Dienstag, 26. Februar 2013

Wie macht man in der Kirche Karriere?


„Wie macht man in der Kirche Karriere, Herr Berger?“ So lautet die Überschrift über einem Artikel im aktuellen SPIEGEL, wenige Tage vor dem Ende des Pontifikats von Papst Benedikt XVI.. Es ist gleichzeitig der Tag, an dem einer der Kardinäle, die in einigen Wochen den neuen Pontifex wählen sollen, seinen Rücktritt erklärte, weil er einigen Priestern gegenüber „unangemessenes Verhalten“ an den Tag gelegt habe. 
Papst Benedikt wollte diesen speziellen Fall von Belästigung und Machtmissbrauch offensichtlich noch vor dem Ende seines Pontifikats ahnden und die Teilnahme des Kardinals am Konklave verhindern. Eigentümlich: einem Kardinal, der sich stets distanziert gegenüber den Homosexuellen und gegen rechtliche Verbesserungen ihrer Lebenssituationen ausgesprochen hatte – werden ebensolcher Neigungen vorgeworfen. Problematisch daran ist nicht nur, dass er zölibatäres Leben versprochen hatte, sondern auch, dass er (in den 80er Jahren) vermutlich das Machtgefälle gegenüber den Studenten schamlos ausgenutzt hat. 
Das alles geschieht zu einer Zeit, wo zahlreiche Zeitungen weltweit bereitwillig die Spekulationen der italienischen Zeitung „La Repubblica“ über „homosexuelle Netzwerke“ im Vatikan verbreiten, als sei dort der Beelzebul selbst zugange. Ich glaube zwar nicht daran, aber selbst wenn, was an homosexuellen Netzwerken an sich „gefährlich“ sein könnte erschließt sich mir nicht. Wie viele Leute sind eigentlich ein Netzwerk? Gibt es sowas wie den verborgenen „Verband der dem Zölibat untreuen Schwulen und Lesben im Gebiet des Vatikanstaates“ oder kann jetzt alles und jedes als Netzwerk betrachtet werden? Woher kommt diese „Schwulenfixierung“ in der Kirchenberichterstattung?
Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück. David Berger wird vom Spiegel vorgestellt als „Kirchenkritiker und ehemaliger Theologieprofessor in Rom“. Soweit es öffentlich nachvollziehbar ist wurde Berger zwar an einer Universität in Polen habilitiert, hat aber niemals eine ordentliche Professur bekleidet, als „korrespondierender Professor“ wurde er in der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin geführt. Der Name David Berger begegnete mir schon vor Jahren in der konservativen, betont „papsttreuen“ Zeitschrift „Theologisches“, deren Schriftleiter er von 2003 – 2010 war. Er galt als einer der profiliertesten Kenner der Theologie des Hl. Thomas von Aquin und war einer der theologischen Wortführer des extrem konservativen Kirchenflügels. Nicht wenige seiner Texte werden nach wie vor von den Herausgebern der Zeitschrift „Theologisches“ im Internet bereitgestellt. Der Publizist Alexander Kissler urteilt denn auch über ein Berger – Buch aus dieser Zeit (im Vatikan-Magazin): „Der Autor des Buches, das ich gerade lese, ist Traditionalist durch und durch...“. Wer in Bergers Artikeln die Tiraden gegen liberale Theologen wie Karl Rahner, Johann Baptist Metz und Herbert Vorgrimler liest, der glaubt nicht, dass der Verfasser derselbe David Berger des Jahres 2013 ist. Ich kenne kaum eine Lebensbiografie, die sich derartig umgekehrt, quasi von innen nach außen gekrempelt hat. Aus dem ultrakonservativen theologischen Jungstar wurde der bekennende homosexuelle Kirchenkritiker (wobei das noch milde beschrieben ist). So kann man sein Buch „Der heilige Schein!“ als Abrechnung mit seinem bisherigen Leben lesen. Der Ärger über die Kirche (oder, man müsste richtiger sagen, über den speziellen „Ausschnitt“ der katholischen Kirche, in dem Berger bisher gelebt und „Karriere“ gemacht hat) führt zu einer Generalabrechnung. Man fragt sich nur: Ist das, was Berger als „die Kirche“ beschreibt, wirklich die katholisch Kirche an sich oder geht es um den engen Ausschnitt der Kirche, der er die ersten Jahrzehnte seines theologischen Wirkens gewidmet hat. Das habe ich mich aber auch schon bei den Werken anderer „Kirchenkritiker“ gefragt, insbesondere bei der Lektüre von Drewermanns „Kleriker“. Mein damaliger Pastor sagte, dass Drewermann vollkommen recht habe, allerdings beschreibe er eine Kirche, die seit 30 Jahre so nicht mehr existiere. Schade, dass sie das Niveau ihrer wissenschaftlichen Arbeit bei ihrer Kirchenkritik nicht in Ansätzen erreichen.
