Mittwoch, 21. März 2018

Ja was denn nu? Gehört er dazu oder nicht? Der Islam? Und welcher?

Diesem Social-Media-Bildchen der CSU und der
darin dokumentierten Meinung vermag ich
keineswegs zuzustimmen. Aber es illustriert wunderbar
die hier im Blog bedachte Thematik.
Zwei Erkenntnisse habe ich beim Schreiben dieses Textes schon mal gewonnen: Die Antwort wird länger und - es wird Widerspruch geben. Nun denn - trotzdem los...

Man mag zu Horst Seehofer stehen wie man will – eines muss man neidlos anerkennen: er ist ein politischer Fuchs. Das bewies er just nach der Regierungsbildung in Deutschland wieder als frisch gebackener Heimatminister, indem er in einem Interview auf die Frage der Journalisten, ob der Islam zu Deutschland gehöre, folgendes zum Besten gab: "Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten."
Die in Deutschland lebenden Muslime, so Seehofer weiter, gehörten aber "selbstverständlich" zu Deutschland. Aber das bedeute nicht, "dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben".

In der „Welt am Sonntag“ verteidigte er seine These und sagte: „Dass Deutschland geschichtlich und kulturell christlich-jüdisch und nicht islamisch geprägt ist, kann doch niemand ernsthaft bestreiten.“

Schließlich ließ die WELT noch erfragen, inwieweit Seehofer mit seinen Aussagen die Überzeugungen der Deutschen insgesamt treffe. Mit dem wenig überraschenden Ergebnis: „Horst Seehofer bekommt viel Zuspruch für seine Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. 76 Prozent der Deutschen stimmen ihm zu.“ Nimmt man noch die Unentschlossenen dazu, bleiben gar nicht mehr so viele Leute in Deutschland übrig, die sich hinter den damaligen Bundespräsidenten Wulff stellen, der mit dem Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ 2010 in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Mal am Rande bemerkt: die AfD kann sich beruhigt zurücklehnen und mit ihr alle, die sich vor der Islamisierung fürchten. Selbst inclusive aller GRÜNEN und der westdeutschen Linken findet sich nur eine klare Minderheit von 11 – 20 %, die Horst Seehofer widerspricht. Das rückt die Unterwerfung (Michel Houellebecq) doch – wenn überhaupt – in eine ziemlich ferne Zukunft.

Doch Seehofer „trifft den Nerv“, sein Kalkül scheint aufzugehen. Die bayrische Landtagswahl steht vor der Tür und wenn ein politischer Fuchs wie Horst Seehofer auf diese Weise „preiswert“ das Revier für die CSU markieren kann... …warum sollte er die Gelegenheit ungenutzt lassen?

Doch: die Zustimmung zu seinen Aussagen ist das Eine. Aber nicht immer ist das, worauf sich Mehrheiten einigen auch die Wahrheit. Wer weiß das besser als wir Kenner des Evangeliums, denkt man an die Frage des Pilatus - und die Folgen.

Seehofer macht ja eine bemerkenswerte Einschränkung: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, da Deutschland durch das Christentum geprägt sei. Die Muslime jedoch gehörten selbstverständlich zu Deutschland, das deshalb aber nicht seine landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben werde.

Da fragt sich der Theologe unmittelbar: Fehlt da nicht etwas? Ist nicht sonst immer von den jüdisch-christlichen Wurzeln der europäischen Kultur die Rede? Gilt das jetzt für Deutschland nicht (mehr)?
Aber gehen wir einmal davon aus, dass selbst dem politischen Fuchs Seehofer da an dieser Stelle was verloren gegangen ist, schließlich fiel ihm kürzlich auch der Begriff Heimat-Muse(nisterium) auch nicht unmittelbar ein. Dennoch bleibt hier schon eine bemerkenswerte Leerstelle, über die Frau Knobloch mal mit Herrn Seehofer reden sollte. Ich denke, er wird sich dann sehr bemühen, den Beitrag jüdischer Künstler und Wissenschaftler für die deutsche Kultur umfassend zu würdigen.

Und der Islam? Ich frage mich, warum niemand in dieser Debatte die gelebte Kultur und Religion von Millionen von Gastarbeitern, vornehmlich aus der Türkei, aber auch aus Marokko und anderen arabischen Ländern, die Kultur der Flüchtlinge aus Bosnien oder der iranischen Ärzte und Ingenieure in den letzten 50 Jahren für erwähnens- und bemerkenswert ansieht? Ist Kultur also erst etwas, wenn sie bis ins Mittelalter zurückreicht? Seit über 50 Jahren leben Muslime mitten unter uns und sie beten in ihrem Moscheen, sie fasten, sie betreiben Gaststätten, Imbissbuden, Marktstände und Läden und vieles mehr.). Es gibt selbst in Bayern keine Stadt, wo nicht auch Dönerbuden mit Weißwurstständen friedlich koexistieren.

Zumindest für das vergangene halbe Jahrhundert müßte auch ein Seehofer konstatieren: „Ja, der Islam ist ein Teil Deutschlands“, zumal zahlreiche dieser muslimischen Gastarbeiter (und ihre Kinder) längst Deutsche geworden sind. Und selbst die Probleme der Integration sind inzwischen ein Teil des deutschen Alltagslebens und damit auch der deutschen Kultur.

Aber selbst einem nur mittelmäßig und keineswegs akademisch gebildeten Deutschen wie mir fallen noch einige weitere Aspekte an, die aus dem Islam einen integralen Teil Deutschlands machen:

Schauen wir in die jüngere Vergangenheit, so wird zu konstatieren sein, dass sowohl im ersten wie auch im zweiten Weltkrieg muslimische Truppenverbände für deutsche Interessen in den Krieg zogen. Das kann man nun sicher positiv oder auch negativ bewerten, es bleibt eine Tatsache. 
Vom 18. Jahrhundert an verbündeten sich die Preußen mit den Osmanen, eine Verbindung, die insbesondere der deutsche Kaiser Wilhelm der II. pflegte. Während des 1. Weltkrieges wurden die in der Nähe von Berlin internierten muslimischen Gefangenen besonders gut behandelt, mit dem Ziel, sie zum Überlaufen zum osmanischen Reich zu motivieren. Man errichtete für sie sogar eine eigene, schöne Moschee.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang auch die in Kunst und Kultur der damaligen Zeit durchaus präsente Faszination für den Orient und seine Kultur und Religion, von der z.. B. die in Form einer Moschee gebaute Tabakfabrik in Dresden Zeugnis ablegt, aber auch die weit verbreiteten und viel gelesenen Romane von Karl May, um nur zwei allgemein bekannte Aspekte des Einflusses islamischer Kultur zu streifen. Auch war der Orient ein beliebtes Forschungsgebiet der Deutschen. Zahlreiche Archäologen, Geologen, Botaniker, Historiker machten sich auf den Weg in den nahen, mittleren und fernen Osten. Wegweisende Erkenntnisse über Geschichte und Kultur dieser Länder wurden in deutscher Sprache erstmals publiziert.

Es sollte Allgemeingut sein, dass der deutschen Nationaldichter Goethe sich intensiv mit dem Islam und dem Koran beschäftigt hatte. Erwähnt sei hier nur der West-östlichen Divan oder auch Lessings Ringparabel. Schiller war übrigens der erste deutsche Schriftsteller, dessen Werke ins Arabische übertragen wurden.

500 Jahre liegt die Reformation nun zurück. Luther wies häufiger auf die Türken (gemeint war das osmanische Reich) und den Koran hin, um Unterschiede zwischen Christentum und Islam zu verdeutlichen. Obwohl der Reformator keinen persönlichen Kontakt zu Muslimen hatte, kannte er den Koran und den Glauben der Muslime und sah dies nicht ausschließlich aus einem negativen Blickwinkel.

Möglicherweise ist Herrn Seehofer unbekannt, dass Hildegard von Bingens Heilkunst zu großen Teilen aus arabischsprachigen Schriften stammte. Manche Mönche und Nonnen erlernten diese Sprache, um die Werke berühmter Gelehrter lesen zu können, die in den Klosterbibliotheken aufbewahrt wurden. Die islamische Heilkunst war zur Zeit Hildegards der christlichen Medizin haushoch überlegen. Arabisch als gemeinsame Sprache der islamisch geprägten Zivilisation wurde auch von jüdischen, christlichen und anderen Ärzten benutzt und kennzeichnet die Medizin des islamischen Kulturraums, die deshalb auch als „arabische“ oder „arabisch-persische“ Medizin bezeichnet wird. Rückblickend muss man sagen, dass die arabische Kultur im Mittelalter wesentlich zu Deutschland gehörte.

Die in arabischer Sprache aufgezeichnete Medizin der damaligen Zeit beeinflusste die Ärzte des westlichen Mittelalters, die die grundlegenden Werke der klassischen griechisch-römischen Medizin zunächst in arabischer Übersetzung kennenlernten.

Zu den Hauptquellen der klassischen oder frühen islamischen Philosophie zählte die Philosophie der Antike, mit der die arabische Welt durch Übersetzungen aus dem Griechischen in Berührung kam. Zahlreiche Schriften antiker Philosophen kennen wir heute nur noch durch den Umweg über arabische Übertragungen und christliche Klöster. Hier sollten auch die Namen Avicenna und Averroës Erwähnung finden. Den Einfluss der arabischen Philosophie auf christliche und jüdische Autoren des Mittelalters sollte nicht klein geredet oder aus Unkenntnis schlicht verneint werden.

Schließlich könnte auch die Geschichte der Kreuzzüge durchaus als Einfluss des Islam auf die europäische Kultur betrachtet werden. Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen fand auch ein kultureller Austausch statt. Weitere Schlagworte, die kriegerische Auseinandersetzungen beschreiben wäre die Reconquista in Spanien und die Eroberungszüge des osmanischen Reiches, die mal in Polen, mal vor den Toren Wiens, mal in der Seeschlacht von Lepanto gestoppt wurden.

Selbst in die Alltagssprache hinein belegen Linguisten osmanische und arabische Einflüsse. Da mus man gar nicht die „arabischen Zahlen“ bemühen. Wikipedia belegt dies in umfassender Hinsicht: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_deutscher_W%C3%B6rter_aus_dem_Arabischen.

Mögen diese Einflüsse der islamischen Kultur auch aus der Perspektive der Deutschen nicht nur positiv gewesen sein, so zeigen doch allein diese wenigen Schlaglichter, dass dies alles nicht nichts ist und es falsch wäre zu behaupten, das Deutschland ein allein christlich geprägtes Land sei. Unsere Geschichte und Kultur ist so komplex und vielfältig, dass selbst ein um prägnante Sprüche nicht verlegener Alexander Dobrindt wohl nicht in der Lage wäre zu sagen, all dies ist zu genau xx Prozent vom Christentum geprägt. Und selbst wenn man dies könnte – was konkret sagt das dann aus?

Auch wenn es schwer fällt, der Islam hat seinen Anteil an der deutschen Kultur, so wie auch das Judentum, die demokratische Bewegung, die Anthroposophie und manche Kulturströmung mehr. Natürlich wird niemand leugnen, dass Deutschland in der Hauptsache vom Christentum geprägt ist, aber halt nicht ausschließlich. Und vermutlich aus heutiger Perspektive mehr durch die Osmanen als durch die Germanen.

Es ist ja aufschlussreich, dass der Heimatminister, die Muslime als selbstverständlich zu Deutschland gehörig bezeichnet. Und klug, wählen doch bis dato die Mehrzahl der Deutschen türkischer Herkunft die CSU-Schwesterpartei CDU. Und nicht wenige dieser Deutschen sind auch in dieser „christlichen“ Partei selbst politisch engagiert.

Mag die Aussage Seehofers selbst noch diskutabel sein, so dürfte es angemessen sein, den Subtext dieser Bemerkungen freizulegen. Und mit diesem möchte Seehofer die weit verbreiteten und zunehmenden Ressentiments in der Bevölkerung gegen den Islam aktivieren und in „klingende“ Wählerstimmen ummünzen.

Mag er das selbst auch noch bestreiten, so legt doch seine Partei dies vollständig offen, wenn sie zur Illustration der Seehofer – Aussage von der Nichtzugehörigkeit des Islams zur Deutschland das Bild einer Burka verwendet, ein Foto, das vermutlich in Afghanistan aufgenommen wurde, denn bis dato ist noch kein einziges Foto einer deutschen Burka – Trägerin in den Medien aufgetaucht. Entweder gibt es diese tatsächlich nicht oder sie trauen sich nicht aus dem Haus. Die Burka- und Nikab-Besessenheit der Islamskeptiker in Deutschland nimmt doch vollständig irreale Züge an.

Entlarvend ist ein weiteres CSU-Bildchen, das Alexander (heißt auf arabisch übrigens Iskandar) Dobrindt mit der Aussage zeigt: "Der Islam gehört egal in welcher Form nicht zu Deutschland". Damit erteilt dieser auch den Bemühungen engagierter Muslime für einen „deutschen Islam“ eine Absage und stärkt damit einmal mehr die radikaleren Strömungen, die entweder den Islamismus bzw. eine strenge Auslegung der Religion befördern oder diejenigen Staatslenker fördert, die die muslimische Religion als Mittel der Bindung der Menschen an das ursprüngliche Heimatland missbrauchen.

Letztlich reiben sich die Radikalen ringsum freudig die Hände. Die AfD, weil sie die Politiker der „Systemparteien“ vor sich her treibt und dennoch in Hase und Igel – Manier immer sagen kann: „Wir waren zuerst da“. Die Anführer des IS, die umso eher Anhänger gewinnen können, wie Muslime in ihrer deutsch-muslimischen Identität angekratzt und verunsichert werden. Gerade junge Leute, die auf der Suche nach Orientierung sind und diese in unserer Gesellschaft zunehmend weniger (durch fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze und angemessene Bildungschancen) finden, sind hierfür empfänglich. Und auch Politiker wie Erdogan freuen sind, dass das, was sie mit dem Gerede von „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht erreichen konnten – nun mit Hilfe deutscher Politiker zum Ziel gebracht wird, die sichere Rückbindung an das Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern.

Natürlich betrifft dies in der gesamten muslimischen Community konkret nur Minderheiten, aber die werden durch solche Stimmungen nun mal eher größer als kleiner. Und sie sind – natürlich – gefährlich, in welche Richtung auch immer sie sich radikalisieren.

Ist es für unsere Politiker heute eigentlich so schwierig, überzeugend gegenüber den islam-skeptischen Deutschen zu belegen, dass es darauf ankommt, die Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Bürgern zu einen, Konfliktfelder zu verkleinern und Menschen zusammenzuführen? Wir wissen doch aus historischer Erfahrung, welch furchtbare Auseinandersetzungen und Verbrechen dadurch ermöglicht wurden, dass Keile in die Gesellschaft getrieben und Risse verbreitet wurden. (Ich erwarte von unseren Politikern, selbst von der AfD auch, dass sie alles tun, dass Gewalttätern keine Möglichkeiten zur Rechtfertigung ihrer Angriffe auf Menschen, auf Moscheen, Flüchtlingsheime und muslimische Einrichtungen gegeben wird, ja dass solcher (wie jeglicher) Terror mit aller Entschiedenheit bekämpft wird.)

Kann es so schwer sein, uns Deutschen klar zu machen, dass wir – Gott sei Dank – in einem Land leben, dass sich den Schutz der Rechte jedes der einzelnen Bürgers auf die Fahne geschrieben hat und nicht den Einsatz für die Interessen einer Mehrheit? Wenn etwas für unsere Gesellschaft in den Jahren nach 1945 prägend war, dann der Schutz von Minderheiten und ein weiter Freiheitsraum für den Einzelnen.

Dazu gehört es sicher auch, entschlossen und entschieden jede Gefahr für die Sicherheit und für die Demokratie zu bekämpfen. Der Aufstieg der AfD ist ganz bestimmt ein Problemanzeiger. Wir haben in Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem. Es gibt nicht wenige Menschen, die von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt wurden und kaum Perspektiven für einen Aufstieg oder eine Verbesserung ihrer Lebenssituation sehen. Gleichzeitig wird ihnen auf allen Kanälen präsentiert, dass es Anderen weitaus besser geht. Wir brauchen wieder eine Bewegung hin zu mehr Miteinander und Solidarität. Wir müssen die Verbindungen der Menschen untereinander stärken und Menschen, Gruppen, Initiativen und Parteien wieder mehr vernetzen. Der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält ist in den letzten Jahren brüchiger geworden. Es gibt zahlreiche Symptome hierfür.

Die logische Gegenbewegung wäre (und ist) dann die Suche nach der eigenen Identität. Aber anders als Horst Seehofer vermutet, entdecken immer weniger Menschen diese positiv in den christlichen Wurzeln unseres Landes. Aktuell jedenfalls geschieht dies eher negativ – durch Abgrenzung zu dem, was man nicht will bzw. was einem Angst und Sorge macht. Auch die Leitkulturdebatte hat uns ja vor Augen geführt, dass es gar nicht so leicht ist, sich auf das zu einigen, was – positiv – zu Deutschland gehört, was unser Land ausmacht. Leichter ist es zu definieren, was einer Mehrheit Unbehagen oder Angst bereitet.

Die Angst vor dem Islam in Deutschland hat sicher mehrere Quellen: 
  • Stimmungs-/Panikmache durch Populisten (AfD, Pegida u.a.)
  • Terrorismus, Gewalt, patriarchalische Strukturen, archaische Traditionen
  • Berichterstattung über Konflikte in der islamischen Welt.
  • Scharia, bestimmte Aspekte des Koran bzw. islamischer Theologie
  • Abschottung der Moscheegemeinden / muslimischer Communities (wechselseitiges Phänomen)
  • auch öffentlich – sichtbar gelebte Gläubigkeit von Muslimen.
  • Verunsicherung in der eigenen (christlichen) Identität
  • Schwäche der Kirche – des christlichen Glaubens
  • allgemeine Reserviertheit gegenüber dem Fremden bis hin zur Fremdenfeindlichkeit
  • Kulturelle Konflikte, für deren Regelung es noch keinen juristischen Rahmen gibt.
  • Flüchtlingskrise
An all diesen (Problem-)feldern sollte man mit hoher Fachkompetenz und in aller Ruhe und Entschiedenheit arbeiten. Man darf Schwierigkeiten nicht verharmlosen und klein reden. Wohin das führt, das zeigt ein ehrlicher Blick auf die Fehler in der Integration der Zuwanderer in den vergangenen Jahrzehnten. Man sollte sie aber auch nicht künstlich aufbauschen, wie das z. Zt. In den sozialen Netzwerken und am Stammtisch massiv passiert.

Vielleicht täte es ja sogar der guten alten Kneipenkultur in Deutschland gut, wenn diese Themen in deftigen Gesprächen beim Bier oder beim Cay diskutiert würden, statt am elektrischen Stammtisch in Pegida – Foren. Wenn wir die Zeit vor dem Rechner statt mit dem Basteln von Lügen- und Sprüchebildchen für Facebook und Twitter mit dem Besuch in Kirche und Kneipe verbringen würden, wo einem der Kumpel nach dem Dritten Bier vielleicht sagt „Was redest Du da für einen Blödsinn“ und dann trotzdem die nächste Runde bestellt.

Eigentlich macht eine Diskussion doch nur Spaß, wenn einem auch widersprochen wird. Diese menschliche Erfahrung scheint im wirklichen Leben, in der Kneipe, in Stadtrat und Bundestag, bei Katholikentagen und bei Fernsehdiskussionen zu stimmen, im Reich des Herrn Zuckerberg suchen viele dann sonderbarerweise Diskussionsforen auf, wo möglichst viele Schulterklopfen, zustimmen und stumpf LIKEN. Wie sonderbar!

Was ist das Ziel solcher Debatten, wie sie aktuell von Horst Seehofer angestoßen und von der CSU, von Alexander Dobrindt und der AfD befeuert werden? Man muss die Dinge doch vom Ende her denken oder einfach einmal in Ruhe zu Ende denken. Welches reale Problem in Deutschland wird hierdurch gelöst? Die Schwierigkeiten der Integration? Straftaten von Menschen mit muslimischem Hintergrund? Die Flüchtlingskrise?

Nein, im Gegenteil. Die Situation wird verschärft, aus Rissen im gesellschaftlichen Gefüge entstehen Gräben, die nur mühsam wieder zu verfüllen sind. Wir führen mit Verve und Energie eine Scheindiskussion und am Ende fehlt die Kraft, wirkliche Probleme anzupacken. Es entsteht der Eindruck mit bloßer Definition würden Schwierigkeiten gelöst, die viel tiefere Ursachen haben, wie die europäische Integration, die Globalisierung und die wirtschaftliche … .
Warum tun wir das also, als könne das Wortgeklingel irgendein Problem lösen?

Selbstverständlich stimme ich dem Innenminister zu, dass wir nicht aus „falscher Rücksichtnahme“ auf „landestypische Traditionen und Gebräuche“ verzichten sollten. Das will doch auch niemand von denen, die den Beitrag des Islam zur deutschen Kultur würdigen und den Muslimen in Deutschland Lebensräume und Möglichkeiten eröffnen möchten. Die realen Schwierigkeiten im Zusammenleben lassen sich nicht mit der Perspektive lösen, irgendwann wird der Islam schon verschwinden, werden sich die Muslime assimilieren oder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die Zeit für solche „Lösungsperspektiven“ ist vorbei bzw. wir hoffen doch alle gemeinsam, dass diese Zeit nicht wiederkehrt, wo es statt „Der Islam gehört nicht zu Deutschland – Muslime aber irgendwie wohl“ hieße: „Der Islam ist unser Unglück!“ und man man Strategien zur Lösung des „Moslemproblems“ entwickelte.

