Montag, 17. Juli 2017

Bericht vom letzten Weg des Kardinals durch seine Stadt

Die Nachricht vom Tode Kardinal Meisners traf mich in der vorvergangenen Woche aus heiterem Himmel. Damit hatte ich nicht gerechnet, hatte der Kardinal doch soeben noch als Unterzeichner der Dubia an den Papst und der (auch in seinem Namen) veröffentlichten Enttäuschung darüber, dass der Papst die Bitte der vier Kardinäle um eine Audienz ignoriere, kirchenpolitische Schlagzeilen gemacht.  Dies empfand ich als umso erstaunlicher, als der Alterzbischof sich im Erzbistum selbst und in der deutschen Kirche offenbar überhaupt nicht mehr öffentlich zu Wort meldete. Wobei ich zu gerne wüßte, ob Kardinal Meisner die scharfe Gangart seiner Mitstreiter wohl wirklich billigte. Mit seinem Ausscheiden aus dem Amt überließ er ganz offenbar den Raum der Öffentlichkeit seinem Nachfolger und zog sich auf das Feld der persönlichen Seelsorge zurück. Einige Anekdötchen kamen an die Öffentlichkeit, hier und da zelebrierte er ein festliches Pontifikalamt und man hörte, dass er häufig im Garten des Priesterseminars anzutreffen gewesen sei. Eine Dame aus meiner Gemeinde erzählte mir von einer Begegnung im Rahmen eines Schlesiertreffens. Man habe mit dem Kardinal normal sprechen können, als einem von uns, so menschlich!

Ich glaube, diese Mischung aus klaren, eindeutigen Überzeugungen und Positionen, Einfachheit und Menschlichkeit im Umgang und der entschiedenen Förderung mancher überraschender Projekte im und durch das Erzbistum Köln war es, die mich an ihm sehr beeindruckt hat. Er war – wenn auch nicht mein Bischof – so doch etwas wie eine Vaterfigur, an der man sich reiben und aufrichten konnte. Seine Art zu predigen habe ich sehr gemocht.

Obwohl wir uns persönlich nicht kannten und ich ihm nur kurz oder mit einem gewissen Abstand begegnen durfte, entschied ich mich bald, zu seiner Beerdigung nach Köln zu fahren. Und so machte ich mich am Samstag morgen in aller Frühe auf den Weg in die alte Bischofsstadt am Rhein, zu deren Erzbistum auch mein Heimatörtchen Voerde bis 1821 gehörte. 

Um halb acht stand ich vor dem Hauptbahnhof. Vor mir gingen ein Priester in Soutane und eine Ordensschwester. Ich schloß mich denen an, denn wohin sollte ein frommes Duo an einem solchen Tag schon in aller Frühe unterwegs sein, wenn nicht in Richtung St. Gereon. 
Schon bald sah ich die kirchlichen Fahnen vor dem erzbischöflichen Haus und dem Priesterseminar. Da ich mir vorgenommen hatte, eine kleine Fotoreportage zur Beisetzung von Kardinal Meisner zu machen, ging ich dorthin, um einige Bilder aufzunehmen. 
Ich finde, es ist nicht ganz leicht, bei einem kirchlichen Ereignis Fotos zu machen. Nicht, weil sich keine Motive böten, sondern weil viele Andächtige es störend finden, wenn fotografiert wird und man ja selbst auch andächtig und betend dabei sein will. Der Blick durch ein Objektiv verstellt ja auch immer etwas die Wahrnehmung. Aber ich habe in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen es schätzen, auf diese Weise an einer solchen Feier Anteil nehmen zu können. Und dass es manche Rückmeldung gibt, die mir zeigt, dass dies nicht nur in einer eher oberflächlichen Weise geschieht. Ich lege Wert darauf, zurückhaltend zu fotografieren und nicht durch plötzliche Ortswechsel „bessere“ Motive zu erhaschen. Für manche Teilnehmer sind Fotos auch eine willkommene Erinnerung, dafür muss ich wohl den ein oder anderen „bösen Blick“ in Kauf nehmen. Und – das habe ich auch am Samstag wieder gespürt – einen Rosenkranz kann man gut beten, auch wenn man ab und an Fotos macht. Bestimmte geistliche und Gebets-Momente sind für mich in der Kirche aber fotografisch „tabu“. 

