Freitag, 18. Januar 2013

(un)Gerechte Prügel für die Kirche?

(c) www.ko-tropfen-koeln.de 
Der Kölner Stadtanzeiger brachte die Geschichte an den Tag: In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2012 hatte eine junge Frau, 25 Jahre alt in der Kölner Innenstadt gefeiert. Was in dieser Nacht noch geschehen ist, daran vermochte sie sich nicht zu erinnern, als sie am nächsten Tag auf einer Parkbank in Köln-Kalk erwachte. Gemeinsam mit ihrer Mutter suchte sie die notdiensthabende Ärztin Dr. Irmgard Maiworm in Köln-Nippes auf, die üblicherweise im benachbarten Bergheim praktiziert. Die Ärztin äußerte nach der Untersuchung den schlimmen Verdacht, dass jemand der jungen Frau „KO-Tropfen“ verabreicht haben könnte. Möglicherweise sei sie während ihrer Bewusstlosigkeit vergewaltigt worden. Die Betroffene erinnerte sich noch, an der S-Bahn-Haltestelle auf den Zug nach Hause gewartet zu haben. Die Ärztin hatte sie über die möglichen Folgen einer Vergewaltigung aufgeklärt und zur Sicherheit die „Pille danach“ verschrieben, um eine mögliche Schwangerschaft auszuschließen.
Zur Beweissicherung (die Substanzen, die allgemein als KO-Tropfen bezeichnet werden lassen sich im Körper nur relativ kurze Zeit nachweisen) machte sich die Praxis per Telefon auf die Suche nach einem geeigneten Krankenhaus. Doch zu ihrer Überraschung weigerten sich zwei katholische Einrichtungen, das Opfer zu diesem Zweck aufzunehmen, wohl aus Sorge der jungen Frau die „Pille danach“ selbst verabreichen zu müssen. Erst im evangelischen Krankenhaus in Köln-Kalk wurde die Frau dann umfassend medizinisch betreut. 
Auch wenn das Erzbistum und der katholische Klinikträger das Geschehene umgehend bedauerten, um Entschuldigung baten und betonten, dass hier ein Missverständnis vorgelegen haben müsse ging die Geschichte einen Tag später durch sämtliche Medien. Bistum und Krankenhausträger – wie auch zahlreiche andere kirchliche Kliniken - teilten umgehend mit, dass die medizinische Versorgung eines Vergewaltigungsopfers selbstverständlich in jeder katholischen Einrichtung gesichert sei, allerdings mit Ausnahme der Verschreibung der „Pille danach“, was das Krankenhaus aus christlichen Überzeugungen ablehne.
Trotz allen Bedauerns und aller weitergehenden Erklärungsversuche: das Bild in der Öffentlichkeit ist (wieder einmal) verheerend. Überall lauten die Schlagzeilen: „Katholische Kliniken weisen Vergewaltigte ab!“ Von „unterlassener Hilfeleistung“ und „Strafvereitelung“ ist die Rede. 
Ich möchte nun gar nicht auf die Fehler, Widersprüche und Vereinfachungen selbst in seriösen Veröffentlichungen eingehen. Den genauen Sachverhalt möchte das NRW-Gesundheitsministerium aufklären. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht allerdings keinen Grund der Sache nachzugehen. Was auch immer die Nachforschungen ergeben werden ... in den Köpfen der meisten Menschen wird hängen bleiben: Der Kirche ist die „reine, saubere Morallehre“ wichtiger als die Not eines Menschen. All die aufopfernde Arbeit zahlreicher Ärzte und Ordensschwestern, Pfleger und Pflegerinnen in der Krankenpflege, all die engagierte Hilfeleistung, das „für die Kranken da sein“ mit aller Kraft, wird in den Augen vieler Menschen nichts gelten gegen diese Schlagzeilen. 
Schon rufen wieder interessierte Kreise und die Leute an den Stammtischen und auf der Straße nach einer Trennung von „Kirche und Staat“ und der Verstaatlichung kirchlicher Krankenhäuser und weiterer Einrichtungen. 
Der bekannte Kölner Pfarrer Franz Meurer aus Köln–Vingst sagte im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: „Die katholische Kirche vertritt eine klare moralische Position. Eine solche Position läuft allerdings Gefahr, nicht verstanden zu werden. Gerade dann, wenn sie sich der Realität stellen muss, so wie es in dieser besagten Nacht passiert ist.“
Vielleicht zeigt die Situation recht eindringlich einen Aspekt dessen, was Papst Benedikt mit seinem Ruf nach „Entweltlichung“ gemeint hat. Wer in der pluralen und vielgestaltigen Gesellschaft Deutschlands eine weitgehend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung betreibt, der muss immer wieder Kompromisse machen. Im alltäglichen Leben kommt man mit der „reinen Lehre“ nicht unbedingt weiter. „Theoretisch“ ist es jedenfalls einfacher, über Empfängnisverhütung oder Lebensschutz zu sprechen, als wenn man selbst Kliniken betreibt. „Nebenan“, in der kommunalen Klinik wird nämlich als selbstverständliche Leistung angeboten, was die katholische Einrichtung aus ethischen Gründen ablehnt. Doch kann ein Rückzug aus dieser Verantwortung wirklich der richtige Weg sein? Heute betrifft es die Fragen rund um Verhütung oder gar Abtreibung, morgen geht es um Sterbehilfe, übermorgen um Euthanasie und dann?
Ohne eigene Krankenhäuser könnte die Kirche sicher leichter „klare Kante“ zeigen. In der Lehrverkündigung geht es um das „große Ganze“ und nicht um Grenzfälle, wo für komplizierte Güterabwägungen und Differenzierungen manchmal keine Zeit bleibt. Dazu sagt Pfarrer Meurer „Wer in der Gesellschaft mitspielen will, der muss die Realität anerkennen. Der muss auch demütig sein. Wir Christen haben ein Kommunikationsproblem. Für uns muss der Mensch im Mittelpunkt stehen.“
Im Grunde ist die Kirche ja Erfinderin der Sorge um die Kranken in Spitälern und Krankenhäusern, viele Ordensschwestern und -Brüder haben sich über Jahrhunderte in der Nachfolge Jesu um Kranke gekümmert, zahlreiche Heilige haben in der Krankenpflege ihr Leben hingegeben, denken wir nur an Persönlichkeiten wie Friedrich Spee in Deutschland oder Pater Damian de Veuster auf Hawai. Schon vor dem Hintergrund dieser Geschichte halte ich es für undenkbar, dass sie sich aus diesem Bereich des öffentlichen Lebens zurückzieht. 
Wohlfeil ziehen zahlreiche Kommentatoren des Vorfalls gleich Joachim Kardinal Meisner mit ins Boot, der als besonders konservativer Kirchenmann die Krankenhäuser zu solch „unmenschlichem“ Handeln gedrängt habe. Und ohne das genauer zu belegen, wird munter behauptet, dass die Kirche „Zuwiderhandlungen“ gegen die ethischen Grundordnungen der katholischen Krankenhäuser mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedrohe. Erst kürzlich sei (was die Kirche dementiert) einer Ärztin aus diesem Grund gekündigt worden. Die Sache bauscht sich mehr und mehr auf. 
Was mich wirklich betroffen macht, ist die Feindseligkeit und die Bereitschaft, völlig undifferenziert zu reden und zu schreiben, welche sich in diesen Tagen in den Diskussionsforen von Homepages und bei Facebook präsentiert. Wohlgemerkt dort, wo jede(r) mit seinem Namen für seine Meinung einsteht, nicht in anonymen Dialogforen! Kaum einmal ein Beitrag, der sich wohltuend vom „Shitstorm“ der Entrüstung abhebt. Klischees über Klischees werden ausgebreitet, an der Kirche bleibt kaum ein gutes Haar. Austritt, Austritt wird allenthalben empfohlen. 
«Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.» So beschrieb Papst Benedikt in seinem Brief an die deutschen Bischöfe nach dem Streit um die Piusbruderschaft, wie er die Eskalation des Konflikts erlebt hat. Mit Blick auf die zahllosen Kommentare unserer Zeitgenossen stimmt das auch heute wieder. Sprungbereite Feindseligkeit ist es, die manchmal denen entgegenschlägt, die sich in der Kirche engagieren und weiter zu ihr stehen. Was hat die Kirche in den letzten Jahren falsch gemacht?
Ob die Aufregung wohl kleiner geblieben wäre, wenn der Redakteur des KSTA seinen Bericht etwas weniger dramatisch aufgeladen hätte? Vielleicht hat es sich nämlich so zugetragen: Die Sprechstundenhilfe der Notdienstpraxis ruft im nahegelegenen katholischen Krankenhaus an. „Wir haben hier eine Patientin, die vermutlich vergewaltigt wurde. Sie braucht entsprechende Betreuung, sie braucht Notfallkontrazeption und eine anonyme Beweissicherung der Verbrechensspuren.“ Die diensthabende Ärztin hat darauf möglicherweise geantwortet: „Wir sind ein katholische Haus, wir können die Patientin zwar betreuen, aber eine Notfallkontrazeption ist in unserem Haus selbst nicht möglich. Finden Sie nicht, dass es sinnvoller wäre, die Patientin in ein Krankenhaus zu schicken, wo sie auch die „Pille danach“ erhält?“ Möglicherweise hat die Notdienstärztin sich gewundert, weil ihr so ein Fall noch nicht untergekommen ist und noch ein weiteres katholisches Haus angerufen und dort eine ähnliche Antwort erhalten. Der ganzen Sache wäre mit einer solchen Schilderung (die ja auch nicht unwahrscheinlich ist) etwas von ihrer die Dramatik genommen. (Nachtrag: Dass es vielleicht wirklich so war legt die aktuelle Berichterstattung des KSTA nahe: www.ksta.de/politik/-pille-danach--erzbistum-sah-sich-unter-zugzwang,15187246,21522926.html)
Egal ob es so oder anders war, jedenfalls sind wir damit bei „des Pudels Kern“. Ist es wirklich sinnvoll, ja ist es christlich, als kirchliche Einrichtung angesichts eines solchen Verbrechens eine Notfallkontrazeption zu verweigern und damit möglicherweise eine Schwangerschaft in Kauf zu nehmen? Angesichts der allgemeinen Rechtsprechung müsste eine Klinik doch mit Schadenersatzforderungen rechnen. Aber nicht nur deswegen, sondern auch aus ethischen und menschlichen Überlegungen (vom hippokratischen Eid einmal ganz zu schweigen) haben sich die meisten katholischen Krankenhäuser Wege überlegt, wie es dennoch geht und leisten jede mögliche  Hilfe. Einige Häuser sorgen sogar im eigenen Haus für die Gabe der „Pille danach“, manche vermitteln an andere Stellen weiter. Auch das betroffene Krankenhaus der Cellitinnen der Hl. Maria überläßt die Entscheidung über eine Notfallkontrazeption ausdrücklich der betroffenen Patientin, schließt in den ethischen Richtlinien auch eine entsprechende Beratung nicht aus, verweist allerdings für die Verschreibung des Medikamentes auf den Hausarzt der betroffenen Frau. 
Dennoch, ist das wahrhaftig. Die Verantwortlichen flüchten damit aus einem Dilemma. Da die Wirksamkeit der „Pille danach“ mit der vergehenden Zeit mehr und mehr sinkt, kommt es auf jede Stunde an. Ist es moralisch wirklich überzeugender, wenn eine Klinik die Gabe der „Pille danach“ durch andere Personen ermöglichst, aber nicht selbst verabreicht?
Es wäre sicher aufschlussreich, einmal eine intensive moraltheologische Abwägung der besonderen Situation anzustellen. Die ethischen Überlegungen der Klinik bleiben leider sehr an der Oberfläche. Kann es wirklich überzeugen, wenn die hohe Wertschätzung, die die katholische Kirche dem entstehenden Leben entgegenbringt und der Einsatz, mit dem sie das menschliche Leben von der Befruchtung an schützen möchte, letztlich dazu führt, dass die Kirche einem Vergewaltigungsopfer im Extremfall eine Schwangerschaft aufbürdet, mit all den furchtbaren Folgen für die Psyche und das weitere Leben dieser jungen Frau (und den Folgen für das mögliche Kind)? Wohlgemerkt, es geht hier nicht um eine Abtreibung, obwohl manche Prinzipienreiter die „Pille danach“ aus dieser Perspektive beurteilen. (Anmerkung: Soweit ich die medizinischen Informationen überblicken kann, beruht die Wirksamkeit der Medikamente auf einer Verhinderung des Eisprungs. Allerdings kann das Medikament in einem engen Zeitfenster auch die Einnistung einer evtl. schon befruchteten Eizelle verhindern. Auf eine bereits eingenistete Eizelle hat das Medikament wohl keine Auswirkung. In manchem "innerkirchlichen Diskurs" wird die "Pille danach" insbesondere aus diesem Wirkungsaspekt heraus als potentielle "Frühabtreibung" betrachtet.)
Daher schütteln über den Vorfall in Köln auch viele treue Kirchgänger den Kopf. Kein noch so trockener Theologe kann sich der Betroffenheit durch die offensichtlichen Folgen einer solchen Handlungsempfehlung entziehen: Aus einer Vergewaltigung kann so eine lebenslange Tragik und ein lebenslanges Trauma entstehen. Wer will dafür ernsthaft die Verantwortung übernehmen, wenn es möglich ist, ohne die bewusste „Tötung“ einer Eizelle, durch die „Pille danach“ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Befruchtung kommt. 
Der tiefe Hintergrund der Ablehnung von Verhütungsmitteln durch die katholische Kirche ist der Wunsch, dass aus der Liebe zweier verheirateter Menschen neues Leben entsteht. Eine größere Pervertierung dieser positiven Sicht der geschlechtlichen Liebe als eine Vergewaltigung ist doch kaum noch vorstellbar. 
Die Moraltheologie der kath. Kirche kennt ja durchaus eine Güterabwägung, wenn es um das Leben der Mutter und das Leben des ungeborenen Kindes geht. Ich erinnere mich zudem, dass sogar der Papst vor einigen Jahren einmal Überlegungen zu einem extremen Fall angestellt hat, wo er die Nutzung eines Kondoms für ethisch angemessener hielt als „ungeschützten“ Geschlechtsverkehr ohne Kondom. Als Verteidigerin des unbedingten Wertes des menschlichen Lebens möchte die Kirche das Leben von der Empfängnis an schützen. Ob es nicht auch besser wäre, mit der „Pille danach“ eine Schwangerschaft zu verhindern als später mit kriminologischer Indikation möglicherweise zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen zu sein, weil die Belastung der Frau durch die Schwangerschaft viel zu groß ist. Ist das menschlich? 
Hier sollten die Ethikkommissionen der jeweiligen Krankenhäuser noch einmal in Ruhe nachdenken. Ich bin kein Moraltheologe, aber meine (vermutlich lückenhafte) Kenntnis katholischer Moraltheologie und kirchlicher Praxis lassen mir durchaus Pfade möglich erscheinen, aus der moraltheologischen Klemme herauszukommen und Wege zu finden, die das Handeln der katholischen Kirche (nicht nur in der menschlichen Begegnung) sondern auch in der kirchenkritischen Öffentlichkeit wahrhaftiger und menschlicher erscheinen lässt.
Ich bin mir sicher, dass Joachim Kardinal Meisner den Krankenhäusern keine „ordre du mufti“ zu solchem Verhalten übermittelt hat. Trotzdem könnte es gut sein, wenn er das Versagen der Krankenhäuser benennen und dafür um Verzeihung bitten würde. Vielleicht könnte auch jemand erklären, dass man in Zukunft in so einer Situation parteilich an der Seite der Opfer stehe und mit der betreffenden Frau jeden Weg mitgeht, zu dem diese sich entscheidet, also z.B. deren Wunsch nach der „Pille danach“ in soweit akzeptiert, dass man das Medikament auch umgehend beschafft und zur Verfügung stellt und die Frau - soweit sie es wünscht - seelsorglich begleitet, um ihr zu helfen, die traumatische Erfahrung möglichst gut und unbeschadet zu überwinden. Und eine persönliche Vergebungsbitte gegenüber der betroffenen Frau (jenseits öffentlicher Berichterstattung) wäre sicher auch angebracht. Als engagierter Katholik möchte ich sie um Vergebung bitten, aus welchem Grund auch immer ihr letztlich nicht geholfen wurde.

