Dienstag, 27. Juni 2017

Was halten Sie von der "Ehe für alle"?

Vor einigen Wochen spülte das Internet mir folgendes Fundstück an den virtuellen Strand:
„Johannes Kram vom Nollendorfblog fragte ... ob Schiewerling "Deutschlands dümmster Bundestagsabgeordneter" sei, der offenbar "Todesangst" vor der Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben habe. Mit Blick auf Regenbogenfamilien, in denen Kinder laut Schiewerlings Antwort diskriminiert werden müssten, erklärte Kram: "Vielleicht hasst er ja einfach nur Kinder."

Schiewerling? Karl Schiewerling? Den kenne ich noch aus meiner Zeit im Diözesanforum des Bistums Münster und im Diözesanpastoralrat als klugen und bedächtigen, um Ausgleich bemühten Mann, der bei Kolping als Diözesansekretär aktiv war. Ich habe seine engagierten und abgewogenen Beiträge in allen Diskussionen immer sehr geschätzt und ihn später einmal zufällig in Dorsten getroffen, als er schon in den Bundestag gewählt worden war. Dieser Mann soll also „Deutschlands dümmster Bundestagsabgeordneter“ sein? Was hatte er wohl verbrochen?

Ich las mich also ein und musste feststellen: Schiewerling (immerhin sozialpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion) hatte grob gesagt die säkulare Fassung der klassisch - katholischen Argumentation zum Thema „Ehe für alle“ vorgetragen und zwar, dass er den Art. 6 des GG so verstehe, dass damit die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gemeint sei. Dass nur aus einer Verbindung zwischen Mann und Frau Kinder geboren werden könnten und dass die Familie die Keimzelle der Gesellschaft sei. Soweit ich mich erinnere, waren das vor noch nicht allzu langer Zeit Positionen, die man mit leichtem Gähnen als „normal“ oder meinetwegen als “CDU-Typisch“ abgehakt hätte. 

Die Art, damit umzugehen und seine Aussagen in einem Beitrag von „queer.de“ ins Skandalöse umzumünzen, hat mich aber doch erschreckt. Zumal er weder dumm noch reaktionär ist, sondern ein fortschrittlicher Sozialpolitiker mit bemerkenswerten Initiativen. In einigen Diskussionforen habe ich die Frage gestellt, was denn skandalös daran sei, wenn jemand zu den Überzeugungen stünde, die auch die hochgeschätzen Väter (und Mütter) des Grundgesetzes ihren Grundgesetzformulierungen zugrunde gelegt hatten? Die Antworten waren leider kaum besser als die Formulierungen des oben zitierten Herrn Kram. Offenbar ist in manchen Kreisen diese Haltung heute schon eine Provokation. Dialog scheint unmöglich! Oder wie es heute bei Twitter hieß: „Gegner der „Ehe für alle“ verdienen keine Höflichkeit“.

Schiewerling hatte u.a. gesagt: „Schon jetzt merken wir die demografischen Folgen einer Entwicklung, die die Kinder nicht mehr als das Deutschland von morgen sieht, sondern nur noch als optionale Addition zur Ehe und im schlimmsten Fall als Hindernis in der Karriereplanung oder als unpassend zum persönlichen Lebensstil“. 

Das mag zwar kritisch sein, aber wer will diese Entwicklung leugnen oder gar gutheißen? Ich persönlich täte mich sogar schwer von Kindern als „Deutschland von morgen“ zu sprechen. Für mich sind Kinder auch eine Berufung und erst mal zweckfrei. Ihr Beitrag zur Zukunft ist ihre Leistung und Geschenk Gottes. Karl Schiewerling ist keineswegs ein in der Wolle gefärbter Konservativer. Neben seinem sozialen Engagement war er in der Vergangenheit auch für überraschende Initiativen gut, z.B. für den Vorstoß eines Wahlrechts von Geburt an. Nichts davon ist im „Nollendorfblog“ zu lesen, ein Medium, das sich damit selbst disqualifiziert. 

Die Schärfe der Auseinandersetzung in dieser Frage, bei einer derzeit zu all diesen Themen doch eher zahmen und zurückhaltenden katholischen Kirche, macht mich immer wieder sprachlos.

Durchaus wohlwollend beobachte ich einen tiefgreifenden Wandel im Umgang der Gesellschaft mit homosexuell veranlagten Menschen, schwulen und lesbischen Paaren. Auch in der Kirche erlebe ich kaum noch Schwierigkeiten im Miteinander. Und erst recht keine „Homophobie“. Und das ist gut so! Damit möchte ich die Schwierigkeiten und Sorgen homosexueller Menschen keineswegs klein reden. Was ich als Fortschritt erlebe, kann für sie immer noch eine schwierige Situation sein. Und es gibt immer wieder Nachrichten über Diskriminierungen und Homophobie z.B. im Sport und anderen Lebensbereichen. 

Aber darum soll es ja hier auch nicht in erster Linie gehen, sondern um die Ehe für alle. 

Als in der vorvergangenen Woche die F.D.P. das Thema ganz oben auf die Agenda setzte und auch die SPD mit Kanzlerkandidat Martin Schulz darin ein bedeutsames Wahlkampfthema entdeckte, hielt ich das zunächst für einen Rohrkrepierer und war überrascht, wie hoch das Thema im Wahlkampf gehängt wurde. Ich weiß auch nicht, welche Strategie dahinter steckte, mag aber nicht recht daran glauben, das es das meistgenannte Thema bei irgendwelchen Wählerbefragungen gewesen ist. Da hätte ich eher auf Kriminalität, Sichere Renten, Flüchtlinge, Europa, Umweltthemen und gerechte Löhne getippt. 

Alles also nur ein politisches Manöver? Doch dann gab Kanzlerin Merkel mit einer ihrer überraschenen Positionierungen der „Ehe für alle“ den entscheidenden Kick, ausgerechnet mit einer wohl eher spontanen Randbemerkung im Rahmen eines Brigitte – Gesprächs. Die SPD nutze ihre Chance um diese Vorlage ins Tor zu bringen. Die ganze Angelegenheit ist politisch hoch interessant.

In Deutschland gab es 2014 etwa 41.000 eingetragene Lebenspartnerschaften. Insgesamt zählte man 87.000 gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Das bedeutet also, dass nicht einmal die Hälfte aller Paare eine solche „Ehe light“ eingegangen sind. Das deckt sich mit dem, was ich von homosexuellen Freunden und Bekannten höre. Nicht jeder will „heiraten“ (das wurde auch bisher schon gesagt), manche lehnen die Lebenspartnerschaften als spießig oder als halbherzig ab. Andere schätzen dagegen die rechtlichen Vorteile. 

Zum Vergleich: in Deutschland lebten im Jahre 2015 insgesamt 2,8 Mio. Paare in einer Lebensgemeinschaft ohne verheiratet zu sein. 8,1 Mio Familien mit Kindern wurden gezählt. Insgesamt sind 17.487.000 Paare verheiratet, Alleinerziehend sind 2.712.000 Väter/Mütter. 

Ich sag mal aus politisch-strategischer Sicht: das war ein preiswertes Projekt mit viel Aufmerksamkeit! Mehr Unterstützung für Alleinerziehende und mehr Kinderbetreuung, Kindergeld, bessere Bildung u.ä.. Das sind dagegen Jahrhundertprojekte. Aber vielleicht hat die schnelle Klärung auch sein Gutes. Vielleicht legen sich jetzt alle ins Zeug und packen die familienpolitischen Baustellen an. Aber dagegen ist das Ehegattensplittig für gleichgeschlechtliche Ehepaare „Peanuts“. 

Aber zurück zu den Lebenspartnerschaften und zur Ehe für alle. In Deutschland fehlte diesen Partnerschaften bislang wenig, die Vermeidung des Ehebegriffs was das Eine, die Möglichkeit, Kinder zu adoptieren (die nicht von einem der Partner in die Lebensgemeinschaft eingebracht wurden) war eingeschränkt. 