Plötzlich bog ein schwarzes Auto mit MS-Kennzeichen in die Straße vor dem Erzbischöflichen Haus ein und daraus stieg – ausgerechnet – mein Bischof Felix – beleitet von Weihbischof Hegge – aus. Diese musste ich kurz begrüßen, bevor ich meinen Weg zur Basilika fortsetzte. An St. Gereon waren die Vorbereitungen natürlich in vollem Gange, der Leichenwagen stand bereit (eine stilisierte Domsilhouette ersetzte den Mercedesstern). „Das macht sicher der Kollege Kuckelkorn“ hatte unser örtlicher Bestatter noch am Mittwoch zu mir gesagt. Und recht behalten! Auch auf der Glasscheibe im Wagen prangte das Wahrzeichen Kölns; an der Seite zwei kleine Fähnchen mit dem kölnischen Kreuz. Bis zum Beginn der Prozession blieb noch Zeit, so dass ich mich auf den Kirchhof setzte und die Stundenbuch-App für die Laudes auf dem Handy öffnete. Natürlich waren die Texte auf den Tagesheiligen, den Hl. Kardinal Bonaventura ausgerichtet, aber sie passten wie „Faust aufs Auge“ zum heutigen Anlaß. Es ging schon mit dem Hymnus los, der mit den Worten endete: 

„Nun ist die Welt nicht mehr so leer, 
nicht mehr die Last so drückend schwer: 
Der Weg zum Vater steht uns offen.“

In der Tat, der Weg zum Vater stand dem Kardinal offen, die Last seiner Jahre drückte ihn nicht mehr. Und die Welt war ihm schon zu Lebzeiten erlöst durch Tod und Auferstehung Jesu Christi. 
Besonders ins Herz traf mich aber die Kurzlesung aus dem Hebräerbrief: 

„Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach! 
Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. 
Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehren irreführen!“

Hätte der Kardinal noch kein geistliches Testament geschrieben, dieses hätte eines sein können. Nachdenklich machte ich mich auf einen kleinen Spaziergang. Hinter St. Gereon liegt ein großes Verwaltungsgebäude des (ehemals) Gerling-Konzerns mit einem schönen großen Platz. Überall wurde hier renoviert, aber zwei religiöse Kunstwerke an der Fassade stachen mir ins Auge: eine Darstellung des Hl. Martin, der den Mantel teilt und auf der anderen Seite des Gebäudes ein Ritter (St. Georg?) und direkt am Eingang eine sehr schöne Darstellung des Hl. Christopherus in Bronze. 

Als ich auf den Kirchplatz zurück kam, waren schon einige Trauergäste eingetroffen, vor der Kirche standen Mitglieder des Metropolitankapitels bereit um die Gäste zu begrüßen, viele Ordensleute waren gekommen, auch Vertreter der Grabesritter, Marienritter und Malteserritter in ihren Ordenstrachten. Für mich als Münsteraner verwirrend, waren die vielen Fahnenabordungen der Karnevalsgesellschaften. Trotz Trauerflor an den Fahnen kündeten diese natürlich mehr von Fest und Feier und eher nicht von Sammlung und Trauer. Ein spannender Kontrast! Von überall her kamen nun weitere Fahnenträger, „Ritter und Damen“, Priester und Bischöfe. Gemeinsam mit den Dommessdienern erschienen weitere Bischöfe und Kardinäle, unter ihnen auch Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Adrianus Kardinal Simonis, Alterzbischof von Utrecht, Dominik Kardinal Duka OP, Erzbischof von Prag und Primas von Tschechien sowie Peter Kardinal Erdö, Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas Ungarns. Fehlen durfte natürlich auch nicht Reinhard Kardinal Marx, als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz und schließlich der amtierende Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. Ihnen folgten zahlreiche Bischöfe aus Deutschland und Europa, unter ihnen auch Erzbischof Georg Gänswein, Bischof Franz Peter Tebartz van Elst, Bischof Walter Mixa, die aus dem Erzbistum stammenden heutigen (Erz-)Bischöfe von Würzburg, Berlin und Hildesheim. Den Hamburger Erzbischof habe ich nicht wahrgenommen. Auch war kein Einziger der anderen Kardinäle, die die Dubia an den Papst gerichtet hatten, zur Beisetzung ihres Mitstreiters gekommen. Erfreut hat mich die Anwesenheit von Bischof Clemens Pickel, Bischof von Saratow und Vorsitzenden der russischen Bischofskonferenz. 