Die ethischen Überlegungen der Kliniken im Originaltext: www.ksta.de/blob/view/21493554,17471472,data,StellungnahmeNFK.pdf.pdf

Dienstag, 1. Januar 2013

Mein erstes Mal!


Mein erstes Mal! Daher war ich etwas gespannt, als ich mich am Sonntag morgen auf den Weg nach Mariawald machte. Ich wollte an der tridentinischen Liturgie in der Trappistenabtei Mariawald teilnehmen. Ich bin 1967 geboren und getauft, also nach dem 2. Vatikanischen Konzil und mitten hinein in den liturgischen Wandel. Etwa 30 km waren zu fahren, von Udenbreth über Schleiden und Gemünd, hinauf in den Nationalplark Eifel über die wunderschöne Hochfläche „Wolfgarten“ auf dem Höhenzug des Kermeter. Etwa einen Kilometer vor der Abtei eröffnet sich in einer engen Kurve ein kurzer Blick auf die Abteikirche und die Klostergebäude. Da ich früh dran war machte ich zunächst einen kleinen Abstecher zu den Kriegsgräbern am Hang oberhalb des Klosters. So abgelegen die Abtei auch liegt, vom Krieg blieb sie (gleich mehrfach) nie verschont. Von hier aus öffnet sich heute ein schöner Blick auf die wunderbare Klosteranlage mit der von Kreuzwegstationen unterbrochenen Klausurmauer. Im vorderen Bereich die Klostergaststätte und dahinter das eigentliche Kloster, das einmal fast 100 Mönche in seinen Mauern geborgen hat. Heute sind es nach aktueller Auskunft des Abtes noch 10 Mönche und drei „Externe“, die zwar zur Abtei gehören, aber nicht mehr dort leben. 