David Berger hat seine homosexuellen Neigungen in seinem Lebensmilieu wohl viele Jahre verbergen müssen. Nach eigener Aussage war ihm schon 20 Jahre vor seinem „Outing“ klar, dass er schwul ist und als schwuler Mann auch leben möchte. Da ist es nicht verwunderlich, dass eine so lange Zeit des Versteckens und Verbergen – müssens ihre Folgen hat. Aber ist es wirklich angemessen aus persönlichen Erfahrungen heraus die Kirche sehr pauschal und sehr einseitig zu kritisieren? Mag das auch menschlich verständlich sein, an Tiefe und Glaubwürdigkeit gewinnt seine Kritik hierdurch nicht. Das Interview macht es – wieder einmal – deutlich. Berger überzieht! 
In ähnlicher Weise hatte sich Berger eigentlich schon disqualifiziert, als er davon sprach, dass er von einer homosexuellen Veranlagung Papst Benedikts XVI. ausgehe. Belege dafür konnte er niemals anführen, allenfalls eine angebliche „Homophobie“. In einem Interview mit der tageszeitung vom 30. November 2012 erklärte Berger, es gebe „keine Neujahrsansprache des Papstes, wo er die Homosexuellen nicht nur indirekt als Menschen zweiter Klasse bezeichnet und homosexuelle Veranlagungen verteufelt werden.“ Alexander Kissler wies ihm auch hier nach, dass nichts davon wahr ist und Berger hat dem (meines Wissens) bis heute nicht widersprochen. 
Ehrlich gesagt, mir geht es mit dem David Berger nach seinem Outing genau so wie mit David Berger zu seiner traditionalistischen Zeit: ich mochte seinen Überzeugungen weder vorher noch nachher zustimmen. „Vorsicht bei Konvertiten, sie sind die eifrigsten Kirchgänger und intolerantesten Inquisitoren!“ sagt eine alte katholische Lebensweisheit. Ob sie im Falle des Kirchenkritikers und Aktivisten David Berger nicht auch ein Körnchen Wahrheit enthält? 
In seinem SPIEGEL-Beitrag bedient er allzu gern die üblichen Klischees. Erstes Stichwort: „Opus Dei“. Macht erlange man in der katholischen Kirche nur über das „Opus Dei“, auch wenn ein Engagement in dieser geistlichen Gemeinschaft nicht „zwingend“ sei, es reiche dort ab und an zu predigen oder Exerzitien abzuhalten. Selbst wenn man das von Peter Hertel zur „Heiligen Mafia“ stilisierte „Opus Dei“ nicht leiden kann, das dürfte in der Wirklichkeit der Kirche wohl maßlos übertrieben sein. Bestimmt hat diese fromme und kirchentreue Gemeinschaft ihre eigentümlichen Seiten. Aber ihr Einfluss in der Kirche ist auch lange nicht so bedeutend, wie es unterstellt wird. 
Weiter meint Berger: Wer in der Kirche etwas werden will, müsse zeigen, dass er „konservativ“ sei und das gehe durch ein Faible für die „Alte Messe“. Das widerspricht diametral den Klagen der Freunde der „Alten Messe“ in aller Welt, die sich durch die allzu liberalen Bischöfe beinahe überall behindert und unterdrückt fühlen. Ich sehe unter der Priesterschaft allenfalls Minderheiten, die sich für die außerordentliche Form des römischen Ritus interessieren. Aber ich denke, es wäre korrekter, wenn man sagen würde, dass ein „Faible für die alte Messe“ eher einer Karriere entgegensteht als sie zu befördern. 
Anders sieht es sicher mit der priesterlichen Kleidung aus. Da wird man Berger recht geben müssen, wenn er schreibt, dass der römische Priesterkragen an Bedeutung gewinnt. Wobei er hier dem Irrtum unterliegt, dass das „Kollarhemd“, der sogenannte Tipp-Ex-Kragen, der inzwischen wieder häufiger getragen wird, ein „römischer Priesterkragen“ (rundum weiß) sei. Vollends wunderlich wird es, als Berger behauptet, die „Soutane“ sei ein Bekenntnis zum Vatikan und karriereförderlich. Das ist blanker Unsinn! Priester in Soutane wird man in Deutschland von heute mit der Lupe suchen müssen. Ich kenne persönlich im Bistum Münster (mit Ausnahme der Bischöfe zu öffentlichen Anlässen) keinen Priester, der regelmäßig Soutane trägt. 