Interessant war, wie unterschiedlich die Bischöfe auf die Menschen auf dem Kirchhof reagierten. Einige schritten „erratisch“ durch die Gruppen der Gläubigen, andere grüßten höflich, einige gingen auch sehr herzlich und freudig auf die Menschen zu, was mir besonders bei den Kölner Weihbischöfen Schwaderlapp, Puff und Schumacher auffiel. Aber auch andere Diözesan- und Weihbischöfe waren sich für ein kleines Gespräch nicht zu schade. Auch der Kölner Generalvikar Dr. Dominik Meiering zeichnete sich durch die große Offenheit und Herzlichkeit aus, mit der er die ankommenden Gäste willkommen hieß. Hier und da entdeckte ich einige facebook – Freunde und freute mich, dass es sie auch „in echt“ gab. Kurz vor dem Auszug der Prozession eilte auch Michael Hesemann auf den Platz, warf sich in die Kleidung der Marienritter der Gottesmutter von Tschenstochau. Er war soeben erst von Fatima zurückgekehrt und direkt nach Köln geeilt.
Schon hier konnte man sich in Kondolenzlisten eintragen und bekam die Lied- und Gebetshefte für den Tag. Etwa um zehn n. ach neun wurden die mobilen Lautsprecher eingeschaltet und die Übertragung des Domradios erklang auf dem Platz an der Kirche. 

In das Lied „Wir sind getauft auf Christi Tod...“ stimmte die Gemeinde unmittelbar ein und eine murmelnde Schar verwandelte sich in eine betende Menge. Etwas leise war zunächst die Übertragung aus der Kirche, aber mit dem Liederheft konnte man gut mitbeten. Auf dem ersten Blatt schaute der verstorbene Alterzbischof die Beter freundlich an, ein Bild, mitten aus dem Leben. 

In der Basilika hielt man sich treu ans Begräbnis – Rituale in der „alten“ und gültigen Fassung. Vertraute Gebete, die ich am Mittwoch ganz ähnlich auch für einen verstorbenen älteren Herrn gesprochen hatte. Das Abschlußgebet sprach sehr an: „Du hast deinen Diener Joachim zum bischöflichen Dienst berufen. … Du weißt, wie er für dich und die Menschen gewirkt hat; du kennst seinen Einsatz und die Frucht seines Mühens, du kennst auch sein Versagen.“ … Im Tod ist dieser große Mann schlicht der „Diener Joachim“. 


Unter den Gesängen der Litanei: „Maria, wir rufen zu dir!“ und „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Segen, im Kreuz ist Hoffnung...“ formierte sich die Prozession. Dem Vortragekreuz und den Dommessdienern mit drei beeindruckenden Fahnen, die von Sternen gekrönt sind, folgten die Fahnenabordungen, erst die Karnevalsgesellschaften, dann Studentenverbindungen, Schützen, weitere katholische Verbände, Ordensangehörige, Geistliche und Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle. 

Unter den Trauernden waren auch ökumenische Gäste, wie der Präses der ev. Kirche im Rheinland, der Vorsitzende der orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland und griechisch-orthodoxe Metropolit Erzbischof Augoustinos Lambardakis und der syrisch-orthodoxe Erzbischof Mor Philoxenus Mattias Nayis, die Erzpriester Constantin Miron und Dmitrij Sobolevskij u.a..

Mit Kardinal Meisner, Kardinal Woelki, Kardinal Müller, Erzbischof Lambardakis, Erzbischof Thissen und Bischof Genn waren immerhin sechs von 10 Bischöfen anwesend, die uns bereits ein geistliches Wort für die Nikolausaktion geschrieben hatten. 

