Donnerstag, 5. September 2013

Zoff im Bistum Limburg

Franz-Peter Tebartz-van Elst als Weihbischof
und Domkapitular 2007 nach der Feier der
Weihe von Bischof Franz-Josef Overbeck
Es ist nun schon etliche Jahre her (es muss 2002 gewesen sein), da hatten wir Pastoralreferenten einen „aufstrebenden“ Theologen in unsere Runde eingeladen. Damals war dieser gerade als Professor für Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft nach Passau berufen worden. An zwei Dinge kann ich mich noch gut erinnern, einen humorvollen, guten Vortrag über das Thema Erwachsenenkatechese, ein Gespräch auf Augenhöhe und daran, dass er trotz der gerade angetretenen Professur und Umzug nach Passau den zugesagten Termin eingehalten hat. Ich wunderte mich etwas darüber, wie „jugendlich“ er wirkte, da ich ihn nur aus seiner Zeit als Domvikar und da noch mit Bart kannte.
Eine weitere Begegnung hat sich mir eingeprägt: Im Jahre 2005 feierte das Bistum Münster sein Jubiläum. Der im Frühjahr 2004 zum Bischof geweihte Theologe, Franz-Peter Tebartz-van Elst begegnet mir im vollen bischöflichen Ornat auf dem Prinzipalmarkt. Im Laufe dieses Tages traf ich noch andere Bischöfe, Diözesanbischof Dr. Reinhard Lettmann begrüßt mich freundlich mit Namen und wechselte einige Worte; Josef Voß stand mit einigen Männern an der Theke; Friedrich Ostermann in einer lockeren Runde auf dem Überwasserkirchplatz. Während die letzteren in normaler priesterlicher Kleidung mitten zwischen den Leuten waren hatte es beim neuen Weihbischof Franz-Peter etwas von „Hofhaltung“. Zwei Eindrücke, wie sie widersprüchlicher kaum sein können. 

Widersprüchlich war auch das Echo aus der Bistumsregion Borken/Steinfurt, für die Tebartz-van Elst nach seiner Bischofsweihe zuständig war. In Worte und Fakten zu fassen ist das nur schwer! Seine Gegner bzw. die Skeptiker prägten in dieser Zeit einen bösen Spitznamen: „Thebakel“. Andere lobten seine „Jugend“ und dass er gut zuhören könne. Der Widerstand im Bistum Münster bezog sich denn auch eher auf die Tatsache, dass T.v.E. einer der Hauptarchitekten des Umbaus der Seelsorge im Bistum war, der lieber auf die „pastoralen Leuchttürme“, die „Hochorte des Glaubens“ setzen wollte als weiter die „Mittelmäßigkeit in der Ebene“ zu fördern, wie er in einem Vortrag vor dem Diözesanrat einmal verlauten ließ. 

Wenig „widersprüchlich“, eher einheitlich ist das, was in die Kommentarspalten des SPIEGEL, der F.A.Z., der FR bzw. weiterer lokaler Zeitungen über den Bischof geschrieben wird. Abgesehen von sehr seltenen besonnenen Stimmen tobt da der Mob. Es ist absolut „unterirdisch“ und oft jenseits legitimer Kritik, was dort gepostet wird. Was sagt uns so etwas eigentlich über den Zustand der Gesellschaft? Mir macht es Sorge!

Aktuell spitzen interessierte Kreise den Konflikt auf „Papsttreuer, traditioneller Bischof“ gegen die „(linke) kirchenkritische Presse“ zu. Aber ist diese Deutung zutreffend? 
Natürlich wird niemand den aktuellen Bischof von Limburg als „liberal“ bezeichnen. „Gemäßigt liberal“ schrieb einer in einem konservativen Dialogforum. Als wissenschaftlicher Theologe ließ er sich nicht einfach einem Lager zuordnen. Wenn er sich heute als „kirchentreu“, papsttreu, konservativ zeigt, würde ich sagen, dass ich von einem Bauernsohn aus der Nähe der Wallfahrtsstadt Kevelaer nichts anderes erwarte. Und darüber hinaus kann es kein Erstauen auslösen, wenn sich ein Bischof als „katholisch“ präsentiert. Im Spektrum des Katholischen in seiner Heimatdiözese Münster ist er weder als „Links“ noch als „Rechts“ oder weder als „liberal“ noch als „traditionell“ einzuordnen. (Mal abgesehen von gewissen Vorlieben bei seiner priesterlichen bzw. später bischöflichen Kleidung.) Aber ich vermute, das ist bei ihm eher durch ästhetische Vorstellungen geprägt. Er liebt halt eher das „benediktinische“ als das „franziskanische“, um seine eigenen Worte zu gebrauchen. Ich denke, das hat viel mit seiner Herkunft zu tun und es passt zum Flair des Wallfahrtsortes Kevelaer. Da kann er nix dafür! Ich halte es für unangemessen, ihn kirchenpolitisch zu sehr festzulegen. Das mag zwar den Interessen einiger Personen entgegenkommen, die Bischof Franz-Peter so sehen möchten. Sie betrachten ihn vor allem als Antwort Papst Benedikt XVI. auf seinen angeblich „liberalen“ Vorgänger Franz Kamphaus. Aber ich bin skeptisch, ob das statthaft und ob das überhaupt richtig ist. Bestimmt hat man einen „kirchentreuen“ Bischof gesucht und einen, der nicht z.B. rund um das Thema Schwangerschaftskonfliktberatung neue Schlagzeilen verursacht. Aber in ihrer Theologie und im kirchlichen Spektrum dürften die beiden Bauernsöhne, der Bischof aus Lüdinghausen und der Bischof aus Twisteden nicht allzuweit auseinander liegen. Vor einigen Jahren gab es sogar einmal Wirbel, weil der neue Bischof den alten in einer Predigt wörtlich zitiert hatte. Aber gut, über diese Einschätzung kann man sicher streiten.

Mir ist es zu einfach, das plakativ an einigen Streitfragen festzumachen und die Unterschiede zu betonen. Für manche Akteure ist Bischof Kamphaus ja leider der Gottseibeiuns des liberalen Katholizismus. Wer ihn wirklich kennt, der weiß dass dieser alles andere als ein Revoluzzer ist. Auch ist Kritik aus seinem Munde an seinem Nachfolger bis heute nicht bekannt geworden. 

Sicher nicht zustimmen möchte ich daher denen, die wie das Forum deutscher Katholiken behaupten: „Die Unterschriftenaktion gegen die Amtsführung von Franz-Peter Tebartz-van Elst richte sich im Grunde „gegen die kirchentreue theologische Einstellung des Bischofs“.

Der Unterschied zwischen beiden liegt wohl deutlicher im Stil der Amtsführung. Angesichts des unkonventionellen Stils von Papst Franziskus kommt T.v.E. natürlich besonders in den Focus des Interesses. Sein Vorgänger wird mit „Einfachheit“ in Verbindung gebracht. Man hebt hervor, dass er in einem Apartment im Priesterseminar gewohnt habe. Aber vielleicht hatte das auch (so wie bei Franziskus) mit seinem bisherigen Lebensstil zu tun, lebte Kamphaus doch als Regens des Priesterseminars in Münster ebenfalls in einem solchen Haus. Vielleicht hatte er diese Lebensweise einfach zu schätzen gelernt. Kamphaus fuhr wohl auch ungern mit Chauffeur, und manchmal sogar selbst. Nun gut, trotzdem gab es auch zu seiner Zeit einen solchen und auch eine Dienstlimousine. Wo ist das Problem, dass sein Nachfolger sich fahren läßt? Das war er im Bistum Münster schon gewohnt. Das Amt eines Bischofs bietet im Grunde ja nur wenig „Luxus“, er ist zumeist im Auto und in Gemeinden und Institutionen zu Gast. Von einem bischöflichen „Palais“ hat er wenig heutzutage. Seinen Mittagsschaf verbringt er sicher häufiger in angestaubten Gästezimmern seiner Priester als im eigenen Bett. 

„Luxusbischof“ ist häufig zu hören. Worin besteht der „Luxus“ der bischöflichen Existenz? In einer 7-Tage-Woche? Im Privileg gefahren zu werden und die Zeit auf dem Rücksitz eines besseren Autos mit Aktenstudium und weiterer Arbeit zu verbringen? Sicher baut die Kirche ihre repräsentativen Bauten „gediegen“ und spart nicht am falschen Ende. Man kann oft zu Recht fragen: „Geht es nicht auch einfacher?“ Aber Luxus ist das in der Regel nicht, fürstbischöflich wirkt es (leider) in manchen überkommenen Bischofsresidenzen, gefüllt mit antiken Geschenken und zahlreichen gestifteten Stücken. Aber die Bischöfe, die das bewohnen müssen sind nicht immer glücklich darüber und würden persönlich vielleicht lieber anders leben. Interessant wäre es, zu erfahren, wie und wo der Bischof seinen Urlaub verbringt. Aber vom Luxusapartment auf den Seychellen konnten die Redakteure trotz manchem Aufwand noch nichts in Erfahrung bringen. Auch über teure Weine und auserlesene Zigarren habe ich nichts gelesen. Soweit ich weiß ging Bischof Reinhard Lettmann gerne wandern. Er hat seinen Urlaub mit Freunden z.B. im Schwarzwald verbracht. Vermutlich wussten seine Vermieter gar nicht, wen sie da beherbergten. Und er reiste gern nach Israel oder an andere geistliche Stätten. Das ist so, als wenn ein Bankmanager seinen Urlaub mit Besuchen z.B. der griechischen Banken verbringen würde, oder? 
Sollte man da wirklich neidisch werden können?

Dem Limburger Bischof wird zum Vorwurf gemacht, dass er „Erster Klasse“ geflogen sei. Oder genauer, dass er nicht den Mut hatte, direkt dazu zu stehen und im Streit mit dem SPIEGEL sogar eidesstattlich erklärte, er habe nie behauptet nur "Business class“ geflogen zu sein. Mal ehrlich gesagt, wenn ich mit einem Kollegen nach Indien fliegen würde und der sagt mir, dass er so viele Bonuspunkte habe, dass er uns einen gemütlichen Liegesessel vermitteln könne, ohne dass es mehr kostet – ich hätte auch nicht nein gesagt. Vielleicht hätte ich nicht mal gemerkt, dass ich damit in eine bessere Klasse aufgerückt wäre. Vielleicht hätte ich später dann auch ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich gemütlich und sicher durch die Welt jette, während meine Partner und Freunde in Indien sich so eine Reise nie im Leben leisten könnten, nicht mal im Gepäckraum einer Frachtmaschine. Vielleicht hätte ich mir die Reise dann auch nachher erst mal schön geredet. Ich frage mich nur, warum der Bischof nicht später z.B. im Rahmen einer Predigt zum „Barmherzigen Samariter“ mit einigen Sätzen erklärt hätte, dass jeder von uns in der Gefahr steht, wie der Tempelpriester oder der Levit zu handeln, dass sogar er, der Bischof das Leiden der Armen ausgeblendet habe und sich ein wenig persönlichen Luxus gegönnt habe. Und dass es ihm inzwischen leid tue, dass er für ein wenig Ruhe, Frieden und Beinfreiheit auf der Reise seine eigenen Überzeugungen für einen Moment vergessen habe. 

