Montag, 19. Dezember 2016

Er ist auf dem Weg! Er sucht Herberge! Bei Dir!

Es ist nur ein kleiner Nebensatz, aber er hat die Phantasie vieler Generationen angeregt und beflügelt. Kein Krippenspiel kommt ohne eine möglichst dramatische Herbergssuche aus. Maria spürt schon, dass der Moment der Geburt naht. Josef wird zunehmend unruhig, weil er weiß, dass die Zeit verrinnt. (Dieser Beitrag ist Teil des Blogoezese - Adventskalenders 2016.)

Wohl kaum eine Weihnachtspredigt kommt in diesen Zeiten ohne Hinweis auf all diejenigen aus, die in dieser weihnachtlichen Stunde obdachlos und unbehaust durch die Welt wandern. 

In unserer Gemeinde senden wir seit einigen Jahren zu Beginn des Advent eine geschnitzte Figur der Hl. Maria aus, die nach dem Vorbild des Gnadenbildes vom Bogenberg in Bayern gestaltet ist. Maria ist erkennbar schwanger, "guter Hoffnung". Gleichzeitig geht auch Josef auf die Reise, wird von Haus zu Haus weiter gegeben und begegnet in manchen Häusern auch mal seiner Verlobten. Ein Gästebuch (oder besser Gastgeberbuch) begleitet die beiden mit Gebetsgedanken und Freiraum für eigene Notizen. Es ist ungemein berührend, was von den Gastgebern dort niedergeschrieben wird. So wird das Buch von Jahr zu Jahr gehaltvoller. 

Die Herbergssuche geht zu Herzen! Dabei haben wir im Grunde kein historisch belastbares Wissen über die Geburt Jesu. Manche Exegeten bestreiten gar den kompletten Bericht des Lukas. 

Mangels historischer Sicherheit, kann man als Glaubender mit Fug und Recht dennoch den Weg gehen, die Geburtsgeschichte des Lukas einfach für wahr zu nehmen. Für wahr zu nehmen, jedoch auf einer anderen Ebene als die der historischen Wahrheit allein. Mancher reibt sich daran, dass die Evangelien die Geburtsgeschichte sehr unterschiedlich erzählen. Dabei wäre es wichtig zu sehen, dass Lukas in seinem Bericht mehr will, als eine Story zu erzählen. Er vernetzt den Anfang seines Evangeliums auf vielfache Weise mit den Texten des ersten Bundes. Seine ersten Leser haben diese vielschichtigen Anspielungen vermutlich leichter verstanden haben als wir Heutigen. 

Lukas trifft mit seinem Halbsatz von der Herbergssuche sicher nicht zufällig genau den Sinn der poetisch und theologisch höher fliegenden Worte des Johannes: "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf..." Kann man das eigentlich schöner darstellen als in der gespielten und mitempfundenen Herbergssuche?

Allen historischen Kritikern der Weihnachtsgeschichte sei empfohlen, einmal darüber nachzudenken, dass unsere Vorstellung von der Geburt Jesu sowieso wohl stärker von unseren inneren Bildern, von weihnachtlichen Weisen, adventlichen Liedern und Bildern der Kunst geprägt ist als von einer ganz realistischen Vorstellung des Lebens und Reisens im historischen Israel. 

Wohl noch nie habe ich eine Krippe gesehen, die sich realistisch an der Lebensweise der Zeitgenossen Jesu orientierte, nämlich an einer Zeit, wo die Ställe unmittelbar an den Wohnraum eines Hauses angebaut waren und sich keineswegs in idyllischer Alleinlage in einsamer Landschaft befanden.

Es ist so, der historische Kern der Weihnachtsgeschichte wird vielfach von Bildern und Vorstellungen überlagert. Und ich glaube inzwischen: das ist auch gut so. Die Wirklichkeit der Weihnacht ist nicht mit der Lupe zu ergründen. Es braucht wohl einen vielschichtigen Zugang, damit sich die Botschaft der Menschwerdung für Herz, Sinn und Verstand erschließt. 

In diesem Sinne müßte man eine westfälische Weihnachtskrippe parallel zu einer orientalischen Krippe betrachten und dazu auch noch eine solche in den Blick nehmen, die in einem afrikanischen Dorf steht. Und unerläßlich ist, dazu die Worte der Evangelien hören und zu verkosten in ihrer ganzen Fülle... 

Da geht es um eine Wahrheit, die sich manchmal in rätselhaften Worten verhüllt. Sehr schön drückt das Angelus Silesius in einigen Versen aus, die praktischerweise sogar auf Weihnachten Bezug nehmen: 

"Halt an, wo läufst du hin - der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo. Du fehlts ihn für und für. Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren."

Auch dieser poetische Text taugt nicht zum "wörtlich nehmen" doch steckt eine Wahrheit darin, die zu Herzen geht. Wie im Bericht von der Herbergssuche auch. 

Im Krippenspiel ist das Symbol der Herbergssuche die Tür. Auf der einen Seite dieser Tür steht jemand, der sein Zuhause, seine sichere Herberge verteidigt. Er ist beschäftigt mit allem Möglichen, mit Vermietung und Versorgung, mit Ruhe und Ordnung, mit Geld zählen und damit, die Geschäfte der nächten Tage zu planen. 

Und vor der Tür stehen Maria und Josef. Auch sie suchen sichere Herberge, suchen Wärme, Liebe, Hilfe, Annahme. Und die suchen sie mehr für ihren Sohn als für sich selbst. Doch sie dürfen die Schwelle nicht überschreiten. Die sichere Herberge des Einen zwingt sie in die Unwirtlichkeit der Nacht, ohne Ob-Dach. Der Stall, den sie schließlich finden – dieser Stall hatte keine Tür, die man sicher verschließen konnte. Er blieb - gastfrei offen - sogar für die Hirten auf dem Felde. 

Doch wesentlicher als die Frage, wo nun genau der Stall stand, wie er aussah und welche Tiere und Menschen ihn bevölkerten, viel wesentlicher ist die Frage, ob wir bereit sind, unser Herz dem Herrn der Welt zu öffnen. Ob wir bereit sind ihn einzulassen und seinen Ruf zu hören: "Folge mir nach...."

Ich vermute, dass der Halbsatz, mit dem Lukas die Herbergssuche beschreibt, bedeutsame Folgen in der Geschichte des Christentums hatte. Gastfreundschaft hat einen hohen Stellenwert im Christentum bekommen, selbst dann, wenn wir Gäste aufnehmen, die sich möglicherweise der Gastfreundschaft nicht wert erweisen. Bei unserer Herbergssuche mit den Figuren der Gottesmutter und ihres Bräutigams machen wir übrigens die interessante und wohl auch lebensnahe Erfahrung, dass Maria gut unterkommt. Josef holt man sich weniger gern ins Haus... Dennoch ruft der Verfasser des Hebräerbriefes den Gläubigen zu: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt." 

Der Hl. Benedikt weiß in seiner Regel um die Bedeutung der Gastfreundschaft: "Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen. Das Auftreten der Reichen verschafft sich ja von selbst Beachtung." 

Advent, Weihnachten, das ist für uns Westeuropäer etwas fürs "Gemüt". Vielleicht inzwischen sogar schon so sehr für Gemüt, das in all der Lichter und Glühweinseligkeit zugedeckt wird, was für ein Licht dort in eine dunkle Welt kommt. Es ist ein Licht, wie es wohl niemand erwartet hatte. Der neu geborene König macht sich klein. Gott erscheint auf Augenhöhe, mehr noch, er streckt uns die Arme - um Nahrung, Wärme, Liebe bettelnd - entgegen und schließt so erst recht unser Herz auf. 

Wenn Maria und Josef an unsere Tür klopfen, dann stellt mir das die Frage: "Bist Du wirklich bereit den Herrn zu empfangen? Erwartest Du ihn mit ganzem Herzen? Bist Du wachsam, öffenest Du die Tür für den Herrn, wenn er kommt..."

Es ist leider so, heute bleiben viele Türen und Herzen fest verschlossen. Jesus, die menschgewordene Liebe Gottes, als kleines, schutzloses, abgewiesenes Kind: Nicht gewollt! Nicht erwünscht! Nicht aufgenommen. So ist es geschehen und so ist es Realität bis auf den heutigen Tag.  

Wir sind alle sehr uns selbst beschäftigt. Damals wie heute ist in unserer Welt kein Platz für einen allmächtigen Gott, und noch weniger, wenn dieser so ohnmächtig, so armselig, so schutzlos und ohne Glanz und Gloria in diese Welt kommt. 

Und weil wir ihm keinen Raum geben, ihm, dem Heiland der Welt, sind wir auch in der Gefahr, uns selbst zu Gott aufzuspielen und alle Grenzen zu vergessen. Jeder Blick in die Zeitungen zeigt es, wir Menschen wollen das Leben in die Hand nehmen und schießen so oft über jegliches Maß hinaus. Plötzlich sinkt der Wert des menschlichen Lebens und wir nehmen Maß, entscheiden, wer wert ist in unserem Land auf die Welt zu kommen, wer es wert ist, in unserem kostbaren Land leben zu dürfen, welches Leben noch lebenswert ist. Wo immer wir nicht mehr Maß nehmen am Wert des menschlichen Lebens (selbst Mensch zu werden, das war Gott nicht zu gering), da übernehmen unmenschliche Faktoren die Macht, da regiert das Geld, der Markt, der starke Mann, die weiße Rasse, die Gewalt der Waffen und die brutale Hand des Stärkeren. 

Es ist leider so: Jesus, die menschgewordene Liebe Gottes, als kleines, schutzloses, abgewiesenes
Kind: Nicht gewollt! Nicht erwünscht! Nicht aufgenommen!
So stand und steht es mit unserer Welt. Das sieht Johannes ganz klar und blickt dabei über das Holz der Krippe hinaus schon bis zum Holz des Kreuzes: Für den Sohn Gottes war und ist kein Raum in der Herberge.

Gott kommt in die Welt und gibt allem Maß und Mitte. Weihnachten ist viel mehr als heile Familie, Gemüt und Gefühl, Lichterglanz, Geschenke und Glühweinseligkeit. Wir dürfen nicht am Kind in der Krippe - an Jesus - vorbei feiern. Ohne das Kind, ohne den Heiland Jesus Christus, ohne die Menschwerdung verkommt das Fest zur Konsumorgie. Und die Türen unserer Herzen und Häuser bleiben dabei fest verschlossen. Da sitzen wir dann gemütlich in der sicheren Herberge und Er? Er bleibt draußen. 

Möge es in diesen Tagen für jeden von uns Wirklichkeit werden, was Angelus Silesius so geheimnisvoll wahr beschreibt: 

"Halt an, wo läufst du hin - 
der Himmel 
ist in dir! 

Suchst du Gott anderswo. 
Du fehlts ihn für und für. 

Wird Christus tausendmal 
zu Bethlehem geboren 
und nicht in dir, 
du bleibst noch ewiglich verloren."






Dienstag, 8. November 2016

"Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung." Unsere Bischöfe ohne Heil, Leben und Hoffnung?

Das Kreuz! Den einen ein Ärgernis, den anderen ein Zeichen von Dummheit! Diese Worte des Hl. Paulus im 1. Korintherbrief sind erstaunlich aktuell geblieben, bis auf den heutigen Tag. Heftig wird über die Sichtbarkeit religiöser Zeichen im öffentlichen Raum gestritten. Darf ein Kreuz in der Schule hängen, darf es einen Fraktionssaal schmücken, das Krankenzimmer eines Muslims oder den Ort, an dem Recht gesprochen wird? Ob Paulus das alles ahnte, als er - aus seiner konkreten pastoralen Erfahrung - diese Worte zu Pergament bringen ließ? "Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird. Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. ... Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit."

Ein Text, von einer spirituellen Qualität, die mich immer wieder anrührt, gerade heute wieder in den Diskussionen um die "Qualität" christlicher Verkündigung, im Ringen um angemessene Wortwahl, Sprachkunst, Rhetorik... 

Aber, zurück zum Kreuz! Weit mehr als heute haben in Deutschland in den 30er/40er Jahren Menschen um das Kreuz gekämpft. In einer Zeit, wo ein "Führer" sein eigenes Bild just an dem Ort in einem Klassenzimmer aufgehängt wissen wollte, wo zuvor jahrhundertelang das Kreuz hing. Dieser "Tausch" war gewaltig aufgeladen und weit mehr als der Wechsel eines jahrhundetealten Symbolbildes gegen das Symbolbild einer "neuen Zeit". 