Direkt vor dem Wagen mit dem verstorbenen Kardinal gingen sein ehemaliger Geheimsekretär Oliver Boss, er trug Meisners Bischofsstab und sein langjähriger Fahrer Roman Dolecki, er trug eine goldbestickte Mitra. Diese stand später mit seinem Alltagsmesskelch und der Stola auf dem Sarg. Früher trugen die Bischöfe in ihrem eigenen Bistum den Stab mit der Krümme nach vorn, waren sie in einem anderen Bistum zu Gast drehten sie diese zu sich hin. Auch Weihbischöfe trugen den Stab in der Liturgie so. Mancherorts hat sich dieser Brauch noch erhalten. Nur der Bischof als Hauptzelebrant (in diesem Fall Kardinal Woelki) führt den eigenen Stab. Als Zeichen der Trauer wird der Bischofsstab beim Begräbnis umgekehrt getragen, mit der Krümme nach unten. 

In festlicher Prozession ging es nun auf den Dom zu. Währenddessen beteten alle andächtig den Rosenkranz, der von einer professionellen Sprecherin gekonnt vorgebetet wurde. Genau so übertrug das offenbar auch das Domradio für die Zuhörer im Radio und die Zuschauer an den Computer- und Fernsehbildschirmen. Auch in der Prozession war die Tonqualität exzellent. Super! Die Nebenstraßen waren allesamt gesperrt. Am Straßenrand blieben die Menschen stehen, manche waren auch gekommen, um dem Bischof die letzte Ehre zu geben. Übervoll waren die Straßen allerdings nicht. Beeindruckend war der Zug der Priester und Diakone, die sich – vom Priesterseminar kommend – in die Prozession einreihten. Am Ende war diese fast einen km lang. Als die Kreuzträger am Dom ankamen, waren die letzen Prozessionsteilnehmer gerade mal hundert Meter von St. Gereon entfernt. 

Auf der Domplatte hatten sich die Fahnenabordungen rechts und links vom Haupteingang in zwei oder hintereinander aufgestellt. Ein prächtiges Bild! Zwischen diesen konnte ich bis fast zum Haupteingang gelangen und mit den Prozessionsteilnehmern zogen wir hinter dem Sarg in den Dom ein. Ich war glücklich und hatte nicht erwartet, im Dom noch Platz zu finden. Aber hier finden ca. 4.000 Menschen Platz. Der Münsteraner Dom wäre vermutlich schon mit den geladenen Gästen überfüllt gewesen. So fand ich einen recht guten Platz im rechten Seitenschiff unter dem Richter – Fenster mit unverstellten Blick auf den Altar und konnte der Liturgie sehr gut folgen. 

Die zelebrierenden Kardinäle und Bischöfe trugen eine bunte Mischung von Messgewändern, „Bassgeigen (wohl nicht unbedingt aus der Barockzeit)“ und „gotischen“ Caseln. Wobei „bunt“ jetzt das falsche Wort ist, war die vorherrschende liturgische Farbe doch schwarz. Bischof Milan Šašik CM von der ruthenischen griechisch-katholischen Kirche und Uschorod in der Ukraine stach in seiner byzantinischen Bischofskleidung heraus.

Zu Beginn trug der päpstliche Nuntius Erzbischof Nikola Eterovic noch einmal das schon bekannte Beileidstelegramm von Papst Franziskus vor, das schon unmittelbar nach der Todesnachricht eingegangen war. 

Musikalisch war der Gottesdienst natürlich – wie immer im Kölner Dom – grandios. Besonders beeindruckte der großartige Psalmenvortrag nach der Lesung mit dem Antwortgesang „Er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen.“ Aus der Predigt von Kardinal Erdö sind mir einige Gedanken in Erinnerung geblieben. Der Beitrag des Kardinals zur Einigung von Ost und West und der Versöhnung der Völker Europas sei kaum zu unterschätzen. Kardinal Erdö berichtete, dass die ungarischen Priester in der DDR Urlaub machen durften und dort westliche Theologie kennenlernten und dort auch eine Kirche, die viele Möglichkeiten hatte, welche in Ungarn fehlten. Auch gab es dort Ordensgemeinschaften, die in Ungarn verboten waren. In einem solchen Kloster habe er erstmals von Meisner gehört. Als Erzbischof von Berlin sei der ein großer Diplomat gewesen. Ihn zeichnete Offenheit und Unmittelbarkeit für Kinder, Jugendliche, Arme und Fremde aus. Er war, so Erdö, ein dynamischer, offener Pastor mit viel praktischem Sinn. Er habe viel Freude am Glauben und an der pastoralen Arbeit gefunden. Meisner sei mit Papst Franziskus „kongenial“ gewesen, er begründete dies mit einem Zitat aus dessen Enzyklika Evangelii gaudium. 