Landestypische Traditionen und Gebräuche“ sind in viel stärkerer Gefahr durch ganz andere Aspekte. Sie sind gefährdet durch das Schwinden des gelebten Christentums, durch laue und lasche Christen (auch unter unseren Politikern, selbst wenn ein C vorne steht), durch die Mobilität und die Einsatzbereitschaft, die die moderne Wirtschaftsordnung von denen fordert, die Arbeit haben, durch den allgemeinen Kulturwandel in unserer Zeit und die Geschichts- und Kulturvergessenheit weiter Kreise, durch mangelnde Bildung und manches mehr. Wir selbst sind es, die unsere „landestypischen Traditionen und Gebräuche“ auf die „rote Liste“ bringen, nicht der Islam und auch nicht die Scharia-Polizei, die an einigen Abenden ihr Theater in Wuppertal aufführte. Es sind doch dieselben Kräfte, die das Christentum in die Schieflage bringen, die auch den Islam bedrohen, wie es Michael Blume in seinem Buch „Islam in der Krise“ so eindringlich belegt. Der augenscheinliche "Vorteil" mancher tief im Glauben verwurzelter Muslime (wenngleich inzwischen doch einer Minderheit) ist es doch, dass sie im Islam einen wichtigen Pfeiler ihrer Identität erkennen, während man dies nur noch von wenigen Christen so sagen können. Da ist dieser eher schmückendes Beiwerk, gutes Gefühl oder mehr diffuse innere Haltung aber nicht mehr festes Standbein in den – durchaus heftigen – Stürmen des Lebens und der Zeit.

Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, läßt sich nicht mit Ja oder Nein und auch nicht mit einer handvoll erklärender Sätze erläutern. Man sollte sie aber immer so beantworten, dass die hier lebenden gläubigen Muslime nicht verletzt und ausgegrenzt werden oder dies so empfinden.

Die Lösung kann nur in einem Mehr an Miteinander liegen und dazu müssen die Muslime mindestens soviel beitragen wie die Christen, die Atheisten, die Buddhisten und Hinduisten die hier leben. Das ist ein ebenso langer und anstrengender wie auch schöner Weg.

Staat und Gesellschaft sollten Muslimen einen großzügigen Raum für ihr religiöses Leben bieten und gleichzeitig den Radikalen klare Grenzen setzen. Natürlich hat der Staat das Recht, ausufernde und schädliche Formen der Religionsausübung zu begrenzen. Aber das rein rechtliche „Bannen“ von Burka und Nikab löst kein konkretes Problem, sondern schafft im Gegenteil neue Schwierigkeiten. Selbstredend ist in Deutschland kein Platz für die Vielehe oder die Kinderehe. Diese zivilisatorischen Errungenschaften kann man nicht mit Verweis auf „Andere Länder, andere Sitten“ einfach aufgeben, auch nicht in Einzelfällen.

Auch Muslimen wird auf diesem Weg manches abverlangt. Sie müssen lernen, den kulturellen Rahmen ihres Islams aus dem Herkunftsland in jeder Hinsicht nach Deutschland zu verlegen. Sie müssen damit zu leben, dass religiöse Überzeugungen und Gebote den deutschen Alltag nicht (mehr) prägen, dass die Religion von Deutschen nicht verlangt, auf den Genuß von Alkohol und Schweinefleisch zu verzichten. Ich muss es als Katholik auch ertragen, dass Leute am Sonntag shoppen gehen und sich am Aschermittwoch den Bauch voll schlagen, am Freitag gedankenlos Fleisch essen und an Karfreitag tanzen gehen wollen. Natürlich muss es Muslimen möglich sein, auch auf deutschen Volksfesten und in Schul-Kantinen satt zu werden, ohne heilige Traditionen aufgeben zu müssen. Aber ein Land, das auf Vegetarier selbstverständlich Rücksicht nimmt, kann dies auch bei Muslimen tun, deren Speiseregeln noch weit leichter zu erfüllen sind als die überzeugter Veganer. Und auch der Veganismus, ja selbst Paläo-Frutarier scheinen heutzutage ja zu Deutschland zu gehören.

Am Ende frage ich mich als Katholik und mittelmäßig gebildeter Theologe, wo denn in dieser Debatte die Stimme der Christen ist. Die offizielle Kirche hält sich da aktuell vornehm zurück. Vermutlich weil die Bischöfe spüren, dass man hier gerade keinen Blumentopf gewinnen kann und weil Horst Seehofer ja gewissermaßen sedierend in den Raum geworfen hat, dass zu Deutschland der„freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten." gehören. Wer kann dazu schon nein sagen. Umso reger beteiligt sich ein Teil der katholisch-konservativen Szene – in der ich auch einen Teil meiner Wurzeln sehe – an der Debatte. Bedauerlicherweise nicht immer konstruktiv.

Der emeritierte Theologieprofessor Dr. Hubert Windisch wundert sich: „Wer in diese Debatte nicht einsteigen will, gibt sich auf. Die Kirchenführer schweigen!“ Die Fragen, die er dann aber in seinem Beitrag auf kath.net formuliert klingen allerdings, wie bei der Pegida-Demo mitstenografiert. „Warum hört man nicht auf Islamkenner und –kritiker wie Imad Karim, Hamad Abdel-Samad, Sabatina James, Necla Kelek, Rüdiger Safranski, Hans-Peter Raddatz, Alice Schwarzer, David Berger und viele andere? Warum nur quer durch unser Land dieser selbstzerstörerische islamergebene Masochismus? Worum geht es? Es geht darum, den Islam kritisch in seinem sozialpolitischen Kern wahrzunehmen, wonach Staat und Religion nicht zu trennen sind und alles daranzusetzen ist, bis überall die Scharia gilt.“

Ich fürchte, das ist wirklich keine Basis, auf der man diskutieren kann, ob der Islam zu Deutschland gehört. Nähme man den Islam der zitierten Personen als Maßstab, kann es auch nur eine Antwort geben. Nein! Aber die Frage ist doch, ob wir über diese Form des Islam und dessen Darstellung ernsthaft zu diskutieren haben und ob dies dem Islam gerecht wird, den die gläubigen Muslime hier leben. Sonst ist das nur eine weitere Phantomdiskussion. Warum man als katholischer Theologe ernsthaft über die Thesen eines Hamad Abdel-Samad diskutieren möchte, während man ansonsten doch der Giordano – Bruno – Stiftung abspricht, zu Fragen des Christentums Relevantes beitragen zu dürfen, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls sollte man als Theologe dann aus ihren Beiträgen die bedeutsamen Fragen herausfiltern und gleichzeitig auch die Stimmen derer wahrnehmen, die sich als gläubige Muslime in Deutschland für den Dialog einsetzen und als spirituelle Menschen den Islam hier leben.

Bedauerlicherweise ist Prof. Dr. Windisch nicht der einzige Katholik, der das Konzilsdokument „Nostra aetate“ in diesem Kontext offenbar für irrelevant hält. Wohlgemerkt, es geht absolut nicht darum Probleme in der islamischen Theologie, in islamisch geprägten Traditionen oder die Schwierigkeiten, die uns radikale und fundamentalistische Vertreter des Islam bereiten klein zu reden. Aber ich wünsche mir doch Diskussionen, die die Realitäten wahrnehmen, wirkliche Probleme benennen und echte Lösungswege erarbeiten und nicht solche, die ablenkend und ergebnislos im luftleeren Raum geführt werden.

Gerade gläubige Katholiken, insbesondere Theologen könnten doch dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. In der Diktion von Prof. Dr. Windisch schließe ich daher meinen Beitrag mit den Worten: „Wer in diese Auseinandersetzung nicht einsteigen will, gibt das Evangelium auf. Viel zu viele schauen zu und schweigen. Noch. Bis die Opfer weinen. (vgl. Lk 23,28)!

Freitag, 9. Februar 2018

Kardinale Parteiungen - zum Wohle der Katholiken?

Ein ganzes Wochenende haben wir mit den Mitgliedern des Pfarreirates und der Gemeindeausschüsse unserer Pfarrei kürzlich getagt. Die Gespräche drehten sich im Grunde alle darum, wie es uns als Pfarrei gelingen kann, Menschen in unterschiedlichen sozialen Milieus anzusprechen und Leute mit dem Evangelium zu erreichen, die sonst das Wort Gottes nicht hören würden. 

Neben manchen Schwierigkeiten, das Evangelium in die Welt zu tragen, war für viele der ehrenamtlich Aktiven auch das Bild, das die Kirche nach außen hin abgibt ein wesentlicher Hemmschuh. So wird verhindert, dass das Gotteswort auf fruchtbaren Boden fällt. Die Kirche trägt – leider – selbst dazu bei, dass die Samenkörner des Evangeliums in einen eher steinigen Acker gesät werden. Man mag vielerlei Ungerechtigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung beklagen, aber durch das Handeln kirchlicher Würdenträger und die manchmal dilettantische kirchliche Öffentlichkeitsarbeit bzw. das Bemühen, kirchliches Fehlverhalten zu verbergen oder schön zu reden, ist ein wirklicher Flurschaden entstanden, der inzwischen auch durch kleinste Fehler immer wieder aktiviert wird.

Sicher sind es heute vor allem gesellschaftliche Metatrends, die der Kirche ihre öffentliche Wirksamkeit erschweren, bzw. diese weitgehend auf Menschen beschränken, die der christlichen Gemeinde auf irgendeine Weise bereits verbunden sind bzw. im Laufe ihrer Biografie bereits mit dem Evangelium in Berührung kamen. Einzele „Konvertiten“ mit bemerkenswert anderen Lebensläufen sind ja eher die Ausnahme denn die Regel. 

Just in diesen Tagen bestätigt die kirchliche Wirklichkeit wieder, was schon längst in den Köpfen unserer (mehrheitlich) unfrommen Mitbürger als Tatsachen verankert ist: 

Die Kirche ist reich, so reich, dass sie locker mal 50 - 60 Mio. Euro auf dem Immobilien – Zockermärkten Amerikas verspielen kann, wie es jüngst aus Eichstätt berichtet wird. Und sie geht mit dem Geld der Gläubigen nicht ordentlich um, was dazu führt, dass sie nun Schulen in Hamburg gleich in Reihe schließen muss. Sie kann aber für 30 - 40 Mio. Euro Bischofsresidenzen bauen oder Ordinariatsgebäude, schließt gleichzeitig aber in breiter Fläche Kirchen und Pfarrheime im Ruhrgebiet (und anderswo) gegen den Widerstand der Gläubigen und der Gemeinden. 

Erschütternde Mißbrauchszahlen wurden erst kürzlich wieder aus Australien gemeldet und der Papst selbst stützt einen Bischof in Lateinamerika, von dem ausgesprochen verstörende Geschichten berichtet werden, während in Kleve ein Pfarrer die angemessene Distanz zu einem Jugendlichen nicht zu wahren weiß, etwas, was ja eigentlich zu den Kernkompetenzen eines Seelsorgers gehören sollte. 

Immer wieder verabschieden sich auch heute noch hoffnungsvolle junge Priester aus dem Dienst und stürzen sich ins Eheleben, ohne dass jemand gleichzeitig überzeugend, berührend und entspannt die Freuden des zölibatären Lebens zu schildern wüsste. 

Kardinäle zanken öffentlich über die rechte Weise des Umgangs mit dem chinesischen Regime und just gestern erklärt Kardinal Cordes seinen „Kollegen“ Kardinal Marx zum Beinahe – Häretiker: „Vorstoß von Kardinal Marx missachtet eindeutige Offenbarung Gottes“. Ganz zu schweigen von der hartnäckigen Opposition einiger Kirchenleute gegen den Hl. Vater. 

