Freitag, 18. Januar 2013

(un)Gerechte Prügel für die Kirche?

(c) www.ko-tropfen-koeln.de 
Der Kölner Stadtanzeiger brachte die Geschichte an den Tag: In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2012 hatte eine junge Frau, 25 Jahre alt in der Kölner Innenstadt gefeiert. Was in dieser Nacht noch geschehen ist, daran vermochte sie sich nicht zu erinnern, als sie am nächsten Tag auf einer Parkbank in Köln-Kalk erwachte. Gemeinsam mit ihrer Mutter suchte sie die notdiensthabende Ärztin Dr. Irmgard Maiworm in Köln-Nippes auf, die üblicherweise im benachbarten Bergheim praktiziert. Die Ärztin äußerte nach der Untersuchung den schlimmen Verdacht, dass jemand der jungen Frau „KO-Tropfen“ verabreicht haben könnte. Möglicherweise sei sie während ihrer Bewusstlosigkeit vergewaltigt worden. Die Betroffene erinnerte sich noch, an der S-Bahn-Haltestelle auf den Zug nach Hause gewartet zu haben. Die Ärztin hatte sie über die möglichen Folgen einer Vergewaltigung aufgeklärt und zur Sicherheit die „Pille danach“ verschrieben, um eine mögliche Schwangerschaft auszuschließen.
Zur Beweissicherung (die Substanzen, die allgemein als KO-Tropfen bezeichnet werden lassen sich im Körper nur relativ kurze Zeit nachweisen) machte sich die Praxis per Telefon auf die Suche nach einem geeigneten Krankenhaus. Doch zu ihrer Überraschung weigerten sich zwei katholische Einrichtungen, das Opfer zu diesem Zweck aufzunehmen, wohl aus Sorge der jungen Frau die „Pille danach“ selbst verabreichen zu müssen. Erst im evangelischen Krankenhaus in Köln-Kalk wurde die Frau dann umfassend medizinisch betreut. 
Auch wenn das Erzbistum und der katholische Klinikträger das Geschehene umgehend bedauerten, um Entschuldigung baten und betonten, dass hier ein Missverständnis vorgelegen haben müsse ging die Geschichte einen Tag später durch sämtliche Medien. Bistum und Krankenhausträger – wie auch zahlreiche andere kirchliche Kliniken - teilten umgehend mit, dass die medizinische Versorgung eines Vergewaltigungsopfers selbstverständlich in jeder katholischen Einrichtung gesichert sei, allerdings mit Ausnahme der Verschreibung der „Pille danach“, was das Krankenhaus aus christlichen Überzeugungen ablehne.
Trotz allen Bedauerns und aller weitergehenden Erklärungsversuche: das Bild in der Öffentlichkeit ist (wieder einmal) verheerend. Überall lauten die Schlagzeilen: „Katholische Kliniken weisen Vergewaltigte ab!“ Von „unterlassener Hilfeleistung“ und „Strafvereitelung“ ist die Rede. 
Ich möchte nun gar nicht auf die Fehler, Widersprüche und Vereinfachungen selbst in seriösen Veröffentlichungen eingehen. Den genauen Sachverhalt möchte das NRW-Gesundheitsministerium aufklären. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht allerdings keinen Grund der Sache nachzugehen. Was auch immer die Nachforschungen ergeben werden ... in den Köpfen der meisten Menschen wird hängen bleiben: Der Kirche ist die „reine, saubere Morallehre“ wichtiger als die Not eines Menschen. All die aufopfernde Arbeit zahlreicher Ärzte und Ordensschwestern, Pfleger und Pflegerinnen in der Krankenpflege, all die engagierte Hilfeleistung, das „für die Kranken da sein“ mit aller Kraft, wird in den Augen vieler Menschen nichts gelten gegen diese Schlagzeilen. 
Schon rufen wieder interessierte Kreise und die Leute an den Stammtischen und auf der Straße nach einer Trennung von „Kirche und Staat“ und der Verstaatlichung kirchlicher Krankenhäuser und weiterer Einrichtungen. 
Der bekannte Kölner Pfarrer Franz Meurer aus Köln–Vingst sagte im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: „Die katholische Kirche vertritt eine klare moralische Position. Eine solche Position läuft allerdings Gefahr, nicht verstanden zu werden. Gerade dann, wenn sie sich der Realität stellen muss, so wie es in dieser besagten Nacht passiert ist.“
Vielleicht zeigt die Situation recht eindringlich einen Aspekt dessen, was Papst Benedikt mit seinem Ruf nach „Entweltlichung“ gemeint hat. Wer in der pluralen und vielgestaltigen Gesellschaft Deutschlands eine weitgehend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung betreibt, der muss immer wieder Kompromisse machen. Im alltäglichen Leben kommt man mit der „reinen Lehre“ nicht unbedingt weiter. „Theoretisch“ ist es jedenfalls einfacher, über Empfängnisverhütung oder Lebensschutz zu sprechen, als wenn man selbst Kliniken betreibt. „Nebenan“, in der kommunalen Klinik wird nämlich als selbstverständliche Leistung angeboten, was die katholische Einrichtung aus ethischen Gründen ablehnt. Doch kann ein Rückzug aus dieser Verantwortung wirklich der richtige Weg sein? Heute betrifft es die Fragen rund um Verhütung oder gar Abtreibung, morgen geht es um Sterbehilfe, übermorgen um Euthanasie und dann?
Ohne eigene Krankenhäuser könnte die Kirche sicher leichter „klare Kante“ zeigen. In der Lehrverkündigung geht es um das „große Ganze“ und nicht um Grenzfälle, wo für komplizierte Güterabwägungen und Differenzierungen manchmal keine Zeit bleibt. Dazu sagt Pfarrer Meurer „Wer in der Gesellschaft mitspielen will, der muss die Realität anerkennen. Der muss auch demütig sein. Wir Christen haben ein Kommunikationsproblem. Für uns muss der Mensch im Mittelpunkt stehen.“
Im Grunde ist die Kirche ja Erfinderin der Sorge um die Kranken in Spitälern und Krankenhäusern, viele Ordensschwestern und -Brüder haben sich über Jahrhunderte in der Nachfolge Jesu um Kranke gekümmert, zahlreiche Heilige haben in der Krankenpflege ihr Leben hingegeben, denken wir nur an Persönlichkeiten wie Friedrich Spee in Deutschland oder Pater Damian de Veuster auf Hawai. Schon vor dem Hintergrund dieser Geschichte halte ich es für undenkbar, dass sie sich aus diesem Bereich des öffentlichen Lebens zurückzieht. 
Wohlfeil ziehen zahlreiche Kommentatoren des Vorfalls gleich Joachim Kardinal Meisner mit ins Boot, der als besonders konservativer Kirchenmann die Krankenhäuser zu solch „unmenschlichem“ Handeln gedrängt habe. Und ohne das genauer zu belegen, wird munter behauptet, dass die Kirche „Zuwiderhandlungen“ gegen die ethischen Grundordnungen der katholischen Krankenhäuser mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedrohe. Erst kürzlich sei (was die Kirche dementiert) einer Ärztin aus diesem Grund gekündigt worden. Die Sache bauscht sich mehr und mehr auf. 
Was mich wirklich betroffen macht, ist die Feindseligkeit und die Bereitschaft, völlig undifferenziert zu reden und zu schreiben, welche sich in diesen Tagen in den Diskussionsforen von Homepages und bei Facebook präsentiert. Wohlgemerkt dort, wo jede(r) mit seinem Namen für seine Meinung einsteht, nicht in anonymen Dialogforen! Kaum einmal ein Beitrag, der sich wohltuend vom „Shitstorm“ der Entrüstung abhebt. Klischees über Klischees werden ausgebreitet, an der Kirche bleibt kaum ein gutes Haar. Austritt, Austritt wird allenthalben empfohlen. 
«Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.» So beschrieb Papst Benedikt in seinem Brief an die deutschen Bischöfe nach dem Streit um die Piusbruderschaft, wie er die Eskalation des Konflikts erlebt hat. Mit Blick auf die zahllosen Kommentare unserer Zeitgenossen stimmt das auch heute wieder. Sprungbereite Feindseligkeit ist es, die manchmal denen entgegenschlägt, die sich in der Kirche engagieren und weiter zu ihr stehen. Was hat die Kirche in den letzten Jahren falsch gemacht?