Generationen von Historikern und Theologen haben sich mit dem Kreuz Jesu beschäftigt. Ihre Beiträge füllen ganze Bibliotheken. Im Laufe der Jahrhundete kristallisierte sich am Kreuz eine ganze Theologie, eine Kunstgeschichte, eine Glaubenshaltung. Manche Erkenntnis der vergangenen Jahrhunderte droht uns heute leider wieder zu entgleiten. 

Aus dem Schandpfahl, dem Folterinstrument, dem Galgen ... wurde das Symbol des Christentums überhaupt, wurde ein Symbol des Triumphs des Lebens über den Tod, wurde ein Heilszeichen, wurde aber manchmal auch ein Zeichen eines kirchlich-weltlichen Triumphanismus und durchaus auch ein Zeichen einer Macht, in deren Namen Menschen unterdrückt und geknebelt wurden. 

Die wechselvolle Geschichte der Christenheit ist nicht arm an Ereignissen, wo das Kreuz Christi mißbraucht wurde, wo aus dem Zeichen von Tod und Auferstehung Christi ein Symbol wurde, das Herrschaftszeichen war, es schmückte Rüstungen und Kriegsbanner, Kreuzpartikel wurden im Kampf mitgeführt... Zweifel sind angebracht, ob das Kreuz immer das idealistische Zeichen war, als dass es heute vor allem gesehen wird. 

Für die Christen der ersten Generationen spielte das Kreuzesholz, an dem Christus gefoltert, zur Schau gestellt, gemordet wurde, kaum eine Rolle. Weder das Evangelium noch die Geschichte der Apostel noch die biblischen Briefe kümmern sich groß um die konkreten Balken, die Christus durch Jerusalem trug und an denen er dann gehenkt wurde. Sie gerieten in Vergessenheit und es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Römer sie "recycelten", dass schon vor Christus und auch nach ihm weitere Menschen daran ihren Lebensgeist aushauchten. Darunter vermutlich echte Kriminelle und Widerständler gegen die römische Besatzung. Wie auch immer, das Kreuzesholz verschwindet im Nebel der Geschichte und taucht erst nach einigen Jahrhunderten wieder auf, als Kaiserin Helena es in Jerusalem wieder auffand. Von da an entfaltet sich eine Theologie des Kreuzes...  

Damals soll das Kreuz noch als Ganzes vorhanden gewesen sein, aber die meisten historischen Zeugnisse berichten nur von Teilstücken und Splittern. Während der Kämpfe und Kriege zersplitterte das Kreuzesholz immer mehr und so sind heute winzigste bis größere Teile des Kreuzes Christi über die ganze Welt verteilt. Mancher Spötter behauptet, dass man, fügte man alle zusammen, nicht nur eines, sondern gleich mehrere Kreuze Christi hieraus bilden könnte. 

In der katholischen Kirche (und auch in einigen protestantischen Kirchen) trägt ein Bischof ein Brustkreuz, ein sog. Pektorale. Kunst- und Religionsgeschichtlich wurzelt dieser Brauch durchaus in Herrschafts- und Schutzsymbolen vergangener Jahrtausende, bis heute kennen wir dies als "Amulett", ein Zeichen das den Schutz einer höheren Macht symbolisiert. Ein Pektoral war zwischenzeitlich auch Teil der Panzerung höherer Offiziere. 

Seit 1274 tragen Päpste ein Brustkreuz und erst das von Papst Pius V. herausgegebene Römische Messbuch schreibt seit 1570 auch Bischöfen das Anlegen eines Brustkreuzes vor. Doch seit der Antike gab es den Brauch, Medaillen mit dem Zeichen des Kreuzes oder Kapseln mit Reliquien zu tragen. 

Im Verlauf der Geschichte entwickelten sich vielfältige Formen der bischöflichen Insignie, die auch von Äbten und Äbtissinnen, Pröbsten und Prälaten getragen wurde. Aus kostbaren Materialien gefertigt, wies sie (auch) darauf hin, dass man es mit einer bedeutenden Person zu tun hatte. Wesentlich bleibt festzuhalten, dass ein Pektoral keinesfalls nur einfacher Schmuck ist, sondern ein mit Wert und Bedeutung augeladenes Zeichen eines besonderen Amtes und einer Beauftragung. 

Das Erzbistums München gibt auf der Homepage über die Insignien des Erzbischofs Reinhard Kard. Marx Auskunft: 
"Zu den bischöflichen Insignien gehört auch das Brustkreuz, das Pektorale, das aber auch nicht bei der Bischofsweihe förmlich überreicht wird. Es wird in der Messfeier heute über dem Messgewand getragen, wenn nicht – wie beim Erzbischof – das Pallium es ersetzt. Es gehört auf jeden Fall zur Chorkleidung, befestigt an der geflochtenen Schnur bzw. beim schwarzen Talar mit Schulterkragen an der Kette."

Zunächst blieb eine - im Grunde durchaus spektakuläre - Reise einer ökumenischen Delegation deutscher, evangelischer wie katholischer Bischöfe und Kirchenführer öffentlich relativ unbeachtet. Nun erhält sie zwei Wochen nach ihrem Ende plötzlich Aufmerksamkeit, weil Fotos durch die Netze kursierten, die die Bischöfe bei einem Besuch auf dem Tempelberg ohne Kreuze zeigten. 

Langsam nahmen sich die ersten Kommentatoren dieses Bildes an, es folgte der (was immer wieder besonders unterstrichen wurde) jüdische Historiker Michael Wolffson mit einem ausführlichen Kommentar in der BILD und - neben einigen Facebook- und Blogbeiträgen weitere kritische Zeitungsartikel - letztlich gar Jan Fleischhauer im SPIEGEL. 

Fleischhauer treibt seine Kritik messerschaft auf diese Spitze zu: "Es sind in der Geschichte des Christentums eine Menge Leute gestorben, weil sie genau das (Ablegen der Kreuze) abgelehnt haben. Man kann das unvernünftig oder verbohrt finden, in den Kirchen werden sie heute als Heilige und Märtyrer verehrt. So ist das nun einmal mit dem Glauben: Den Gläubigen imponiert Standfestigkeit, nicht die Kapitulation vor fremden Mächten." (Kleine Anmerkung: mich würde schon interessieren, ob Fleischhauer überhaupt eine konkrete Heiligenlegende zu erzählen vermag oder ob er sich das Argument nur ausborgt? Ja, es sterben bis heute Menschen, die ein Kreuz tragen, insbesondere in den Gebieten, die der IS beherrscht, aber es sterben auch Menschen, die sich als Jesiden oder Schiiten zu erkennen geben. Manchen von ihnen würde ich persönlich eher raten, sich nicht durch falschen Bekennermut in Gefahr zu bringen, sondern da wo es möglich ist, ohne den Herrn zu verleugnen, zunächst die Gefahrenzone zu verlassen. Auch Christen sollen das Martyrium nicht anstreben, erst recht nicht durch die Hand eines Verblendeten oder Irren.)

Christen unter den Bischofskritikern schleuderten den Bischöfen ein Jesuswort entgegen: "Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. ... Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig." Ein Text, der wie für diese Situation geschrieben daherkommt. 

Der Historiker Michael Wolffsohn sprach in der BILD gar von Unterwerfung, "Kirchen-Sensation", wahrer und falscher Toleranz und Apeasement. Und von jüdischer Seite habe niemand jemals im Hl. Land von den Bischöfen gefordert, ein Kreuz abzulegen. 

Die wuchtige Kritik macht zunächst einmal sprachlos. Und die eher stammelnden Rechtfertigungen der von den Bischöfen beauftragten Sprecher ebenfalls. Da ist etwas hilflos und entschuldigend von "Respekt" und den Wünschen der muslimischen Gastgeber die Rede. Indirekt erfährt man, dass die Bischöfe in der konkreten Situation über die Symbolkraft der Geste und der entsprechenden Bilder gar nicht im Bilde waren.

Durch den aktuellen Islam - Diskurs in Deutschland und Europa bedingt kann man hier eigentlich nicht vorsichtig genug sein. Ein Brustkreuz ist - selbst für sonst dem Christentum längst entfremdete Personenkreise - allemal ein Symbol des Abendlandes, und für Christen umso mehr. 

Es abzulegen oder zu verbergen ist schon ein Zeichen, dass über eine respektvolle Geste hinaus geht. Daher gilt auch hier: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut!

Wer in Ruhe die Bilder von der Israel - Reise durchgeht, findet aber auch zu weiterführenden Erkenntnissen. So finden sich auch Bilder der Bischöfe mit Kreuz, auch vor dem Felsendom. Verborgen wurden die Kreuze offensichtlich beim Betreten der Moscheen. Und anders als Wolffsohn mutmaßt, war den Bischöfen wohl auch an der Klagemauer geraten worden, ohne Kreuz zu erscheinen. (Manche Diskutanten halten das für ein vorgeschobenes Argument.) Doch die österreichischen Bischöfe waren 2007 ebenfalls mit der Aufforderung konfrontiert, an der Klagemauer ihre Kreuze zu verbergen. Und sie haben sich entschieden, dem jüdischen Heiligtum dann gar nicht nahe zu treten, sondern dem Gebet an der Klagemauer nur von Ferne beizuwohnen. Die deutschen Bischöfe sind an der Klagemauer nun ebenfalls ohne Kreuze im Gespräch mit gläubigen Juden zu sehen.

Ich bin - ehrlich gesagt - etwas ratlos und kenne keine glatte Lösung für diese Situation. Aber eines dürfte doch klar sein, es ging den Bischöfen sicher nicht um Unterwerfung, ich glaube auch nicht, dass es fair ist, ihnen Laschheit im Glauben oder mangelnden Bekennermut im Gespräch mit den islamischen Autoritäten vorzuwerfen. Ich denke auch, dass sie es den bedrängten christlichen Gemeinden schuldig waren, öffentlich als christliche Bischöfe den Tempelberg zu besuchen, wenngleich sie dort mit den gewaltigen Problemen des Nebeneinanders von Christen, Juden und Muslimen an diesem speziellen Ort konfrontiert wurden. Und dies unmittelbar nach der unseligen Deklaration der UNESCO. 

Kenner der Situation am Tempelberg haben darauf hingewiesen, dass dieser Ort ein hochsensibles Pflaster ist. Wer das Buch von Pater Nikodemus Schnabels über die Spannungen in Jerusalem gelesen hat, der ahnt, wie schwierig es ist, Begegnungen zwischen den Völkern und Religionen zu ermöglichen und welche Empfindlichkeiten es hier gibt. Dass die Bischöfe hier sensibilisiert waren und keine Fehler machen wollten, das kann ich gut nachvollziehen. Dennoch hätte ihnen die Brisanz dieser Geste klar sein müssen. Aber vielleicht waren sie durch die positiven gemeinsamen Erlebnisse etwas zu milde gestimmt?!

Was stört Muslime (und einige Juden) eigentlich am demonstrativ getragenen Kreuzsymbol? Der Koran lehnt es als "Heilszeichen" ab und behauptet, es sei nicht Christus am Kreuz gestorben, sondern einer, der ihm ähnlich sah. Einige islamische Länder kannten (und kennen) leider das Kreuz als Folter- und Hinrichtungsintrument. Der sog. IS kreuzigt ebenfalls Verurteilte. Das hat aber mit dem Kreuz des Christentums wenig zu tun. Hier regieren und verurteilen muslimische Mächtige mit der Motivation eines Pontius Pilatus. 
Dort wo das Kreuz von einem Muslim abgelehnt wird (es gibt solche Erfahrungen auch in Deutschland), da gilt diese Ablehnung dem Kreuz als Zeichen der Unterdrücker, des Kreuzzugs oder der zu Kreuzzüglern stilisierten Gegner aus dem Westen. Hier wirken vor allem die Fehler der Kolonialzeit, der westlich-amerikanischen Politik und der entsprechenden Kriegszüge nach und natürlich die Propaganda der Islamisten. Wir sollten durchaus im Blick haben, dass fast alle muslimischen Länder vor wenigen Generationen noch unter der "Herrschaft des Kreuzes" standen, wenngleich diese Tatsache natürlich keine Gewalttat rechtfertigt. 

