Donnerstag, 22. Juli 2021

Verwirrende Vielfalt: von alten und neuen, ordentlichen und unordentlichen Messen

Es kündigte sich schon seit Wochen wie Donnergrollen am Horizont an: „Papst Franziskus wolle die sogenannte „Alte Messe“ ganz verbieten.“ Er sei von je her ein Feind der Tradition oder könne als Papst vom anderen Ende der Welt die Debatten darum in ihrer Tiefe und Ernsthaftigkeit nicht nachvollziehen. 

Vorsorglich erschienen auch schon rührende Filmchen mit jungen Leuten, die den Papst bestürmten, ihren die „Alte Messe“ nicht zu nehmen und lange Artikel, die die sattsam bekannten Argumente bekräftigten, die für einen Erhalt der „alten“ lateinischen Liturgie nach den Messbüchern von 1962 sprechen.

Ein Kernargument, das dabei immer wieder genannt wird, ist der weltweite „Erfolg“ der Gemeinschaften, die in ihrer kompletten Liturgie auf diese „alten“ liturgischen Bücher zurückgreifen, das Wachstum entsprechender Orden und Priestergesellschaften und Gemeinden. Auch wird immer wieder betont, wie sehr in den Hl. Messen nach dem bisher so genannten römischen Ritus in der außerordentlichen Form, auch junge Menschen und junge, kinderreiche Familien präsent seien. 

Als Pastoralreferent, der sich sehr für liturgische Fragen interessiert und auch das Gespräch mit konservativen und traditionell-traditionalistischen Katholiken schätzt, interessiert mich diese Thematik durchaus. Ich besuche bei Gelegenheit auch die tridentinische Messe, mich stört dabei nicht, dass der Priester sie mit dem „Rücken zum Volk“ zelebriert. Das tue ich als Pastoralreferent bei Wortgottesfeiern und Andachten auch – dort wo es stimmig ist. Darüber könnten wir auch im Rahmen der Messe durchaus mal nachdenken.

Inzwischen hat der Papst ein „Motu proprio“, ein päpstliches Schreiben veröffentlicht, mit dem Titel „Traditionis custodes“. Im Vergleich zu manchen anderen päpstlichen Schreiben ist dies erfreulich knapp und klar gehalten. Er erklärt darin das nach dem 2. vatikanischen Konzil 1970 erschienene Messbuch zur einzigen legitimen Ausdrucksform des römischen Ritus. 

Papst Benedikt hatte 2007 ein gleichrangiges päpstliches Scheiben herausgegeben unter dem Titel: „Summorum pontificum“. Mich hatte damals sein Argument überzeugt, dass die Liturgie, die den Menschen über Jahrhunderte heilig war, nicht per Dekret und Liturgiereform wertlos geworden sei. Sie sei auch nie verboten worden. Und es liegt doch auf der Hand, dass die heute gefeierte Liturgie ihre Wurzeln in einer (dieser) jahrtausendealten Tradition hat. Um diese angemessen zu verstehen, muss man diese Wurzeln erkunden und erkennen. Daher hat der Papst damals den Priestern großzügig erlaubt, die Messbücher vor der Reform von 1970 zu verwenden und in dieser Form zu zelebrieren. Der Papst schuf eine besondere Interpretation des römischen Ritus (ist gibt in der katholischen Kirche noch einige weitere Riten, wie den byzantinischen, den toledischen, den mozarabischen...), wonach dieser wichtigste Ritus zwei Formen kennt, nämlich die ordentliche Form (wie wir sie kennen) und die außerordentliche Form. Der Papst wollte hiermit ausdrücklich einen liturgischen Frieden ermöglichen und allen, die an der alten Form festhalten wollten bzw. diese neu für sich entdeckt hatten, großzügig Möglichkeiten zu ihrer Feier einräumen. Auch wollte er sicher die Türen für die Piusbruderschaft öffnen und hoffte auf eine Rückkehr der verlorenen Schäfchen. 