Es gibt Tage, da frage ich mich ernsthaft, warum ich mich jeden Tag wieder ins Büro, Pfarrheim, Kindergarten, Schule und Kirche aufmache, um Menschen die Botschaft Jesu Christi nahe zu bringen und sie für ein Engagement in seiner Kirche zu begeistern (äh, motivieren) versuche, wenn man sich doch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass manche Leute immer wieder mit dem Hintern umstoßen, was wir vor Ort aufbauen.

In den 25 Jahren, die ich nun hauptberuflich im kirchlichen Dienst bin, gab es einen deutlichen Wandel im Umgang mit homosexuellen Personen. In meiner Jugend kam das Thema im Grunde nur auf „Katholikentagen von unten“ vor. In der Gemeinde wurde es schlicht verdrängt. Doch nach und nach nahm die Offenheit zu, in der Seelsorge kam man mehr und mehr in Kontakt mit Einzelnen und Paaren, auch homosexuell veranlagte Priester konnte ich kennenlernen. Bis zum heutigen Tag ist die Aufgeschlossenheit und Akzeptanz für diese Personen in den Gemeinden deutlich gewachsen. 

Der vorläufige und aktuelle Höhepunkt dieser Entwicklung sind – wenn auch noch etwas verhaltene – Stimmen aus dem Kreis der deutschen Bischöfe, für ein Zugehen auf Menschen mit homosexuellen Veranlagungen und Lebensweisen. Bischof Bode hat sich hier zuerst aus dem Fenster gelehnt und von Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare gesprochen; Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz sagte in einem Interview einen entsprechend deutbaren Satz, der ihm den Widerspruch (u.a. von Kardinal Cordes einbrachte): „Da muss man auch ermutigen dazu, dass die Priester und Seelsorger den Menschen in den konkreten Situationen auch einen Zuspruch geben.“ Von Segensfeiern (wie ihm unterstellt wird) hat er gar nicht ausdrücklich gesprochen. Aber ich denke, man interpretiert ihn nicht ganz falsch, ebenso wie das doch flächendeckende Schweigen im deutschen Episkopat zu diesem Thema.

Dagegen setzt Kardinal Cordes nun die „Offenbarung Gottes“ und klagt: „Marx erwähnt nicht einmal, dass Homosexualität immer dem Willen Gottes widerspricht.“ 

Erzbischof Charles J. Chaput von Philadelphia schrieb aktuell in einem Brief an Priester und Diakone in seiner Erzdiözese: „Verwirrung um wichtige Glaubenswahrheiten zu stiften, egal wie positiv die Absicht ist, macht nur eine schwierige Aufgabe noch schwieriger." 

Man bekommt angesichts der aufgescheuchten Diskussion geradezu den Eindruck, die Lehre der Kirche würde durch vereinzelte Segenshandlungen vor dem Zusammenbruch stehen. Ich habe just heute morgen noch mal in Joseph Ratzingers „Einführung ins Christentum“ und in Gerhard Ludwig Müllers „Katholische Dogmatik“ geblättert. Aber ganz offenbar war beiden Autoren das Stichwort „Homoousios“ im Kontext von Glaubenswahrheiten wesentlicher als Homosexualität oder gar Unzucht. Beides sucht man im Inhaltsverzeichnis nämlich vergeblich. 

Die Kirche tut sich allgemein schwer mit Fragen der Sexualität. Und sie tut sich zunehmend schwerer, hierzu öffentlich zu sprechen bzw. überhaupt gehört, wahr und ernst genommen zu werden. Und dies nicht nur wegen der komplexen Materie, sondern auch, weil immer wieder Fälle an die Öffentlichkeit geraten, wo Menschen, die mehr als jeder Andere die Kirche und Christus repräsentieren, selbst am Anspruch der Kirche scheitern. Da braucht man nicht mal den noch immer blutenden und schmerzhaften Skandal der Priester zu nehmen, die Kinder und Jugendliche mißbrauch(t)en. Da gibt es auch Priester, die zu Prostituierten gehen, Priester, die verborgene Beziehungen zu Frauen (und Männern) pflegen, Priester in Swingerclubs, Priester, die Pornos oder gar Kinderpornografie konsumieren oder einfach sonderbare Formen von Nähe und Zärtlichkeit mit anderen Menschen und Gemeindemitgliedern pflegen. Dazu braucht man nicht einmal an die Causa Groer erinnern. Gibt es einen einzigen Katholiken, der nicht eine solche Story erzählen könnte (wenn auch nur vom Hörensagen)? Wie kann eine Kirche glaubwürdig ihr Evangelium von einer humanen und gottgefälligen Sexualität verkündigen, wenn nicht mal alle ihre Hirten dieses Evangelium leben?

Solche Unwahrhaftigkeiten schaden der Kirche und ihrer Glaubwürdigkeit. Aber sie schaden ja auch den einzelnen Persönlichkeiten, die sie – eingespannt zwischen Ideal und ihren Trieben – auf Abwege bringen. Im ungünstigen Fall bewirkt die kirchliche Verkündigung gerade das Gegenteil, was sie erreichen möchte und erzeugt Brüche in der Persönlichkeit bzw. forciert gar eine Abkehr vom Glauben. 

Ich denke konkret an einen sehr geschätzten, schwulen und sehr frommen Mann, der die Traditionen der katholischen Kirche in und auswendig kannte und wirklich zutiefst aus ihnen gelebt hat, der treu die Gottesdienste besuchte und sich rund um die Kirche nützlich machte. Und dennoch litt er so sehr unter seiner Einsamkeit, dass er immer wieder einmal einen „Ausflug“ in eine promiske Schwulenszene unternahm.

Wenn wir in der Kirche von Sexualität reden, dann stellen wir ein hohes Ideal in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Legitime Sexualität kann es nur in der Ehe geben, kann es nur geben, wenn sie offen ist für Kinder, für Fruchtbarkeit. Ich vermute, wir reden innerkirchlich im Grunde nur von „Blümchensex“ und decken mit dem Mäntelchen der Keuschheit und des Schweigens die vielfältigsten Spielarten menschlicher Sexualität zu. 

Ich schätze den Zölibat als Lebensform sehr. Aber er bringt gerade im Feld der Sexualmoral auch Schwierigkeiten mit sich. Zölibatär lebende Menschen haben wenig Erfahrungen mit den Höhepunkten und Abgründen menschlicher Sexualität. Über die Vielfalt in diesem Lebensbereich gibt es zu wenig Wissen in der Theologie. Texte der Kirche zur Sexualmoral kranken daran, dass sie eher recht theoretische Überlegungen darstellen. Hier wäre es sicher auch nicht hilfreich, zölibatären Theologen umfangreiche „Feldstudien“ nahezulegen. Aber von der Erfahrung der Laien sollte die Theologie sich hier deutlich mehr als bisher bereichern lassen. Dieser Gedanke schließt natürlich nicht aus, dass auch ehelos und keusch lebende Priester und Ordensleute wertvolle Beiträge zu Fragen einer menschenwürdig gelebten Sexualität beitragen können. Und dies gerade auch wegen ihrer Erfahrungen als Menschen, die auf ausgelebte Sexualität verzichten. 

Wer ein homosexuelles Paar segnet, so höre ich immer wieder, der würde ja seinen Segen zu allen Perversitäten und Entartungen der menschlichen Sexualität geben. „Heute die Homosexuellen, morgen die Ehen zu dritt oder zu viert. Übermorgen dann die Akzeptanz inzestuöser Verbindungen. Mit der Segnung homosexueller Paare würde der Unmoral Tür und Tor geöffnet.“

Mir sind die Grundlagen der katholischen Sexualmoral sehr wichtig. Und in Zeiten, wo Pornografie unser Alltagsleben überschwemmt und die Verunsicherung in all diesen Fragen eher ansteigt als dass durch das Übermaß an Sexthemen die Einzelnen aufgeklärter erscheinen. Es gibt reichlich Pseudowissen, das eine human gelebte Sexualität eher erschwert. Das gilt besonders bei für Jugendliche. Ich halte es für falsch, wie wir als Kirche heute über Sexualität kommunizieren, indem wir ein eher welt- und wirklichkeitsfremdes Ideal hochhalten, das so weit von der „lebenswirklichen“ Realität entfernt ist, dass daran letztlich nur noch winzige Minderheiten ihr Sexualleben ausrichten. 

Als Kirche müssen wir auf die Fragen der Menschheit überzeugende Antworten geben, überzeugend in der Weise, dass der einzelne Mensch Hilfen findet für einen menschlichen Umgang mit der – letztlich rätselhaften und herausfordernden – Triebkraft der eigenen Sexualität. Wir müssen Antworten bereit halten, die vernünftig und einleuchtend sind, zumindest aber vor der Wissenschaft und dem Verstand der Menschen bestehen können, auch wenn diese keine hundertprozentigen Katholiken sind. Die Klarheit und Eindeutigkeit der Lehre allein reicht nicht aus. Welchen Sinn macht es, eine Art Vitrine im Museum der reinen Lehre kunstvoll mit Exponaten zu schmücken, wenn all dies keine Relevanz für das Leben draußen mehr hat? Und keiner mehr rein geht und sich die Exponate anschaut?

Schließlich basiert auch das Naturrecht auf menschlicher Vernunft und Einsicht. Umso mehr sollten die Regeln, die wir daraus ableiten, der menschlichen Vernunft und Einsicht entsprechen. 

Drei(einhalb) Aspekte sind mir im Kontext katholischer Sexualmoral (und Pädagogik) sehr wichtig geworden. 

  • Der erste Aspekt ist die Offenheit einer sexuellen Beziehung für das geschenkte Leben, die Offenheit für Kinder, die Gott schenkt. Daher setzt sie eine entsprechende Beziehung, eine Ehe voraus. 


  • Die menschliche Sexualität ist ein Geschenk Gottes. Er hat sie mit Freude und Lust verbunden, die einen Wert in sich darstellen. Wenn es nur um Fruchtbarkeit gehen würde, hätte man den „Vorgang“ auch ganz anders gestalten können. In der Tierwelt gibt es zahlreiche Beispiele, wie das Männchen sein Spermienpaket auch eher beiläufig „abliefern“ und für Fortpflanzung sorgen könnte. 


  • Aber diese Lust und Freude an der Sexualität steht nicht frei im Raum, sondern sie ist auch eine besondere Form der Kommunikation die eine tiefe und intensive Liebesbeziehung voraussetzt. Die sexuelle Kommunikation hat darin eine Funktion. Sexuelle Kommunikation außerhalb einer Liebesbeziehung kann sehr verletzend und zerstörerisch sein. Das gilt im Grunde auch für andere Formen von Kommunikation, wobei diese ihren Raum ausschließlich (idealerweise) in einer Ehe hat. 


Wenn wir als Kirche etwas dazu beitragen können, dass menschliche Sexualität gelingt, dann sicherlich in diesem Dreiklang von Fruchtbarkeit – Lust und Liebeskommunikation. Hierfür finden sich auch vielfache Anknüpfungspunkte in der klassisch-kirchlichen Moralverkündigung, wenngleich das hier nur sehr verkürzt ausgedrückt werden kann. 

  • Hier würde ich schon noch das Stichwort „Keuschheit“ in den Ring werfen, wenngleich das ein schillernder Begriff ist. Aber wie das Fasten oder die Armut in den evangelischen Räten ist auch der Verzicht auf gelebte Sexualität ein Wert an sich, auch innerhalb einer Ehe, solange es der Beziehung eines Paares nicht schadet. 


Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass man mit diesem Dreiklang (Vierklang) auch Kriterien gewinnen kann, die vielen Spielarten menschlicher Sexualität einzuordnen und hierzu  Sinnvolles zu sagen. Und vor allem, die Adressaten unserer Botschaft mit einem klaren, hilfreichen Wort auch zu erreichen. 

Wir sollten uns über die Welt nicht täuschen. Die große Fangemeinde der 50 Shades of Grey sollte uns wach machen. Es wäre ja hoch spannend, sich eine bischöfliche Stellungnahme zu diesem Phänomen vorzustellen, die von den offenbar Millionen Lesern dieser Bestseller als bedenkenswert wahrgenommen und gelesen werden würde. Oder haben wir als Kirche an diesem Punkt längst kapituliert?

Wer in der „bunten“ oder grauschattierten Welt des Sadomasochismus mit anderen Gleichgesinnten in entsprechenden Swingerclubs allerlei sehr spezielle Sexualpraktiken erprobt, der wird die kirchliche Moralverkündigung allenfalls noch als milde brummendes Hintergrundrauschen vernehmen. Aber ich sehe uns schon in der Verantwortung, auch noch diesen Personen etwas mitzugeben, das sie möglicherweise ins Nachdenken bringt. Wenn sie ihre Sexualität schon in eher halblegalen und verborgenen Räumen ausüben und sich von den noch eher prüden gesellschaftlichen Konventionen schon weit entfernt haben, dann sind sie über die verschämten Worte des klassischen kirchlichen Lehramtes schon lange hinweg.  

Es hilft nichts, wir müssen als Kirche sprachfähiger und überzeugender werden mit unserer Botschaft von einer menschenwürdigen Sexualität. Wir müssen das umso mehr, wie wir doch sehen könnten (wenn wir möchten), dass seit vielen Jahrzehnten (auch schon als die kirchliche Welt noch heiler aussah), Lusterfüllung in Formen gesucht wurde und wird, die manchen beteiligten Menschen nicht gut tun und andere Menschen sogar beschädigt und in vielfacher Hinsicht verletzt haben. Und dies nicht nur im Swingerclub, sondern auch und wohl noch mehr im ehelichen Bett. Von den schillernden und oft menschenverachtenden Formen von Prostitution und Pornografie einmal ganz zu schweigen. Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Formen sexueller Begegnung und hoffentlich beinahe so viele Varianten menschlich gut gelebter Sexualität wie es Paare gibt. 

Daher halte ich es für notwendig, dass wir mehr differenzieren. Und hier hoffe ich, dass die Diskussion um eine Segnung für homosexuelle, treue Paare uns weiter führen kann. Mir ist es nämlich immer noch lieber, wir segnen ein langjähriges schwules Paar und begleiten dessen Beziehung durch gute und schwere Zeiten, als dass wir die Spendung des Ehesakramentes feiern für ein Paar, wo der Mann seine sexuellen Neigungen und Phantasien mit viel Druck oder gar Gewalt auf Kosten seiner Frau auslebt.

Immer wieder wird an diesem Punkt entgegnet, dass es ungerecht sei, wenn die Kirche hier differenziere und von den Einen die Einhaltung eines hohen Ideals erwarte, die Anderen davon aber faktisch dispensiere. Aber mir kommt das Wort des Paulus in den Sinn: „Wer es fassen kann, der fasse es...“. Es entwertet doch Enthaltsamkeit nicht, wenn es Menschen gibt, die sie nicht leben. Im Gegenteil. Gerade der Verzicht wird in christlicher Sichtweise als besonders verdienstvoll gesehen. Und gerade da, wo sexuelle Neigungen ins Kriminelle abzugleiten drohen, sollten Gesellschaft und Kirche alles tun, um Menschen die Überwindung solcher Neigungen und Enthaltsamkeit zu ermöglichen. 

Viele bringen in die Segensdiskussion das Stichwort „Absegnen“ hinein. Nein, als Kirche können wir nicht alles, was Menschen tun, nicht einmal alles, was eine Mehrheit der Menschen tut, absegnen. Aber wir können sicherlich Menschen segnen, wir können auch Paare segnen, auch wenn wir nicht alle ihre Handlungen absegnen und für gut heißen. Und diese Segenshandlung darf ihnen sicher auch Ansporn sein, das Leben nach den Grundprinzipien kirchlicher Lehre auszurichten. Wer um den Segen bittet, spricht dem Segnenden auch sein Vertrauen aus. Und damit auch das Vertrauen, dass Kirche mit ihrer Verkündigung das Gute für diesen Menschen will. 

Ich bin froh, dass ich nicht regelmäßig gefordert bin, das Handeln der Menschen einem Urteil zu unterwerfen, bevor ich für sie um den Segen Gottes bitte. 

Aber widerspricht diese Haltung nicht den Worten der Bibel und einer ungebrochenen Tradition? Ja, ich sage aufrichtig: das ist ein Punkt. Mag man die Worte des alten Testaments auch aus dem Kontext erklären können und zu der Feststellung kommen, dass sich manche Formulierung aus dem Denken der damaligen Zeit ergibt und heute nicht mehr in diesem Maß Beachtung finden muss; mag man auch festhalten, dass sich Jesus nicht ausdrücklich zur Frage gleichgeschlechtlicher Liebe geäußert hat, so bleibt man doch spätestens bei den Worten des Paulus hängen, die da eindeutiger zu sein scheinen, besonders der Text aus dem Römerbrief. Aber in der geschilderten Situation spielt auch stark der Bruch ehelicher Treue hinein und die allgemeine Auflösung moralischer Regeln. Der Hintergrund anderer Texte ist die im antiken Griechenland gesellschaftlich (leider) akzeptiere Pädophilie als Missbrauch von Knaben. Die Exegese all dieser Texte wäre sicher ein ganzes Buch wert, vermutlich kann man aber durchaus feststellen, dass sie alle wohl kaum unmittelbar auf die heutige Situation und das Leben eines homosexuellen und treuen Paares angewendet werden können. 

Man muss sicher festhalten, dass Homosexualität nicht dem in die Natur eingeschriebenen Schöpfungsideal Gottes entspricht. Aber das tut beispielsweise Trisomie 21 wohl auch nicht. Dennoch ist beides ein Phänomen, dem wir in der Schöpfung Gottes begegnen, ja das Teil dieser Schöpfung ist. 

Homosexualität entspricht sicher nicht dem Schöpfungsideal Gottes, aber sie ist auch nicht das Übel und die Sünde schlechthin. Sicher müssen wir als Kirche das Ideal der Ehe und der gleichberechtigten Partnerschaft von Frau und Mann hoch halten und als Christen diese Männern und Frauen auf der Suche nach einem guten Miteinander, nach einer einvernehmlichen Weise gelebter Sexualität und durch alle Höhen und Tiefen des Lebens begleiten. 

Dafür bietet die Lehre der Kirche zahlreiche Leitplanken, die den Einzelnen helfen, den richtigen Weg für sich zu finden. Aber wir dürfen doch nicht Menschen das Gefühl geben, sie seien Personen, die uns als Kirche weniger wichtig sind, weil sie nicht unserem Idealbild vom Menschen entsprechen. Zumal die sexuelle Identität auch nicht das Brennglas sein kann, durch das wir das ganze Leben eines Menschen betrachten. Auch ein gleichgeschlechtlich lebendes Paar kann in seiner Beziehung auf überzeugende Weise Ideale verwirklichen, die wir bei ihnen ebenso hochschätzen sollten wie bei einem heterosexuellen Paar. Und wir sind es auch jedem gleichgeschlechtlichen Paar schuldig, ihnen das Evangelium weiter zu sagen, ihnen von Jesus Christus und seiner frohen Botschaft zu erzählen. 

Die christkatholische Botschaft kann doch nicht immer wieder neu lauten: „eure Liebe ist defizitär“, wenn gleichgeschlechtlich liebende Menschen ihren Glauben in und mit der Kirche leben möchten.  Sie wissen in der Regel, welches Ideal die Kirche hier vertritt. Welchen Sinn sollte es haben, sie beständig zurückzustoßen? Es kann doch auch nicht unser Ziel sein, solche Paare auseinanderzubringen. Für all das, was sie in ihrem Leben Gutes tun brauchen sie – wie jeder von uns – Gottes Segen, denn „Niemand ist gut außer der eine Gott.“

Kardinal Marx ist sicher zuzustimmen, dass wir nicht in erster Linie ein offiziöses Ritual brauchen, sondern dass es darum geht, den betreffenden Personen und Paaren Wertschätzung, Begleitung und Zuspruch zu vermitteln, Zuspruch auf Augenhöhe, nicht erhobene Zeigefinger. 

Sein Ausspruch: „Es gibt Dinge, die lassen sich nicht regeln“, dürfte gleich in mehrfacher Hinsicht wahr sein und ist selbst für ganz normale Eheschließungen nicht ohne Gültigkeit. Sicher können wir weiter versuchen, alle Varianten menschlicher Liebesbeziehungen über einen Leisten zu schlagen, doch dann müssen wir auch in Kauf nehmen, dass die Relevanz  der kirchlichen Moralverkündigung weiterhin sinkt. Wir dürfen uns doch nicht damit zufrieden geben, die Schönheit und Klarheit der kirchlichen Lehre zu preisen und deren saubere Verkündigung zu feiern, wenn die schönen und klaren Worte weitgehend wirkungslos verhallen. Wir müssen auch dann noch fundierte Lebenshilfe geben, wenn die Paare, um die es geht, die Ideallinie nicht erreichen möchten/ zu erreichen vermögen.

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Den Kreuzzeichen-Blog gibt es jetzt auch auf facebook...

Inzwischen habe ich eine kleine Seite bei facebook gebastelt, wo ich auf den ein oder anderen lesenswerten Artikel hinweise, der mir dort (an anderer Stelle) begegnet. Und natürlich auch auf eigene Texte.

Ich würde mich über einen Besuch und ein "like" dort freuen. https://www.facebook.com/kreuzzeichenblog/

Allen Leserinnen und Lesern noch einige ruhige letzte Adventstage, weiterhin gute Vorbereitung und dann ein frohes, gesegnetes Fest der Geburt des Erlösers! Frohe Weihnachten!

Dienstag, 12. Dezember 2017

Was hat der Heilige Vater nur mit dem Vater unser?

Wenn mich in der Firmkatechese eine Jugendliche gefragt hätte, ob das wirklich so ist, dass Gott selbst sie in Versuchungen führe... ich hätte mich sicher sehr bemüht, sie von diesem Gedanken ab zu bringen. Und auf das Argument hin, dass doch im Vater unser gebetet würde: „und führe uns nicht in Versuchung...“ hätte ich vermutlich gesagt, dass das wohl ein Problem der guten Übersetzung wäre und es darauf ankäme, den Inhalt richtig zu verstehen, dass es vielleicht auch bedeuten müsse: „und führe uns in der Versuchung...“ im Sinne von „laß uns auf dem rechten Weg bleiben“ oder „und lass uns nicht in Versuchung geraten...“

Ich bin sicher, seelsorgliche Unterhaltungen dieser Art, hat ein jeder Seelsorger schon einmal geführt. Je nach Intensität und Tiefe des Gesprächs ist man sicher auch schon mal an den Punkt gelangt, dass die Formulierung im Vater unser zu Recht etwas sperrig ist, weil die Wege Gottes für uns Menschen nicht immer nachzuvollziehen sind und dass man die Wege, die Gott uns führt mit menschlichem Verstand nicht leicht verstehen kann. Dass die Vater unser – Formulierung ist wie sie ist – hat auch etwas Gutes, hält sie doch Geist und Spiritualität lebendig.

