Mittwoch, 2. Februar 2022

Nun sag', wie hast Du's mit Papst Benedikt?

Wie stehst Du zu Benedikt XVI.? Das war und ist – solange ich meinen Weg mit der und in der Kirche zurück verfolgen kann – die Gretchenfrage des Katholischen und der Maßstab der kirchenpolitischen Einordnung des Gegenübers. 

Aufgrund meines Geburtsjahrgangs rede ich natürlich von der Kirche nach dem Konzil. Nach dem Konzil? Gemeint ist das 2. Vatikanum, das die Kirche, in die ich hinein geboren und vermutlich mit einem „ad experimentum“ - Taufritus hinein getauft wurde. Bei den Nachrichten aus einem US-Bistum heute (zur hochkorrekten Taufformel), hoffe ich, dass der Kaplan sich damals nicht irgendwie verhaspelt hat. Gott sei Dank gibt es kein Video davon, nur ein nostalgisches s/w – Foto auf dem Domhof in Vreden. 

Joseph Ratzinger – Professor Ratzinger – Erzbischof Ratzinger – Joseph Kardinal Ratzinger – Glaubenspräfekt Ratzinger – Papst Benedikt XVI. - Papa emeritus. So vielfältig wie seine Rollen in der Kirche, so vielschichtig ist auch sein Wirken. 

Zwischen Reformtheologe, Panzerkardinal und „Wir sind Papst“ hat er unterschiedlichste Rollen gespielt und die Kirche wie ich sie kenne geprägt. Zumindest seit seiner Ernennung zum Präfekten der Glaubenskongregation stand er auch für ein bestimmtes, traditionell-modernes Kirchenbild. Ein Kirchenbild, das manche – durch die Reformen des 2. Vaticanums - für überwunden hielten. Aber da war doch eher der Wunsch der Vaters des Gedankens. Das 2. vatikanische Konzil wollte die Kirche reformieren, nicht revolutionieren. Es wollte die Wurzeln und die Flügel des Glaubens freilegen und von Überflüssigem und Falschem befreien. In diesem Sinne war der junge Theologieprofessor Ratzinger einer der einflussreichsten theologischen Denker während des Konzils. Aber sicher kein Revolutionär.

Das 2. Vatikanum ist sein Lebensthema geblieben. Der rasante Wandel in der Kirche, der Zusammenbruch gewisser Kirchenstrukturen, der Rückgang der Priesterzahlen, die schrumpfende Bedeutung der Kirche in Europa hat ihn immer stärker zum Bewahrer werden lassen, zur Symbolfigur einer Kirche, die den alten Traditionen die Treue hält, aber dennoch Kirche in der Welt bleibt. Ein Teil des traditionellen Flügels der Kirche hat ihn dafür geliebt, ein Teil hat ihn als „zu modern“ abgelehnt, ein Teil hat versucht, ihn vor den Karren der eigenen ehernen Glaubensüberzeugungen zu spannen. 

Ich kann hier sicher nicht auf Lebenswerk und Lebensleistung Joseph Ratzingers in der ganzen Fülle eingehen, möchte aber doch einige Gedanken notieren wie ich heute, angesichts der aufgeregten Diskussion um seine Stellungnahme zum Gutachten über das Versagen des Münchener Erzbistums im Umgang mit Opfern und Tätern zum emeritierten Papst Benedikt XVI. stehe. 

Mich befremdet die Kampagne mancher seiner treuen Anhänger, Freunde und Verehrer und ihrer Medien. Es ist verständlich, dass sie ihre Lichtgestalt verteidigen. Aber wenn es völlig kritikfrei bleibt, allein eine Heldengeschichte, dann wird es der Dramatik der Lage und der Tiefe der Krise nicht gerecht. 

Mich erschreckt und bedrückt, wie sehr die einfachen Gläubigen von der Tatsache erschüttert sind, dass ein ehemaliger Papst sich mit juristischen Winkelzügen für unschuldig erklärt, möglicherweise (wissentlich oder unwissentlich) sogar die Unwahrheit gesagt haben könnte. Der kluge Jesuit Pater Zollner hat gefragt, ob die Bischöfe nicht Manns genug sind, zu ihrer Verantwortung zu stehen, Manns genug, einen Rücktritt auch durchzutragen. Diese Frage ist richtig? Aus den Gutachten treten uns lauter Leute entgegen, die ihre persönliche Verantwortung abstreiten, klein reden, nichts gewußt haben wollen oder anderweitig zu beschäftigt waren. Offenbar muss während der Sitzungen in den Ordinariaten ein dichter Nebel aufgekommen sein, sobald es um die „Brüder im Nebel“ und ihre Opfer ging. Vielleicht passt dieser von Kardinal Meisner geprägte Begriff auch eher auf die Vertuscher als auf die Täter. Denn ihnen fehlte der klare Blick für die bitteren Realitäten. 

Ich bin traurig, dass sich diese Dinge abspielen, wo Joseph Ratzinger auf seinen 95. Geburtstag zugeht. Wie auch immer man im Einzelnen seine Rolle beurteilt, das hat er nicht verdient, nicht diese Verachtung, nicht diesen Furor, der aus manchem Presseartikel, aus vielen Wortmeldungen in den sozialen Medien trieft. Ein schlimmes Beispiel ist die BILD, die sich beim Papstbesuch noch mit dem „Wir sind Papst – Titel“ und dem päpstlichen Glanz schmückte und plötzlich von Benedikts Missbrauchs-Priestern schreibt, als habe dieser einen Täterring betrieben. Verdient hat er aber auch nicht die völlig kritiklose Verteidigung seiner allerbesten Freunde. 

Die Wut und den Frust der zahlreichen Opfern eines Pfr. Peter H. und anderer Täter im Erzbistum München dagegen ist völlig gerechtfertigt. Ihr muss sich auch der spätere Papst Benedikt XVI. zu Recht stellen.

Wir müssen leider ohne Umschweife anerkennen, dass die Kirche durch Verbrechen von Priestern schwerste Schuld auf sich geladen hat und diese Schuld offenbar bis ins Pontifikat Johannes Pauls II. nicht sehen und nicht bekennen wollte. Benedikt hat hier in gewisser Weise eine späte Wende eingeleitet. Das ist sein unbestreitbares Verdienst. Ein Anfang. 

Aber zu seiner Münchner Zeit war er Teil des kollektiven Versagens des Episkopats in der ganzen Welt. Ich verzweifle daran, dass es ganz offensichtlich keinen einzigen Gerechten unter unseren Bischöfen gab. Und tendenziell bis heute auch nicht gibt. Ich gestehe gern ein, dass das für einen Bischof schwierig ist, der ja allerlei Scheren im Kopf hat. Aber in der aktuellen Lage kann es nur Eines geben: den Opfern auf Augenhöhe zu begegnen. Ihren Ärger, ihre Not, ihre Verzweiflung auszuhalten. Sie zu fragen, was sie jetzt brauchen und was sie von der Kirche erwarten und Ihnen mit allem, was die Kirche hat zur Seite zu stehen. 

Wo sind die Therapieeinrichtungen für Missbrauchsopfer? Wo kirchlich finanzierte Häuser, in denen sie sich erholen könnten (wenn sie das wollen), umsorgt von Menschen, die ihr Leiden achten? Wo sind die Juristen, die dafür sorgen, dass den Tätern entschlossen in den Geldbeutel gegriffen wird, dass soviel Geld wie eben möglich von den Konten der Täter für die Hilfe für deren Opfer eingesetzt wird. Wo sind die Kirchenjuristen, die dafür sorgen, dass die Täter so gut und sicher wie möglich verwahrt werden können und nicht Wirkungsfelder erhalten, die sie zu Wiederholungstätern machen könnten. 

Wo sind die unabhängigen Beratungsstellen, die aus eigener Kompetenz schnelle Hilfe durch Therapie, finanzielle Hilfen und Entschädigungen, Begegnungen mit Bischöfen etc. etc. möglich machen. Wie kann es sein, dass die Opfer so lange warten müssen, egal worum sie bitten? Die Liste könnte man noch etwas fortführen. Ja, es ist viel getan worden, damit Kirche ein sichererer Ort wird für die immer weniger werdenden Kinder und Jugendlichen, die mit uns noch zu tun haben möchten. Aber im Umgang mit den Betroffenen können auch nach 12 Jahren noch keine guten Noten vergeben werden. 

Wie ist das möglich, dass augenscheinlich unendliche Ressourcen für die kirchenrechtliche Untersuchung der Gültigkeit der Ehen längst getrennter Eheleute zur Verfügung stehen, aber für die Aufdeckung von priesterlichen Verbrechen und die disziplinarische Bestrafung der Täter sind keine Leute und Kompetenzen da?