Offenbar war es Kardinal Erdö ein Anliegen, seinen Freund Kardinal Meisner nicht als Widerpart von Papst Franziskus erscheinen zu lassen. Daher zitiert er dessen Beileidstelegramm. Während der Liturgie habe ich den Abschluß seiner Predigt auch als Papstwort verstanden, aber offenbar stimmt das nicht. Erdö fuhr fort, nun die Trauergemeinde mit einbeziehend: „Wir haben mit tiefer Berührung erfahren, dass Kardinal Meisner während seines Stundengebetes von Gott heimgerufen wurde. In seiner Person hat uns einer der der großen Apostelnachfolger unserer Zeit verlassen.“ Bischof Genn sagte dazu: „Der Tod von Kardinal Joachim Meisner markiert das Ende einer kirchengeschichtlichen Ära, die er ganz wesentlich mitgestaltet und geprägt hat.“ Kardinal Meisner war, so Erdö, ein großer Marienverehrer. "Aus seiner marianischen Frömmigkeit bewahren wir das Vertrauen zur göttlichen Vorsehung und auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, die trotz Schwierigkeiten und Sünden den Weg der Menschheit begleitet. Bitten wir den allmächtigen und barmherzigen Gott: Schenke unserem verstorbenen Mitbruder Anteil an der Gemeinschaft der Jungfrau Maria und aller Heiligen."

Die Eucharistiefeier selbst wurde von Kardinal Woelki in sehr würdiger Weise zelebriert, zahlreiche Kardinäle und Bischöfe konzelebrierten. Unter den vielen Ordensleuten konnte man natürlich im Gottesdienst gut mitfeiern, ganz in der Nähe waren auch die Brüder und Schwestern der Gemeinschaften von Jerusalem zu sehen, die der verstorbene Kardinal nach Köln „gelockt“ hatte. Einige Meter entfernt stand ein offenbar schwules Paar, das dem Kardinal Lebewohl sagen wollte. Musikalisch rührte der vertonte Wahlspruch Meisners „Spes nostra firma“ und das vom Chor vorgetragene Weihnachtslied „Adeste fidelis“ die Herzen im Dom an. 

Nach der Austeilung der Hl. Kommunion folgte ein in konservativen Kreisen viel diskutierter Moment. Auf Wunsch von Kardinal Woelki hatte Benedikt XVI. ein Wort des Gedenkens formuliert, das Erzbischof Georg Gänswein vortrug. Dieser erwähnte die Liebe zur Kirche in den Nachbarländern im Osten und den letzten Besuch Meisners bei der Seligsprechung Bischof Teofilius Matulionis in Vilnius. Er betonte die gelöste Heiterkeit, die innere Freude und die Zuversicht, zu der dieser inzwischen gefunden habe. Obwohl es dem leidenschaftlichen Hirten zuvor schwer gefallen sei, sein Amt zu lassen. Und dann fiel in diesem Text der Begriff einer „Diktatur des Zeitgeistes“, der zu widerstehen sei. Eine Bemerkung, an deren Exegese sich aktuell viele versuchen. Es habe ihn bewegt, so Benedikt, dass Kardinal Meisner loszulassen gelernt habe und die Gewissheit gewonnen habe, dass der Herr seine Kirche nicht verlässt, auch wenn es scheine, dass das Boot schon fast bis zum Kentern angefüllt sei. Der emeritierte Papst betonte Meisners Einsatz für die eucharistische Anbetung, gegen Widerstände (mancher Experten der Liturgie und der Pastoral). Kern der Anbetung sei „eine Stille, in der nur der Herr zu den Menschen und zu den Herzen spricht.“