Gegen halb zehn war ich in der Klosterkirche angekommen und erwartete mit Spannung die erste „tridentinische“ Messe meines Lebens. Mit mir war zu dieser frühen Stunde nur eine weitere Beterin vor Ort. Es war nicht gerade warm und die Kirche wurde mit einem provisorischen Gasbrenner beheizt, der kurz vor der Liturgie vom Abt persönlich beiseite getragen wurde. 
Um 9.40 Uhr waren fünf Mönche versammelt. Zwei von Ihnen, der Abt und ein etwa gleichaltriger Mönch (Br. Maria Johannes, der kürzlich seine ewige Profeß abgelegt hatte) trugen eine „altertümliche“ monastische Tonsur. Ein weiterer jüngerer Mönch (wohl der Novize) hatte ebenfalls den weißen Gebetsumhang der Trappisten umgehängt, allerdings keine Tonsur. Einer der älteren Mönche, ein ehrwürdiger bärtiger Mann, trug ein dunkles Ordensgewand. Das Stundengebet der Terz begann mit dem Ritus des Asperges, dem sonntäglichen Taufgedächtnis. Nach seinen Mitbrüdern besprengte der Abt, begleitet von einem älteren, tief gebeugten Mitbruder (Bruder Maria Bernhard) auch die versammelte Gemeinde mit dem Taufwasser. Kurz vor dem Beginn der Messe kam noch ein „gesetzter“ Mann als Messdiener hinzu.
Die fünf bzw. sechs Männer sangen einen durchaus beachtlichen Choral. Das hatte ich in Mariawald schon „spärlicher“ erlebt; hier gab es diesmal offensichtliche Freude am Choralgesang. 
Inzwischen waren in der Kirche etwa 40 – 50 Mitfeiernde versammelt, zumeist waren es ältere Leute, die mit einem älteren Schott oder einem ähnlichen Gebetbuch in die Kirche gekommen waren. Hinter mir saß ein jüngerer Mann in Soutane, der anscheinend im Kloster zu Gast war. Ansonsten war ein junges Mädchen mit seinen Großeltern gekommen. Nach kurzer Zeit fand ich mich im kleinen Messrituale der Petrusbruderschaft, das in der Kirche auslag, gut zurecht. Auch jemand wie ich, der im erneuerten römischen Ritus nach dem Messbuch Paul VI. zu Hause ist, kann sich in der tridentinischen Messliturgie orientieren. Für mich ungewöhnlich war allerdings, dass zahlreiche Texte, die man aus der ordentlichen Liturgie kennt und teilweise mitbetet hier nur vom Priester und dem Messdiener gebetet wurden. Auch ist die tridentinische Liturgie gegenüber der erneuerten Liturgie mit zusätzlichen Gebeten und Anrufungen „angereichert“. 
Das Ordinarium der Messe wurde von der Gemeinschaft der Trappisten gesungen, also Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei.
Auf „Gemeindelieder“, wie sie die Gottesdienste in unseren Gemeinden stark prägen, wurde ganz verzichtet. Die Orgel spielte nur ganz leise an, um den Mönchen den Einsatz für die gregorianischen Gesänge zu geben, nur nach der Kommunionausteilung kam sie einmal wirklich zum Einsatz. Erst zum Abschluss der Messe konnte die gesamte Gemeinde in ein Lied aus dem Gotteslob einstimmen: „Engel auf den Feldern singen...“
Beim Credo – als Wechselgesang - sangen auch einige Messbesucher hörbar mit, ansonsten beschränkte sich die Beteiligung der Gemeinde zu Beginn vor allem auf den Antwortruf „Et cum spiritu tuo“ - „Und mit deinem Geiste.“ 
Für mich ungewohnt war auch, dass das komplette Hochgebet still vom Priester gebetet wurde. Einzig die Erhebung der gewandelten Hostie gab Orientierung im Messablauf. Ein auch für mich als Neuling besonderer und erhebender Moment. Ein Mönch läutete die Kirchenglocke zur Kniebeuge des Priesters vor der gewandelten Hostie bzw. vor dem Kelch. 
Bei aller Hochachtung vor dieser Form der Hl. Messe vermisse ich persönlich die Beteiligung der Gemeinde. Es würde dieser besonderen Liturgie gut tun, wenn die Gottesdienstbesucher nicht weitgehend als Beiwohnende sondern als Mitfeiernde betrachtet würden. Ich denke, das war auch im 2. Vatikanischen Konzil ein Hauptanliegen der Konzilsväter: die tätige Teilnahme der Gläubigen. Dieses Anliegen war eine Quelle der Liturgiereform. Ob es auch eine behutsame Reform der außerordentlichen Form des römischen Ritus geben könnte, die den Freunden dieses Ritus stärkere Möglichkeiten der tätigen Teilnahme eröffnet und die Anliegen der Konzilsväter aufgreift? Ich sehe durchaus eine gewisse Gefahr, dass die Gläubigen (z.B. wie früher, den Rosenkranz betend) der vom Priester und den Messdienern gefeierten tridentinischen Messe mehr beiwohnen als mitfeiern. 
Eine interessante Erfahrung war auch die Predigt. Während die eigentliche Liturgie am Altar in der Apsis der Klosterkirche gefeiert wurde (also recht weit entfernt), kam hierzu der Zelebrant, Abt Josef Vollberg OSCO in den Raum jenseits des hölzernen Lettners zu uns Mitfeiernden. „Liebe Mitbrüder, liebe Gläubige“, so begann er nach der Verlesung des Evangeliums (von der Darstellung des Herrn) in deutscher Sprache seine Predigt. Es war mir schon vorher aufgefallen, dass die Liturgie in einem besonderen Sprechrhythmus vorgetragen wurde. Diese Art zu sprechen bewahrte er sowohl beim deutschen Evangelium als auch bei der Predigt. Es gab keinen Platz für Rhetorik oder Modulation der Sprache. Das wirkte eher befremdlich. Ich vermute allerdings, das es eine Eigenart des Mariawalder Abtes ist und weniger typisch für die „alte Liturgie“. So musste die Predigt durch ihre Inhalte wirken und weniger durch die Art des Vortrags. Es ging darum, dass Weihnachten nichts Niedliches und Kleines sei, sondern ein Anspruch Gottes an uns. „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen... er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ Während Jesus zunächst noch Zuspruch und Nachfolge gefunden habe, distanzierten sich die Bewohner von Jerusalem zunehmend von ihm und lehnten ihn ab. Daher sei sein Tod am Kreuz in diesen Worten Simeons schon vorgezeichnet. Unser Glaube erfordere entschiedene und überzeugte Nachfolge, auch Treue auf dem einmal eingeschlagenen Weg.
Dass der Priester sich nur selten der Gemeinde zuwendet habe ich persönlich nicht als störend erlebt. Oft hört man ja die Polemik, dass der Priester „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriere. Das habe ich nicht so empfunden. Auch die lateinische Sprache hinderte nicht an der tätigen Teilnahme.
Einmal prägen sich die wichtigsten Texte sicher dem regelmäßigen Gottesdienstbesucher schnell ein, andererseits hilft auch das deutsch-lateinische Missale (das „Volksmessbuch“) zu einer vertieften Mitfeier. So erschließen sich die Texte und Gebete sicher mehr und mehr. Das wäre bestimmt auch in der deutschsprachigen „ordentlichen“ Liturgie wünschenswert, denn die leichte Verständlichkeit trägt ab und an sicher zu einer oberflächlicheren Mitfeier bei, obwohl es sich lohnen würde, einzelne Texte zu bedenken und tiefer zu verstehen. Insofern kann die neue Messe durchaus von der alten Messe lernen.
Das war es nun - mein erstes Mal, tridentinische Messe live. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Mein erster Eindruck: es ist alles nicht so schlimm, wie ihre Gegner behaupten aber sie rettet wohl auch nicht die Welt und das Christentum wie ihre Anhänger postulieren. Ich denke diese Liturgie hat ihr Recht und es sollte hier und da Orte geben, wo die Menschen, die der außerordentlichen Form der Liturgie verbunden (oder noch darin verwurzelt sind) sie in würdiger Weise mitfeiern können. 
Ich merke aber, dass ich selbst in der erneuerten Liturgie vollkommen zu Hause bin und das Wechselspiel zwischen Gemeinde und Priester nicht missen möchte. Dennoch kann ich mir vorstellen, hin und wieder auch die „alte Liturgie“ mitzufeiern. Die Argumente dagegen sind manchmal etwas oberflächlich. In Mariawald scheint mir diese Form der Liturgie gut aufgehoben, zumal hier auch schon früher Teile des Chorgebetes in lateinischer Sprache gebetet wurden. Schön wäre es, wenn ein lebendiger Konvent das liturgische Leben pflegen würde. 
Doch meine Sorge um die Lebensfähigkeit der Abtei ist nach diesem Besuch nicht geringer geworden. Wenn der Konvent tatsächlich 10 Mitglieder hat, dann waren zum Ende des Jahres 2012 die Hälfte von ihnen entweder alt und krank oder sie drücken ihren Widerstand gegen die Rückkehr zum alten Ritus durch Abwesenheit aus. (Ein Trappist lebt – wie man lesen kann – als Eremit im Kloster.) Mit 10 Mönchen kann eine solche Gemeinschaft auch nicht „birituell“ sein, wie z.B. die Benediktinerabtei Niederaltaich, die im lateinischen und byzantinischen Ritus zelebriert. All das kann der Gemeinschaft von Mariawald nicht gut tun. Ob die Abtei doch die Kraft für einen gewissen Aufschwung findet? Ich würde es ihnen wünschen. (Eine Anmerkung - weil ich darauf angesprochen wurde: Mir ist natürlich bewußt, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Riten handelt (wie beim römischen und byzantinischen), sondern um die ordentliche und außerordentliche Form des einen römischen Ritus.)
Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, nach der Messe (die etwa eineinhalb Stunden dauerte) einen Besuch in der Klosterbuchhandlung zu machen. Wenn ich bis dahin noch keine Antwort auf die Frage: „Geht das eigentlich: tridentinische Liturgie ohne traditionalistische Überzeugungen und skeptischen Blick auf das 2. Vatikanische Konzil?“ gefunden hätte, hier beantwortet sich die Frage schnell. Es geht augenscheinlich nicht! Ein großer Büchertisch bietet eine ganze Sammlung „einschlägiger“ Literatur bekannter Autoren an der Grenze zwischen konservativen und traditionalistischen Überzeugungen. Auch im sonstigen, allgemeinen Bücherangebot waren mehr und mehr sehr konservative Autoren vertreten. So bleibt auch zu wünschen, dass die Bemühungen des Papstes um eine Versöhnung gewisser kirchlicher „Lager“ auch in dieser Hinsicht erfolgreich werden: Den Schatz der Tradition zu heben und dennoch in der Mitte des Gottesvolkes verwurzelt und versöhnt sein mit der Vielfalt in unserer katholischen Kirche.