Ob die Aufregung wohl kleiner geblieben wäre, wenn der Redakteur des KSTA seinen Bericht etwas weniger dramatisch aufgeladen hätte? Vielleicht hat es sich nämlich so zugetragen: Die Sprechstundenhilfe der Notdienstpraxis ruft im nahegelegenen katholischen Krankenhaus an. „Wir haben hier eine Patientin, die vermutlich vergewaltigt wurde. Sie braucht entsprechende Betreuung, sie braucht Notfallkontrazeption und eine anonyme Beweissicherung der Verbrechensspuren.“ Die diensthabende Ärztin hat darauf möglicherweise geantwortet: „Wir sind ein katholische Haus, wir können die Patientin zwar betreuen, aber eine Notfallkontrazeption ist in unserem Haus selbst nicht möglich. Finden Sie nicht, dass es sinnvoller wäre, die Patientin in ein Krankenhaus zu schicken, wo sie auch die „Pille danach“ erhält?“ Möglicherweise hat die Notdienstärztin sich gewundert, weil ihr so ein Fall noch nicht untergekommen ist und noch ein weiteres katholisches Haus angerufen und dort eine ähnliche Antwort erhalten. Der ganzen Sache wäre mit einer solchen Schilderung (die ja auch nicht unwahrscheinlich ist) etwas von ihrer die Dramatik genommen. (Nachtrag: Dass es vielleicht wirklich so war legt die aktuelle Berichterstattung des KSTA nahe: www.ksta.de/politik/-pille-danach--erzbistum-sah-sich-unter-zugzwang,15187246,21522926.html)
Egal ob es so oder anders war, jedenfalls sind wir damit bei „des Pudels Kern“. Ist es wirklich sinnvoll, ja ist es christlich, als kirchliche Einrichtung angesichts eines solchen Verbrechens eine Notfallkontrazeption zu verweigern und damit möglicherweise eine Schwangerschaft in Kauf zu nehmen? Angesichts der allgemeinen Rechtsprechung müsste eine Klinik doch mit Schadenersatzforderungen rechnen. Aber nicht nur deswegen, sondern auch aus ethischen und menschlichen Überlegungen (vom hippokratischen Eid einmal ganz zu schweigen) haben sich die meisten katholischen Krankenhäuser Wege überlegt, wie es dennoch geht und leisten jede mögliche  Hilfe. Einige Häuser sorgen sogar im eigenen Haus für die Gabe der „Pille danach“, manche vermitteln an andere Stellen weiter. Auch das betroffene Krankenhaus der Cellitinnen der Hl. Maria überläßt die Entscheidung über eine Notfallkontrazeption ausdrücklich der betroffenen Patientin, schließt in den ethischen Richtlinien auch eine entsprechende Beratung nicht aus, verweist allerdings für die Verschreibung des Medikamentes auf den Hausarzt der betroffenen Frau. 
Dennoch, ist das wahrhaftig. Die Verantwortlichen flüchten damit aus einem Dilemma. Da die Wirksamkeit der „Pille danach“ mit der vergehenden Zeit mehr und mehr sinkt, kommt es auf jede Stunde an. Ist es moralisch wirklich überzeugender, wenn eine Klinik die Gabe der „Pille danach“ durch andere Personen ermöglichst, aber nicht selbst verabreicht?
Es wäre sicher aufschlussreich, einmal eine intensive moraltheologische Abwägung der besonderen Situation anzustellen. Die ethischen Überlegungen der Klinik bleiben leider sehr an der Oberfläche. Kann es wirklich überzeugen, wenn die hohe Wertschätzung, die die katholische Kirche dem entstehenden Leben entgegenbringt und der Einsatz, mit dem sie das menschliche Leben von der Befruchtung an schützen möchte, letztlich dazu führt, dass die Kirche einem Vergewaltigungsopfer im Extremfall eine Schwangerschaft aufbürdet, mit all den furchtbaren Folgen für die Psyche und das weitere Leben dieser jungen Frau (und den Folgen für das mögliche Kind)? Wohlgemerkt, es geht hier nicht um eine Abtreibung, obwohl manche Prinzipienreiter die „Pille danach“ aus dieser Perspektive beurteilen. (Anmerkung: Soweit ich die medizinischen Informationen überblicken kann, beruht die Wirksamkeit der Medikamente auf einer Verhinderung des Eisprungs. Allerdings kann das Medikament in einem engen Zeitfenster auch die Einnistung einer evtl. schon befruchteten Eizelle verhindern. Auf eine bereits eingenistete Eizelle hat das Medikament wohl keine Auswirkung. In manchem "innerkirchlichen Diskurs" wird die "Pille danach" insbesondere aus diesem Wirkungsaspekt heraus als potentielle "Frühabtreibung" betrachtet.)
