bei einem Tag der Seelsorger, zu dem Bischof Genn uns nach Münster eingeladen hatte. Es muss dabei nicht um „Gehirnwäsche“ gehen. Welche Ängste stecken hinter einer solchen Sorge? Ich bin bis heute der Überzeugung, dass das priesterliche Amt so mit äußerlichen und geistlichen Merkmalen ausgezeichnet ist, dass ein Priester keineswegs veranlasst sein müsste, an Berufung und Standing zu zweifeln, wenn ein Laie in seine Nähe kommt, selbst wenn dieser ein Amt, Qualifikation, Aufgabe und Bedeutung in der Welt und / oder in der Kirche hat.

In vielen seiner Anfragen und Überzeugungen ist Pfarrer Theuerl zuzustimmen. Zumindest aber sind sie bedenkenswert. Ich erlaube mir, einige davon zu zitieren, sie sind oft schön und prägnant formuliert. 

  • „Es macht keinen Sinn, auf Vergängliches und Unwesentliches zu setzen. Die Kirche lebt aus der Eucharistie und den Sakramenten und ist nicht Menschenwerk.
  • es macht überhaupt keinen Sinn, sich aufzuzählen, dass man etwa einen guten Kirchenchor hat oder gute Kinderarbeit oder gute ökumenische Kontakte, weil das erstens überhaupt nicht zum Wesen der Kirche gehört und zweitens sich schnell ändern kann. 
  • Das alles wird sich in bescheidenem Rahmen abspielen. Offensichtlich werden auch in Zukunft nicht mehr als 10 % der Gottesdienstbesucher eine zusätzliche kirchliche Veranstaltung besuchen. 
  • Die Kirche wird von Christus (nicht durch menschliches Engagement) aufgebaut durch die Eucharistie: Der eucharistische Leib baut den mystischen Leib – die Kirche – auf. Der Mensch ist vor Gott ein Empfangender; Der Glaube kommt vom Hören, nicht vom Machen.
  • In den letzten Jahren sind wir sicher gefühlte 100 Mal in verschiedene Richtungen aufgebrochen. Die permanente Rede vom Aufbruch zeugt von Realitätsverlust (es gibt aufs Ganze gesehen keinen Zuwachs an Gottesdienstbesuchern, Beichten, Trauungen, Taufen …).“


Das halte ich für die wichtigste Perspektive: die Kirche wird aufgebaut durch die Eucharistie, die vornehmste Leitungsaufgabe der Priester ist die Feier der Sakramente. Daher sollte aus dem Aufgabenkatalog der Pfarrer und Priester von heute alles gestrichen werden, was sie strukturell daran hindert, diesen vorrangigen Aufgaben nachzukommen. Auch dann, wenn das bedeuten würde in dem ein oder anderen Feld Leitungsverantwortung abzugeben. 

Was Pfarrer Theuerl in seinem Brief vor allem beklagt, ist die schwindende Eindeutigkeit mit Blick auf die Rolle und Funktion der Priester in der praktischen Organisationsstruktur der Kirche. Ich teile nicht alle seine Bedenken gegen den Umbau der Kirchenorganisation und erst recht nicht teile ich den Alarmismus mancher Kreise über die angebliche Protestantisierung der kath. Kirche. Das ist nicht mehr als ein törichtes Schlagwort!

Dennoch, seine Bedenken sollten unbedingt ernst genommen werden. Erst recht da, wo sie Ausdruck der Besorgnis sind, der Priester, der Pfarrer könnte de facto immer unwichtiger und letztlich bedeutungslos in der Pastoral werden. Diese existentielle Verunsicherung teilt er mit einer ganzen Anzahl weiterer Pfarrer, die sich ja teilweise auch schon deshalb zusammen geschlossen haben (wenn auch nicht so öffentlichkeitswirksam, wie die Priester der Gegenseite in ihren Pfarrerinitiativen, die mit Blick auf die spezifische Rolle und Aufgabe des Priesters gerade die Gegenposition einnehmen).