Wo das Kreuz Jesu Christi für meine Gesprächspartner zu einem Symbol wird, das in der Aussage dem "Schwert des Islam" gleicht, da ist es vielleicht auch mal gut, es solange zu "verhüllen", bis man die wahre, eigentliche Symbolkraft vermitteln konnte. Wir verhüllen als Katholiken in der Fastenzeit das Kreuz, um es in seiner tiefen Bedeutung wieder neu zu entdecken und besser zu verstehen. Ein Zeichen ist niemals eindeutig. Und nicht jeder (auch in Deutschland) empfindet das bischöfliche Brustkreuz als Zeichen des Glaubens, der Demut, der Machtlosigkeit und der Hingabe. Ganz unschuldig sind die Bischöfe als dessen Träger mit Blick auf derlei "Mißverständnisse" nicht in jedem Fall. 

Die Bischöfe waren bei ihrem Besuch auf dem Tempelberg und an der Klagemauer nicht in der Situation, den Glauben durch das Tragen eines Kreuzes ausdrücklich zu bekennen. Sie waren als christliche Geistliche erkennbar und haben als solche gesprochen und sind respektvoll von hochrangigen Muslimen begrüßt und selbst in die sonst für Besucher gesperrten Gebäude geführt worden. Es galt hier nicht, den Glauben um jeden Preis zu verkünden. Das Abnehmen der Kreuze als Schwäche zu interpretieren, darauf wird der ein oder andere Islamist wohl erst kommen, wenn er des Morgens in Rakkah BILD oder SPIEGEL liest. Auch Christen, die die ein oder andere bischöfliche Handlung kritisch sehen, schaden durch gewissen Formen der Kritik dem Christentum an sich. 

Um nicht mißverstanden zu werden: In der Diskussion um die bischöflichen Kreuze zeigt sich eine verbitterte kirchlich-konservative Kritik an der Amtsführung einzelner Bischöfe und eine tiefe Unsicherheit und Angst mancher unserer Zeitgenossen gegenüber der Ausbreitung des politischen oder gar des kriegerisch-terroristischen Islam(ismus). Das sind wichtige Themen, über die man sprechen muss. Ob das anhand der diskutierten Vorgänge wirklich zielführend möglich ist, daran habe ich meine Zweifel. Aber wir müssen in der Sache reden. Zumindest mit denen, die noch reden wollen und zum Dialog in der Lage sind. Bei manchen Wortmeldungen der vergangenen Tage in den sozialen Netzwerken oder in digitalen wie Printmedien glaube ich allerdings nicht, dass es überhaupt noch um Dialog geht. Aber dennoch...

Dienstag, 1. November 2016

Lesenswerte "Letzte Gespräche" mit Papst Benedikt XVI.?!

Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich quasi im Vorübergehen einmal viel Geld verdienen könnte. Vermutlich würde ich diese Gelegenheit nutzen. 
So kann man sicher auch Peter Seewald nicht böse sein, dass er - in Absprache mit Papst em. Benedikt XVI. - die Protokolle einiger "letzter" Gespräche nun als Buch herausgegeben hat. Ursprünglich sollten diese "letzten" Gespräche wohl nur der Vorbereitung einer Benedikt - Biografie dienen. (Mir ging durch den Kopf, dass ich Peter Seewald vermutlich unrecht tue, wenn ich ihm hiermit ausschließlich finanzielle Motive unterstelle. Das stimmt sicher nicht. Das Werk ist lesenswert und sicher ein guter Abschluss der Reihe der Gesprächsbände. Vermutlich hat der Autor auch gemeint, dass er diese Informationen der Öffentlichkeit nicht vorenthalten dürfe. Trotzdem hat diese Buch ein ganz anderes "Gewicht".)

Da das Buch inzwischen einige Aufregung ausgelöst hat, und vor allem, da ich die drei ersten Interviewbände mit hohem Interesse gelesen hatte, war ich froh, als mir das Buch auf den Schreibtisch flatterte. 

Einige Eindrücke, die nach der Lektüre blieben, möchte ich hier notieren: 

(Dies ist übrigens der 100. Beitrag in meinem Blog)

  • Dreimal findet die Causa Williamson Erwähnung, ganz offensichtlich hat dieses Thema den Hl. Vater emotional sehr bewegt. Ihm ist wichtig, zu betonen, dass er über die Haltungen des unerlaubt geweihten Bischofs der Piusbruderschaft nicht informiert war.
  • Viele Themen des Gesprächsbandes wurden schon in früheren Bänden angesprochen, Seewald stellt manche weiterführenden Fragen, um Details für seine, in Arbeit befindliche Biografie zu erkunden. Einigermaßen befremdlich ist, dass beinahe jeder Seufzer des 264. Nachfolgers des Hl. Petrus aufgeschrieben wurde. Nicht immer ist das zum Verständnis des Inhaltes wirklich notwendig.
  • So bietet die Lektüre des Bandes wenig ganz "neue" Erkenntnisse. Wer sich an Wort und Tat seiner Amtszeit hielt und mit einigen Erläuterungen und Erklärungen aus seinem Umfeld beschäftigt hatte, der sieht sich hier in seiner Einschätzung bestätigt.
  • So z.B. in der Frage der Bewertung der Einführung der Mundkommunion für die großen Papstmessen auf dem Petersplatz, wo er ein weiteres Mal betont, dass er darin kein Signal für eine "Reform der Liturgiereform" setzen wollte. Auch den Wechsel von Marini eins zu Marini zwei möchte er nicht in diesem Sinne interpretiert wissen. Leider wird auch diese Aussage nicht dazu führen in den allfälligen Diskussionen mit dem Argument behelligt zu werden, das Papst Benedikt dieses oder jenes gewollt habe.
  • Natürlich antwortet Benedikt XVI. auch auf einige hartnäckige Fragen zu den Hintergründen seines Rücktritts - und natürlich gibt es keine neuen Antworten, allenfalls interessante Details. Spannend wäre es vielleicht gewesen, vom ersten emeritierten Papst der neueren Kirchengeschichte einige Sätze zu hören, ob er für den Fall eines weiteren Papstrücktritts bestimmte Ratschläge für denjenigen Papst geben würde, der ihm auf diesem neuen Weg einst folgen wird, z.B. in der Frage der Kleidung, der Präsenz außerhab des Ruhesitzes, der Wortmeldungen eines emeritierten Papstes oder dessen korrekte Anrede.
  • Etwas unfair fand ich auf S. 52, dass Seewald versucht, Interna aus dem Konklave 2005 zu erfahren, das ja mit der Wahl Papst Benedikt XVI. endete. Hier fragt er zunächst nach einer damaligen evtl. Favoritenrolle Kardinal Bergoglios, worauf ihm der Papst eine Antwort verweigert. Auf einige weiterführende Fragen folgt dann die Bemerkung des Interviewers: "Obwohl es heißt, er sei, wie schon gesagt, beim vorhergehenden Konklave neben Ihnen einer der Favoriten gewesen." Daraufhin sagt der Hl. Vater: "Das ist richtig. Aber ich dachte, das ist vorbei. Man hörte nichts mehr von ihm."
  • Es ist Papst Benedikt wichtig, keinen Schatten auf seine Beziehung zum amtierenden Papst Franziskus fallen zu lassen. Er betont, was auch schon früher u.a. von Erzbischof Gänswein gesagt wurde. Mit dem bisherigen Pontifikat seines Nachfolgers ist er zufrieden und drückt dies sehr überzeugend aus: "Ja. eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht. Das ist schon etwas Schönes."
  • Für "Fans" interessant sind sicher die Berichte und Details aus Kindheit, Jugend und Werdegang des Pontifex. Gänzlich Neues darf man hier aber wohl nicht mehr erwarten. Manches ist nett, anderes eher skuril zu lesen. Viele Personen werden genannt, mit denen Joseph Ratzinger sich verbunden fühlt(e). Interessant auch die Darstellung eines Wandels in der Theologie, angeregt durch die Jugendbewegung und die liturgische Bewegung, die Überwindung der Neoscholastik in den Jahren zwischen Studium und späterer Lehrtätigkeit.
  • Wesentlich Neues bringt auch die Behandlung des 2. Vaticanums nicht. Benedikt XVI. outet sich als "echter Fan" von Johannes XXIII., während des Konzils zählte er sich zu den Progressisten und man warf ihm vor an einem "typisch freimaurerischen Text" mitgearbeitet zu haben. Er betont, dass er sich auch theologisch immer treu geblieben sei und kann keinen Bruch zwischen einem Professor Ratzinger und dem Bischof und späteren Papst sehen.
  • Lesenswert sind auch die Bemerkungen über Karl Rahner und Hans Küng, Henri Lubac und Hans Urs von Balthasar.
  • Gefreut habe ich mich, dass er auf S. 205 noch einmal an die Trauerfeier für Johannes Paul II. erinnert: "Zugleich hatte ich das Bewußtsein, dass er (der verstorbene Papst) da ist. Dass er uns von seinem himmlischen Fenster aus segnet, wie ich das dann auch auf dem Petersplatz sagte. Das war keine Phrase. Das kam wirklich aus einem innersten Bewußtsein, dass er auch heute heruntersegnen wird, dass er da ist und dass die Freundschaft weiterbesteht auf eine andere Weise." Diese Sätze haben mich damals sehr bewegt und lange begleitet.
  • Sonderbar berührt, dass Seewald den emeritierten Papst auf eine Bemerkung anspricht, die Kardinal Marx geäußert haben soll. Diesem sei aufgefallen, dass die "Hofhaltung" im Vatikan viel zu pompös sei. Diesen Aspekt hob interessanterweise auch Erzbischof Gänswein bei der Vorstellung des Seewald-Buches besonders hervor. 2013 soll dieses Wort gefallen sein. "Kardinal Marx solle vor seiner eigenen Tür kehren." soll der Erzbischof angedeutet haben (er hat das allerdings nicht wörtlich so gesagt) und ähnlich kommentierten auch viele Nicht-Freunde des Münchner Kardinals. Wer will ihnen da widersprechen? Leider konnte ich ein solches Wort von Kardinal Marx nirgends dokumentiert finden, allenfalls folgendes aus einem Interview des Deutschlandfunk: Auf die Frage: "Der Papst kam im schlichten weißen Gewand auf die Loggia des Petersdoms, fuhr im schlichten Fahrzeug zur Kirche Santa Maria Maggiore durch die Stadt am Donnerstagmorgen. Ist das Programm? Ist das ein Zeichen, dass die Kirche jetzt ärmer wird und er sich mehr um die Armen kümmert?" antwortet der Kardinal: "Ja, ich glaube, er will deutlich machen: Er liebt nicht diesen äußeren Prunk. Er wird sich in manchen Dingen auch anpassen müssen. Man muss sich bewegen können. Er wird auch mit dem Flugzeug fliegen müssen, wenn er nach Rio de Janeiro will zum Weltjugendtag. Das ist klar, aber er möchte deutlich machen: Das ist nicht eine Kirche des Prunks und der Hofhaltung oder so etwas. Da ist er, glaube ich, zurückhaltend, und das finde ich auch ganz gut." Es erscheint schwer vorstellbar, dass Kardinal Marx hier einen offenen Vorwurf äußern wollte, ich glaube überhaupt nicht, dass er hierbei die konkrete Amtsführung von Papst Benedikt kritisieren wollte, auf keinen Fall jedoch seine persönliche Lebensführung. Ich weiß von meinem Bischof, dass die persönliche Bescheidenheit Benedikt XVI. unter den deutschen Bischöfen völlig außer Frage stand. Die Empfindlichkeit Benedikts an dieser Stelle läßt aufmerken. Der Papst selbst sagt dazu: "Wir haben immer sehr einfach gelebt, schon von meiner Herkunft her. ... Was den Kardinal zu seiner Bemerkung veranlasste weiß ich nicht." Es wäre wünschenswert wenn dieser Punkt zwischen Kardinal und Papst em. noch zu einer Klärung kommt.
  • Bemerkenswert ist das Engagement Benedikts in der Frage der Karfreitagsfürbitte in der a.o. Form des römischen Ritus und ihrer Neuformulierung. Auch hier hätte mich sehr interessiert, wie der Hl. Vater das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form der Liturgie sieht und welche Entwicklungslinien er für sinnvoll hält. Natürlich ist ihm unbedingt zuzustimmen, wenn er sagt, dass es nicht richtig sein kann, eine Liturgie regelrecht zu verbieten, die über Jahrhunderte für die Menschen das Heiligste war. Aber das 2. Vaticanum hat ja auch deutlich gemacht, dass diese liturgische Form eine Reform nötig hat und Benedikt hat einen ersten zögerlichen Schritt ja auch mit der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte getan. Weitere Schritte waren ja schon bis 1962 erfolgt, aber welche wären jetzt noch dran, damit das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Form zu einem Miteinander wird, ganz im Sinne seines Begleitschreibens zu Summorum Pontificum: "Im übrigen können sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten: Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen. ... In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht." Leider stellt der Interviewer, wie auch an manchen anderen Stellen, die notwendigen Fragen nicht. Ich bin sicher, dass Benedikt XVI. ihm das nicht übel genommen hätte, hier auch theologisch noch einmal herausgefordert zu sein.
  • Überraschend ist die Entschiedenheit, mit der Papst Benedikt XVI. in Fragen der Liturgie ein päpstliches "Machtwort" ablehnt. Hier könne man nur anregen und nicht "kommandieren".
  • Selbstredend interessiert mich besonders, was Benedikt XVI. über Deutschland schreibt. Das war ja auch zuvor schon hier und da recht genüßlich ausgebreitet worden. Der emeritierte Papst hält die Kirchensteuer zwar nicht für falsch, allerdings die automatische Exkommunikation für alle, die sie nicht zahlen möchten. Verständlich, wo doch die wenigsten Ortskirchen überhaupt Kirchensteuern kennen, allenfalls freiwillige Kirchenbeiträge. Niemand, der nicht spendet, ist deshalb aus der Kirche ausgeschlossen. Angriffe aus der deutschen Presse haben den deutschen Papst wenig beeindruckt. Und dann fällt das Wort vom "etablierten und hochbezahlten Katholizismus", das ich nach wie vor gern etwas erklärt hätte. Im Kontext der Freiburger Rede könnte man das in Richtung auf "Entweltlichung" deuten. Zumal er von den "angestellten Katholiken" spricht, die der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität entgegen träten. Ich vermute, das hinter diesen Formulierungen eine Mischung aus konkreten Erfahrungen und theoretischen Überlegungen steht und erinnere an den "bezahlten Knecht" aus dem Evangelium, den ich an anderer Stelle in diesem Kontext schon mal ins Gespräch gebracht habe. Die deutsche Kirche habe "zu viel bezahlte Mitarbeiter" und hierdurch einen "Überhang an ungeistlicher Bürokratie". Im Grunde wird jeder deutsche Pfarrer dieser Erfahrung zustimmen, angesichts zunehmender innerkirchlicher und außerkirchlicher Bürokratie. Aber wie dies auch angesichts der Einbindung der Kirche in gesellschaftliche Strukturen und Aufgaben und der Verantwortung für zahllose Arbeitskräfte verantwortlich zu verändern ist, daran werden sich wohl noch einige Generationen von Katholiken die Köpfe zerbrechen. Ähnliches kennt Benedikt nach eigenem Bekenntnis (einige Seiten später) ja selbst, wo er fragt, ob der Papst selbst nicht deutlichere Zeichen hätte setzen müssen, weil die Kirche sich von manchen Gütern zu trennen habe. "Vielleicht, aber es ist sehr schwer. Da muss man immer zuerst bei sich selbst anfangen. Hat der Vatikan zu viel? Ich weiß es nicht. Wir müssen sehr viel tun für die ärmeren Länder, de unsere Hilfe brauchen..." Dass die Richtung, die Benedikt mit seiner Freiburger Rede angedeutet hat und die er im Wirken von Papst Franziskus wieder entdeckt, richtig ist, das wird kaum jemand bestreiten. Aber auch hier hätte mich interessiert, wen Seewald, der das Stichwort "katholisches Establishment" in seiner Frage eingeführt hatte und wen Benedikt, der das mit "etablierten (und hochbezahlten) Katholizismus" aufgreift mit diesem Begriff überhaupt meint? Die Bischöfe? Die Pfarrer? Die Laien-Katechisten / Pastoralreferenten oder die höheren Verwaltungsposten in den Ordinariaten? Oder gar die Vertreter in Gremien und Verbänden, die diese Aufgaben auch hin und wieder in bezahlten Stellen ausüben. Und was möchte der Interviewer damit sagen, dass er unmittelbar nach Berlin die Reise nach Kuba anspricht und beispielsweise den "Heimatbesuch" in Bayern ganz ausspart?
  • Aufmerken ließ mich die Formulierung: "Wie Europa sich entwickeln wird, wie weit es noch Europa sein wird, wenn andere Bevölkerungsschichten es neu strukturieren, wissen wir nicht. .... Das Wort des Evangeliums kann natürlich aus Kantinenten verschwinden. ... Aber nie kann es ungesagt bleiben und nie unwichtig werden." Auch hier hätte ich mir gezielte Nachfragen des Interviewers gewünscht. Das Thema war noch nicht zu Ende besprochen.
  • Angenehm liest sich die Einordung der Malachias - Prophetien, mit denen zahlreiche Unheilspropheten rund um die Wahl des 266. Papstes nervten. Diese Prophezeiung sei im Umfeld des (Spaßvogels) Philipp Neri entstanden, der den Protestanten mit einer langen Liste von Päpsten hätte beweisen sollen, dass die Rede vom Ende des Papsttums Unfug sei.
  • Wer die theologischen Texte Benedikt des XVI. schätzt, seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte zu erschließen und auf neue Weise ins Wort zu bringen, der wird in diesem Buch bis zur Seite 268 warten müssen. Natürlich ist mancher schöne Satz dabei, mancher erhellende Kommentar und manch menschelnde Episode. Aber erst die Antwort auf die Frage: Weißt Du wo der Himmel ist? ist wirklich wieder so ein echtes Bonbon der Theologie Joseph Ratzingers. Allen, die wenig Zeit haben, rate ich, auf die Lektüre des restlichen Buches zu verzichten, aber sich die Seiten 268 - 270 kopieren zu lassen. Das ist mein persönlicher Höhepunkt in diesem Buch.