Daher schütteln über den Vorfall in Köln auch viele treue Kirchgänger den Kopf. Kein noch so trockener Theologe kann sich der Betroffenheit durch die offensichtlichen Folgen einer solchen Handlungsempfehlung entziehen: Aus einer Vergewaltigung kann so eine lebenslange Tragik und ein lebenslanges Trauma entstehen. Wer will dafür ernsthaft die Verantwortung übernehmen, wenn es möglich ist, ohne die bewusste „Tötung“ einer Eizelle, durch die „Pille danach“ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Befruchtung kommt. 
Der tiefe Hintergrund der Ablehnung von Verhütungsmitteln durch die katholische Kirche ist der Wunsch, dass aus der Liebe zweier verheirateter Menschen neues Leben entsteht. Eine größere Pervertierung dieser positiven Sicht der geschlechtlichen Liebe als eine Vergewaltigung ist doch kaum noch vorstellbar. 
Die Moraltheologie der kath. Kirche kennt ja durchaus eine Güterabwägung, wenn es um das Leben der Mutter und das Leben des ungeborenen Kindes geht. Ich erinnere mich zudem, dass sogar der Papst vor einigen Jahren einmal Überlegungen zu einem extremen Fall angestellt hat, wo er die Nutzung eines Kondoms für ethisch angemessener hielt als „ungeschützten“ Geschlechtsverkehr ohne Kondom. Als Verteidigerin des unbedingten Wertes des menschlichen Lebens möchte die Kirche das Leben von der Empfängnis an schützen. Ob es nicht auch besser wäre, mit der „Pille danach“ eine Schwangerschaft zu verhindern als später mit kriminologischer Indikation möglicherweise zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen zu sein, weil die Belastung der Frau durch die Schwangerschaft viel zu groß ist. Ist das menschlich? 
Hier sollten die Ethikkommissionen der jeweiligen Krankenhäuser noch einmal in Ruhe nachdenken. Ich bin kein Moraltheologe, aber meine (vermutlich lückenhafte) Kenntnis katholischer Moraltheologie und kirchlicher Praxis lassen mir durchaus Pfade möglich erscheinen, aus der moraltheologischen Klemme herauszukommen und Wege zu finden, die das Handeln der katholischen Kirche (nicht nur in der menschlichen Begegnung) sondern auch in der kirchenkritischen Öffentlichkeit wahrhaftiger und menschlicher erscheinen lässt.
Ich bin mir sicher, dass Joachim Kardinal Meisner den Krankenhäusern keine „ordre du mufti“ zu solchem Verhalten übermittelt hat. Trotzdem könnte es gut sein, wenn er das Versagen der Krankenhäuser benennen und dafür um Verzeihung bitten würde. Vielleicht könnte auch jemand erklären, dass man in Zukunft in so einer Situation parteilich an der Seite der Opfer stehe und mit der betreffenden Frau jeden Weg mitgeht, zu dem diese sich entscheidet, also z.B. deren Wunsch nach der „Pille danach“ in soweit akzeptiert, dass man das Medikament auch umgehend beschafft und zur Verfügung stellt und die Frau - soweit sie es wünscht - seelsorglich begleitet, um ihr zu helfen, die traumatische Erfahrung möglichst gut und unbeschadet zu überwinden. Und eine persönliche Vergebungsbitte gegenüber der betroffenen Frau (jenseits öffentlicher Berichterstattung) wäre sicher auch angebracht. Als engagierter Katholik möchte ich sie um Vergebung bitten, aus welchem Grund auch immer ihr letztlich nicht geholfen wurde.

Die ethischen Überlegungen der Kliniken im Originaltext: www.ksta.de/blob/view/21493554,17471472,data,StellungnahmeNFK.pdf.pdf

Dienstag, 1. Januar 2013

Mein erstes Mal!