Aber der durchaus beachtliche Zulauf von jungen Priesteramtskandidaten z.B. zur Piusbruderschaft aber auch zur Petrusbruderschaft und betont kirchentreuen Ordensgemeinschaften wie z.B. dem Stift Heiligenkreuz sendet schon ein deutliches (Warn-)Signal. Wenn ein junger Katholik eher zu den praktischen Schismatikern der Piusbruderschaft wechselt, weil er hier ein noch eindeutiges Priesterbild und überzeugte Gemeinden antrifft, wo niemand an seinem Priesteramt kratzt und niemand ihn wegen seiner Überzeugungen und seines Zölibates in Frage stellt ... sollte allein das schon den Verantwortlichen der Diözesen nachdenklich und unruhig machen: Warum hat dieser junge Mann nicht bei uns geklopft, warum erscheint es ihm so viel attraktiver, unter oft einfachsten Bedingungen (wenig Finanzmittel, wenige Gemeinden, wenige, einfache, kleine Kirchen) den Alumnen Erzbischof Lefebvres zu folgen als mit Papst und Bischof gemeinsam der Kirche von heute ein Gesicht zu geben und Gottes Wort zu verkündigen – mitten in der Welt.

Auf die Antworten wäre ich sehr gespannt. Natürlich gibt es Leute, die passen auch nicht in den diözesanen Klerus. Aber es muss doch mehr getan werden, das Amt des Priesters in unseren ganz normalen katholischen Gemeinden wieder attraktiver zu machen. Dazu trägt ein klares Berufsprofil sicher bei, aber damit allein ist es nicht getan. Es braucht auch einen attraktiven Rahmen und das Gefühl, sich als Priester einer großen Sache und einer Gemeinschaft anzuschließen, die Gottes Wort und seinen bewegenden Geist in die Welt trägt. 

Ich schließe mich den guten Wünschen und Hoffnungen des Teltower „Kollegen“ gerne an: „Vielleicht macht der große Seelsorger Bernhard Lichtenberg ein Wunder (und damit seine Heiligsprechung).
„Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen aus seinen Grundsätzen; sind die Grundsätze falsch, dann werden die Taten nicht richtig sein“, so der selige Bernhard Lichtenberg. Und ein anderer Grundsatz von ihm: die Dinge klar und furchtlos benennen und danach handeln.
Beten wir um den Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, der Wissenschaft und der Frömmigkeit!“

und sein Interview mit dem FELS aus dem Jahre 1999 (ab Seite 43): www.der-fels.de/1999/02-99.pdf

Donnerstag, 12. Juni 2014

Schriftsteller contra Journalist / Martin Mosebach contra Daniel Deckers

By GFreihalter
(Cropped from File:Limburg-Dom4.JPG Own work)
[CC-BY-SA-3.0 ], via Wikimedia Commons
„Wer zu spät kommt – den bestraft das Leben...“. Wirklich irgendwie „zu spät“ kam es mir vor, als vor einigen Tagen eine ausführliche Einlassung des Frankfurter Schriftstellers Martin Mosebach zum Umgang der Presse mit Bischof Franz-Peter Tebartz–van Elst auf kath.net veröffentlicht wurde. 

Mosebach ist nun mal nicht irgendwer, sondern ein weithin angesehener und mit dem Büchner-Preis (und vielen anderen Preisen) ausgezeichneter Schriftsteller. Über das „große Erzähltalent“ schrieb die FAZ einst: „Martin Mosebach, der Erzähler, Romancier und Essayist, der Grandseigneur in der Apfelweinkneipe, der orthodoxe Katholik und unorthodoxe Kenner der Künste, der konservative Anarch und hemmungslose Bewahrer von Stil und Form, ist ein glanzvoller Büchner-Preisträger“ und bezeichnet ihn zugleich als „genuinen Erzähler und [...] Essayisten von ungewöhnlicher stilistischer und intellektueller Brillanz.“ 