Noch immer fehlen mir überzeugende Erklärungen für das Handeln der Bischöfe und Personalverantwortlichen jener Zeiten. Warum hat man gehandelt, wie man gehandelt hat? Warum ist das Thema nie entschlossen angepackt worden? Wir erinnern allzu gerne an den entschlossenen Widerstand eines Kardinal von Galen gegen die Nationalsozialisten, wir sprechen Papst Johannes Paul II. für seinen Kampf gegen den gottlosen Kommunismus heilig. Wir erinnern an große Reformer der Kirche, die entschlossen gegen Widerstände innerhalb der Kirchenorganisation angegangen sind, wie Papst Hadrian oder auch der Hl. Franziskus. Aber welche Gestalt kämpfte gegen die Verbrechen von (notgeilen) Priestern an Frauen und Kindern? Sag mir bitte niemand, das gab es in der Pianischen Zeit der Kirche nicht. Googeln Sie mal „War einst ein Karmeliter“ oder „Es wollt ein Bauer früh aufstehen...“ (Ja, man kann streiten, ob gerade diese Spottlieder ältere Wurzeln haben oder nicht. Man kann aber nicht darüber streiten, dass es auch vor 1945 Missbrauch in der Kirche durch Priester gab. Und nichts spricht dafür, dass dies in geringerem Maße stattfand als in den späten 40er und 50er Jahren.)

Leider wird wenig darüber gesprochen, welche Rolle es in der unseligen Vergangenheit spielte, dass Nationalsozialisten und Kommunisten solche „Sittlichkeitsverbrechen“ auch als gezielte Waffe gegen die Kirche eingesetzt haben. Insofern war es leicht, den Zweifel zu streuen. Welche Nachwirkungen hat das wohl für die Aufklärung und Verfolgung gehabt, wenn in den ersten Nachkriegsjahren Gerüchte über Täter-Pfarrer aufkamen? Doch dann hätte man umsomehr dafür sorgen müssen, dass die Kirche nicht nur dem Anschein nach rein da steht, sondern als Kirche der Sünder alles tut, umzukehren...

„Wie stehst Du zum Ratzinger?“ Es wundert mich nicht, dass sich die Diskussion jetzt derart auf den alten Papa emeritus zuspitzt. Obwohl er sicher Verdienste hat, die einen Wandel innerhalb der Kirche möglich gemacht haben. Für die Presse, die ja auch Aufmerksamkeit, Auflagen und Klicks verkauft ist das eine gute Gelegenheit. Für seine Feinde die Chance, mal wieder aufzuspringen und „ich hab es ja immer gesagt...“ zu rufen. Jetzt ist nicht die Zeit, seine Rolle in der katholischen Kirche und seine Rolle im Missbrauchsskandal umfassend und gerecht zu würdigen. Er wird diese Last auch stellvertretend auf seine Schultern nehmen müssen (aber bitte ohne Spiritualisierung). Die Versuche seiner Verehrer kommen hilflos daher und schütten nach meiner Wahrnehmung eher noch Öl ins Feuer. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bleibt dann umso mehr, als der Glanz der Heiligkeit poliert wird. 

Es ist bedauerlich und unnötig, dass auch die Erklärung des emeritierten Papstes zum Münchner Gutachten nicht anders klingt, als die Einlassungen seiner vielen Brüder im Episkopat. „Ich war es nicht. Ich wußte es nicht. Ich trage keine Schuld.“ Und das nun auch noch dazu kommt, dass er (warum auch immer das geleugnet wurde) an einer wichtigen Sitzung doch teilgenommen hat und der Aufnahme eines Missbrauchspriesters in sein Bistum arglos oder wissentlich zugestimmt hat. 

Dieser Fehler wäre absolut vermeidbar gewesen, wie ein Blick in die Benedikt-Biografie von Seewald belegt. Leider hatte dieser in einer noch vor der Vorstellung des Gutachtens veröffentlichten Stellungnahme selbst noch die Verteidigungslinie „er war gar nicht dabei“ verwendet, bevor er einige Tage später mit Verweis auf das eigene Werk zurückrudern musste. Offenbar war das Umfeld des emeritierten Papstes in genau die Falle getappt, die mit ursächlich für die Vertuschung des Missbrauchs in der jüngsten Vergangenheit war. Im Bemühen die Person oder die Institution rein dastehen zu lassen wurde und wird die Wahrheit verbogen und verbeult. Das es auch anders ginge, belegt die wunderbare Klarheit eines recht verstandenen: „durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.“  

Ich hoffe sehr, dass die angekündigte Stellungnahme aus seinem Altersruhesitz im Schatten von St. Peter endlich den richtigen Ton trifft. Dass Benedikt die Größe zeigt, persönliche Fehler und Fehleinschätzungen einzugestehen. Dass er um Entschuldigung bitten und ein überzeugendes Zeichen den Opfern gegenüber setzen kann. Und das dies dazu beiträgt, dass die Kirche ihre Haltung und ihr Verhalten gegenüber den Opfern der Verbrecher in Priesterkleidung grundlegend und unumkehrbar verändert. Wie schön wäre es, wenn das mit Spannung erwartete Wort des emeritierten Papstes die Qualität des „Ich glaube Ihnen“ des Kardinals Schönborn gegenüber Doris Wagner bekäme.