Für mich war „Summorum pontificum“ immer eine Übergangslösung, denn bei einer Koexistenz zweier Formen konnte es nicht wirklich bleiben. Vermutlich war das aber eine salomonische Lösung, um einige schwelende Feuer zu löschen. Auch hoffte der inzwischen emeritiert Papst offenbar darauf, dass sich damit auch die Tür für eine Reform der Liturgiereform öffnete. Denn auch die erneuerte Liturgie ist den Erwartungen und Hoffnungen nicht gerecht geworden. Auch ist das ein oder andere sicher mit heißer Nadel gestrickt oder sehr von persönlichen Überzeugungen einzelner Autoren geprägt. Die Verwendung der Volkssprachen bringt es natürlich mit sich, dass liturgische Sprache weit schneller veraltet als die Verwendung des Latein, das keine dynamische Entwicklung mehr kennt. 

Schon recht bald nach Summorum pontificum wurde deutlich, dass ein Rückgriff auf die liturgischen Bücher von 1962 (letzte Neuauflage des Messbuchs), noch weitere problematische Seiten hatte. Man kann sagen, dass diese ja dann eine seit 1962 unveränderte „Konserve“ waren, was Leute, die darin die unveränderte und unveränderliche „Messe aller Zeiten“ sahen, ja kein Problem darstellte. Aber aus Sicht der Gesamtkirche ergab sich durchaus die Notwendigkeit maßvoller Anpassungen, z.B. durch die Aufnahme neuer Heiligengedenktage und die Beseitigung sehr problematischer Texte, die durch neue lehramtliche Entwicklungen (gerade durch das 2. Vatikanum) überholt waren. 

Die unterschiedliche Leseordnung und ein unterschiedlicher liturgischer Kalender erschweren das Miteinander beider Formen darüber hinaus auch sehr konkret. 

Es wird gern betont, dass während des ganzen Konzils ja die Hl. Messe nach eben diesen Büchern gefeiert wurde und dass die daher den Beschlüssen des Konzils gar nicht widersprechen könnten. Aber die Liturgiereform des Jahre 1970 geht ja unzweifelhaft auf das 2. Vatikanum zurück und auf die dort erkannten Probleme und Schwächen der überlieferten liturgischen Formen. Die weit überwiegende Mehrheit aller Bischöfe der Weltkirche sah die dringende Notwendigkeit einer Reform. Kann es dann angemessen sein, weiter an jedem kleinen Detail der alten Liturgie festzuhalten? Wenn man die konkreten Reformen unter Papst Paul VI. für misslungen oder völlig überzogen hält: Welche Vorschläge gibt es dann für eine Reform in der sich Tradition und Fortschritt besser die Waage halten. Und würde die in der aktuellen „Gefechtslage“ wirklich allgemein akzeptiert? Je länger man nun die Situation aufrecht erhält, altrituelle Gemeinden neben „normalen“ Gemeinden zu haben, desto stärker entwickelt sich die Schere auseinander, denn man kommt sich nicht näher, sondern vergrößert nur die eigene Anhängerschaft – bis einmal das wirkliche Schisma zu konstatieren ist. Kein Wunder, dass das Dubium zur Feststellung eines „Schismas“ in Deutschland eben aus dieser altrituellen Szene kommt. 

Ein Kernthema des Konzils und der Liturgiereform war die lebendige Teilhabe der Gläubigen an der Feier der Liturgie. Wie ich aus vielen Gesprächen weiß, war gerade dies die Kernfrage der liturgischen Bewegung seit den 1920er Jahren. Hier haben viele Akteure Wesentliches dazu beigetragen, die Liturgie den interessierten Personen zu erschließen. Ich nenne nur die Namen Anselm Schott, Romano Guardini oder Odo Casel. Es sind großartige Messbücher entstanden, die die Texte der Liturgie und ihre Gedanken für die einfachen Gläubigen erschlossen. Das war für viele von Ihnen eine echte Offenbarung, ich kannte viele Priester, deren Berufung hier ihre Wurzeln hat. Leider sind sie inzwischen alle verstorben. Die kraftvolle Jugendbewegung von den 1920er Jahren an bis in die Nazizeit hat hier sehr lebendige Wurzeln. 

Doch irgendwann stellte sich die Frage, ob die reine Übersetzung ausreichend ist. Wenn man schon übersetzt, warum dann nicht mehr lebendige Sprache. Zumal ja Latein mitnichten die Sprache Jesu war, sondern die Sprache des Pilatus aber natürlich auch der jungen Kirche Roms. Viele Basistexte der katholischen Tradition sind in Latein verfasst. Folgerichtig betonte auch das 2. Vatikanische Konzil die Bedeutung der lateinischen Sprache. Trotzdem muss man sicher mit Bedauern feststellen, dass diese Sprache sogar in Rom selbst an Bedeutung verloren hat. Selbst unter den Bischöfen wird kaum noch jemand spontan in lateinischer Sprache sprechen und korrekt formulieren können. 

