Sonntag, 3. November 2019

Rom ganz unten - auf den Spuren des Petrus und Paulus

Dienstag

Als ich vor einigen Tagen den ersten Teil des Rom-Berichts geschrieben habe, konnte ich noch nicht ahnen, dass die überflüssige Diskussion um die „Pachamama“ - Figürchen noch in dieser Weise weiter getrieben werden würde. Offenbar halten es weite Kreise der katholisch-konservativen Schwestern und Brüder für denkbar, dass Bischöfe (sic!) aus der Region und sogar der Hl. Vater höchstselbst vom dreifaltigen Gott abfallen und fürderhin pan- und polytheistischen Irrlehren folgen. Armin Schwibach twitterte – nun mit Bezug auf die Ergebnisse der Synode: man wisse „gar nicht, wo der Pantheismus aufhört und der Polytheismus anfängt. Heidnisch ist, wie dem auch sei, alles...“ und die Piusbruderschaft ließ wissen, die Synode sei ein „Schauplatz abscheulicher Veranstaltungen“ gewesen. 

Man fragt sich: drehen jetzt alle durch? Kann man das nicht mit weniger „Schaum vor dem Mund“ betrachten? Es geht um ein schlichtes Holzfigürchen... Das viel kritisierte „Ritual“ in den vatikanischen Gärten war ein Liedchen, bei dem 20 Personen aus der Amazonas-Delegation sich um das bunt bemalte runde Stoff-Bild des Amazonas versammelte und dem Papst einige Gegenstände (u.a. eines der kritisierten Bilder überreichte), dann einmal die Hände zum Gebet zum Himmel erhob und sich im Gebet auf die Knie begab, ohne jegliche Hinwendung zu irgendeinem Gegenstand. Das Bild der schwangeren Frau stand dort gleichwertig neben dem eines Krokodils und einer Papageiendarstellung. Ich warte noch auf den Tag, wo irgendwer im Krokodil plötzlich ein Sinnbild des Satan zu erkennen glaubt... Oder im Papagei den Hl. Geist in amazonischer Gestalt. Wirklich ärgerlich war an dieser Stelle für mich nur die Kommentatorin von VaticanNews, die im kreisrunden Bild ein „Mandala“ erkennen wollte und irgendwas über Mandalas im Hinduismus und Buddhismus schwadronierte. Was mit der Amazonas-Kultur nun wahrlich keine Verbindung hat. Es war schlicht ein kreisrundes Bild. Punkt!

Die Tagespost hat den emeritierten Bischof von Xingu hierzu befragt: „Auf Nachfragen sagte Bischof Kräutler, die Leute, die die Pachamama nach Rom gebracht haben, seien „katholische Christen, die weit davon entfernt sind, sie als Gottheit zu verehren“. Es handle sich um ein Symbol der Fruchtbarkeit. Kräutler wörtlich: „Und wenn es für viele eine Gottheit ist, dann ist es ein Angriff auf die Seele eines Volkes, sie in den Tiber zu schmeißen.“

Warum glaubt man den betreffenden Personen nicht, dass sie „Mutter Erde“ so verehren wie es der hl. Franz in seinem Sonnengesang tat? Niemand bestreitet, dass es am Amazonas und vermutlich auch in esoterischen Kreisen hierzulande eine götzenhafte Verehrung einer Pachamama-Kraft/Göttin geben wird. Aber warum sollte jemand, der Gott als Vater und Schöpfer des Himmels und der Erde verehrt, die Dreifaltigkeit ernsthaft um eine vierte Person erweitern wollen? Das ist doch theologisch geradezu absurd.

Zuletzt stelle sogar Bischof Voderholzer (wenn auch in sachlichem Ton) in Regensburg Ferndiagnosen über römische Pachamama – Kulte. Und kam dann irgendwie auch noch auf Bonifatius zu sprechen, der aus der Eiche wenigstens Kapelle und Kreuz zimmern ließ. Ob er damit Kritik an der stumpfen Entsorgung der Holzfigürchen im Tiber andeuten wollte? Recycling ist das Gebot der Stunde, oder? Gerade in Zeiten von Laudato si! 
Papsttreue und Papstbashing liegen anscheinend manchmal nur einen Halbsatz nebeneinander in der Kirche von Heute. Und natürlich bekam auch ein namhafter Mitbruder sein Fett weg, ohne das es für Bischof Voderholzer notwendig war, dessen Namen auch nur zu erwähnen. Manchmal bleibt einem auch als mit viel Humor ausgestatteten katholischen Fußvolk in dieser Kirche das Lachen im Halse stecken. 

Wem nützt denn diese ganze Diskussion? Geht es nicht letztendlich darum, die Ergebnisse der Amazonas-Synode zu skandalisieren und mit Verweis auf angeblichen Pan- und Polytheismus für irrelevant zu erklären? Ist diesen Leuten eigentlich jedes Mittel recht, ihre kirchenpolitischen Gegner zu diskreditieren? Wo bleibt bei diesem zunehmend populistischeren Geballer eine inhaltlich fundierte Widerrede, die die Argumente und Herzensanliegen der theologischen Gegner angemessen würdigt?

Die Mission der Kirche war über Jahrhunderte nur möglich, indem sich die Missionare mit dem Denken und Glauben der Völker vertraut machten. Nur so fanden sie Ansatzpunkte für eine Verkündigung der frohen Botschaft. Davon gibt es aus vielen Ländern und zu allen Zeiten berührende Beispiele. Und in einer zunehmend globalisierten Kirche braucht es diesen katholischen Freiraum. Natürlich ist es Unsinn und völlig unnötig, ein Gebet an „Pachamama“ zu adressieren. Aber für unser Überleben auf dieser Erde können wir vom engen Bezug der indigenen Völker (übrigens auch der nordamerikanischen Indianer) zur Mutter Erde einiges lernen. Wenn wir diese schätzen und schützen, wie unsere eigene Mutter, Vater, Sohn, Tochter, Schwester und Bruder, dann haben wir gut verstanden, was der Schöpfungsauftrag Gottes ist. Wenn wir dann auch mit unseren Mitmenschen so umgehen würden, wie mit Mutter … Bruder, Tochter..., wenn sie uns Nächste sind, auch in der Ferne... Wenn wir schließlich auch den lebendigen Gott als unseren Herrn anerkennen, der uns liebt, mit dem wir im Gebet sprechen, dem wir Anbetung schuldig sind und vor dem wir verantwortlich handeln, dann hat die Menschheit auf dieser Erde Zukunft. Wenn das „Ich“ und das „Geld“ unsere Götzen werden bzw. bleiben, dann sind wir weit eher in Gefahr zum Götzendiener zu werden (und alles zu verspielen) als ein Franziskanerpriester, der sich mit einigen Indigenen vor der symbolischen Mutter Erde in den Staub wirft. 

Aber, schwenken wir zurück zu unseren römischen Erlebnissen. Einige aus unserer Gruppe hatten sich einer Frühführung durch die vatikanischen Museen angeschlossen. Sie wollten einmal in Ruhe die sixtinische Kapelle erleben. Wie schwer das ansonsten ist, musste dann die zweite Hälfte der Gruppe später erleben, als sie Michelangelos Fresken mit Tausenden von Menschen „teilen“ mussten. Es ging zu wie im Kölner Hauptbahnhof zur Hauptverkehrszeit. Von geistlicher Atmosphäre war kaum etwas zu spüren. Dagegen kam auch die geistliche Kraft der Malerei (im Übrigen auch die der eher unbeachteten seitlichen Wandgemälde) kaum an. Dabei waren die Schlangen vor dem Museum noch vergleichsweise kurz gewesen. Dennoch schoben sich Menschenmassen durch die Räume dieses unglaublichen Hauses der Kunst. Man kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Wobei ich ehrlich gestehe, dass mich Michelangelos Kunst auch jetzt, nachdem ich das Original gesehen habe, nicht innerlich berührt. Das ist nicht meins! Da bin ich offenbar Kunstbanause und stehe andächtig vor Otto Dix Christopherus.

Die antiken Büsten in einem Saal faszinierten uns zuerst. Die Gesichter! Wie mitten aus dem Leben, mit lebendigster Mimik und in vollendeter Ausführung standen sie zu Hunderten auf Borden an den Wänden. Dann ein weiterer Höhepunkt, zwei Säle voller steinerner Tiere, die wirkten, als würden sie gleich durch den Raum springen. So folgte ein Highlight dem Nächsten. Die kostbare Ausgestaltung der Räume und deren Ausmalung liefen dabei manchmal sogar den Exponaten den Rang ab. Jeder neue Saal bot wieder neue Überraschungen. 

Da war ganz schnell die etwas schwierige Diskussion vergessen, ob wir als Pilgergruppe auch ohne einen mitreisenden Priester das Museum besuchen könnten. Hier half uns die Empfehlung und Beauftragung durch Bischof Genn weiter, das priesterliche Freiticket wollte man einem Katechisten und religious Teacher, der noch dazu kein Ordensmann war, aber nicht gewähren. Und führen durfte ich meine Gruppe auch nicht, was eine zweite Diskussionsrunde dieser Art notwendig machte. „Pastoralreferent“, mit dem Begriff und Beruf konnte niemand dort etwas anfangen, auch wenn sicherlich nicht wenige Kollegen die Museen schon mal besucht hatten. 

Auf dem Weg zur den von Raffael ausgemalten Räumen und zur sixtinischen Kapelle ging es durch einige Ausstellungsräume mit Bildern berühmter moderner Künstler, Chagall, Gauguin, van Gogh, Dix, Schmitt-Rottluff, Müller, Matisse – sogar bis hin zu Francis Bacon. Es fehlte im Grunde kein berühmter Künstler der Neuzeit. Ein van Gogh – Bild (der barmherzige Samariter) hing in einem wenig beachteten Nebenraum und man hatte den Eindruck, man könne es problemlos im Rucksack verschwinden lassen... 
Insgesamt, tolle Werke, von denen ich meist gar nicht wusste, dass sie im Vatikan hängen. Besonders zwei Bilder von Otto Dix, die mich schon länger faszinierten und die ich nun einmal als Original zu sehen bekam. 

Dann standen wir in den weltberühmten Stanzen des Raffael. Naja, standen wäre zu viel gesagt. Wir wurden durch diese ehemaligen päpstlichen Gemächer hindurchgeschoben. Aber das war noch immer weit erträglicher als der Troubel in der Sixtina. Und, ich wurde in meiner schon etwas vorgeprägten Meinung bestätigt, dass mich dieser Raum religiös kaum berührt. 

Dafür kam ich an anderer Stelle auf meine Kosten, z.B. im Saal, wo Kirchenkunst und liturgische Geräte und Gewänder ausgestellt wurden, Reliquiare, Monstranzen und manches mehr. Wunderbar!