Ein Blogger aus dem Bistum Limburg (demut-jetzt.blogspot.com) richtet seinen Blick auf ein Spezifikum des Bistums Limburg, nämlich die „synodalen Strukturen“ bzw. die Beteiligung der Laien durch Beratung und Mitbestimmung. Er verweist darauf, dass Bischof Kempf im Gefolge des II. Vat. Konzils die Beteiligung der Laien durch synodale Gremien verankern wollte und hier einen Kompromiss fand, bei dem die beiden Bischöfe Kempf und Kamphaus in der Praxis den Laiengremien eine über die jeweilige schriftliche festgelegten Ordnung hinausgehende Mitverantwortung zugestanden haben. Das ging damals sogar den römischen Stellen zu weit. Der Blogger formuliert es so: „Die schon liberale Synodalordnung wurde durch eine noch ausgeprägtere Synodalpraxis ergänzt. Eine Praxis freilich, die vom guten Willen der Bischöfe lebte, der freilich über Jahrzehnte vorlag. Bis Tebartz-van Elst kam, in die Synodalordnung guckte, nickte und meinte, damit erschöpfe sich denn auch der Einfluss der Gremien. Was die natürlich anders sahen und düpiert aus der Wäsche schauten, als der Neue auf einmal den Bestimmer statt des Moderators gab und sich auf den Standpunkt stellte, er mache, was er dürfe, wenn er meine, es sei richtig. Oder anders gesagt: Ich bin Bischof und ihr nicht.“
Damit hat der Bischof eine neue Entscheidungskultur eingeführt und die Mitwirkung von Laien, pastoralen Mitarbeitern und Klerikern beschränkt. Für diejenigen, die ein solches verändertes „Miteinander“ nicht gewohnt waren ist das eine schmerzliche Erfahrung. Wenn man hierauf einmal den sog. „Brandbrief“ von Priestern aus dem Bistum (S.O.S. Save our souls) betrachtet, so liest man diese Enttäuschung, ja Kränkung deutlich heraus. „Und mit der Enttäuschung wuchs der Widerstand.“ Ein vergleichbarer Konflikt wurde vor Jahren auch aus dem Bistum Regensburg gemeldet, als der damalige Bischof Gerhard Ludwig Müller mit den Laiengremien in den Clinch ging. In anderen Bistümern hatten die Bischöfe von Anfang an klargestellt, wie das Miteinander von Gremien und bischöflicher Verantwortung zu verstehen ist. Im Bistum Münster hat Weihbischof Franz-Peter an dieser Stelle keine Konflikte erfahren und möglicherweise nicht früh genug wahrgenommen, dass das Bistum Limburg etwas anders tickt. Sogar in den Redaktionsstuben der F.A.Z. neigt man offenbar inzwischen einer solchen Deutung zu, da der heutige Bischof ja als Weihbischof im Bistum Münster sozialisiert worden sei. Dort habe Bischof Reinhard Lettmann schon mal energisch auf den Tisch gehauen habe, schreibt Peter Lückemeier Anfang September in einem Kommentar. Ich kann das aus eigener Erfahrung zwar nicht bestätigen, weiß aber genau, dass Lettmann es klar und offen benannte, wenn er in einer Frage anderer Meinung war und hierzu seine bischöfliche Verantwortung ins Feld führte. Und weiter heißt es: „Das Münsterland ist katholisches Stammland, steht trotz mancher Erosion bis heute in Treue fest zum Glauben. Das Bistum Limburg liegt zwischen dem behäbigen Westerwald und dem wachen, kritischen Frankfurt. Im Münsterland wird mit Weihrauch nicht gegeizt, in Frankfurt gilt Weihrauch schnell als traditionsverhaftet, geradezu rückständig. Vor allem hat das Bistum Limburg ein schwieriges Verhältnis zu Rom.“ Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass Münster im Bistum in jeglicher Hinsicht „die Zentrale“ ist (sieht man einmal von der Sonderrolle des Offizialates Oldenburg ab) und als Bischofssitz auch nicht zu vergleichen mit der Situation einer Kleinstadt im Schatten der pulsierenden Metropole Frankfurt, wo sonst alle Fäden in der Region zusammenlaufen. 

Einen vergleichbaren Aspekt findet man auch im Streit um die bischöfliche Residenz bzw. das Diözesane Zentrum St. Nikolaus auf dem Domberg. Auch hier geht es wohl im Kern um „Mitbestimmung“. Durch die Übertragung des Projektes in die Verantwortung des Bischöflichen Stuhls waren die Domkapitulare in ihren Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. Hier mag auch eine der Wurzeln des Konflikts mit dem Frankfurter Stadtdekan Johannes Eltz liegen, der ja auch Domkapitular und Vizeoffizial des Bistums ist. Dabei ist Dr. Johannes zu Eltz, Domkapitular und Kirchenrechtler ja alles andere als ein theologischer oder kirchenpolitischer Gegenpart des Bischofs. Er ist einer der Männer hinter dem erfolgreichen Projekt YOUCAT. Er wird wissen, dass eine dauerhafte Konfrontation niemandem nützt und dass es eine Einigung und einen Neuanfang geben muss. Kürzlich sagte er bei einem Besuch des Bischofs in Frankfurt: „Wenn der Bischof von Limburg nach Frankfurt kommt, betritt er kein Feindesland“. Was mag ihn also zu seinen kritischen Worten gebracht haben? Sicher eher die Sorge um das Bistum und die Pastoral als persönliche Gründe. Als Beobachter fragt man sich, warum es so schwer fällt, diesen Konflikt brüderlich zu lösen statt die Eskalation zu suchen. Ob es vernünftig war, diesem Kritiker in einer größeren Runde den Rücktritt nahe zu legen statt ihn und andere zu Gesprächen ins stille Kämmerlein zu laden?

Was vom Streit um das „Diözesane Zentrum“ mit Berechtigung bleibt, ist die Frage, ob die deutsche Kirche sich angesichts des Rufs nach „Entweltlichung“ allzu aufwendige Gebäude leisten muss, auch wenn sie sich solche leisten kann und viele gute Gründe dafür sprechen, sie sich zu bauen. Manchmal geht es einfacher, bescheidener und damit letztlich stimmiger und überzeugender. 

In Frankfurt köchelt sicher auch noch die Auseinandersetzung um den Leiter des Hauses der Begegnung, Patrick Dehm. Der langjährige Leiter dieses Hauses hatte sich – nach Ansicht der Bistumsleitung – bei einer Besichtigung seines Bildungshauses in einigen Bemerkungen „im Ton vergriffen“. Damals lag in der Luft, dass man dieses Haus aus Sparerwägungen schließen wolle. Musste man hier wirklich bis zum Äußersten gehen und diesen langjährigen Mitarbeiter fristlos kündigen? Ist es nicht verständlich, dass jemand, der sein Lebenswerk und seine Lebensleistung in Gefahr sieht vielleicht auch mal ein Wort zuviel sagt? Wäre das nicht in einem Gespräch und evtl. mit einer (nicht öffentlichen) Abmahnung zu regeln gewesen? Letztlich war das Verhältnis nicht zu reparieren. Aber einer Abfindung in Höhe von 200.000 Euro und der Rücknahme der Kündigungen musste das Bistum zähneknirschend zustimmen. 

Manchmal hat man sich in der Vergangenheit auch gefragt, ob der Bischof immer gut beraten ist, was seinen Umgang mit der Presse und der Öffentlichkeit angeht. Ob es klug war als Bistum den Bezug der FAZ wegen der – zugegeben überkritischen und teils unangemessenen Artikel zu kündigen und dies auch noch öffentlich zuzugeben? Natürlich wurde Bischof Franz-Peter ungerecht behandelt. Aber er sollte sich auch fragen, welchen Anteil er selbst daran hatte. Dass der Bischof nun einlenkt und in einem Brief an alle Gemeinden schreibt, dass er Fehler gemacht habe ist ein guter erster Schritt. Allerdings wäre es sicher gut gewesen diese Fehler auch konkret zu benennen und direkt zu erwähnen, welche Konsequenzen diese Einsicht nun für die Zukunft hat. Aber vermutlich werden wir da noch etwas hören. 

In einem Forum im Internet bemerkte jemand: „Bischof Dyba war noch konservativer als er, aber er hatte eine sympathische und liebenswerte Ausstrahlung. Deswegen wurde Dyba irgendwie dann doch geliebt, die Menschen mochten ihn, auch wenn sie seine Meinung nicht teilten.“ Franz Peter Tebartz van Elst ist ein gänzlich anderer Typ, keiner zum Kuscheln. Während inzwischen sogar Joachim Kardinal Meisner altersmilde wirkt kommt der Limburger Bischof (noch) anders rüber, kämpferischer, dynamischer, „theologischer“, vielleicht auch etwas „kälter“ und „herber“. Das macht es ihm nicht immer leicht, sich Sympathien zu erwerben.

Was nun? Ich denke, es gibt für das Bistum Limburg nur einen Weg! Es noch einmal neu mit diesem Bischof zu versuchen. Und für den Bischof auch nur einen: Es noch einmal neu mit diesem konkreten Bistum zu versuchen, mit seinen Menschen, mit seinen Anhängern und mit seinen Kritikern. In diesem kleinen Bistum in der Mitte Deutschlands spiegelt sich die Situation der Kirche unseres Landes, die zur Zeit durchaus auseinanderdriftet, in der sich die Mitte ausdünnt. Ein Bischof muss ein Brückenbauer, ein Pontifex sein. Er muss die unterschiedlichen Strömungen zu der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zusammenführen und seinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen in ihr Christus finden. „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.” (Johannes 13,35)

Ein Interessanter Blog mit Einsichten aus dem Bistum Limburg: 
http://demut-jetzt.blogspot.de/2013/08/der-bischof-und-sein-bistum-ein-paar.html

Eine neue Entwicklung, die heute (7.9.13) bekannt wurde: Der ehemalige vatikanische Spitzendiplomat Giovanni Kardinal Lajolo solle sich bei einem brüderlichen Besuch unter anderem im Gespräch mit Bischöfen und Mitgliedern der Bistumsleitung ein Bild von der Lage in Limburg verschaffen. Mehr: www.kath.net/news/42731, Schreiben von Card. Quellet: http://media3.kathtube.com/document/32696.pdf

Erklärung zum Abschluss des Besuchs von Kardinal Lajolo: http://www.bistumlimburg.de/fileadmin/redaktion/Portal/Meldungen/2013/Gemeinsame_Erklaerung_zum_Abschluss_des_Besuches_von_Kardinal_Lajolo.pdf

Dienstag, 6. August 2013

Schwestern in den Wäldern Hessens - ein Besuch im Kloster der Bethlehemschwestern

Der Name des Örtchens weckt Assoziationen von Mittelalter. Harmuthsachsen heißt ein kleines Dorf bei Waldkappel, etwa 40 km von Kassel entfernt. 
Auf dem Weg dorthin ist aber von historischer Idylle kaum eine Spur. Wie eine Wunde gräbt sich die Trasse der im Bau befindlichen Autobahn 44 in die abwechslungsreiche Landschaft.  Baumaschinen, Kräne, rötliche Erdhaufen markieren die Streckenführung soweit das Auge reicht.  Es geht damit nur stockend voran, weiß man im Dorf; Gerichtsverfahren und Insolvenzen hemmen den Baufortschritt. 
Kommt man von Waldkappel aus nach Harmuthsachsen steht direkt hinter der Ortsdurchfahrt der alte, steinerne Wegweiser nach Wollstein. Nur Eingeweihte wissen, dass aus dem ehemaligen Gutshof (erstmals erwähnt im Jahre 1195, der 1852 mit 90 Personen seine höchste Einwohnerzahl erreichte) heute ein Kloster der Bethlehemschwestern geworden ist. Durch die abgelegene Lage wurde die wirtschaftliche Nutzung des Gutes schwierig, zuletzt lebten nur eine Handvoll Menschen dort. Es gab eine Schweinezucht und Wurstherstellung, ein Brauereibesitzer wollte eine Eventlocation daraus entwickeln. Alles ohne Erfolg!

Seit 2001 ist der Ort nun „Schweigekloster“, so steht es jedenfalls auf der Radwanderkarte des Werra-Meißner-Kreises, doch Radwege führen dort nicht vorbei. Besucher müssen sich den Weg selbst erschließen, denn trotz mancher Weggabelung weist entlang der ca. sieben Kilometern langen, recht schadhaften Straße kein Hinweisschild auf das Kloster hin. Einzig das Telefonkabel gibt dem Wanderer eine Ahnung, dass wohl noch etwas kommen wird. Den Weg zum Kloster sollen auch nur die finden, die wirklich dorthin wollen. „Neugierige“ und „Touristen“ wünschen sich die Schwestern nicht.

Wunderbare Natur, Himbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Blumen und Wildkräuter säumen den Weg durch den Wald. Es geht stetig bergan. Ich wollte schon umkehren, als nach einer letzten Kurve die Landschaft sich öffnete und das Kloster vor mir lag. 
Es mutet alles alt-ehrwürdig an; der Gutshof mit dem Kloster, die alte Strasse, bei der man teilweise noch die historische Pflasterung am Wegesrand entdeckt, der Name „Wollstein“ oder heute „Marienheide“. Doch die Monialen des Klosters leben erst seit 12 Jahren hier in einem entlegenen Winkel in der Diaspora des Bistums Fulda. Seit 1991 gibt es eine Niederlassung der Monialen der Ordensfamilie von Bethlehem, der Aufnahme Mariens in den Himmel und des Hl. Bruno in Deutschland. Zunächst sollte das Kloster für ca. 40 – 50 Schwestern in der Lüneburger Heide entstehen, aber der Widerstand von „Naturschützern“ brachte das Projekt zum Scheitern. Den Namen „Marienheide“ brachten die Schwestern von dort mit nach Wollstein. 

Die Gemeinschaft blickt nur auf eine recht kurze (aber überaus erfolgreiche) Geschichte zurück. Sie ist – man möchte es kaum glauben - ein Kind des Pontifikates Pius XII. Den Tag der Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, den 1. November 1950 verstehen die Schwestern als Gründungstag. An diesem Tag ging einigen Pilgern, vor allem Frauen, unter ihnen Schwester Marie (der ehemaligen Dominikanerin Odile Dupont-Caillard (* 1922)) wohl auf, dass die Gottesmutter damit am inneren Leben des dreifaltigen Gottes teilhaben müsse. Zwölf Wochen später gründeten sie in Chamvres im Bistum Sens (Burgund) eine Kommunität. Sie strebten danach, ganz in das innere Leben mit diesem Gott und seinem Wort einzutauchen. Ähnlich wie einst der Hl. Bruno (der zunehmend wichtiger wurde) entdeckten die Frauen eine einfache Lebensweise in Schweigen, Gebet, Anbetung und einer Verbindung von Eremitentum und Gemeinschaftsleben.

Die Kommunität lebte zunächst in einem alten Gebäude, das dafür eigentlich ungeeignet war, einem ehemaligen Stall. Daher stammt der Name Bethlehem. Schon von Beginn an spielte dort die Anbetung eine wichtige Rolle, "wohnte" Christus mit den Schwestern in diesem bescheidenen Haus. Soeur Marie war damals dabei, gilt aber nicht im eigentlichen Sinn als Gründerin. Dennoch hat sie die Gemeinschaft sehr geformt. Heute ist Soeur Isabelle die Priorin der Gemeinschaft. 

Nach meinem abendlichen Kurzbesuch kehrte ich am Nachmittag des nächsten Tages nach Wollstein zurück. Die Klosterpforte war gastlich geöffnet, so konnte ich direkt in die Kirche gehen.  Das Haus ist wunderbar schlicht, mit natürlichem Materialien renoviert. Holz, Stein und Verputz prägen das Gebäude. Im Flur laden eine Christus-Figur und vor dem Eingang in die Kirche eine Abendmahls- und eine geschnitzte Christus-Ikone zum Gebet ein. Man betritt die Gäste-Empore, denn die Klosterkirche gehört natürlich zur Klausur. Die Kirche ist lässt noch erkennen, dass sie einst ein Stall war. Der Dachstuhl ist offen, man sieht die alten Balken, dazwischen die Flächen sind in gelblichem Lehmputz ausgeführt.
Die aufwendige Dachkonstruktion inspiriert mich zu einem Gedanken: Nicht jeder Balken erscheint hier auf den ersten Blick notwendig, manche entfalten ihre Bedeutung wohl erst bei einem Sturm. Vielleicht ein gutes Bild für unsere Kirche? Es braucht viele „Säulen“; Koinonia, Caritas, Verkündigung, Liturgie, Papst, Bischof (liberalere und traditionellere Gläubige) und manche Stütze mehr, damit die Kirche die Stürme gut übersteht. Fehlt ein Balken gerät das Ganze unweigerlich in Schieflage und die Stabilität ist gefährdet.

Unten in der Kirche zählt man 26 klassische Chorstallen (es sind noch einige mehr), jede Schwester hat auch einen Meditationshocker zur Verfügung. Rechts und links vom erhöhten Chorraum befinden sich lebensgroße Ikonen, eine Marien-Ikone links, eine Christus-Ikone rechts, alle jeweils mit einer kleinen Lampe. Auch auf der Empore befinden sich entsprechende Ikonen. Über dem Chorraum eine Reproduktion der berühmten Dreifaltigkeitsikone von Andrei Rubljow. Diese Darstellung hat für den Orden (seit 1998 päpstlichen Rechts) eine besondere Bedeutung. 

Im halbrunden Chorraum ein hölzerner Altar, der Priestersitz und eine halbrunde Bank. Der Tabernakel steht rechts und ist mit einem Tuch bedeckt. Ebenfalls rechts steht ein großes Kreuz mit einem Korpus aus einer der Werkstätten des Ordens. Etwa eine Viertelstunde vor der Vesper kommt eine Schwester und läutet. Dann ziehen 13 Schwestern nach und nach in die Kirche ein. Mit einem weiteren Glockenläuten beginnt die Vesper. Der Ablauf ist ungewöhnlich, neben den bekannten Psalmen kommen auch orthodoxe Gesänge vor. Allerdings wird fast alles auf deutsch gebetet. Auch die Übersetzungen liturgischer Texte weichen von den gewohnten Formulierungen ab. So heißt es zu Beginn: „Ehre sei der unteilbaren, wesenseinen und Leben spendenden heiligen Dreifaltigkeit. Jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen!“ Nach dem orthodoxen Trishagion folgt (jeden Tag) ein Abschnitt aus dem Schöpfungspsalm 104, dann das Vater unser, später erst bis zu sieben Psalmen, die ohne die vertrauten Antiphonen gebetet werden. Die Schwestern bekreuzigen sich häufig und berühren dabei immer wieder den Boden.  Einzelne Schwestern gehen während des Gebetes zur Verehrung der Ikonen und des Kreuzes nach vorn. Vor dem Kreuz machen Sie eine Prostratio, einige sogar zweimal. (Hier scheint ein kleiner Exkurs sinnvoll: Nach orthodoxem Brauch nennt man so etwas auch Metanie (Metanoia). Das sind Zeichen der Bereitschaft zu Umkehr und Buße. Es gibt eine kleine Metanie, bei der man sich nach dem Kreuzzeichen so tief verneigt, dass die rechte Hand den Boden berührt und die große Metanie mit Niederwerfung. Metanien gehören auch zur Verehrung einer Ikone). Nach dem Salve Regina liegen alle Schwestern auf dem Boden, während eine Schwester den Angelus läutet, der in Stille gebetet wird. 

Voller neuer Eindrücke kehre ich nach dem Gebet nach Hause zurück, nachdem ich von den Schwestern gehört hatte, dass der kleine Raum links hinter der Klosterpforte und auch Toiletten für Gäste zur freien Nutzung zur Verfügung stehen. 

Bevor ich am nächsten Tag wieder nach Wollstein fahre, mache ich einen Abstecher nach Germerode, einst ein bedeutendes Prämonstratenserkloster, dessen romanische Klosterkirche, aber auch Teile der Gebäude bis heute bestehen. Das Kloster ist einen Besuch wert. Seit einigen Jahren lebt hier – auf Wunsch der Landeskirche – ein Ableger der evangelischen Kommunität Koinonia in einem sehr modernen Haus im Innenhof des ehemaligen Klosters. 
Im ehemaligen Sakramenthaus der Kirche hatte ein Vogel ein Nest gebaut: „Auch der Sperling findet ein Haus und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen. Deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein Gott und mein König. Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben.“

Auf dem weiteren Weg gönne ich mir eine Pause auf einem Hochsitz: Vogelstimmen, das Plätschern des Baches und das Summen zahlreicher Insekten... mehr war nicht zu hören, auch keine Flugzeuge am Himmel! Hoffentlich bleibt die Ruhe, wenn die A44 erst fertig ist!

Als ich da war, besuchte ich zunächst die alten Kapelle hinter dem Schafstall, wo (mit Hilfe des Bonifatiuswerkes) die ersten neuen Zellen der Schwestern entstehen. Das Tor steht leicht auf, ich gehe die Treppe hinauf, öffne die Tür und stehe unmittelbar dem eucharistischen Herrn gegenüber. Die alte (evangelische) Gutshofkirche war von innen renoviert worden und diente als Anbetungskirche. Eine Schwester kniete vor dem Allerheiligsten. Über dem geöffneten Tabernakel ein großes Dreifaltigkeitsbild. Im gewissen Sinn mitten im Bild: der Herr im Tabernakel. Die Schwestern wechseln sich in der Anbetung ab, sie begrüßen Christus jeweils mit einer tiefen Verneigung.

Das Abendgebet ist auf 17 Uhr vorverlegt, weil noch gemeinsame Anbetung stattfinden soll. Die Vesper ist genau wie gestern ungewöhnlich, aber beeindruckend. Besonders die polyphonen orthodoxen Gebete sprechen mich an, man ahnt, wie schön es klingen wird, wenn einmal 30 Schwestern zusammen beten. Offensichtlich spielt Schönheit in der Liturgie hier eine größere Rolle als bei den Kartäusern. Die Gemeinschaft lebt aus der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils (während die Kartäuser ihre Eigenliturgie weitgehend bewahrt haben), sonst wäre ja auch die Übernahme orthodoxer Traditionen schwerlich denkbar. Auch die Ausgestaltung der Kirchen entspricht den Vorgaben des Konzils. Heute beeindruckte mich eine Fürbittlitanei mit Gebetsrufen an Maria, der Königin des Friedens und sehr eindrucksvollen Gebeten um Vergebung der Sünden. Am Ende wurde Christus in einer großen Hostie in einer fast einen Meter hohen Monstranz ausgesetzt. Bevor die Priorin die Hostie aus dem Tabernakel nahm, gab es eine dreifache Prostratio.
Von der morgendlichen Messe um acht Uhr kann ich nicht viele Besonderheiten berichten. Eine sehr würdig gefeierte Hl. Messe. Die Schwestern standen zum Vater unser in Orantenhaltung vor dem Altar. Beim Friedensgruß reichte eine Schwester beidhändig und sehr herzlich den Friedenswunsch an die nächste Schwester weiter. Die Priorin kam auch auf die Empore und wünschte uns Gästen den Frieden. Der Kommunion ging eine lange Prostratio voraus. Kommuniziert wurde unter beiderlei Gestalt durch Eintauchen, aber mit Patene und als Mundkommunion. 
Sehr eindrucksvoll war am Vorabend des Sonntag die Verkündigung des Auferstehungsevangeliums, mit den zugehörigen Gesängen. Die Kirche war mit Blumen sonntäglich geschmückt, eine Auferstehungs-Ikone und die Osterkerze waren da. Nach dem Evangelium trug die Priorin das Evangeliar nach vorn und alle verneigten sich vor dem Evangelium und der Ikone und berührten bzw. küssten sie. Auch wir auf der Empore bekamen Gelegenheit hierzu. Teil des Stundengebetes ist auch eine ausführliche Väterlesung, daher wird auch Sonntags normalerweise nicht gepredigt. Die Messe am Sonntag um 9.45 Uhr begann mit einer feierlichen Wasserweihe, mit dreifacher Anhauchung des Wassers, dem Segen über dem Salz und Vermischung des Salzes mit dem Wasser. Dann kamen die Schwestern und ließen sich besprengen. Abschließend wurden auch wir Gäste besprengt. Kleine, aber deutliche Zeichen der Ehrfurcht prägen die gesamte Liturgie, die Kreuzzeichen, Verneigungen, Prostrationen, die sehr lange Kniebeuge des Priesters, die Niederwerfung vor und nach der Kommunion. Zur Sonntagsmesse kommen eher wenige, etwa zehn Gäste und Besucher aus der Region. 

Häufig werden die Betlehemschwestern mit den Kartäusern verglichen, teilweise sogar als „neuer Kartäuserorden“ bezeichnet. Sicher gibt es eine ganze Reihe Parallelen, auch fühlen sich beide Gemeinschaften verbunden, die Ordensfamilie von Bethlehem hat auch schon Kartausen neu besiedelt. Aber man muss sagen, die Lebensweise der beiden Ordensgemeinschaften ist vergleichbar, die Spiritualität ist eine (deutlich) andere. Vielleicht ist es hier bedeutsam, dass die Regel bei den Kartäusern „Consuetudines“ heißt, die „Gewohnheiten“. In diesem Sinne leben die Brüder und Schwestern der Ordensfamilie von Bethlehem weitgehend in der (ursprünglichen) Lebensform der Kartäuser. 

Viele dieser „Gewohnheiten“ haben die Monialen übernommen. So das Leben in abgeschlossenen Zellen, das wöchentliche Kapitel, der gemeinsame Spaziergang, einzelne gemeinsame Gebete in der Kirche und weitere Gebete in der Zelle, die Ordenskleidung u.s.w.. Die Stille der Nacht wird als Chance der Gottesbegegnung betrachtet, allerdings gibt es nicht die geteilte Nachtruhe. 

Aber es gibt noch weitere wichtige Besonderheiten: 

Die Gastfreundschaft: Die Schwestern nehmen Gäste auf und nehmen sie auch als solche wahr, z.B. durch kleine freundliche Gesten. Nach den Liturgien suchen einige hiermit beauftragte Schwestern den Kontakt mit den Gästen und nehmen sich Zeit für Gespräche. (Hier ist vielleicht die richtige Stelle für einen aufrichtigen Dank an die Schwestern, namentlich Schwester Marika und Sr. Priorin Marie Ange für ihre Gastfreundschaft und die Gelegenheit, in der Liturgie, der Natur und der Begegnung mit den Schwestern, dem Wort Gottes und dem Kloster Gott ein Stückchen näher zu kommen.)

Die orthodoxe, orientalische Mönchstradition: Sie hat natürlich auch bei den Kartäusern Gewicht und eine Neuentdeckung der östlichen Mönchstraditionen prägt ja auch einige andere Gemeinschaften. Ich denke an die Abtei Mariendonk, wo die Beschäftigung mit den „Mönchs-, Kirchen- und Wüstenvätern“ noch nicht in die Liturgie selbst „durchschlägt“. Anders ist dies ja bei den Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem, die orthodoxe Elemente aufgenommen haben. Wirklich konsequent macht dies die Ordensfamilie von Bethlehem, indem sie z.B. bei ihren Stundengebeten östliche Vorlagen (Gebete, Gesänge) integriert, aber auch vereinfacht hat. Es gibt auch einige Gesänge auf französisch, kirchenslawisch und hebräisch. In diesem Zusammenhang ist auch das sogenannte Jesus-Gebet oder Ruhegebet interessant, das ja auch die Kartäuser pflegen.

Die Beschäftigung mit Gottes Wort und dessen Lesung, z.B. bei den Mahlzeiten spielt eine sehr wichtige Rolle (Lectio divina). 

Ein Aspekt, der der kartusianischen Frömmigkeit eher fremd ist, ist der hohe Stellenwert der eucharistischen Anbetung. Diese, ob allein oder in Gemeinschaft, in der Zelle (es gibt einen kleinen Tabernakel in den Oratorien), der Kapelle, der Kirche ist zentral. Der vertraute Umgang mit dem Herrn wird analog zum Leben Marias betrachtet, die ja 30 Jahre mit Christus das alltägliche Leben geteilt hat hat und in jeder Hinsicht für ihn da war. „Vielleicht ahmen wir das einfach nach“. Viele weitere jüngere Gemeinschaften kennen den Aspekt der Eucharistischen Anbetung. „Wir setzen uns Jesus aus, aber er setzt sich auch uns aus.“ Die Anbetung in der Kirche von heute ist notwendig, um die Eucharistie in Ihrer Fülle zu entdecken, vielleicht gar wiederzuentdecken. 

Die Schönheit. Die Gemeinschaft legt Wert auf Schönheit, aber eine schlichte Schönheit, die sich an der Natur orientiert. Die Räume sind mit Holz, Ikonen, Figuren und weiteren Materialien (Fliesen und Steinfussböden) ausgestattet. Die Möbel sind aus Holz und möglichst einfach, teils selbst geschreinert. Die Schönheit der Natur spiegelt die Schöpfung Gottes. Maria ist die absolut schöne Frau. Es gibt einen starken Akzent marianischer Frömmigkeit, was ja durchaus kartusianisch ist. Auch die Liturgie soll durch Texte und Musik schön und anziehend sein. Die Kartäuser haben da einen stärkeren Akzent auf Kargheit und Schlichtheit. In dem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass in den Werkstätten der einzelnen Klöster schöne biblische Figuren aus Ton, Holz oder Dolomit gefertigt werden, dazu religiöse Medaillen, Kreuze und vieles mehr. Der Orden zieht künstlerisch begabte Menschen an. 

Der Orden der Bethlehemschwestern ist jung. Er besteht erst seit 1951, der Männerzweig seit 1976. Die 13 Schwestern sind etwa zwischen 20 und 60 Jahre alt. Während die Kartäuser viele Interessenten abweisen, sagen die Schwestern: „Wir sind nicht ganz so streng!“ Aber auch sie spüren, dass vielen Menschen eine solide Basis im Glauben fehlt. Vor der ewigen Profess steht eine langjährige Zeit der Prüfung und Einübung. Inzwischen gehören mehr als 600 Schwestern (Monialen) und fast 100 Mönche zur Ordensfamilie.  

Die erste Zeit der Schwestern in der Lüneburger Heide (seit 1992) diente vor allem der Verwurzelung in der Kultur und Sprache des Landes. Das Kloster Marienheide (seit 22. August 2000) ist noch in der Gründungsphase. Deshalb gibt es mehr praktische, körperliche Arbeit für alle Schwestern. Viele Menschen von außen helfen, aber die Schwestern packen auch beim Bau mit an. Zuerst waren 11 Schwestern da, nach der Fertigstellung der Kirche nur noch acht und heut sind es wieder 13, so dass es gut voran geht. Der Bau der Kirche im ehemaligen Pferdestall war ein Kraftakt. Bis zur letzten Minute wurde gearbeitet. Aber 2008 konnte der Bischof kommen. Wir haben bis 2 Minuten vor der Liturgie noch gearbeitet, 400 Gäste waren da und feierten mit den Schwestern und Bischof Heinz-Josef Algermissen. Uahlreiche Förderer in ganz Deutschland unterstützen die Neugründung, vor Ort allerdings ist es Diaspora und nur wenige Menschen können tatkräftig mit anfassen. Aber dennoch sieht man, dass es mit Gottes Hilfe voran geht. 

Literatur über die Ordensfamilie von Bethlehem ist rar. Der Buchmarkt gibt nichts her. Im Kloster gibt es Einzelexemplare eines Buches aus dem Jahr 1998 mit interessanten Texten und eine knappe Broschüre. Die Ordensregel und weitere Texte sind überhaupt nicht in deutscher Sprache verfügbar. Ein wunderschöner Bildband mit dem Titel: „Lumières de Silence“ zeigt in zahlreichen Fotografien von Hanan Isachar das Leben im Kloster von Bet Gemal in Israel. Unbedingt empfehlenswert, aber schwer zu beschaffen!

Unbedingt abzuraten ist von der Lektüre des Buches von Miek Pot „In der Stille hörst du dich selbst - Meine 12 Jahre in einem Schweigekloster“. Auch wenn das Buch als Erfahrungsbericht einer "Kartäuserin" verkauft wird, so geht es u.a. um das Kloster der Betlehemschwestern in Opgrimbie in Belgien. Man erfährt so gut wie nichts über das Leben im Schweigekloster und seine Grundlagen. Am Ende hat man das Gefühl, als habe die Verfasserin in den 12 Jahren kaum etwas über das Klosterleben verstanden. Angenehm fand ich, dass sie ohne Verbitterung gegangen ist und versöhnt auf ihre Zeit zurückschaut. Miek Pot hat scheinbar einen so großen Abstand zu dieser Zeit, dass die Jahre im Orden eher die Folie für ihr heutiges Denken bilden. Was sie letztlich aus dem Kloster herausgebracht hat, ist mir nicht ganz klar geworden. Vermutlich hat sie den klassisch - christlichen Gottesglauben verloren. Daher erscheint ihr das Leben in der Stille - ganz für Gott - sinnlos und das Leben unter und mit den Menschen ist wieder ihr Ding geworden. Das Buch dient wohl eher der (legitimen) Selbstvermarktung als Spiritualitätstrainerin und Coach. Daher macht die Beschäftigung mit der Zeit im Orden nur einen kleinen Teil des Buches aus. 

Das Internet bietet etwas mehr, z.B. in englisch und französisch auf der gut gemachten Homepage der Gemeinschaft. www.bethleem.org. Die Seite ist inzwischen u.a. auch um die deutsche Sprache erweitert worden. Sehr lohnenswert!

Auch interessant: www.kath.net/news/37655

Ein lesenswerter Bericht mit Informationen über die Schwestern findet sich in der FAZ:
www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-kartaeuserkloster-hier-ist-raum-fuer-die-grosse-stille-geschaffen-11577791.html

Über die Geschichte von Wollstein selbst informiert das Land Hessen:
www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/636012160

Die ZEIT berichtet über die Schwierigkeiten des Anfangs in der Lüneburger Heide:
www.zeit.de/1997/24/Nonnen_in_der_Wildnis

Freitag, 28. Juni 2013

Ehe-Probleme

Dass es mit der katholischen Ehe nicht zum Besten steht, das ahnen viele. 
  • Seit Jahren wird um den rechten Weg in der Seelsorge an und mit geschiedenen und wieder verheirateten Ehepartnern gerungen. Der Ruf nach Möglichkeiten der Zulassung zu den Sakramenten ist laut.
  • Wer in einer Gemeinde verantwortlich ist für die Erstkommunionkatechese, der trifft so unterschiedliche Familienmodelle an, der begegnet so viel Patchwork in den Familien, dass er getrost alle Idealisierungen christlichen Lebens fahren lässt. 
  • Wenn er nicht eine besonders beliebte, attraktive Traukirche hat, wird kaum ein Pfarrer heute noch mehr Hochzeiten als Ehejubiläen feiern. Selbst bei anhaltend hoher Scheidungsquote erreichen heute deutlich mehr Paare die goldene oder silberne Hochzeit (und feiern dieses) als dass neue Ehen richtig katholisch geschlossen werden. 
  • Mancher Priester verzweifelt über den Schwerpunktsetzungen der Eheleute; Blumenschmuck und Musik, die Rolle des Brautvaters, die Kleidung und die Schönheit der Kirche stehen im Vordergrund. Es soll ja der schönste Tag des Lebens werden. Ehevorbereitungskurse? Wer braucht das schon?

Schritt für Schritt kommt es – mit (höchst)gerichtlicher Schützenhilfe zu einer "Gleichberechtigung" unterschiedlichster Partnerschaftsformen. Gleiche Liebe, gleiche Verantwortung, gleiche Rechte. Manch konservativer Publizist fragt schon spitz, ob demnächst auch die Beziehung der alten Dame zu ihrem Dackel Jockel beim Standesamt beurkundet werden wird. 

Jetzt scheint auch die evangelische Kirche die christlichen Bastionen zu räumen. Die EKD hat eine „Orientierungshilfe“ zum Thema Familie vorgestellt. Darin fordert sie, alle Familienformen anzuerkennen und zu stärken. Dabei schließt sie auch Patchworkfamilien und homosexuelle Partnerschaften ein. 
Die Kritik der christlichen Schwestern und Brüder ließ nicht lange auf sich warten: Die Publizistin Birgit Kelle schrieb: „160 Seiten braucht die EKD, um zu definieren, was die normale Familie ist ... Liebe EKD, es geht auch mit drei Worten: Vater-Mutter-Kinder.“ Ihr Kollege Alexander Kissler griff in einer Polemik bei cicero gleich zum ganz schweren Degen: „grün-besserwisserischer Zeitgeist“, „beklagenswerte Zustand der protestantischen Universitätstheologie“, er spottet über Formulierungsfragen und Bibelfälschung. Selbst wenn er mit der ein oder anderen Bemerkung recht haben sollte, von inhaltlicher Auseinandersetzung ist wenig zu lesen, es ist nur ein Aufguss der allseits bekannten Evangelenfeindlichkeit in bestimmten Kreisen. Natürlich kriegen auch Margot Käßmann, Nikolaus Schneider und Heinrich Bedford-Strohm ihr Fett weg. Warum eigentlich? Kissler reicht es, dass sie allesamt Bücher verfassen, ein Symptom einer angeblichen Schwafelkirche und ergeht sich im Spott über einzelne Formulierungen darin. Mich überzeugt ein solcher Krawallkatholizismus nicht. Selbst wenn Kissler manchmal durchaus unterhaltsam ist. 
Ganz anders geht der eher konservative Prälat Wilhelm Imkamp an die Sache heran. Die Orientierungshilfe sei "ganz auf Linie Luthers", weil sie die Ehe als "weltlich Ding" und nicht als Sakrament beurteile. Darin sieht er eine begrüßenswerte Klarheit und stellt die katholische Position vor dieser Folie dar. Anders als Luther sehen die Katholiken in der liebevollen Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau ein Sakrament. In dieser Verbindung spiegelt sich die Liebe Jesu Christi zu seinen Jüngern, zu seiner Kirche. So wie diese Liebe unzerstörbar sei, so ist auch das Sakrament der Ehe nicht aufzulösen; so wie Jesus seine Gläubigen nie im Stich lässt, so sollten auch Eheleute einander in guten und in schlechten Zeiten zur Seite stehen. 