Wenn man ehrlich ist und ich habe mit vielen älteren Menschen über die Kirche ihrer Jugend gesprochen: Im Wesentlichen bestand die Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie der katholischen Kirche vor der Reform in Anwesenheit und Gebet. Die lateinische Sprache verstanden nur sehr wenige Personen, durch Rosenkrangebet und Volksgesang versuchte man, die Gottesdienstbesucher dabei zu halten. Heute noch künden die baulichen Formen der Kirchen dieser Zeit mit geschlossenen Chorräumen und Lettnern davon, dass Liturgie im Wesentlichen die Kleriker, Ordensleute und Ministranten einbezog, das Volk dem beiwohnte. Die Vielfalt der Kunstwerke in einer Kirche diente auch der Beschäftigung und der Prägung der Gläubigen mit religiösen Bildern und Geschichten. Papst Pius X. sorgte mit seinen liturgischen Reformen dafür, dass wenigstens ab und an die Hl. Kommunion empfangen wurde. Wie auch immer man diese Zeit der Kirche betrachtet, man kann die vielen Schwächen nicht übersehen, die zur großen Liturgiereform geführt haben. 

(Vermutlich macht es an dieser Stelle Sinn, eine kritische Anmerkung eines fb-Freundes zu zitieren: "Es ist keine passive Teilnahmslosigkeit - wenn man als Gläubiger schweigt, kniet, betrachtet, betet - ganz im Gegenteil - hier wird dem Gläubigen Gott offenbar." Ich stimme ihm zu, tätige Teilnahme beschränkt sich nicht auf Aktivität, die genannten Formen und Haltungen gehören selbstverständlich auch dazu. Ich habe versucht, dies in den abschließenden Zeilen meines Beitrags auszudrücken.)

In der Diskussion um die „Alte Messe“ wird häufig angemerkt, dass diese ja von „Missbräuchen der Liturgie“ weitgehend frei sei. Kürzlich schrieb mir jemand, dass höchstens eine von zehn Messen, die sie in normalen katholischen Kirchen besuche, frei von Unregelmäßigkeiten und Missbräuchen sei, kaum ein Priester zelebriere treu nach dem Messbuch. Auch Papst Franziskus beklagt dieses Phänomen in „Traditionis custodes“. 

Mir geht dazu durch den Kopf, dass dies vermutlich mit dem Bemühen der Geistlichen zu tun hat, die Menschen in der Kirche anzusprechen, sie durch Singen, Bewegungen, Sprache, Aktionen innerlich (manchmal auch oberflächlich) anzurühren und die tätige Teilhabe an der Liturgie nach Kräften zu fördern. Mancher gerät dabei auch hier oder dort an Grenzen. Oder übertritt sie. Das zeigt, dass die Liturgiereform von 1970 bei allem Bemühen durchaus Schwächen hat, an denen man arbeiten müsste. Es wäre sicher interessant, zu erfahren, warum die Priester so oft sehr frei mit der vorgegebenen Liturgie umgehen. Auch wäre es wichtig die Kritik derjenigen zu hören, die sich eine Liturgie nach den Regeln der Kirche wünschen. Da sind auch die Rückmeldungen der Freunde der alten Liturgie sicher wertvoll. Leider ist nach meiner Wahrnehmung die Bereitschaft, die selbst gefeierte Liturgie und Predigt einer kritischen Reflexion (durch Rückmeldungen der Mitfeiernden) zu unterziehen sehr gering. Auch auf Seiten der Gläubigen selbst tut man sich mit qualifizierten und kritisch-wertschätzenden Kommentaren schwer. 

Bei der Feier der „alten“ Messe gibt es ja keine Notwendigkeit, die vorgegebenen Texte spontan zu verändern. Und den weitaus meisten Zelebranten dürften auch die sprachlichen Fähigkeiten fehlen, spontane lateinische Texte zu formulieren. Kein Wunder, dass da keiner über Missbrauch klagt.