Montag, 12. September 2016

Missionarische Veganer contra hochbezahlte Katholiken!

Die BILD - Zeitung hat Kirchenwochen (neben den üblichen Nippel-Themen)! Drei Tage lang gab es sehr lesenswerte Auszüge aus dem Interview-Band von Peter Seewald mit Papst Benedikt XVI., heute nun zusätzlich ein Interview mit dem ehemaligen Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf. 

Auf "katholisch.de" erschien dieses "wiederverwertet" unter der Überschrift: "Deutsche Veganer missionarischer als Christen". Ganz inhaltsschwer scheint das Interview auch ansonsten nicht gewesen zu sein. Der international bekannte Ordensmann rät den Deutschen zu mehr "Gelassenheit und Humor" und meint: "Wir machen alles gründlich, manchmal bis zum Erschrecken", ... Die Italiener bewunderten die deutsche Gründlichkeit; allerdings sei sie ihnen auch "nicht immer ganz geheuer", so Wolf, der als Oberer des Benediktinerordens für 16 Jahre in Rom lebte. So legten etwa deutsche Veganer scheinbar "mehr missionarischen Eifer" an den Tag "als wir Christen".

Die Beobachtung ist sicher richtig. Mir begegnen auch immer wieder Leute, die für eine Sache "brennen", ob das nun der "Veganismus" ist oder das fleischlose Leben. Ich bewundere Leute, die jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um an den unmöglichsten und abgelegendsten Orten kleine Verstecke, Geocaches zu orten oder Menschen, die ein Auto der 30er-Jahre mit Akribie in den Zustand eines Neuwagens versetzen. Kürzlich erschien ein Interview mit einem Priester, der die spirituelle Seite des Whiskeys entdeckt hat und Pilgerfahrten hierzu anbietet. Erstaunlich aktiv für seinen Glauben zeigt sich manch ein Vertreter der Zeugen Jehovas, der das Gespräch sucht oder ein Piusbruder, der mit spitzer Feder die Schwächen der Kirche in Deutschland seziert. 

Ja, es ist wahr! Gegen diese Leute sind wir Feld-, Wald- und Wiesen-Christen verschämte Mauerblümchen, die mit ihren Glaubensüberzeugungen hinter dem Berg halten und sich freuen, sich hinter geschlossenen Kirchentüren vor der rauhen Wirklichkeit verbergen zu können. Versuchen Sie einmal in einer Klassenpflegschaftssitzung gegen die Reduzierung der Religionsstunden auf eine Stunde "ökumenischen" Religionsunterricht zu argumentieren. Und wer sich am Arbeitsplatz für die katholische Kirche engagiert, der wird von den weitaus meisten Kollegen in die gleiche Schublade sortiert, wie der überzeugte Neuapostole. Wenn auf dieser Schublade dann nur "Komische Vögel" drauf steht, dann haben wir es noch gut angetroffen.

Woran das liegt? Ist uns etwa der Glaube nichts mehr wert? Haben wir zunehmend mehr Glaubens-Zweifel entwickelt? Identifizieren wir uns nicht mehr mit der Kirche? Ist die Kirche selbst "lasch" geworden und nimmt ihre Gläubigen nicht mehr in die Pflicht? Während anderswo Menschen wegen ihres christlichen Glaubens um Leib und Leben fürchten müssen, und sich trotzdem nicht verstecken, scheuen wir Christen manchmal das Gespräch darüber und noch mehr das freimütige Bekenntnis zur Kirche.

Ob das auch damit zu tun hat, dass man ja inzwischen für nicht mehr ganz dicht erklärt wird, wenn man aufgrund der offen zutage liegenden Schwächen der Kirche und des Glaubens noch dabei bleibt? In dem Projekt "Valerie und der Priester" wurde eben dieses Phänomen gestern sehr anschaulich verhandelt. Valerie Schönian schaute sich mit Franziskus von Boeselager den amerikanischen Film "Spotlight" an, der die Aufdeckung der Mißbrauchsskandale in der Kirche Amerikas verarbeitet. Der Bericht hierüber steigt mit folgender Bemerkung ein:  

"Der Missbrauchsskandal. In den letzten Monaten habe ich gemerkt, dass es eines der ersten Dinge ist, die Menschen außerhalb der Kirche zur katholischen Kirche einfällt. Auch ich fragte Franziskus direkt in der ersten Woche, ob er „Spotlight“ gesehen hat — hatte er nicht — es kam auf die To-Do-Liste. Auch Freunde sagten mir: Schau’ unbedingt den Film mit deinem Priester.
Warum? Vermutlich, weil wir alle die gleiche Frage hatten: Wie kann man denn diesen massenhaften Missbrauch und dessen strukturierte Vertuschung vor Augen geführt bekommen und gleichzeitig noch Teil von dieser Institution sein — nein mehr, sein Leben dieser Institution verschreiben?"
Das ist zur Zeit das Muster, nach dem viele Gespräche über die Kirche laufen. Und neben der Frage des Mißbrauchs gibt es ja noch eine ganze Reihe vergleichbarer Themen, wo die Gesprächspartner Differenzierungen und Feinheiten gar nicht zur Kenntnis nehmen. Themen wie Zölibat, Homosexualität, Macht der Kirche, Kreuzzüge, Frauen, Kirche als Arbeitgeber und und und... Jeder kann das aus eigener Erfahrung für sich ergänzen... 

Mag man auch noch so sehr für die Botschaft Jesu "brennen", es gibt zuverlässige Feuerlöscher, die auch aus extrem dynamischen Drachen schnell einen platten Bettvorleger machen, an dem sich wenig zu entzünden vermag. 

Nicht nur in diesem Kontext ist der Text von Valerie Schönian übrigens durchaus lesenswert. Offensichtlich gelingt des Franziskus von Boeselager die Sichtweise seiner Gesprächpartnerin in einem offenen und geduldigen Gespräch zu öffnen. Aber ich denke, die hierfür notwendigen 90 Minuten (+ Filmabend  u.s.w.) zeigen schon deutlich, wie viel Mühe, Nähe, Empathie und Geduld heute notwendig sind, um überhaupt in einem Glaubensthema einen Schritt weiter zu kommen bzw. an den Punkt zu kommen, wo es "spannend" wird. 