Ich hoffe, dass sich meine Kirche in der Folge so grundlegend wandelt, dass sie immer und überall die Rolle der Obrigkeit abstreift und sich konsequent an die Seite der Menschen stellt, sich mehr und mehr zur pilgernden, dienenden Kirche wandelt. Die Macht, die Christus ihr zugesprochen hat, ist allein die Macht der Vergebung, der Heilung, des Dienstes...

Ich wünsche mir auch klare Worte und Gesten der Entschuldigung und Ermutigung für alle Menschen, die als einfache Gläubige, als engagierte Ehren- und Hauptamtliche, als Priester und Ordensleute ihr Leben schon lange in den Dienst einer Kirche nach dem Herzen Gottes gestellt haben. Sie tragen jetzt die Lasten der kirchlichen Sünden und Verbrechen der Vergangenheit mit.

Beten wir für die Kirche, für de Bekehrung ihrer Mitarbeiter und Verteidiger, für die Opfer von Machtmissbrauch, Gewalt, geistlichem und sexuellem Missbrauch, auch und selbst für die Täter und Vertuscher und für den emeritierten Papst Benedikt, der in nicht allzu ferner Zeit seinem gerechten und barmherzigen Richter gegenüber stehen wird. 

Wenn es die Kirche nicht gäbe, so müsste man sie erfinden. Ich sehe schwarz für eine Gesellschaft, in der das Evangelium nicht mehr verkündet wird. Und dabei braucht es die Erfahrungen aus der Tradition der Kirche, die auch dazu beitragen, Gottes Wort in der rechten Weise zu verkündigen. Nämlich nicht als Herren des Glaubens, sondern als Diener der Freude. Die Kirchengeschichte – mit all ihren Fehlern und Verbrechen – ist nicht wertlos. Sie ist sicher voller Verbrecher, einfacher Leute aber auch Heimat vieler Heiliger, sie enthält einen Schatz von Erfahrungen und bietet die Chance, Fehler nicht endlos zu wiederholen. 

Ich bitte alle, die bis hierhin gelesen haben, bleiben Sie dabei, gestalten Sie, was in der Kirche gut und hilfreich ist mit, verbessern Sie, was falsch und sündhaft ist. Gott braucht jeden von uns. Denn er hat keine anderen Hände als unsere Hände. Und wenn Sie sich entscheiden sollten, aus der Institution auszusteigen (ich kann Ihnen da nicht böse sein): bleiben Sie trotzdem in der Nähe und packen Sie mit an für eine bessere Kirche und eine bessere Welt.

4 Kommentare:

  1. Es ist billig, auf eine Mann herumzuhacken, der im 95sten Lebensjahr steht. Aber es ist eine gute Gelegenheit, seinen Haß auf alles zu artikulieren, für das dieser heilige Mann steht.
    Insbesondere auf die überlieferte Lehre der Heiligen Kirche.

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    1. Mir ist das allzu einfach, das so zuzuspitzen. Ich habe alle Mühe vielen treu katholischen normalen Gläubigen Antwort zu geben, die bodenlos enttäuscht sind. Da war kein Haß auf irgendeine theologische Tradition oder überlieferte Lehre. Und es ist nicht allein die öffentliche Zuspitzung. Es ist auch ein kommunikativer Gau.

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  2. Ein guter Kommentar, nur glaube ich, dass die Handlungen Benedikts XVIs eher der Schadensbegrenzung durch Bekanntwerden der vielen Missbrauchsfälle geschehen sind.

    Bei der Würdigung Ratzingers/Benedikts XVIs sollte aber auch seine Haltung zur Befreiungstheologie und den Befreiungstheologen nicht übersehen werden, die Verhinderung der Seligsprechung Romeros ...

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    1. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der Kinderschutz in der DNA der Kirche und des Evangeliums verankert sein sollte. Daher bin ich fest überzeugt, dass Papst Benedikt derlei Taten und Täter zutiefst verabscheut und alles tun würde, um so etwas zu verhindern und zu verbieten. Aber der Umgang mit solchen Fällen ist schwierig und langwierig. Auch ein angemessener Umgang mit den Opfern würde sehr viel Zeit, Aufmerksamkeit und auch Geld erfordern. Dafür war im System damals einfach kein Raum. Man hat gedacht: Wenn sich alle an die Regeln halten würden, wäre so etwas nicht geschehen. Also muss man dafür sorgen, dass sich alle an die Regeln halten. Aber so einfach geht das (leider) nicht. Und man hätte auch weitere Schwächen in der Kirchenorganisation erkennen müssen. Befreiungstheologie hat er sicher durch die Brille des Marxismus gesehen und aus voller Überzeugung abgelehnt. Auch das ist bitter, selbst wenn es Anzeichen einer Entspannung der Haltung gegeben hat. Aber das ist auch ein weites Feld.

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