Man wird direkt neugierig, was er hier zu sagen hat. Und es scheint ja erst mal ein gutes Zeichen zu sein, dass Martin Mosebach – obwohl hochgelobt - dennoch kritisch bleibt und eben diesen FAZ - Journalisten den Vorwurf macht, „das die Zeitung sich entschlossen von einer um Objektivität bemühten Berichterstattung verabschiedet“ habe. Also dachte ich, den Artikel musst Du lesen, hier schreiben nicht die „üblichen Verdächtigen“ (gähn!). Obwohl ich finde, es wäre eigentlich gut, wenn jetzt Frieden einkehrt und man dem Bischof etwas Ruhe gönnt, egal ob von Seiten seiner Gegner oder von der seiner Unterstützer. Wie soll eine Wunde heilen, die der Papst mit der Einsetzung eines Diözesadministrators (ohne dabei das Domkapitel zu beteiligen) gesäubert hatte, wenn nun wieder dauernd von Leuten mit endogener Berufung zum Arzt darin herumgestochert wird? Einige meinten ja in den letzten Wochen, sich z.B. mit Überlegungen zur finanziellen Wiedergutmachung des Schadens profilieren zu müssen, als wenn es Ihnen schwer fiele zu akzeptieren, dass bei der Übergangsversorgung des Bischofs alles seinen normalen Verwaltungsgang gegangen ist, der Bischof also nach wie vor ordentlich (oder anständig) abgesichert ist. 

Der eigentliche Schaden, der insgesamt durch die Causa Tebartz-van Elst in der deutschen Kirche entstanden ist, der ist überhaupt nicht wirtschaftlich zu beziffern. Die Auseinandersetzung hat Gräben vertieft, nicht nur zwischen innerkirchlichen Fraktionen sondern auch zwischen der Öffentlichkeit insgesamt und der „Institution Kirche“, Gräben, die uns noch über Jahre hin die „Mission“ erschweren dürften. Und, um Missverständnissen vorzubeugen: Bischof Franz-Peter trägt nur einen Teil der Schuld daran. Auch wenn ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass weder seine Kritiker noch er selbst diesen seinen Anteil bis dato klar genug erkennen und bewerten. 

Ich gehörte nie zu denen, die aus Franz-Peter Tebartz-van Elst einen Sündenbock machen wollten und ich habe ihn lange gegen unberechtigte Vorwürfe verteidigt. Aber, was rund um den Limburger Domberg geschehen und schief gelaufen ist – das muss klar benannt werden. Da ich davon ausgehe, dass Bischof Franz-Peter inzwischen einige Schritte auf dem Weg der Klärung und der Buße gegangen ist ... sollte man ihm wirklich Ruhe gönnen und hoffen, dass ein Neuanfang gelingt, besonders im Bistum Limburg. Dass noch längst nicht alle aus dem „Abklingbecken“ raus sind, das zeigte ein Interview der Zeit mit dem Frankfurter Stadtdekan vor einigen Tagen. 

Aber zurück zu Herrn Mosebach und seinem Vortrag, den er am 1. Mai 2014 in Bonn im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema: „Erwartungen an den Qualitätsjournalismus in Zeiten der Skandalisierung“ hielt. 
Ende März 2014 wurde der Prüfbericht zur Bebauung des Limburger Dombergs veröffentlicht und der Papst nahm das Rücktrittsgesuch des Bischofs an. Etwa einen Monat danach kramte Martin Mosebach in seinem Zeitungsarchiv und fand dort den Artikel, den Dr. Daniel Deckers, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 23. Juni 2013 auf einem ersten Höhepunkt der Krise geschrieben und recht unverdächtig mit „Dem Glauben Gestalt geben“ überschrieben hatte: 

Mosebach selbst vermeidet es in seinem Vortrag, den Autor (den er persönlich kennt) bei seinem Namen zu nennen, beschäftigt sich aber ausführlich mit den unterschwelligen Botschaften, die er im Artikel findet. Dabei dürfte es schwer fallen, dem Autor Deckers wirkliche sachliche Fehler vorzuwerfen. Wer – im Wissen um die Inhalte des Prüfungsberichtes - dem FAZ-Autor die Ehre der Relectüre des Artikels angedeihen lässt, der wird vieles finden, wo dieser mit seinen Einschätzungen richtig lag ... während Mosebach an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießt. 

An einem Beispiel wird das besonders deutlich: Mosebach erklärt den Limburger Dom zur madonnenfreien Zone. „Die Limburger Bischofskirche zeichnete sich vor allen Bischofskirchen Deutschlands dadurch aus, dass in ihr kein einziges Madonnenbild zur Verehrung durch die Gläubigen zu finden war; der Vorgänger von Bischof Tebartz hielt marianische Präsenz für überflüssig.“