Unter den Anhängern der überlieferten lateinischen Liturgie löste Papst Benedikt XVI. 2007 eine große Freude aus. Sie nutzen die Möglichkeiten, die sich ihnen boten konsequent aus. Viele traditionelle Priester boten einzelne Messen in der außerordentlichen Form in den Gemeinden an oder zelebrierten privat in dieser Weise. Zwei Hoffnungen blieben jedoch bis heute unerfüllt: Es gab keine „Versöhnung“ zwischen beiden Ritusformen und kein „aufeinander-zu“. Selbst mäßige Reformen für die überlieferte Form wurden abgeblockt oder heiß diskutiert (wie z.B. um die mehr als notwendige (und doch verunglückte) Veränderung der Karfreitagsfürbitte „für die Juden“). Selbst die von Benedikt XVI. formulierte Form wurde teilweise abgelehnt, die Diskussion darum gefährdete die mühsam errungenen Fortschritte im jüdisch-christlichen Dialog. Für Leute wie mich waren diese Diskussionen über die Legitimität weiterer Reformen durch die Päpste seit Pius X. so aufschlußreich wie spannend. Manch einer lehnte darin selbst das Messbuch von 1962 ab und machte sich auf die Suche nach älteren Versionen. Ich habe sogar einige ältere Messbücher dafür vermitteln können. 

Befremdlich ist für mich die Information, dass in manchen katholischen Kirchen, wo in beiden Formen des lateinischen Ritus zelebriert wird, auch zwei Ziborien im Tabernakel aufbewahrt werden, als sei die Gegenwart Christi dort geteilt. Nach Summorum pontificum schlug mal jemand vor, dass Priester, die ausschließlich im „vorkonziliaren Ritus“ zelebrierten (z.B. in der Petrusbruderschaft oder auch Piusbruderschaft) doch in einer Messe mit dem Bischof in der ordentlichen Form zur Kommunion gehen mögen. Der Ideengeber wollte wohl darauf hinweisen, dass es unter jenen auch welche gibt, die die reformierte Liturgie für so fehlerhaft halten, dass sie sie gar nicht als legitime Liturgie der Kirche anerkennen. Und in der Tat klingen viele Wortmeldungen aus dieser Szene (hier dann oft auch von Laien) genau so. 

Es ist auch davon auszugehen, dass Wortmeldungen in dem Ton, wie man sie immer wieder in Diskussionen um die Bedeutung der „alten Messe“ oder die wahre Form der Kommunionausteilung zu hören bekommt, auch massenhaft auf dem Schreibtisch der Bischöfe landen und so das Bild prägen von jenen, die dieser Form der Liturgie anhängen. Mich persönlich nervt und verletzt es ab und an, wenn mir immer wieder vorgehalten wird, dass es nur eine wahre Liturgie gibt, dass diese von den Liberalen „bekämpft“ würde, dass Priester, die sich um eine besonders volksnahe Liturgiegestaltung bemühten, den Glauben verloren hätten, dass Priester, die aus gesundheitlichen Gründen nicht knieen keine Ehrfurcht hätten, dass Partikel der Hl. Kommunion in den Schmutz getreten würden und und und... Als Pastoralreferent bin ich noch dazu ja sowieso eine Erscheinungsform „des Konzils“ und mehr dem „Geist“ als dessen Buchstaben zuzuschreiben. Und schließlich ist meine Frömmigkeit defizitär. Manchmal fühlt man sich wie Hase und Igel... Ich bin ein großer Freund von Wallfahrten, ich mag auch traditionelle Gottesdienstformen und die religiöse Ästhetik der Jahrhundertwende, ich möchte die guten Seiten der traditionellen Volkskirche bewahren und bete häufig zur Gottesmutter. Für viele „Liberale“ bin ich da schon verdächtig und gelte als erzkonservativ. Aber manche „Tradis“ wissen allzu genau, dass meine Frömmigkeit ja völlig wertlos ist, ja in Teilen „dem Herrn ein Greuel“. 

Die allerlautesten Kritiker des amtierenden Papstes finden sich interessanterweise auch ausdrücklich unter jenen, die die erneuerte Liturgie ablehnen oder sehr kritisch sehen. Leo Kardinal Burke ist da sicher der prominenteste Kopf. Kardinal Sarah ist da zurückhaltender, aber gerade jetzt fühlt er sich genötig auf Twitter zu erklären, dass für ihn Inkulturation bedeutet, dass die afrikanische Kultur in der Liturgie „getauft“ und seine Kultur ins Göttliche erhoben wird. Natürlich ist das nicht verkehrt, aber doch nur ein Pol der notwendigen Diskussion über Inkulturation. Für Sarah sei die Liturgie nicht der Ort, die afrikanische Kultur zu fördern. Ich sehe solches Denken als eine Wurzel einer Bewegung, die der Kirche und den First Nations in Kanada am Ende die Residential Schools eingebracht hat. 