Am Ende lautet das Fazit der jungen Journalistin immerhin: "Ich habe mich vorher gefragt, wie Franziskus der Kirche sein Leben verschreiben kann, wenn sie doch so viel Schlimmes getan hat. Für ihn ist das überhaupt keine Entscheidung. Das ist für mich schwer nachvollziehbar. Aber wenn man das als Fakt akzeptiert, dann macht es auch Sinn, dass der Missbrauchsskandal nicht dafür gesorgt hat, dass Franziskus als Priester sich von ihr abwendet. Die Kirche ist ein Teil von ihm, dagegen kann er nichts machen, sie ist Familie — bis dass der Tod sie scheidet."

Sehr lesenswert ist das auch im Zusammenhang; für mich der beste Text, der im Rahmen dieses Projektes bisher erschienen ist: https://valerieundderpriester.de/der-priester-und-der-missbrauchsskandal-91ae6b6826c8#.hvhsr1j2v 

Lieber Pater Notker, ich bin wirklich nicht neidisch auf die Veganer, die gerade auf einer gewissen "Welle" reitend, "Missionserfolge" einheimsen. Wo doch heute schon Süßkram von Katjes als "vegan" angepriesen wird, weil das einfach verkaufsfördernd ist und gleichzeitig fromme Muslime und Juden als Kundengruppe erschließt. Als Christ aber glaube ich; wegen des veganen Lebens allein kommt man nicht in den Himmel. (Es ist aber wohl auch nicht ausgeschlossen!)

Vor diesem Horizont tue ich mich schwer, mit den zahlreichen Vorwürfen, die Kirche in Deutschland sei "müde", "alt", "unfruchtbar", "langweilig", u.s.w.. Gerade in kirchentreuen Kreisen ist derlei Etikettierung von Mitchristen sehr beliebt. Erst recht dann, wenn man kontrastierend über die Erfolge bestimmter Veranstaltungsformate, über boomende geistliche Bewegungen und Priesternachwuchs in traditionstreuen Gemeinschaften und Klöstern berichten kann. 

Solche Erfolge dürfen für uns alle ein Grund zu ehrlicher Freude, Neugierde und Kooperations- und Dialogbereitschaft sein. Aber keinesfalls ein Anlaß für maulende Beschimpfung "lascher" Mitchristen. Die Gründe für die Situation der Kirche in Deutschland sind vielschichtig(er). 

Treue Christen haften sehr an den Ausdrucksformen von Kirche, die sie schätzen gelernt haben. Das bindet auch manche Recourcen. Wenn sich insgesamt so vieles verändert, dann soll doch wenigstens die Kirche so bleiben, wie sie ist. Und viele der "Treuen" sind überfordert mit den inzwischen gesellschaftsfähigen überkritischen Anfragen an Glauben und Kirchenorganisation. 

Im Kontext einer sich im rasanten Tempo modernisierenden und technisierenden Gesellschaft kommt unsere Kirche mit ihren Themen und Überzeugungen (oft auch sprachlich) überholt und "von gestern" daher. Unsere kirchliche Sprache und die Ausdrucksformen des Glaubens halten mit der Entwicklung nicht mehr Schritt. Was nicht bedeutet, dass die Kirche dem "Zeitgeist" hinterher zu hecheln hat, aber doch, dass sie die Entwicklungen aufmerksam beobachtet und dort wo es nötig und möglich ist, mit ihnen mitgeht.

Es gibt ja schon heute eine ganze Anzahl von Katholiken, die z.B. in der Welt der Medien ganz nah dran sind und spannende Projekte entwickeln, aber insgesamt kommt die Institution Kirche vielen Leuten doch eher altbacken vor. Einige positive "Überraschungen" stören das sonstige Bild nur kaum. Schwarz-Weiß-Programm statt Smartphone. Doch dies gilt nicht nur für die bunten Medienwelten, sondern auch für gesellschaftspolitischen Entwicklungen, den Dialog mit den Naturwissenschaften, die weiten Welten der modernsten Technik u.s.w.. 

Dass in einer derart komplexen Lage der Kirche auch die Hauptamtlichen und sogar Priester, Ordensleute und Bischöfe die Verunsicherung der Gläubigen spüren und teilweise in ihrem Sprechen und Handeln auch widerspiegeln kann keinen verwundern. 

Nicht ohne eine gewisse Genugtuung, ja Häme wurde in den vergangenen Tagen eine Bemerkung von Papst Benedikt XVI. aus dem aktuellen Interview-Band "Letzte Gespräche" verbreitet. Dankenswerterweise hat die BILD, die als eine der wenigen Zeitungen längere Original - Texte abdruckte (Bemerkenswert, oder?), just diesen Text gar nicht wiedergegeben. Der gehörte wohl eher in den allgemeinen Werbe - Hype mit Informationen darüber, dass der Papst einmal "verliebt" gewesen sei ("Er sei ein "sehr smarter Typ gewesen, ein hübscher junger Mann, ein Schöngeist, der Gedichte schreibt und Hermann Hesse liest". ... Ratzinger habe "durchaus eine Wirkung auf die Frauen gehabt - und umgekehrt auch") oder dass es eine "schwule Seilschaft" im Vatikan gegeben haben solle. 

Benedikt habe zudem deutliche Kritik an der Kirche in Deutschland geäußert. So ist in einem ZEIT-Artikel folgendes zu lesen: "Der emeritierte Papst Benedikt XVI. sieht in Deutschland einen seiner Ansicht nach "etablierten und hoch bezahlten Katholizismus" am Werk. Dazu kämen angestellte Katholiken, die der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenüberträten, sagte er in dem Interviewbuch Letzte Gespräche. Die Kirche sei für sie nur der Arbeitgeber, den man kritisch sehe. Diese Art von Katholiken kämen nicht aus einer Dynamik des Glaubens, sondern seien eben in so einer Position. 
Der deutsche Ex-Papst äußerte auch Bedenken gegen das System der Kirchensteuern in Deutschland: "Ich meine damit nicht, dass es überhaupt eine Kirchensteuer gibt, aber die automatische Exkommunikation derer, die sie nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar."

Die große Gefahr der Kirche in Deutschland ist seinen Worten zufolge, dass sie so viele bezahlte Mitarbeiter habe und dadurch ein Überhang an "ungeistlicher Bürokratie" da sei, sagte der 89-Jährige. Auch die deutsche Universitätstheologie sei in einer Krise, brauche neue Köpfe und eine "neue Intensität des Glaubens". Dazu komme die Häme, die in deutschen Intellektuellenkreisen vorhanden sei.

In Italien könne man sich so viele bezahlte Leute gar nicht leisten, die Mitarbeit basiere zum großen Teil auf Freiwilligkeit. Benedikt betrübe die Situation in Deutschland, dieser Überhang an Geld, das dann doch wieder zu wenig sei." (Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-09/deutsche-kirche-deutschland-interview-papst-benedikt-katholizismus)

Ich bin jetzt nicht überrascht! Diese Sicht ist nicht neu und vermutlich auch nicht unberechtigt. Aber es kommt doch eigenartig "fleischlos" daher. Ich frage mich seit Tagen ernstlich: "Wen meint Benedikt XVI.?" oder was meint er eigentlich genau, wenn er von einem "etablierten und hoch bezahlten Katholizismus" spricht. Meint er am Ende gar mich? Als "hoch bezahlt" empfinden wir Pastoralreferenten (eigentlich Gemeindereferenten) uns nicht, wir verdienen in etwa soviel wie ein Grundschullehrer, eine Erzieherin in Leitungsposition, ein Sozialarbeiter. Mir scheint das angemessen! Ohne die Mitarbeit meiner Frau fiele es uns schwer, die Bedürfnisse unserer Kinder angemessen zu erfüllen. Hoch bezahlt? Nun ja, vielleicht trifft das etwas eher auf die Pastoralreferenten zu, die eher im Verdienstbereich eines Realschul- bzw. Gymnasiallehrers liegen. Auch die Pfarrer erhalten in Deutschland ja ein ähnliches Gehalt, jedenfalls deutlich mehr als beispielsweise ihre Kollegen in den Niederlanden oder anderen europäischen Ländern. 

Aber ich weigere mich, darin den Grund für evtl. mangelndes Engagement bzw. mangelnde Glaubens- und Kirchenfreude zu entdecken. Umso mehr als ich mich an viele junge Kapläne bzw. Pastoralassitentinnen erinnere, die mit großem Elan ihre neuen Aufgaben angingen und angehen.  

Oder sollten gar nicht die Seelsorger in den Gemeinden gemeint sein, sondern die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ordinariaten und Generalvikariaten, die sich dort um Verwaltung, Baufragen, Finanzverwaltung, Kirchenrecht, pastorale Projekte, Schulen, Kindergärten,  Priesterausbildung und manches mehr bemühen? Die Kirchensteuer und mit ihr die vielen sozialen Einrichtungen der Kirche, sorgen auch dafür, dass es viele kirchliche Angestellte gibt, die sich vermutlich nicht alle zu 100 Prozent mit ihrem "Arbeitgeber" identifizieren. Zumal die Kirche nicht automatisch ein "göttlicher" besserer Arbeitgeber sein muss. Das ist ein Problem, auch für die Glaubwüdigkeit der Institution. Erst recht, wenn kirchliche Mitarbeiter und Verantwortungsträger selbst versagen. Wer dagegen für "Gotteslohn" arbeitet, da wo er unmittelbar sieht, dass sein Einsatz notwendig ist, der wird sicher nicht so leicht Gewerkschaftsmentalität entwickeln. Mir scheint allerdings, dass eine "Gewerkschaftsmentalität" eher ein Symptom einer tiefer liegenden Krise ist, als ein Auslöser des Problems.

Ein wenig erinnert die päpstliche Kritik an das Jesus-Wort vom "bezahlten Knecht", der die Schafe in der Gefahr zurückläßt, anders als der Hirte, dem die Schafe gehören und der sie unter Einsatz seines Lebens verteidigt. Aber letztlich kommt es doch darauf an, was den "bezahlten Knecht" antreibt, die Lust auf "Mammon" oder die Freude am Evangelium. 

Ja, ich bekenne ehrlich, dass ich gerne bei der Kirche arbeite, dass mir mein Beruf Freude macht, dass ich - ähnlich wie Franziskus von Boeselager - eine manchmal fehlerhafte, "sündige" Kirche wahrnehme, aber dennoch nicht aufgeben möchte, in ihr zu leben und sie zu gestalten. Und ich bekenne auch, dass ich mich verantwortlich fühle für die Zukunft meiner Familie, dass ich einer Abschaffung der Kirchensteuer mit Sorge entgegen blicke und nicht begeistert wäre, müßte ich meinen Lebensunterhalt in der "freien Wirtschaft" verdienen und meiner Kirche nur noch im Ehrenamt nach Feierabend zu dienen. Dazu bin ich viel zu gerne im Raum dieser Kirche tätig und entdecke in meiner Berufswahl durchaus auch eine Berufung. Ich weiß auch nicht, ob es Arbeitgeber gäbe, die einen Industriekaufmann, der 25 Jahre aus der Übung ist, eine Stelle anbieten würden.

Trotzdem darf ich als kirchlicher Mitarbeiter die Worte Benedikts in dem Sinne verstehen, wie vor einiger Zeit auch die Anregungen von Papst Franziskus zu den "15 Krankheiten der Kurie" und damit auch anderer kirchlicher Organisationen (und vor allem deren Mitarbeiter), als Anregung zur Gewissenserforschung. 

Ich bin sicher, dass Papst Benedikt eine deutlich umfassendere Analyse der Schwierigkeiten und Stärken der katholischen Kirche in seinem aktuellen Interview-Buch (und auch darüber hinaus) vertritt. Er, der in einer großen Prägnanz und Tiefe geistliche Themen zu durchdringen vermag, wird auch hier nicht an der Oberfläche geblieben sein. Aber die ersten Meldungen der Zeitungen bringen natürlich die vermeintlich "heißen Eisen". Auch mit Blick auf die Kirchensteuer zeigt der emeritierte Papst sich ja eher skeptisch als ablehnend. Natürlich weiß er nur zu gut, dass für das kirchliche Wirken auch finanzielle Mittel notwendig sind. Und er weiß auch, dass es die Glaubwüdigkeit des pastoralen Wirkens nicht förderlich ist, wenn allzu viel Zeit und Energie ins Fundraising investiert werden muss. Die niederländischen Katholiken können ein Lied davon singen. Aber auch die Frage der Kirchenfinanzierung ist ein Nebenschauplatz, für den wir mit Transparenz und Bescheidenheit bald überzeugende Lösungen finden sollten. Warum sollten die Katholiken nicht viel mehr Einfluß darauf haben, was mit ihren Kirchensteuern geschieht? Warum sollte man seine Kirchensteuer nicht beispielsweise direkt den Kartäusern der Marienau zukommen lassen. Für einen grundsätzlichen Wandel der Kirchenfinanzierung gibt es schon heute durchaus vielversprechende Ideen und Projekte. 