Mein erstes Mal! Daher war ich etwas gespannt, als ich mich am Sonntag morgen auf den Weg nach Mariawald machte. Ich wollte an der tridentinischen Liturgie in der Trappistenabtei Mariawald teilnehmen. Ich bin 1967 geboren und getauft, also nach dem 2. Vatikanischen Konzil und mitten hinein in den liturgischen Wandel. Etwa 30 km waren zu fahren, von Udenbreth über Schleiden und Gemünd, hinauf in den Nationalplark Eifel über die wunderschöne Hochfläche „Wolfgarten“ auf dem Höhenzug des Kermeter. Etwa einen Kilometer vor der Abtei eröffnet sich in einer engen Kurve ein kurzer Blick auf die Abteikirche und die Klostergebäude. Da ich früh dran war machte ich zunächst einen kleinen Abstecher zu den Kriegsgräbern am Hang oberhalb des Klosters. So abgelegen die Abtei auch liegt, vom Krieg blieb sie (gleich mehrfach) nie verschont. Von hier aus öffnet sich heute ein schöner Blick auf die wunderbare Klosteranlage mit der von Kreuzwegstationen unterbrochenen Klausurmauer. Im vorderen Bereich die Klostergaststätte und dahinter das eigentliche Kloster, das einmal fast 100 Mönche in seinen Mauern geborgen hat. Heute sind es nach aktueller Auskunft des Abtes noch 10 Mönche und drei „Externe“, die zwar zur Abtei gehören, aber nicht mehr dort leben. 

Gegen halb zehn war ich in der Klosterkirche angekommen und erwartete mit Spannung die erste „tridentinische“ Messe meines Lebens. Mit mir war zu dieser frühen Stunde nur eine weitere Beterin vor Ort. Es war nicht gerade warm und die Kirche wurde mit einem provisorischen Gasbrenner beheizt, der kurz vor der Liturgie vom Abt persönlich beiseite getragen wurde. 
Um 9.40 Uhr waren fünf Mönche versammelt. Zwei von Ihnen, der Abt und ein etwa gleichaltriger Mönch (Br. Maria Johannes, der kürzlich seine ewige Profeß abgelegt hatte) trugen eine „altertümliche“ monastische Tonsur. Ein weiterer jüngerer Mönch (wohl der Novize) hatte ebenfalls den weißen Gebetsumhang der Trappisten umgehängt, allerdings keine Tonsur. Einer der älteren Mönche, ein ehrwürdiger bärtiger Mann, trug ein dunkles Ordensgewand. Das Stundengebet der Terz begann mit dem Ritus des Asperges, dem sonntäglichen Taufgedächtnis. Nach seinen Mitbrüdern besprengte der Abt, begleitet von einem älteren, tief gebeugten Mitbruder (Bruder Maria Bernhard) auch die versammelte Gemeinde mit dem Taufwasser. Kurz vor dem Beginn der Messe kam noch ein „gesetzter“ Mann als Messdiener hinzu.
Die fünf bzw. sechs Männer sangen einen durchaus beachtlichen Choral. Das hatte ich in Mariawald schon „spärlicher“ erlebt; hier gab es diesmal offensichtliche Freude am Choralgesang. 
Inzwischen waren in der Kirche etwa 40 – 50 Mitfeiernde versammelt, zumeist waren es ältere Leute, die mit einem älteren Schott oder einem ähnlichen Gebetbuch in die Kirche gekommen waren. Hinter mir saß ein jüngerer Mann in Soutane, der anscheinend im Kloster zu Gast war. Ansonsten war ein junges Mädchen mit seinen Großeltern gekommen. Nach kurzer Zeit fand ich mich im kleinen Messrituale der Petrusbruderschaft, das in der Kirche auslag, gut zurecht. Auch jemand wie ich, der im erneuerten römischen Ritus nach dem Messbuch Paul VI. zu Hause ist, kann sich in der tridentinischen Messliturgie orientieren. Für mich ungewöhnlich war allerdings, dass zahlreiche Texte, die man aus der ordentlichen Liturgie kennt und teilweise mitbetet hier nur vom Priester und dem Messdiener gebetet wurden. Auch ist die tridentinische Liturgie gegenüber der erneuerten Liturgie mit zusätzlichen Gebeten und Anrufungen „angereichert“. 
Das Ordinarium der Messe wurde von der Gemeinschaft der Trappisten gesungen, also Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei.