Karriere mache man in der Kirche durch „vorgebliche Demut“. So Berger über die Tricks, mit denen man aufsteigen könne. Hilfreich seien auch „mächtige Förderer“. Als Priester im Umfeld von Kardinal Meisner habe man gute Chancen. Oberflächlich betrachtet hat Berger recht. Einige Weihbischöfe des Kölner Bistums sind in der Tat inzwischen Diözesanbischöfe geworden. Diese Analyse fällt nicht schwer. Da aber Kardinal Meisner in wenigen Monaten im Ruhestand sein wird, müsste sich hieraus ja dann ein schweres Karrierehindernis für den restlichen Kölner Klerus ergeben.
Mir stellt sich die Frage, was letztendlich mit Karriere gemeint ist. Und ich stelle fest, dass es in der Kirche durchaus Menschen gibt, die etwas werden möchten und andere, für die ihr Dienst in der Kirche die einzige Karriere ist, die sie sich vorstellen können. Sie möchten der Kirche und den Menschen dort dienen, wo Gott sie hinstellt. Ein gutes Beispiel dafür ist Papst Benedikt selbst. Er verzichtet auf die machtvolle Position des Papstes und sieht das für sich selbst sogar noch als Aufstieg: „Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen’, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, mit denen ich es bis jetzt versucht habe, aber in einer Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist“ (Ansprache zum letzten Angelus-Gebet). 
Das gute Gespür für Karrieristen, das wir fast alle haben, ist auch in der Kirche ausgeprägt. Dort wo die Worte mit dem Handeln nicht übereinstimmen, verliert der Amtsträger, was allein die Bedeutung seines Amtes ausmacht: Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. So sind die weitaus meisten kirchlichen „Karrieren“ mehr dem Zufall und dem Hl. Geist geschuldet als gezielter Karriereplanung. So gelangen manchmal kluge Köpfe an die Schalthebel und manchmal Leute, die am falschen Ort sind. Die Kirche ist – leider – nicht immer die Vorfeldorganisation des Himmels. Auch in ihr läuft manches falsch, aber vieles auch richtig. Sicher kommt es – wie in anderen Bereichen des menschlichen Lebens – darauf an, mit seinen Stärken und Fähigkeiten von Entscheidungsträgern bemerkt zu werden. Eine Castingshow wie im normalen Leben gibt es dafür nicht. Man muss sich in der Pastoral (oder der Theologie) bewähren. In der Nähe eines Bischofssitzes und als publizierender Mensch fällt man eher auf, als wenn man Landpfarrer am Niederrhein ist. Aber greifen solche Mechanismen nicht überall? 
Grober Schwachsinn ist letztendlich die Berger-Bemerkung, für eine kirchliche Karriere müsse man „homophob“ sein, „absolut loyal“ (wem gegenüber eigentlich? Wenn er Gott meint oder den Hl. Vater mag das stimmen) und man müsse „auf der Klaviatur von Angst und Geheimhaltung“ spielen können. Ich bin nun seit fast 25 Jahren im kirchlichen Dienst. Ich fühle mich dort bis heute freier als unter meinen früheren Dienstgebern, Angst habe ich auch noch nicht haben müssen und Geheimhaltung gehört zu meinen täglichen Pflichten, da ich über den Inhalt seelsorglicher Gespräch eisern schweige. Was Berger damit jenseits der selbstverständlichen Vertraulichkeit solcher Gespräche meint – erschließt sich mir nicht.
Das „Interview“ gipfelt in der Bemerkung, dass Frauen, die in der Kirche etwas „erreichen“ wollen entweder austreten müssen oder sich noch ein Jahrtausend gedulden sollten. Es ist keine Frage, dass die Rolle der Frau in der Kirche besprochen und geklärt werden muss, aber, was will man eigentlich in der Kirche „erreichen“? Allgemein verbindet sich mit der Idee einer „Karriere“ die Vorstellung von Genuss, Macht und Reichtum. Niemand wird bestreiten, dass Bischöfe in Deutschland von all dem etwas haben. Macht und Einfluss sicherlich, ein anständiges Gehalt (allerdings deutlich unter dem vergleichbarer „Manager“). Aber was können sei aus all dem machen? Luxusleben – Fehlanzeige, übervolle Kleiderschränke – fast undenkbar, dekadenten Luxus mit „Wein, Weib und Gesang...?“ - unvorstellbar, Flüge „Erster Klasse“ - um Himmels Willen! 