Mit erstaunlicher Deutlichkeit trägt Papst Franziskus den Bischöfen auf, darauf zu achten, dass die Feier der alten Form der Liturgie nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung des 2. vatikanischen Konzils und der späteren Liturgiereform verbunden ist. Er legt die Verantwortlichkeit hier unmittelbar in die Hand der Bischöfe zurück. Da die Freunde der alten Liturgie zuvor durch „Summorum pontificum“ ein Art Recht auf diese Zelebrationsform erhalten hatten, ist nun die Sorge groß, dass der Bischof stärker hereinregiert. Es ist nachvollziehbar, dass der Gehorsam gegenüber dem Bischof weit konkreter und persönlicher ist als der Gehorsam gegenüber dem „ewigen Lehramt des Papstes“ und der „Tradition der Kirche“. 

Trotzdem ist davon auszugehen, dass sich zunächst einmal für die Gläubigen und Gemeinschaften, die die alten Formen schätzen, nichts verändern wird. Der Bischof von Bayonne hat ein Schreiben aufgesetzt, dass die Wertschätzung für die Entscheidungen des Papstes und die Wertschätzung für die altrituellen Gläubigen ohne jede Polemik und Schärfe verbindet. Der beste Text dieser Diskussion bisher!

Leider scheint eine lautstarke Mehrheit jener, die sich kritisch zu „Traditiones custodes“ zu Wort melden, genau die benannten Sorgen von Papst Franziskus zu bestätigen. Politisch – strategisch kann man manche Stellungnahme nur unklug nennen (um nicht dumm zu sagen). Wer sowieso schon einen kritischen und liberalen Bischof hat, gibt dem reichlich Argumente an die Hand. Trotz aller Beteuerungen, dass man treu zu Kirche, Papst und … naja … auch Bischof stehe. Ein wunderbares Beispiel dafür zeigt sich in den aktuell beliebten Schriftbändern auf facebook – Profilbildern. „Latin mass matters“, frei angelehnt an „Black lives matters“ oder vermutlich noch eher „All lives matters“. Es ist schon verwunderlich, dass der Einsatz für die „Lateinische“ Messe ausgerechnet in eine englische Parole gefasst wird. Und dies offenbar ohne zu reflektieren, dass die vielfachen zu lesenden Sprüche die auf … lives matters endeten aus politisch eindeutigen Kreisen kamen und zumeist auch das Ziel hatten das „Black lives matters“ zu marginalisieren oder diesem etwas entgegen zu setzen. Etwas, das harmlos klang, aber der Bewegung die Spitze nehmen und Aufmerksamkeit entziehen wollte. 

Natürlich kommentieren viele bekannte Stimmen mit drastischen Worten das aktuelle Geschehen. Darunter auch Fürstin Gloria, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Kardinal Zen, Kardinal Brandmüller, Maria 1.0 (überraschend, weil man doch eigentlich für die normal-fromme katholische Frau stehen will), die Piusbruderschaft u.v.m.. Durch das eingangs erwähnte „Donnergrollen“ waren viele ja schon auf Widerstand gebürstet. Recht besonnen fiel die Stellungnahme der Petrusbruderschaft aus, obwohl auch sie aus dem päpstlichen Motu proprio Vorwürfe heraushörte und sich dagegen verwahrte. Dabei muss sie sich im Wesentlichen den Schuh gar nicht anziehen... Ihre Schriften kann man auch in einer "normalen" Gemeinde bedenkenlos verwenden.  Überhaupt kommt mir in diesen Diskussionen immer häufiger der Spruch „Wem der Schuh passt...“ in den Sinn. 

Stellvertretende erwähne ich George Weigel, der u.a. so urteilt, das päpstliche Schreiben sei „theologisch inkohärent, in pastoraler Hinsicht spaltend, unnötig und unbarmherzig.“ Ähnlich klingt es im Grunde fast überall. (Vermutlich fände man eine ganz ähnliche Formulierung bei einigen Liberalen, wenn man die Diskussion um das Segnungsverbot für gleichgeschlechtliche Paare verfolgt.)