Auf „Gemeindelieder“, wie sie die Gottesdienste in unseren Gemeinden stark prägen, wurde ganz verzichtet. Die Orgel spielte nur ganz leise an, um den Mönchen den Einsatz für die gregorianischen Gesänge zu geben, nur nach der Kommunionausteilung kam sie einmal wirklich zum Einsatz. Erst zum Abschluss der Messe konnte die gesamte Gemeinde in ein Lied aus dem Gotteslob einstimmen: „Engel auf den Feldern singen...“
Beim Credo – als Wechselgesang - sangen auch einige Messbesucher hörbar mit, ansonsten beschränkte sich die Beteiligung der Gemeinde zu Beginn vor allem auf den Antwortruf „Et cum spiritu tuo“ - „Und mit deinem Geiste.“ 
Für mich ungewohnt war auch, dass das komplette Hochgebet still vom Priester gebetet wurde. Einzig die Erhebung der gewandelten Hostie gab Orientierung im Messablauf. Ein auch für mich als Neuling besonderer und erhebender Moment. Ein Mönch läutete die Kirchenglocke zur Kniebeuge des Priesters vor der gewandelten Hostie bzw. vor dem Kelch. 
Bei aller Hochachtung vor dieser Form der Hl. Messe vermisse ich persönlich die Beteiligung der Gemeinde. Es würde dieser besonderen Liturgie gut tun, wenn die Gottesdienstbesucher nicht weitgehend als Beiwohnende sondern als Mitfeiernde betrachtet würden. Ich denke, das war auch im 2. Vatikanischen Konzil ein Hauptanliegen der Konzilsväter: die tätige Teilnahme der Gläubigen. Dieses Anliegen war eine Quelle der Liturgiereform. Ob es auch eine behutsame Reform der außerordentlichen Form des römischen Ritus geben könnte, die den Freunden dieses Ritus stärkere Möglichkeiten der tätigen Teilnahme eröffnet und die Anliegen der Konzilsväter aufgreift? Ich sehe durchaus eine gewisse Gefahr, dass die Gläubigen (z.B. wie früher, den Rosenkranz betend) der vom Priester und den Messdienern gefeierten tridentinischen Messe mehr beiwohnen als mitfeiern. 
Eine interessante Erfahrung war auch die Predigt. Während die eigentliche Liturgie am Altar in der Apsis der Klosterkirche gefeiert wurde (also recht weit entfernt), kam hierzu der Zelebrant, Abt Josef Vollberg OSCO in den Raum jenseits des hölzernen Lettners zu uns Mitfeiernden. „Liebe Mitbrüder, liebe Gläubige“, so begann er nach der Verlesung des Evangeliums (von der Darstellung des Herrn) in deutscher Sprache seine Predigt. Es war mir schon vorher aufgefallen, dass die Liturgie in einem besonderen Sprechrhythmus vorgetragen wurde. Diese Art zu sprechen bewahrte er sowohl beim deutschen Evangelium als auch bei der Predigt. Es gab keinen Platz für Rhetorik oder Modulation der Sprache. Das wirkte eher befremdlich. Ich vermute allerdings, das es eine Eigenart des Mariawalder Abtes ist und weniger typisch für die „alte Liturgie“. So musste die Predigt durch ihre Inhalte wirken und weniger durch die Art des Vortrags. Es ging darum, dass Weihnachten nichts Niedliches und Kleines sei, sondern ein Anspruch Gottes an uns. „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen... er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ Während Jesus zunächst noch Zuspruch und Nachfolge gefunden habe, distanzierten sich die Bewohner von Jerusalem zunehmend von ihm und lehnten ihn ab. Daher sei sein Tod am Kreuz in diesen Worten Simeons schon vorgezeichnet. Unser Glaube erfordere entschiedene und überzeugte Nachfolge, auch Treue auf dem einmal eingeschlagenen Weg.
Dass der Priester sich nur selten der Gemeinde zuwendet habe ich persönlich nicht als störend erlebt. Oft hört man ja die Polemik, dass der Priester „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriere. Das habe ich nicht so empfunden. Auch die lateinische Sprache hinderte nicht an der tätigen Teilnahme.