Aber irgendwann war der Bild- und Informationsspeicher des Gedächtnisses übergelaufen und man hatte schon viel zu viel gesehen. Das Museum verdient einen Aufenthalt von mindestens einer Woche, um seine Sammlungen angemessen würdigen zu wollen. Leider war die große Amazonas-Ausstellung im völkerkundlichen Bereich noch nicht eröffnet. Aber man konnte hineinsehen. Das wird sicher großartig. Vielleicht wird das sogenannte „Pachamama“-Bild ja auch dort ausgestellt?

Über den Abend in Trastevere habe ich ja schon berichtet, mit einem kurzen Besuch auf dem Petersplatz und einigen besinnlichen Gedanken dort ging dann der Tag zu Ende.

Mittwoch

Am Mittwoch morgen hieß es dann wieder: Frühauf! Leider hatte sich die Hoffnung, in den Bereich der Generalaudienz zu kommen, wo ein direkter Kontakt zum Hl. Vater möglich wäre, nicht erfüllt. Zu viele Gruppen hatten hierfür offenbar angefragt, Bischöfe in Begleitung von Bildungseinrichtungen aus Amerika, manche Brautpaare, interreligiöse Delegationen, viele Ordensschwestern und manche andere Bischöfe. Um sieben gab es Frühstück und mit Öffnung des Petersplatzes reihten wir uns auch in die Schlangen ein. 

Am Vortag hatten wir im deutschen Pilgerbüro an der Engelsbrücke unsere Zugangskarten für die Audienz abgeholt, so dass wir diesmal ohne Sorge auf die Sicherheitskontrollen zugingen. Und so fanden wir im vorderen Bereich und recht nah an den Fahrwegen an denen der Papst über den Platz fahren sollten ein Plätzchen.

Bevor der Hl. Vater auf den Platz kam, wurden dann in unterschiedlichen Sprachen die Pilger begrüßt, auch wir aus St. Peter und Paul in Voerde. Schön! Dann dauerte es aber auch nicht mehr lange und man konnte links neben dem Petersdom das Papamobil sehen und schon war er da. Die Aufregung der Leute war groß. Er hielt es fast niemanden mehr auf seinem Platz und dann standen fast alle auf den Stühlen, um besser sehen zu können. Hier und da hielt der Hl. Vater an, um ein Kind zu segnen oder jemanden zu begrüßen. Leider konnten wir ihn mit der süßen Pauline nicht anlocken ;-). Das wäre noch mal ein Highlight gewesen. Mit großer Geduld fuhr der Papst den ganzen großen Petersplatz ab, während ringsum alle die Hälse reckten, um ihn gut zu sehen. Zum Schluss kam er noch ein weiteres Mal direkt bei uns vorbei, bevor die Katechese begann. Dazu nahm er auf einem großen Stuhl unter einem Dach vor dem Petersdom Platz, flankiert von Erzbischof Gänswein. 

In der Katechese ging es um einen Abschnitt der Apostelgeschichte. Der Papst beschäftigt sich jeweils fortlaufend mit einem weiteren Abschnitt dieses biblischen Buches. Diesmal ging es um die tiefgreifende Auseinandersetzung um die Heidenmission und die Beschneidung von Christen aus dem Heidentum beim sogenannten Apostelkonzil. Also auch eine Frage der Inkulturation. 

Ein sehr heißes Eisen! Und es ging gleichzeitig um geistliche Entscheidungsfindung und das nicht weniger heiße Stichwort der „Synodaliät“. Hier war ein Wort des Papstes an die ukrainischen Bischöfe viel zitiert worden, dass man in dem Sinne: „Die Kirche ist kein Parlament, es gibt keine Mehrheitsentscheidungen bei uns“ interpretieren könnte. Diesen Gedanken hat der Papst in der Audienz dann weiter ausgeführt: „Die Versammlung von Jerusalem gibt uns wichtige Aufschlüsse über die Art und Weise, wie wir Divergenzen angehen und die Wahrheit in der Liebe (vgl. Epheser 4,15) suchen sollten. Sie erinnert uns daran, dass die kirchliche Methode für die Lösung von Konflikten auf  dem Dialog basiert – einem Dialog aus aufmerksamem Hinhören und auf geistlicher Unterscheidung im Licht des Heiligen Geistes. Das hilft uns, die Synodalität zu verstehen.“

„Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“: So beginnt der Text der Einigung, auf die sich die Streithähne von Jerusalem damals verständigt haben. „Das ist Synodalität: die Anwesenheit des Heiligen Geistes. Andernfalls ist das nicht Synodalität, sondern ein Parlament oder etwas Derartiges…“

Aus diesen Gedanken kann man keinesfalls ablesen, dass Franziskus demokratische Entscheidungsfindung ablehnt. Im Gegenteil, es geht ihm darum, dass nicht einfach Minderheitenstimmen abgebügelt und überstimmt werden und auch, dass man in kirchlichen Diskussionen nicht an den eigenen, brettharten Überzeugungen festhält, sondern sich auf die Argumente Anderer einläßt, alles wirklich intensiv durchdenkt und dem Geist Gottes die Möglichkeit gibt, im Dialog wirksam zu werden. Wer würde sich dies nicht auch bei Entscheidungsfindungen in einer Demokratie viel stärker wünschen. Daher ist für Franziskus die Alternative zur Demokratie nicht die Diktatur oder Monarchie oder gar eine klerikale Theokratie sondern er möchte, dass man den oft mühsamen Weg der Synodalität geht. 

Wie der zu verstehen sein könnte ergibt sich vielleicht auch aus einem anderen Gedanken, der bei der Audienz Thema war: „Die Kirche ist eine Kirche im Aufbruch, oder sie ist nicht Kirche. Sie ist auf dem Weg und macht immer mehr Platz, damit alle hineinkönnen, oder sie ist nicht Kirche. Eine Kirche mit offenen Türen – immer mit offenen Türen! Wenn ich hier in Rom oder anderswo Kirchen mit verschlossenen Türen sehe, dann ist das ein übles Zeichen. Kirchen müssen immer offene Türen haben, denn das zeigt, was eine Kirche überhaupt ausmacht: Sie ist immer offen!“

Insofern sei die Kirche „keine Festung, sondern ein Zelt“: Das Schöne an einem Zelt sei, dass es sich beliebig erweitern lasse, damit „alle“ darin Platz finden, so der Papst.



Einige Grundgedanken aus dieser Katechese wurden auch auf dem Platz direkt in wichtige Sprachen übersetzt. Dann widmete sich der Papst zunächst den anwesenden Bischöfen und den unterschiedlichen Besuchergruppen, die das Glück einer direkten Begegnung mit dem Hl. Vater hatten, u.a. auch eine interreligöse Gruppe mit Vertretern des Islam und der Sikhs. 

 Insgesamt war die Audienz ein frommes und fröhliches Ereignis. Auf dem Platz herrschte eine kaum beschreibliche Stimmung über alle Sprach- und sonstigen Grenzen hinweg. Man empfand sich als große Gemeinschaft von Gläubigen. Mit besonderer Herzlichkeit, so war später zu hören, widmet sich Franziskus den anwesenden Brautpaaren. „Da ist er ganz Pastor!“. Diese posierten anschließend in ihren Festkleidern noch auf dem Petersplatz vor der Kulisse des Petersdomes. Weil sie allein und ohne Begleitung zur Audienz zugelassen werden, ergab sich man putziges Bild, wen die Paare sich per Selfistick ablichten oder einen Helfer auf den Platz finden mussten, der das Erinnerungsbild machte. 

Interessant ist das Bild von der Festung und dem Zelt auch noch vor einem anderen Horizont. In den Tagen in Rom nahm auch die Diskussion über den Benedikt-Film „Bewahrer des Glaubens“ an Fahrt auf. Immer mehr Stimmen erhoben sich zu seiner Verteidigung, zuletzt auch Kardinal Schönborn von Wien. Das ist sicher ehrenwert, und ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass Papst Benedikt in dem Film (der ansonsten ja eher gelobt wird, auch von nachdenklichen, kirchlich verbundenen Leuten) zu schlecht wegkommt. Aber es ist ja auch nicht zu leugnen, dass die Kirche vor allem aus einem Grund heute in der Öffentlichkeit derart ramponiert dasteht. Man hat allzu lange geglaubt: „Das darf alles nicht öffentlich werden, denn das würde der Glaubwürdigkeit der Kirche schaden.“ Aber wir merken jetzt, dass der Satz etwas anders formuliert gehört: „Das muss öffentlich werden, denn sonst würde es der Glaubwürdigkeit der Kirche schaden.“ Ohne Glaubwürdigkeit kann die Kirche keine moralische Vorbildrolle einnehmen. Und ohne moralische Vorbildrolle kann sie ihre Werte nicht glaubwürdig vertreten, geschweige denn verkünden. Und glaubwürdig können wir nur dann wieder werden, wenn wir uns bescheiden hinter die Opfer stellen und nicht alle Kraft für die Verteidigung der Kirche aufwenden. Das Lied vom leidenden Gottesknecht bei Jesaja ist einer der Kerntexte der kirchlichen Verkündigung. Warum sollte es nicht auch für die Kirche in der heutigen Situation gelten? „Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wange denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Und GOTT, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden.“

Am Nachmittag waren wir mit dem Kuraten der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell Anima verabredet. Wir waren neugierig, wie eine katholische Gemeinde in Rom „funktioniert“. Und wie halt das ganz normale kirchliche Leben vor Ort aussieht. Leider war Konrad Bestle am späteren Nachmittag doch verhindert, aber er sorgte dafür, dass der Zivi der Gemeinde Rolf Tunaj sich liebevoll um uns kümmerte. 

Kurat Bestle selbst ließ es sich nicht nehmen, unsere Gruppe zu begrüßen und einige Einblicke in das Leben der Gemeinde zu geben, bevor er zu einer Gedenkfeier für die von Rom aus nach Auschwitz deportierten jüdischen Bürger aufbrechen musste. Bei einer Razzia am 16.10.1943 waren zahlreiche Juden gefangen genommen worden. Am 18.10.1943 wurden sie nach Auschwitz deportiert. Dem Papst gelang es nicht, die Gefangenen frei zu bekommen. Einige werfen ihm nun vor, nicht energisch genug agiert zu haben. Andere verweisen auf die Tatsache, dass in Ordenshäusern und vatikanischen Gebäuden zahlreiche Juden versteckt wurden. So gibt es auch in der jüdischen Gemeinschaft viele Stimmen, die Pius XII. verteidigen, wie z.B. den jüdischen Oberrabbiner Roms Israel Zolli, der sich später taufen ließ und den Namen Eugenio annahm. „Im Schlafzimmer des Papstes in Castel Gandolfo sind in dieser Zeit einige jüdische Kinder im persönlichen Bett des Papstes geboren worden.“ wusste Konrad Bestle zu berichten. Interessant war auch der Aspekt, dass das Gemeindeleben schwerpunktmäßig am Sonntag stattfinde, weil die Gemeindemitglieder meist eine lange Anreise aus dem Umland haben. Also trifft man sich zur Messdienerstunde, zum Erstkommunionunterricht und zur Hl. Messe am Sonntag rund um die Kirche. 