Insgesamt war das ein sehr persönliches Wort des emeritierten Hl. Vaters. Selbst Erzbischof Gänswein konnte bei dem Satz „er war betend gestorben“ vor Rührung nicht weiter sprechen. „Im Blick auf den Herrn und im Gespräch mit ihm“ habe Kardinal Meisner gelebt. Natürlich gab es anschließend den (fast) einzigen Applaus in dieser Feier (zuvor hatten einige Fans des Erzbischofs schon bei der Nennung seines Namens begeistert applaudiert, aber Kardinal Meisner hatte seine Gemeinde in 25 Jahren zu gut trainiert, so dass sich niemand anstecken ließ.) Es hat auch mich sehr angesprochen und war eine angemessene Würdigung durch einen persönlichen Freund. 

Ich weiß nicht, wie ich interpretieren soll, dass dieser selbst möglicherweise noch nicht zu der (von ihm selbst ja so lebendig beschriebenen) gelösten Heiterkeit, inneren Freude und Zuversicht gefunden hat, mit der Kardinal Meisner sich in die Hand Gottes gegeben hatte. Warum er, dessen Wortmächtigkeit, Poesie und Differenzierungsvermögen ich nach wie vor überaus schätze, einen so diffusen Begriff wie der einer „Diktatur des Zeitgeistes“ verwendet, vermag ich nicht zu begreifen. Was soll dieser Zeitgeist sein? Muss die Kirche wirklich widerständig zu jeder „modernen“ Entwicklung sein oder kann sie nicht auch großherzig würdigen, was in diesem Geist der Zeit dem Evangelium entspricht? Mit Christus hat Kardinal Meisner offenbar loslassen können, in der Gewißheit, dass der Herr das Boot lenkt, auch wenn wir Jünger angstvoll auf das Wasser starren, das hinein geschwappt ist; er hat loslassen können, in der Gewißheit, dass der Herr sein Wort reichlich und freudig aussät in der Hoffnung, dass es auch auf fruchtbaren Boden fällt und 100fach, 60fach und 30fach Frucht trägt. So stimmt mich dieser päpstliche Gruß ebenso froh wie traurig. Umso mehr, als seine persönlichen Worte nun von einigen Leuten genutzt werden, ihn und seinen Nachfolger gegeneinander zu würdigen. Vielleicht wäre es angemessener, in dem Text wirklich nur das zu sehen, was er eigentlich sein sollte, eine Würdigung eines großen Hirten der Kirche, ein Blick auf das Ende seines Dienstes, den dieser ja tatsächlich weit über die Grenze von 75 Jahren hinaus ausgefüllt hatte. Und wer will ernstlich bestreiten, dass in dieser Perspektive, angesichts der schrumpfenden Bedeutung des Christentums, Hirten gebraucht werden, die im Heute, die in dieser Zeit das Wort Gottes aussäen und Menschen für Christus begeistern. 

„Laß Deinen Diener in Frieden ruhen“ - so heißt es in der Liturgie der Verabschiedung weiter. Man möchte es auch manchen Kommentatoren ins Stammbuch oder Facebuch schreiben! „Nimm unseren Bruder Joachim auf und gib ihm Wohnung und Heimat bei dir. Uns aber, die zurückbleiben, stärke im Glauben, damit wir einander aufrichten und trösten. … Wir haben hier keine bleibende Stätte, unsere Heimat ist im Himmel.“

Abschließend hielt Erzbischof Kardinal Woelki noch eine abschließende Rede, in der er Vielen dankte und unter anderem formulierte, dass der zehntägige Abschied von Kardinal Meisner noch einmal wie Exerzitien gewesen wäre, die der Verstorbene dem Bistum gehalten habe. Er sei noch einmal zum Zeugen dafür geworden, dass der Tod nicht das Ende sei, sondern die Auferstehung auf uns warte. Er habe die Menschen um sich gesammelt. Es sei in dieser Zeit viel mehr als im normalen Alltag gebetet worden. Der Tag der Beisetzung habe gezeigt, wie sehr Kardinal Meisner (allen Unkenrufen zum Trotz) in Köln angekommen sei. Auch das waren sehr herzliche und persönliche Worte. 
Abschließend verwies er auf den Schrein der Hl. Drei Könige und erinnerte an das Wort des „Wir wollen hier in Köln keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem. Warum? Weil der kein Irrlicht ist. Weil der uns hinführt zu Christus, dem Herrn der Geschichte, dem Herrn unseres Lebens. Weil er uns feit vor allen Irrlichtern und Irrwegen. Wir wollen IHM allein folgen, Christus dem Herrn seiner Kirche, durch die Zeit, mit unserem verstorbenen Erzbischof, Gott entgegen. Das ist das Ziel unseres Lebens für das wir geschaffen sind und zu dem hin wir unterwegs sind.“
Erzbischofs von 1987 beim Katholikentreffen in der DDR:

Beeindruckt habe ich nach der Feier den Dom verlassen und mich auf der Domplatte umgesehen. Eine wirklich grandiose Verabschiedung, die ich nie vergessen werde. Die Mengen der Touristen mischten sich Frommen, mit Priestern, Bischöfen und Kardinälen. Gemeinsam mit Bischof Genn, Weihbischof Hegge und Generalvikar Meiering kam Bischof Tebartz van Elst mir entgegen und plötzlich stand ich vor Erzbischof em. Thissen. Der meinte, ich habe mich in den 15 Jahren seit wir uns nicht mehr gesehen hätten kaum verändert und überraschte mich mit der Frage nach meinem Gesundheitszustand. „Ich habe für Sie gebetet“ sagte er und verabschiedete sich nachdem er sich ausführlich nach Voerde, Pfarrer Möller und meiner Familie erkundigt hatte mit einer freundlichen Geste. 

Nun wurde es Zeit, für die allzu menschlichen Bedürfnisse, aber der Weg führte mich auch noch in meine Kölner Lieblingskirchen Groß St. Martin (wo die Schwestern und Brüder gerade ihr Mittagsgebet nachholten) und St. Andreas mit den Fenstern von Markus Lüpertz und dem Grab des Hl. Albert. 

Der Gang durch die Stadt mit ihrem quirligen Leben war dann noch einmal eine bemerkenswerte Kontrasterfahrung. Von dem kirchlichen Großereignis der Beisetzung des Kardinals hatten die Menschen in der Einkaufszone wohl nur am Rande oder gar nicht mitbekommen. Manche Gesichter oder manche arglose Kinderfrage ließ mich schmunzeln. Just die Zeugen Jehovas hatten ihrem Infostand die Überschrift Tod und Auferstehung gegeben. Und als der Dom um 14.00 Uhr wieder öffnete, war er wieder fest in der Hand der Touristen. Und die strömten in ununterbrochenem Strom auch durch die Bischofsgruft, die Deppenzepter mit ihren Handys in der Hand, stundenlang filmend. Allerdings wohl hauptsächlich deshalb, weil sich dort eine Schlange gebildet hatte. Sehenswertes gab es in der Krypta ja kaum. In der Mitte des Touristen-/Pilgerstroms war viel Platz für die wenigen Beter, umgeben von gemurmelten Fragen, warum man eigentlich hier unten hingeraten sei und für wen die schönen Kränze vorn bestimmt seien. In diesem Sinne hatte in Dom, Hoher Straße und Domplatte dann doch der Zeitgeist wieder übernommen. 

„Ferment der Versöhnung“ hatte Freré Roger das Wirken der Christen in der Welt einmal genannt. Ferment, das ist klein und unscheinbar – aber mit großer Wirkung. Es verwandelt die Welt von innen heraus.  Ab 14 Uhr konnte man in Köln wieder ahnen, was er damit meinte und wie groß unsere Aufgabe als Christen bleibt, durch alle Jahrhunderte hindurch. Und doch, inmitten aller Geschäftigkeit sind auch heute wieder viele Samenkörner des Wortes ausgesät worden. Ich bin sicher, das ein oder andere bringt Frucht, teils 100fach, teils 60fach, teils 30fach. 

Herr, gib Joachim Kardinal Meisner und allen Verstorbenen die ewige Ruhe. 
Und das ewige Licht leuchte ihnen. 
Lass sie ruhen in Frieden.
Amen.





Alles Wichtige zum Tode von Joachim Kardinal Meisner findet sich in dieser schönen Sammlung von Christoph Smarzoch: http://smarzoch.de/index.php?page=kardinal-meisner