Gloria.tv zeigt einen Film von einem Pontifikalamt, das Abt Josef vor einiger Zeit in Vyšší Brod in Tschechien im dortigen Zisterzinserkloster gefeiert hat. Einen Teil der Predigt hört man ab der 10. Minute: http://www.gloria.tv/?media=382378

Dienstag, 25. Dezember 2012

Joachim mir graut's vor dir - Herzlichen Glückwunsch lieber Kardinal!


Was haben eigentlich so viele Leute gegen Kardinal Meisner? Sicher, als der vor 25 Jahren Erzbischof von Köln wurde, waren die Kölner nicht begeistert. Dem ehemaligen Kölner Kardinal Josef Frings zugeschrieben wird der Satz, dass auf der Wahlliste aus dem Vatikan stets „ein Neger, ein Chinese und einer, der es werden soll“ ständen. Offensichtlich hatten man auch diesmal einen Anderen erwartet oder schon einen genehmeren Kandidaten im Köcher. Und dann sollte dieser konservative Schlesier kommen...
Aber haben die Kölner nicht schon ganz andere „Immis“ umarmt und aufgenommen? 
Es war sicher ein schwieriger Start, weil das Kölner Domkapitel sich zunächst nicht auf den Berliner Bischof als neuen Kölner Erzbischof einigen konnte. Papst Johannes Paul II. favorisierte ihn, das war bekannt, aber die notwendige Mehrheit kam nicht zustande. Erst als der Vatikan den Wahlmodus veränderte konnte Meisner mit 6 Ja-Stimmen und 10 Enthaltungen zum neuen Kölner Erzbischof bestimmt werden. Diesem Gezerre folgten heftige Proteste aus kirchlichen Kreisen. Kein Bilderbuchstart! Und das wirkt bis heute nach. Ich erinnere mich an einen Domführer, der uns erklärte, dass für jedes neue Amtsjahr eines Kölner Erzbischofs ein Stab im Seitenschiff des Domes aufgehängt wird und dass man die Querstange hierfür schon habe verlängern müssen. Es würde daher mal Zeit wieder von vorn anzufangen. Solche kleinen Spitzen gibt es allenthalben. Selbst treu-fromme Kölner Priester können sich manchmal eine launige Bemerkung über den Kanaal Meister nicht verkneifen. 
Andere - wie der SPIEGEL - schmähen ihn als den „Gotteskrieger vom Rhein“ oder gleich als „Hassprediger“. 
Manche geistlichen Gemeinschaften dagegen, wie das Opus Dei, die Legionäre Christi, der neokatechumenale Weg oder die Gemeinschaft von Jerusalem sind ihm sehr dankbar, weil er ihre Arbeit fördert und sie in seinem Bistum tätig sein lässt. Als zuständiger Bischof für RENOVABIS  steht er für die Kirche im Osten ein und sein Engagement für die Christen in der Türkei ist bekannt. Manchen „Liberalen“ ist er zu konservativ und in ganz konservativen Kreisen dagegen gilt er zu sehr als Mann des Wortes und zu wenig als Einer, der seine Überzeugungen in die Tat umsetzt. Die drücken das allerdings drastischer aus. 
Persönlich, so haben es mir einige Menschen berichtet, die einmal zu einem Besuch bei ihm waren, ist Joachim Kardinal Meisner ein freundlicher, sympathischer und guter Gastgeber. Bei der Einführung des Bischofs von Münster (Felix Genn) erlebte ich mit, wie der Kardinal mit einem kleinen Mädchen ein entspanntes Gespräch führte, um die Wartezeit bis zum Einzug in den Dom zu füllen. Daher stammt das Foto auf dieser Seite.
Aber es wird auch berichtet, dass der Kölner Erzbischof „als Chef“ ein hartes Regiment führt oder führen läßt, wenig dialogbereit sei und durchaus „unchristlich“ streng mit Mitarbeitern (Laien wie Priestern) umgehe, wenn ihm deren Arbeit missfällt oder sie sich allzu „kirchenkritisch“ zu Wort melden. Immer wieder geistern solche Geschichten auch durch die Presse. 
Kardinal Meisner taucht immer wieder mit sehr pointierten Bemerkung in den Zeitungen auf. Ob es wohl klug war, sich zu den Familienverhältnissen des Bundespräsidenten zu äußern? Die CDU weiß zu berichten, dass er ihr das „C“ gern absprechen würde. Misslungen war sicher auch die Bemerkung, das „Richter-Fenster“ im Dom passe besser in eine Moschee. Ein anderes Mal sagte er, dass Kunst „entarte“, wenn sie ihre Mitte als „Gottesverehrung“ verliere. Solche Beispiele gibt es noch mehrere. Die Presse ist da auch sehr aufmerksam und legt schnell den Finger in die sprachliche Wunde. 
Dabei zeigt der Kardinal durchaus Offenheit für moderne Kunst und moderne Medien und überrascht auch sonst immer wieder. Im Bistum gibt es die Kunststation St. Peter, das Domradio, das Domforum und das Kolumba – Museum. Als Prediger höre ich Meisner durchaus gern. Er spricht sehr bildhaft und echt überzeugend. Manchmal wirkt seine darin aufscheinende tiefe Frömmigkeit vielleicht naiv oder überfromm, aber er bleibt glaubwürdig, echt und überzeugend. Doch, das sieht nicht jeder so:
„Joachim, mir graut's vor dir“, der Kölner Autor (und ehemalige Dominikaner) Hans Conrad Zander hat es nicht leicht mit „seinem“ Bischof. In seinem gleichnamigen Buch schildert er eine Szene, wo er dem Erzbischof überraschend am Buffet gegenüber steht und stammelt: „Mein Erzbischof!“ Hier das nun folgende Zitat aus diesem Buch: „Fast berührte seine rote Bauchbinde meinen Gürtel. Über seine Raubvogelnase sah er mir in die Augen. Sanft faßte er meine beiden Hände und legte sie in die seinen. Zwei Worte sprach er leise, nur diese zwei: 'Mein Erzfeind!'". 
Wobei die Lektüre des Buches zeigt, dass die beiden sich eigentlich gar nicht so spinnefeind sein können und ich vermute, dass der Kardinal durchaus das ein oder andere Zander-Buch im Regal stehen hat. Nicht nur, weil sie sich in grundsätzlichen Auffassungen über den Glauben (Thomas von Aquin, traditionelle Liturgie, Zölibat u.ä.) näher sind als viele glauben, sondern weil der Kölner Erzbischof durchaus Humor hat. Obwohl, damit hat Zander recht ... in Sachen Religion und Glaube versteht Meisner wenig „Spaß“. Es wäre spannend einmal zu hören, was er wohl vom Heiligen Filippo Neri denkt?
Ich finde aber, es lohnt sich wirklich Meisners Gedanken zur Kenntnis zu nehmen. Er ist durchaus ein Mann des Wortes. In seinen Interviews, seinen Texten, seinen Predigten gibt es immer wieder überraschende, anrührende, überzeugende Formulierungen und Gedanken. Es ist interessant, was er auf www.direktzumkardinal.de den unterschiedlichen Fragestellern (aus verschiedenen kirchlichen „Lagern“) antwortet. Er weicht auch schwierigen Fragen nicht aus und findet – wie ich meine – durchaus gute und richtige Worte. Vielzitiert ist dieses: „Liturgie ohne Diakonie ist Götzendienst.“ Im Welt – Interview mit Paul Badde anläßlich seines goldenen Priesterjubiläums sagte er: „Wenn der Mensch nicht mehr nach oben transzendieren kann, transzendiert er nach rechts und links. Er stillt seinen Ewigkeitshunger an den Gütern dieser Welt und wird doch nicht satt.“ Beim Katholikentreffen in Dresden 1987 sagte er prophetisch: „Wir wollen aber in diesem Land, das unsere Heimat ist, keinem anderen Stern folgen als dem von Betlehem." Und das angesichts des roten Sterns, der allgegenwärtig war. Im Welt-Interview findet sich auch ein vielzitiertes Wort, das gerade besonders in konservativen Kreisen die Runde machte: „Wir können der Entsakralisierung ein Ende machen. Das heißt: Wir müssen aus unseren Kirchen wieder Gotteshäuser machen, wo zu allererst die Liturgie das Mysterium des Glaubens feiert. Zum Beispiel: Wir haben das eucharistische Fasten abgeschafft, wir haben die Kommunionbänke abgeschafft, wir knien nicht mehr nieder - und haben nichts dagegen getan, dass damit auch Ehrfurchtlosigkeit und Banalisierung um sich griffen. Das konnte nicht gut gehen. Wenn wir das Mysterium der Eucharistie wieder aufleuchten lassen, kommen die Menschen von allein zu uns zurück. Wenn es nicht einfach ein Freundesmahl ist, wo man hingeht oder genauso gut nicht, sondern die Teilhabe am Erlösungsopfer Christi. Deshalb feiern wir nächstes Jahr ja auch in Köln den Eucharistischen Kongress, der dieses Bewusstsein wieder ins Zentrum rücken möchte.“ Das ist ein echter Meisner. Wer aber nun glaubt, der Kardinal wird jetzt allenthalben die Kommunionbänke wieder neu einbauen lassen, dürfte falsch liegen. Es kommt – und das weiß er sehr wohl - auf die innere Haltung an. Aber, die äußerlichen Stützen, die Gesten und Riten haben nun einmal auch innere Auswirkungen. Das wirkt aber nicht automatisch und vermutlich braucht jede Zeit eigene Mittel, um Ehrfurcht und Anbetung auszudrücken. Es geht also eher um eine Suchbewegung: „Wie können wir wieder neu empfinden und auch zum Ausdruck bringen, dass es Christus selbst ist, der im Mysterium der Eucharistie in unser Leben eingeht?“ Das kann das Knien beim Kommunionempfang sein, doch manchmal ist das „Knien“ auch demonstrative Kirchenpolitik oder zur Schau gestellte Frömmigkeitsübung und das ist das genaue Gegenteil von dem, was der Kirchenmann Meisner möchte. 
So dürfte es schwer sein, über die schillernde Persönlichkeit des Kardinals und Erzbischof von Köln, Joachim Meisner ein umfassendes Portrait zu verfassen. Auch mir ist das nicht gelungen. Ich kenne auch bisher kein ausgewogenes Werk oder einen gelungenen Artikel und bin für Hinweise dankbar. Aber, mir scheint, weder seine Gegner, noch seine „Fans“ werden ihm wirklich gerecht. 
So bleibt mir heute nur, ihm zu gratulieren (er hat heute Geburtstag (nun ja, nicht mehr ganz) und feierte vor einigen Tagen sein goldenes Priesterjubiläum) und ihm Gottes Segen für die weiteren Jahre seines priesterlichen und bischöflichen Wirkens zu erbitten. 
Vielleicht wäre es ja gut und richtig, wenn der Hl. Vater ihm als nunmehr 79jährigen die Last des aktiven Bischofsamtes von den Schultern nimmt. Und ich bin sicher, er meint es ehrlich, was er im bereits zitierten Interview aus Zitat eines anderen Kardinals berichtete, dass der, „nachdem er pensioniert war, ... da endlich mehr tun konnte als in der Zeit, als er so viel tun musste. Er brauchte keine Konferenzen mehr zu leiten, keine Sitzungen, konnte kranke Priester besuchen, Einkehrtage halten. Jeden Morgen ging er über den Domplatz, kaufte Brötchen und führte viele Gespräche.“ Dass er das ausgiebig tun kann, das wünsche ich ihm von ganzem Herzen. 