Weigels Text ist insgesamt sicher lesenswert und geht weit tiefer als manches Netzgeplänkel. „Urteile aus Rom sollten nicht auf Grundlage der Hysterie und Possen der katholischen Blogosphäre gefällt werden.“ Da hat er bestimmt recht. Allerdings war die Grundlage die Umfrage unter den Bischöfen der Weltkirche, die sicher insgesamt unverdächtig sind, allein „Hysterie und Possen“ nach Rom zu melden. Und es wurden ja auch viele Briefe nach Rom geschickt, um der befürchteten Tendenz dieser Umfrage etwas entgegen zu stellen. 

Gero P. Weishaupt, ein Kirchenrechtler und Facebook-Aktivist dreht die Problematik in einem Interview auf kath.net komplett um und schiebt dem Papst den schwarzen Peter zu. Der Hl. Vater verwende "seinen Hirtenstab als Schlagstock", damit sei er der Schuldige, wenn er die Anhänger der "Messe in der tridentinischen Form" gegen sich aufbringe, er gefährde seine Glaubwürdigkeit und Authentizität. Ein langes Interview ohne einen Hauch von Einsicht und Selbstkritik.

Es überrascht insgesamt, wie wenig nachdenkliche Stimmen zu hören sind. Aus der liberalen Szene der Kirche und den Reformbewegungen kommt zumeist: „Gut, dass diese reaktionäre Szenen begrenzt wird.“ Interessanterweise aber auch bei einer Maria 2.0 – Protagonistin und beim Münchner Geistlichen Wolfgang Rothe: „Verbote bringen nichts, wir brauchen Vielfalt, mit der „alten Messe“. Interessante Koalitionen, aber solche Stimmen werden nirgends zitiert. Da beruft man sich lieber auf Weihbischof Schneider, zitiert Papst Benedikt XVI. und Robert Spaemann oder Atheisten, die die alte Messe schätzen.

Es würde mich nicht wundern, wenn die Unkenrufe rund um Traditionis custodes am Ende zumindest teilweise zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Im Text selbst sehe ich das nicht begründet. Allein in der Festlegung, dass Pfarrkirchen nicht genutzt werden können dürfte für einzelne Kirchen Problempotential liegen, das aber ein Bischof leicht ausräumen könnte.

Warum meldet sich nicht stärker die Mehrheit jener zu Wort, die dem offensichtlichen Wunschbild des Papstes entsprechen, treu zur Kirche, loyal zu ihrer Lehre des Jahres 2021, mit dem lebendigen Lehramt von Papst und Bischof verbunden, politisch nicht allzu extrem und erklärt, was ihnen die „Alte Messe“ bedeutet, spricht wohlwollend über Schwestern und Brüder, die spirituell aus der reformierten Liturgie leben, pflegt das Gespräch mit ihnen, erkennt ihre spirituelle Kraft an, äußert Kritik liebevoll und wertschätzend und bittet den Bischof ihnen weiterhin Priester und Räume für die Feier der „alten Messe“ zu gewähren? 

Als Feld-, Wald- und Wiesen-Pastoralreferent aus der niederrheinischen Stadt habe ich das gestern mal gemacht. Einfach, weil ich daran glaube, dass die Vision von Papst Benedikt XVI. irgendwann einmal wahr werden könnte. Und weil ich an die versöhnende Kraft des Glaubens, des Evangeliums  und der Liturgie glaube. 

Warum bringen sich diese Gemeinschaften nicht geduldig (ja, ich weiß, dass viele von ihnen auch mit den Liberalen ihre schlechten Erfahrungen gemacht haben und ungerecht behandelt wurden) in ihrer zugeordneten Gemeinde ein, feiern Pfarrfeste mit und beteiligen sich an der Pfarrwallfahrt, besuchen Andachten und beten gemeinsam zum Herrn im Sakrament. 

Man muss mit dem hl. Vater konstatieren, dass die großzügigen Öffnungen von 2007 die Hoffnungen von Papst Benedikt XVI. nicht erfüllt haben.Weder von traditioneller noch von liberaler Seite. Von daher kommt mir das Motu proprio von Papst Franziskus nun folgerichtig vor. Die Koexistenz zweier Formen des einen Ritus funktionierte offenbar nicht, weil dadurch eine Konkurrenzsituation entstand. Die jeweiligen Anhänger drängten sich gegenseitig in die Rechtfertigung. Und man wollte dem jeweils Anderen zeigen, wer es besser kann. 