Rolf Tunaj zeigte und erklärte uns dann die schöne und große Kirche, die von zahlreichen Persönlichkeiten, von Königen und Fürsten im Laufe der Jahrhunderte wunderbar ausgestattet wurde. Die Kirche sollte für die Pilger aus deutschen Landen heimatliche Gefühle wecken und in Deutschland bekannte Heilige zeigen. Aus unserer Perspektive, die wir die sehr schlichte Pauluskirche gewöhnt sind, unterschied sich diese römische Kirche im Stil der Hochrenaissance aber eher wenig von den anderen Kirchen in Rom und eher viel von den heimatlichen Kirchen. Rolf zeigte uns auch den Altar, an dem der damalige Kardinal Ratzinger ganz besonders gern zelebriert hatte. 

Hier in Santa Marie dell'Anima liegt übrigens auch ein Papst begraben, nämlich der während des Pontifikats Benedikt XVI. häufig erwähnte Papst Hadrian VII. Dessen Amtszeit war schwierig, fiel sie doch in die Zeit der Reformation. Hadrian war selbst ein Reformpapst, der auf die durchaus berechtigten Anfragen der Reformatoren Antworten geben wollte, er schränkte den Luxus der päpstlichen Hofhaltung ein und machte sich aber damit wenige Freunde. Er kam mit seinen Reformen leider zu spät, was sich auch in einem Spruch auf seinem Grab ausdrückt, der auf ihn selbst zurückgeht. „Proh dolor! Quantum refert in quae tempora vel optimi cujusque virtus incidat! – Ach, wieviel hängt doch davon ab, in welche Zeit auch des besten Mannes Wirken fällt!“

Hadrian war vor Johannes Paul II. der letzte nicht italienische Papst und der vor Benedikt letzte Papst mit deutschen Wurzeln, wenngleich sein Heimatort Utrecht heute ja in den Niederlanden liegt. Nicht umsonst fand er sein Grab am Ende nicht im Petersdom, sondern jenseits des Tibers in St. Maria dell'Anima. Und dies wohl auch, weil seine Reformideen den Vielen, die vom päpstlichen Hofstaat profitierten, deutlich zu weit gingen. Er soll ein tief frommer, persönlich bescheidener und integrer Mann gewesen sein. Wie schade, dass er nicht schon früher den Stuhl des Hl. Petrus bestiegen hatte. Wer weiß, was der Kirche dann erspart geblieben wäre. 

Die Stunde mit Rolf verging wie im Flug, aber wir hatten uns im Pfarrsaal zu einem Gespräch mit Monsignore Dr. Michael Kahle verabredet, der als Mitarbeiter der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung in Rom lebt. Wer bei Papstmessen sorgfältig hinschaut, der kann ihn immer wieder in einer Funktion dort entdecken, so auch am Sonntag. Bei der Kreation der neuen Kardinäle vor einigen Wochen war er es, der dem Hl. Vater die Ernennungsurkunden anreichte. Aber das gehöre eigentlich nicht zu seinen engeren beruflichen Aufgaben, erklärte er uns später. 

Rolf Tunaj hatte uns mit erfrischenden Getränken versorgt und dann war Msgr. Kahle auch schon da. In lockerer Weise brachte er uns die Aufgaben der Kongregation näher. So geht es unter anderem um die Übersetzung liturgischer Texte und Bücher in Sprache und Mentalität der Länder. Das sei nicht immer einfach, wie er an zwei Beispielen erklärte. So kennt man z.B. im Koreanischen die persönliche Anrede „Du“ nicht. Das bringt z.B. bei der Beichte das Problem mit sich, dass man nicht sagen kann: „Ich spreche Dich los...“. Der koreanische Vorschlag, dann den Namen des Betreffenden zu nennen ist ja auch nicht umsetzbar, weil es sich ja häufig um eine anonyme Ohrenbeichte handelt. Daher musste man eine Formel finden, die persönliche Zuwendung Gottes mit der Botschaft der persönlichen Lossprechung verbindet. Oder ein weiteres Beispiel aus Japan. In dieser Kultur ist ein Kuss in der Öffentlichkeit obszön. Wie kann man dann den Kuss des Altars oder des Evangelienbuches ausführen? Das würde nicht richtig verstanden. Daher mussten hier andere Gesten der Verehrung gefunden werden. 

Ein weiterer Aufgabenbereich seien Beschwerden von Gläubigen, die das Recht hätten, sich an den Hl. Stuhl zu wenden. Diese würden, wenn sie Substanz hätten, an den zuständigen Bischof weiter geleitet, um mit ihm zu Lösungen zu kommen. Häufig zeige sich aber, dass hinter solchen Beschwerden auch persönliche Geschichten stecken, Animositäten oder dass jemand nur seine Vorstellungen im Sinn habe und nicht die Weite der katholischen Liturgie. Aber, es habe auch jeder Katholik das Recht, eine gut gefeierte Liturgie in jeder Gemeinde, die er auf der Welt besuche, vorzufinden, eine Liturgie, in der er sich – auch als Fremdsprachler – orientieren könne. 

Ein anderer Bereich sei die Verleihung des Titels „päpstliche Basilika Minor“ für besondere und pastoral herausragende Kirchen. Und auch die Aufnahme von Seligen und Heiligen in die Kalender der Diözesen und Ordensgemeinschaften gehört zu den Aufgaben der Kongregation. So erklärte er uns am Beispiel Kardinal von Galens, warum sein Gedenktag nur in den Bistümern Münster und Berlin gefeiert werde, weil es für diesen – als Seligen – hier einen Bezug zu den Orten seines Lebens und Wirkens gäbe.

Im Gespräch schilderte Kahle kurz seinen Lebenslauf, studiert habe er in Köln, Münster und in Rom. An seine Münsteraner Zeiten habe er gute Erinnerungen, auch weil sein Heimatpfarrer Kardinal von Galen sehr verehrte. Nach einer Zeit als Kaplan u.a. in Nippes kam er 2006 als Domvikar und Domzeremoniar an den Kölner Dom. Hier war er u.a. auch für die Papstliturgien beim Weltjugendtag zuständig. Eigentlich habe er vorgehabt, Kardinal Meisner in dieser Funktion bis zum Ende seiner Zeit als Erzbischof von Köln zu begleiten, aber es kam anders. 2011 wurde er zum Dr. theol. promoviert. Meisner habe ihm dann die Leitung des Bonner Theologenkonvikts Collegium Albertinum übertragen, was einige schwierige Jahre für ihn gewesen seien. Und offenbar habe man ihn in Rom nicht vergessen, denn als sein Vorgänger in Rom plötzlich und unerwartet verstarb, habe man ihn angefragt, ob er dessen Aufgabe übernehmen wolle. Und so sei er 2015 nach Rom gekommen. Zur Kongregation gehörten auch mehr als 30 Kardinäle und Bischöfe aus aller Welt, die sich regelmäßig in Rom treffen. Aus Deutschland sei auch sein eigener Bischof, Kardinal Woelki dabei. Zwischen 8 und 12 Personen arbeiten heute in der Kongregation, die auch schon einmal 42 Mitarbeiter gehabt hätte. 

Das Gebäude der Kongregation liegt im Übrigen unmittelbar gegenüber unserer Unterkunft zwischen Borgo Santo Spirito und der Via della Conciliazione.

Wir kamen auch noch kurz über die prekäre Finanzlage des Vatikan ins Gespräch. Monsignore Kahle erzählte, dass er als Kaplan in Nippes genau zwei Mal im Jahr beim Kirchenvorstand war. Einmal, um vier Leute für die Fronleichnamsprozession zu gewinnen und einmal, um ihnen für diesen Dienst zu danken. Ansonsten, seien dort Banker, Steuerberater und oft Wirtschaftsfachleute. Als Priester habe er Theologie und Philosophie studiert und Kunstgeschichte. Von Finanzfragen wisse er viel zu wenig und ganz ähnlich sei es doch auch mit Kurienbischöfen und Kardinälen, die sich auf externen Sachverstand verlassen müßten. Und da könne man auch schon mal Fehler machen und sich auf die falschen Leute verlassen (da treten dann Leute auf, gut angezogen, professionell, die als gute Katholiken bekannt sind und die man aus anderne Zusammenhängen schon kennt. Und manchmal vertraut man diesen Leuten einfach zu naiv). Dazu käme der „römische Klüngel“. Insgesamt bemühe man sich im Vatikan die Kosten zu senken und er hoffe, dass die Krise überwunden werden könne. 

Die Aufgaben der Priester seien doch Andere, Verkündigung, Sakramentenspendung. „Wir müssen den Leuten das Schwarzbrot des Glaubens anreichen.“ Und einfach bei diesem Kern bleiben, den Menschen diesen Glauben anzubieten, damit diese zugreifen können. Auch diese Bewegung ist wichtig, dass die Menschen frei bleiben selbst und bewußt dieses „Glaubensbrot“ anzunehmen. 

Als Papst Franziskus seinen ersten Weihbischof in Rom geweiht habe, habe er diesem mitgegeben: „Predige kurz!“ Wichtig sei doch, dass das Evangelium durchscheine und das ginge oft auch in wenigen Worten. Es komme doch nicht darauf an die eigenen Ideen in der Predigt auszuschmücken. (Ich hoffe, ich habe die Positionen von Dr. Kahle hiermit sinngemäß richtig wiedergegeben, da ich das aus dem Gedächtnis tun muss).

Nach einer munteren und sehr spannenden Fragerunde machten wir uns wieder auf den Weg in die Straßen der Stadt oder zurück zu unserer Unterkunft. Die deutsche Nationalkirche liegt ganz in der Nähe der Piazza Navona. Gegenüber befindet sich die französische Nationalkirche, St. Nikolaus von Lothringen. Nikolaus ist ja der Patron dieser französischen Region. Hier findet sich als Altarbild eine Darstellung, die Nikolaus als Teilnehmer des Konzils von Nicäa zeigt. Es wird berichtet, dass er mit dem Bischof Arius über die christologische Frage der Göttlichkeit Jesu Christi handgreiflich aneinander geriet. Auf dieses Bild hatte mich Gerhard Ludwig Kardinal Müller vor einigen Jahren einmal aufmerksam gemacht, als er ein geistliches Wort zu unserer Nikolausaktion beitrug. Leider war die Kirche entweder geschlossen oder man konnte sie nur durch ein Gitter ansehen und nicht näher herantreten. Einige Fotos gelangen mir aber dennoch. 

Einige unserer Mitpilger kehrten später zum Konzert des Paderborner Domchors in die gastfreundliche „deutsch-italienische“ Gemeinde zurück. Für andere klang der Tag in einem gastlichen Restaurant im Licht der Peterskuppel aus. 