Adoptionsrecht und Ehebegriff sollen nun also kommen. Die Juristen streiten noch, wie und ob es ohne Grundgesetzänderung abgeht, aber wir können davon ausgehen, dass sich alle Parteien jetzt auf die Schultern klopfen und froh sind, das Thema schon im Vorwahlkampf abgehakt zu haben. Allein bei der CDU dürfte es wohl noch einige Schmerzen geben. 

Mit Blick auf das staatliche Recht kann der Bundestag natürlich jede Regelung für Paare jeder Regenbogenfarbe beschließen. Das passt auch sehr gut ins Luther-Jahr, wird doch ein Luther Wort damit vollends Wirklichkeit. Für Luther war die Ehe ein „weltlich Ding“.

Ich finde es eigentlich schade, dass die aktuelle Diskussion sehr auf das Stichwort „Diskriminierung“ zugespitzt wird. Auch Angela Merkel hat heute beklagt, dass sie sich eine Diskussion mit „Würde und Tiefe“ gewünscht hätte. Wo immer man heute über das Thema diskutiert bekommt man vorgehalten, man wolle schwule bzw. lesbische Paare „diskriminieren“. Nein, ich finde es richtig und wichtig, Diskriminierung abzubauen. Auch Papst in Bischöfe haben sich deutlich in diese Richtung geäußert. Unter Katholiken ist das Thema sowieso weitgehend durch. Streiter gegen die „Ehe für alle“ erlebe ich nur noch in virtuellen Welten und in kirchenamtlichen Stimmen.  

Für mich persönlich ist die Ehe mehr als ein „weltlich Ding“. Wir sollten nicht vergessen: Die Idee der Ehe ist aus der Religion ins staatliche Recht gerutscht. Bis heute gibt es hier zahlreiche inhaltliche und rechtliche Verbindungslinien zwischen Staat und Kirche. Daher sind sicher die Probleme kirchlicher Kreise (bei etwas gutem Willen) nachvollziehbar, zumal die Entscheidung für die „Ehe für alle“ auch das sogenannte Naturrecht tangiert, auf das sich sowohl das Grundgesetz wie auch das kirchliche Recht und die Theologie beziehen. Das wäre ein durchaus wesentlicher rechtsphilosophischer Diskurs, der hier zu führen wäre. Ich persönlich finde auch die Frage nicht unberechtigt, ob der Ehebegriff nicht auf Dauer soweit gedehnt wird (auch durch eine gewisse Ehezurückhaltung vieler Paare), dass am Ende alle Beziehungen, in denen Menschen füreinander da sind und füreinander einstehen, vom Staat in ähnlicher Weise gefördert werden. Aber vielleicht wäre das auch nur konsequent. 

Für mich als Katholiken ist die Ehe viel mehr, sie ist ein Sakrament, das sich eine Frau und ein Mann spenden. Dazu gehört, dass man sich ein Leben lang Liebe, Achtung und Ehre verspricht, sich in guten und schweren Zeiten aneinander bindet, alles miteinander durchsteht. Und bereit ist, für die Kinder, die Gott diesem Mann und dieser Frau schenken möchte zu sorgen und sie anzunehmen. Das ist für mich schon etwas Großes, etwas Heiliges! Aber dass ich das so empfinde, macht die Liebe zweier Frauen zueinander nicht kleiner. In der katholischen Kirche können ja auch nur Männer geweiht werden. Das macht aber den Beitrag meiner Kolleginnen zur Seelsorge in der Kirche nicht weniger wertvoll. Jedes fünfte Paar bleibt in Deutschland kinderlos, aus ganz verschiedenen Gründen. Aber das nimmt einer Ehe nach katholischer Auffassung nicht ihre Heiligkeit. Kinder sind, um es mit dem Dichter Kahlil Gibran zu sagen: „die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.“ Und leider wird diese Sehnsucht nicht immer erfüllt. 

Auf die Tatsache, dass es demnächst verheiratete gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern geben wird, muss die Kirche eine wirklich angemessene Reaktion entwickeln. Wie gehen wir damit um? Wir sind da doch durchaus auf einem guten Weg, auf dem die Aussagen von Papst Franziskus eine wichtige Richtschnur sind. „Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?“ und wenn er sagt, in der Kirche habe man ihnen mit „Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“ und sie seien nicht „in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen“ klingt das zwar etwas „kirchisch“, meint aber doch, sie sind nicht anders zu behandeln als jeder andere Mensch auch.