Die Krise der Kirche im Westen ist ja durchaus nicht nur auf Deutschland beschränkt. Sie hat vielfältige Ursachen und wird sicher noch länger andauern. Und niemand möchte die Botschaft Jesu Christi gegen das Bekenntnis zum Veganismus eintauschen. Jesus geht es um deutlich mehr als um unseren Bauch und unseren Körper. 

Die Krise sollte uns nicht lähmen. Jesus lebt! Seine Botschaft ist aktuell! Er ruft uns in seine Nachfolge, auch wenn wir dazu "unser Kreuz" aufnehmen müssen. Einen gemütlichen Spaziergang hat er uns nicht versprochen. Wenn unsere "Gegner" heute auch nicht bilderstürmende Wiedertäufer oder säbelrasselnde Wüstenkrieger sind, sondern eher Desinteresse und Müdigkeit hier wie dort: Eine Kapitulation vor der spezifisch deutschen Form der Kirchenkrise ist nicht angesagt.

Da halte ich es lieber weiter mit den Worten, unter denen vor 25 Jahren meine Beauftragung durch Bischof Reinhard Lettmann stand.

Halleluja! Lobe den HERRN, meine Seele!
Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, 
meinem Gott singen und spielen, solange ich da bin.
Recht verschafft ER den Unterdrückten, 
den Hungernden gibt ER Brot; 
der HERR befreit die Gefangenen.

Der HERR öffnet den Blinden die Augen, 
ER richtet die Gebeugten auf.
Der HERR beschützt die Fremden
und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht.

Der HERR liebt die Gerechten,
doch die Schritte der Frevler leitet ER in die Irre.
Der HERR ist König auf ewig, 
dein Gott, Zion, herrscht von Geschlecht zu Geschlecht.

Mittwoch, 20. Juli 2016

Das hat nichts mit dem Islam zu tun!? Wirklich?!

In unterschiedlichen Varianten wurde ich in den vergangenen Tagen mit diesem Satz konfrontiert. Das lädt geradezu ein, sich darüber einmal auszulassen, denn aufschlussreicher als die Bemerkung an sich ist die jeweils dahinter stehende Haltung. 
  • In den vergangenen Wochen und Monaten gab es immer wieder Wortmeldungen und offiziöse Stellungnahmen hoher religiöser Autoritäten des sunnitischen Islam, die bestritten, dass der islamische Staat oder der islamische Terrorismus sich überhaupt als "islamisch" bezeichnen dürfe.  Teilweise wurden hierzu sogar entsprechende Rechtsgutachten veröffentlicht. Leider werden derartige Stellungnahmen hoher und höchster muslimischer Autoritätspersonen hierzulande kaum wahrgenommen. Während über einen einzelnen Terroristen und seine Tat wochenlang berichtet wird (einschließlich der breiten Publikation von Material der Terrorgruppen und der ihnen nahe stehenden "Nachrichtenagenturen selbst) werden die Verlautbarungen der Religionsgelehrten meist nur in einer kleinen Randnotiz erwähnt. (Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Wortmeldung des Ägyptischen Großmuftis Schauki Allam.)

    Selbst der Passauer Bischof Stefan Oster erregt mit einem im Internet veröffentlichten Beitrag hohe Aufmerksamkeit, wenn er fragt: "Wo sind die Protagonisten des friedlichen Islam – und wo sind sie gemeinsam?" Rein formal könnte man ihm da sicher widersprechen. Aber dennoch sind seine Anfragen ein Innehalten und eine ausführliche Antwort wert. 
  • Muslimische Gruppen und Verbände und wohlmeinende Politiker und Kirchenvertreter in Seutschland betonen in Ihren Stellungnahmen immer wieder "Terror hat keine Religion", der Islam bzw. der Koran werde von den Terroristen mißbraucht und man müsse zwischen Islam und Islamismus unterscheiden. 
  • In Wortmeldungen unterschiedlicher Akteure im Netz wird der Satz "das hat nichts mit dem Islam zu tun" oder "das hat nichts mit nichts zu tun..." beständig verbreitet und inzwischen sogar als zynischer Kommentar zu jedem Terrorangriff und zu jeder schlechten Nachricht gepostet. 
  • Eher versteckt geht es um diese Frage auch in der Diskussion, ob es sich bei den Anschlägen mit dem Lastwagen in Nizza durch einen Tunesier und in einem Zug bei Würzburg auf chinesische Touristen nun um Amokläufe oder Terrorakte handelt. Alternativ wird das auch so formuliert: "Das sind keine Terroristen, das sind Kriminelle." (Äh: vielleicht sind sie ja beides? Wäre ja möglich? Oder gar wahrscheinlich!) Ginge es nach den Lautsprechern des sog. Islamischen Staates, der beide Angriffe flugs "adoptierte", hätte Beides sehr wohl und sehr viel mit dem Islam zu tun und es habe sich um "Soldaten" eines Islamischen Staates gehandelt. Derartiger Terror kennt keine "legitimen" Ziele mehr, ja offensichtlich geht es im Grunde gar nicht um Anschläge auf Personen, die man in irgendeiner Weise für "schuldig" erklärt, sondern um eine möglichst große Aufregung, viel öffentliche Aufmerksamkeit und höchste Verunsicherung in der Bevölkerung. Es kann jeden treffen, nicht einmal der fromme Muslim oder ein kleines Kind sind vor solchen wahnsinnigen Angriffen sicher. Ich mag meine Phantasie gar nicht auf die Reise schicken, welche irren Terror - Szenarien in Zukunft noch auf uns warten mögen.
Auf eine gnadenlose und furchtbare Weise machen die Täter und die Strategen des IS beinahe jeden zum Komplizen, der auf die Angriffe in irgendeiner Art und Weise reagiert. Aus Angst, Sorge, Verunsicherung wird Mißtrauen, Gegnerschaft, Haß. Alle Maßnahmen zur Terrorabwehr, alle Vorsichtsmaßnahmen führen zu einer weiteren Verunsicherung und Polarisierung in unserer Gesellschaft aber auch darüber hinaus. Ob es Möglichkeiten gibt, dieser vielschichtigen Eskalationsspirale zu entkommen oder diese zu durchbrechen?

Ich fürchte, der zitierte Satz "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." ist inzwischen völlig kaputt und geradezu verbrannt. Ähnlich wie die Formulierung "Der Islam gehört zu Deutschland" ist er einfach zu unpräzise und erklärungsbedürftig (was leider einige fromme Theologen noch nicht gemerkt haben). Der Satz allein ist so wahr, wie er falsch ist. Dennoch sollten wir die Botschaften, die hinter diesem Satz stehen, nicht einfach beiseite schieben. 

Da wo er dazu dient, zu beschwichtigen, zu verharmlosen und zu vernebeln, ist er sicher abzulehnen. Es ist heute nicht mehr möglich, sich mit dieser Bemerkung aus der Verantwortung zu stehlen, weder als Muslim noch als Christ. (Fast noch schlimmer finde ich allerdings seine Verwendung als zynischen Kommentar. Wer dies tut, disqualifiziert sich für eine weiterführende Diskussion.)

Auch als Katholik kann es mir nicht gleichgültig sein, wenn "christliche" Prediger in Uganda oder in Amerika über den Tod homosexueller Menschen jubeln oder gar zum Mord an ihnen aufrufen. Als Christ kann es mir nicht gleichgültig sein, wenn Menschen mit Schlachtrufen wie "Allahuh akbar" "deus lo vult" oder den Apostel Jakobus als "Santiago Matamoros" anrufend losziehen, um anderen Menschen zu töten, zu verstümmeln oder zu terrorisieren. Die einmal entfesselte Gewalt überschreitet auch bei Glaubenden allzu schnell den "legitimen Rahmen", wenn es einen solchen überhaupt geben kann.

Auch wenn ich (also, jetzt natürlich nicht persönlich) als Muslim überzeugt bin, dass die Islamisten eine schlimme Verirrung im extremen Randbereich meiner Glaubensgemeinschaft darstellen, muss ich dennoch alles tun, um ihnen den Boden zu entziehen. Damit übernehme ich doch im hohen Maße Verantwortung für meinen eigenen Glauben. Und das kann auch schon mal dort anfangen, wo  sich der Geist des Terrors erst langsam zu entfalten beginnt. 

Der islam(istische) Terrorismus ist ein Krebsgeschwür im Körper des Islam. Ich weiß wovon ich rede, wenn ich dieses Bild wähle, und ich fürchte, ohne eine harte Therapie wird der Islam sich nicht davon befreien können. 

Ich habe eine Krebserkrankung überwunden (so Gott will) und musste lernen: mein Krebs gehört zu mir, er ist ein Teil von mir, es sind meine eigenen Körperzellen, die entartet sind und ich musste mit Hilfe von Chemotherapie und Bestrahlung gegen den Krebs in mir kämpfen. Und dass dies auch den restlichen Körper trifft (und schwächt), mußte ich vielfach erfahren. 

Ich glaube der Satz, "das hat nichts mit dem Islam" zu tun, ist so berechtigt - wie falsch. Wer ihn allerdings als Waffe gegen die islamische Religion verwendt, der handelt nicht anders als all die, die in der Vergangenheit (manchmal bis heute) z.B. in den HIV-Erkrankten oder den - schon biblischen - Aussätzigen nicht die Krankheit, sondern die Kranken selbst bekämpft haben. 

Mir kommt die Begegnung Jesu mit 10 Aussätzigen in den Sinn. Jesus heilt sie alle und schickt sie zu den Priestern. Nicht "Dein Glaube hat Dir geholfen!" steht im Mittelpunkt dieser "Heils-Geschichte", sondern der Eine, der zurück kommt, seinen Dank ausdrückt und Jesus nachfolgt. Aber auch die neun Anderen waren es wert, dass Christus sich ihnen zugewandt hat. Das ist sicher auch ein sprechendes Bild, das uns hilft in unserem Bemühen nicht nachzulassen und auch mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, auch wenn sie meine eigenen Grundüberzeugungen nicht teilen.

Insofern ist es auch wesentlich, all jene Muslime zu bestärken, die aus tiefster Überzeugung glauben, dass dem Terror jegliche islamische Grundlage und Legitimation abgeht. Gemeinsam mit ihnen sollten wir (Christen, Agnostiker, Atheisten) alles tun, um die religiöse Legitimation des Terrors und vor allem das Anwerben von Geld, Waffen und Menschen für den Terror zu unterbinden. Ich bin in der Tat überzeugt, dass es für diesen Kampf ein Miteinander von Menschen unterschiedlichster (Glaubens-)Überzeugungen braucht. Wie der Krebskranke einen guten Arzt und mancherlei Unterstützung braucht, so kann man den Kampf gegen den islamistischen Terror nicht allein den friedliebenden Muslime zuschieben. Der einzelne Muslim ist für den Terror (und seine Bekämpfung) nicht mehr und nicht weniger in der Pflicht als Sie und ich.

Wichtig für eine erfolgreiche Krebstherapie sind gute Ärzte. Aber wesentlich ist auch die innere Einstellung des Patienten. Und da ist es gut, sich nicht hinter "das hat nichts mit dem Islam zu tun" zu verstecken, sondern aufrecht und engagiert zu zeigen: "das ist der Islam" und "das nicht".