Donnerstag

Am Donnerstag morgen hieß es (mal wieder) früh raus. Wir hatten uns mit 15 Pilgern zur Frühmesse in der Kirche am deutschen Friedhof im Vatikan angemeldet. Die Schweizer Garde leitete uns freundlich durch die Sicherheitskontrollen und so durften wir das Tor durchschreiten, das üblicherweise dem normalen Rompilger verschlossen bleibt, wenn er sich nicht als deutschsprachiger Besucher des kleinen Friedhofs, der zum deutsch-ungarischen Priesterkolleg gehört, ausweisen kann. Diese Besonderheit weist zurück in Zeiten, als das riesige Reich der Habsburger u.a. noch Österreich und Ungarn umfasste. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges zerfiel dieser Vielvölkerstaat. Im Vatikan hat sich jedoch ein Priesterkolleg erhalten, in dem deutsche und ungarische Studenten gemeinsam leben und studieren. Dazu gehört auch eine schöne Kirche und der Friedhof, auf dem ein in Rom verstorbener Deutscher (Pilger) ein Anrecht auf Beisetzung haben soll. Wir wollten diesen Ernstfall jedoch nicht erproben ;-). 

Es war Joseph Kardinal Ratzinger, der die Tradition begründete, dass eine der Hl. Messen, die in S. Maria della Pietà, der Kirche des Campo Santo Teutonico in der Wochen gefeiert werden, durch einen der deutschen Kardinäle im Vatikan gefeiert werden. Es war also spannend, wer von Ihnen den Gottesdienst zelebrieren würde, zu dem wir uns dort um sieben Uhr versammelt hatten. Feierlich zogen zahlreiche Priester mit Kardinal Kurt Koch in die eher schlichte 1501 geweihte Kirche ein. Kardinal Koch ist im Vatikan für die Ökumene zuständig. Der ehemalige Oberhirte des Bistums Basel steht als Präsident dem Päpstlichen Rate zur Förderung der Einheit der Christen vor und ist Mitglied zahlreicher anderer Kongregationen der päpstlichen Kurie. In der Kirche kamen diesmal durchaus „heimatliche“ Gefühle auf, u.a. durch das vertraute Gotteslob und die auch recht vertraute Architektur. 

Der Kardinal sprach mit leiser Stimme und leichtem schweizer Akzent. Weil er etwas gebeugt geht, wirkt er älter, obwohl er nocht nicht 70 Jahre alt ist. Die Evangelienperikope aus dem Lukasevangelium war nicht leicht: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern Spaltung.“
In seiner kurzen Homilie versuchte er nicht, das Evangelium zu verharmlosen, sondern legte dar, dass Christus von uns eine Entscheidung fordert und eine klare Haltung. Man ahnte, warum dieser Kardinal offenbar von vielen seiner Gesprächspartner sehr geschätzt wird und nie durch polarisierende Wortmeldungen in der katholischen Öffentlichkeit auffällt. 

Im Anschluss an die Hl. Messe verbrachten wir noch einige Zeit auf dem deutschen Friedhof, im Grunde ein wunderschöner Ort und Garten, der dem Besucher in jeder Hinsicht mit Fragen von Tod und Leben konfrontiert. So liegt hier auch Schwester Pascalina begraben, die aus Deutschland stammende Schwester, die Euginio Pacelli, den späteren Papst Piux XII. über 40 Jahre begleitete. Oder Alexis Windisch-Graetz, junger Spross eines alten Adelshauses, der offenbar mit dem Motorrad verunglückte und vor wenigen Jahren hier beigesetzt wurde. 

Vorn in der Kirche hängen zwei große Epitaphien, die ein Skelett darstellen. Eines trägt eine Sanduhr in der Hand und das goldene Portrait eines Kardinals. „Bedenke Mensch, dass Du Staub bist und wieder zum Staub zurück kehrst!“

Das Grab des österreichischen Kurienbischof Alois Hudal auf dem Friedhof, der einst auch Rektor des Priesterkollegs war, erinnerte an einen dunklen Aspekt der Kirchengeschichte in der frühen Nachkriegszeit. Hudal gehört mit zu den Klerikern, die namhaften Nationalsozialisten die Flucht aus dem besiegten Deutschland möglich machten (über die sog. Rattenlinie). Gleichzeitig hatte Hudal möglicherweise auch einen gewissen Anteil daran, dass bei der schon erwähnten Razzia gegen die römischen Juden statt der von Hitler geforderten 8.000 Juden „nur“ 1.000 Menschen verhaftet und deportiert wurden, weil er einen Brief an den deutschen Stadtkommandanten Roms geschickt und darin mit dem öffentlichen Protest des Papstes gedroht hatte. 

Den Morgen nutzte ich zum Shoppen in den hübschen Nebenstraßen rund um den Vatikan, wo zahlreiche Fachgeschäfte für Kirchenbedarf und fromme Andenken auf Kundschaft warteten. Besonders der Borgo Pio gegenüber dem St. Andreas – Tor lohnt einen Besuch. Wo kann es einem sonst passieren, dass man vier Eis schleckenden (Amazonas-)Bischöfen begegnet, die einfach so über die Straße schlendern, ohne von irgendwem besonders beachtet zu werden. Und hier gibt es auch manche Dinge, mit denen man preisgünstig seine Nikolausbestände aufstocken kann, preiswerte Mitren, Messgewänder, Pektoralschnüre und manches mehr. Ein weißer Pileolus für den Papst kostet ab 49,50 Euro aufwärts, Priester (schwarz) und Bischöfe (lila) kommen etwas günstiger davon. Auch Priesterhüte (Saturno), Soutanen und Birette mit Troddeln in allen Farben der Kirche sind im alltäglichen Bestand und sogar Bischofsstäbe „von der Stange“ für den Bedarf von Bischöfen in aller Welt, die es sich nicht leisten können, einen Kirchenkünstler mit einem individuellen Stück zu beauftragen. (Wer mich etwas kennt, der ahnt, dass ich dieser Versuchung nicht widerstehen konnte.) Jedenfalls gab es in diesen Geschäften alles zwischen Kitsch und Kunst zu kaufen, was das klerikale Herz begehrt und alles zu durchaus gemäßigten Preisen. 
Noch schöner übrigens war das Schaufenster des berühmten Kirchenschneiders Gammarelli, dessen kleines Ladengeschäft unweit des Pantheon etwas versteckt gegenüber der Kirche Santa Maria sopra Minerva liegt. Hier gab es sogar Pontifikalpantoffeln und Pontifikalhandschuhe zu kaufen und natürlich ebenfalls einen fein gearbeiteten seidenen Pileolus für den Hl. Vater. Hier bietet Rom wahrlich viele spannende Geschäfte, in denen alte Handwerkstechniken gepflegt werden und echte Künstler ihres Fachs – aller Automatisierung zum Trotz – noch immer tätig sind. Man könnte stundenlang gucken (und kaufen), wenn Zeit und Geld reichlich vorhanden wären. 

Um 14 Uhr trudelten alle Pilger unserer Gruppe nach und nach am Fuße der gewaltigen „Schreibmaschine“ ein, wie die Römer scherzhaft den „patriotischen Altar“ des ersten italienischen Königs Victor Emmanuel II. nennen, das in Erinnerung an diesen nach seinem Tod bis 1925 in die Ruinen des antiken römischen Forum hingeklotzt wurde. Als König von Sardinien und Piermont errang Vittorio Emanuele II. die Einheit Italiens. Im Verlauf der Einigungsbewegung (Risorgimento) kam es auch zum Untergang des italienischen Kirchenstaats. So wurde er (der zweite) der erste König von ganz Italien und regierte es bis zu seine Tode 1878. Hier befindet sich auch das Denkmal des unbekannten Soldaten. 

Hinter dem Denkmal und dem benachbarten Kapitolshügel beginnt die Ausgrabung des Forum Romanum und man hat einen schönen Blick über das Gelände auf das Kolosseum. Erst zu Mussolinis Zeiten wurde die mittelalterliche Überbauung des Geländes wieder beseitig und die bedeutsamen Orte der Antike frei gelegt. So auch der „Nabel der Welt“, der Punkt von dem aus die römischen Straßen in die ganze bekannte Welt ausgingen und deren Entfernungen bemessen wurden. Nur wenige Schritte hinter dem Denkmal des ersten italienischen Königs findet man noch einige Kirchengebäude, mit denen besondere Orte überbaut wurden, u.a. das erhalten gebliebene römische Staatsgefängnis. 

Hier schmachtete u.a. Paulus, im sogenannten Mamertinischen Kerker oder Carzer Tullianus. Wer sich nun einen gewaltigen Gefängnisbau vorstellte, wurde enttäuscht. Die Römer kannten keine Gefängnisstrafe im heutigen Sinne. Für normale Delikte wurde in der Regel zu Körperstrafen, Zwangsarbeit oder Sklaverei (beispielsweise auf Galeeren) verurteilt. Wer jedoch hier einsaß, der mußte mit dem Schlimmsten rechnen. Neben Paulus war der Tradition nach auch Petrus hier, aber auch viele römische Staatsgefangene hier, z.B. Vercingetorix - wenn auch einige Jahrzehnte vorher. Auch saßen die jeweiligen Feinde des amtierenden Kaisers hier ein, bevor sie – öffentlichkeitswirksam erdrosselt oder anders hingerichtet (teilweise direkt im Kerker) auf der genomischen Treppe der Öffentlichkeit zum Begaffen dargeboten wurden. 

Im Boden der heutigen Krypta aus dem Mittelalter befindet sich noch heute das kreisrunde Loch, durch das die Gefangenen in den etwa 6 x 5 m großen, runden Karzer geworfen wurden. Für uns heute ist es kaum vorstellbar, unter welchen Umständen, ohne Toiletten und ohne Versorgung die Menschen dort vegitieren mussten. 

Paulus wurde eines Tages aus dem Kerker hervorgeholt (nachdem er zuvor einige Zeit in relativer Freiheit in einer Art Hausarrest in Rom leben konnte) und zur Hinrichtung geführt. In dieser Zeit entstanden einige seiner bedeutsamen Briefe. Weit vor den Toren der Stadt an einem Ort, wo drei Quellen entsprangen, hat man ihn hingerichtet. Die Legende weiß, dass der Kopf des Paulus dreimal zu Boden fiel, worauf hier die Quellen entsprangen. Heute befindet sich an dem Ort Tre Fontane ein altes Kloster der Zisterzienser, das später unter dem Mariawalder Mönch Franz Pfanner durch die Trappisten wieder besiedelt wurde. 