Es kann nicht sinnvoll sein, sich nun als großer Gegner der „Ehe für alle“ zu profilieren. Sicher kann man hier und da den Finger in die Wunde legen und durchaus auch nachfragen, welche Bedeutung das Naturrecht in dieser Frage für den Staat hat und ob es ausreicht die „Ehe für alle“ nur über das BGB zu regeln. Aber auch wir Katholiken sollten nicht so tun, als ob eine Gefahr für die Ehe zwischen Mann und Frau von den gleichgeschlechtlichen Ehen oder gar von Schwulen und Lesben ausginge. Die Ehe kann man nicht gegen etwas oder gegen jemanden stärken, sondern nur mit den Frauen und Männern, die miteinander durch das Leben gehen möchten. Und vermutlich auch mit den Frauen und Frauen und den Männern und Männern, die sich auf das Abenteuer eine Ehe „bis das der Tod sie scheidet“ einlassen wollen. Ihnen allen sollten wir mit Achtung, Mitfühlen und Takt begegnen.

Heute bleibt mir letztlich nur, all jenen zu ihrem politischen Erfolg zu gratulieren, die sich die „Ehe für alle“ ersehnt haben. Und allen Paaren wünsche ich für ihren Lebensweg Treue und Gottes Segen in guten und in schweren Tagen, in Gesundheit und Krankheit.

Die charmanten Worte über Karl Schiewerling kann man hier nachlesen: http://www.queer.de/detail.php?article_id=28932

Die klassischen, katholischen Bedenken sind hier von Kilian Martin sehr gut formuliert:
http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/deutschland-vor-dem-bruch-mit-dem-grundgesetz

"Hallo Herr Gehling, was halten Sie von der Ehe für alle?" Diese Frage erreichte mich aus der Lokalredaktion der Tageszeitung. Meine erste Antwort: "Wie viele Seiten darf ich schreiben?". 
Das ging natürlich nicht, es war nur wenig Platz. Auch für meinen ersten Textentwurf, den ich um 3/4 eindampfen musste. Da der Dechant schon die kirchliche Position referiert hatte, lautete die Kurzfassung meines Beitrages (den ich hier oben länger ausgearbeitet habe) dann so: "Ich habe einige homosexuelle Freunde und Bekannte. Die sehen das Thema sehr unterschiedlich. Der Bundestag kann natürlich definieren, was der Staat unter Ehe versteht. Mir ist die aktuelle Diskussion zu sehr auf „Diskriminierung“ zugespitzt. Da fallen andere Aspekte unter den Tisch. Für Luther war die Ehe ein „weltlich Ding“. Für mich persönlich ist sie mehr. Sie ist ja aus der Religion ins staatliche Recht gerutscht. Für mich als Katholiken ist die Ehe ein Sakrament, das sich eine Frau und ein Mann spenden. Dazu gehört, dass man in Liebe und Achtung gute und schlechte Zeiten gemeinsam durchsteht, bis zum Tode. Und bereit ist, die Kinder, die Gott schenkt, anzunehmen und für sie zu sorgen. Das ist für mich etwas Heiliges! Dass ich das so empfinde, macht die Liebe zweier Frauen nicht weniger wertvoll. Ich gratuliere denen, die sich die „Ehe für alle“ ersehnt haben. Allen Paaren wünsche ich für ihren Lebensweg Treue und Gottes Segen."

Auf die Reaktionen bin ich gespannt!

1 Kommentar:

  1. So lange nicht die römisch-katholische Kirche damit anfängt, ist das alles völlig in Ordnung! Schliesslich lebt die Kirche in einem religiösen Staat mit eigenem Recht, dem Codex Iuris Canonici.

    Und der säkulare Staat mit einer teilweisen Trennung von der Kirche mit seinem für alle verbindlichen Wertesystem namens Grundgesetz.
    Somit geht es den zivilen Staat einen feuchten Kehricht an, wie die römisch kathoische Kirche ihr Eherecht verfasst. Und umgekehrt.

    AntwortenLöschen