Freitag, 7. Dezember 2012

Hindenburg contra Brandt


Mit Spannung habe ich die Diskussion in meiner Heimatstadt Voerde um die Umbenennung der Hindenburgstraße verfolgt. Ich bin etwas enttäuscht, dass sie nicht „tiefer“ ging. Ich habe wahrgenommen, dass sich die Diskussion vor allem auf Paul von Hindenburg als Nationalisten und Wegbereiter Hitlers zuspitzte. Ich sehe mich sicher nicht als Freund der historischen Gestalt Hindenburg und als Kriegsdienstverweigerer sind mir seine militärischen Erfolge und seine militärische Laufbahn wirklich suspekt. Aber die Entscheidung, die Hindenburgstraße in Willy-Brandt-Straße umzubenennen, scheint mir auch keine Lösung zu sein, die einen gordischen Knoten elegant durchschlägt und der komplexen Lebensgeschichte beider Persönlichkeiten gerecht wird.
Dass die Münsteraner ihren Hindenburgplatz in Schloßplatz umbenennen, das kann ich noch gut verstehen. Wird so doch deutlich, dass die Stadt ein herrliches Schloß besitzt und dass hier nicht von einem Exerzierplatz preußischer Soldaten die Rede ist. Auch weiß jeder aus dem Monopoly-Spiel, dass ein Haus am Schloßplatz teurer sein muss als eines an der Schlesierstraße. Aber selbst die Sylter erreichen ihre Insel weiterhin über den Hindenburgdamm und wer kann schon die historische Tatsache verdrängen, dass der damalige Reichspräsident selbst diesen Damm eingeweiht hat. Aber, historische Tatsachen, das ist ein gutes Stichwort. Die Person Hindenburgs wird umstritten bleiben. Und das ist gut so!
Leider wissen viele Schüler heute nur noch wenig darüber, aber die Namen Hindenburg, Bismarck, Moltke hatten in den Jahrzehnten vor der Machtergreifung Hitlers einen besonderen Klang, der teilweise zum Mythos stilisiert wurde und bis zum heutigen Tag nachhallt. Heute sehen wir all das zu Recht kritisch, obwohl uns durch den zunehmenden zeitlichen Abstand geschichtliches Wissen und konkrete Erinnerung verloren geht. Aber, was wird eigentlich besser, wenn wir Hindenburg aus dem „Straßenbild“ tilgen? Wäre es nicht sinnvoll, sich mit seiner Persönlichkeit und mit seinen Leistungen und seinem Versagen auseinanderzusetzen? Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus einen Erkenntnisgewinn bringen könnte, Hindenburgs Anteil an der Machtergreifung differenziert zu betrachten und auch sein „erstes Leben“ mit in den Blick zu nehmen. Vielleicht sind ja durchaus achtenswerte Verdienste darunter, die auch dann noch leuchten dürfen, wenn sein Versagen als „Steigbügelhalter Hitlers“ benannt wird. Einen "netten" Aspekt bringt Wikipedia und weist darauf hin, dass Paul von Hindenburg das einzige deutsche Staatsoberhaupt ist, das jemals vom Volk direkt gewählt wurde.
Möglicherweise hätte es ja auch eine andere, salomonische Lösung gegeben, indem man an die (wenigen) Straßenschilder die Ergänzung „Ulica Zabrze“ angeschraubt hätte, was in der Summe die Straße nicht nach Hindenburg selbst benannt hätte, sondern nach dem gleichnamigen Städtchen in Oberschlesien, mit dem unsere Stadt Voerde durch manche Bewohner durchaus mehr verbunden ist als mit dem Generalfeldmarschall. Und Hitler würde – wenn er es könnte – sich wegen der polnischen Namensergänzung sicher im Grabe umdrehen.
Sicher, Zabrze hat sich selbst auch 1915 den neuen Namen „Hindenburg“ gegeben, nach eben diesem Generalfeldmarschall. Aber zu dieser Zeit war der noch ein unumstrittener Volksheld und kein Greis, der den weltgeschichtlichen Fehler machte, Hitler alle Macht in die Hand zu geben und der sich für dessen Machtinteressen allzu widerstandslos gebrauchen ließ. Hindenburg selbst konnte dessen verbrecherische Potential allenfalls erahnen. Er stand im Krisenjahr 1932 in seinem 85. Lebensjahr. Mitte 1934 ist er gestorben. Die weiteren Folgen seiner Entscheidungen musste er nicht mehr miterleben.
Aber mal ehrlich! Im Leben eines jeden Menschen, erst recht eines Politikers gibt es reichlich Licht und reichlich Schatten. Wer möchte heute Martin Luthers Bedeutung wegen seiner Ausfälle gegen die Juden verneinen, welche Waldorfschule dürfte noch an Rudolf Steiner erinnern, wegen seiner rassistischen Überzeugungen und wer noch Richard Wagner hören oder spielen. Darf noch eine Straße nach von Moltke (dem Generalfeldmarschall) heißen oder gar nach einem der deutschen Kaiser, wenn wir nicht in der Lage sind, einen Menschen in all seiner Gebrochenheit zu sehen. Wenn wir unser christliches Erbe ernst nehmen, dann gibt es den Aspekt, dass Schuld klar benannt wird, aber auch Vergebung möglich sein muss. Aber Vergebung wäscht keine Biografie rein, dennoch ist ein Neuanfang möglich. Heute hat man den Eindruck, dass manche „Sünden“ nicht mehr vergeben werden und betroffene Prominente für immer in der Versenkung verschwinden. Allerdings – Vergebung setzt auch Einsicht und den Willen zur Umkehr voraus.
Keine Frage, es gibt Lebensläufe, da ist das Dunkel so groß und der Schatten so lang, dass sich jede Form von öffentlicher Achtung und Gedenken verbietet. Und die Überzeugung, dass dies nicht geht, kann auch im Laufe der Jahre noch nachträglich wachsen. Aber ist das bei Paul von Hindenburg wirklich der Fall?