Das Leben eines deutschen Bischofs dürfte für weit mehr als 95 Prozent der deutschen Bevölkerung das genaue Gegenteil eines erstrebenswerten Lebens sein. Und nicht umsonst erklommen auch im Jahr 2012 in Deutschland nicht einmal mehr 100 potentielle Interessenten für einen solchen Aufstieg überhaupt nur die erste Stufe der Karriereleiter und ließen sich zum Priester weihen. Schaut man einmal in die Weltkirche, so sieht es bei den Aussichten auf Geld, Macht und Einfluss eher „mau“ aus. Als Bischof in Mauretanien, Island oder Brasilien macht man nicht so viel her und lebt oft sogar auf gefährlichem Fuß. Auch wenn der Ausschluss von der Priesterweihe für manche Frauen schmerzhaft ist. „Karrierechancen“ können auch nicht der Antrieb sein, einen solchen Beruf anzustreben. Da erscheint es dem eigentlichen Sinn des Priesteramtes auch weit näher, was Kardinal Kaper kürzlich anregte, ein eigenes Dienstamt für Frauen als Diakonin, abgeleitet aus dem altkirchlichen Diakoninnenamt. Vielleicht würde ein solcher echter Neubeginn sich auch positiv auf die „männlich“ besetzten Ämter der Priester und Diakone auswirken.
Aber, noch einmal zurück zum Ausgangspunkt und zum Kernthema des Konvertiten Berger: Die katholische Kirche und die Homosexuellen. Es ist offensichtlich, dass die Kirche hier zu einer neuen Sicht und Haltung gegenüber Schwulen und Lesben kommen muss. Was spricht zunächst einmal dagegen, dass sie sich in Zukunft einmal ähnlich positiv zu einzelnen Aspekten gleichgeschlechtlicher Liebe äußert, wie sie das im 2. Vat. Konzil beispielsweise zum Islam getan hat. Oder ähnlich wie es Rainer Maria Kardinal Woelki kürzlich im Dialog mit Homosexuellenverbänden seiner Bischofsstadt getan hat oder Christoph Kardinal Schönborn mit dem Schwulen Pfarrgemeinderat. Ich glaube kaum, dass die Homosexuellenverbände von der kath. Kirche erwarten, dass sie die Speerspitze einer Gleichstellungsbewegung bildet. Aber zu Recht kann sie erwarten, dass die Kirche den Schwulen und Lesben in ihren Gemeinden soviel Offenheit entgegenbringt und soviel Lebensmöglichkeiten bietet, dass sie als Katholikinnen und Katholiken dort selbstverständliches Heimatrecht haben und es auch beanspruchen können. Und dass sie unmißverständlich „nein“ sagt zu „Homophobie“ und Diskriminierung von Homosexuellen. Das hat sie in der Vergangenheit durchaus auch getan. Um es mit den Worten von Kardinal Meisner zu sagen:  „Auch wenn ein Homosexueller die kirchliche Sicht nicht uneingeschränkt übernehmen will, können beide Seiten gemeinsame Ziele entdecken und sich zum Beispiel energisch dafür einsetzen, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden, dass abfällige Äußerungen über Homosexuelle aus unserer Alltagssprache verschwinden und dass Stammtischgeschwätz seiner Plattheit überführt wird. Ich denke, das wären lohnende Ziele.“ 
Die Kirche hat ihre Positionen, die durchaus begründet sind und die sie nicht zunächst revidieren muss. Der Papst darf katholisch bleiben! Und auch nicht jeder Schwule tritt entschlossen für die Einführung einer Homo-Ehe ein.
Die Kirche darf durchaus darauf setzen, dass eine jahrtausendelang erprobte Lebensforn auch aus sich selbst heraus Bestand hat. Der katholische Publizist Andreas Püttmann plädiert in Christ und Welt für Zurückhaltung der Kirche: „Sollte nicht gerade, wer die natürliche Anziehung von Mann und Frau in Gottes Schöpferwillen verankert sieht, mehr Vertrauen haben, dass dies auch ohne kulturelle Stützungsklimmzüge immer so sein wird?“
Es ist offensichtlich, dass ein Reformbedarf an vielen Stellen der katholischen Kirche besteht. Es wird aber nicht immer der sein, der von gewissen „Kirchenkritikern“ eingefordert wird. Und ich kann es nicht besser sagen als ein anonymer Kommentator im Internet: „David Berger erweist seinen Anliegen mit seinen übersteigerten Verschwörungstheorien einen Bärendienst.“ Vielleicht denkt er auch selbst einmal darüber nach. Aber möglicherweise betrachtet Berger das Thema Kirche im Grunde schon „von außen“. Für sich selbst scheint er keine Veränderung in der Kirche mehr zu erwarten.

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