Ehe = Vater, Mutter, Kinder! Und das sei nach biblischem Zeugnis so! Das hört man in dieser Diskussion häufiger. Vielleicht sollten wir mal die Bibel lesen. Da sind zum Beispiel Abraham und seine Frauen Sara und Hagar: Mit beiden hatte der Stammvater des Volkes Israel Kinder. Oder sein Enkel Jakob mit seinen beiden Frauen, den Schwestern Rahel und Lea, mit denen er zwölf Söhne zeugte, auf die die zwölf Stämme des biblischen Israel zurückgehen. So ganz einfach ist das nicht mit dem biblischen Familienbild. Und auch auf Jesus können sich die Vertreter des traditionellen Vater, Mutter, Kinder nicht ganz so leicht berufen. Ein Familienmensch war dieser nicht, seine Angehörigen hatten es nicht gerade leicht mit ihm. „Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.“ oder auf die Frage nach der Ehe: „Meister, Mose hat gesagt: Wenn ein Mann stirbt, ohne Kinder zu haben, dann soll sein Bruder dessen Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen verschaffen. Bei uns lebten einmal sieben Brüder. Der erste heiratete und starb, und weil er keine Nachkommen hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder, ebenso der zweite und der dritte und so weiter bis zum siebten. Als letzte von allen starb die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt.  Jesus antwortete ihnen: Ihr irrt euch; ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes. Denn nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel.“

Aber kommen wir zurück zur Ausgangsfrage. Wir erleben einen großen Wandel mit Blick auf die Formen menschlichen Zusammenlebens. Was uns heute manchmal als „Standard“ erscheint, als erhaltenswertes Ideal ist dabei so alt noch nicht. Die „Liebesheirat“, bei der sich zwei Partner frei füreinander entscheiden ist ein Kind des bürgerlichen Lebens. Dass eine Ehe Jahrzehnte lang währt, auch das gibt es erst dank des medizinischen Fortschritts der letzten hundert Jahre. Ich kann mir nicht helfen, wann immer Jesus in der Bibel von Ehe spricht hat er wohl etwas anderes vor Augen, als die Ehe meiner Großeltern, die über 60 Jahre trug und erst mit dem Tod meines Opas endete. Auch stellt eine Trennung ein Paar heute nicht mehr vor derart schwierige gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme, wie noch vor vierzig Jahren. Nicht alle diese Phänomene sind in sich schlecht. Sie sind auch Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts. So ist es kein Wunder, dass sie mit einem Wandel in der Beziehungskultur einher gehen. Und dieser Wandel ist noch immer im Gange, denn es wächst die Akzeptanz und Toleranz für ungewöhnliche Lebensformen. Anything goes und kaum noch etwas regt die Nachbarschaft und die Verwandschaft wirklich auf. Der soziale Druck nimmt spürbar ab und damit auch Bindungskräfte, die auch jenseits der tragenden Liebesbeziehung eine Ehe zusammen hielten. 

Doch trotz all diesen Wandels ist und bleibt die Ehe ein hoher Wert. Noch immer wünscht sich die überwiegende Mehrzahl der jungen Menschen im Grunde „katholische Werte“. Treue steht hoch im Kurs! Möglichst lebenslang! Auch Kinder werden von den allermeisten Paaren in ihrer Lebensplanung gewünscht. Die Sehnsucht nach einer funktionierenden und tragenden Beziehung ist groß. Vieles, was uns Katholiken an einer Ehe wichtig ist, halten unsere Zeitgenossen, ob katholisch, ob gläubig oder nicht ebenfalls für wichtig. Trotzdem gelingt es uns offensichtlich nicht, die katholische Idee von der Ehe so zu präsentieren, dass die Leute erkennen: das ist es, wonach ich schon so lange gesucht habe. 

Die Ehe ist ein weltlich Ding, diese evangelische Überzeugung wird uns zur Zeit überdeutlich vor Augen geführt. Die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft machen, ob in Deutschland, Amerika und Frankreich damit was sie wollen. Die Ehe ist ihnen wohl keine heilige Institution, nicht einmal ein schützenswertes Modell. Sie dehnen den Begriff auf weitere Lebensformen. Vielleicht gibt es demnächst ja Ehen mit „Verfallsdatum“.

Vielleicht sollten wir uns darauf besinnen, dass die katholische Auffassung von Ehe nicht davon abhängig ist, wie der Staat das Zusammenleben von Paaren regelt. Vielleicht müssen wir auch wieder deutlicher darauf hinweisen, dass das, was der Staat als Ehe definiert noch lange nicht das ist, was wir darunter verstehen. Vielleicht müssen wir uns in der Frage der Ehe und der Familie stärker vom Staat abgrenzen und die Kooperation mit staatlichen Stellen in der Ehefrage einstellen. 

Wir sollten weniger darauf starren, was Staat, Gesellschaft, Gerichte und Eheleute selbst aus ihren Ehen und Beziehungsformen machen. Auch wenn es in staatlicher und kirchlicher Definition jeweils Ehe heißt – so ist es nicht dasselbe. Kein Bundesverfassungsgericht und keine Staat kann gläubige Menschen zwingen, ihre Ehe neu und anders zu verstehen und zu leben. 

Für Bischof Voderholzer geht es bei der Ehe „nicht um ein paar moralische Fragen. Es geht um die Schöpfungsordnung, um die Einsicht: In der gegenseitigen Anziehung von Mann und Frau, in der Bezogenheit von Frau und Mann aufeinander hat der Schöpfer die Zukunft der Menschheit, die Zukunft von Gesellschaft und Kirche gelegt. Damit wird niemandem eine Lebensweise vorgeschrieben. Aber es wird die besondere Schutzwürdigkeit von Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft und als Ort der Zukunftsfähigkeit der Menschheit herausgestellt.“

Wenn heute in der Öffentlichkeit und auch kirchenintern über die Ehe debattiert wird, dann – leider – meist im negativen Kontext. Wir sprechen über die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten, über hohe Scheidungsraten, über Patchworkfamilien, über die Unbarmherzigkeit der Kirche im Umgang mit Geschiedenen, Homosexuellen und modernen Formen der Lebens-Abschnitts-Partnerschaft. Und wir tun uns schwer mit der Seelsorge und mit Angeboten, die diesen Personen das Gefühl geben, in ihrer Lebensform und mit ihren Problemen ernstgenommen, verstanden, akzeptiert zu werden. Viele von ihnen wollen nicht als „defizitäre Christen“ gesehen werden. Hier müssen wir etwas tun, ohne unsere Idee von Ehe und Familie aufzugeben. Es überzeugt nur schwer, wenn wir uns seelsorglich einem wiederverheirateten Paar zuwenden, aber ihnen nicht irgendwann einmal die Gnade und das Verzeihen Gottes zuzusprechen und einen echten Neubeginn zu ermöglichen. Es ist auch kaum vermittelbar, auf Homosexuelle zuzugehen, ihnen Nähe zu signalisieren und gleichzeitig (gelebte) Homosexualität als Sünde zu brandmarken. Diese Spannung hält auf Dauer weder der Betroffene noch der Seelsorger aus. 

Es macht wenig Sinn, wenn unsere Rede von der Ehe vor allem aus Sätzen besteht wie „Du sollst“ und „Die Eheleute müssen“. Um das Sakrament der Ehe einen Zaun aus Verboten und Geboten zu errichten, hilft nicht weiter, es verdunkelt nur das Licht, das sie eigentlich ausstrahlen könnte.

„Die Ehe gewinnt ihre besondere Bedeutung und Heiligkeit daraus, dass sie an der Schnittstelle des Verhältnisses von Gott und Mensch steht. Einerseits lebt sie ganz aus dem freien, rückhaltlosen „Ja“ von Mann und Frau zueinander; andererseits erwächst sie nach christlicher Überzeugung unmittelbar dem Willen des Schöpfers.“ - so Joachim Kardinal Meisner in einer aktuellen Stellungnahme. Wenn Jesus über die Ehe spricht, dann (nach Markus) so: „Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot (die Möglichkeit der Ehescheidung) gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Kardinal Meisner betont: „Die Ehe zwischen Mann und Frau, aus der Kinder hervorgehen, ist in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte als Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit verstanden worden.“ Die Wertschätzung, die in weiten Kreisen der katholischen Kirche nach wie vor
dem Zölibat entgegengebracht wird, sollten wir auch der sakramentalen Ehe widmen.

Die Ehe ist schon ein besonderes Sakrament. Das Ehesakrament spenden sich zwei Laien. Sie tun es gemeinsam und gleichberechtigt, als Mann und als Frau und in besonderen Fällen sogar ohne jegliche Mitwirkung eines Geistlichen allein vor dem Standesamt. 

Wir sollten wieder mehr von dem sprechen, was das Sakrament ausmacht. Wir sollten von Beispielen gelingender Ehen erzählen und davon, wie es funktioniert, gute und schlechte Zeiten miteinander durchzustehen. So sieht das auch der Regensburger Bischof Voderholzer: „Müssen wir nicht auch von der Gnade sprechen und sie hochhalten, die darin besteht, dass es ungezählte Beispiele der gelungenen Verwirklichung dieses Ideals gibt?“ Wir sollten die Ehevorbereitung intensivieren und Paare in Krisen weiter engagiert begleiten. Wir sollten die spirituelle Dimension der Ehe betonen, durchaus auch aus theologischer Perspektive darüber reden, was in menschlicher Liebe, in Sexualität, im Familienleben auch von Gott zum Ausdruck kommt.

Wir müssen uns, wie Papst Franziskus sagt, für die „Institution der auf Ehe gegründeten Familie einsetzen“. Wir müssen dafür werben, wir müssen immer mehr Leute finden, die diesen Weg zu gehen bereit sind, wir müssen ihnen bei der Vorbereitung helfen, ihnen in Beziehung und als Familie mit Seelsorge, in der Kindererziehung und so zur Seite stehen und wir müssen ihnen Auswege aufzeigen, sollten ihre hohen Pläne – trotz Gottes Hilfe scheitern. 

Montag, 10. Juni 2013

Katholisch op Kölsch, Eindrücke vom Euko

„Da simmer dabei, dat ist priiiima ... “ - das war mein Gedanke, als ich hörte, dass in Köln ein „Eucharistischer Kongress“ stattfinden sollte. „Viva Colonia!“ Katholisch in Köln! Das hat was! Köln ist eine wunderbare Stadt, voller Kirchen, Kultur, Kunst – und Lebenslust! Wohin sonst passt ein solches Treffen besser - als mitten hinein in den lebensfrohen und frommen rheinischen Katholizismus. Und dass das super zusammengeht, das zeigte der Kölner Kardinal, als er am Donnerstag gemeinsam mit den Höhnern auf der Bühne auf dem Roncalliplatz stand und sich zu eben diesem Lied im Takt bewegte, mitsang und klatschte. Den notorischen Meisner-Nörglern müssen die Augen ausgefallen sein. Frisch und munter sah der beinahe 80jährige Kardinal aus, fröhlich wie vor einigen Jahren, als er Papst Benedikt in der „Hauptstadt des rheinischen Katholizismus“ begrüßen durfte. 
Im Vorfeld des Kongresses hallte so mancher Theaterdonner durch die Presse: „Ein Fest nur für die frommen Linientreuen“ – so hieß es. Und anderswo: „Teure Abschiedsparty für den scheidenden Erzbischof“ und „Wo bleiben da die vielen Probleme der Kirche, es wird ja nur gebetet, gepredigt und gefeiert?“ Da müssen recht eigenartige Auffassungen von Kirche im Hintergrund solcher Berichte stehen. Zentraler als das Thema „Eucharistie“ kann in der katholischen Kirche nichts sein. Das ist die Mitte von allem, Quelle und Höhepunkt. Was natürlich kontroverse Diskussionen um den rechten Weg nicht ausschließt – und die gab es in Köln sicher nicht weniger als bei Katholikentagen – nur unter anderen Vorzeichen. 
Wie dem auch sei, „da simmer dabei“, das war klar für mich und so versuchte ich, das Thema in der Gemeinde lebendig zu machen. Aber der sperrige Begriff „Eucharistischer Kongress“ ließ unsere Gruppe nur „dreifaltig“ werden. Zu dritt machten wir uns daher in der Frühe des Donnerstag auf den Weg nach Köln. Mit Stauverspätung erreichten wir das Anmeldezentrum. Sollten die „Unken“ doch recht gehabt haben? Statt der erwarteten Schlangen gab es dort weit mehr Helfer als Interessenten. In Minuten hatten wir unser rotes Band und waren weithin als Teilnehmer am Katholikentreffen erkennbar. Nun hieß es aber schnell zur Sache kommen: Auf zur Katechese und zur Messe mit Bischof Lehmann. Natürlich waren wir zu spät, und mit den letzten Worten des Kardinals erreichten wir die Kirche Groß St. Martin. Gut voll war es hier, zahlreiche Menschen hörten, was er zu sagen hatte. (Gegen die „alte Messe“ habe er gesprochen, war später auf einigen Websites zu lesen und gegen das „für viele“ im Hochgebet. Dabei hatte er nur die Motivation mancher Anhänger der „Alten Messe“ problematisiert und festgestellt, das das Interesse daran im Grunde recht verhalten sei. Zur Formulierung der Wandlungsworte sagte er – mit seinen Worten – nichts anderes, als dass er der Argumentation Papst Benedikts folge. All dies stammt aus der offenen Fragerunde, die Katechese selbst lohnt eine ruhige Lektüre.)
Für mich ist Groß St. Martin eine der atmosphärisch schönsten und ehrlichsten Kirchen Kölns! Staunend stand ich vorne und ließ den Raum auf mich wirken. Gleich in der zweiten Reihe wurde Platz gemacht – und ich durfte mich dort setzen; schön, da war ich nun ganz nahe dran. 
Die Kirche war im Krieg sehr zerstört worden und erst in den letzten Jahrzehnten wiedererstanden. Die „Kriegswunden“ waren noch zu sehen. Die Fresken sind verblasst. Sparsam ist sie ausgestattet mit Kunstwerken, wenige alte Kunstwerke, besonders eindrucksvoll der gemarterte Christus im rechten Seitenschiff. Beeindruckend der neue Tabernakel mit kleinen Figuren der Apostel und Szenen aus dem Buch Jona. Ein Blickfang das Vortragekreuz in der Apsis. Im Laufe der Messe ging mir auf, wie sehr die Kirche ein Gleichnis unserer heutigen Situation als Katholiken ist. Wir sehen noch die Zeugnisse der glorreichen Vergangenheit. Wir erschließen uns den großen Kirchenraum neu, mit neuen Fenstern, mit dem Tabernakel, dem Altar und dem Christuskreuz als Zeichen des Eigentlichen, des Kerns des lebendigen Glaubens. Wer sich in der Kirche umschaut, der findet noch Spuren der Zerstörung, Spuren von Verlassenheit und Leere aber auch neue Aufbrüche. Der Altar ist (anders als vor der Zerstörung) in die Mitte, ins Zentrum gerückt. 
Hier beginnt nun der Gottesdienst. Nur drei Messdiener führen den Einzug an, dann zwei Dutzend Priester und die Bischöfe, neben Kardinal Lehmann zelebrieren Jean Claude Perisset, der apostolische Nuntius, Weihbischof Dick aus Köln und Bischof Norbert Trelle aus Hildesheim? Die beiden letzteren kenne ich nicht persönlich. Keiner der Bischöfe mit Hirtenstab? Ach ja, den darf im Erzbistum Köln auch nur einer tragen, nämlich Erzbischof Joachim. Stattdessen brachte der bischöfliche Sekretär zwei andere Stöcke, denn Kardinal Lehmann ging auf Krücken. Die Predigt focussierte sich auf wenige Sätze über einen Satz aus der Apostelgeschichte 2,42 „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“
Diese drei Aspekte seien zentral; die Lehre, die die Gemeinschaft zusammenhält; das Brotbrechen, das aber über die eigentliche Eucharistie hinausreicht und die Speisung der Armen einschließt. Beides sei nicht voneinander zu trennen, Eucharistie und Caritas gehörten zusammen und das Gebet. „Wie wunderbar, das alles in einem Satz“, sprach er und beendete die Predigt. 
Die Messe selbst war festlich und andächtig... mir ist nach wie vor nicht ganz klar, warum die Anhänger der Gebetsrichtung nach Osten die Vorstellung verbreiten, dass man dadurch, dass Priester und Bischöfe, den Altar im Halbkreis umstehen und beim Sprechen der Wandlungsworte das versammelte Gottesvolk anschauen könnten nicht mehr „zum Herrn hin“ zelebriere. Es war eine Feier, die die Aufmerksamkeit der Menschen in der Kirche auf den Herrn hin richtete, der Kirchenraum, das Licht, Worte, Gebete und Gesang, Weihrauch und Gemeinschaft ... und weit und breit kein liturgischer Missbrauch zu sehen. Priester und Bischöfe teilten den Leib des Herrn aus, jeder empfing ihn in der Weise, die seiner persönlichen Frömmigkeit entsprach. Natürlich gab es einen Friedensgruß, der auch herzlich geteilt wurde. Im Mittelschiff teilte der apostolische Nuntius mit großer Selbstverständlichkeit die Kommunion aus, in ein schlichtestes weißes Messgewand gewandet, ganz ohne Schmuck, Ornament, Spitze. Aber dies nahm der Würde der Feier nichts, im Gegenteil, die Schlichtheit des liturgischen Raumes fand ihre Entsprechung in der liturgischen Kleidung.  
Direkt im Anschluss an die Messe füllte sich die Kirche schon wieder - zum Mittagsgebet der Gemeinschaft von Jerusalem. Links stellen sich die Schwestern auf, rechts die Brüder. Alle waren sie in bodenlange weiße Gewänder oder entsprechende Umhänge gehüllt. Außerhalb der Gebete tragen die Schwestern ein Ordensgewand in jeansfarbenem Stoff und einen einfachen Schleier, die Brüder ein schwarzes Gewand. Die Liturgie ergreift uns! Die Gemeinschaft hat eine ganz eigene Weise die Psalmen und Gebete zu singen. Sie schöpft aus der reichen Tradition der apostolischen Kirchen, aus der Gregorianik und aus byzantinischen Gesängen, auch aus der Gesangstradition der französischen Kirche, z.B. aus Taizé und der Abtei von Sylvanès. Beim Gesang zum Hl. Geist wird eine großer siebenarmiger Leuchter entzündet. „Hl. Geist, nimm Wohnung in uns.“ Dem folgen nach benediktinischer Tradition ein Hymnus, drei Psalmen und ein Canticum. Die Lesung aus dem Buch der Könige stellt uns Elias in der Wüste vor. Der Lesung voraus geht ein Abschnitt aus dem Lebensbuch von Jerusalem, der Regel der Gemeinschaft „Gott selbst wird sich der Erschöpften annehmen“, dieser Satz rührt mich an. Während der Lesung wenden sich alle erkennbar dem Ambo zu. 
Eine Schwester „kommentiert“ die Lesung. „In der Wüste steht nichts mehr zwischen dem Menschen und Gott.“ Elia will sterben, aber Gott sagt: „Ich lasse Dich nicht einfach gehen.“ Er stillt Elias Sehnsucht, die auch die unsere ist: „Gott einmal wirklich erfahren zu dürfen“. Zweimal erklingen die Klänge einer Querflöte. Die Töne erfüllen den Raum und verschwinden gleichsam darin. In den Fürbitten werden Gedanken aus der Lesung wieder aufgenommen: „Öffne uns für die Stille deiner Stimme.“ Ein schönes Bild!
Es folgt das Trishagion, die dreimalige Anrufung des heiligen, starken, unsterblichen Gottes, das Vater unser, Schlussgebet und der gesungene Engel des Herrn. Man spürt den französischen Ursprung der Gemeinschaft, nicht nur in den Stimmen einiger Brüder und Schwestern, auch in den reichen liturgischen und geistig-geistlichen Traditionen Frankreichs. Die Berufung der Gemeinschaften von Jerusalem legt einen besonderen Akzent auf die Schönheit der Liturgie, „verstanden als eine Oase des Friedens, an der jeder Kraft schöpfen kann, um am Abend, am Morgen oder am Mittag im aufreibenden Rhythmus der Stadt Atem zu holen.“
Nun war es aber Zeit, nach Geist uns Seele auch den Körper zu speisen. Freundlich empfing uns das Brauhaus Peters in der Außengastronomie und servierte einen leckeren Pilgerteller mit einem Glas Wasser zum Festpreis. Köstlich! Oder war das der Friede und die Freude des Herzens geschuldet? Nein nicht nur, es war wirklich lecker!
Was nun? Ein Vortrag? Ein Podium? Nein, jetzt waren mal die Augen dran, das Kolumba – Museum lockte mit freiem Eintritt, wir betraten es aber nicht ohne einen Abstecher bei der Madonna in den Trümmern, einer Kapelle, die unter dem heutigen Museum nach dem Krieg in die Trümmer der alten Kolumba – Kirche gebaut wurde und beim Bau des modernen Museums erhalten blieb. Das Museum ist mit wenigen Worten nicht zu beschreiben. Eine Kaskade von künstlerischen Highlights, bei denen mich persönlich die alte Kunst mehr berührte als die Moderne. Aber: die Alte wirkt hier auch besonders im Kontext der Moderne. Es ist faszinierend! Plötzlich stehe ich vor einem Buch, einem Sakramentar aus Tours, entstanden um das Jahr 845 (!). Da kann man nur fasziniert den Atem anhalten. En wunderschönes Buch, das auf der aufgeschlagenen Seite die Hierarchie der kirchlichen Ämter erklärt. Neben diesem Buch liegen ähnlich alte Elfenbeintafeln mit liturgischen Szenen, die so noch nie zusammen zu sehen waren. In einem weiteren Raum wunderschöne liturgische Geräte, Kelche, Reliquiare, Monstranzen, Hostienschalen und eine „Eucharistische Taube“ aus Limoges. Sie diente als Tabernakel, zur Aufbewahrung der wenigen Hostien, die nach der Eucharistiefeier für die Sterbesakramente verwahrt wurden. Die Tauben hingen über dem Altar und verwiesen auf den Hl. Geist durch den die Gaben von Brot und Wein zum Leib und Blut Christi gewandelt werden. 
Das leuchtende Bild der Madonna mit den Veilchen von Stephan Lochner zieht an. Ein wunderbarer Kontrast, die bunten, herrschaftlichen Gewänder und das kleine, unscheinbare Veilchen. Beinahe etwas abseits hängt ein Kruzifix, vielleicht 60 cm hoch. Eigentlich ist die Zeit, die für das Museum eingeplant war, längst um. Aber einen Blick will ich doch riskieren. Der Corpus ist aus Elfenbein und stammt aus dem 12. Jahrhundert. Christus hat die Augen geschlossen, aber er strahlt Frieden aus. Selten habe ich eine so eindrucksvolle Kreuzesdarstellung betrachten dürfen. Dieses Museum lohnt sich allemal. Was hier an Kunst präsentiert wird ist einen mehrstündigen Aufenthalt wert. Architektur und Präsentation geben dem Ganzen einen passenden Rahmen, der das Herz aufschließt. Man lernt unendlich viel, über Glauben, Fühlen und Denken der Menschen von damals und heute. 
Unser nächstes Ziel war der Tanzbrunnen. Hierfür ging es mitten durch die Stadt auf die „schäl Sick“ am Tanzbrunnen in Deutz. Ein Vortrag von Manfred Lütz hatte uns neugierig gemacht. Auf dem Weg begegneten uns nicht allzu viele „Rotkehlchen“, wie Kardinal Meisner die an ihren roten Bändern kenntlichen Kongressteilnehmer genannt hatte. Die waren im Stadtbild wohl erkennbar, aber lange nicht in der Mehrheit. Ich finde das nicht schlimm, so gibt es einfach ein realistisches Bild!

