Dienstag, 8. Dezember 2015

Eine Lanze für den Weihnachtsmann! (ausgerechnet...)

Alle Jahre wieder … kommt mit untrüglicher Sicherheit eine Kampagne gegen den Weihnachtsmann! Seit Jahren besetzt das Bonifatiuswerk diese kirchliche Nische erfolgreich mit seiner „weihnachtsmannfreien“ Zone. Gegen den fetten Typen mit Bömmelmütze und plüschbesetztem Bademantel setzt das katholische Diaspora-Hilfswerk den Hl. Bischof Nikolaus. Mehr aus dem evangelischen Raum kommt dagegen die Initiative „Wir glauben ans Christkind – Gebt dem Weihnachtsmann keine Chance“. Jahr für Jahr werden solche Grafiken unter Christen gern geteilt und weiter gereicht. 

Hochinteressant ist im wirklichen Leben das Gespräch mit Kindern darüber, wer eigentlich zu Weihnachten die Geschenke bringt, vor allem, was für Gedanken und Phantasien rund um diese geheimnisvollen Gestalten in Kinderköpfen herumgeistern. 

Quelle: Wikipedia
Ich sehe mich selbst als bekennenden Katholiken, bin wohl sogar etwas „konservativ“ angehaucht. Und trotzdem möchte ich heute eine „Lanze“ für den Weihnachtsmann brechen. Ich sehe „das Christkind“ als Gegenfigur durchaus skeptisch. (Danke an Sr. Barbara Offermann, die mich unfreiwillig auf diese Spur brachte.)

Gemeinhin gilt Martin Luther als „Erfinder“ des Christkindes. Um das Jahr 1535 soll dieser für seine Anhänger die Bescherung am Nikolaustag abgeschafft haben. Aber schon bald wurde er mit der Tatsache konfrontiert, dass sich die Leute liebgewordene Bräuche ungern nehmen lassen. Selbst wenn die geistliche oder religiöse Grundlage hierfür längst weggefallen ist. Eine Erfahrung, die schon die frühchristlichen Missionare machen mussten, die sich zumeist damit aus der Bredouille brachten, den jeweiligen Brauch zu „taufen“, ihm also einen neuen, christlichen Sinngehalt zu geben. Es ist ja kein Zufall, dass wir heute Weihnachten am Fest der Wintersonnenwende feiern. 

So sah sich Luther genötigt, den Geschenkebrauch auf das Weihnachtsfest zu verlegen (datiert wird das schon auf 1531). Als "kyndisch ding" lehnte Martin Luther auch das Brauchtum um den Hl. Bischof Nikolaus in einer Predigt zu dessen Fest 1527 entschieden ab. Die Geschenke brachte, so der erste Prediger der Reformation, daher „der Heilige Christ“, also Christus selbst, der ja der eigentliche Grund der Weihnachtsfreude sei. Daher wurden alle Schenkbräuche (auch vom Fest der unschuldigen Kinder ist ein solcher überliefert) auf den Weihnachtstag gelegt. Besonders erfolgreich war Luther mit seiner Initiative jedenfalls nicht. Selbst im eigenen Haushalt wurden noch lange Nikolausgeschenke eingekauft, wie u.a. durch Abrechnungen von 1535 belegt ist. In einem Kernland der Reformation hat sich „Sinterklaas“ bis heute erhalten und aus dem seiner Bischofstradition beraubten Nikolaus entwickelte sich als weihnachtlicher Geschenkebringer der Weihnachtsmann. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Darstellung des „Nikolaus“ im Struwwelpeter von 1845, schon fast 100 Jahre vor der legendären Coca-Cola-Reclame. Der wenig später aufblühende Postkartendruck brachte ebenfalls zahlreiche Weihnachtsmanndarstellungen in die europäische Welt. Im multikonfessionellen Amerika trat der Weihnachtsmann seinen Siegeszug an, konnte seine Wurzeln im Heiligen Klaus – Santa Claus aber nicht ganz abstreifen, während die Engländer diese Gestalt heute konsequent Father Christmas nennen. 