Ob hier wohl deutlich wird, dass der Konflikt in Limburg auch mit einem gefühlten, hohen Berg zwischen zwei katholischen Kraftzentren des Bistums, Limburg und Frankfurt zu tun hat? Ob Mosebach wohl zu Kamphaus Zeiten jemals den Limburger Dom zum stillen Gebet betreten hat? Die Limburger wissen sehr wohl, dass es dort eine Marienkapelle gibt und wo sie die Kerzen zur Verehrung der Gottesmutter aufstellen können. Aber vielleicht war Mosebach als großer Anhänger der „Alten Messe“ eher in anderen Kirchen zu Gast und nicht in der Hauskirche, des von ihm als kirchenpolitischen Gegner betrachteten vormaligen Limburger Bischofs Franz Kamphaus. Dass dieser, gebürtig aus dem münsterländischen Lüdinghausen kein marienfrommer Mann gewesen sein soll – das mag ich nicht glauben. Die Marienfrömmigkeit wird einem in dieser traditionell katholischen Gegend mit der Muttermilch mitgegeben. Mag sein, dass ein Münsterländer darum aber weniger Aufhebens macht als ein im Schatten des rheinischen Marienwallfahrtsortes Kevelaer aufgewachsener Niederrheiner. 

Der Fahrer des Bischofs von Limburg kommt im FAZ-Artikel nicht gut weg. Deckers schildert ihn als eine Art ergebenen Lakaien, beinahe in Mafia – Manier. Ich kenne den Mann nicht und vermute daher, dass das Bild, das hier gemalt wurde ähnlich schief ist, wie das freche Zitat „irres Bambi“ über den damaligen Bischof. Ob aber Mosebach dem FAZ – Redakteur da moralisch allzu viel voraus ist, wenn er beklagt, dass dieser doch mehr sei als ein „simpler Journalist“: „Das kann ein simpler Journalist nicht wissen? Nicht jeder, aber dieser hier durchaus, denn er hat Theologie studiert, hat die ewigen Gelübde als Mönch abgelegt und ist zum Diakon geweiht worden, bevor er den geistlichen Stand aufgab. Er wäre von seiner Vorbildung hervorragend dazu disponiert, den Ritenschatz der Kirche einem unwissenden Publikum zu erläutern – wenngleich seine Kenntnis der Sprachen der Bibel so wacklig sind, daß er nicht weiß, was eine „Phalanx“ ist.“

So recht kann der Vortragende sich nicht entscheiden, ob er den Theologen, den er als gescheiterten Mönch darstellt, nun Kompetenz zusprechen soll – oder zumindest anklingen lassen will, dass dieser quasi noch eine eigene Agenda hat und also weniger als theologischer Fachmann schreibt, sondern als einer, der mit der Kirche noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Etwas später erklärt Mosebach den Journalisten gar zum Kopf einer Bewegung: „Unser Autor ist eben viel weniger Repräsentant seines Intelligenzblattes, als der inoffizielle Sprecher gewichtiger Gruppierungen der deutschen Kirche, die ihn mit Informationen versorgen und ihm die zum Abschuß vorgesehenen Würdenträger bezeichnen.“ Mir scheint, da überschätzt Mosebach die Bedeutung von Daniel Deckers erheblich, dieser ist bestimmt im liberaleren Flügel der Kirche gut vernetzt, aber ohne wirklichen Anlass und Grund läuft auch die Kritik an einem Bischof schnell ins Leere, wie man durchaus an der journalistischen Wirkungsgeschichte beispielsweise von Johannes Dyba, Joachim Meisner – und ich versuche mich mal als Prophet, demnächst auch noch bei Rudolf Voderholzer und Stefan Oster erkennen und beobachten konnte/können wird. 

Deckers verwendet ein Bild um damit eine Stimmung zu erzeugen. Ist das jetzt journalistisch unredlich, wenn es vielleicht nicht ganz dem liturgischen Sinn eines „großen Einzugs“ entspricht? Und war das Bild für die damalige Situation – buchstäblich rund um den Limburger Dom wirklich so wenig stimmig, wie Mosebach mit seiner Kritik am „liturgischen Gefühl“ des Redakteurs nahe legt? Ich vermute einmal, dass Deckers wirklich draußen auf dem kalten und verregneten Domplatz gestanden und die Szene gesehen hat. Als journalistisches Stilmittel finde ich es statthaft ein solches äußeres Bild mit einer inneren Deutung aufzuladen. 