Paulus wurde auf einem Friedhof (einer römische Nekropole vor den Toren der Stadt beigesetzt, über der dann unter Konstantin die Basilika St. Paul vor den Mauern entstand. Diese frühe Basilika wurde im Jahre 324 errichtet und bis 386 erheblich erweitert. Sie bestand bis zum 15. Juli 1823 und fiel in der darauffolgenden Nacht einem verheerenden Brand zum Opfer, der selbst die antiken Marmorsäulen zerspringen ließ. Bis zum Jahr 1854 wurde die Basilika auf der Grundlage der alten Pläne und Formen wieder aufgebaut und vermittelt daher das authentische Bild einer frühchristlichen Basilika. Das Mosaik am Triumphbogen aus dem 5. Jahrhundert konnte restauriert werden, ebenso wie der Baldachin über dem Papstaltar und das Apsismosaik aus dem 13. Jahrhundert. Bei der Restaurierung geriet allerdings das Bildnis Christi etwas brummiger als zuvor.  Im Jahre 2006 wurde der Sarkophag mit den Gebeinen des Apostels untersucht, mit dem Ergebnis, dass die Knochen darin tatsächlich von einem Menschen aus dem 1. Jahrhundert stammen und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich die Gebeine des Paulus sind. Die originale Grabplatte mit seinem Namen und dem Schriftzug Apostolomart(yrer) ist in einem kleinen Museum am Kreuzgang zu sehen. Sehr beeindruckend. Hier befindet sich auch der Reliquienschatz.

Überhaupt ist der Eindruck beim Betreten der Basilika mehr als überwältigend. Man wird von einem Wald von Säulen begrüßt und betritt einen gewaltigen, sehr einheitlichen unbestuhlten Kirchenraum. Unter dem Papstaltar kann man zum Grab des Apostels hinabgehen und kniet auf urchristlichem Boden vor dem Sarkophag des Apostels. Hinter dem Papstaltar in der Apsis feiert die kleine Gemeinschaft von Benediktinermönchen der angeschlossenen Abtei ihre Gottesdienste. Beeindruckend auch die vielen Portraits aller Päpste seit Petrus bis hin zu Franziskus. 

Bevor man die Basilika betritt, ist man schon vom Atrium der Kirche angesprochen. Hier umgibt ein Umgang einen quadratischen Innenhof, der mit Palmen bewachsen ist. Eine große eindrucksvolle Paulus-Statue prägt den Hof, wie auch das Mosaik dahinter, wobei das alles eine Hinzufügung späterer Zeiten ist. Die aktuell auch noch gesichert werden muss, weil das Gelände zum nahen Tiber hin langsam absackt. 

Die Fenster der Basilika bestehen aus ägyptischen Alabaster mit wunderbaren natürlichen Mustern. Zar Nikolaus stiftete für das Querhaus zwei gewaltige Altäre aus Malachit und leuchtend blauem Lapislazuli. Auch hier gibt es mehr zu sehen, als das Auge bei einem Besuch erfassen kann.

Gemeinsam besuchten wir noch den schönen Kreuzgang mit filigranen, mit Mosaiksteinchen geschmückten Säulen in doppelten Reihen. Von innen war der Kreuzgang von den Benediktinermönchen mit lebendig grünen Kräutern, Thymian, Lavendel und Basilikum bepflanzt und es roch entsprechend angenehm. Die Wände waren mit den Resten antiker Grabplatten belegt, die in der alten Basilika vor dem Brand den Fußboden bildeten. Auch steht dort ein (heidnischer) antiker Sarkophag mit putzigen Putten im „Giebelfeld“, die aber sogenanne „Amorinis“ darstellen und mit den christlichen barocken Putten nur das Erscheinungsbild gemein hatten. Auf der Stirnseite war ein Götterwettstreit abgebildet, bei dem zwei römische Götter (ursprünglich Pan und Apollo, hier in einer Fassung des Ovid der Satyr Marsyas mit der Flöte und Apollo mit der Lyra/Laute) um die Gunst des Publikums buhlten, was dann mit der „Häutung“ des unterlegenen Kontrahenten endete. An diesem Beispiel konnte man schön die Vorbilder der späteren christlichen Kunst studieren. 

Im angeschlossenen Museum wurde u.a. an das 2. Vatikanische Konzil erinnert. Der damalige Territorialabt von St. Paul nahm als Konzilsvater daran teil. Hier verabschiedeten wir uns von Dr. Susanne Hohwieler, die uns kenntnisreich, humorvoll und mit viel Gefühl für die Gruppe auf den Spuren des Hl. Paulus geführt hatte und manches Detail erschloss, dass uns sonst nicht aufgegangen wäre. 

Nach dem Ende der Führung begann das erste und einzige Regenschauer unseres Aufenthaltes in Rom. Mit der Buslinie 23 kehrten wir aber einigermaßen trocken zum Petersdom zurück. Die Straßenhändler hatten inzwischen auf Regenponchos umgestellt.

Freitag

Auch am Freitag morgen hieß es früh raus! Wir hatten mit Monsignore Kahle vereinbart, dass wir um sieben Uhr durch die Sicherheitskontrollen am Petersdom gehen und uns dann an der Sakristei treffen. Gott sei Dank klappt das sehr gut. Am Ausgang der Sakristei erwarteten uns Monsignore Kahle zusammen mit dem Kölner Neupriester Henrik Land. Auch Rolf Tunaj, der Freiwilligendienstleistende der deutschen Gemeinde war mitgekommen. Wir gingen geradewegs in die Krypta unter dem Petersdom und konnten unmittelbar vor dem Petrusgrab die Messe zu Ehren des Apostels feiern. 

Monsignore Kahle wies uns in der Predigt auf eine Kerze vor dem Grab hin, die auf der rechten Seite des Altars leuchtete. Hinter dieser Kerze sei die Grabplatte des Petrus: „Hic est Petros...“, hier ist Petrus. Im Mittelpunkt des Altares steht aber ein Christus-Mosaik und Kahle machte deutlich, wie sehr hier das Messiasbekenntnis des Petrus umgesetzt ist. So komme es weniger auf den Zuspruch Christi an: „Du bist Petrus, der Fels“ sondern auf dessen klares Bekenntnis: „Du bis Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Dass wir diesen festen Glauben an Christus und den Mut zum Bekenntnis als Gnadengeschenk in unser alltägliches Leben aus Rom mitnehmen könnten, das wünschte uns der Prediger von Herzen.

Es war eine wunderbare, geistliche Erfahrung hier an den Quellen des Evangeliums Gottesdienst feiern zu dürfen. Rings um uns feierten zahlreiche andere Pilgergruppen Gottesdienst, aber die Geräuschkulisse lenkte nicht ab vom Zentrum der Feier. 

Zum Abschluss des Gottesdienstes segnete Michael Kahle für jeden Pilger ein kleines Tau-Kreuz aus Olivenholz zur Erinnerung an diesen Moment der Pilgerfahrt und die Plakette der Hl. Petrus und Paulus, die uns auch gestern schon auf den Lebens-Spuren des Paulus und an sein Grab begleitet hatte und die in Zukunft ihren Platz in unserer mobilen „Bauwagen-“Kirche erhalten soll.

Dankbar und bewegt verabschiedeten wir uns von den drei Römern, die uns so manche (Herzens-)Tür geöffnet hatten in den letzten Tagen und die Rom und dem Vatikan lebendige Gesichter gegeben haben. 

Am Freitag wollten wir eigentlich die Katakomben an der Via Appia besuchen, aber ein großer Streik im öffentlichen Nahverkehr machte uns einen Strich durch die Planung. Bis zur Piazza Venezia haben wir es noch geschafft, von dort ging es leider nicht weiter. Wir besuchten dann dort die schöne, aber eher unbeachtete Markuskirche und schlenderten noch ein wenig durch die Stadt. Auf dem Rückweg besuchte ich noch kurz St. Eustache, wo es eine Art „Gedeckten Tisch“ für Bedürftige gab, in einer Seitenkapelle wurden Lebensmittel ausgegeben, im Atrium vor der Kirche konnte gegessen werden. Auch sehr eindrucksvoll.

Überall brummte das Leben, im ruhigen Park neben der Engelsburg hatten sich zahlreiche afrikanische Migranten niedergelassen, die Touristen strömten auf den Petersdom zu, vor dessen Kulisse gab Austen Ivereigh dem Fernsehen ein Interview zu seinem neu erscheinenden Buch „Wounded Shepherd: Pope Francis and His Struggle to Convert the Catholic Church“ über Papst Franziskus. In der Kirche St. Lorenzo (Stützpunkt der Weltjugendtage in unmittelbarer Nähe zum Petersdom) fand gerade Anbetung statt mit zwei jungen Leuten, die dabei zu Gast waren. Hier gab es auch eine interessante Ausstellung zur Amazonas-Synode. Vor einigen Tagen ging vor mir durch die Gassen ein Mönch im Habit der Kartäuser. Wenn der „echt“ war, muss es sich um den Generalprokurator des Ordens gehandelt haben, denn die anderen Ordensmitglieder verlassen die Kartausen nie. Im Zweifel kommt eher der Papst in eine Kartause, als das ein Kartäuserkloster eine Wallfahrt nach Rom macht. 
Den Abend verbrachten wir gemütlich mit unserer Gruppe (wie schon 2005) im römischen Restaurant „La Vittoria“, das für uns einen eigenen Raum reserviert hatten.

Samstag

Und dann brach auch schon unser letzter Rom-Tag an. Auf dem Rückweg von einem letzten Spaziergang über den Petersplatz sahen wir, dass die Tür (das Tor) zur niederländischen Nationalkirche (St. Michele in Sassia), der sogenannten Friezenkerk, offen stand. Als große Freunde des Nachbarlandes kletterten wir die Treppe zu der etwas verborgen hinter unserer Unterkunft gelegenen Kirche hinauf. Drinnen stand auch ein Bischof im Messgewand, der sich mit einer Gruppe Niederländer unterhielt. Wir schauten uns etwas um und am Ende blieb ich allein noch einige Minuten in der Kirche zurück. Der Bischof sprach mich an und fragte, ob ich Niederländer sei. So kamen wir ins Gespräch über meine Heimatstadt und das benachbarte Winterswijk, meine Großtante Gertrud, die als Sr. Maria Irmundis in einem niederländischen Kloster lebte, über Ameland und den Neubeginn der Trappisten auf Schiermonnikoog.

Dann sagte der emeritierte Bischof von s'Hertogenbosch, Msgr. Antonius Hurkmans, dass er jetzt die Hl. Messe feiern wolle. Ich antwortete, dass ich gern dabei geblieben wäre, aber in Kürze mit meiner Gruppe eine Abschlussandacht hätte. Als ich mich jedoch umwandte sah ich eine leere Kirche und mochte doch nicht hinausgehen. 

So schrieb ich in unsere Rom-Gruppe bei Whatsapp, dass ich sehr knapp zum Gebet käme und noch mit dem Bischof die Messe feiern wollte. Das war auch ein ganz eigenes Erlebnis, eine Messe mit Bischof und mir als einzigem Gottesdienstbesucher. Doch nach und nach kamen noch einige aus unserer Gruppe dazu. Die Messe dauerte auch nur 27 Minuten, so dass wir pünktlich um Gottes Segen für die Heimreise beten konnten. Und diese gelang dann auch ohne jede Komplikation, so dass wir erschöpft, aber voller schöner und guter Eindrücke nach einer Woche Rom an der Voerder Pauluskirche voneinander Abschied nahmen. Hoffentlich gibt es ein Wiedersehen mit der Hl. Stadt, auch wenn wir in den von Touristen völlig überlaufenen Trevibrunnen keine Münzen eingeworfen haben.