Montag, 12. November 2012

SPIEGEL infiziert vom Kreuz.net – Stil?

Gemeinhin gilt der Spiegel als Flaggschiff des seriösen und mutigen Journalismus. Aber bei manchem Artikel beschleicht einen die Sorge, ob hier doch keine neutralen und investigativen Reporter am Werk sind, sondern Praktikanten, die ihre private, etwas uninformierte Meinung beim SPIEGEL – online wie auf ihrem facebook-Profil kundtun. So erschien am 11. November 2012 (hoffentlich nicht auch noch um 11.11 Uhr) ein Artikel, aus dem ich hoffentlich einige prägnante Sätze zitiere darf: „Verdikt gegen Toleranz - Vatikan wettert gegen gleichgeschlechtliche Ehen“ - so lautete schon die Überschrift, für den Inhalt beruft man sich auf die Nachrichtenagentur „dapd“.
Und weiter: „Petersdom: Kirchenfürsten stemmen sich gegen gleichgeschlechtliche Ehe - Kampagne für das Ewiggestrige: Der Vatikan hat seine Ablehnung von Eheschließungen von Homosexuellen bekräftigt. Die Kirche halte an der katholischen Lehre fest, auch wenn "politisch korrekte Ideologien in jede Kultur der Welt Einzug halten", ätzte das Papst-Blatt "L'Osservatore Romano". Sollte der SPIEGEL-Journalist da vorher zu lange auf kreuz.net gesurft haben und kann deren Sprachstil eigentlich abfärben?
Dabei war es sicher nicht schwer zu recherchieren, dass die angebliche vatikanische Stellungnahme wohl gar nicht aus der offiziellen Vatikanzeitung stammt, sondern eine eher persönliche Stellungnahme des Papst – Sprechers P. Lombardi in einer regelmäßigen Kolumne bei Radio Vatikan war. Der SPIEGEL dagegen behauptet in seiner Online-Ausgabe, dass auf der Titelseite des L'Osservatore Romano zu lesen sei: „Die Kirche halte an der katholischen Lehre fest, auch wenn "politisch korrekte Ideologien in jede Kultur der Welt Einzug halten.“ Ich halte es für ausgeschlossen, dass die nun wirklich guten Journalisten des „L'Osservatore“ einen so schwammigen Begriff wie den von „politisch korrekten Ideologien“ verwenden. (Ich beziehe die offiziöse Zeitung aus dem Vatikanstaat leider nicht in ihrer italienischen Ausgabe, aber ich würde durchaus eine Wette eingehen, dass dieser Artikel dort so nicht erschienen ist.)
Und weiter lese ich in der angeblichen SPIEGEL-Meldung: „Mit aller Macht stemmt sich die Kirche gegen die zunehmende Toleranz.“ Nein, lieber SPIEGEL-Praktikant, die Kirche stemmt sich überhaupt nicht gegen Toleranz, ganz im Gegenteil. Sie tritt in aller Welt für Religionsfreizeit und für einen menschlichen Umgang mit Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens, anderer Überzeugung und anderen Aussehens ein. Sie engagiert sich dafür, dass die Ehe letztlich das bleibt, was sie seit ihrer „Erfindung“ ist, nämlich eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau aus der (hoffentlich) Kinder hervorgehen. Für die Kirche ist die Ehe aus ihren Glaubensüberzeugungen und aus einer langen Tradition heraus, ein kostbarer Schatz, den es zu bewahren gilt. Das muss nicht bedeuten, dass die Kirche sich gegen eine rechtliche Regelung anderer Formen von Partnerschaften engagiert (ruhig auch mit Feier im Standesamt) und das heißt erst recht nicht, dass sie intolerant gegenüber Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung ist.
Ich finde, dass die (vielleicht etwas ironisch-spitze) Anfrage von Pater Federico Lombardi (in seiner Kolumne und nicht in einem „Interview“ mit Radio Vatikan) sehr berechtigt ist!
Wenn nicht, warum wird dann nicht auch Polygamie erwogen und auch Polyandrie (Vielmännerei), natürlich um niemanden zu diskriminieren.“ Mag SPIEGEL-Online diese Bemerkung auch als Beleg für „Intoleranz“ werten, eine Antwort darauf vermeidet der SPIEGEL-Schreiber doch selber auch. Und es ist doch auch so, mit welchem Argument möchte man bei einer vollständigen Öffnung der Ehe eine Form des Zusammenlebens unter Menschen gegenüber anderen denkbaren Formen privilegieren? Letztlich ist es doch – selbst wenn allen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens einzelner Menschen (was zunächst einmal deren Privatsache ist) – entscheidend, den Kindern, die in einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau geboren werden, einen guten Rahmen für das Aufwachsen und Leben zu ermöglichen. Und aus gutem Grund setzt der deutsche Staat auch für die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ gewissen Grenzen. Nicht jeder, der mit einem anderen Menschen zusammenlebt, kann diese auch eingehen. Für eine Frau, die seit Jahren mit ihrer Tante zusammenlebt und die (außer dem Bett) alles andere miteinander teilen, ist diese Möglichkeit schlicht ausgeschlossen. Mit all den negativen Folgen, die das für diese beiden Menschen hat.
Weiter lesen wir in SPIEGEL Online nach einer Aufzählung der Länder, die die Ehe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern einführen möchten: „In Deutschland können gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung seit 2001 offiziell machen.“ Richtig ist, dass es seitdem eine Möglichkeit gibt, diese Partnerschaft in einem rechtlichen Akt eintragen zu lassen. „Offiziell“ waren die meisten dieser Beziehungen schon lange zuvor. Und nach wie vor lehnen es viele Paare (ob homo oder hetero) es ab, ihren Beziehungen einen offiziösen Status zu geben, weil sie meinen, dass die Form ihre Zusammenlebens nur sie etwas angeht und keine staatliche Stelle. Auch diese Haltung findet sicher nicht den Beifall von P. Lombardi, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser deshalb einem Journalisten, der so lebt weniger freundlich entgegenkommt als dem Chefredakteur von Kirche und Leben.
Bei aller Dramatik, die der SPIEGEL in diesen angeblichen „Kampagne der Kirche für das Ewiggestrige“ entdeckt, ist doch eigentümlich, dass sich niemand daran erinnern wird, dass sich Bischöfe vor den Standesämtern angekettet hätten oder dass wütende Gläubige die Trausäle stürmten, um vor 11 Jahren gegen dieses Gesetz zu protestieren.
Natürlich gab es einige kirchliche Stellungnahmen, die aber vor allem ihr Augenmerk darauf legten, dass es nach wie vor einen Unterschied geben sollte zwischen einer staatlicher Anerkennung unterschiedlichster Formen gemeinschaftlichen Lebens und einer Eheschließung. Das bedeutet nicht, dass Katholiken nicht positiv würdigen könnten, was an Gutem auch in anderen Formen des Zusammenlebens geschieht. Eine entsprechende öffentliche und positive Aussage hat ja erst kürzlich noch der als konservativ geltende Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki gemacht. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf der einen Seite Rechtssicherheit, weitere Förderung und Unterstützung für verbindliche Partnerschaften fordert und auf der anderen Seite lautstark beklagt, dass der Adenauer-Satz „Kinder kriegen die Leute sowieso!“ eben kein ehernes Gesetz ist. Wenn wir in dieser Gesellschaft leben, muss die Frage erlaubt sein, was wir ernsthaft unternehmen, damit unsere Kinder in gesicherten Verhältnissen aufwachsen und dass ein Paar den Mut hat, ein (oder mehrere) Kind(er) zu zeugen (und anzunehmen) und ins Leben zu führen. Die Kirche sagt nicht mehr und nicht weniger: Dafür braucht es einen guten Rahmen, und diesen Rahmen bietet seit mehreren tausend Jahren die Ehe zwischen Mann und Frau. Maßnahmen wie die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ dürften auf die Geburtenrate weder einen positiven noch einen negativen Einfluss haben.


Beim Münchener Kirchenradio (sicher auch kein Hort der Intoleranz und Reaktion) kann man lesen, wie die Nachricht auch seriös präsentiert werden kann:

Sonntag, 4. November 2012

"Das Konzil hat die Katholiken lasch gemacht..." Wirklich?