Einmal prägen sich die wichtigsten Texte sicher dem regelmäßigen Gottesdienstbesucher schnell ein, andererseits hilft auch das deutsch-lateinische Missale (das „Volksmessbuch“) zu einer vertieften Mitfeier. So erschließen sich die Texte und Gebete sicher mehr und mehr. Das wäre bestimmt auch in der deutschsprachigen „ordentlichen“ Liturgie wünschenswert, denn die leichte Verständlichkeit trägt ab und an sicher zu einer oberflächlicheren Mitfeier bei, obwohl es sich lohnen würde, einzelne Texte zu bedenken und tiefer zu verstehen. Insofern kann die neue Messe durchaus von der alten Messe lernen.
Das war es nun - mein erstes Mal, tridentinische Messe live. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Mein erster Eindruck: es ist alles nicht so schlimm, wie ihre Gegner behaupten aber sie rettet wohl auch nicht die Welt und das Christentum wie ihre Anhänger postulieren. Ich denke diese Liturgie hat ihr Recht und es sollte hier und da Orte geben, wo die Menschen, die der außerordentlichen Form der Liturgie verbunden (oder noch darin verwurzelt sind) sie in würdiger Weise mitfeiern können. 
Ich merke aber, dass ich selbst in der erneuerten Liturgie vollkommen zu Hause bin und das Wechselspiel zwischen Gemeinde und Priester nicht missen möchte. Dennoch kann ich mir vorstellen, hin und wieder auch die „alte Liturgie“ mitzufeiern. Die Argumente dagegen sind manchmal etwas oberflächlich. In Mariawald scheint mir diese Form der Liturgie gut aufgehoben, zumal hier auch schon früher Teile des Chorgebetes in lateinischer Sprache gebetet wurden. Schön wäre es, wenn ein lebendiger Konvent das liturgische Leben pflegen würde. 
Doch meine Sorge um die Lebensfähigkeit der Abtei ist nach diesem Besuch nicht geringer geworden. Wenn der Konvent tatsächlich 10 Mitglieder hat, dann waren zum Ende des Jahres 2012 die Hälfte von ihnen entweder alt und krank oder sie drücken ihren Widerstand gegen die Rückkehr zum alten Ritus durch Abwesenheit aus. (Ein Trappist lebt – wie man lesen kann – als Eremit im Kloster.) Mit 10 Mönchen kann eine solche Gemeinschaft auch nicht „birituell“ sein, wie z.B. die Benediktinerabtei Niederaltaich, die im lateinischen und byzantinischen Ritus zelebriert. All das kann der Gemeinschaft von Mariawald nicht gut tun. Ob die Abtei doch die Kraft für einen gewissen Aufschwung findet? Ich würde es ihnen wünschen. (Eine Anmerkung - weil ich darauf angesprochen wurde: Mir ist natürlich bewußt, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Riten handelt (wie beim römischen und byzantinischen), sondern um die ordentliche und außerordentliche Form des einen römischen Ritus.)
Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, nach der Messe (die etwa eineinhalb Stunden dauerte) einen Besuch in der Klosterbuchhandlung zu machen. Wenn ich bis dahin noch keine Antwort auf die Frage: „Geht das eigentlich: tridentinische Liturgie ohne traditionalistische Überzeugungen und skeptischen Blick auf das 2. Vatikanische Konzil?“ gefunden hätte, hier beantwortet sich die Frage schnell. Es geht augenscheinlich nicht! Ein großer Büchertisch bietet eine ganze Sammlung „einschlägiger“ Literatur bekannter Autoren an der Grenze zwischen konservativen und traditionalistischen Überzeugungen. Auch im sonstigen, allgemeinen Bücherangebot waren mehr und mehr sehr konservative Autoren vertreten. So bleibt auch zu wünschen, dass die Bemühungen des Papstes um eine Versöhnung gewisser kirchlicher „Lager“ auch in dieser Hinsicht erfolgreich werden: Den Schatz der Tradition zu heben und dennoch in der Mitte des Gottesvolkes verwurzelt und versöhnt sein mit der Vielfalt in unserer katholischen Kirche.

Gloria.tv zeigt einen Film von einem Pontifikalamt, das Abt Josef vor einiger Zeit in Vyšší Brod in Tschechien im dortigen Zisterzinserkloster gefeiert hat. Einen Teil der Predigt hört man ab der 10. Minute: http://www.gloria.tv/?media=382378