Das 2. Vat. Konzil war für meine Kirche eine Therapie der oben geschilderten Art. Es war richtig und erfolgreich, blieb aber nicht ohne Nebenwirkungen und Phantomschmerzen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Aspekte hervorheben, die im Kontext des Kampfes gegen den Islamismus und für seine Einordnung wesentlich sein dürften. Sie sind auch wesentlich für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Tradition und Religion, gerade angesichts der unaufhaltsamen Globalisierung. Die "zwei" Aspekte erinnern mich dabei an meine Krebstherapie mit Chemotherapie und Bestrahlung. Daneben gibt es natürlich weitere Therapien, die der Erwähnung wert wären. Ich möchte mich hier aber beschränken.
  • Da ist einmal die persönliche Religionsfreiheit. Es ist verständlich, dass Religionen sich für Orthodoxie engagieren. Die Anhänger einer Religion sollten ihren Glauben innerhalb eines gewissen Rahmens verwirklichen und leben. Es muss so etwas wie Rechtgläubigkeit geben. Aber es muss auch die Freiheit geben, sich aus diesem Rahmen zu entfernen, bis dahin, einer Kirche vollends den Rücken zu kehren. Es gibt sicher hierfür einen legitimen Rahmen an Sanktionen, über das rechte Maß an "Papsttreue" und "Kirchentreue" wird ja bis heute auch innerhalb des Katholizismus gestritten. Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob eine geschiedene und neu verheiratete Frau z.B. Pfarrsekretärin sein kann. Aber heute muss niemand mehr mit Strafen oder gar Verfolgung rechnen, weil der den Rahmen der Kirche verläßt. Mein ehemaliger Bischof hat einmal eine Schrift herausgegeben unter dem Leitwort "Glaube durch Einsicht und Entscheidung" und die viel beachtete Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. wollte ja eigentlich die Frage von Glaube und Vernunft thematisieren und sich gegen jeglichen Zwang in der Religion wenden. 
Diese Fragen eignen sich auch zur Gewissenserforschung der muslimischen Autoritäten. Für mich ist es ein heftiger Widerspruch, wenn beispielsweise der Großimam der Al-Azhar - Universität in Kairo den Islamismus klar verurteilt, aber gleichzeitig Strafen für Apostaten gutheißt oder auch nur rechtfertigt. 
Auch der Islam muss auf Strafmaßnahmen verzichten, die den religiösen Rahmen überschreiten, wenn Gläubige aus den Rahmen der Rechtgläubigkeit herausfallen bzw. sogar zu einem anderen Glauben konvertieren. Eine so verstandene Religionsfreiheit stellt natürlich die Frage, ob das nicht auch den gewaltbereiten Salafisten einschließt. Kann auch er sich auf die Freiheit der Religion berufen? Oder anders gefragt: darf sich die religiöse Gemeinschaft von der Sorge um die Gewaltbereiten dispensieren bzw. die Verpflichtung sie zu stoppen, allein auf staatliche Behörden verlagern? Ich denke nein, es braucht klare Kriterien, wo die Freiheit in den religiösen Überzeugungen endet. 
  • Das zweite "heiße" Eisen in der Therapie ist, inwieweit sich Religionen in den Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen und Staaten mißbrauchen lassen. Das sehe ich mit großer Sorge. Dabei ist der allfällige Streit, ob es sich bei Streitigkeiten beispielsweise unter Christen und Muslimen (vielleicht sogar in der Flüchtlingsunterkunft) nun um religiöse Konflikte, um "Lagerkoller" oder um Ventile für allzu großen persönlichen Druck handelt. Ich glaube, diese Aspekte sind nicht voneinander zu trennen. Meist stehen hinter den Auseinandersetzungen unterschiedlicher Völker ganz handfeste Gründe, gibt es soziale Gefälle oder eine unterschiedlich verteilte Macht. Wenn man diese Konflikte in irgendeiner Weise aufladen kann, wirkt manchmal auch die Religion wie ein zusätzlicher Treibsatz. Wir und die anderen! 
Hier sollten alle religiösen Menschen, insbesondere alle, die in ihren Religionsgemeinschaften mit Autorität ausgestattet sind, hoch sensibel sein und bleiben. Es geht darum, die religiöse Aufladung von Konflikten soweit als möglich zu verhindern und alles zu vermeiden, was Konflikte insofern anheizt! Auch wenn das im Einzelfall sehr schwer fallen kann. Wir erleben zur Zeit, wie eine unsichtbare Schranke z.B. zwischen Christen und Muslimen in Deutschland wieder bewußter wird und wie das Miteinander - oft durch Taten und Worte Einzelner - mehr und mehr auf die Probe gestellt wird. Das geht einen jeden Gläubigen an und gerade dann müssen Gläubige der Versuchung widerstehen, sich in der eigenen Gemeinschaft einzuigeln und offensiv auf die Andersgläubigen zugehen und nach Wegen der Versöhnung und des Miteinanders suchen. 
Dazu gehören auch klare Worte am rechten Ort. Es nützt nichts, bestehende Konflikte zuzukleistern, erst recht dann nicht, wenn mein Gerede durch die Wirklichkeit bzw. den nächsten Terrorangriff plötzlich als wohlfeiles Gequatsche offenbar wird. Aber auch das andere Extrem der leichtfertigen Schuldzuschreibungen ist zu meiden. Die Grundregel: alles was ich über einen Menschen sage, muss ich auch bereit sein im Vier-Augen-Gespräch mit ihm zu diskutieren könnte hier hilfreich sein. Viel besser wäre natürlich die Befolgung des Evangeliums bei Matthäus, 18:15 ff auch im Umgang mit den Muslimen unter uns.

Leider wählen heute viele eine problematische Weise der Kommunikation. Als "Islamversteher" habe ich z.B. niemals gesagt (was mir immer mal wieder vorgehalten wurde), dass die hohe Zahl der Flüchtlinge nicht auch über die Fragen von Unterbringung, Spracherwerb und Finanzierung hinausgehende Probleme verursachen könnte. Ganz sicher sind unter den Flüchtlingen auch Menschen, die am Ende für den Ruf der Sirenen des Terrors empfänglich sind oder gar schon mit dem Vorsatz hierher kamen, Verbrechen oder gar Terrorakte zu begehen. Dagegen hilft aber nicht, gleich alle Flüchtlinge in trostlose Lager zu sperren oder auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu zwingen. Im Gegenteil, traumatisierte und verzweifelte Menschen sind anfälliger für Ideologen jeglicher Couleur, die Hilfe versprechen. 

Natürlich ist es legitim, wenn Christen zunächst ihren Schwestern und Brüdern helfen. Aber das reicht nicht, wie die Erzählung vom barmherzigen Samariter vor Augen stellt. Wir sollten auch wachsam sein, ob durch unser Handeln der soziale Zusammenhalt über Grenzen hinweg in Gefahr gerät. Christen sollten hoch aufmerksam sein, ob sie durch ihr Handeln nicht am Ende das Geschäft derer betreiben, die in zerrütteten Gesellschaften und zerbröckelnden Staaten freien Raum für die Verbreitung und Verwirklichung ihrer menschenverachtenden Pläne und Ideologien vorfinden. Insofern ist die Rede vom "Gefährlichen Islam" oder in ähnlichen Kurzformeln mindestens so fahrlässig wie (inzwischen) die Phrase: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." Wer diesen Satz inhaltlich ablehnt, der sollte auch nichts ins andere Extrem verfallen. 

Zum Weiterlesen:

Stellungnahme des Großmuftis Schauki Allam: http://www.sueddeutsche.de/politik/aegypten-fehlgeleitete-wahnsinnige-1.3092495



Auch Monika Metternich scheibt - in einem anderen Kontext - über "mein" Thema: http://www.katholisch.de/aktuelles/standpunkt/hofmanns-kritiker-springen-zu-kurz

Mittwoch, 6. Juli 2016

Ja, wohin gucken sie denn? Ab Advent nach Osten?

Ja, ich gestehe es ganz offen! Ich bin ein Nachgeborener! Ich bin nach dem Konzil zur Welt gekommen und … wie ich glaube … in Ermangelung liturgischer Bücher - vermutlich mit Hilfe eines Schnellhefters - getauft worden, damals 1967. 

Warum ich damit einsteige? Weil mir als „Nachgeborenem“ in den aktuellen Diskussionen um die korrekte Zelebrationsrichtung heute mal wieder abgesprochen wurde, überhaupt mitreden zu dürfen, da ich das Konzil ja nicht selbst erlebt habe. Schließlich sei „durch das Konzil“ der „Rauch Satans“ in die Kirche gedrungen, das habe sogar ein Papst (Paul VI.) gesagt. 

Ich will trotzdem mitreden, weil mich die Diskussion beschäftigt und nachdenklich macht. Sie gehört unter allerlei, meist ideologisch zugespitzten Umschreibungen zu den Standards in der Diskussion um die rechte Weise der liturgischen Feier. „Zum Volke hin zelebrieren“, „orientierte Zelebration“ „Mit dem Rücken zum Volk!“ „Auf Gott hin...“ „Zelebration zur Wand“.

Aber kommen wir zunächst zum Anlaß. Vor einigen Tagen hat Robert Kardinal Sarah, ausgerechnet der für die Liturgie zuständige Präfekt der Gottesdienstkongregation, von London aus einen sehr praktischen Vorschlag gemacht (oder er soll ihn gemacht haben): Die Priester mögen doch vom Advent 2016 an versuchsweise zur Zelebration nach Osten „zurückkehren“. Katholisch.de berichtet wie folgt: „"Es ist sehr wichtig, dass wir so bald wie möglich zu einer gemeinsamen Ausrichtung zurückkehren, in der die Priester und Gläubigen gemeinsam in die gleiche Richtung schauen – ostwärts oder zumindest in Richtung der Apsis – auf den kommenden Herrn", sagte Kardinal Sarah. "Habt Vertrauen, dass das etwas Gutes ist für die Kirche und für die Gläubigen." Mit ihrem pastoralen Urteilsvermögen könnten die Priester selbst einschätzen, wie und wann die Messfeier "ad orientem" möglich sei, aber vielleicht könnten sie damit am ersten Sonntag dieses Advents beginnen.“

Es ist schon eigenartig, dass ein solcher Vorschlag recht salopp in den Raum gestellt wird. Wenn das nun von Kardinal Brandmüller gekommen wäre oder von Weihbischof Schneider... Aber wenn der Präfekt der Gottesdienstkongregation so etwas sagt, dann fragt man sich schon, ob ihm klar ist, dass dies ein einigermaßen brisanter und ungewöhnlicher Vorgang ist. Er wird auch wissen, dass diese Frage höchst umstritten ist, umstritten vor allem unter denen, die Liturgie gestalten und feiern. Die große Masse der katholischen Gläubigen wird da wohl eher etwas verständnislos sein und sich fragen, was das werden soll. Und welche „rechtlich-liturgische“ Bedeutung hat das Ganze? Wie kann es sein, dass eine solche „lockere Idee“ vom obersten Liturgiker der Kirche in den Raum geworfen wird, wo die Kirche noch nicht einmal die „kleine“ Veränderung der Wandlungsworte vom „für alle“ zum „für viele“ oder für „die vielen“ verdaut und - in Deutschland zumindest - noch nicht mal umgesetzt hat. Ich hatte mich in einem früheren Blogbeitrag damit eingehend beschäftigt. 