Papst Paul VI., Foto von Lothar Wolleh
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)
via Wikimedia Commons
Es ist ein eher unscheinbares, grünes Büchlein aus meinem Bücherschrank: „Kleines Konzilskompendium“ heißt es. Es fasst alle Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des 2. Vaticanums in einem Band zusammen, Herausgeber waren damals Karl Rahner und Herbert Vorgrimler. Soeben hat Peter Hünermann eine neue Auflage der Texte veröffentlicht, ein Werk in lateinisch mit der deutschen Übersetzung. Kürzlich hat sich mal jemand öffentlichkeitswirksam an die Brust geklopft und gesagt: „Ich bekenne, ich habe die Texte des 2. Vatikanischen Konzils noch nie komplett gelesen.“ Mich würde ja wirklich einmal interessieren, wie viele Gläubige oder gar Priester die Texte wirklich komplett gelesen und nicht nur überflogen oder sich auf „Kerntexte“ beschränkt haben. Wer kann schon für sich beanspruchen, ein solche komplexes Werk komplett zu kennen und zu verstehen? Schließlich geht es nicht um ein Buch wie die Dogmatik des heutigen Erzbischofs Prof. Dr. Gerhard Ludwig Müller, die aus der Feder eines einzigen Wissenschaftlers stammt, dessen Denken man nach einigem Studieren kennen könnte. Nein, es ist die Essenz jahrelanger Dialoge unter mehr als 2000 Kirchenführern. Da verbergen sich die Feinheiten oft im Detail, man erinnere sich nur an die Auseinandersetzungen um das kleine lateinische Wort „subsistit“. Konzil macht also Mühe, und die scheuen viele. 
Aber zurück zum Ereignis selbst: Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1962, zogen rund 2.800 Kardinäle und Bischöfe zusammen mit Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) feierlich in den Petersdom ein. Das Konzil sollte das wichtigste kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts werden. Der Papst selbst hatte von „Aggiornamento“, vom Heutig-Werden der Kirche gesprochen. Das Konzil leitete umfangreiche Veränderungen in der katholischen Kirche ein. Beschlüsse wurden allerdings nicht nach dem Prinzip „die Mehrheit hat recht“ gefällt, sondern in einem langen Prozess der Suche, des Nachdenkens, des Gesprächs und des Gebetes. Daher wurde den einzelnen Dokumenten des Konzils mit hohen Mehrheiten zugestimmt. Einzig ein unbedeutender Text über die Massenmedien erhielt mehr als einhundert Gegenstimmen (ca. 7 %). Bei wichtigen Texten waren nur einzelne Konzilsväter anderer Meinung. 
Für viele Christen war dieses Konzil mehr als eine Wegmarkierung, sie sehen es als Kehrtwende der Katholischen Kirche mitten hinein in die moderne Welt. Unter den Anhängern unterschiedlicher theologischer Richtungen ist in der Folge – immer wieder – Streit entbrannt. Auf der einen Seite stehen heute, nach 50 Jahren die, die betonen, das Konzil könne einzig im Licht der jahrhundertelangen Tradition der kirchlichen Verkündigung richtig gelesen und verstanden werden. Andere entdecken im Konzil einen Bruch mit dem, was Kirche vorher war. Und Vertreter dieser Überzeugung gibt es interessanterweise sowohl in der Piusbruderschaft (und ähnlichen Richtungen) als auch bei den Anhängern einer „Kirche von unten“. 
Gerne berufen sich die Kirchenreformer auf einen „Geist des Konzils“, für den sie die muntere Aufbruchstimmung nach der großen Kirchenversammlung als Beweis anführen. Manchmal hat man in der Rückschau durchaus den Eindruck, dass der Rückenwind für manche Reformen nicht ausschließlich der Hl. Geist gewesen sein kann. Und dass man aus der Ungeduld mit manchem Reformstau in der Kirche die anstehenden Reformen allzu radikal anpackte.
Doch die sehr kleine Gruppe der Konzilsskeptiker und Gegner war von Anfang an nicht leise. Gern zitiert wird von ihnen ein Papst Paul VI. zugeschriebener Ausspruch, durch das Konzil sei der „Rauch Satans, ... durch irgendeinen Riss in den Tempel Gottes eingedrungen sei.“ Dieses Wort stammt aus einer Predigt, die der Hl. Vater in freier Rede am 29. Juni 1972 gehalten hat. Und er bezog es auf die vielen Unsicherheiten und Auseinandersetzungen, die es in der Folge des Konzils in der Kirche gegeben hat. Es ist also mitnichten ein Urteil über das Konzil, eher eines über die Vertreter der allzu liberalen und der traditionalistischen Streithähne. Offensichtlich war da ein in der Vergangenheit eher verborgen schwelender Konflikt an die Oberfläche gedrungen. Die offene Aussprache beim Konzil wurde plötzlich auch in der allgemeinen kirchlichen Öffentlichkeit gepflegt. 
Kürzlich wurde der durchaus anerkannte Philosoph Robert Spaemann in der WELT über das Konzil befragt. Und neben manchem Bedenkenswerten spricht er dem zweiten Vatikanische Konzil ein hartes Urteil: Es habe eine „Epoche des Niedergangs" der katholischen Kirche eingeleitet. „Das Konzil hat die Katholiken lasch gemacht", sagt Spaemann und „Es ist alles so welk geworden." Die Kirchenversammlung sei Teil einer Kulturrevolution in den westlichen Staaten gewesen und habe zu einer „Anpassung" der Kirche an die säkulare Welt geführt, kritisierte Spaemann. Erst zum Ende des Interviews kommt der Philosoph zu der Erkenntnis, dass die Konzilstexte auch viele richtige und wichtige Aussagen enthalten. Alle Ultrakonservativen klatschten begeistert Beifall!
In dem Interview fällt u.a. der interessante Satz, dass es eine Tatsache sei, „dass Tausende von Priestern schon während des Konzils ihren Dienst verlassen haben.“ Diese Bemerkung, die in noch übertriebenerer Formulierung gerne in den ultrakonservativen Zirkeln kolportiert wird, machte mich neugierig. Aber, selbst wenn es stimmen würde, wäre das denn ein Beleg für die Behauptung, dass die Kirche seit dem Konzil „lasch“ und angepasst sei? Mir erscheint die Bemerkung unlogisch, denn ich frage mich, warum sollten „moderne“ Priester ihren Dienst aufgeben, wo es doch einen erkennbaren Aufbruch in der Kirche gab? Und auf der anderen Seite, warum sollten „traditionelle“ Priester ihren Dienst aufgeben, wenn die Kirche bis zu diesem Tag so makellos und rein da gestanden hätte, wie es heute in der Rückschau so gern behauptet wird. Daher sollte man prüfen, ob überhaupt stimmt, woran Spaemann zu glauben scheint. Daher müsste man eine entsprechende Statistik bemühen. Doch, belastbare Zahlen über Priestern und Ordensleute, die ihren Beruf oder ihren Orden verlassen haben, scheinen eher in den Giftschränken der Diözesen zu liegen. Wenn, dann gibt es Schätzungen und Mutmaßungen oder konkrete Geschichten rund um Priester die wegen einer Frau ihr Amt verließen. Daher schaue ich einfach mal auf die „positive Seite“ und die öffentlich verfügbaren Informationen. Die Zahl der Priesterweihen jedenfalls nimmt während des Konzils nicht ab. Sie bleibt konstant bei über 500 Priestern in Deutschland und geht danach aber bis 1994 kontinuierlich auf unter 200 zurück. Heute liegt sie bei unter einhundert. Inwieweit das Konzil hier „schuldig gesprochen werden kann“? Ich halte das für unwahrscheinlich. Die vatikanische Kongregation für den Klerus veröffentlicht die Information, dass es 1914 insgesamt 323.890 Kleriker auf der Welt gab, 1927 waren es 351 Tausend, 1961 (vor dem Konzil) 406 Tausend und 1970 (nach dem Konzil) 425 Tausend. Bei dieser Zahl ist es dann in der Folge geblieben, sie stieg bis zum Jahr 2001 auf 439 Tausend Priester, Bischöfe und Diakone. Einen „Konzilsknick“ kann ich hier nicht erkennen. Im Gegenteil, noch nie in der Geschichte der Kirche gab es mehr Kleriker als heute. 
Als Pastoralreferent komme ich mit vielen Menschen zusammen. Nur äußerst selten erlebe ich, dass jemand der Kirche seiner Jugend im Sinne der Konzilsgegner hinterhertrauert. Die Erinnerungen sind positiv geprägt, aufgrund von Erlebnissen in der katholischen Jugend und mit den Jugendseelsorgern. Den Umbruch der Konzilszeit haben die meisten von ihnen aber in guter Erinnerung, wenngleich auch von Konflikten zwischen traditionellen Pfarrern und allzu munteren Reformern berichtet wurde. Beklagt wurde das ein oder andere Mal, dass der liturgische Aufbruch auch mit der Beseitigung lieb gewordener Traditionen einherging, manchmal gar mit der Beseitigung kirchlicher Kunstwerke.
In negativer Erinnerung haben viele Menschen, die die „vorkonziliare“ Kirche noch erlebt haben, dass diese durch eine gewisse Enge gekennzeichnet war, die von vielen als Zwang und Druck erlebt wurde. Vermutlich konnte dies nicht anders sein, die Kirche lebt ja nicht im luftleeren Raum, ihre Sozialgestalt entwickelt sich im Dialog mit der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, die sie umgibt. 
Das Konzil, für den großen Wandel in der Bedeutung des Christentums in der heutigen Gesellschaft  schuldig zu sprechen, dürfte in etwa so gerecht sein, wie eine Verprügelung des Postbeamten, weil dieser eine schlechte Nachricht überbracht hatte. Wir erleben in Europa sicherlich schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Krise von Kirche und Glauben, die im Kern sogar mehr ist. Sie ist eine Krise der seit der Antike überlieferten Form von Religion. Und diese Krise hat ihren Höhepunkt bis heute noch nicht erreicht. 
Das Konzil reagierte vor 50 Jahren auf diese Krise und versuchte die Substanz des Glaubens im Dialog mit seiner Umwelt zu wahren. Es versuchte, was alle anderen Konzilien auch versucht haben und was mehr oder minder gelungen ist. Aber die Krisen der vergangenen Zeiten sind vergangen, die Glaubenskrise von heute hält noch an. 
Vielleicht täten wir alle gut daran, die Texte des Konzils neu zu lesen und uns auch mit der Vor- und Nachgeschichte des Konzils vertraut zu machen. Dieses große Ereignis der Kirche fand nicht im luftleeren Raum statt. Die Auseinandersetzungen und historischen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts müssen mit betrachtet werden. Ich nenne nur die Stichworte: Kulturkampf, katholisches Milieu, Faschismus, Kommunismus, Individualisierung, Säkularisation. Man mag es drehen und wenden, aus welcher kirchenpolitischen Richtung auch immer. Eines ist klar, am Konzil führt kein Weg vorbei. 
Was bringt intelligente Menschen wie – unter anderem - Robert Spaemann eigentlich dazu, das 2. Vatikanische Konzil als Ursprung allen Übels und Quelle aller negativen Entwicklungen zu sehen? Was bringt traditionalistische Katholiken dazu, im Konzil den Anfang vom Ende der katholischen Kirche zu entdecken?
Manchmal scheint es, als wäre der Wunsch nach einem Automatismus der Verkündigung oder Automatismus der Weltverbesserung der Vater des Gedankens. Natürlich wäre es (vielleicht) schöner, wenn die Verbreitung des Glaubens weniger Mühe erforderte, wenn es weniger kritische Anfragen und ein der Kirche wohl gesonnenes staatlich-gesellschaftliches Umfeld gäbe. Aber in der heutigen Gesellschaft kann der Glaube nicht mehr verordnet werden. Früher mag er so etwas wie ein Betriebssystem der Gesellschaft gewesen sein, eine vorgegebener Orientierungsrahmen, aus dem allenfalls kleine Ausbrüche möglich waren. Heute aber muss der Glaube einen Deutungsrahmen für die Welt bieten, den sich ein Christ aus Einsicht und Überzeugung hineinbegibt. Der Glaube ist nicht mehr unmittelbar plausibel. Und es fällt schwer, unseren Zeitgenossen einsichtig zu machen, warum aus Tugenden wie Selbstbeschränkung, Verzicht auf völlige Freiheit, Verzicht auf freie Zeit durch Gebet, Gottesdienst, Einsatz für andere ein möglicherweise glücklicheres, gelingenderes Leben zu erhoffen ist. Für viele erscheint der Glaube als zusätzliche Last in einem sowieso schon anstrengenden und komplizierten Leben. Und ebensoviele vermissen nichts, wenn sie keinen Glauben praktizieren. 
In diese Situation sind wir als Kirche gestellt, in diese Situation dürfen wir einen Gott verkündigen, der uns Vater ist, der der allmächtige Schöpfer unserer Welt ist und in Jesus Christus an unserem Leben und Leiden Anteil nimmt. Er schenkt uns seinen Geist. „Macht euch keine Sorgen, was ihr sagen sollt. Denn der Heilige Geist wird euch in der gleichen Stunde eingeben, was ihr sagen müsst. (Lk 12,11b-12)“
Das Spaemann-Interview: www.welt.de/kultur/medien/article110261782/Das-Konzil-hat-die-Kirche-lasch-gemacht.html
www.clerus.org/clerus/dati/2003-06/22-6/totalclerge.htm - mehr zu den Zahlen der Diakone, Priester und Bischöfe.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt???