Deckers deutet das Bild als symptomatisch für die Spannungen, die es im Bistum zu dieser Zeit (nachweislich) gibt, geht aber nicht präziser darauf ein. Erst recht nicht auf die – wie Mosebach behauptet – Hauptspannung, die ein in fünf Jahrzehnten im Bistum angeblich „gezüchteter“ antirömischen Affekt darstellt. Aus der Perspektive des Kämpfers für die „Alte Messe“ und gegen die „Häresie der Formlosigkeit“ mag man das so empfinden. Viele Limburger, allen voran der damalige Generalvikar und heutige ständige Vertreter des Diözesanadministrators Pfr. Wolfgang Rösch widersprechen dieser Zuschreibung heftig. „Antirömisch“ sei das Bistum auf keinen Fall.

Hat Mosebach eigentlich übersehen, dass Deckers durchaus viele Zeilen gegen eine allzu forsche Einordnung (und Verschubladisierung) des Limburger Bischofs schreibt?
So liest man: Für viele „war der Beweis erbracht: Der Neue war ein reaktionärer Hardliner, von Papst Benedikt und dem Kölner Kardinal Meisner in Limburg installiert, um nach dem renitent-liberalen Kamphaus wieder römische Saiten aufzuziehen. Doch so war es nicht.
Tebartz-van Elst war Limburg weder von Rom aufgezwungen worden, noch war er der Favorit des Kölner Erzbischofs Kardinal Meisner. Tebartz-van Elst war ein Mann mit beträchtlichem Talent und einem Horizont, der weit über die Befindlichkeiten des Katholikentags-Katholizismus hinausreichte.“ Dann schildert er noch ausführlich die akademischen und pastoralen Meriten des neuen Bischofs.

Viel beachtet wurde seinerzeit ein Papstwort, das auch Deckers in seinem Artikel zitiert: „Der Hirte muss den Geruch seiner Schafe haben.“ Für den FAZ-Redakteur riecht der Limburger Bischof allerdings ganz anders. Und das allzu intensive „unter den Schafen sein“ gehört auch sicher nicht zu  den Stärken des Franz-Peter Tebartz-van Elst, das weiß ich aus eigener Erfahrung und von vielen Menschen, die ihm begegnet sind. Einen Vorwurf kann man dem Bischof daraus sicher nicht machen. Er ist keiner „zum Kuscheln“, das fiel seinem Vorgänger deutlich leichter. Bloß komisch, dass Mosebach selbst dann zu „antirömischen Effekten“ neigt, wenn er das Schafe und Hirten-Zitat des Papstes in seinem Vortrag als „etwas peinliches Papst-Wort“ bezeichnet. Was soll daran peinlich sein? 

Da kommt mir Mosebachs einigermaßen inhaltsarme Einlassung in einem KNA – Interview in den Sinn, die Worte des amtierenden Papstes seien ihm „zu simpel“ und blieben folgenlos wie die Schocksprüche auf Zigarettenschachteln. Manchmal fragt man sich, mit welcher Brille Mosebach auf die katholische Welt schaut; hatte er kürzlich in einem Interview mit Paix Liturgique auch behauptet: „Von Papst Benedikts Wirken hat nur Summorum Pontificum eine Chance auf Zukunft.“ Da bleibt einem angesichts des theologischen Wirkens von Papst Benedikt XVI. schon etwas die Luft weg. Ist das jetzt so viel besser als Deckers, der irgendwo von "grottenschlechter Theologie" geschrieben haben soll?

Bis dato war Mosebach auch gar nicht groß als Verteidiger des Limburger Bischofs aufgefallen. Ich habe noch einmal sorgfältig im Internet gesucht. In Zeiten der Not ist Martin Mosebach ihm – zumindestens öffentlich - nicht beigesprungen! (Gegen den Deckers-Artikel habe er bei der Redaktion protestiert, sagt er selbst.) Dabei hätte sein Wort sicher Gewicht gehabt! Ob es wohl daran lag, dass der Schriftsteller den Bischof nicht wirklich auf dem Radar hatte? Mag Tebartz–van Elst auch als besonders romtreu gegolten haben, als Kämpfer für die „Alte Messe“ standen Mosebach und Bischof Franz-Peter sicher nicht auf derselben Barrikade. Hat er jemals im „alten Ritus“ zelebriert? Ich glaube kaum und musste auch etwas schmunzeln, als bei der Nachricht, er ziehe nun nach Regensburg in einem Forum geschrieben wurde: ob er dann nicht dort mal die Firmung im „alten Ritus“ halten könne?
Wohl kaum oder - im Gegenteil, Tebartz-van Elst war und ist ein großer Freund der Liturgiereform und legt höchsten Wert auf Ästhetik und Treue zur „ordentlichen Form des römischen Ritus“, was ihm ja auch nicht gerade zum Freund derer machte, die meinten, die katholische Liturgie könne ruhig noch etwas mehr an Formlosigkeit gebrauchen und müsse noch mehr auf die (Unterhaltungs-)Bedürfnisse der Besucher eingehen. 