Nach der Heimkehr schaltete ich "natürlich" Radio Vatikan an. Hier wurde am Sonntag die Abschlussmesse der Amazonassynode übertragen. Natürlich klugerweise auch ganz ohne "Pachamama" - Figürchen. Aber nicht ohne klare Worte des Hl. Vaters. Er betrachtete den Pharisäer und den Zöllner des Evangeliums und predigte gegen eine Religion des ICH. Wirklich eine lesenswerte Predigt: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-10/papst-franziskus-wortlaut-predigt-synode-amazonas-bischoefe-mess.html 

Sonntag, 27. Oktober 2019

Papa Francesco und Mama Pacha – Sieben Tage in Rom

Samstag

Heute startete unsere fast zwei Jahre lang vorbereitete Wallfahrt nach Rom. Mit dem Bus, dem Flugzeug und der italienischen Eisenbahn legten 34 Gemeindemitglieder den Weg nach Rom zurück und überschritten dann am frühen Abend die Grenze zwischen Italien und dem Vatikan, denn wir wohnten auf „exterritorialem“ Gebiet im Gästehaus der Schwestern der Schmerzhaften Mutter, einer Gründung von Schwester Franziska Streitel. Es liegt unmittelbar gegenüber den Kollonaden des Petersplatzes mit einem sehr schönen Ausblick auf den apostolischen Palast. 

Die jüngste Pilgerin war ein Jahr alt, die älteste 79. Eine schöne, bunt gemischte Gruppe mit Kindern, Jugendlichen, Familien, Einzelpilgern – so wie wir es auch geplant hatten. Am Abend ließen viele von uns die ganz besondere Atmosphäre des abendlichen Petersplatzes auf sich wirken. Ich kenne keinen derart schönen Platz in der ganzen Welt. Man kann dort stundenlang verweilen und immer ist er anders. Er berührt auch zu jeder Stunde wieder neu, ob frühmorgens, wenn die ersten Pilger zur Frühmesse eilen; proppenvoll bei der Audienz am Mittwoch; am Abend, wenn Wolken von Staren über ihm am Himmel tanzen; bei Regen oder bei Nacht; gefüllt mit eilenden, schlendernden oder posierenden Touristen oder voller betender Gläubiger (wie beim Angelus am Sonntag). Und niemals ist es dort langweilig. Es sind so viele interessante Leute dort, Priester und Ordensleute in unterschiedlichsten Amts- und Ordenstrachten, man sieht Mode und Typen aus aller Welt... Vor und nach den Treffen der aktuell tagenden Amazonas-Synode kann man Dutzenden von Bischöfen begegnen, die im schlichten Anzug über den Platz eilen oder schlendernd miteinander die Atmosphäre genießen. Wunderbar!

Abends trafen sich unsere Pilger in unterschiedlichen Grüppchen in den Restaurants auf der preiswerteren Seite des Vatikans im Licht der Peterskuppel und ließen den Tag ausklingen. 

Sonntag

Der Abend begann mit einer „aufregenden“ Nachricht. Unser Kurier war erkrankt und konnte die Einlasskarten für die Papstmesse nicht bringen. Aber er hatte eine Erklärung aufs Handy geschrieben, die uns hoffentlich dennoch durch die Kontrollen bringen würde. Was dann auch dank Freundlichkeit der Sicherheitsleute und unseren lila Pilgerschals auch gelang. So reihten wir uns in die Ströme ein und gelangten in das linke Seitenschiff der Petersbasilika, wo wir sogar noch Sitzplätze mit einem guten Blick auf den Papstaltar vorfanden.

Die Zeit verging wie im Flug und als der Dom voll war, begann auch schon der Einzug der Priester und Bischöfe gemeinsam mit dem Papst. Rund um den Altarbereich kontrastierte der bunte Federschmuck der geladenen Amazonas – Indigenas mit den Mitren der Kardinäle und Bischöfe. Auch einige bekannte Gesichter waren zu entdecken, wie z.B. der Präfekt des päpstlichen Hauses, Erzbischof Gänswein und Monsignore Dr. Michael Kahle mit dem wir am Mittwoch verabredet waren. 

Alle Pilger waren tief berührt vom Gottesdienst, von der Feierlichkeit, den vielen Mitfeiernden und den wunderschönen vorgetragenen Gesängen der beteiligten Chöre. Dank eines kleinen Heftchens konnten wir der Liturgie, die vor allem auf italienisch und lateinisch gefeiert wurde, gut folgen. Im Mittelpunkt der Liturgie zum außerordentlichen Weltmissionssonntag stand das Evangelium mit dem Taufauftrag Christi. In seiner Predigt sagte der Hl. Vater u.a. „Welche Anweisungen gibt uns der Herr für dieses Zugehen auf alle? Eine einzige, sehr einfache: Macht sie zu Jüngern. Aber Vorsicht: zu seinen Jüngern, nicht zu unseren. Die Kirche verkündet nur dann in guter Weise das Evangelium, wenn sie als Jüngerin lebt. Und Jünger folgen dem Meister jeden Tag und teilen mit anderen die Freude der Jüngerschaft – nicht indem man erobert, Zwang ausübt...“ oder „Alle, denn jeder einzelne ist ein kostbarer Schatz, und der Sinn des Lebens besteht darin, diesen Schatz anderen weiterzugeben. Das also ist die Mission: den Berg hinaufsteigen, um für alle zu beten, und den Berg hinabsteigen, um sich allen zum Geschenk zu machen.“
Ein Satz aus der Predigt galt sicher auch wortwörtlich für unsere Pilgerreise: „Der Christ ist also immer in Bewegung, im Aufbruch. Geht: so lautet in der Tat der Imperativ Jesu im Evangelium. Jeden Tag treffen wir auf viele Menschen, aber – so können wir uns fragen – gehen wir auf die Menschen zu, die wir treffen?“

Die Predigt ist sicher wert, noch mal gelesen zu werden, zumal sie bei der Feier selbst ja auch nicht übersetzt wurde:

Das abschließende Angelusgebet im Freien begann ganz nach lateinamerikanischer Zeitrechnung. Der Angelus beginnt halt nicht um 12 Uhr sondern wenn der Angelus beginnt, dann ist es zwölf. Mit etwas Verspätung erschien der Hl. Vater am Fenster des apostolischen Palastes. Derweil hatte sich auf dem Platz eine besonders auffällige Gruppe aufgestellt. Sie trugen eine Art Lafette mit einem Bild der Kreuzigung auf der einen und einem der Gottesmutter auf der anderen Seite. Die Frauen trugen weiße Schleier im Haar und in der Hand eine Art Lampe (die möglicherweise an die wachsamen Jungfrauen im Evangelium erinnern sollte). Die Männer trugen um den Hals ein dickes Tau und lilare Umhänge (in der Farbe der Buße). Die Heiligenbilder waren auf einen schweren, gepolsterten Unterbau montiert und wurden immer wieder von rund 30 Männern angehoben und vorwärts bewegt, wobei man den Männern die Mühe schon anmerkte. Es handelte sich um die „Hermandad Del Señor De Los Milagros“, die Bruderschaft vom Herrn von den Wundern, offenbar eine Gruppe von Peruanern, die heute in Rom ihre heimischen Bräuche pflegen und an diesem Tag den Hl. Vater besuchten, der sie ermunterte, ihre Traditionen zu pflegen. Die Gruppe unternahm dann später noch eine festliche Prozession über die Via della Conciliatione. 

Franziskus sprach u.a. über Benedikt XV. und dessen Erbe für die Auffassung von Mission: „Sie hilft uns, der Versuchung jeder selbstreferenziellen Schließung und jeder Form von pastoralem Pessimismus zu widerstehen, macht uns aufgeschlossen für die freudige Neuheit des Evangeliums.“

„Pastoraler Pessimismus“, dieses Wort war mir schon im italienischen Original aufgefallen. Der ist wirklich eine Macht in der Kirche heute!


Den Nachmittag nutzen unsere Pilger, um in kleinen Grüppchen Rom zu erkunden. 

Am Abend bin ich allein zu der modernen Kirche spaziert, die unmittelbar hinter der Bahnlinie, die zum vatikanischen Bahnhof führt, im Schatten der Vatikanmauer liegt. Die von Franziskanern betreute Kirche, die 1961 dem Hl. Papst Gregor VII. geweiht wurde, zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Architektur aus. Ihr Dach wird von 10 eigenwillig geformten Pfeilern aus Beton getragen. Hier konnte ich nach der Papstmesse noch eine ganz normale Gemeindemesse (vermutlich mit P. Salvatore Cirami ofm) mitfeiern. Das war fast ein wenig wie „zu Hause“, natürlich auf italienisch und mit einer engagierten aber etwas langen Predigt. Währenddessen konnte ich die großen, frei im Altarraum stehenden Wandbilder betrachten, die im Stil an Ikonen erinnerten. Wie so viele römische Kirchen ist auch diese Titelkirche eines Kardinals, des Großerzbischofs von Trivandrum. Er ist Kardinal und das Oberhaupt der syro – malankarischen (mit Rom unierten) Kirche Indiens.

Montag

Heute hieß es: früh starten! Mit einem gemeinsamen Morgengebet in der Kapelle unseres Hauses begann unser Tag. Netterweise hatten die Schwestern so viel Geduld, obwohl um 7.30 Uhr dort die Hl. Messe gefeiert wurde. Aber wir hatten uns schon um acht Uhr mit Frau Dr. Susanne Hohwieler verabredet, die in Rom als Historikerin mit ihrer Familie lebt und arbeitet. Die heutige Führung richtete den Blick auf den Apostel Petrus und den Petersdom.

Zu dieser frühen Stunde konnten wir recht zügig die Einlasskontrollen überwinden und in den Petersdom kommen. Die Zeit verging wie im Fluge, weil sie kenntnisreich und durchaus unterhaltsam durch den Petersdom und die Grotten rund ums Petrusgrab führte und weil es ihr vor allem auch gelang, die religiöse Bedeutung der Kunstwerke zu erschließen. So wurde manches mal auch der historische Hintergrund der Zeit der Entstehung eines Kunstwerks lebendig. So schilderte sie uns u.a. die Entdeckung der Petrusreliquien und begründete ihre Überzeugung, dass es sich hierbei wirklich um die Gebeine des Apostels handele. Am Grab des „guten Papstes“ Johannes XXIII. berichtete sie von der Öffnung seines Sarges und dass man dabei seinen Leichnam beinahe unversehrt gefunden habe. Übereinstimmend hätten die ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten damals geschildert, es habe keinesfalls nach Moder und Muff gerochen, sondern eher nach Blütenduft wie von Lilien. Sie erschloss uns so die Baugeschichte des Petersdomes und etwas vom Leben seiner bedeutenden Künstler und vieler wichtiger Persönlichkeiten, Päpste, Kardinäle, Herrscher.... „Und der Rest ist Glaube!“ Mit diesem Wort verwies sie ab und an darauf, dass nicht alles erklärbar und verizifierbar ist. Am Ende der faszinierenden und lebendigen Führung verabredeten wir uns für ein Wiedersehen auf den Spuren des Paulus zwischen mamertinischen Kerker und Paulusbasilika. 