Der Papst hat offen gehalten, welchen Status die „alte Messe“ und Liturgie nach der Neuregelung haben wird. Eine Lösung wäre, die „tridentinische Liturgie“ milde zu reformieren und in den Rang eines eigenständigen Ritus zu erheben, der ähnlich wie die Liturgie von Toledo oder die mozarabische Liturgie ein Heimatrecht in manchen Kirchen erhält. Aber dafür wäre es im Grunde notwendig, die gültige katholische römische Liturgie in gewisser Weise als Bruch zu definieren, ein Vorwurf, den altrituelle Katholiken gern auf der Zunge tragen. Das ist also auch schwierig, aber angesichts der in der Liturgiewissenschaft auch aufgezeigten Verbindungslinien anderer liturgischer Riten oder der Ideen z.B. für einen amazonischen Ritus (oder den des Zaire), wohl nicht völlig undenkbar. 

Undenkbar erscheint dagegen, dass der klassische alte lateinische Ritus völlig verschwindet. Dazu sind die altrituellen Gemeinschaften zu stark und zu erfolgreich. Und man würde jede Brücke zur Piusbruderschaft abbrechen, die immerhin viele extreme Traditionalisten vor dem Abrutschen in ein absolutes (sedisvakantistisches) Sektierertum bewahrt.

Die kritische Sicht der sehr konservativen, traditionellen und traditionalistischen Katholiken muss auch in der Kirche insgesamt offener aufgenommen und genauer gehört werden. Sie haben wirklich etwas zu sagen und selbst das Mitteilungsblatt der Piusbruderschaft lese ich hier durchaus mit Gewinn. Sie legen den Finger in manche schmerzende Wunde. Leider vermögen ihre Antworten mich nicht zu überzeugen. Nein, die Antwort auf alle Fragen und Probleme der Kirche ist nicht die Rückkehr zur alten Liturgie und Gestalt der Kirche. Das 2. Vatikanum ist auch kein Werk diabolischer Kräfte, sondern die Reaktion auf die Moderne und eine direkte Folge davon. Die Kirche ist und bleibt Sakrament für die Welt, nicht für eine erträumte, ideale Gesellschaft und eine katholische Monarchie, sondern Sakrament einer gebrochenen Welt, in der es nicht wenige verlorene Schafe gibt, aber doch weit mehr, die im Umfeld der Herde bleiben und offen sind für das Wort Jesu, für Gebet und Gottesdienst und eine Kirche, die sich selbst nicht idealisiert, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnet. 

Hinter den Gedanken, dass alle, die die Hl. Messe mitfeiern, in das Geschehen mit einer Anteilnahme eingebunden werden müssen, wie sie damals Jesus mit seinen Aposteln im letzten Abendmahl verbunden hat, dürfen wir als Kirche nicht zurück. Wir müssen die Messe feiern mit einer inneren Anteilnahme, wie sie Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern in den Tagen seiner Gefangennahme, seiner Kreuzigung und Auferstehung verbunden hat. Wir dürfen nicht zurück zu einer Situation, wo aus Mitfeiernden Zaungäste werden, bei denen es im Grunde egal ist, ob sie der Kulthandlung beiwohnen oder nicht. Dafür ist, das musste ich im Verlauf meines inzwischen 30jährigen Dienstes für die Kirche auch erfahren, die Eventisierung der Messe kein allgemeingültiges Rezept. 

Mein Wunsch an alle, denen der Glaube an Jesus Christus als Gotte Sohn etwas bedeutet ist, dass wir miteinander alles tun, um das Wort Jesu Christi nicht um seine Kraft zu bringen. Dass wir aus unserer Mitte alles ausmerzen was unwahrhaftig, zerstritten, falsch, lächerlich oder banal ist. Dass Menschen die uns treffen nach einer Begegnung mit uns fragen: Was ist da dran am Glauben an diesen Gott, den Vater, den Sohn und den Hl. Geist. Und dass sie sich nicht abwenden, weil sie zerstrittene Freaks erlebt haben, sondern Menschen, die ihnen von Jesus erzählen, wenn es sein muss auch mit Worten. (Und bevor ich des Plagiats verdächtig bin: der letzte Satz wird dem Hl. Franziskus zugesprochen).