Sonntag, 19. April 2020

Heilige Obi und Toom, bittet für uns? Von Kirchen und Baumärkten.

„Wo zwei, und nicht drei, in meinem Namen versammelt sind....“ Dieser gelungene Lied-Witz prägte in den letzten Wochen das kirchliche Leben. Unseren Gemeinden ist aktuell ihre Herz-Mitte genommen, der gemeinsame Gottesdienst. Man behilft sich mit gestreamten Messen, Geistermessen, die die Priester stellvertretend feiern und privaten Gebeten. Die Online-Aktivitäten der Seelsorger*innen changieren zwischen gut gemeintem Dilettantismus, sympathischen Filmchen und  dem engagiertem und gekonnten Nutzen neuer Chancen. 

"Lehrt Not beten?", fragt in diesen Tagen die Journalistin Christian Florin: „Die Empirie gibt das nicht her. Not lehrt eher basteln, grillen, heimwerkern.“ Wer gestern bei gutem Wetter in den Bau- und Gartenmarkt musste, der weiß, wie sehr die Beobachtung stimmt. Trotzdem, die Situation (nicht die Not) hat nach meiner Wahrnehmung auch Leute beten lassen, die im stressigen Alltag sonst nicht dran denken oder nicht dazu kommen. 

Beinahe noch sehnlicher als auf die Osternacht haben offenbar viele Kirchenleute auf die Oktavwoche nach Ostern gewartet. Hieß es doch, die Regierung wolle dann über Lockerungen entscheiden, die den Druck des Corona-Regimes wieder für alle erträglicher machen sollten. 

Schon im Vorfeld hatten namhafte Kirchenleute und kirchliche Aktivisten mit zunehmender Lautstärke die Wiederzulassung öffentlicher Gottesdienste gefordert. 

Sogar Bischöfe verstiegen sich zu Bemerkungen wie „Wenn sogar Baumärkte öffnen dürften, dann könne man doch Kirchen nicht verschließen. Zumal diese den Besuchern mehr Platz böten als enge Gänge in Bau- und Supermärkten. Und man könne problemlos in den großen Kirchen alle Hygiene und Abstandsregeln einhalten, die auch sonst beim Einkaufen und Spazieren gehen gelten würden. 

Die Krone der Argumentation war dann das engagierte Eintreten für das Grundrecht der Religionsfreiheit, die ja ausgerechnet jenes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes unterstrichen habe, mit dem dieses höchste Gericht den Eilantrag einiger Personen auf Aufhebung der Gottesdienstverbote zurückgewiesen hatte. Die Kirche fordere nur ihr verbrieftes Grundrecht ein, auch in der Pandemie die Menschen zum Gottesdienst zusammen zu führen. 

Und dann war - ausgerechnet für die Kirchen und Religionen - nichts dabei. Einige Lockerungen verkündete die Bundeskanzlerin, nur keine des Gottesdienstverbotes. Aber man wolle mit den Religionsvertretern darüber sprechen. Aus der wohl formulierten Stelllungnahme des Bischofskonferenzvorsitzenden dazu klang deutlich vernehmbar Frust und Enttäuschung durch. 

Die Gespräche haben stattgefunden! Noch ohne konkrete Ergebnisse. Doch nun steigt die Erwartung, dass in zwei Wochen endlich, schrittweise wieder zur Normalität öffentlicher Gottesdienste zurückgekehrt werden könne. Die Stimmen aus der Mitte der Kirche, die diese Hoffnung mit Nachdruck vertreten, nehmen deutlich zu. Konkrete Vorschläge liegen schon auf dem Tisch!

Ich bin da skeptischer. Zumal auch wegen der argumentativen Tiefe mancher Diskussionsbeiträge. Deren Spitze sind Leute, die damit argumentieren, dass in vergangenen Jahrhunderten Menschen für die Mitfeier eines Gottesdienstes das Martyrium in Kauf genommen, manchmal auch wahrhaftig erlitten hätten. In diesem Sinne müsse die Kirche notfalls auch gegen einen Staat kämpfen, der Gottesdienste verbiete. Drumherum verbreiteten diese Leute sehr verharmlosende Aspekte des Coronavirus und der Covid-19 – Erkrankung. Alles halb so schlimm? Alles ließe sich mit etwas Disziplin und gutem Willen in den Griff bekommen? Da möchte ich gern an die alte kirchliche Regel erinnern, dass man das Martyrium nicht suchen darf. Gott hat sogar dem hl. Franziskus hier "Nachhilfe" erteilt, als dieser vom (vermeintlich feindlich gesinnten) Sultan wider Erwarten freundlich empfangen wurde. Dieser war keineswegs darauf aus, den späteren Heiligen zum Himmel zu schicken. 