Mit Freude entdeckte ich im Petersdom das ausdrucksstarke Denkmal eines meiner Lieblingsheiligen, des aus Köln stammenden Begründers des Kartäuserordens, des Hl. Bruno. Sein Wahlspruch: „Stat crux dum volvitur orbis – Das Kreuz steht, auch wenn die Welt sich dreht“ – so steht es auch auf dem Kirchturm von St. Marien in Lohberg.

Ein guter Teil unserer Gruppe machte sich anschließend auf den Weg hinauf auf die Peterskuppel um den grandiosen Blick in die Kuppel selbst und schließlich von der Kuppel aus über den ganzen Vatikan und die Stadt Rom zu richten. Urbi et Orbi – beinahe – bei wunderbarer Fernsicht. Leider war es etwas übervoll dort oben. Aber die Aussicht entschädigte für das Gedrängel.  

Nach dem Abstieg haben wir noch eine Weile auf das an der Seite des Petersplatzes aufgestellte Denkmal geschaut, das an Flucht und Migration erinnern soll. Auf einem symbolischen Bootsrumpf stehen Flüchtlinge und Migranten unterschiedlichster Epochen, Schwarze, Juden, Kinder. Ein Kind trägt eine Tasche mit einem Maus – Symbol, das mich sehr an den bekannten künstlerischen Comic über den Holocaust erinnerte „Maus“. Inmitten der dargestellten Menschengruppe ragen zwei Engelsflügel in den Himmel. Sie symbolisieren offenbar den Schutzengel, der die Menschen auf allen Wegen begleitet. Das sockellose Bronzedenkmal nennt sich „Angels Unawares“, zu deutsch, „Unbewußte Engel“, und stammt vom kanadischen Künstler Timothy Schmalz. Inspiriert ist das Werk an einem Vers aus dem Hebräerbrief: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ 

Das Kunstwerk ist durchaus anrührend aber auch etwas verstörend wegen seiner Massigkeit. Interessant ist, dass sein Vorbild in etwas kleinerer Form schon länger neben der Basilika St. Paul vor den Mauern der Stadt steht. 

Von diesem Künstler gibt es übrigens noch weitere Werke in Rom. So entdeckten wir einen schlafenden „Penner“ auf einer Bank vor der Kirche Sant Egidio in Trastevere, der die Wundmale Christi trug und Pilger aus unserer Gruppe fanden ein Gefängnisfenster mit zwei Händen, die sich durch die Gitter hinausstreckten und ebenfalls die Wundmale trugen oder einen Kranken auf einer Liegestatt vor einem Krankenhaus mit dem Wort „Ich war krank und ihr habt mich besucht“ - hier also alles Werke mit Bezug zu Mt. 25. 

Den Nachmittag verbrachten wir mit der Familie auf dem Aventin, mit einem Besuch bei den Benediktinern und in Santa Sabina. Diese schlichte Kirche berührt mich sehr und gehört für mich zu den schönsten Kirchen Roms. Im ersten Drittel des fünften Jahrhunderts vollendet, ist sie auch die wohl älteste Kirche Roms. Wer sich nicht auskennt, übersieht dort beispielsweise die Türen des Hauptportals (das heute glücklicherweise nicht mehr offen steht). Man besucht die Kirche von der Seite her. Sie sind schon im Jahr 432 eingebaut worden und obwohl von ursprünglich 28 Holztafeln zehn im Laufe der Jahrhunderte verloren gingen, sind die meisten Bilder noch erhalten. Ganz oben links ist die dort dargestellte der Kreuzigung die älteste bekannte Kreuzigungsszene der Kunstgeschichte überhaupt. Die frühen Christen scheuten die Abbildung der Kreuzigung.

Auch wurden in dieser Kirche erstmals die tragenden Säulen (wohl aus dem 2. Jahrhundert) mit Bögen verbunden, eine architektonische Besonderheit. Der Chorraum zeigt bis zum heutigen Tag, wie die frühchristlichen Kirchen damals aussahen (wenngleich die aktuelle, restaurierte Ausstattung aus dem 9. Jahrhundert stammt). Die „Chorschranken“ teilen einen eigenen Raum für Liturgen und Chor ab. Rechts und links steht je ein Ambo für die Lesungen aus der Hl. Schrift, in der Apis der Bischofsstuhl und der Altar. 

Da kann man nur mit Ehrfurcht darin und vor all dem stehen. Ein Besuch dieser Kirche gehört im Grunde zum Pflichtprogramm aller Rom – Besucher. Und er ist auch lohnend wegen der beiden kleinen Parks links und rechts davon, wo Terrassen einen wunderbaren Blick über den Tiber und die Stadt Rom bieten. Berühmt ist der Blick durch das nahe gelegene Schlüsselloch der Malteser-Ritter, die hier ihren römischen Sitz haben. Man schaut nämlich über einen schönen Gartenweg unmittelbar auf die Peterskuppel. Die lange Schlange kann man sich allerdings durchaus ersparen durch den Kauf einer Postkarte im schönen Klosterladen der Benediktiner und den entspannten Ausblick von den frei zugänglichen Terrassen. Wenn man dort allerdings eine Trillerpfeife hört ist das das Signal dafür, dass die römischen Parkwächter diesen Park für die Nacht schließen möchten. 

Übrigens: auch dieser Rom – Tag wartete mit wunderbarem Wetter und sommerlichen Temperaturen bis 28 Grad auf. Vom Wetter her zeigte sich die Ewige Stadt für uns von ihrer allerschönsten Seite, beinahe war es schon zu warm. Nur am Donnerstag Abend wurden diejenigen unter uns, die sich nicht von der wunderbaren Paulusbasilika trennen konnten, durch ein längeres Regenschauer durchfeuchtet. Aber schon am Freitag morgen mochte man gar nicht glauben, dass sich der Petersdom am Abend zuvor in Pfützen und im nassen Pflaster gespiegelt hatte. Interessant war auch, wie schnell die örtlichen Straßenhändler ihr Verkaufsprogramm umstellen konnten. Während sie bei Sonne Selfisticks (Deppenzepter), afrikanische Armbänder und Powerbanks trickreich an den Mann oder die Frau brauchten, gab es nun allenthalben Regenponchos zu kaufen. 

Dienstag Morgen – kurze Begegnung mit Bischof Bahlmann von Obidos

Auf der breiten, von stattlichen Gebäuden gesäumten Prachtstraße, die auf den Petersdom zuläuft, liegt auch eine Kirche. Es ist die von Karmeliten betreute St. Maria in Traspontina. Hier war einer der Stützpunkte einer Reihe von Veranstaltungen, die von einem breiten Bündnis von Organisationen getragen wurde, die sich um die Zukunft des Amazonasgebietes sorgen, u.a. Adveniat und Missio und das südamerikanische kirchliche REPAM – Netzwerk. Daher war die Kirche immer gut besucht und als ich dort war, traf ich viele Priester, Ordensleute und Bischöfe.

Am Morgen hatte sich ein guter Teil unserer Gruppe schon einer sehr frühen Führung (vor der offiziellen Öffnung) durch die vatikanischen Museen angeschlossen.

Auf dem morgendlichen Weg zum Pilgerbüro begegnete Mariele und mir der aus Visbeck im oldenburgischen Münsterland stammende Franziskanerbischof Johannes Bahlmanns. Wir trauten uns, ihn anzusprechen und konnten so ein schönes Gespräch mit ihm führen. Er erzählte, dass er eigentlich spät dran sei. Er habe noch für Radio Vatikan den Blogartikel über die Amazonas-Synode geschrieben. Das sei schon recht herausfordernd neben den Veranstaltungen und Gesprächen der Synode. Vor einigen Tagen hatte ich noch von ihm gelesen, weil er bei einer heiligen Messe in der Domitilla-Katakombe dabei war und sich an der Erneuerung des „Katakombenpaktes“ aus der Zeit des 2. Vatikanischen Konzils beteiligt hatte.

Die Leute vom "gemeinsamen amazonischen Haus" in der benachbarten Kirche seien leider im Umgang mit der Öffentlichkeit etwas unerfahren. Gudrun Sailer von Radio Vatikan hätte ihn gebeten, doch etwas über Pachamama zu schreiben. Aber damit habe er keinerlei Erfahrung, das spiele bei ihm im Bistum Óbidos (liegt am Amazonas zwischen Manaos und Belem) keinerlei Rolle. Er wundere sich aber über die Heftigkeit der Diskussion. 
Manche Kritiker kämen ihm sehr protestantisch vor (womit er vermutlich die pfingstlerischen Sekten seiner Heimat meinte). Die Haltung, die ihm dort begegne sei nicht katholisch. „Katholisch, das hat eine Weite...“ Und hat Raum für unterschiedliche Kulturen. Mit den Themen der Synode hätten all diese Diskussionen aber nichts zu tun, das komme dort nicht vor. Man habe eine indigene Gruppe gebeten, etwas von den Themen und Bildern der Amazonaskultur in Rom einzubringen, damit sie auch sichtbar sei. Man habe die Figuren in guter Absicht als Teil einer Ausstellung über indigenes Leben am Amazonas mitgebracht. 
Bischof Bahlmann trug ein einfaches franziskanischen Tau Kreuz aus Holz und schlichte Priesterkleidung. Mit freundlichen Segenswünschen verabschiedeten wir uns voneinander.

Hier ein Beitrag seines Synodenblogs, über den man auch die anderen Beiträge findet: https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2019-10/synode-blog-radio-vatikan-bischof-bahlmann-tag-20-goetzendienst.html

Es muss in den frühen Morgenstunden des Sonntag gewesen sein, als sich zwei „katholische“ Aktivisten zur früh morgendlichen Stunde in die Kirche Santa Maria in Traspotina schlichen um dort vier einfache Figuren zu entwenden, die hier in der letzten Seitenkapelle der Kirche als Teil einer Ausstellung von Gebrauchs- und Kultgegenständen unter einem großen Bild der Gottesmutter von Guadelupe auf dem Boden standen. Sie stellten eine schwangere indigene Frau dar, die im Gesicht zwei schwarze Streifen trug und lange dunkle Haare hatte. Nach diesem Diebstahl liefen sie damit auf die Engelsbrücke zu Füßen der Engelsburg, wo sie die Figuren eine nach der anderen vom Brückenrand aus in den Tiber schubsten, über dem gerade die Sonne aufging. 

