Montag, 15. Juni 2020

Ja, wir haben versagt!

Die Kirche hat in der Coronakrise versagt! Da waren sich ausnahmsweise viele einig. Der kirchenkritsche Journalist, der stramm konservativ-katholische Publizist und die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen. Schon als die Aktiven in den Gemeinden noch alle Hände voll zu tun hatten, den „Shutdown“ der Gemeindearbeit zu organisieren und gleichzeitig erste kreative Ideen entwickelten setzte ein Artikel im Südkurier den Ton, der dann von jenen aufgegriffen wurde, die es skandalös fanden, dass die Kirche sich von Staat und Behörden bis ins Allerheiligste, bis in die Sakramentenspendung herein reden ließ. Not lehrt nicht beten, spottete die Journalistin Christiane Florin und konstatierte: „Not lehrt Basteln. Not lehrt Bauen. Not lehrt Grillen.“ Sogar Bischöfe zeigten sich gekränkt, weil Baumärkte öffneten - während den Kirchen offenbar die „Systemrelevanz“ abgesprochen wurde. 

Ja, ich glaube, man kann aus der Coronakrise und den begleitenden Debatten lernen. Aber dazu brauchen wir Distanz und Gelassenheit. Natürlich ist vieles falsch gelaufen und aufgrund der behördlichen Vorgaben, war die Kirche zunächst stark auf ihre Hauptamtlichen zurückgeworfen. Das breite ehrenamtliche Engagement wurde jäh ausgebremst. Das war (und ist) an allen Ecken und Ende zu spüren.

Offenbar wurde aber auch: die Kirche ist nur begrenzt „systemrelevant“. Als Kirche wurden wir behandelt, wie jeder andere Verein. Das war für Viele kränkend. Als Antwort auf diese Kränkung empfehle ich: „nicht auf die Barrikaden gehen“. Das Pochen auf gesetzliche Privilegien rettet uns nicht. Die Krise deckt auf, dass wir seit Jahrzehnten kontinuierlich an Bedeutung verlieren. Als gesellschaftlicher „Player“ und – schlimmer noch – für die einzelnen Menschen. Wir sollten uns daher fragen, für welches „System“ wir als Kirche relevant sein möchten. 

Die Corona-Krise trifft die Kirche im innersten Kern. Worum geht es, in allem, was wir tun? Wir bringen Menschen zusammen. Wir möchten, dass Menschen sich nahe kommen, füreinander sorgen und gemeinsam auf den Spuren Jesu durchs Leben gehen. Und wir möchten, dass Menschen Gott nahe kommen. Es geht uns um Nähe und Berühung. 

Die Systemrelevanz der Kirche ist – dass sie dem einzelnen Menschen nahe sein will. Dass sie an seiner Seite sein will. Dass sie hilft, dass Menschen Gott als nah erfahren können. Unter Coronabedingungen ist das Versagen der Kirche unausweichlich. Wo Distanzierung die Norm ist und Nähe und Begegnung minimiert werden muss, fehlt die Herzmitte des kirchlichen Lebens. Und trotzdem sollten wir tun, was verantwortbar ist und mit Hilfe des Gottesgeistes kreativ sein. 

Mich berührt in diesen Tagen nur Kritik, die offen legt, wo Kirche gegen ihren Grundauftrag verstoßen hat, Menschen und Gott nahe zu sein. Völlig irrelevant ist für mich Kritik, die sich an mangelnder Stärke und gesellschaftlicher Relevanz der Kirchen abarbeitet. 

Seien wir ehrlich! Wo wird außerhalb des volkskirchlichen Milieus noch ein Priester gerufen, wenn ein Mensch aufs Sterben zugeht. Bei allen kreativen Neuaufbrüchen boomt der Markt der Ritendesigner, Trau- und Trauerredner. 

In all den Debatten der Coronakrise gibt es einen Satz, der mich geistlich berührt hat und der uns „Leitstern“ sein kann auf der Suche nach dem zukünftigen Weg der Kirche nach Corona. Er stammt ausgerechnet von einem Politiker: „Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“ Gesagt hat das auf dem Höhepunkt der Krise der Gesundheitsminister Jens Spahn.

Wir dürfen als Kirche offen bekennen: „Wir haben versagt.“ Und wir können das sagen, weil in der Krise viele gegeben haben, was sie konnten. Manches hat gut geklappt und Anderes ist in die Hose gegangen. Wir sind und bleiben als Kirche eine Gemeinschaft von fehlerhaften Menschen. Und nur als solche können wir barmherzig mit Anderen sein. 

Wenn wir mit mehr Demut und Bescheidenheit aus der Krise kommen, dann ist mir um die Kirche nicht bange. Wir brauchen keine „Systemrelevanz“. Nur für den Glauben und die Hoffnung des einzelnen Menschen müssen wir bedeutsam sein. In diesem Sinne bitten wir um Vergebung und schenken sie auch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen