Dienstag, 21. August 2012

Dann mach ich was ein Baum tun würde, wenn ein .... sich an ihm kratzt...

Игорь Мухин at ru.wikipedia [GFDL
(http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Geht es Ihnen auch so? Seit Wochen zeigt das Fernsehen Bilder dreier inhaftierter junger Frauen aus Russland: Nadeschda, Marija und Jekaterina sitzen in einem Käfig auf der Anklagebank. Ich kann mich einer gewissen Sympathie und Besorgnis nicht erwehren. 

Ein sonderbarer Kontrast – drei hübsche Frauen, durchaus sympathisch, angebliche Mitglieder einer Punk-Band (wo ist da eigentlich „Punk“) auf der einen Seite – die geballte Staatsmacht und Handschellen, Einzelzellen, Hochsicherheitsverwahrung auf der anderen Seite. Man behandelt sie wie Schwerverbrecher. Viele fragen sich, was für eine Gefahr von diesen Frauen eigentlich ausgehen mag, dass ein so mächtiger Staat wie Rußland sie für derart gefährlich hält und zu zwei Jahren Strafarbeitslager verurteilt. 

Ihr Vergehen war ein provozierender „Auftritt“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale (in unmittelbarer Nähe zum Kreml). Für den Protest gegen Präsident Putin war der Ort nicht schlecht gewählt. Wohl bei kaum einer anderen Kirche der russischen Orthodoxie mischen sich politische Aspekte so sehr in die Religion. Die Kirche war 1931 unter Stalin zerstört worden und erst 2000 mit massiver Unterstützung des russischen Staates neu errichtet worden. Sie gilt als der zentrale Kirchenbau der russischen Kirche und ist Schauplatz kirchlicher Großereignisse, an denen auch bedeutende russische Politiker beteiligt wurden. Zahlreiche russisch-orthodoxe Gläubige betrachteten den Auftritt als Schändung des Gotteshauses und Basphemie. Nur wenige russische Bürger heißen das Verhalten der Frauen gut. Nach meinem Eindruck überwiegt bei den jungen Frauen allerdings der politische Aspekt. Ihr Protest galt aber auch der (zu) engen Verbindung zwischen russischer Orthodoxie und der amtierenden russischen Regierung. 
Diese komplizierte Ausgangslage löste vielfältige Diskussionen aus und ist – nach meiner Wahrnehmung – inzwischen auch deutlich antireligiös unterfüttert. Gegner der Kirche (und des Glaubens) springen auf den Zug auf und kochen ihr antikirchliches Süppchen im Kielwasser der Aktivistinnen von Pussy Riot. 

Erschüttert hat mich die Aktion der feministischen Aktivisten der FEMEN-Gruppe in Kiew, die ihren Protest gegen die Verurteilung der Pussy Riot – Mitglieder dadurch ausdrückten, dass sie mit Billigung zahlreicher Pressefotografen und Filmteams ein großes Holzkreuz in der Stadt mittels einer Kettensäge zu Fall brachten. Was können die Gläubigen, die diese Kreuz aufgestellt und verehrt haben für ein mögliches Unrechtsurteil der russischen Justiz? Was kann der Gekreuzigte dafür, dass einige politische Aktivistinnen ein möglicherweise zu hartes Urteil trifft? Er selbst war schließlich unschuldig ans Kreuz geschlagen worden. Was für eine schwachsinnige Aktion, noch dazu barbusig und mit albernen Posen!

Zahlreiche konservativ – christliche Medien nutzen die Aufmerksamkeit für den Fall Pussy Riot, um die Frage nach Strafen für „Gotteslästerung“ auch hierzulande wieder zu thematisieren. Erzbischof Ludwig Schick von Bamberg brachte das Thema ebenfalls auf die Tagesordnung und vor einigen Tagen nutzten einige deutsche Aktivisten das Forum einer Hl. Messe im Kölner Dom, um durch eine Störung des Gottesdienstes eine entsprechende Öffentlichkeit für ihre Protestaktion zu bekommen. Obwohl der Zelebrant, der Kölner Weihbischof Heiner Koch die Anliegen der Demonstranten und der Menschen in Russland umgehend ins Gebet einschloss, brachte es den Protestiereren denn doch eine Anzeige ein, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch und wegen Störung der Religionsausübung, alles auch nach deutschem Recht strafbar. 
Das mit der Anzeige war Wasser auf die Mühlen der russischen Behörden, die getrost darauf verweisen, dass solche Taten auch in Deutschland unter Strafe stehen. Ob die Aktivisten in Köln wohl klug beraten waren mit ihrem Protest?

Als Christ fühle ich mich in einem Zwiespalt und mir scheint, es geht vielen Menschen so. Auf der einen Seite kann es nicht richtig sein, dass das, was mir und anderen Menschen heilig ist, von Protestierern in den Dreck gezogen, veralbert und geschändet wird. Pastor Ulrich Rüß bringt es so auf den Punkt: „Blasphemie taugt nicht als Mittel des Protests.“ 
Auf der anderen Seite scheint mir ein zweijähriges Arbeitslager für eine solche Aktion - beinahe noch jugendlicher Frauen - überzogen und mir wird unbehaglich, wenn ich sehe, dass einem Kind für diese Zeit die Mutter entzogen wird. 
Auch besteht für die Kirchen und ihre Verantwortlichen immer wieder ein Grund zur Erforschung des eigenen Gewissens. Genießen sie die Nähe zur Macht und die Vorteile daraus zu sehr, sind ihnen persönliche Privilegien wichtiger sind als die Botschaft Christi: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Wenn hier etwas nicht stimmt – darf der Protest dagegen nicht als schlichte Blasphemie abgetan werden. 

Doch das, was anderen Menschen heilig ist, sollte von Allen, auch den nicht gläubigen Bürgern mit Respekt behandelt werden. Leider ist das heute noch weniger selbstverständlich als in der Vergangenheit. Immer wieder werden Heiligenfiguren zerstört und Kirchen geschändet, immer wieder gibt es Störungen von Gottesdiensten...
Finden wir Christen uns mit solchen Taten zu schnell ab? Heiß diskutiert wird auch hierzulande, dass die gläubigen Muslime eine viel niedrigere Toleranzschwelle haben. Das hat sicher vielfältige Gründe. Im Gegensatz zu vielen Christen – die zudem selbst oft kritisch gegenüber kirchlichen Institutionen eingestellt sind (die im Islam ja fehlen) – sind westliche Christen eher tolerant und „einiges gewohnt“, ihre „Schmerzschwelle“ liegt deutlich höher. 

Allerlei Geschmacklosigkeiten konnten in den letzten Jahren ohne Proteststürme publiziert werden, besonders die Titanic hat sich hier hervorgetan, z.B. mit ihren geschmacklosen Titelbildern mit verfremdeten Papst-Bildern. Nur, was kann man dagegen tun? Nicht einmal gerichtliche Verfügungen konnten diese Darstellungen verhindern, Strafen wurden nicht verhängt. Eher trieben rechtliche Maßnahmen die Auflage und Verbreitung dieser unwürdigen Darstellungen (dann eben über das Internet) noch auf die Spitze. 
Kein Wunder, dass der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick eine gesetzliche Regelung forderte: „Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden“, sagte er und möchte ein solche Gesetz auf alle Religionen angewendet wissen. Schick forderte die Gläubigen auf, sich gegen Verunglimpfungen ihrer Religion zu wehren. Christen müssten fordern, „dass die Person Jesu Christi, Gott der Vater, Maria, die Heiligen, die Hostie des Altarsakraments, die sakralen Gegenstände wie Kelche und Monstranzen, auch die Kirchengebäude und Prozessionen von unserem Staat geschützt werden“. Dazu seien entsprechende Gesetze nötig. Christen müssten „deutlich machen, dass wir Verunglimpfungen unserer Überzeugungen und Werten in Medien und öffentlichen Organen nicht hinzunehmen bereit sind“, betonte der Erzbischof. Bisher steht nur all das unter Strafe, was geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören. Und das wurde von den Gerichten bisher selten so gesehen.  

Ich würde mir wünschen, dass in unserem Land und in anderen Ländern „die Person Jesu Christi, Gott der Vater, Maria, die Heiligen, die Hostie...“ geschützt werden. Ob staatliche Gerichte und staatliche Stellen aber hierfür die richtigen „Schutzinstanzen“ sind, da bin ich skeptisch. Wie schnell hier Politik und Religion ineinander fließen, das zeigt der Fall „Pussy Riot“ ja deutlich. Neben all dem erhofften Schutz des Heiligen liegt auch ein Risiko darin sich hier der staatlichen Gerichtsbarkeit anzuvertrauen. 
Es ist ein schwieriges Unterfangen, im Umgang mit dem Heiligen die richtige Grenze zu definieren. Für mich ist es letztlich auch eine Frage von Intelligenz und Geist auf Seiten der Protestierer. Sie sollten sich die Frage stellen, ob die Botschaft, die sie – mehr oder minder berechtigt – in die Öffentlichkeit bringen möchten, die richtigen Leute trifft, eben die Mächtigen und die, die Unrecht tun. Wenn dagegen eher die „Kleinen“ und Unterdrückten in ihren Gefühlen und in ihrem Glauben getroffen werden, sollte ein solcher Protest unterbleiben. 

Und, als Gläubige sollten wir genau hinsehen und hinter die Aktion blicken, und vor allem (wenn möglich) ins Gespräch kommen mit denen, die sich am Glauben und seinen Inhalten, an der Kirche und ihren Institutionen reiben. Jesus Christus hat geraten, zunächst einmal auch „die andere Wange hinzuhalten“ und die Angreifer durch Friedfertigkeit zu entwaffnen. Ich weiß, dieses Rezept passt nicht in jeder Situation doch hinter manchem rebellischen Protest steckt auch eine Wahrheit, die wir in Demut annehmen könnten. 
Aber das bedeutet auch, dass wir nicht schlicht gleichgültig sind und Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit und Desinteresse verwechseln. Es bedeutet auch, dass wir selbst wissen, was uns wichtig, heilig, bedeutsam ist – und warum. Besser als in den Händen staatlicher Stellen ist der Schutz des Heiligen in unseren Herzen, in unseren Gebeten, in unserem Leben und in unserem Engagement aufgehoben. Wenn wir als Christen auch nach außen heilig halten, was uns heilig ist, wenn wir überzeugend und mitmenschlich leben, sinkt der Reiz, sich an der Kirche und am Glauben zu reiben. 
Ganz fern von Gläubigkeit scheinen mir selbst die inhaftierten Frauen in Russland nicht zu sein – und wer weiß, vielleicht engagieren sie sich in einigen Jahren in sozialen Projekten der russisch – orthodoxen Kirche. Ich hätte mir von den orthodoxen Autoritäten gewünscht, dass sie die Aktion der Frauen klar als falsch verurteilen, aber für die Sünder klar und deutlich um ein mildes Urteil bitten und selbst Vergebung gewähren, notfalls siebenundsiebzig mal.  

Ganz wichtig ist mir aber letztlich eine wichtige Tatsache: Es gibt einen, den wir als Gläubige vor „blasphemischen Aktionen, Worten und Gedanken“ nicht zu schützen brauchen. Es ist der lebendige, dreifaltige Gott selbst. Er schaut den Menschen bis auf den Grund ihrer Seele, er kennt ihre Beweggründe und ich bin sicher, dass er sehr viel erträgt und aushält und letztlich die Macht hat, auch solche Menschen zum Glauben zu führen, die an ihm schuldig wurden. „Vater, vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Mittwoch, 18. Juli 2012

In der Stille des Allgäus - die Kartäuser

Lesen Sie zunächst den ersten Teil des Berichts über die Marienau:

Die Klosterkirche
Bruder Antonius ist ein optimistischer Mensch. Sorgen um den Fortbestand seines Ordens macht er sich keine. „Gott schickt uns genügend Nachwuchs“, ist er überzeugt, Er selbst berufe Menschen zum Leben in einer Kartause. Werbung für neue Kartäuser ist daher völlig unnötig.

Wer sich für einen Eintritt interessiert, nimmt zunächst Briefkontakt mit dem Prior auf. Später wird er eingeladen, das Leben in der Kartause kennenzulernen. Wenn es konkret wird, kann er sogar für einige Wochen in einer Zelle leben und seinen zukünftigen Lebensstil direkt erproben. Dann schließen sich Postulat und Noviziat an. Bei vielen Interessierten zeigt sich, dass sie für das Leben der Kartäuser nicht geeignet sind. In der Regel merken sie es selbst und entscheiden sich zu gehen. Wenn es sein muss, schickt sie der Prior auch nach Hause. Über die endgültige Aufnahme entscheidet der gesamte Konvent in einer geheimen Abstimmung.
Neben den Priestermönchen in ihren Zellen gibt es in der Kartause die Brüder, für die andere, manchmal weniger strenge Regeln gelten. Die Brüder sorgen dafür, dass die Kartause beinahe autark von der Außenwelt existieren kann. Sie bauen Gemüse an und ernten das Obst, sie backen, schneidern, kochen; sie arbeiten als Schreiner, Schlosser, Schneider, Hausmeister... Nur selten müssen Handwerker von außen beschäftigt werden. Eine „Pensionierung“ gibt es nicht, jeder kümmert sich nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten um die anstehenden Arbeiten.
Vor dem Gebet: alle Priestermönche läuten die Glocke.
Da ich im Vorfeld mit der Kartause Kontakt aufgenommen hatte, darf ich auf der Gästeempore am Nachmittagsgebet, der Vesper teilnehmen. Auf der Empore treffe ich einen jungen Pater an, ein Kroate, der mir schweigend die riesigen Gebetbücher an der richtigen Stelle aufschlägt, so dass ich dem Gebet folgen kann. Die Kirche ist, wie das ganze Kloster, von schlichter Zweckmäßigkeit. Es gibt keinerlei Schmuck und Schnörkel wie sonst überall im barocken Oberschwaben. Alle Möbel sind selbst gefertigt. An der Stirnwand der Kirche über dem Altar thront eine Kreuzigungsgruppe, die Darstellung von Christus mit Maria und Johannes.

Das vorabendliche Gebet beginnt mit einem besonderen Ritual. Der erste Pater, der die Kirche betritt, läutet die Glocke und gibt das Glockenseil dem nächsten Pater weiter. Jeder, der in das Gotteshaus kommt, läutet im Takt weiter bis die Gemeinschaft der ca. 20 Priestermönche komplett ist. Gebetet wird aus gewaltigen Büchern, das, aus dem jetzt die Vesper gesungen wird stammt aus dem Jahre 1876. Es wurde nach dem 2. Vatikanischen Konzil nur geringfügig verändert. Diese Antiphonale sind so groß, dass jeweils drei Mönche es gemeinsam verwenden können. In diesen Büchern könnte selbst ich ohne Brille lesen.

Die Kartäuser singen eine schlichtere Form des gregorianischen Chorals. Aber sie singen aus tiefer Überzeugung, schlicht und schön, es berührt mich sehr. Ganz ohne Orgelbegleitung erklingt ihr Gotteslob.
Auf der Gästeempore kann man dem Gebet der Mönche folgen.
Die Gemeinschaft ist stolz darauf, dass es im Laufe ihrer 900jährigen Ordensgeschichte bisher noch keine Reform gegeben hat. Sie war einfach nicht notwendig, weil die Ordensregel einen zwar strengen aber dennoch sehr menschlichen Rahmen vorgibt und Übertreibungen vermeidet. So wird z.B. nur insoweit gefastet, wie es dazu beiträgt, sich stärker auf das Ziel des Kartäuserlebens auszurichten: die Suche nach Gott und der Kontakt mit ihm. Fasten ist niemals Selbstzweck. Niemand sollte versuchen, den Mitbruder beim strengen Schweigen, im Verzicht oder im Gebetsleben zu übertreffen. Alles dient nur dem Ziel einer tieferen Gemeinschaft mit Gott. „Gott allein genügt“, dieses Wort der Hl. Theresia von Avila zitiert auch der Pförtner Bruder Antonius.
Diese Art eines ausgeglichenen Lebens scheint sogar noch recht gesund zu sein, denn es ist kein Gerücht, dass die Mitglieder des Ordens recht alt werden und lange gesund bleiben.

Das 2. Vatikanische Konzil hat dennoch einige kleine Veränderungen gebracht. Es hat zwar nicht das unterschiedliche Leben von Brüdern und Patres aufgehoben, aber unnötige Trennungen zwischen beiden Gruppen beseitigt. So gibt es heute ein engeres und vertrauteres Miteinander unter allen Mitgliedern des Konventes. Auch lehnen die Kartäuser Neuerungen nicht grundsätzlich ab, sondern prüfen alles, ob es mit ihrer Lebensweise zusammenpasst. So kann man sie heute sogar per e-mail erreichen – aber auf Facebook kann man Pater Prior trotzdem nicht als Freund gewinnen.

Hinter der Klostermauer sind die "Zellen" der Mönche sichtbar.
Das höhere Gebäude dient der Ausbildung der Ordensanwärter.
Die Patres verlassen ihr Kloster normalerweise nicht. Dennoch begegnet mir ein junger Pater in Begleitung zweier weiterer junger Leute draußen auf dem Weg zum Kloster. Ich erfahre später, dass er den jährlichen Besuch seiner Familie empfängt. Dafür wird er für zwei Tage von seinen Verpflichtungen in der Kartause teilsweise befreit und darf mit seinen Angehörigen in Kontakt sein. Sonst gehen die Mönche nur gemeinsam aus dem umfriedeten Bezirk der Klostermauern hinaus, nämlich, wenn der wöchentliche gemeinsame Spaziergang ansteht. Alles andere sind Ausnahmen, z.B. wenn ein Arzt aufgesucht werden muss oder z.B. zur Priesterweihe kein Bischof kommen kann.
Was für ein ungewöhnliches Leben! Manche Zeitgenossen werden denken, dass diese Männer (es gibt auch Frauenkartausen) ihr Leben verschleudern. Vermutlich wäre es angemessener, von „verschenken“ zu sprechen, denn sie geben ihr Leben schon heute in Gottes Hand. Das hat für sie viel mit Liebe zu tun. Nicht mit enttäuschter Liebe zur Welt oder zum Leben oder gar zu einer Frau, sondern mit dem, was Jesus so formuliert hat: „Du sollst Gott lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft (Markus 12,30).“

Keimzelle des Klosters: ein ehemaliger "Einödhof",
ein Bauernhof in Seibranz-Talacker
Es sind 35 Männer, die in Deutschland das Leben eines Kartäusers leben. Auf den ersten Blick erscheint es schon wegen seiner äußeren Umstände mehr als ungewöhnlich. Aber ist es in seinem Verzicht auf Fleisch, auf zwischenmenschliche Liebe, auf Gemeinschaft, auf Kommunikation, auf öffentliche Wirkung und Bedeutsamkeit wirklich so anders? Wie viele Menschen halten heute deutlich abstrusere Diätvorschriften ein, um ihr Idealformat zu erreichen; wie viele Menschen verzichten aus vielerlei Gründen freiwillig oder unfreiwillig auf Familie und zwischenmenschliche Kontakte; wie viele Menschen sind einsam, ohne in der Gemeinschaft mit Gott einen Ausgleich zu haben; wie viele Menschen müssen auf Konsum und Luxus verzichten, weil sie kein Geld dafür haben. In gewisser Weise stehen die Kartäuser mit ihrem entschiedenen und ungewöhnlichen Leben symbolisch für die Kirche, die in den Augen mancher Leute auch eher eine Bewegung „von gestern“ ist, aus der Zeit gefallen, aber dennoch vielen Menschen eine spirituelle Heimat schenkt und eine Gottesbeziehung ermöglicht. Und: von der Einfachheit, Bescheidenheit und Entschiedenheit der Kartäuser kann die Kirche sicherlich für ihr Auftreten und ihre Verkündigung viel lernen.

Ich hatte in diesen Tagen die Gelegenheit, das Kloster, die Klausur dreimal zu betreten. Eine Besucherin des Klosters fragte mich draußen vor der Tür einmal, ob die Kirche öffentlich zugänglich ist. Nein, sie ist es nicht – und für Frauen gibt es keinen Zugang in die Kartause. Ich bin als Mann also privilegiert. Aber in einer Frauenkartause wäre ich auch draußen vor geblieben. Ich bin den Kartäusern dafür sehr dankbar, dass ich einen kleinen Einblick bekommen habe, denn als Familienvater komme ich als Ordensnachwuchs nicht in Frage. 

Der Weg zur Kirche mitten im Kloster ist lang. Groß ist die Versuchung, auf dem Weg zur Empore die Tür zum Kreuzgang zu öffnen und einmal ins „Allerheiligste“ des Klosters zu blicken. Doch ich mochte das Vertrauen der Mönche nicht enttäuschen. 
Einblicke gibt es in einer kleinen Broschüre, die an der Pforte erhältlich ist. Die Kartäuser sind auch eher ein Männerorden. Es gibt 18 Kartausen für Männer, aber nur sechs für Frauen, obwohl es schon fast zu Beginn der Ordensgeschichte einen Frauenzweig gab. Zu den Besonderheiten der Kartäuserinnen gehört, dass ihnen durch den Bischof (auf Wunsch) die Diakonissenweihe gespendet wird. Viele halten das für einen historischen Rest einer Diakoninnenweihe aus der frühen Kirche. Die Kirche betont aber, dass es sich nicht um ein Weiheamt handelt. Dennoch haben Kartäuserinnen als Diakonissen das Recht, eine Stola zu tragen und in der Messe das Evangelium vorzutragen. Eine einzigartige liturgische Besonderheit! Erwähnenswert ist, dass ein den Kartäusern naher, neuerer Orden (Gemeinschaften der monastischen Familie von Betlehem und der Aufnahme Mariens in den Himmel und des hl. Bruno) zahlreiche Frauenklöster aber wenige Männerklöster hat.

Beim Abschied am Sonntag komme ich mit „meinem Kartäuser“, Bruder Antonius noch einmal ins Gespräch über die Freude an der Schöpfung. Er schwärmt über das Sonnenlicht am Morgen, über die vielen schönen Blumen und die Freude über das erste Gänseblümchen nach dem langen Winter. Für ihn ist die Natur eine beständige Botschaft von Gott und er bedauert, dass viele Menschen diese Schönheiten nicht mehr wahrnehmen. Für ihn ist das einfache Leben der Kartäuser ein Geschenk, weil er hierdurch viel aufmerksamer wird, für die Wunder der Natur, für die Stimme Gottes und die Sorgen und Nöte der Menschen, die bei ihm an der Pforte klingeln. Er verabschiedet mich mit den Worten „Gelobt sei Jesus Christus!“ „In Ewigkeit! Amen!“.

Ein Besuch im Kartäuserkloster Marienau

In welcher Gegend Deutschlands könnte man eine Wüste entdecken? Für die Kartäuser, die ihre Klöster bevorzugt in menschenleeren Einöden errichten, war diese Wüste im Jahre 1964 ein sogenannter „Einödhof“ im Allgäu. Dort haben die Mönche des strengsten katholischen Ordens die gesuchte Einsamkeit gefunden. 

Pfortenhaus der Kartause Marienau bei Seibranz im Allgäu
Wer sie in diesen Tagen besucht, legt von Voerde aus beinahe den gleichen Weg zurück, auf dem die weißen Mönche in den 60er Jahren vor dem Lärm der Großstadt Düsseldorf und des nahen Flughafens geflüchtet sind. Der Weg von Voerde nach Seibranz im Allgäu streift aber auch bedeutende Orte des Kartäuserordens. In Wesel bestand bis zum Jahr 1628 auf der Grav – Insel ein heute beinahe vergessenes Kartäuserkloster. In Düsseldorf bestand bis 1964 das nach der Säkularisation letzte deutsche Kloster dieses Ordens, die Kartaus Maria Hain. Aus dem weitläufigen Klostergelände sollte Bauland werden, deshalb konnte die Ordensgemeinschaft vom Verkaufserlös im Süden Deutschlands einen abgelegenen Bauernhof kaufen und auf dem Gelände ihr neues Kloster errichten. 
Von Düsseldorf aus erreicht mein Zug Köln, den Heimatort des Hl. Bruno, des „Vaters der Kartäuser“. Der wurde im Jahre 1032 in der rheinischen Stadt geboren und war schon damals ein echter Europäer, er studierte und lebte später vor allem in Reims in Frankreich, lebte als Mönch in Molesme, im Chartreuse-Massiv bei Grenoble und am Hof des Papstes in Rom. Gestorben ist er 1101 in Kalabrien. Als scharfer Kritiker kirchlicher Machtausübung zog er sich mit sechs Gefährten in ein wildes, menschenleeres Gebirgstal zurück. Die kleine Gemeinschaft verwirklichte hier ein geistliches Leben nach Brunos Ideen, ein Leben als Einsiedler mit einer Prise Gemeinschaft. An die Gründung eines eigenen Ordens hatte Bruno wohl noch nicht gedacht. Die Gemeinschaft folgte schlicht den Idealen ihres Gründers. Zwischen 1084 und 1090 leben sie so. Doch dann erscheinen Boten des neu erwählten Papstes Urban II. in der Einöde. Dieser, ein ehemaliger Schüler Brunos, möchte seinen Lehrer als Berater in Rom sehen. Bruno blieb keine Wahl. Kurze Zeit später folgen ihm seine Gefährten nach Rom, doch schon bald schickte Bruno sie zurück in ihr schlichtes Kloster, wo sie ihr ursprüngliches Leben wieder aufnehmen. Als der Papst sich endlich bereit erklärt, Bruno von seinem Dienst im Vatikan zu befreien, begründet dieser ein zweites Kloster in Kalabrien, wo er 1101 stirbt. Erst ca. 25 Jahre später schreibt Brunos Nachfolger Guigo als 4. Oberer der Gemeinschaft eine Art Ordensregel auf, die er bescheiden „Consuetudines“ nennt, die „Gebräuche der Kartäuser“. Diese Regel hat sich im Verlauf der Jahrhunderte kaum verändert, auch die Kartäuser der Marienau folgen ihr bis zum heutigen Tag. Von Köln aus fährt mein Zug durch das Rheinal und durchquert Deutschland. Seine Blüte hatte der Kartäuserorden vom 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In Deutschland bestanden in dieser Zeit bis zu 58 Kartausen. Doch mit der Reformation begann der Niedergang, die Revolution in Frankreich und die Maßnahmen Napoleons und Bismarcks gegen die Orden beendeten zeitweilig die Existenz des Kartäuserordens in Deutschland. Nur eine Kartause wurde danach wieder besiedelt, das Haus Maria Hain in Düsseldorf im Jahre 1890. Die vorerst letzte Station auf meiner Reise ist in Memmingen, dort bestand im Dorf Buxheim die – auch künstlerisch höchst bedeutende – Reichskartause mit den bis heute erhaltenen, von berühmten süddeutschen Barockkünstlern prächtig ausgestatteten Klostergebäuden.
Kapelle der Brüder
Doch all diese Pracht mag nicht so recht zu dem Orden passen, der heute seine einzige Kartause in Deutschland ca. 30 km von Buxheim entfernt in einem dichten Fichtenwald vor den Augen der Menschen verbirgt. Kürzlich hat der Orden sogar eines seiner Klöster (Aula Dei) in Spanien aufgegeben, weil viele Touristen die prachtvollen historischen Gebäude und Gemälde von Goya besichtigen wollten und die Mönche daher die notwendige Stille und Einsamkeit nicht mehr fanden.

Die Präsenz der Kartäuser im Allgäu könnte leicht übersehen werden, Hinweisschilder sind selten und in der Regel mit dem Zusatz versehen, dass eine Besichtigung des Klosters nicht möglich ist. Der deutlichste Hinweis auf die Kartäuser findet sich an unerwarteter Stelle in der Tatsache, dass in den Dörfern um Bad Wurzach selbst kleine „Tante-Emma-Läden“ im Spirituosenregal den berühmten Kartäuserlikör führen. Normalerweise gibt es den in Deutschland nur in Spezialgeschäften für exklusive Liköre. Im Supermarkt in Bad Wurzach gibt es ihn günstiger, beinahe zum halben Preis.
Selbst unmittelbar vor der Kartause sieht man noch wenig davon...
Vom Örtchen Seibranz aus schlängelt sich eine schmale, asphaltierte Straße zu den „Einödhöfen“ im Talacker. Hier, nach vier Kilometern (auf denen mir als Fußgänger kein einziges Auto begegnete) steht ein erster Wegweiser: „Kartause Marienau“. Nun sind es noch gut 1 ½ km bis zur Klosterpforte. Man muss schon genau hinsehen, um hinter den Bäumen am Rande der Weiden überhaupt ein Kloster zu entdecken. Dabei umgibt die 2 ½ m hohe Klausurmauer eine Fläche von ca. 10 Hektar.

Ich habe es bei meinem ersten Besuch vorgezogen, quer durch den Wald von hinten an das Kloster heranzuwandern. Auf dem ca. 6 km langen Wanderweg durch die tiefen Wälder sind mir zwar etliche Wildschweine, aber wieder kein Mensch begegnet. Dass diese wunderschöne, sanft geschwungene Landschaft mit Bächen und Teichen, Wäldern und Hügeln so wenige Touristen anzieht, wundert mich. Plötzlich, im tiefen Wald durchbricht der Klang einer Kirchenglocke die Stille und das Zwitschern der Vögel. Der Jungfuchs, der gemächlich über den Waldweg zieht, lässt sich hierdurch nicht stören. Er kennt das Geräusch offensichtlich, das hier sogar nachts um halb eins ertönt, wenn die Mönche für ihre ersten Gebete, die Matutin und Laudes ihren Schlaf unterbrechen und in der Kirche zusammenkommen. Jetzt ist es 14.00 Uhr, das Geläut ist das Zeichen für eine weitere Gebetszeit, die Non, die alle Kartäuser allein in ihren „Zellen“ beten. Es ist eine der neun Gebetszeiten, die das Leben der Mönche prägen.

Auch sonst gibt es im Kartäuserorden einige Besonderheiten. Die Mönche leben im Grunde vegetarisch, allerdings steht ab und an Fisch auf den Speiseplan. Es gibt nur zwei Mahlzeiten am Tag, das Frühstück fällt aus. Zusätzlich gibt es ausgedehnte Fastenzeiten. Die Nachtruhe ist geteilt. Mitten in der Nacht erheben sie sich zu einem ca. zweistündigen Gebet. Die gesamten Gottesdienste werden in lateinischer Sprache gefeiert. Der Orden hat eine eigene, von unserer gewohnten Messfeier abweichende Liturgie. Der Kartäusermönch lebt allein in einem eigenen kleinen Häuschen und pflegt einen eigenen Garten. Niemals verlässt er seine Zelle einfach so. Nur selten spricht der Mönch mit seinen Mitbrüdern, er wahrt das Schweigen. In der Woche gibt es zwei Gelegenheiten zum Gespräch, bei der gemeinsamen Erholung am Sonntag oder beim wöchentlichen Spaziergang. Die Tage sind ausgefüllt mit Gebetszeiten, Studium, Handarbeit und Gartenarbeit. Jeder Mönch heizt seine eigene Zelle mit selbst gesägten Holz. Das macht selbst Pater Werenfried Schrör, der Prior der Gemeinschaft.

Auf den ersten Blick scheint dieser Orden wie aus der Zeit gefallen, ein Reservat vergangener Zeiten irgendwie... Die Kartäuser bleiben hinter den Klostermauern und konzentrieren sich ganz auf Gott. Daher gibt es auch fast keine Publikationen von Kartäusermönchen. Sie kommunizieren auch nicht per Brief, Telefon oder e-mail. Für Außenkontakte werden einzelne Konventsmitglieder beauftragt.

Als ich an der Pforte stehe, öffnet mir einer von ihnen, der Pförtner Bruder Antonius. (Sein Name kommt vom frühchristlichen ägyptischen „Wüstenvater“, den er sehr verehrt.) Wie es mit dem Nachwuchs aussieht, möchte ich gern wissen. Man konnte kürzlich einmal lesen, dass von zehn ernsthaften Interessenten nur einer tatsächlich im Kloster bleibt. „In letzter Zeit ist es etwas besser mit dem Bleiben“, sagt der Pfortenbruder. Zur Zeit lebten 35 Mönche im Kloster, damit ist es beinahe voll. „Zehn von ihnen sind unter vierzig Jahre alt“ und „wir kommen aus zehn Nationen“, berichtet Bruder Antonius, der für einen schweigenden Mönch durchaus gerne Auskunft gibt. „Sie werden nicht glauben, was wir im Pfortendienst hier alles erleben!“. Es kämen immer mehr Leute, die sich einfach einmal aussprechen möchten, einen guten Rat wünschen oder das Gebet der Mönche erbitten. Zwei Brüder teilen sich diesen herausfordernden Dienst. 

Das Gebet ist zu Ende.
Bruder Antonius ist 82 Jahre alt und hat mehr als 2/3 seines Lebens hinter Klostermauern verbracht. „Die Pfarrer haben heute so viel zu tun und sind für die Leute nicht mehr so erreichbar.“ Hier an der Pforte ist immer jemand da. Wie er damit umgeht, dass er vielen Menschen nicht tatkräftig helfen kann, möchte ich gern wissen. Der Kartäuserbruder sagt, dass er in einer anderen Welt lebe und daher aus einer anderen Perspektive auf das Leben schaue. Er zitiert Schopenhauer um den Blick Gottes auf die Welt zu verdeutlichen: „Die Erde ist nunmehr nur eine der zahllosen Kugeln im unendlichen Raum, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen gezeugt habe.“ Und doch sei Gott diesen Menschen verbunden und ihren Sorgen nahe. Der Mönch spricht von seinem Vertrauen in Gott, der alles zum Guten wende. Darauf baue er und schließe die Sorgen der Menschen in sein persönliches Gebet ein.

Vor einigen Tagen hatte ich den Bad Wurzacher Pfarrer Stefan Maier gefragt, ob es pastorale Kontakte zu den Kartäusern gibt. „Nein!“, sagte er, „sie leben ganz für sich, weil sie das so wollen und es zu ihrer Spiritualität gehört.“ „Aber ich bin sehr dankbar, dass sie da sind und dafür, dass sie für uns alle beten. Das gibt mir Kraft.“

Freitag, 6. Juli 2012

Keine Schublade frei für Gerhard Ludwig Müller???


Er wird mir geradezu sympathisch, der Bischof em. Gerhard Ludwig Müller von Regenburg, inzwischen dort emeritiert und zum Erzbischof und „Dritten Mann im Vatikan“ ernannt. Gerade hat der Papst ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation berufen. Die Reaktionen darauf sind – gelinde gesagt - „gemischt“. Ich würde sagen: Meine Güte, hat der arme Mann Gegner! 
Selbst das sonst so sachliche ZDF garniert seinen Bericht über die Ernennung so mit Einseitigkeiten, dass man meinen könnte, Johann Tetzel persönlich sei zurückgekehrt. Oder Bischof Müller sei zum Großinquisitor ernannt und gleich wieder mit diesem Titel ausgezeichnet worden. Dabei wäre es doch eigentlich einmal ein guter Anlass gewesen, fröhlich zu jubilieren und zu rufen: „Wir sind Papst...“, nein, das jetzt nicht... Aber warum nicht einfach froh darüber sein, dass ein deutscher Theologe auf diesen vor allem theologisch so wichtigen Posten berufen wurde. Schließlich wurde immer wieder betont, es sei das „drittwichtigste“ Amt im Vatikan. Und daher kann es doch nur gut sein, wenn hier jemand arbeitet, der von der Sache etwas versteht und eigenständig zu denken gelernt hat. 

„Als Präfekt der Glaubenskongregation ist dieser bornierte Scharfmacher fehl am Platz“, soll Hans Küng gesagt haben. Es versteht sich von selbst, dass auch „Wir sind Kirche“ von der Ernennung nicht erfreut ist. Schließlich hatte Gerhard Ludwig Müller als Bischof von Regensburg mit den engagierten Laien gerne einmal „die Klinge gekreuzt“ und so manchen Strauß ausgefochten. Manchmal sogar vor kirchlichen und weltlichen Gerichten. Trotzdem bescheinigt der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Albert Schmidt dem Bischof einen „ansteckenden Humor“ und sieht in ihm eine „Idealbesetzung in diesen schwierigen römisch-vatikanischen Zeiten“. Gerhard Ludwig Müller ist ein Freund des offenen Wortes und ich finde, manchmal schießt er auch über das Ziel hinaus, z.B. als er „Wir sind Kirche“ als „parasitäre Existenzform“ bezeichnete. Was er damit meint, formuliert er nun im Interview mit Radio Vatikan so: „Es darf nicht sein, dass die Einheit der Kirche Gottes gestört wird durch Ideologien, sektenhafte Art – am linken oder rechten Rand –, die auf sonderbare Weise kollaborieren und so der Kirche schaden. Diese Gruppierungen haben leider in manchen Medien mehr Resonanz als die vielen Millionen Gläubigen, die den Weg der Nachfolge Jesu Christi gehen und Vieles und Gutes leisten für den Aufbau der Kirche." Ich mag ihm und seinen Einschätzungen nicht widersprechen. Zumeist lohnt es sich bei Müller, den ganzen Text zu lesen und von dort her die ein oder andere Spitze zu verstehen. Es wäre wünschenswert, wenn er selbst es seinen Kritikern durch übertriebene Zuspitzungen nicht zu leicht machen würde.

Man sollte nun meinen, wenn ein „(erz-)konservativer“ Bischof auf diesen Posten berufen wird, sollte die konservativ – fromme Szene jubilieren. Aber weit gefehlt: Pius-Bischof Alfonso de Galarreta kommentierte noch am selben Tag – offensichtlich spontan in seine Predigt zur Priesterweihe eingefügt – der Papst habe einen „Häretiker“ zum Glaubenswächter ernannt. Damit habe er sprichwörtlich „den Bock zum Gärtner“ gemacht (Das ist jetzt kein Zitat). Nun, de Galarreta hat ihn nicht direkt „Häretiker“ genannt, aber gesagt: „Es ist unglaublich, dass wir heute so weit sind, dass der Oberste Hüter des Glaubens Häresien verbreitet.“ Auf diese Unterscheidung (worin auch immer der Unterschied genau liegt) legte man zunächst bei der Piusbruderschaft wert. Doch nur einen Tag später legte man durch P. Matthias Gaudron nach, der eine offizielle Erklärung veröffentlichte und darin benannte, worin die Häresien des neuen Präfekten der Glaubenskongregation denn nun – nach Ansicht seiner Bruderschaft – bestehen. Ob er für diesen Text wohl die Originaltexte Müllers gelesen hat? Jedenfalls klingt die Erklärung, als habe er sie eher bei kreuz.net und den einschlägigen Blogs zusammengestoppelt. Vom Dogmatiker der Piusbruderschaft hätte ich mehr erwartet! 
Und die Vorwürfe sind zumeist so auf einen Satz zugespitzt, dass man sich fragt, was Gaudron und seine Piusbruderschaft mit dieser Attacke erreichen möchten. Immerhin ist der zukünftige Kardinal Müller letztlich der Mann, der in Sachen Versöhnung mit der Bruderschaft ein sehr gewichtiges Wort mitzusprechen hat. Will man hier gleich im Vorfeld das persönliche Klima so vergiften, dass ein Scheitern der Versöhnungsbemühungen dem Vatikanischen Behörden in die Schuhe geschoben werden kann? Ich mag mir die taktischen Spielereien (mit dem Feuer) hinter den Kulissen der Piusbruderschaft gar nicht ausmalen. Schade, wie hier das Entgegenkommen des Hl. Vaters verspielt wird. Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich sehr gespannt, was Bischof Müller oder Bischof Fellay zu einer Befriedung der Situation beitragen wollen.
Es kann doch selbst in der Piusbruderschaft niemand ernsthaft glauben, dass der Hl. Vater nicht intensiv geprüft hat, wen er für diese gewichtige Aufgabe beruft und ob seine theologischen Positionen der Lehre der Kirche widersprechen. Wenn die Einzelsätze aus dem theologischen Werk des Bischofs (der gleichzeitig Herausgeber der gesammelten Werke des Papstes ist und bleibt) Anlass zu lehrmäßigen Beanstandungen geben würden) hätte man dies sicherlich im Vorfeld geklärt. Schließlich ist z.B. das Lehrbuch zur Dogmatik des Regensburger Bischofs sogar schon vor seiner Bischofsweihe erschienen. Erste gewichtige Verteidiger von Müller melden sich auch schon entsprechend zu Wort (z.B. Don Nicola Bux)). Nun gut, im Grunde verwundert es natürlich nicht, dass ein dem Sedisvakantismus zuneigender, irregulär geweihter Bischof eigentlich in jedem nach dem 2. Vaticanum geweihten Bischof (mit Ausnahme vielleicht von Albert Malcolm Kardinal Ranjith Patabendige Don ;-)) einen Häretiker erblickt.
Bischof Gerhard Ludwig Müller, ich muss es gestehen, ist mir bisher nicht besonders sympathisch gewesen. Aber, dass seine Ernennung derart widersprüchliche Reaktionen hervorruft, dürfte Beleg für seine Vielseitigkeit und sein eigenständiges Denken sein. So mag es seine Kritiker aus dem „linken Lager“ erstaunen, dass er gemeinsam mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez ein Buch herausgegeben hat und offensichtlich sogar mit ihm befreundet ist. Als „Ökumenebischof“ war er bei den evangelischen Schwestern und Brüdern in Deutschland durchaus geschätzt und das sogar eher wegen als trotz seiner offenen Worte und seines theologischen Sachverstandes.
Der Mann sprengt die Klischees!
Wie auch immer – ich mache mir wegen der Ernennung von Gerhard Ludwig Müller zum Präfekten der Glaubenskongregation keine Sorgen mehr. Im Gegenteil! Ich bin gespannt, was dieser Mann uns zu sagen hat und ob es ihm gelingt, den Glauben und das Nachdenken über den Glauben wieder mehr zum Gesprächsthema zu machen. Es würde mich freuen, wenn er im Konzert der Meinungen den „vielen Millionen Gläubigen, die den Weg der Nachfolge Jesu Christi gehen und Vieles und Gutes leisten für den Aufbau der Kirche“ eine Stimme gibt und vor allem ihnen sein Ohr leiht und Aufmerksamkeit schenkt. 

Mehr über Erzbischof Müller gibt es bei Wikipedia, den Text von P. Gaudron kann man hier lesen: www.pius.info/offizielle-stellungnahmen/698-distrikt-stellungnahmen/6947-presseerklaerung-zur-ernennung-von-bischof-mueller
Hier findet sich etwas über die Entgegnung aus Rom: www.kath.net/detail.php?id=37270
Und hier eine Beschwerde über die Einseitigkeiten im ZDF: www.kath.net/detail.php?id=37223

Mittwoch, 27. Juni 2012

Bischof Gregor Maria Hanke ./. Prälat Peter Neher

Diesmal soll mein Blog-Beitrag in einem Brief an den Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke OSB bestehen. Als normaler Katholik war ich etwas irritiert über den - wenn auch unfreiwillig - öffentlich ausgetragenen Disput. Hierauf versuche ich mit diesem Brief an Bischof Hanke zu reagieren. Möglicherweise ist mein Brief auch für den ein oder anderen Leser dieses Blogs interessant.

Lieber Bischof Gregor Maria Hanke!

Bitte entschuldigen Sie, dass ich diese vertraute Ansprache der formalen Anrede vorziehe. Nehmen Sie es bitte als Zeichen der inneren Verbundenheit mit Ihrer Person und Ihrem Amt.
In diesen Tagen wurde offensichtlich durch eine Indiskretion Ihr Brief an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher publik. Ihr Ordinariat hat bestätigt, dass dieser Brief authentisch ist.
Auch wenn er nicht an mich gerichtet war und Ihnen selbst die Veröffentlichung nicht recht sein kann, erlauben Sie mir aus der Perspektive eines vierfachen Familienvater, der zudem Vater eines „echten Krippenkindes“ ist, eine Reaktion auf die von Ihnen aufgeworfene Problematik.
Lassen sie mich vorab betonen, dass ich eine gewisse Verbundenheit mit Ihnen empfinde, da ich ein hohe Interesse am Orden des Hl. Benedikts habe, Ihren Ordensgründer sehr verehre, Ihr persönliches Engagement für die Bewahrung der Schöpfung hoch schätze und mir als Pastoralreferent in der Katholischen Diözese Münster das Wort eines Bischof durchaus etwas bedeutet.
Als ehemaliger Benediktinerabt werden Ihnen die Worte des Hl. Benedikt über den Abt noch im Herzen klingen. „Bei Zurechtweisungen gehe er mit Klugheit vor und gehe nie zuweit, sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er es allzu sauber vom Roste reinigen will. Er rechne immer mit seiner eigenen Schwäche und erinnere sich, dass man ein geknicktes Rohr nicht vollends brechen darf. Damit wollen wir jedoch nicht sagen, er dürfe Fehler fortwuchern lassen, vielmehr soll er sie, wie schon gesagt wurde, mit Klugheit und Liebe ausrotten in der Weise, die er für jeden einzelnen zuträglich findet.“
Ob Sie diese Worte bei der Abfassung Ihres Briefes wohl ausreichend beherzigt haben? Ich bin jedenfalls verwundert über den scharfen Ton Ihres Briefes. Ich habe die Äußerungen von Prälat Neher (soweit sie mir zugänglich waren) noch einmal gelesen. Er spricht sich ja in keiner Weise gegen eine „Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsleistungen“ aus. Im Gegenteil! Er fordert sie ebenso und macht auch konkrete Vorschläge hierzu. Vielleicht hätte er an einer Stelle noch einen Satz wie den Folgenden anfügen können: „Nun, das, was da mit dem Erziehungsgeld kommen soll ist nicht gut, es ist nicht unbedingt sozial gerecht, aber es ist besser als gar nichts...“
Dass Sie in Ihrem Brief dem Caritasverband sogar eigene ökonomische Interessen unterstellen empfinde ich als besonders problematisch. Gerade wo Sie selbst eine Dissonanz in widerstreitenden kirchlichen Meinungsäußerungen beklagen, sollten Sie doch auch selbst vermeiden, bestimmte, der Kirche nicht wohl gesonnene Kreise in ihrem Vorurteilen gegenüber dem Caritasverband (und der Kirche) zu bestärken.
Hier im Bistum Münster haben wir als Kirchengemeinde eigene Kinderbetreuungseinrichtungen. In beiden Einrichtungen unserer Gemeinde nehmen wir auch Kleinkinder auf. Nicht aus finanziellen Gründen oder weil wir gegen die „katholische Soziallehre“ arbeiten (wo genau ist denn hier eigentlich gesagt, dass die Soziallehre der Kirche sich gegen frühe Betreuung ausspricht?), sondern weil es einen Bedarf gibt; weil Eltern zur Berufstätigkeit gezwungen oder gedrängt sind und gute Betreuung brauchen; weil im Einzelfall den Kindern die Zeit in unserer Einrichtung gut tut und sie davon profitieren. Meine eigene, jüngste Tochter war von ihrem 6. Lebensmonat an in der Betreuung einer Caritas-Kindertageseinrichtung. Daher weiß ich auch, was das für das Kind und die Familie bedeutet.

Lieber Bischof Hanke! Ich kann Ihre Perspektive durchaus verstehen, unterstütze sehr die Vorstellung, dass der Staat und die Gesellschaft mehr tun müssen, um Eltern zu unterstützen, die die Kinder, die Gott uns schenkt gut zu versorgen und zu erziehen. Ich teile auch die Ansicht, dass ein Mehr an Betreuungsmöglichkeiten, das allenthalben, sogar von „christlichen“ Politikern gefordert wird, nicht die einzig notwendige Unterstützung ist, die Eltern benötigen. Es ist ja auch etwas widersinnig, von Unterstützung werdender und „seiender“ Eltern zu sprechen und das Miteinander von Eltern und Kindern durch immer neue Betreuungsformen und Ausweitung der Schulzeiten zu begrenzen. In unserem Bundesland NRW gibt es zur Zeit die widersinnige Diskussion, dass in der offenen Ganztagsschulen die Kinder möglichst bis zum Ende um 16.00 Uhr verbleiben mögen und nicht mehr flexibel und früher von den Eltern abgeholt werden sollen. Hier geht es vor allem um eine bessere Ausnutzung der Einrichtungen und damit der zur Verfügung gestellten Finanzmittel. Hier würde ich mir durchaus ein klares Wort eines Bischofs oder der Caritas wünschen.
Doch in meinem Wunsch nach „Anerkennung und damit Hochschätzung meiner Erziehungsleistung“ als Vater finde ich mich dennoch ebenso in Ihrem Grundanliegen und der im Brief an die Bayrische Staatsministerin Christine Haderthauer formulierten Position, wie auch in der Argumentation von Prälat Neher als Präsidenten des Deutschen Caritas-Verbandes wieder.
Ich kann nicht erkennen, dass der Caritasverband die erzieherische Eigenverantwortung der Eltern als unaufgebbares Prinzip kirchlicher Soziallehre in Frage gestellt hat. Wo seine Aussagen der „katholischen Soziallehre“ widersprechen, erschließt sich mir weder aus der Kenntnis der katholischen Soziallehre noch aus der wiederholten Lektüre Ihres Briefes an Prälat Peter Neher.

Aber so wenig das Betreuungsgeld diese elterliche Eigenverantwortung unterstützt, so wenig nehme ich wahr, dass sich der Caritasverband vor den Karren mancher Familienideologen spannen lässt, die glauben, dass eine externe Erziehung der Kinder in Krippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen dem erzieherischen Einfluss der Eltern vorzuziehen sei. Aber die Situation der Familien ist heute bunt und vielschichtig. Sie brauchen eine individuelle Unterstützung und Förderung, die eben nicht immer in zusätzlichem Geld und weniger pädagogischer Begleitung besteht. Es ist und bleibt auch problematisch, dass die jetzt umzusetzende Variante des Betreuungsgeldes gerade dort nicht ankommt, wo mehr Geld in den Familien echte Not wenden könnte. Es wäre doch viel sinnvoller, genau hinzuschauen und passgenau mit dem zu helfen, was in dieser besonderen Familie gerade gebraucht wird. Manchmal ist das Geld, manchmal ist es frühe Förderung und Betreuung durch Fachkräfte in der Familie und in Einrichtungen, manchmal seelsorgliche Begleitung, Verständnis und Zuwendung. Und genau davon hat ja auch Prälat Neher gesprochen.

Ich frage mich, warum Sie als Bischof, bei allem – in Ihrem Brief förmlich spürbaren Ärger über die eine oder andere Argumentationsspitze des Prälaten – nicht zum Telefonhörer greifen, sich durchstellen lassen und mit ihrem Amtsbruder ein klärendes Gespräch im „nichtöffentlichen“ Raum suchen. Bisher hatte ich es als angenehm empfunden, dass Prälat Peter Neher in der öffentlichen Diskussion eine kritische Stimme war, die sowohl den politischen Gegnern des Betreuungsgeldes widersprach, indem er sagte: jawohl, Familien brauchen finanzielle Hilfen als auch den politischen Freuden dieser Geldleistung, indem er sagte: aber auch mit dem Betreuungsgeld bleiben die Probleme in den Familien und da müsst ihr noch mehr tun, statt euch nun gemütlich zurückzulehnen und auf das Betreuungsgeld zu verweisen.

Aber ich würde gerne noch auf meine Erfahrungen als Familienvater zurückkommen. Als Pastoralreferent, der in der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit tätig ist, kenne ich viele Familien und deren manchmal schwierige Situation.
Schön wäre es, wenn die Betreuungseinrichtungen möglichst passgenaue Betreuungsangebote anbieten würden, die uns Eltern entlasten (so wir berufstätig sein müssen) und uns dennoch erlauben, so viel Zeit als möglich mit unseren Kindern zu verbringen. Da fehlt es insgesamt noch an Vielseitigkeit, Flexibilität und Kundenfreundlichkeit.

Leider ist in all den aktuellen Diskussionen viel zu viel Ideologie im Spiel. Oft sind bestimmte „wissenschaftliche“ Befunde von Interessen und erkenntnisleitenden Überzeugungen bestimmt. Das gilt leider auch für die Diskussion über die psychischen Folgen der frühen Betreuung oder über den erhöhten „Kortisolspiegel“ bei Kindern. Hier würde ich mir mehr unvoreingenommene Fachlichkeit bei klarer Parteinahme für das wirkliche Wohl der Kinder wünschen. Die Ursache psychischer Auffälligkeiten ist vielschichtig und nicht selten liegt sie eher in den Familien begründet denn in anderen Einflüssen.
Sie schreiben: „Es ist unbestreitbar, dass es für ein Kleinkind im Normalfall kaum einen besseren Hort der Erziehung und der ge-/erlebten Wertevermittlung gibt als das Leben innerhalb der eigenen Familie.“ Ich hoffe sehr, dass diese Aussage zumindest für meine Familie und unsere vier Kinder stimmt. Auch wir bemühen uns sehr, unsere Kinder zu gläubigen Menschen zu erziehen. Ob uns das besser als anderen Familien gelingt? Manchmal zweifle ich durchaus daran.
Die Vielfalt in den Familien, die ich in meiner Arbeit aber auch in der Schule und im Kindergarten erlebe, ist groß. Der „Normalfall“ ist heute selten. Und ich erfahre auch, dass meinen Kindern die Zeit im Kindergarten, in der Betreuung, in der Schule gut tut. Dass sie dort Dinge erfahren, auch Werte vermittelt bekommen, die ich ihnen im Rahmen unseres Familienlebens nicht hätte vermitteln können. Dabei kommt unsere Familie dem Familienideal der katholischen Soziallehre vermutlich näher als bei manchen anderen Familien. Um so mehr gilt dies für die Familien in denen Kinder allein, einzeln aufwachsen.

Sie werden mich hoffentlich nicht falsch verstehen. Es ist ein hohes und wichtiges Ideal, das auch von Ihnen verteidigt wird und ich gehe sehr davon aus, dass Ihnen die Sorge um ein gelingendes Familienleben mit den entsprechenden Rahmenbedingungen sehr am Herzen liegt.

Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Kirche hier mit einer Stimme spricht, Partei für Familien in ihrer ganzen Vielfalt ergreift (selbst dann, wenn sie sich vom kirchlichen Familienideal entfernt haben) und sich spürbar von der Lebenswirklichkeit der Familien inspirieren und von Familienvätern und Müttern beraten läßt. Die Verantwortung hierfür liegt aber auch innerhalb der bischöflichen Amtsführung. Ganz bestimmt gibt es in der verfassten Caritas einen „Entweltlichungsbedarf“ und an der ein oder anderen Stelle auch deutlich Reformbedarf. Ich fände es gut, wenn die Bischöfe hier in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen der Caritas einen guten Weg finden und nicht über halböffentliche Briefe verkehren, die sowohl auf die Arbeit der Caritas als auch die Absichten der Kirche einen gewissen Schatten werfen.
Ich bin jedenfalls dankbar, dass sowohl Prälat Neher als auch Sie, Bischof Hanke, eine Lanze für uns Familien brechen möchten. Ich nehme wahr, dass Sie jeweils andere Familienwirklichkeiten im Blick, aber letztlich das eine Ziel vor Augen haben.
Möge es auf die Fürsprache des Heiligen Menschenkenners Benedikt gelingen, dass Sie miteinander für das Wohl der Kinder und Familien etwas zum Besseren bewegen können. So verbleibe ich im Gebet verbunden mit frohem Gruß!
Ihr
Markus Gehling

P.S.: Ich erlaube mir, diesen Brief an Sie auch Herrn Prälat Dr. Peter Neher zur Kenntnis zu geben und ihn in meinem katholischen Blog www.kreuzzeichen.blogspot.com zu veröffentlichen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort geben könnten.


Die Stellungnahmen von Prälat Dr. Peter Neher:

Mittwoch, 13. Juni 2012

Richard Steiner und Rudolf Williamson?

Was sagt Ihnen eigentlich der Name Rudolf Steiner? Denken Sie – bevor Sie weiter lesen – doch einem Moment hierüber nach.
Die meisten Menschen werden vermutlich sagen: kenne ich nicht! Der Name ist mir fremd! Lebt der noch? Vermutlich kommen Sie aber darauf, wenn ich Ihnen ein weiteres Stichwort hinzu gebe: Waldorfschule! Ach ja, auf Steiners Ideen beruht die Pädagogik der Waldorfschule und er ist der Begründer der sog. Anthroposophie. Viele Menschen, die heute in Bioläden „Demeter“-Waren oder biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel erwerben, ahnen gar nicht, wie viel das mit den Ideen Rudolf Steiners zu tun hat. Steiner lebte von 1861 bis 1925. Hier ist nicht der Platz, eine so vielfältige Persönlichkeit und ein so vielfältiges Werk (Hunderte von Büchern, Aufsätzen und Vorträgen) zu würdigen. Aber, nur die wenigstens „Fans“ des biologisch-dynamischen Landbaus oder der Waldorfpädagogik haben sich umfassend mit Steiners Werk auseinandergesetzt. Das wird auch schwer fallen, angesichts der schieren Menge der überlieferten Texte. Manche seiner Gedanken sind durchaus anregend und sympathisch. Seine Sprache ist „speziell“ und manche seiner theologisch – philosophischen Gedanken muten uns heute fremd an. Wer einmal an einem Gottesdienst, einer sog. Menschenweihehandlung in der von Steiner inspirierten Christengemeinschaft teilnehmen konnte, wird in der äußeren Form manches finden, was katholisch anmutet. Auch die hohe Verehrung, die die Anhänger der Anthroposophie und der Waldorfpädagogik einigen katholischen Heiligen entgegen bringen, macht neugierig. Alles in allem, ist das „Katholische“ in seiner Lehre aber eher Äußerlichkeit und die Gedankenwelt dahinter wirkt eigentümlich verstaubt und überholt. Viele von Steiners Erkenntnissen halten einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht mehr stand. Was die biologisch-dynamischen Landwirte aber nicht davon abhält, die Äcker in bestimmten Mondnächten mit Ackerschachtelhalmtee oder Heilpflanzenextrakten zu „informieren“. Wer sich mit Steiners Lehre beschäftigt, blickt wie durch ein Guckloch in die Gedankenwelt bestimmter Kreise des frühen 20. Jahrhunderts.

Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich mich mit den Schriften der Piusbruderschaft beschäftige, die für sich selbst beansprucht, den theologischen Schatz von 1.900 Jahren Kirchengeschichte zu bewahren. Auch hier schaue ich durch ein Schlüsselloch in eine vergangene Geisteswelt, allerdings scheint es mir weit eher nur die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sein. Ich denke, die Bruderschaft nennt sich auch deshalb nach dem Hl. Papst Pius X. (Amtszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts von 1903 bis 1914) und nicht nur wegen des Antimodernisteneides und weil sie ihn für einen der letzten „vollständigen“ Päpste hält, ohne die aus Sicht der Bruderschaft – bei seinen späteren Nachfolgern diagnostizierten theologischen Defizite. Nicht von ungefähr – so meine ich – verwendet die Bruderschaft in ihren Publikationen vor allem Bilder aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 und stattet auch ihre Kirchen und Sakristeien mit liturgischer Kunst dieser Zeit aus. Schauen wir einmal in die Kirchengeschichte, so ist das eine Zeit der Rückkehr zu alten Bauformen und zu – meist pseudo – mittelalterlicher Kunst. „Neoromanik“ und „Neogotik“ lauten die Stichworte und „Historismus“. Von ihrer religiösen Wirkung und künstlerisch-architektonischer Kraft her bleiben diese Plagiate aber weit hinter den Originalen zurück.

Heute stellt sich für uns die Diskussion um die Wiedereingliederung dieser Gemeinschaft in die katholische Kirche vor allem als ein Streit um in rechten Weg in Liturgie und Theologie dar. Aber vermutlich ist es viel mehr und die Gedankenwelt der Anhänger der Piusbruderschaft ist wesentlich vielfältiger. Ginge es „nur“ um diese Fragen, so ließe sich in der doch sehr vielfältigen katholischen Kirche sicherlich eine einfache Lösung finden und ein Platz für diese Gemeinschaft.

Aber es geht vielen in ihr um das „große Ganze“. Der extreme Zweig hält an der Überzeugung fest, dass es nur eine wahre katholische Kirche gebe und die sei nicht nur „subsistit in“ sondern sie ist allein die Piusbruderschaft. Jedenfalls gilt das so lange, bis sich „Rom“ zum „Ewigen Rom“, also den Vorstellungen der Piusbruderschaft bekehre. Vor dem Hintergrund dieses Denkens kann es keine Einigung geben. Diese extreme Auffassung vertreten vor allem die drei Titularbischöfe Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta.

Es hat den Hl. Vater Benedikt XVI. besonders in Bedrängnis gebracht, dass der konvertierte Anglikaner Richard Williamson sich im Umfeld der Bemühungen um eine Aufhebung der Exkommunikation der „gültig aber unerlaubt“ geweihten Bischöfe der Piusbruderschaft als Holocaustverharmloser präsentierte. Vermutlich hat man im Vatikan bei der Prüfung dieser Angelegenheit vor allem auf die frommen Überzeugungen der Bruderschaft geblickt und weniger darauf, dass die Gründung der Piusbruderschaft auch politische Hintergründe hat und dass hinter all der Theologie auch politische bzw. kirchenpolitische Überzeugungen stehen. Es ist doch eigenartig, dass gerade ein sich katholisch nennender Christ, gar Priester und Bischof irgendwelche Sympathien für die Nationalsozialisten zu Protokoll gibt. Schließlich waren gerade Katholiken für die Nationalsozialisten ein rotes Tuch. Heute zeigt sich mehr und mehr, dass Williamson ein erbitterter Gegner der Rückkehr der Gemeinschaft in den „Schoß“ der Kirche ist und auch genau so agiert. Ist es da so unwahrscheinlich zu fragen, ob die Holocaustleugnung nicht Methode hatte? Mit keiner theologischen Provokation wäre der Papst derart in Bedrängnis geraten, wie nach dem Bekanntwerden dieser Aussage. Ein probates Mittel also, eine Annäherung zu torpedieren. 

Aber sicher fallen die antisemitischen und antijudaistischen Positionen nicht vom Himmel. Innerhalb der Piusbruderschaft ist durchaus ein gestörtes Verhältnis zum Judentum zu beobachten, was zu zahlreichen zumindest sehr grenzwertigen Aussagen führt. Stilblüte am Rande: In den Ausgaben ihres Mitteilungsblattes 4+5/2012 präsentiert sie den angeblich orthodoxen (im Judentum höchst umstrittenen) Juden Reuven Cabelmann als Kronzeugen ihrer Judentumsfreundlichkeit und stellt den Lesern zudem eine sehr spezielle jüdische Splittergruppe unter den ultraorthodoxen Juden vor, nämlich die, die ausgerechnet den Zionismus und die Gründung des Staates Israel vehement ablehnen. Einer ihrer wenigen Vertreter in Deutschland ist Cabelmann. Damit bedient sich die Piusbruderschaft gewisser Stereotypen, die auch von Rechtsextremen in Deutschland gern benutzt werden. Das vom Verfasser des Artikels präsentierte Bild des orthodoxen Judentums ist allerdings nicht mehr als ein Zerrbild oder letztlich eher als ein Spiegelbild der Beziehungen zwischen Piusbruderschaft und katholischer Kirche.

Aber, vermutlich liegt bei Williamson noch mehr im Argen. Seine Sympathie für totalitäre Regierungen deckt sich mit der Idee einer Beziehung von „Kirche und Staat“ in der die Kirche in bestimmten Fragen das staatliche Handeln zu lenken hat. Von klarer Trennung zwischen Kirche und Staat ist in der Piusbruderschaft nur selten die Rede. Und wer im Besitz der Wahrheit ist, wird auch wohl das Bestreben haben, diese Wahrheit auch mit Mitteln der Macht in die Tat umzusetzen und andere Menschen im Zweifel „in die Wahrheit“ zu zwingen. Kardinal Henri Schwery aus der Schweiz hat kürzlich noch auf diesen Aspekt hingewiesen. Im Extremfall also ein totalitärer Staat unter dem Christus König, geführt von seinen Stellvertretern auf Erden.
In solchen Denkwelten stören natürlich die Wortmeldungen und die Lehre eines amtierenden Papstes weit mehr als wenn man nur im Kontakt mit dem „ewigen Rom“ steht, das in der Regel nicht widerspricht. In manchen „liberalen“ Kreisen der Kirche gibt es ja ähnliche Phänomene.

Aber die Piusbruderschaft ist nicht nur Williamson und seine Anhänger. Für dessen Anhänger (die sich z.B. in Deutschland geballt bei kreuz.net tummeln) kann es keine Einigung mit der katholischen Kirche geben. Sie würden sich hiermit den Ast absägen, auf dem sie sitzen, denn sie müssten die Kirche und ihren Papst als rechtmäßig anerkennen und sich zumindest mit seinen Ansichten und Lehren auseinandersetzen. Aber sie sind es seit Jahrzehnten nicht gewohnt, ihre Ansichten in Frage stellen zu lassen. Sie verkünden sie schließlich in der Autorität des „ewigen Rom“ und letztlich glauben sie den Willen Christi zu kennen. Bernard Tissier de Mallerais fasste diese Haltung einmal so zusammen: „Wir ändern unsere Positionen nicht, aber wir haben die Intention, Rom zu bekehren, das heißt, Rom zu unseren Positionen zu führen.“ Wenn sie ehrlich sind müssten sie zugeben, dass sie – notdürftig getarnte – Sedisvakantisten sind, solche Spinner, die den Papst und seine Autorität völlig ablehnen und irgendwann selbsternannten Gegenpäpsten nachlaufen.

Mein Eindruck ist allerdings, dass die Mehrheit in der Piusbruderschaft das inzwischen alles anders sieht. Dass es ihnen vor allem um die liturgische Heimat und die Treue zu überlieferten Glaubensüberzeugungen geht. Ich vermute, dass es – je tiefer man in der Hierarchie geht – immer mehr sind, die sich eine Rückkehr in die katholische Kirche und einen Platz darin von Herzen wünschen. Steht es bei den Bischöfen noch 1 (Bernhard Fellay) zu 3, so kehrt sich bei den Priestern dieses Verhältnis vermutlich um und noch besser dürfte es bei den Laien und Ordensleuten sein.

Natürlich steckt in den Überzeugungen der Traditionalisten manche (vorsichtig gesagt) Einstellung, die höchst problematisch ist. Aber mit dem Weg in die Kirche muss die Gemeinschaft auch bereit sein, sich in Frage stellen zu lassen. Sie müssen ihre Positionen an der Wirklichkeit erproben. Und mancher andere Katholik muss sich mit den Meinungen der Piusbruderschaft konfrontieren lassen. Ich hoffe, da klärt sich dann manches. Und ich hoffe, den Verantwortlichen der Piusbruderschaft geht auf, dass beim eiligen Abschied aus der „großen Kirche“ auch manches mitgenommen wurde, was nicht bewahrt gehört, sondern auf den Müllhaufen der Geschichte. Da gibt es nämlich auch manches, was nur durch Zufall im Traditionsregal der Kirche stand und nicht, weil Jesus Christus es uns anvertraut hat. Man erkennt noch viel Ideologie des späten 19. Jahrhunderts, die mit dem echten Glauben nichts zu tun hat. Weg damit!
Vielleicht finden wir „normalen“ Katholiken in diesem Regal auch den ein oder anderen Schatz wieder, der in der Umbruchphase der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verschwunden ist. Das alles wird sicher ein langer Weg. Ich hoffe, dass möglichst viele ihn mit gehen.