Andere Kirchenleute arbeiten sich am Stichwort der „Systemrelevanz“ ab. Nicht nur Bau- und Supermärkte, Müllabfuhr und Essenslieferdienste seien systemrelevant, sondern auch die Kirchen. Böten sie den Menschen doch Trost und Hoffnung durch den Glauben. Das sei kaum jemals wichtiger gewesen als heute. Das Stichwort "systemrelevant" eignet sich trefflich für einen Beichtspiegel oder eine Bußandacht. Es ist ja schwer erträglich, dass die Kirche, Mittelpunkt des eigenen Lebens und Dreh- und Angelpunkt der seelsorglichen Aktivitäten als verzichtbar betrachtet wird. 
„Ich streame, also bin ich....“ kommentierte kürzlich jemand spöttisch die zahlreich im Netz übertragenen Gottesdienste aus priesterlichen Wohnzimmern und improvisierten Hauskapellen. Das kannte man bis dato nur von irgendwelchen pseudokatholischen Minisekten oder Sedisvakantistenkapellen. Ich würde dem bösen Wort von der „Systemrelevanz“ schlicht mal das alte kirchliche Kernwort von der DEMUT entgegen halten. Und diesen Aspekt einmal zur Meditation empfehlen. Natürlich ist Kirche bedeutsam und wichtig. Aber ein runtergefahrenes kirchliches Leben nimmt der Kirche und dem Glauben nicht die Lebensrelevanz. 

Natürlich ist es ärgerlich zu sehen, dass Baumärkte am Samstag überquellen und dass massenhaft Pflanzen und Heimwerkermaterialien herausgetragen werden. Aber vielleicht ist es ja auch ein Zeichen der göttlichen Vorsehung, wenn gutes Wetter und Aktivitäten in Haus und Garten dazu beitragen, dass den Leuten aktuell nicht die Decke auf den Kopf fällt und die familiären Spannungen sich in heftigen Streitereien entladen. 

Die Argumentation "die Anderen dürfen das auch..." finde ich mindestens schwierig. Lockerungen werden dort eingeführt, wo gute Argumente dafür sprechen, ein erhöhtes Infektionsrisiko einzugehen. Man sollte also argumentieren, warum die Feier von Gottesdiensten aktuell so wichtig ist, dass man ein entsprechendes Risiko zu tragen bereit ist.
Ich stelle mir die Frage, ob manche kirchliche Aktivisten die Absicht der aktuellen Regelungen überhaupt verstanden haben, dass jede vermeidbare Infektion auch vermieden werden solle und daher strengste Regeln gelten müssen. Es geht nicht darum, ob bei dieser und jener Aktivität gewisse Infektionsschutzregeln eingehalten werden könnten, sondern darum, dass es z.B. weit besser ist den Wocheneinkauf allein an einem Tag zu machen als unter Einhaltung aller Regeln jeden Tag frisch den Tagesbedarf an Klopapier zu erwerben. Ich merke selbst, wie schnell man im Alltag da nachlässig wird. Diese Zeit ist eine echte Schule in Selbstdisziplin. Und das ist ja doch auch ein Kernaspekt des geistlichen Lebens, oder? 

Überhaupt, ist es nicht eine Selbstverzwergung, wenn Kirche sich mit Bau- und Supermärkten vergleicht? Da vergleicht man doch Äpfel mit Birnen. Natürlich ist es ärgerlich zu sehen, dass dort sehr viel verkauft wird, was nicht „lebens- und überlebensnotwendig“ ist. Mit Ausnahme von Klopapier, welches ja lange schon aus ist. Aber viel ärgerlicher und existenzieller ist das für die Inhaber kleiner Geschäfte, wie z.B. der Schreibwarenhändlerin, wenn sie sieht, dass der Discounter all das verkaufen kann, was sie nicht verkaufen darf. Oder nur im Wege des Bestell- und Lieferdienstes. 

Auch kommt es in Bau- und Supermärkten gemeinhin nicht zu Versammlungen. Das größte Risiko ist, dass ich nicht schnell genug an den Anderen vorbeikomme, wenn die Gänge blockiert sind – oder ich allzu lang in der Kassenwarteschlange stehen muss. 