Nicht viel anders als viele Gläubige und Seelsorger in einem Glaubensgespräch hat nun wohl auch Papst Franziskus gesprochen. Nur nicht auf dem Sofa, sondern in einer Gesprächsreihe des italienischen Senders TV2000. Das ist nicht irgendein Fernsehsender wie RTL oder ZDF, sondern der eigene Sender der italienischen Bischofskonferenz. Dort hat man ein Format entwickelt, in dem der Hl. Vater in Interview-Form über das Vater unser spricht. Soweit das von hier nachvollziehbar ist, wurde dies gerade erst dort gesendet, auch das parallel angekündigte Buch soll erst jetzt erscheinen. Im Rahmen der Werbung für dieses Projekt wurden einige Details aus den Fernseh-Gesprächen bekannt. Auch Radio Vatikan berichtete darüber und inzwischen wurde aus dem Theologischen „Rauschen im Blätterwald“ ein Sturm, ja ein eisiger Blizzard für den Hl. Vater.

Gipfel des Ganzen scheint mir die von einem der Herausgeber der FAZ ebendort gewählte polemische Formulierung: „Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die Weisheit seines höchsten Repräsentanten.“ so formuliert es unter der Überschrift „Heilige Einfalt“ der Journalist und Volkswirt Jürgen Kaube (er studierte auch noch Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte) und die österreichische Kronen-Zeitung sekundiert, indem sie das „Vater unser“ wie eine Person anspricht: "Bist du doch eines der wenigen Gebete, die hierzulande das Gros der Gläubigen ohne zu stottern herunterzubeten imstande ist. Und da nehme ich mich nicht aus." Eine ganze Reihe von Bischöfen weist die „Initiative“ des Papstes entschieden und mit einer überraschenden Verve im Auftritt zurück, sogar die EKD fühlt sich bemüßigt, hierzu öffentlich Stellung zu nehmen und weist darauf hin, dass es in der neuen Luther-Bibel 2017 heiße – „und dabei bleiben wir auch“: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Dazu bemüht man dann noch den Kleinen Katechismus Martin Luthers: „Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott behüte und erhalte, damit uns Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster; und wenn wir damit angefochten würden, dass wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten.“ Abschließend ermutigt die EKD in diesem etwas allzu dramatisch geratenen Text: „Beten wir also weiter das Vaterunser!“ (Als sei das von irgendwem angezweifelt worden...)

Leider ist der Text des Gesprächs mit dem Hl. Vaters noch nicht allgemein im Netz verfügbar, aber ich finde keinen Hinweis, dass der Papst mehr gesagt hat, als jeder Seelsorger im Gespräch mit einem aufgeschlossenen Firmling von sich geben würde. Und originellerweise scheint sich seine Aussage sogar mit dem von der EKD zitierten Luther – Wort zu decken. Schauen wir einmal auf die bisher bekannten Fakten und nehmen dazu eine anerkannt sachliche, dem Vatikan nahe stehende Quelle. Radio Vatikan berichtet nämlich folgendermaßen über die Äußerungen des Papstes:

„Die Vaterunser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ ist in dieser Formulierung „keine gute Übersetzung". Das hat Papst Franziskus beanstandet. Es sei nicht Gott, der den Menschen in Versuchung stürze, um dann zuzusehen, wie er falle, sagte der Papst. „Ein Vater tut so etwas nicht: ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan", so Franziskus. ...
Der Papst verwies auf einen Beschluss der französischen Bischöfe, die offizielle Übersetzung des Vaterunsers zu ändern. In katholischen Gottesdiensten in Frankreich lautet die betreffende Bitte seit dem ersten Adventssonntag: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Der Papst äußerte sich in einer Kurzserie zu den Vaterunser-Bitten.“

Aha, hier handelt es sich offenbar weder um ein Hirtenwort noch um eine offiziöse „Kritik“ und Stellungnahme des Hl. Vaters. Die Äußerungen sind Teil eines Gesprächs über spezielle Aspekte des Vater unser. Soweit das nachzuvollziehen ist, hat er auch keine Änderung des Gebetes gefordert, sondern darauf hingewiesen, dass die entsprechende Bitte nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass Gott (aktiv) in Versuchungen führt, um den Glaubenden zu Fall zu bringen. An diesen Gedanken hängen komplexe theologische und menschliche Fragestellungen, das wird auch in der heftigen Diskussion dieser Tage deutlich.

Jürgen Kaube hält in seinem Artikel die biblische Erfahrung gegen das Wort des Papstes. Schließlich habe Gott doch auch Jakob in Versuchung geführt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Und was sei der Baum der Erkenntnis im Paradies anderes als eine große „Versuchungs-Falle“, die Gott dem Menschen aufgestellt habe. Leider versäumt es der FAZ-Herausgeber in seiner Wut-Rede und in dieser Aufzählung den biblischen Bericht der Versuchung Jesu in der Wüste (durch den Teufel) zu erwähnen. Bewusst oder unbewusst bedient er in seinem Artikel den auch von anderen Seiten genüsslich ausgebreiteten Verdacht, dem Hl. Vater fehle es an theologischer Substanz.

Mit Begeisterung verbreiteten selbst katholische Blogs und Medien diese Attacken gegen den Papst, statt ihn zu verteidigen oder manche Sachverhalte richtig zu stellen. Denn dass der Papst das Vater unser in der deutschen Fassung „umdichten“ wolle, dafür gibt es im Grunde keinerlei Hinweis.

Es erstaunt den Beobachter schon, warum dieses Thema in derartiger Weise hochgekocht wird. Zumal der Wortlaut des Gesprächs offensichtlich nirgendwo Grundlage der kritischen Artikel war und auch offenbar noch nicht verfügbar ist. So wird aus Halbwissen die Behauptung konstruiert „Papst Franziskus möchte das Vater unser „umtexten“ lassen“. Das scheint keineswegs der Fall zu sein. Allenfalls hat er sich hinter die französischen Bischöfe gestellt, die dies nun tun wollen und – vermutlich nicht unberechtigt – allerlei Kritik ernten. Denn die Frage, die z.B. Jürgen Kaube stellt ist ja sehr naheliegend: „Was wäre denn der Unterschied zwischen „in Versuchung führen“ und „nicht in Versuchung geraten lassen“?

Aber wenn das so ist – was soll dann die Aufregung? Vielleicht sollte man mit Blick auf Frankreich berücksichtigen, dass die Passage im französischen Text bisher lautete: „Ne nous soumets pas a la tentation". Zu Deutsch etwa: „Unterwerfe uns nicht der Versuchung". In der neuen Fassung heißt es nun: "Et ne nous laisse pas entrer en tentation". Zu Deutsch: "Und lass uns nicht in die Versuchung geraten".

Hier ist sicher festzuhalten, dass die bisherige, seit 1966 in Frankreich verwendete Version tatsächlich noch eine Schüppe auf das deutsche „führe uns nicht in Versuchung“ drauflegt. Und von daher durchaus korrekturbedürftig war. Letztlich verweist der ganze Streit auf die Notwendigkeit, einen griechischen (bzw. lateinischen) Text so zu übersetzen, dass er in der jeweiligen Muttersprache, den gemeinten Inhalt möglichst sicher und getreu wieder gibt. Und nirgendwo wird diese Problematik sichtbarer und spürbarer als bei dem bedeutendsten Gebet der Christenheit.

Umso mehr Sensibilität ist von denen gefragt, die um die rechten Worte und deren Bedeutung ringen. Das vermisse ich in diesen Tagen bei manchen Theologen, Bischöfen und Journalisten. Man möchte Ihnen zurufen: „Kommt runter!“ und „Keep calm and carry on“. Und sicher gilt das auch – bei allem Respekt – für den Hl. Vater.

Es ist sicher sympathisch, dass er als „Padre“ zu allen Katholiken sprechen möchte, vor allen zu den einfachen und armen Menschen, dass er mit schlichten Worten und nah an den Sorgen der Menschen argumentiert und eine bildhafte Sprache verwendet. Das lässt ihm die Herzen zufliegen, aber es macht auch angreifbar und allzu schnell wird eine Kampagne daraus, die nicht nur den Hl. Vater selbst, sondern auch die Kirche (und nicht auszuschließen, auch den Glauben des Einzelnen) beschädigt. Aber die Schuld an solchen Phänomenen ist nicht allein dem Hl. Vater zuzuschreiben, sondern auch allen, die die Gelegenheit nutzen, solche Äußerungen „misszuverstehen“ und aus einigen pastoralen Erklärungen sogleich abzuleiten, dass eine Revolution im Gebetsleben der Gläubigen ins Haus stünde.

Diese Revolution hat es ja vor nunmehr 50 Jahren schon gegeben, als das „Pater noster“ nach tiefgehenden Diskussionen, meist in ökumenischer Gemeinsamkeit in eine gemeinsame deutsche, französische, englische (u.s.f.) „offizielle“ Version übertragen wurde. In gewisser Weise ist der heutige „Sturm“ dann doch nur ein „Sturm im Wasserglas“ und eine Folge der liturgischen Reformen des 2. Vatikanums. (Wer das Buch von Annibale Bugnini über die Liturgiereform liest, der ahnt, zu welchem „Gemetzeln“ Katholiken in liturgischen Fragen in der Lage sind.)

So ist dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer unbedingt recht zu geben, wenn er (mit vielen anderen Theologen) vor einer „Verfälschung der Worte Jesu“ warnt. Es wird ja auch vom Papst nicht in Frage gestellt, dass die Vaterunser-Bitte „führe uns nicht in Versuchung" in dieser Formulierung bei den Evangelisten Matthäus und Lukas überliefert ist. Er sagt aber auch deutlich, dass diese Bitte des Vater unser so erklärt werden müsse, „dass das Gottesbild nicht verdunkelt wird“. Und ich möchte ergänzen, auch so, „dass das Gottesbild nicht weichgespült wird.“

Ich bin ziemlich sicher, dass es in diesem Anliegen in der Tiefe keine unterschiedlichen Auffassungen zwischen Papst, Kardinälen, Bischöfen, Theologen und Seelsorgern gibt. Es käme darauf an, von diesem festen Grund aus die Diskussion um die beste Übersetzung und Formulierung der Worte Jesu besonnen und zurückhaltend zu führen. Und nicht das Thema zu mißbrauchen, um kirchenpolitisch Kapital aufzuhäufeln. Oder Stimmungen gegen oder für irgendjemanden in der Kirche zu schüren.

Besser wäre, dass wir gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsre Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
und natürlich gemeinsam zu bekennen:
Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.
Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Amen!

Samstag, 4. November 2017

Alle Jahre wieder, kommt der Zipfelmann...