http://www.pius.info/

Montag, 28. Mai 2012

Von ATHANASIUS von Alexandrien zu Athanasius von Astana


Athanasius der Groß
Schon als Kind ließ mich in der Allerheiligenlitanei ein Name ganz besonders aufhorchen. Heiliger Athanasius – bitte für uns. Während die Namen der „vertrauten“ Heiligen nur so dahinplätschern und man sich im wohltuenden Wechselgebet zwischen Priester und Gemeinde aufgehoben fühlt, so erklang dieser Name wie ein Donnerschlag. Athanasius, das klingt nach Energie, nach Nähe zum Ursprung, nach unverrückbarem Fundament, nach geistlicher und sprachlicher Kraft.
Erst viel später habe ich nachgesehen, um welchen „Athanasius“ es sich handelt. Es ist Athanasius der Große. Sein griechischer Name bedeutet „der Unsterbliche“. Als Bischof von Alexandria war er entschiedener Gegner des Arianismus (der Idee, Jesus Christus sei Geschöpf des Vaters). Neben Nikolaus von Myra und vielen weiteren Bischöfen war er Teilnehmer des Konzils von Nicäa. Ganz im Gegensatz zum starken Namen war er wohl ein kleiner schwarzer Mann, seine Gegner verspotteten ihn als „schwarzen Zwerg“. Zeit seines Lebens war er zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt und musste immer wieder vor seinen Verfolgern fliehen. Die Wahrheit, die er im Glauben erkannt hatte, verteidigte er Zeit seines Lebens.
Es ist sicher gut, einem solchen „Kirchenvater“ zu nachzufolgen. Und wenn man das aufregende Leben des „heiligen schwarzen Zwerges“ im theologischen Hinterstübchen hat, dann wird man besonders aufmerksam, wenn man heute einem Menschen begegnet der diesen Namen trägt. Kennen Sie da einen? Ich wüsste nicht, dass in den über 30 Jahren, die ich sehr bewusst in der Kirche lebe, ein einziges mal erlebt habe, dass ein Kind (nicht einmal mit zweitem oder drittem Namen) Athanasius getauft wurde.
Den dazu notwendigen frommen Mut hatten wohl auch Josef Schneider und seine Frau Maria nicht, als sie ihren Sohn im Jahre 1961 auf den Namen Anton tauften. Aber immerhin kommt das von Antonius, und wenn sie als seinen Namenspatron den Wüstenvater gewählt hatten, dann war er der, dessen Lebensbeschreibung aus der Feder des Athanasius bis heute berühmt ist.
Bischof Atanazy Schneider ORC
Als Anton Schneider nunmehr im Jahre 1982 dem Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz beitrat, legte er den Vornamen des Wüstenvaters ab und nahm als Ordensnamen den Namen des urchristlichen Bischofs an. Seit 2006 ist er selbst Weihbischof Athanasius von Astana in Kasachstan. Zum Bistum gehören 21 Pfarreien und ca. 90.000 Katholiken, die von 34 Priestern betreut werden. Der Weihbischof ist seitdem viel unterwegs, hält zahlreiche Vorträge und feiert Hl. Messen, vor allem im außerordentlichen Ritus. Wer seinen Namen googelt findet Belege seines Wirkens in vielen Orten der Welt. Mehr über die Kirche in Kasachstan findet sich auch in deutscher Sprache hier: http://www.catholic-kazakhstan.org/
Sehr populär wurde Weihbischof Athanasius Schneider ORC in einigen Kreisen in Deutschland durch sein Buch „Dominus est“ mit Gedanken über die Hl. Kommunion. Auf dem Titel ist ein sehr hübsches Bild zu sehen, auf dem Papst Benedikt XVI. einem Erstkommunionkind die Hl. Kommunion spendet. Zum Inhalt dieses Buches und zum kraftvollen Vornamen des Verfassers passt, was dieser kürzlich in einem Vortrag in Paris (15.1.2012) ausführte. Er sprach – unter anderem von den „fünf Wunden am liturgischen Leib der Kirche“.
Sie ahnen schon, was er meinen könnte... (1. Zelebrationsrichtung, 2. Handkommunion, 3. neue Opferungsgebete, 4. Verschwinden der lat. Sprache und schließlich 5. Frauen im liturgischen Dienst. Möglicherweise ist diese bildhafte Sprache ja eine Besonderheit der kasachischen Frömmigkeit, ich muss aber ehrlich gestehen, dass mich die Gleichsetzung der Wunden Jesu und der – nach Auffassung von Weihbischof Athanasius – fünf Irrungen und Wirrungen des liturgischen Lebens etwas irritiert zurücklässt. Mir wäre es etwas nüchterner lieber gewesen. Ich habe in einem alten Gebetbuch einmal gelesen, man soll den Namen Jesu nicht unwürdig aussprechen.... Diese Art, seine persönlichen Anliegen und Überzeugungen mit dem Leben Jesu zu verbinden würde für mich darunter fallen. Letztlich möchte Bischof Athanasius Schneider ORC auf folgendes hinaus: „Wenn man diese fünf Wunden heilen würde, dann wäre der Unterschied („der Bruch“) in der Liturgie der außerordentlichen und der ordentlichen Form des römischen Ritus beinahe aufgehoben.“
Vielleicht sollte es mich versöhnen, dass der Weihbischof davon spricht, dass die Wunden nach Heilung rufen. Das unterscheidet sie von den Wunden Jesu, die vor seiner Himmelfahrt nicht heilen konnten und die der Apostel Thomas am Auferstandenen in Augenschein nehmen wollte.
Ich möchte dem Weihbischof gar nicht in allen Punkten widersprechen. Mir geht es vielmehr darum zu bedenken, ob der Bruch, den er zu erkennen glaubt, vielleicht gar keiner ist. Daher möchte ich gern auf seine Argumentation in Sachen Zelebrationsrichtung eingehen.
Es liegt sicher eine gewisse Geringschätzung darin, wenn davon gesprochen wird, dass in der außerordentlichen Messform die Messe „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriert würde. Weihbischof Athanasius und mit ihm inzwischen viele Diskutanten sprechen daher inzwischen von „ad orientem, ad Crucem, ad Dominum“; also Zelebration nach Osten, zum Kreuz, zum Herrn hin. Oder, dass Gemeinde und Priester sich gemeinsam zum Herrn hinwenden. (Vielleicht sollte man in diesen Foren einmal darüber nachdenken, wie überzeugend es eigentlich ist „ad tabernaculum“ zu zelebrieren, wie es in den meisten Messen im außerordentlichen Ritus noch immer geschieht.)
Im „normalen“ Ritus wird üblicherweise „versus populum“ gefeiert. Aber manchmal wird das ebenso geringschätzig zugespitzt. Vielleicht sollte man besser von „versus participantes“ reden.
Ich halte es für falsch, hier zu behaupten, dass man „zum Volk hin“ schaut oder zelebriert. Jeder einigermaßen gebildete Katholik weiß, dass im Mittelpunkt der Altar steht. Dass also Priester und „Volk“ auf die eucharistischen Gaben schauen. Auf Christus, der in der Mitte der Gemeinde gegenwärtig ist. Auch ist vorgeschrieben, dass auf oder über dem Altar ein Kreuz sichtbar ist.
Also ist auch diese Zelebrationsrichtung nichts anderes als „ad Crucem“ und mehr noch „ad Dominum“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott Vater, dass Christus, ja dass das Wirken des Hl. Geistes nur auf eine Richtung hin „wirksam“ werden können. Anders als die Muslime kennen wir Christen daher auch keine verbindliche Gebetsrichtung und unsere Kirchen sind nicht konsequent orientiert bzw. geostet.
Am heutigen Pfingsttag hören wir im Evangelium, dass Christus in die Mitte seiner Jünger tritt. In der Lesung des Pfingsttages ist das Brausen und das Feuer des heiligen Geistes mitten unter ihnen, ohne dass sie genau beschreiben können was mit ihnen geschieht. Und wenn nur zwei oder drei in Jesu Namen beisammen sind, dann ist er mitten unter ihnen. Dem Apostel Thomas tritt Christus gegenüber und zeigt ihm seine Hände und seine Seite.
Immer wieder wird (auf den ersten Blick zu Recht) darauf hingewiesen, dass das Konzil überhaupt keine Veränderung der Zelebrationsrichtung gefordert hatte. Aber gleichzeitig darf man auch nicht so tun, als wäre die Zelebration „versus populum“ eine Erfindung übereifriger deutscher Priester. Sie war Teil der Liturgiereform, die Papst Paul VI. im Auftrag der Konzilsväter des 2. Vatikanischen Konzils umgesetzt hatte. Aber es entschied, dass der Altar frei stehen sollte, damit er die Mitte ist, auf die sich die Versammlung ausrichtet.
Vor einigen Jahren (2000) hatte Joseph Kardinal Ratzinger in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ Sympathien für die „alte“ Zelebrationsrichtung erkennen lassen. Aber schon 1966 schrieb er – wie ich finde recht nachdenklich - „Muss eigentlich wirklich jede Messe versus populum (=zum Volk hin gewendet) zelebriert werden? Ist es eigentlich so wichtig, dem Priester ins Gesicht schauen zu können, oder ist es nicht oft recht heilsam, daran zu denken, dass er Mitchrist mit den anderen ist und so allen Grund hat, sich gemeinsam mit ihnen zu Gott hin zu wenden und so mit allen zu sagen ‚Vater Unser’?“ Wer wird ihm da widersprechen wollen?
Interessant ist, dass die päpstliche Hauskapelle so eingerichtet ist, dass der Zelebrant gar nicht „hinter“ dem Altar stehen kann, der Papst zelebriert hier also grundsätzlich vor dem Altar. Im Vorwort zum ersten Band seiner gesammelten Werke geht er auf die – für ihn offensichtlich überraschend heftige Diskussion auf die Bemerkungen im „Geist der Liturgie“ ein und versucht die Positionen zusammenzuführen. So schreibt er, man solle „...einfach das Kreuz in die Mitte des Altares zu stellen, auf das Priester und Gläubige gemeinsam hinschauen, um sich so auf den Herrn hinführen zu lassen, zu dem wir alle miteinander beten.“ Der heutige Papst möchte offensichtlich vermeiden, dass man die Diskussion um die Gebetsrichtung „ideologisch“ auflädt.
Ich denke, dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen und (Be)Deutungen der Gebetsrichtung geben kann. Bei einem Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung stelle bzw. kniee ich mich auch zu einer Zeit der Stille und Anbetung mit den Gottesdienstbesuchern vor den Altar. In Taizé richten sich alle zum Gebet gemeinsam „zum Herrn hin“ aus. In vielen Gebetsformen ist diese Gebetsrichtung auch in „normalen“ katholischen Gemeinden üblich. Bei anderen Gelegenheiten versammelt man sich im Gebet um eine Mitte herum, die idealerweise auf Gott, auf Christus hinweist. Aber in der Messe kommt noch etwas hinzu. Hier ist es der Priester, der im Moment der Wandlung „in persona Christi“ handelt. Unser Gegenüber ist in der Tiefe nicht der Priester, es ist in Wahrheit Christus selbst. 

Lieber Weihbischof Athanasius Schneider OSC von Astana. Wäre es nicht schön, wenn wir gemeinsam die Wunden des Leibes Jesu verkündigen, wie am Feuer der Osternacht: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit behüte uns und bewahre uns Christus der Herr.“ Denn „Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.“


Aktuelle Predigt von Weihbischof Atanazy Schneider in Maria Vesperbild: www.gloria.tv/?media=295287. Darin greift er die Methapher von den Wunden am liturgischen Leib ebenfalls auf.