Damit sorgten sie dafür, dass diesen Figuren in der Öffentlichkeit nunmehr eine gewaltige Aufmerksamkeit zuteil wurde. In der Ausstellung in der Kirche wurde an die Unterdrückung der indigenen Völker der Region erinnert, an die Zerstörung ihrer Lebensräume, die Vernichtung ihrer Kultur und an zahlreiche Morde an Priestern, Ordensfrauen und Führungspersonen. In diesen Kontext fügte sich der Diebstahl und der Vandalismus nahtlos ein. Ein weiteres Beispiel der Verachtung der Kultur der indigenen Völker im Amazonasgebiet. Kein Wunder, dass sich dies nun in der Öffentlichkeit auch gegen diejenigen wendete, die die „mutigen Zerstörer“ der „Pachamama-Figuren“ zuvor gefeiert hatten, nämlich konservative und traditionalistische Katholiken. 

Meine facebook – Timeline war voll von Nachrichten, rund um dieses Ereignis. Es überdeckte die weit wichtigeren Nachrichten vom Verlauf der Synode. Es hat mich schon erstaunt, wie viele aus der konservativen Szene diese Form der Gewalt auch noch feierten. Bis dato habe ich geglaubt, das Bewußtsein für Recht und Unrecht sei gerade hier gut gebildet. Gott sei Dank gab es doch auch Viele, die ihr Befremden deutlich äußerten, was meist zu heftigen Diskussionen führte.

Im Kern drehte sich die von katholisch-konservativen Kreisen angefachte Skandalisierung der Figuren um die Frage, ob es sich hier um einen Götzenkult handele. Die Figuren waren nämlich auch in den vatikanischen Gärten aufgetaucht, wo Indigene ein Ritual zelebrierten, das nicht weiter oder umfassend erklärt wurde. Einige der indigenen Kultur offenbar kaum Kundige identifizierten sie mit dem schillernden Begriff der „Pacha Mama“ oder der „Mutter Erde“. Dieser Begriff taucht ja auch in den Synodentexten auf. Letztlich geht der Streit darum, ob es hier um eine nicht christliche Ideologie geht, die gegen den Gedanken einer Schöpfung der Welt durch Gott aus der „Mutter Erde“ ein eigenes quasi göttliches Prinzip macht. In diesen Streit hinein fällt natürlich ein Licht durch die aktuelle Klima und Naturschutzdiskussion, die auf der Synode eine wichtige Rolle spielte. 

Im Kern geht es um die Frage, ob „Mutter Erde“ nun nur ein liebevoller Begriff für die Schöpfung Gottes ist und ein Blickwinkel, um unseren Auftrag darin besser zu verstehen. Also ganz im Sinne des Sonnengesangs, wo Franziskus ja ganz ähnlich spricht. Oder ob es letztlich um eine Vergöttlichung der Welt, der Erde geht oder ob man darin am Ende gar eine Art wirkliche Gottheit entdeckt oder diffuse Wirkmacht bzw. der Welt innewohnende schöpferische Kraft, die ihren Ursprung nicht in Gott hat. Politisch aufgeladen und daher hoch aktuell wird das durch die Klimadiskussion und die Frage, ob das Geldverdienen wichtiger ist als die Bewahrung der Schöpfung (Nachhaltigkeit als Mittelpunkt des Wirtschaftens). Im Grunde eine hoch spannende und sehr zentrale Diskussion mit Blick auf unsere Zukunft. Die Antworten der Synode darauf interessieren mich sehr.

Nachdem ein erster Sturm der Entrüstung über „Pachamama-Statuen“ und „heidnische Rituale“ im Schatten des Petersdoms durch die Foren der Tradi-Welt gezogen war, ein Sturm, der noch mal besonders aufbrauste, um die „heldenhaften“ Männer zu feiern, die die Holzfigürchen in den Tiber gestoßen hatten. Einige Kommentatoren entblödeten sich nicht, in diesem Zusammenhang auf den Hl. Bonifatius zu verweisen oder diese gar in der Nachfolge des tempelreinigenden Christus zu sehen. Da erschließt sich die Bedeutung des Wortes Hybris in neuer Weise.

Doch statt den Sturm im Wasserglas nun sinnvoll zu beruhigen meldete sich zu dieser Thematik auch noch Kardinal Müller zu Wort und rechtfertigte diese gesetzeswidrige Aktion mit der Bemerkung, der eigentliche Fehler sei gewesen diese „Idole“ überhaupt in eine Kirche zu bringen und benannte sie als „Götzenbilder“. Das rächte sich dann in überraschender Weise am Freitag, als der Papst während der Synode sagte: „Guten Tag, ich möchte ein Wort über die Statuen des Pachamama sagen, die aus der Kirche in der Traspontina entfernt wurden und ohne götzendienerische Absichten dort waren und in den Tiber geworfen wurden. Zunächst geschah dies in Rom, und als Bischof dieser Diözese bitte ich die von dieser Geste beleidigten Menschen um Verzeihung.“ Bamm! Es wurde sogar erwogen die Statuen am Sonntag in den Petersdom zu bringen, worauf man dann klugerweise verzichtete, um den Hype nicht noch weiter anzuheizen.

(Ganz ehrlich: Rom ist voller Götter- und Götzenbilder, selbst in Kirchen und vor allem in deren Schatten. In dem Bild oben handelt es sich auch nicht um niedliche Engelchen, sondern um heidnische Götzen. Symbolische Flussgötter schmücken selbstverständlich die von Päpsten gestifteten Brunnen. Symbolische Geschichten aus der Götterwelt des alten Griechenland und des römischen Reichs werden bis in die Barockzeit hinein in größter Selbstverständlichkeit dargestellt ... Ja, es gibt Unterschiede und eine andere kulturelle Aneignung. Und natürlich keine "Verehrung" solcher Bildwerke, höchstens mal leicht grenzwertige Bräuche. Wer sagt uns denn, dass den Indigenen diese Trennung nicht auch genauso mühelos gelingt, dass für sie die Verbindung zur Mutter Erde in keiner Weise mit der ausschließlichen Verehrung des dreifaltigen Gottes konkurriert?)

Die Wortmeldung des Hl. Vaters sorgte in den papsttreuen Tradi-Kreisen dann doch für eher betretenes Schweigen. Die weniger papsttreuen Tradis sahen sich in ihrer Überzeugung bestätigt, dass der Papst gar nicht mehr katholisch ist. Schließlich habe er doch laut eines Zeitungsberichts vor Kurzem noch die Göttlichkeit Jesu geleugnet. Wer – wie wir – den Papst in der Hl. Messe oder im Rahmen von Angelus und Audienz erlebt, der fragt sich ernsthaft, was mit Leuten los sein kann, die dem Hl. Vater unterstellen, die absoluten Basics des christlichen Glaubens zu leugnen. 

Wohl mit der Verspätung, die sich durch den abgelegenen Einsatzort des Weihbischofs von Nursultan Athanasius Schneider ergab, erschien dann dessen Wortbeitrag auch noch in den Netzen. (Es kann auch an der erstaunlichen Länge seines Textes gelegen haben.) Die schlichten Holzfigürchen seien das „neue Goldene Kalb“. 

Meine Güte, muss man ein bisschen symbolisches Kunstgewerbe derart zum Popanz aufblasen? Zum Götzen gemacht und unglaublich aufgeladen hat doch erst die wüste Diskussion, die Aufmerksamkeit der Kirchenführer und die Aktion der Traditionalisten dieses winzige Detail am Rande der Amazonassynode. Mich erinnert das ganze Hickhack sehr an die immer wieder aufflammenden Assisi – Diskussionen und damit an die sicherlich noch immer nicht ausreichend und eindeutig beantwortete Frage, ob es auch Heil außerhalb des Christentums geben kann. Oder anders gesagt, ob und wie es einen ehrfurchts- und respektvollen Umgang von Christen mit anderen Ritualen und Traditionen geben könnte. Gerade in Tradi-Kreisen kann es außerhalb der Kirche nach wie vor kein Heil geben. Insofern ist Schneiders Wortmeldung schon wieder lesenswert: https://www.kath.net/news/69566 

Vor meinem inneren Auge sehe ich inzwischen bei derlei Wortmeldungen der immer gleichen Kardinäle und Bischöfe inzwischen Statler und Waldorf auf ihrem Balkon bei der Muppets Show. Aus dem Hintergrund haben sie zu allem und jedem etwas zu sagen, und manches entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik, wie z.B. gerade eben die Bemerkung von Fürstin Gloria aus Regensburg, die Kardinal Müller und Präsident Trump in einem Atemzug nannte. „Die einzigen beiden Menschen auf der Welt, die uns heute Klarheit geben, sind Donald Trump und Gerhard Ludwig Müller. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass Gerhard Ludwig Müller der Donald Trump der katholischen Kirche ist."

Dem ist im Grunde nichts mehr hinzuzufügen. Ich hab zweimal nachgesehen, ob es Satire ist und mag nicht recht darüber lachen, denn gerade Gerhard Ludwig Kardinal Müller habe ich immer dafür geschätzt, dass er sich weder von Lob noch von Tadel aus der Bahn tragen ließ und niemandem nach dem Mund redete. Das war für seine Gesprächspartner zu seinen Zeiten als Bischof in Regensburg oder als Präfekt der Glaubenskongregation sicher nicht immer leicht. Aber immer noch weit besser als das, was man heute von ihm hört. Aktuell gefällt er sich offenbar als Speerspitze gewisser Kirchenkreise und in seinen Interviews überwiegen die Schlag- und Reizworte und die starken Sprüche gegenüber der einst geschätzten theologisch fundierten Nachdenklichkeit. Ich hoffe und bete für ihn, dass er sich nicht weiter in diese Richtung entwickelt.

Den Abend verbrachten wir dann in Trastevere, dem römischen Viertel, das dem Aventin gegenüber liegt. Neben Santa Sabina führt eine Treppe hinab, dann überquert man den Tiber und nutzt dafür die antiken Brücken der Tiberinsel (ursprünglich aus den Jahren 62 und 46 und gelangt nach kurzer Zeit auf den Platz an St. Maria in Trastevere, eine weitere in der Reihe meiner römischen Lieblingskirchen. Hier hatten wir uns mit etlichen Leuten aus unserer Pilgergruppe verabredet, um am Abendgebet der Gemeinschaft Sant Egidio teilzunehmen. 

Leider waren wir recht knapp und konnten so die synchrone Übersetzung nicht nutzen. Atmosphärisch war es aber sehr schön, mit einem Chor und Gesang, der ein wenig an Taize erinnert. Gebete und Psalmen, Lesung, Predigt... Nachher ergab sich ein Gespräch mit einem Mitglied der Gemeinschaft aus Guinea und einer Deutschen aus Mönchengladbach. Sie war allerdings nicht wegen des Fußballspiels angereist, sondern weil viele Gemeinschaftsmitglieder immer wieder nach Rom kommen, um hier aufzutanken. Auf dem Heimweg bot sich uns der tolle Anblick der beleuchteten Engelsburg mit Engelsbrücke. 

In den nächsten Tagen folgt hier der zweite Beitrag, der mit der Papstaudienz auf dem Petersplatz beginnt.