Er ist wieder da! Alle Jahre wieder tobt sie wieder, die virtuelle Debatte über den Untergang des Abendlandes anhand der Diskussion um Martinszüge, Lichtermärkte, den Beginn des Weihnachtsverkaufs ab Ende August und - die „Zipfelmänner“. Im sechsten Jahr in Folge präsentiert der Discounter PENNY seinen „Zipfelmann“ und entfacht damit die alljährliche Debatte. In diesem Jahr mit einem bemerkenswerten neuen Detail, denn nach sechs Jahren reichte offenbar das Erregungspotential der „Zipfelmänner“ nicht mehr, die es bislang in drei Varianten gab (meine Lieblingsvariation war die mit Smarties). Daher hat man die Figur in diesem Jahr ironischerweise just mit der Zutat aufgeladen, die zuverlässigerweise für die notwendige Resonanz sorgt: den Regenbogen. Unter dem Stichwort „Regenbogenliebe“ kommt der Zipfelmann diesmal ultimativ bunt daher. Dennoch: „Alpenvollmichschokolade“ musste es schon sein. Schließlich kommen auch normale Regenbogenpaare in Liebesdingen eher traditionell um die Ecke. 

Über 2.000 mal wurde der Penny – Beitrag inzwischen schon geteilt, über 7.000 „likes“ gibt es, wobei auch der „Wütend“-Smiley entsprechend häufig vergeben wurde.
Wer die Kommentare liest, sollte sich Popkorn oder Chips bereit legen. Es ist alles dabei! Aus dem ganzen breiten gesellschaftlichen Lager fühlt man sich bemüßigt, den Marketingag der Firma zu kommentieren. Vieles davon ist unterhaltsam. Erschütternd ist für mich aber, wie die Figur des „Weihnachtsmannes“ zum abendländischen Kulturgut stilisiert wird. 

Die durchaus humorvollen und treffsicheren Reaktionen des Penny – Social-Media-Teams sind zwar schlagfertig und lustig, offenbaren aber ein weiteres Mal, dass diese Leute sicher viel Ahnung von Marketing und Product – Placement haben, aber keine Ahnung vom Hl. Nikolaus. Den stets wird behauptet, dass Penny ja neben den „Zipfelmännern“ auch „Nikoläuse“ und „Weihnachtsmänner“ im Angebot habe. Und die würden sich im Marktregal bestens verstehen. Das glaube ich gerne, sind sie doch vermutlich in derselben Schokofabrik vom Band gelaufen, aus echter „Alpenmilch“ und zuverlässig in Kinderarbeit geernteter Schokolade aus Zentralafrika (oder so). (Ach nein, die Kinder laufen auf der Plantage nur so mit den Müttern mit, weil sie ja sonst unbetreut im Dorf bleiben müßten...). Hups, jetzt verliere ich mich schon wieder im Thema der Welthandelsstrukturen. Oder in Diskussionen über die Macht der Discounter und den fatalen Folgen für die Nahrungsmittelproduktion in Europa. Das wollte ich gar nicht. Also zurück zum Thema... 

Ich bin seit vielen Jahren PENNY-Kunde. Ja, und auch die „Zipfelmänner“ konnten mich bisher nicht davon abhalten. Ich bin da ziemlich „konservativ“ und diesem Markt seit langer Zeit treu. Und daher kann ich sicher sagen, in hiesigen Penny-Märkten gibt es und gab es in 20 Jahren keinen einzigen Nikolaus. Allenfalls einigermaßen häßliche Weihnachtsmänner und die sind ja keineswegs Ausweis weihnachtlicher Traditionen, sondern eine Art „Neophyt“, der sich im Gefolge des Booms amerikanischer Warenlieferungen seit der Zeit der „Care-Pakete“ in Deutschland verbreitet hat. Wobei diese sympathische Brauchtumsfigur ja durchaus jahrhundertealte europäische Wurzeln hat, die dann aber in Amerika geschickt zur Marktreife gebracht wurden. Karriere hat Santa Claus vom Anfang des 20. Jahrhunderts an in Good Old Amerika gemacht. 

Durch irgendeinen Umstand hat die deutsche Schokoindustrie das Potential entdeckt, das in dieser Figur steckte. So entstand der Schokoladenhohlkörperboom, was ja vermutlich besser als jeder scharfzüngige Kommentar ausdrückt, was der innere Gehalt dieser re-immigrierten Märchenfigur im europäischen Kontext sein dürfte, nämlich – mehr oder minder lauwarme Luft. Bei seiner Verbreitung dürfte in Deutschland der Umstand geholfen haben, dass der Weihnachtsmann ja so etwas wie „konfessions- und religionsneutral“ sein dürfte. Zwar etwas weniger als der „Zipfelmann“, aber der Begriff Weihnachten allein ist ja inzwischen des religiösen Gehaltes weitgehend entleert worden. Was man skurilerweise ja auch an den Kommentaren der Qualität „Abendlandsverteidiger“ unschwer erkennen kann. Wenn am Ende der Weihnachtsmann für den religiösen Gehalt der Weihnachtsfeiern Pate stehen muss … dann gute Nacht, Christentum.

Ich habe persönlich überhaupt nichts gegen all die Weihnachtsbegleitfiguren und Jahresendfiguren mit Flügeln. Mögen sie doch die Regale und Wohnstuben in großer Pracht bevölkern (und vollkitschen), von mir aus auch in Gestalt von Regenbogenzipfelfrauen und auf Regenbogen tanzenden Einhörnern. Solange man mir das nicht als christliche Tradition verkaufen will ist mir das ziemlich egal. Alles Andere sind Geschmacksfragen und da bin ich – was Weihnachten angeht – eher traditionell. 

Ein Engagement GEGEN all diesen modischen Kram kann ich mir nicht vorstellen. Da würden wir uns entweder in die verkehrte Gesellschaft begeben, unter all jene einreihen, die nur Protest brüllend und keifend durch die Straßen und virtuellen Foren ziehen oder die, die aus einer weit verbreiteten Kombination von Langeweile, Perspektivlosigkeit und Frustration geschickt politisches Kapital schlagen. Um dann am Ende eine ganz eigene Agenda zu verfolgen. 

Als Christ engagiere ich mir FÜR etwas und in diesem konkreten Fall für den Hl. Nikolaus. Der hat es gar nicht nötig, mit Zipfelmännern und Weihnachtsmännern zu konkurrieren, ja nicht mal mit den sexistisch aufgeladenen Weihnachtsfrauen. Der Hl. Nikolaus wird von denjenigen gewählt, die mit seiner Figur, seiner Person und mit seinen Geschichten, Legenden und deren zutiefst wahren Kern etwas anfangen können. In seiner Schokogestalt ist er meist genauso „hohl“ wie jeder Zipfelmann, aber – unter uns Katholiken darf man das sicher sagen – in gewisser Weise steht der Schokoladen-Nikolaus sakramental für etwas, er ist ein Symbol für eine höhere Wirklichkeit, für eine tiefere Wahrheit. Er kündet davon, dass es Gott gibt, das es Nächstenliebe gibt, dass der Glaubende Dinge vollbringen und ertragen kann, die man sich gar nicht ausmalen kann. Wer glaubt, ist nie allein, für den der glaubt, ist nichts unmöglich!

Wenn der Hl. Nikolaus friedlich neben den anderen Schokofiguren im Regal steht, dann ist jeder Mensch frei zu wählen. Wem der Zipfelmann reicht, der auf eine sechsjährige Tradition zurückblickt, gut! Wem der Weihnachtsmann reicht, dessen frühe Vorfahren man vielleicht in den nach der Reformation wieder aufgewärmten Märchen und Mythen der nordischen Völker entdecken könnte, auch gut! 

Wer den echten Nikolaus wählt … der hat meine Sympathien. Das werden sicher die überzeugten Christen sein, neben Katholiken heute auch Lutheraner und andere Evangelische, Orthodoxe sowieso, auch wenn dort der Hl. Nikolaus eine andere Gestalt hat als die eines barocken bis heutigen Bischofs. Aber neben den sowieso schon Überzeugten, werden auch weitere Menschen zum Hl. Nikolaus greifen. Weil sie um die humanitäre Kraft dieser Gestalt wissen, oder ahnen, dass der Nikolaus einen Mehrwert hat und mehr ist als nur Luft und leckere Schokolade. Er braucht die Konkurrenz der Zipfel- und Weihnachtsmänner und Frauen dieser Welt nicht zu scheuen. 

Ja, es ist wahr. Der Hl. Nikolaus hat wirklich gelebt. Er ist real und keine Märchenfigur. Er war schon zu Lebzeiten ein Held und ist es für zahllose Menschen durch die Jahrhunderte geblieben. Er war ein Held ganz anderer Art, ein realer Held. Ein Held des Friedens, nicht des Krieges. Ein Held der Gerechtigkeit, nicht der Macht des Stärkeren. Ein Held des Mitgefühls und nicht der Stärke und Härte. Ein Held der Bescheidenheit und kein Anführer der Frustrierten. Ein Held nach menschlichem Maß, zu dem ich nicht aufschauen muss, sondern der meine Schritte lenkt auf den Weg der Nachfolge und letztlich in die Fußspuren Jesu Christi.

Samstag, 14. Oktober 2017

Ich bin stolz, stolz auf die Leistungen deutscher Heiliger in vielen Jahrhunderten... ...und Barbarossa ist nicht mein Messias!

Die Rede von Alexander Gauland beim „Kyffhäusertreffen“ Anfang September 2017 schaffte es in den letzten Tagen tatsächlich sogar noch einmal in die Lokalteile unserer Dinslakener Zeitungen. Der Grund dafür war eine offenbar anregende Unterrichtsreihe im Voerder Gymnasium. Am Ende dieser Unterrichtsstunden stand ein aus vier einzelnen Leserbriefen zusammengestellter „offener Brief“ an Alexander Gauland. 

Ich bin gespannt, ob Gauland darauf reagiert. Ich fürchte, beeindrucken wird ihn diese Wortmeldung aus der Feder junger Leute wohl nicht, denn schon in der aufgeheizten Vorwahlatmosphäre gab es viel Kritik. Damals schrumpfte diese (kurze) Rede auf einen noch kürzeren Satz zusammen: Wenn Franzosen und Briten stolz auf ihren Kaiser oder den Kriegspremier Winston Churchill seien, „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Und zuvor: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus. Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“

Aufschrei! Aufregung! Nazi-Rufe!

Komisch, dachte ich damals. Inzwischen wissen wir doch längst, wie AfD-Wahlkampf funktioniert. Und immer noch fallen alle darauf hinein und verbreiten diese Botschaften auch noch quer durch das Land. Die Debatte hat mich jedenfalls nicht motiviert, mir die gesamte Rede einmal anzuhören. 

Trotzdem machte mich neugierig, was Jugendliche aus meiner Stadt zu dieser Rede zu sagen hatten. Mein erster Eindruck: „Aha, sie gehen zunächst auf Gauland zu.“ Dann folgt aber im Grunde nur die schon anderswo oft geäußerte Kritik. Mein abschließender Eindruck: „Das wird unter Gaulands Getreuen niemanden beeindrucken!“ Doch einen engagierten AfD-Unterstützer aus meinem Umkreis schien es doch zu beeindrucken. Er verfasste eine scharfzüngige Replik, die er über Facebook veröffentlichte und auch als Leserbrief den Zeitungen zustellte. 