Kongress komme von „congredi“, was soviel wie „zusammenlaufen“ bedeute erklärte uns Manfred Lütz gleich zu Beginn seines Vortrages. Er plädierte dafür, über Gott zu sprechen und das durchaus mit Humor. Ich notiere einfach einige Anekdoten aus seinem kabarettistisch – besinnlichen Auftritt. Dass die Katholiken in Scharen zusammenlaufen sei nicht mehr die Regel. Aber was könnte die Menschen wieder zusammen- und zu Gott bringen? Er habe die Erfahrung gemacht, dass Theologensprache langweilig sei. Als Katholiken sollten wir so über den Glauben reden können, dass uns jeder Atheist versteht. Sein Verleger habe ihn entsetzt angeschaut: „Sie wollen über Gott schreiben? Gott ist unverkäuflich, schreiben Sie über Engel.“ Er habe ja Theologie studiert und das Ergebnis des Theologiestudiums sei normalerweise, dass man das, was man zu Beginn des Studiums mit einfachen Worten verständlich gesagt habe zum Ende des Studiums dann viel komplizierter und für den normalen Menschen völlig unverständlich sage. Deshalb lasse er seine Büchermanuskripte zuerst von seinem Metzger lesen.
Ein großes Problem der heutigen Zeit sei die Überzeugung, dass „Glück machbar ist“. Dafür sei Dieter Bohlen ein Vorbild: Glück ist machbar, es komme nur auf das Geld an. Radikal zu Ende gedacht hätten diesen Gedanken die Menschen, die auf dem Weg in die Drogenabhängigkeit sind. Das sollte uns nachdenklich machen. 
Der Mensch des Mittelalters habe eine höhere Lebenserwartung gehabt als der moderne Mensch. Für ihn sei der Tod der Durchgang in eine neues Leben gewesen. Der moderne Mensch erwarte alles Glück und alle Erfüllung noch vor dem Ende, das der Tod bringt. Er erwarte danach nichts mehr. Und diese Glücksverliebtheit führe auch zu einem unsozialen Mit- bzw. Gegeneinander. Lütz zitiert Dostojewski: „Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt!“ und ergänzt mit Horkheimer: „Warum soll ich gut sein, wenn es Gott nicht gibt?“ Launig, ernsthaft, lustig setzt er sich mit dem Atheismus und seinen kämpferischen Protagonisten zwischen Nietzsche und Dawkins auseinander, berichtet von Begegnungen mit Pfr. Fliege und auch von seinem Besuch bei Papst Benedikt, der zwar gealtert sei, aber präsent und aufmerksam wie früher und sehr zufrieden und entspannt gewirkt habe. „Wer nichts mehr glaubt, glaubt alles“ sagt Lütz und entlarvt die Esoteriker und Atheisten als die wahren Unvernünftigen unserer Zeit. Auf jeden Fall hat er in diesem Vortrag seine Ansage wahr gemacht, dass man über Glauben allgemeinverständlich und unterhaltsam reden kann, ohne jemals peinlich oder seicht zu werden. 
Auf dem Rückweg zum Dom entscheiden wir uns gegen die ökumenische Vesper (Worte hatten wir genug gehört) und für einen Besuch im Zentrum der geistlichen Gemeinschaften und ein Pontifikalamt mit Bischof Felix Genn. Hier komme ich mit manchen Leuten ins Gespräch. Ob Nightfever auch was für uns in Voerde ist – und kann man das auch als Einzelveranstaltung mal ausprobieren? Die Vertreter der Bewegung sind da sehr offen... Eine bunte Mischung von Gemeinschaften präsentiert sich vor der Minoritenkirche, aber lange nicht alle. Eine Broschüre des Erzbistums zeigt, dass es eigentlich weit mehr sein können. Mit den Mitgliedern der Priestergemeinschaft Charles de Foucault komme ich ins Gespräch über die biografischen und persönlichen Bezüge, die mich mit dem Seligen verbinden. Wir entdecken gemeinsame Bekannte und am youcat-Stand kennt eine junge Augsburgerin Voerde, weil ihre Oma von dort stammt. (Ihren Onkel kenne ich gut.) 
Die katholische Welt ist manchmal interessant vernetzt. Auf der Suche nach meiner Gruppe begegne ich Bischof Genn, dem ich augenzwinkernd berichte, dass wir als Münsteraner Diözesanen „natürlich“ wegen unseres Diözesanbischofs hier seien, was er schlagfertig quittiert mit der Erwartung, dass es doch entscheidend sei, auf Christus hin durchsichtig zu sein und dass die Begegnung mit IHM entscheidend sei. Natürlich ist ganz vorn in der Kirche noch Platz, und das selbst beim Nightfever – Gottesdienst, während sonst die Reihen gut besetzt sind. Auch kath.net ist mit der Redakteurin Petra Lorleberg vertreten und überträgt den Gottesdienst im Internet; im Seitenschiff sitzt Michael Hesemann, der kürzlich ein Buch über den neuen Papst Franziskus herausgebracht hat. Aber jetzt ist es soweit! Der Gottesdienst beginnt, viele Priester, auch einige bekannte Gesichter aus dem Bistum und drei Bischöfe. Neben Genn sind es Bischof Gregor Maria Hanke aus Eichstätt und sein Amtsvorgänger Walter Mixa. Mit letzterem hatte ich nicht gerechnet, hatte er doch in der Vergangenheit für manche Schlagzeilen gesorgt. Aber wer weiß schon, welche Last und Schuld er wirklich trägt. Auf jeden Fall berührt es mich, als er im Hochgebet die Namen seiner Mitzelebranten nennt und von sich als Gottes „unwürdigem Diener“ spricht. In seiner Predigt vergleicht Bischof Genn die Christen mit einer lebendigen Monstranz, wenn Christus in uns lebt, haben wir die Aufgabe ihn in die Welt zu tragen. Jesus wartet auf uns, so der Bischof, er setze sich den Menschen aus, ist da für ... „Jedem von uns, jedem, der hier hineinkommt, ganz gleich, welcher Hautfarbe, welcher Rasse, welcher Sprache, welcher Nation, welcher sittlichen Qualität er ist – allen setzt Er sich aus! Auf alle wartet Er. Über das Kommen eines jeden freut Er sich. Doch nimmt Er auch alles auf sich, was wir mitbringen.“
Bischof Genn erinnert an den Hl. Norbert, dessen Fest am heutigen Donnerstag begangen wird und dass dieser im Jahre 1015 in Vreden seine Bekehrung erlebt habe. (Als Vredener war ich gleich hellwach. Im Vredener Dialekt heißt es, dass der Hl. Norbert dort „sein Damaskus erlebt“ habe.) Natürlich erwähnt der Bischof auch den wunderbaren Xantener Dom, der zur gleichen Zeit wie der Kölner erbaut wurde, allerdings im Gegensatz zu diesem wenigstens fertig gebaut wurde. Und zum Schluss ermuntert der Bischof alle zur Mission mit den Worten: „Es gab in der alten Kirche eine Gruppe von Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Auf die Frage, warum sie am Sonntag zusammenkommen, gaben sie zur Antwort, sie könnten ohne die Eucharistie am Sonntag nicht leben. Wie schön wäre es, wenn Sie alle zu Boten würden für die anderen, die sich Christen nennen, selbstverständlich getauft sind, aber die augenscheinlich ohne Eucharistie am Sonntag leben können.“ 
Bei der Kommunionausteilung fällt mir auf, dass beinahe die Hälfte der Teilnehmer die Kommunion als sog. Mundkommunion und teilweise auf den Knieen empfingen. Bischof Mixa, der vor mir die Hl. Kommunion austeilte, konnte sehr flexibel mit den unterschiedlichen Formen umgehen. Aber alle Kommunikanten empfingen den Leib des Herrn in großer Andacht, mit Ruhe und Ehrfurcht, ob in die Hand oder in den Mund. Schön wäre es, wenn dieser Moment der Begegnung des Menschen mit dem Herrn, der sich jedem von uns aussetzt „ganz gleich, welcher Hautfarbe, welcher Rasse, welcher Sprache, welcher Nation, welcher sittlichen Qualität er ist“, wenn dieser Moment frei bliebe von allen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen und Überheblichkeiten. 
Reich beschenkt traten wir in die warme Sommernacht hinaus und gingen die wenigen Schritte bis zum Dom. „Lux eucharistica“ sollte den Dom in ungewöhnlicher Beleuchtung präsentieren. Aber wir waren mit diesem Interesse nicht allein. Auf der Domplatte drängten sich Tausende, um in den Dom zu kommen. Keine Chance! So blieb uns nur die Übertragung des Domradios auf den Roncalliplatz. Die Lichtkünstler Sabine Weißinger und Friedrich Förster aus Tübingen beleuchteten das Innere der Kathedrale mit bewegten Bildern, Mustern und Ornamenten aus Licht. Der Domorganist Prof. Winfried Bönig und die „Kölner Vokalsolisten“ sorgten dafür, dass Bild und Klang im Kirchenraum eine faszinierende Symbiose eingingen. Weniger überzeugend war für mich der Vortrag der deutschen Übersetzung des Hymnus „Adoro te devote“ von Thomas von Aquin und die geistlichen Gedanken hierzu, vorgetragen von einem Sprecher und von Domvikar Tobias Hopmann in einem Sprachstil, den man aus Kirchen kennt. Ob die Organisatoren der Botschaft der Musik und der Bilder nicht trauten oder das Latein des Hl. Thomas für unverständlich und das Lied „Gottheit tief verborgen...“ (GL 546) für zu unbekannt hielten? Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied! Der Sprachteil war für mich das schwächste Glied, was nicht an den Sprechern selbst lag. Ich glaube, die Veranstaltung hätte gewonnen, wenn man auf dieses pädagogische Element verzichtet oder den deutschen Text und seine Deutung mutig einem Dichter, Schauspieler oder .... überlassen hätte. Vielleicht wäre in den alten Worten des Hl. Thomas noch manche Überraschung zu Tage getreten. Ich vermute aber, dass die Qualitäten von Licht und Musik und die Präsenz dessen, der das Licht der Welt ist, diesen Mangel durchaus aufgewogen haben. Vermutlich ist das ein oder andere Samenkorn des Glaubens auf unterschiedlichen Boden gefallen und kann nun wachsen. 
Mit den letzten Zeilen des Hymnus des Heiligen, der als Schüler des Hl. Albertus Magnus einige Jahre in Köln gelebt hat, machten wir uns auf den Weg nach Hause, müde, aber voller Eindrücke, Gedanken und Anregungen, die sicher noch fruchtbar werden. 
„Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht, 
stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht: 
lass die Schleier fallen einst in deinem Licht, 
dass ich selig schaue, Herr, dein Angesicht.“

Zum Nachlesen, die Katechese von Kardinal Lehmann: 
http://www.eucharistie2013.de/fileadmin/redaktion/bilder/Bildergalerien/EK2013_Tag1-lux_eucharistica/06062013-K-Lehmann-Katechese.pdf 

Zum Nachschauen, Lux echaristica in voller Länge: 

Donnerstag, 23. Mai 2013

Frauen an den Herd?

(Quelle: wikipedia.de)

Meine Frau hat auf die Frage, ob ihr das nicht viel zu anstrengend sei, mit drei Kindern wieder arbeiten zu gehen, einmal geantwortet: „Es ist mir viel zu anstrengend mit drei Kindern zu Hause zu bleiben.“ Da ist etwas Wahres dran... so „erfüllend“ in jeder Hinsicht die Aufgabe der Mutter oder des Vaters ist, es kann entlastend sein, wenn man noch etwas mehr als „nur“ Mutter oder „nur“ Vater ist; wenn man in Beruf und Ehrenamt seine Frau oder seinen Mann steht. 

Bischof Overbeck, der mir nicht sehr sympathisch war, den ich aber trotzdem als Bischof und Theologen schätze, ist kürzlich (vor allem in Blogs und in Diskussionsportalen im Internet) schwer vermöbelt worden, weil er gesagt hatte: „Ich weiß aus meinem eigenen Bistum, dass es oft gut ist, wenn Kinder unter drei Jahren nicht zu Hause bleiben müssen, sondern in Krippen gut betreut werden.“ Und dann, das wurde als besonders ungeheuerlich betrachtet, sprach sich der Bischof gar für Kitas aus, die auch nachts geöffnet haben. Bischof Overbeck fordere Nachtkrippen, tönte es durch die Presselandschaft, dabei hatte der Bischof eine besondere Situationen vor Augen: „Ein Blick in unser Bistum zeigt, dass manche Kinder alleine gelassen werden, weil ihre Väter und Mütter nachts arbeiten müssen. Da braucht es doch Orte, wo Kinder einen verlässlichen Ansprechpartner haben - gerade dann, wenn ein Alleinerziehender überfordert ist oder die sozialen Beziehungen schwierig sind.“

Wir haben mit unserer Familie einige Jahre in einem sozialen Brennpunkt gelebt und gearbeitet. Ich kann Bischof Overbeck nur beipflichten. Die Situation in vielen Familien ist komplex und manchmal schwierig. Und das liegt nicht daran, dass Väter und / oder Mütter sich nicht bemühen würden. Vater, Mutter, Kind(er), so einheitlich wie das klingt, ist das heute oft nicht mehr. 