Angesichts der Anfrage des Daniel Deckers, ob ein eher gutbürgerlicher bis gehobener Lebensstil eines Bischofs zum neuen Bild der Kirche passe, wie es Papst Franziskus verkündet, stellt Mosebach fest, dass die Kirche in Limburg längst jeden Kontakt zu den „Armen“ verloren habe und wirft dem Autor Wirklichkeitsferne vor: „Kirche und Gläubige der Rhein-Main-Region riechen nun einmal nach „feinstem Leder“, um den spießigen Vergleich des Autors aufzugreifen. Die Limousine des Bischofs wird, wie jeder bischöfliche Dienstwagen in Deutschland, zum Vorzugspreis gemietet...“.

Die KNA hatte Mosebach schon bei seiner Kritik an den allzu „simplen“ und folgenlosen Papstworten gefragt, wie er selbst es mit „Askese“ und „Überwindung der Selbstsucht“ halte. So konkret wollte der es dann doch nicht werden lassen: „Eine eigene Einschätzung seines Lebenswandels lehnte Mosebach ab und sagte: «Wer öffentlich beichtet, will keine Vergebung, sondern Bewunderung.» Damit hat er sicher recht, aber was wollte er wohl mit seiner Kritik an den Papstworten erreichen? Oder war das nur ein Bauchgefühl, ein Unwohlsein mit Blick auf diesen Papst, das einfach mal raus wollte... 

Dabei ist es eine alte Erfahrung: Umkehr, Buße, Neuanfang, Verzicht ... wir Menschen finden immer Gründe, warum wir nicht tun, was wir sollten und was letztlich gut für uns wäre. Mal ist die Botschaft zu simpel und mal zu anspruchsvoll. Was sagt Jesus noch mal über das Kamel, das irgendwie nicht gut durch einen ganz engen Durchgang in der Stadtmauer zu zwingen ist?

Aber ich schweife ab. Vor mir liegen beide Texte, der des ehemaligen Dominikanermönchs Deckers und der des Frankfurter Schriftstellers. Und ich denke, beide sind sicher keine Glanzstücke der absoluten Sachlichkeit und Objektivität. Aber eines zeichnet den Deckers-Artikel aus, er erschien jedenfalls zur rechten Zeit! Und er hat Folgen gehabt! Deckers Artikel mag zwar nicht an jeder Stelle absolut fair sein und er geht mit seinem Bischof nicht zimperlich um. Aber er enthält doch weit mehr Wahrheit und Fairness als vieles, was später in manchem anderen Medium über den angeblichen „Protzbischof“ zu Limburg geschrieben wurde. Da hätte ich mir Mosebachs entschiedenes, verteidigendes Wort gewünscht, gegenüber dem Focus, dem SPIEGEL und in den Tagesthemen. Und da hätte auch heute noch sein Wort Gewicht!

Aber ausgerechnet diesen Deckers-Text nach fast einem Jahr zur Speerspitze der unsachlichen Berichterstattung zu erklären und sich daran selbst unter Zuhilfenahme verdrehter Fakten abzuarbeiten....  das überzeugt nicht, auch und gerade im Kontext eines Forums über „Qualitätsjournalismus“ und „Skandalisierung“. 

Herr Mosebach kommt mit seinem Vortrag zu spät. Aber ich bin sicher „das Leben wird ihn nicht bestrafen“. Das durchaus kluge Gorbatschow-Wort wirkt halt nicht „ex opere operato“.

Der FAZ-Artikel: www.faz.net/aktuell/politik/inland/bistum-limburg-dem-glauben-gestalt-geben-12241460.html

Mosebachs Vortrag hierzu: www.kath.net/news/46322