In der Kirche dagegen halte ich mich ruhig über längere Zeit auf. Zudem sagen Wissenschaftler, dass das gemeinsame Singen eigene - höhere Infektionsrisiken birgt (Bioaerosole) und es ist leider auch ein Fakt, dass die weitaus größte Gruppe der Gottesdienstbesucher besonders gefährdete Personen sind. Kürzlich bemerkte jemand, dass Gottesdienste doch genau die Art von Veranstaltungen sind, die unter Seuchenpräventionsgesichtspunkten hoch riskant seien. Eine Gottesdienstfeier ähnelt nun mal, es mag einem gefallen oder nicht, eher einer Karnevalssitzung in Heinsberg als einem Baumarktbesuch in Voerde. 

Haben wir als Kirche hierfür wirklich die richtige Antwort? Ich weiß es nicht. Und bin gespannt, wie das konkret umgesetzt werden soll. Wollen wir wirklich Gottesdienstfeiern, wie jetzt bei den Fernsehgottesdiensten? So wie heute morgen mit 6 Personen plus Organist und Pfarrer? Ohne Messdiener? Und die Gottesdienstbesucher dann in katholischer Maximalverteilung – höchstens eine Person auf zwei Bänke?

Wie sollen "mehr" Gottesdienste möglich sein, wo die Priester schon vor der Krise in manchen Gemeinden nicht mehr in jeder Kirche auch nur einen sonntäglichen Gottesdienst ermöglichen konnten? Eher greift da nach Erik Flügges Vorschlag die "Sonntagspflicht" auch auf die folgenden Werktage auszudehnen. 

Ja, ich bin durchaus dafür, dass statt Geistergottesdiensten je nach Kirchengröße auch einige Personen zum Gottesdienst zugelassen werden können. So, dass sie wirklich weiten Abstand halten können, durchaus weiteren als unbedingt notwendig nach den geltenden Abstandsregeln für Vorübergehende und Beieinanderstehende. Das ist auch für die Priester eine wichtige „Lockerung“, weil Gottesdienstfeier immer auch Gemeinschaftsfeiern sind. 

Wir haben aus diesen Gründen jetzt die Erstkommunionfeiern in den Herbst verlegt. Die allermeisten Eltern konnten sich ein solches Fest für ihre Kinder im engsten Kreis nicht vorstellen und setzen darauf, dass dann echte Gemeinschaftsfeiern möglich sind. Wobei wir schon heute planen, aus zwei Gottesdiensten sechs zu machen. Denn Gemeinschaft bedeutet ja nicht, dass es rappelvoll ist, sondern dass liebe Menschen mit uns feiern und uns nahe sind. Zumindest im Herzen und im Gebet.

Ach Übrigens – unsere Kirchen sind in diesen Tagen keineswegs geschlossen, sondern bieten Raum und Anregungen zum persönlichen Gebet. Es wird rege – wenn auch nicht übermäßig genutzt. Wir haben also noch Platz!

Ja, mir fehlt wirklich etwas. Ich würde so gern wieder - wie früher - mit meinen Schwestern und Brüdern in der Kirche sitzen, beten, Gottesdienst feiern, Eucharistie feiern... So gern...

Auch würde ich lieber ein gutes Wort für alle Trauernden einlegen, dass wir Wege finden, dass sie mit ihren Freundes- und Familienkreisen in guter Weise Abschied nehmen können. So gut, wie es eben geht - unter den Bedingungen der Zeit (aber besser als jetzt).

Aber ich möchte erst dann wieder zu regelmäßigen Gottesdiensten zurückkehren, wenn ich einigermaßen sicher sein kann, dass nicht durch meine und unsere Verantwortung Menschen dem Martyrium einer schwer verlaufenden Covid-19 – Erkrankung überantwortet werden. Da warte ich lieber noch einige Wochen ab. Und dieses geistliche Fasten wäre es mir auch dann wert, wenn wir dadurch einige Wochen eher wieder zum gemeinschaftlichen Beten zurückkehren könnten.

Beten wir bis dahin für alle, die von der Krankheit betroffen sind.
Für alle, die in den Krankenhäusern um ihr Leben kämpfen.
Für alle, die die Pandemie vor große Herausforderungen stellt.
Für alle, die das gottesdienstliche Fasten bedrückt.

Heilige Cosmas und Damian, bittet für uns.
Heiliger Lukas, bitte für uns.
Heiliger Damian de Veuster, bitte für uns.
Heiliger Lukas von Simferopol, bitte für uns.

Und hören wir auf Gottes Wort, wie es uns heute in der 2. Lesung verkündet wird:
"Gottes Macht behütet euch durch den Glauben, damit ihr das Heil erlangt, das am Ende der Zeit offenbart werden soll. 
Deshalb seid ihr voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müsst.
Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, dass er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist."

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