Zur Zelebrationsrichtung möchte ich zunächst einmal einige Beobachtungen voranschicken: 

  • In der Diskussion um die korrekte Zelebrationsrichtung ist mir noch nie das Argument der Ökumene begegnet. Oder habe ich das nur übersehen? In vielen evangelischen Kirchen ist der Altar so angeordnet, dass eine Zelebration „hinter“ dem Altar gar nicht möglich ist. Gerade wenn das Abendmahl gefeiert wird, wenden sich viele evangelische Pfarrer nach Osten (wenngleich manchmal auch nur symbolisch). In der Orthodoxie ist das – soweit ich es sehen kann – auch ganz selbstverständlich so.
  • Es gibt Kirchen und Kapellen, die von der Architektur her eigentlich eine Zelebration mit Blick auf die Apsis „erfordern“. Jedenfalls ist es spürbar, dass sie so gebaut wurden und dass die nachträglich eingefügten Zelebrationsaltäre nicht wirklich in den Raum passen. Manchmal ist der Altarraum so eng, dass der Priester hinter dem Alter „eingezwängt“ erscheint.
  • Bei allen Formen der Anbetung, die ich bisher miterleben durfte, erscheint es mir immer stimmig, wenn der Priester (oder auch der Leiter der Andacht) sich mit den Mitbetenden vor dem Herrn „klein“ macht. Das geht auch allen Mitfeiernden in der Regel so. Ich erinnere mich mit Schaudern an die eucharistischen Anbetungen im Rahmen einer Gemeindemission in meiner Heimatgemeinde, wo der Pater, mit dem Schultervelum bekleidet und die Monstranz in der Hand, die Hauptgedanken der Missionspredigt wiederholte, bevor er den eucharistischen Segen spendete. Das hat da nichts zu suchen – Anbetung ist Anbetung! Auch bei Andachten sitze ich als Vorbeter am Liebsten unter den Leuten (wenn das akustisch möglich ist).
  • Im Kloster Stiepel beten die Zisterzienser in der recht kleinen Klosterkirche in zwei nachträglich angebauten Seitenkapellen. Jeweils eine Hälfte des Konventes rechts und links. Wann immer die monastischen Stundengebete eine Wendung nach „Osten“ erfordern, stehen die ersten Mönche stumpf vor der Wand. Dies als „liturgisch sinnvoll“ zu erfahren und einzuordnen erfordert einige liturgische Kenntnis und Durchdringung. Visuell erfahrbar ist das im Grunde nicht. Ähnlich wäre dies auch in manchen modernen Kirchen, wo die Hinwendung zur Apsis, „zum kommenden Herrn“ angesichts einer schlichten Mauer oder Betonwand nur mit Mühe als solche zu erkennen ist. 
Zur Begründung seines Vorschlages führt Kardinal Sarah aus: „Einige liturgische Studien legten nahe, dass manche nachkonziliare Reformen dem Zeitgeist entsprechend durchgeführt und über das "Sacrosanctum Concilium", die Konstitution über die heilige Liturgie der Konzilsväter, hinausgegangen sei. Einige "sehr ernste Fehlinterpretationen der Liturgie" hätten sich durch die Einstellung eingeschlichen, die den Menschen anstelle von Gott in den Mittelpunkt stelle. "Die Liturgie dreht sich nicht um dich und mich", sagte Sarah. "Darin feiern wir nicht unsere Identität oder unsere Leistungen, wir verherrlichen oder bewerben darin nicht unsere Kultur oder lokalen religiösen Bräuche. Die Liturgie handelt zuallererst von Gott und was er für uns getan hat."“

Wer möchte dies – vor allem  die abschließenden Sätze – ernsthaft bestreiten wollen; nur was schließen wir daraus? Und stimmt neben der theologischen Überzeugung auch die Diagnose? Ist es wirklich so, dass Gottesdienste gefeiert werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen? Und wenn dieser Eindruck entstehen sollte - ist das den Zelebranten bewußt oder geschieht dies gar gewollt? Ich glaube immer noch, dass die weitaus meisten Gottesdienstbesucher keinesfalls Kultur oder lokale religiöse Bräuche "verherrlichen oder bewerben" möchten. Natürlich handelt die Liturgie von Gott, aber doch auch von meiner Schuld, von Vergebung, Erlösung und von menschlicher Not, Angst und Sorge. 

Ich habe keine Erinnerung an die Durchführung liturgischer Reformen nach 1965. Aber viele Menschen haben mir erzählt, dass sich der Wechsel der Gebetsrichtung in der Kirche mit Windeseile durchgesetzt hat. Von Konflikten zu dieser Zeit und um diese „Reform“ hat mir bisher jedenfalls niemand berichtet. Dass es diese gab, weiß ich aus anderne Quellen, aber die „normalen Gläubigen“ haben das offensichtlich weitgehend begeistert angenommen. Ganz offensichtlich war der Sinn der Zelebration ad orientem nicht allzu tief ins Glaubensbewußtsein von Priestern und Volk eingedrungen. Auch ganz persönlich erfahre ich beispielsweise die Feier der Messe nach der außerordentlichen Form der römischen Liturgie nicht „automatisch“ als „gottvoller“ oder stärker auf Gott als auf die Mitfeiernden ausgerichtet. 

Dabei sagen die Konzilstexte selbst über die Zelebrationsrichtung überhaupt nichts aus. Erst später wird festgelegt, dass der Altar frei stehen soll und dass man ihn umschreiten können sollte. 1969 findet sich in der allgemeinen Einführung ins Messbuch die Zelebration versus populum (zum Volke hin). Ich glaube nicht, dass sich der Wandel in der Gebetsrichtung zwischen Konzilsende und neuem Messbuch plötzlich eingeschlichen hat und alle Priester ganz überrascht waren, davon in der Einführung zu lesen. In der Geschichte der Kirche hat es in dieser Fraga auch sehr unterschiedliche Traditionen gegeben. Im Einzelnen darauf einzugehen, bin ich nicht Liturgiker genug. Was viele nicht wissen: selbst das „tridentinische“ Missale von 1962 sieht die Möglichkeit der Zelebration zum Volke hin vor, wenn auch nur in Ausnahmefällen. Darüber hinaus kann man die Fakten hierzu auch an zahlreichen Stellen im Netz nachlesen und es wird in den nächsten Wochen ganz bestimmt von kundigen Leuten Reaktionen auf Kardinal Sarahs Vorschlag geben. 

Die alten römischen Kirchen sind ursprünglich so ausgerichtet gewesen, dass der Altar im Westen und der Eingang im Osten war. Erst im Mittelalter setzte sich die „Ostung“ der Kirchen durch. Der Gedanke dahinter ist ja die Ausrichtung zum Sonnenaufgang als Symbol für den wiederkehrenden auferstandenen Christus. Was ja die Frage stellt, wo genau denn nun - im Jahreslauf - dieses Osten ist? In der Folge gibt es sogar Kirchen, deren Ostung genau auf den Sonnenaufgang des Patronatsfestes ausgerichtet ist. Was ja durchaus Charme hat. Aber so "zwanghaft" ist die „Orientierung“ der Kirchen in der kath. Welt insgesamt nicht. Es ist eine Symbolik die zwar bedeutsam ist, aber nicht überbetont werden muss.

Liturgiewissenschaftler weisen durchaus auf Schwächen der jeweiligen Gebetsrichtungen hin. So ist auch die vertraute Form der Zelebration zum Volke hin sicher nicht ohne Schwächen und Fragezeichen. Aber die Rückkehr zur alten Form ist ebensowenig die Lösung aller Probleme und Abhilfe für alle Defizite der heutigen Liturgiepraxis. Ich finde es durchaus sinnvoll, einmal wirklich in Ruhe die Liturgiereform der späten 60er Jahre in den Blick zu nehmen; was hat sich bewährt, was ist tragfähig, was ist zeitbedingt? Wo ist die ältere Liturgie stimmiger? Die aus der „Konserve“ wiederbelebte außerordentliche Form könnte auch einen Feinschliff gebrauchen, warum nicht auch die ordentliche Form? Das ist ein weites Feld, wo ich „Stückelei“ als kontraproduktiv empfinde. Es kann ja nicht sinnvoll sein, dass bei jeder neuen liturgischen Reform weitere "außerordentliche" Formen entstehen. Stell man sich einmal vor, es gäbe wirklich die Reform der Reform ... und ein namhafter Teil der Priesterschaft fordere die Zelebration nach dem Messbuch Paul VI. als zweiter außerordentlicher Form des röm. Ritus. (So abwegig ist das nicht, wenn man an die Einführung (und Einmottung) des neuen Begräbnisrituale vor einigen Jahren denkt.)

Dabei bin ich durchaus offen für Veränderungen der Gebetsrichtung. Warum sollten Teile der Messe nicht „gen Osten“ gebetet werden? Der Gedanke, dass Christen sich nicht zum geschlossenen Kreis zusammenschließen, der sich ausschließlich gegenseitig anschaut, sondern dass wir Gottesvolk sind, im Aufbruch zum Oriens, zum kommenden Christus, der uns entgegenkommt (Joseph Ratzinger), ist doch eindrucksvoll und stimmig. Aber kann eine solche Haltung nicht auf unterschiedliche Weise Ausdruck finden? Mein Eindruck ist auch, dass die Liturgiker von heute in dieser Frage eine größere Offenheit vertreten als dies in früheren Jahren der Fall war. 

Weiterführend ist ja auch der Gedanke, dass die Feiernden den Altar, der DAS Symbol für Christus ist „umstehen“. „Der Hauptaltar muss so angeordnet und gestaltet sein, dass er stets als ein Zeichen Christi erscheint, als der Ort, an dem die Heilsmysterien gefeiert werden, und gleichsam als die Ehrfurcht gebietende Mitte der versammelten Gemeinde." So heißt es in der Instruktion „Eucharisticum mysterium“ von 1967. 

Mir greift die Bemerkung "orientierte Zelebration" zu kurz, wenn es bedeuten soll, die Gebets"richtung" des Priesters schlicht um 180 Grad zu verändern. Ich kenne sehr wohl Priester, die "orientiert" zelebrieren und zwar wirklich zum Herrn hin, ohne mit mir in eine Richtung zu schauen... Es ist für mich auch weniger eine Frage wo und wie die Füße stehen, sondern wo Herz, Sinn und Geist sind...

Ganz ähnlich wird das ja auch von der Kongregation für den Gottesdienst  im September 2000 gesehen, dass die physische (topographische) Ausrichtung von der geistlichen (theologischen) unterschieden werden muss. Wenn der Priester versus populum feiert, solle seine geistliche Ausrichtung genau wie die der Gemeinde doch immer versus Deum per Iesum Christum (auf Gott hin, durch Jesus Christus) sein (zitiert aus Wikipedia).

Die Gleichsetzung: Zelebration zum Volke hin = der feiernde Mensch steht im Mittelpunkt und Zelebration nach Osten = der wiederkommende Herr steht im Mittelpunkt, greift mir zu kurz. Mir ist das zu oberflächlich und ich vermute und hoffe, dass auch der Kardinal das in seinem Vortrag differenzierter dargestellt hatte.

Letztlich kommt es in der Liturgie auf Kommunikation an und durchaus auch auf kulturell geprägte Verständnisse. Das dürfte dem Afrikaner (Guinea) Robert Sarah doch aus eigener Erfahrung kennen. Gottesdienst ist Kommunikation. Kommunikation mit Gott und Kommunikation unter den Menschen. Ich finde, beides muss sich im Gottesdienst die Waage halten. Gottesdienst ist kommunikatives Geschehen, nicht nur im Moment der Predigt. Und diese Kommunikation muss immer und deutlich spürbar ausgerichtet sein, auf den Vater im Himmel, durch den Sohn im Hl. Geist. Das gelingt nicht immer, und sicher gibt es Priester, bei denen die Aufmerksamkeit der Feiernden erst einmal in der Priestergestalt hängen bleibt. Und andererseits gibt es auch Priester, die sich in der Kommunikation mit Menschen schwer tun, sei es mit Einzelnen, sei es mit Gruppen. Auch sie brauchen den notwendigen Raum in unseren Gemeinden. Es ist wichtig, dass sich jeder, der im liturgischen Raum aktiv ist, immer wieder selbstkritisch fragt und auch befragen läßt: wer und was steht hier im Zentrum oder im Focus, Gott; sein Wort; die Anbetung … oder ich und „meine Art“ zu predigen, zu beten, Liturgie zu feiern. Bin ich wirklich durchlässig – auf Gott hin?

Ich glaube, dass eine neue liturgische Reform eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit wäre. Die braucht Zeit und Vorbereitung, Studium und Katechese. Die Erfahrungen der 60er/70er-Jahre sollten uns da wachsam und zurückhaltend machen. Der Komplex eignet sich jedenfalls nicht für eine derartige „Hauruck-Aktion“. Ich fürchte, dass die Einlassung von Kardinal Sarah nicht zu einer ergebnisoffenen Diskussion dieses spannenden Themas führt, sondern die bestehenden Verhärtungen eher noch verstärkt. 

Dieser Vorstoß ist eine vergebene Chance. Sehr schade!

Hier in englischer Sprache eine (nicht autorisierte) Mitschrift der Worte von Kardinal Sarah: http://www.catholicworldreport.com/Blog/4902/cardinal_robert_sarahs_address_towards_an_authentic_implementation_of_sacrosanctum_concilium.aspx

Nun gibt es den Text auch übersetzt: http://www.kathnews.de/auf-dem-weg-hin-zu-einer-authentischen-umsetzung-von-sacrosanctum-concilium

Eine Reaktion auf Kard. Sarah durch den Erzbischof von London: http://www.catholicherald.co.uk/news/2016/07/11/cardinal-nichols-discourages-priests-from-celebrating-mass-ad-orientem/