„Da setzt sich ein „mutiges“ Häuflein Oberstufenschüler - angestoßen und unterstützt von ihrem LK-Lehrer – bewaffnet mit dem unerschöpflichen archive.org- und erweiterten Wikipedia-Wissens eines Geschichts-Leistungskurslers gemütlich hin, den Big Mac in der linken, das Smartphone in der rechten Hand, vielleicht gar noch ein Che Guevara-Konterfei als Sticker an Shirt oder Schulbeutel und textet in sein sprachgesteuertes Endgerät einen „Offenen Brief“ an Alexander Gauland, in welchem es der interessierten Leser-Welt die seiner Auffassung nach einzig korrekte Sicht auf Millionen Deutsche in Uniform darlegt.“ Das alles sei "Mainstreamgefasel". 

Huch, dachte ich. Da ist aber einer sauer! Also schenkte ich gestern abend Herrn Gauland 17 Minuten meiner Zeit und hörte mir seine Rede an. Und das Filmchen würde ich auch empfehlen, denn der reine Text ist das Eine, die Art des Auftritts und die Rufe des Publikums ergänzen allerdings, was am nackten Text noch fehlt. 

Der Kyffhäuser, den ich vor einigen Jahren nach dem Mauerfall einmal besuchen konnte, ist ein mythologischer Ort, vielfach aufgeladen durch die Geschichte, Mythen und Sagen und deren Inszenierung in den vergangenen Jahrhunderten. Hier stimmt sicher der Vorwurf Voltaires „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ Kern der mythologischen Aufladung des Ortes ist die Sage, dass in einer Höhle des Kyffhäuserberges Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) schläft. Er schläft, um einst als Messias, als Erlöse mitsamt seinen Getreuen eines Tages zu erwachen, das Reich zu retten und es wieder zu neuer Herrlichkeit zu führen. Das sogenannte „Kyffhäusertreffen“ ist eine Aktion der von Björn Höcke angeführten „Bewegung“ „Der Flügel“ innerhalb der AfD. Offenbar möchte man sich am Mythos des Kyffhäuser bedienen und die dortigen Auftritte mit diesen historischen Mythen aufladen. 

Hier konnte Alexander Gauland eine Rede halten. Meine erste Erkenntnis: So langweilig ist der Mann gar nicht! Man merkt ihm an, dass er politisch mit allen Wassern gewaschen ist. Gauland hat ja in seiner Biografie eine intensive Geschichte als Spitzenpolitiker der CDU. Die Rede kreist um das Thema deutsche Kultur, sie reißt viele Themen an – aber im Grunde geht es doch nur ein Eines, eine umfassende Replik auf einen Satz der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung und einen Angriff auf Aydan Özoguz, in der Gauland offenbar einen zentralen politischen Gegner erblickt hat. Sicher nicht zufällig, verkörpert sie doch in Person einen Gegenentwurf zu einem zentralen Themenfeld der AfD-Politik.  

Im Grunde dreht sich die ganze Rede Gaulands um eine unkluge Wortmeldung der SPD-Politikerin, die in einem Tagesspiegel – Text behauptet hatte: „Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.“ Sie antwortete damit auf die wieder aufgeflammte Diskussion um das Stichwort einer „deutschen Leitkultur“. Politisch klug war diese Formulierung sicher nicht und in dieser Formulierung ist das ja auch schlicht falsch. Eine Steilvorlage für jemanden wie Alexander Gauland.

Ihr hält Gauland nun entgegen, was er als deutsche Kultur erkannt hat. Er erinnert an bedeutsame Gestalten der deutschen Geschichte und Kultur und stellt die Frage, ob Özoguz dies alles nicht kenne und ob eine solche Frau überhaupt geeignet sei, die Integration von Ausländern, für die sie ja verantwortlich sei, in irgendeiner Weise voranzubringen. Gauland ruft aus, er würde nicht zulassen, dass diese reiche Geschichte von einer türkischstämmigen Deutschen entsorgt würde.

Als Gauland erstmals auf Özoguz zu sprechen kam, kommt Leben in die Versammlung auf dem mythischen Hügel, erklangen aus dem Publikum die Rufe „Abschieben“ und „Entsorgen!“
Gauland rechnet vor, dass in den Parteiprogrammen der „Altparteien“ nur fünf mal von Deutschen die Rede sei und 400 mal nur von Menschen gesprochen würden. („Pfui! Pfui“ - Rufe aus dem Publikum.) Nur im AfD-Parteiprogramm sei immerhin 15 mal vom deutschen Volk die Rede, denn „Wir sind die Partei der Deutschen!“. Man ehre und achte die Farben und historischen Traditionen Deutschlands.

In Anspielung an abgehängte Bilder des Soldaten Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform vereinnahmt er den Sozialdemokraten als „patriotischen Deutschen“. Zur deutschen Geschichte gehörten „Staufenberg und Rommel“ und die Schlachtfelder von 1870 – 1918, deren Namen er, abschließend mit Verdun, aufzählt.

Das Ganze gipfelt dann in den schon oben zitierten Sprüchen über die deutsche „falsche Vergangenheit“, die aber die Identität der heutigen Deutschen nicht mehr betreffe, da man damit ja schon gründlich aufgeräumt und aufgearbeitet habe, was vom Publikum mit begeisterten „Gauland, Gauland!“ - Rufen quittiert wird. 

Mit Verweis auf Bismack bekennt der Redner sich zu Bismarck und zur Zusammenarbeit mit anderen Ländern, ein starkes Deutschland im Verbund mit Russland – England – Frankreich und beendet seine Rede mit einem historischen Zitat aus der von Schiller gestalteten Sage von Wilhelm Tell: 
„Seid einig, einig, einig.
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Lieber den Tod, als in der Knechtschaft leben.“

Da sitze ich nun vor dem Computer, während der Applaus nach der Rede gerade verklungen ist. Und schüttele mich! Ich bin in der Tat etwas erschüttert. Aber nicht so sehr über die Inhalte der Rede, sondern über die Atmosphäre und den Applaus, immer an den falschen Stellen, sowie die Zwischenrufe, die mir genauso verkehrt vorkommen. 

Denn Jubel und Applaus gab es nur, wenn spitze Bemerkungen fielen, gegen politische Gegner oder das, was man in der AfD als Mainstream der Geschichtsbetrachtung und „Schuldkult“ interpretiert. 

Man ist ja durchaus geneigt, Gauland zuzugestehen, dass hier und da mit unserer Geschichte „gerechter“ und weniger einseitig umzugehen wäre. Mir fallen durchaus Lücken im Geschichtsbewußtsein meiner Mitmenschen und im Geschichtsunterricht meiner Kinder auf. Vielleicht macht es ab und an Sinn, die Lehrpläne einmal zu überarbeiten. Vermutlich verdiente dieses Fach auch mehr Gewicht gegenüber den anderen Kernfächern. 

Kann man stolz sein auf die Leistungen von Soldaten in zwei Weltkriegen? Mir geht dieses Gefühl völlig ab, selbst wenn ich an meinen eigenen Urgroßvater denke, der im 1. WK Soldat war und meinen Großvater, der im 2. WK einer Granate zum Opfer fiel und dessen Wehrmachtsbriefe ich einmal lesen konnte. Stolz auf deren „Leistungen“? Ich weiß das gar nicht, was sie konkret geleistet hatten. Stolz bin ich auf ihre Sorge um die ihnen anvertrauten Menschen, seien es Kameraden, sei es die Familie, die Kinder. Stolz wäre ich, wenn ich sicher sagen könnte, sie haben sich nicht an Kriegsverbrechen beteiligt. Aber wenn doch? Ich weiß nichts darüber, und alles, was ich über Krieg weiß, sagt mir, dass die „Leistungen“ der Soldaten auf der einen oder anderen Seite der Front für sich genommen und auf den Einzelnen geschaut vielleicht achtens- und bewundernswert waren, aber in der Folge doch Zerstörung gebracht haben, Leid, Vernichtung, Verheerung. Was für ein kranker Stolz sollte das sein? Stolz auf Kriegsleistungen an sich? Stolz auf die grandiose naturwissenschaftliche Leistung eine Atombombe gebaut zu haben? Ich kann das nicht! Und, lieber Herr Gauland, mir fehlt auch nichts ohne diesen Stolz. Was fehlt eigentlich denen, die gern "stolz" darauf wären? 

Trotzdem gehe ich immer wieder zum Kriegerehrenmal in Vreden und stelle am Namen meines Großvaters eine Kerze ab. Während heutzutage die Gräber unserer Lieben nach 25 bzw. 35 Jahren dem Erdboden gleichgemacht werden, gehen wir doch noch immer Jahr zu Jahr zu den Orten, wo der Soldaten gedacht wird, die in den Kriegen starben. Weil sie zumindest in dem Willen losgezogen sind, ihre Heimat und ihre Lieben zu verteidigen. In der Kirche von Götterswickerhamm sind sogar noch die Soldaten verzeichnet die im „Heiligen Krieg“ gegen Frankreich 1870/1871 ihr Leben lassen mussten. Besonders stolz bin ich auf meine Oma, die ihre beiden Jungs trotz des Kriegstodes ihres Mannes gut aufzog, mit Hilfe ihrer Familie. Stolz bin ich auf sie, die ihrem Mann zeitlebens treu blieb, bis der Tod sie beide dann wieder neu verband – in Gottes Reich!

Und an dieser Stelle läßt Gauland bei mir die größte Befremdung und Unsicherheit zurück. Nämlich dort, wo er das Zitat der die Schiller – Formulierung des Rütli – Schwurs abbricht. So erscheinen mir viel aufschlußreicher als die Rede selbst, die Leerstellen, die der Redner läßt. Denn der Schwur geht ja weiter: 
„Wir wollen trauen auf den höchsten Gott 
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“ 
Warum fehlt dieser Satz? Er ist doch ausreichend pathetisch auch (und gerade) für den Kyffhäuser!

Vielleicht, weil zu den Worten „trauen auf den höchsten Gott“ das Schweigen (und der Begeisterungsmangel) der Zuhörer genauso groß gewesen wäre wie bei der Nennung der Namen Heine, Lessing oder Goethe?

Und dann wird mir klar, was bei der ganzen Rede fehlte. Es kam keine einzige Person darin vor, die für die reiche religiöse Geschichte unseres Landes steht, keine Person, die für den gläubigen Aspekt des Redens vom christlichen Abendland stehen könnte. Kein Wort von Bonifatius, Karl dem Großen, Thomas von Aquin, von Albertus Magnus, von Bruno von Köln, von Petrus Canisius, Gertrud und Mechtild von Hackeborn, Elisabeth von Thüringen, Adolph Kolping und Alfred Delp. Nur Martin Luther (und sein Deutsch) muss herhalten für die beschworene „Dominanz (einer vergangenen Epoche) deutscher Kultur und Sprache in Europa“. 

Und diese gewaltige Leerstelle macht mir viel mehr Sorge als die Provokationen um den Stellenwert „dieser zwölf Jahre“ im Bewußtsein der Deutschen oder die Diskussion, ob man stolz auf die deutsche Wehrmacht sein kann. Und hier würde ich von Herrn Gauland auch gern mal etwas hören. Vielleicht beim nächsten Treffen auf dem Kyffhäuser? Und dann würde ich auch versprechen nicht sechs Wochen zu warten, bis ich mir das anhöre.