Ich glaube, wir Christen geben uns einer gefährlichen Illusion hin, wenn wir allzu arglos das „Christkind“ zur zentralen Figur des weihnachtlichen Festbrauchs machen. Natürlich verbinden wir Christen (das Christkind ist inzwischen ja interkonfessionell und hat seine lutherischen Wurzeln verloren) mit dem Christkind unmittelbar das Christus-Kind in der Krippe. Aber eine Bildrecherche bei Google mit dem Stichwort „Christkind“ sollte uns schnell die Augen öffnen, dass das Christkind mitnichten mit dem göttlichen Erlöser gleichzusetzen ist. Zwei Drittel aller Bilder zeigen nämlich eine Art Engelwesen, meist ein Mädchen in weißen Kleidern. Die einsame Spitze dieser Christkind-Kultur ist das Nürnberger Christkindl, eine junge Frau mit Krone im faltenreichen Goldglitterkostüm. Das ist ohne Zweifel stimmungsvoll und schön, aber ist es auch christlich? Das Christkind ist nicht weniger in der Gefahr zu einer Phantasiefigur zu werden wie der Weihnachtsmann eine ist. Ich frage mich ernsthaft: Wo ist der Fortschritt mit Blick auf die christliche Verkündigung? Wollen wir ernsthaft unseren Kindern erzählen, dass ein neu geborener Säugling der Geschenkebringer ist? Wo ist der "Mehrwert", wenn wir versuchen sollten, das Christkind gegenüber dem Weihnachtsmann zu betonen? Mir scheint es durchaus vertretbar, wenn am Weihnachtstag erzählt wird, dass die Geburt Jesu Christi ein so großes Geschenk für uns ist, dass wir das auch ganz leibhaftig erfahren möchten, dass wir "Beschenkte" sind... Oder, dass die Weihnachtsfreude uns dazu bringt, unsere Mitmenschen zu beschenken. Wenn man den Kindern schon Geschenke geben möchte ohne selbst als Schenkender im Mittelpunkt zu stehen, warum sollte nicht ein Weihnachtsmann diese bringen? Mir erscheint das nicht schädlicher, als wenn die Kinder sich eine Art Rauschegoldengel vorstellen, den man "Christkind" nennt. Die Frage ist letztlich nur, wie viel Raum wir dieser Phantasiefigur lassen.

Raum auch in dem Sinne, dass wir diese Gestalt „klein“ halten. Daher sollten wir schön weiter unsere katholischen Feste feiern und die Bräuche dazu pflegen, St. Barbara, St. Nikolaus, St. Lucia. Den Advent in seiner kargen Schönheit. Und den Weihnachtsmann, der sich wie alle Neophyten kaum ausrotten lassen wird, den sollten wir liebevoll vereinnahmen. Er hat ja schon so manchen Wandel mitgemacht und im Grunde schon ein ehrwürdiges Alter. 

Denken wir einmal an die volkstümlichen Begleiter des Hl. Nikolaus. Aus christlicher Perspektive kommt der natürlich ohne Krampus oder Knecht Ruprecht aus. Und viele christliche Nikoläuse lehnen einen solchen Begleiter ganz ab, bzw. haben ihn von der angsteinflößenden Gestalt zu einem Helfer und Diener weiterentwickelt. 

So etwas bietet sich doch auch für den Weihnachtsmann an. Warum sollte er nicht einfach ein Helfer, ein Diener Jesu Christi sein. Im „Väterchen Frost“ oder „Jultomte“ gibt es ja auch einige Wurzeln des Weihnachtsmannes, die man etwas wiederbeleben könnte. Wichtig ist, dass diese Figur eindeutig als Märchenfigur gestaltet und dargestellt wird. Und noch viel wichtiger ist, dass die wahre Weihnachtsgeschichte, in alle ihren Facetten den Kindern (und Erwachsenen) erzählt und verkündigt wird. 

(Ein nicht zu unterschätzender Vorteil solcher Märchenfiguren ist doch, dass sie den unvermeidlichen Kitsch und Kommerz anziehen, wie das Licht die Motten. Auch diese Eigenschaft sollten wir zu schätzen lernen. Es ist besser, eine Phantasiefigur verkommt, als dass ein Heiliger mißbraucht oder die Botschaft Christi verbogen wird.)