Gerade aktuell ist wieder Kardinal Meisner dran! Er hatte die deutsche Politik ultimativ provoziert: 
„Wo werden denn Frauen wirklich öffentlich ermutigt, zu Hause zu bleiben und drei, vier Kinder auf die Welt zu bringen? Hier müsste man einsetzen...“ und dann setzte er noch einen drauf, indem er die heutige Familienpolitik kritisierte und mit den DDR-Erfahrungen verband: „Ich habe ja die ganze einseitige Tragik schon mal mitgemacht in der DDR. Dort hat man den Frauen eingeredet, wer wegen der Familie zu Hause bleibe, sei dement. Weil man Produktionskräfte brauchte, wurde die Kinderkrippe erfunden. Dazu sagte ein sozialistischer Pädagoge: „Die Kinderkrippe ist in der Bibel ein Provisorium, und wir haben eine ständige Einrichtung daraus gemacht.““
Eine solche Steilvorlage kann man doch als Politiker, als „roter“ oder „grüner“ erst recht, nicht unwidersprochen lassen. Es sind starke Worte und die Nadelstiche darin sind schmerzhaft. Der Kirchenmann legt den Finger in die Wunde der ganzen Familienpolitik, ob von links oder von rechts. Wer kann das schon mit so wenigen Worten? 

„Mehr Betreuungsplätze, mehr Frauen ins Arbeitsleben, mehr Frauen in die Führungsetagen und mehr Kinder!“ So tönt es landauf, landab aus allen Parteien, gestritten wird intensiv um das „wie“, um Wege, solche Ziele zu erreichen. Die einen fordern das „Betreuungsgeld“, das die anderen als „Herdprämie“ verunglimpfen. Die einen fördern Kinderbetreuung und die anderen rufen nach der häuslichen Mutter. Die Wirtschaft will, dass die gut ausgebildeten und fleißigen jungen Frauen möglichst nicht schwanger werden (oder schnell wieder arbeiten kommen und zwischendrin nicht mehr ausfallen) und die Familienministerin möchte gerade von denen viele kluge Kinder. 
Das gleicht der Quadratur des Kreises. Es geht das eine nicht, wenn man das andere will. Mögen alle Ziele allein betrachtet gut sein ... zusammen sind sie unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft, in der allein das Geld und der Börsenkurs alles regelt und regiert, kaum zu erreichen. 

Ich möchte Kardinal Meisner völlig recht geben. Wer mehr Kinder will, der muss Frauen ermuntern mehr Kinder zu bekommen. Der muss für eine kinderfreundliche Atmosphäre sorgen: "Kinderlärm ist Zukunftsmusik!" Der muss mithelfen, eine wirtschaftliche Perspektive zu eröffnen, der muss das Einkommen junger Familien sichern, der muss Betreuung möglich machen und der muss der Wirtschaft reinen Wein einschenken, nämlich dass Väter und Mütter Zeit für Familie brauchen und daher weniger Zeit für Karriere und Leistung einbringen können. Aber in einer Wirtschaft, wo jeder Cent Rendite zählt, ist das kaum zu vermitteln. Zumal die Familie ja weitgehend als „Privatsache“ gilt. Da braucht die „soziale Marktwirtschaft“ eine deutliche familienpolitische Komponente. 
Die Familienpolitik ist ein vermintes Gelände. Kaum ein Beitrag bei dem es nicht zum Knall kommt, denken wir nur an die Debatten der vergangenen Jahre. Und jetzt kommt der Kölner Kardinal mit seinem Interview und kritisiert ausgerechnet die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. „Meisner: Frauen an den Herd“, so titelten Online-Portale und selbst bild.de spitzte die drei Sätze aus dem Interview mit dem Kölner Erzbischof ziemlich freihändig zu: „Frauen bleibt zu Hause und kriegt viele Kinder“. Das mag zwar einige „Klicks“ bringen, es ist aber so nicht in Ordnung. Der Kardinal hat nicht mehr verlangt als Respekt vor Frauen, die aus eigener Überzeugung mehrere Kinder haben und – gegen alle wirtschaftlichen Zwänge – trotzdem lieber zu Hause bleiben und sich um Kind und Kegel kümmern möchten. Hier ein allgemein gültiges Meisnersches oder gar katholisches Familienideal hinein zu dichten ist sicher menschlich und journalistisch unfair. Warum glaubt man eigentlich in der deutschen Presselandschaft dies mit dem Kölner Kardinal machen zu dürfen? 

Es klingt wie eine Vorahnung, wenn er im selben Interview sagt: „Ich rede, wo es sein muss, sei es gelegen oder ungelegen. Es geht um die Botschaft ... Und da bin ich manchmal ganz verzweifelt. Denn aus meinen Predigten wird in manchen Zeitungen nie die Glaubensbotschaft zitiert.“ Aber, vielleicht müsste Joachim Kardinal Meisner durchaus einmal über seine Sprache nachdenken. Wenn er z.B. sagt, mit „Kirche von unten“ käme er nicht klar, denn Kirche baue sich „von oben her“ auf, dann ist ihm zuzustimmen, weil er sagen will, dass Kirche quasi „vom Himmel her“ gedacht werden muss. Aber viele denken bei einer solchen Formulierung an die Hirten die bestimmen und an die Schafe die zu folgen haben. Auch beim einleitenden Dialog über den Zusammenhang zwischen Eucharistischem Kongress und Missbrauchsfällen zeigt sich deutlich, dass Journalist und Kardinal ganz anders denken.

Ich bin nicht immer einer Meinung mit Kardinal Meisner. Aber das halte ich (und er wohl auch) für völlig in Ordnung. Ich würde sogar seine Wortmeldungen vermissen. Jeder bringt in die Debatte seine Impulse und Überzeugungen ein. Und dass ein 79jähriger Kardinal mit dieser Lebensgeschichte die Dinge anders sieht als ich als Vater von vier Kinder und etwas mehr als halb so alt oder anders als eine junge Mutter die wieder nur halb so alt ist wie ich, das ist doch keine Frage. 
Und diesmal gibt er den wertvollen Impuls, darüber zu reden, welches gesellschaftliche Leitbild die Politiker und Publizisten eigentlich transportieren. Deren Ideal ist doch eher nicht, dass junge Väter und Mütter, sich der Familienarbeit und der Kindererziehung von drei bis vier Kindern widmen sollten. Wo sind Bestrebungen, die dafür sorgen, dass ihnen das auch finanziell möglich wäre? Wo werden ernsthaft und mit rechtlichem Anspruch Möglichkeiten geschaffen, dass junge Mütter und Väter sich neben der Familienarbeit auch dem beruflichen Fortkommen widmen können, durch Heimarbeitsplätze oder durch so flexible Arbeitszeitgestaltung? Selbst als Kirche sind wir da doch keine leuchtenden Vorbilder, auch wenn in einzelnen kirchlichen Verwaltungen manchmal bessere Bedingungen herrschen. 

Was bedeutet es für die Entwicklung solcher Leitbilder, wenn als besonderer Wert des Zölibats angepriesen wird, dass ein zölibatärer Priester nun man „rund um die Uhr“ und „jederzeit“ für seine Gemeinde verfügbar ist. Was löst es aus, wenn Bischof Voderholzer im Interview verkündet, die Aufhebung des Zölibats (zugunsten verheirateter Priester) würde nur zu einer Verbürgerlichung des Klerus führen? Als wenn Kinder und Familie heute noch Ausdruck gesetzt – bürgerlicher Lebensform wären und weniger ein Abenteuer mit manchmal ungewissem Ausgang. 

Vielleicht ist es ein Problem, dass alle Beteiligten wenn sie von bestimmten Familienlebensformen sprechen, alte Bilder von „früher“, oder genauer aus einer bestimmen, bürgerlichen Idealvorstellung im Kopf haben. Ich denke dabei an die Zeit und das Familienbild des Biedermeier. Aber, war das je mehr als ein Ideal und die Lebensform einer sehr kleinen Gruppe von Menschen? Schauen wir ruhig mal in die „gute alte Zeit“. Wie haben denn in den damaligen Musterfamilien die Mütter und die Kinder gelebt. Schauen wir in eine Bauernfamilie. Auch hier waren die Frauen voll in den Ablauf eingebunden. Sie hatten ihre Arbeit und die Kinder liefen so mit. Und sobald sie alt genug waren, packten sie mit an. Kinderarbeit würden wir heute sagen. So gut war die „gute alte Zeit“ weder auf dem Land noch in den Arbeiter- und Bergmannsfamilien. Und manche positive Erinnerung entspringt auch einer gewissen Verklärung. Wobei ich niemandem die Kindheit schlecht reden möchte. 

Egal wie, gerade im Leben der Familien heute gibt es einen gewaltigen Wandel. Was einmal selbstverständlich war, gilt heute wohl nicht mehr. „Kinder kriegen die Leute immer...“ soll Adenauer dazu gesagt haben. Für Kanzler Schröder war das alles „Gedöhns“. Dabei geht es bei keinem Feld des Lebens so sehr ans „Eingemachte“ wie rund um die Familien, denn wofür sonst all die Anstrengungen in der Wirtschaft, im Verkehrsministerium, im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt und wohl auch in der Bundeswehr? Dass es aber so zentral ist, das spiegelt sich in der Bedeutung des zuständigen Ministeriums nicht wieder und auch nicht in der Besoldung derer, die sich als Erzieherinnen und Tagesmütter um den Nachwuchs der Familien und unseres Gemeinwesens kümmern. Da sollten wir einmal etwas ändern. Es muss ja nicht so bleiben, dass die wichtigsten Leitzahlen der Gesellschaft der Börsenindex und die Arbeitslosenzahlen sind. 

Ich möchte Kardinal Meisner zustimmen und muss auch Bischof Overbeck recht geben. Beide sprechen ja nicht gegen Kinderkrippen und Ganztagsbetreuung. Aber sie sagen deutlich, dass unsere Perspektive sich verändern muss. Wenn ich meine Kinder im Kindergarten oder in der Ganztagsschulbetreuung abhole, erlebe ich, dass es ihnen dort gut geht. Oft wollen sie gar nicht weg, sondern mit ihren Freunden dort weiter spielen und mit den Erzieherinnen basteln und Projekte umsetzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, das meine Kinder da gut aufgehoben waren und viel mehr positive Anregungen bekommen haben, als ich sie ihnen zu Hause hätte geben können. Denn auch zu Hause ist ja jede Menge zu tun, wo sich Mutter und / oder Vater zunächst einmal Haus und Garten, dem Mittagessen oder dem Staubsauger widmen müssen. Natürlich kommt es darauf an, den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sie nach der Schule oder nach der Betreuung nach Hause kommen und an den Wochenenden als Familie etwas miteinander zu unternehmen. Aber es gibt keinen Grund Kitas und Betreuungseinrichtungen, Schulen und Horte zu verteufeln. Den Kindern geht es dort gut und – auch da muss ich Bischof Overbeck recht geben – es geht ihnen dort manchmal besser, als wenn sie den ganzen Tag in ihrer Familie sind. 

Nicht immer entspricht das konkrete Familienleben den idealisierten Bildern, die wir mit uns herumschleppen. Nicht immer bringen junge Männer und Frauen die notwendigen Fähigkeiten zur Erziehung und Förderung ihrer Kinder unmittelbar mit. Die Gesellschaft erwartet ja auch weitgehend, dass man Kinderpflege und Erziehung kann, ohne jegliche Ausbildung und Unterstützung. Hatte man früher zur Kindererziehung noch ein ganzes Dorf zur Seite, zumindest aber die Nachbarinnen und Nachbarn, so fehlen solche stützenden Strukturen (die manchmal auch belastend waren) heute zumeist völlig. 
Für eine neue Bundesregierung (und alle, denen Kinder am Herzen liegen) gibt es viel zu tun. Hoffentlich bekommt die Familienpolitik und Familienförderung auf ihrer Agenda den zentralen Stellenwert, der ihr zukommt.

Bischof Overbeck im Interview: www.bistum-essen.de/start/presse-oeffentlichkeitsarbeit/pressemeldungen/pm-detailansicht/artikel/eltern-muessen-eine-wahlmoeglichkeit-haben.html

Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Interview: Es lohnt sich den Originaltext zu lesen und in Ruhe zu bedenken. Es steckt mehr drin, als die Schlagzeilen vermuten lassen. www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-kardinal-meisner-grosse-reformen-wird-es-kaum-geben.b3071016-c448-411a-8481-d406fc4fed9d.html