Ich glaube, der Weihnachtsmann ist nur deshalb so erfolgreich gewesen, weil er ein Bedürfnis von Kindern und Erwachsenen aufgreift. Ein Bedürfnis, das auch in zahlreichen Märchen seinen Ausdruck findet, ein Bedürfnis, das auch im grassierenden Engelglauben und in der Faszination von Mythen über Elfen, Feen, Zwerge, Heinzelmännchen und Trolle Gestalt gewinnt. Welches kleine Kind „glaubt“ heute nicht an die Zahnfee, ohne dass sich christliche Missionare bemüßigt fühlen, den Kindern diesen Irrglauben auszutreiben. Warum meinen wir dann, es sei für die christliche Verkündigung in irgendeiner Weise schädlich, wenn an Weihnachten ein Weihnachtsmann heimlich Geschenke unter dem Weihnachtsbaum plaziert? Das scheint mir weniger gefährlich, als wenn aus dem „Christkind“ etwas wird, was mit dem menschgewordenen Gottessohn allenfalls noch den Namen gemeinsam hat und von dem sich Kinder dann im etwas höheren Alter verabschieden. Wenn es völlig schief läuft, flattert möglicherweise das Christkind in trauter Eintracht mit der Zahnfee ab in das Reich ungestörter kindlicher Phantasien und Kindheitserinnerungen. 

Das dicke Ende einer solchen Entwicklung ist dann der Pfarrer, der in der weihnachtlichen Festpredigt den Andächtigen erläutert, dass der Weihnachtsbericht der Evangelien doch eher ein Märchen, denn die Schilderung einer Wirklichkeit sei. 

Ich glaube, wer ernsthaft der grassierenden Weihnachtsmannvermehrung etwas entgegen setzen möchte, der muss die tiefen christlichen Bräuche ausdauernd und liebevoll pflegen. Er muss die Botschaft Christi dem Evangelium treu verkünden und vielleicht die irrlichternde Gestalt des Weihnachtsmannes liebevoll und christlich wieder an die Hand nehmen. Niemand braucht einen Weihnachtsmann einzuführen, wenn niemand ihn vermisst. Wenn er aber auftaucht darf er sein, so wie die Zahnfee sein darf und der Osterhase... Kinder wissen und spüren meist sehr genau, dass die Realität solcher Märchenfiguren eine sehr Spezielle ist. 

Als Christen haben wir doch einen Sisyphuskampf gegen diese Phantasiegestalt gar nicht nötig. Wir können sie humorvoll und spielerisch stehenlassen und getrost warten, bis sie sich von selbst auflöst. Bis dahin: „Sei gegrüßt, lieber Nikolaus...“ und „O Heiland reiß die Himmel auf“ und wenn es sein muss auch „Stille Nacht, heilige Nacht...“. 

P.S.: Ein kleiner Hinweise für alle, die sich nicht die Mühe machen, den gesamten Text zu lesen. Er ist nicht so bierernst gemeint. Aber als engagierter Nikolausverehrer macht mir der Weihnachtsmann keine Angst. Ich glaube, wir Christen sollten gut nachdenken, wo wir unsere Energie investieren. Dazu soll dieser Adventskalendertext Anregungen bieten.

P.P.S.: Hier geht es zum Adventskalender der katholischen Blogger:
http://katholon.de/adventskalender-2015/
http://heikesanders.blogspot.de/2015/11/adventskalender-der-blogoezese-2015.html

Hier findet sich das Türchen für den 10. Dezember 2015: http://brotundglanz.blogspot.de/2015/12/das-leuchten-der-anderen.html

2 Kommentare:

  1. Es gibt immerhin ein Buch, in dem der Weihnachtsmann mir wirklich sympathisch ist - C.S. Lewis, The Lion, the witch and the wardrobe, mit dem Father Christmas als frohen, guten Gabenbringer, der sehr genau weiß, daß er nicht die Hauptfigur ist.
    Den "üblichen" Weihnachtsmann mag ich nun wirklich nicht, aber ich bin froh über diesen unaufgeregten Artikel. Hast ja Recht.

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  2. Dem kann ich insgesamt zustimmen, danke für die ausführliche Darstellung. Der einzige Punkt an dem ich widersprechen möchte, ist die Vorstellung, dass sich die Phantasiegestalt irgendwann von selber auflöst. Natürlich glauben die Kinder irgendwann nicht mehr, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt - aber er bleibt in ihrer Welt präsent durch Filme und Werbung. Und er bleibt wesentlich lebendiger und konkreter präsent als die historischen Gestalten des Jesus von Nazareth oder des Bischofs von Myra. Daran werden wir aber wohl nichts ändern, insofern habe ich durchaus nicht vor, darum zu kämpfen.
    Übrigens: ein wirklich schöner Weihnachtsmannfilm ist "Das Wunder von Manhattan" - weil es dort darum geht, dass der Weihnachtsmann eben nicht nur die Geschenke bringt, sondern ein Ideal der Güte verkörpert, das die Menschen besser machen soll. Gerade in Amerika ist das keineswegs nur eine Karikatur. Aber so kann ich Santa Claus ganz gut haben.

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