Als deutscher Katholik staunt man, wenn man über die Grenzen schaut. Besonders, wenn der Blick dabei in die Schweiz geht. So wurde vor einigen Jahren berichtet, dass der Bischof von Chur (Wolfgang Haas) finanziell zunehmend auf dem Trockenen saß, weil die meisten katholischen Gemeinden sich weigerten, ihm einen Anteil der Kirchensteuer zu überweisen. So handfest drückte sich der Protest gegen seine Amtsführung aus. Wer hätte einen solchen Aufstand in der so solide und im guten Sinne konservativ erscheinenden Schweiz erwartet. Als Pastoralreferenten hörten wir häufig davon, dass die Schweizer Kollegen in einigen Bistümern von ihren Bischöfen zur Trauassistenz beauftragt wurden, dass sie Kinder tauften, beerdigten und de facto Gemeindeleitung übernahmen. Viele deutsche Kollegen wechselten in dieser Zeit „nach drüben“. In den letzten Jahren geisterten immer wieder Meldungen durch die Gazetten, wo Bischöfe sich erfolglos mühten, Pfarrer aus ihren Ämtern zu entfernen oder andere Veränderungen in der kirchlichen Szene herbei zu führen. Kirchenzeitungen kritisieren in erstaunlicher Offenheit die Bischöfe. Im Bistum Chur soll der Bischof (heute Vitus Huonder) sogar dazu ermutigt haben, aus der Kirche auszutreten und ihre Kirchensteuer zukünftig der bischöflichen Kasse zukommen zu lassen. Beispiele dieser Art ließen sich noch zahlreich aufführen; hier sollen sie allerdings nur illustrieren, dass die Schweizer Kirche völlig anders verfasst ist, als wir das in der deutschen Kirche kennen. Auf der einen Seite gibt es dort die offizielle kirchliche Hierarchie, die bischöflich verfasste Kirche. Daneben entstanden Parallelstrukturen, denn die Kantone in der Schweiz wollten nur eine Kirche anerkennen, die demokratisch verfasst ist und in Finanzfragen Transparenz gewährleistet. Hier gibt es synodale Strukturen und Laien in verantwortlichen Positionen. Allerdings auch eine große Eigenständigkeit gegenüber den Bischöfen. Aus dieser eigenartigen Doppelstruktur erklären sich manche, für uns erstaunliche Phänomene. Es wäre ein wenig so, als wenn in Deutschland das Zentralkomitee der Katholiken gemeinsam mit den Kirchenvorständen der Gemeinden die Finanzhoheit hätte.

Ob das, trotz aller „Demokratie“ wirklich ein Modell für Deutschland ist? Kaum verwunderlich, dass die deutschen Bischöfe keine „Schweizer Verhältnisse“ wollen. Vielleicht lohnt es sich, das aktuelle Dekret der Bischöfe über die Folgen eines Kirchenaustritts vor einer staatlichen Stelle aus dieser Perspektive zu betrachten. 

Der frühere Münsteraner Bischof Dr. Reinhard Lettmann berichtete uns einmal von einer Begegnung mit Papst Johannes Paul II.. Er hatte mit dem Hl. Vater über das Verfahren zur Wahl eines Bischofs in der Münsteraner Diözese gesprochen, worauf der selige Johannes Paul II. schmunzelte und bemerkte: „Ja habe ich in der Diözese Münster dann überhaupt etwas zu sagen?“ Die konkreten Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind in den deutschsprachigen Ländern aus vatikanischer Perspektive in der Tat Sonderfälle, die sich aus der besonderen und langen Geschichte der Kirche hierzulande ergeben. Staatskirchenrechtliche Vereinbarungen und Konkordate ermöglichen gewisse Mitsprachemöglichkeiten der Ortskirchen, u.a. bei der Wahl eines Bischofs, die andernorts unüblich sind. 

Die Frage einer Kirchenmitgliedschaft ist in fast allen Ländern der Welt einfach zu beantworten. Katholik ist, wer getauft wurde und nicht wieder vom Glauben abgefallen ist. Und selbst dann gilt: Getauft ist getauft! „Exkommunikation“ macht die Taufe nicht ungültig, eine Rückkehr ist jederzeit möglich. In der Regel ist es die Kirche selbst, die über ihre Mitglieder informiert ist. Eine staatliche Stelle hat da wenig zu sagen. Daher betrachtet man von Rom aus mehr oder minder skeptisch, dass in Deutschland der  Austritt aus der Kirche (in der Regel) vor einer staatlichen Stelle erklärt wird. Andernorts müsste ein getaufter Christ dagegen z.B. vom Pfarrer oder vom Bischof aus der Kirche verwiesen (exkommuniziert) werden und dafür gelten strenge Regeln. Hierzulande ist es möglich, einem – möglicherweise muslimischen oder atheistischen - Amtsgerichtsbeamten gegenüber die Kirchenmitgliedschaft zu beenden. Der interessiert sich überhaupt nicht dafür, ob da einer austritt, weil er sich über seinen Pfarrer geärgert hat und denkt, dass er sich jetzt mal die Kirchensteuer spart, oder ob ein Anhänger der Petrusbruderschaft austritt, weil er seinen Kirchensteuerbeitrag direkt seiner altrituellen Gemeinde zukommen lassen möchte. 

Daher ist es der entscheidende Passus im Dekret der Bischöfe zum Kirchenaustritt, dass der zuständige Pfarrer mit dem Ausgetretenen Kontakt aufnehmen muss, um die Beweggründe für diesen Austritt zu erfahren. Er soll letztlich die Frage beantworten, ob der Ausgetretene nur seiner Pflicht als Kirchenmitglied, einen angemessenen Beitrag für seine Kirche zu geben, entgehen wollte, oder ob derjenige sich womöglich vom Glauben selbst entfernt hat. Diese Regelung hat – zur Überraschung konservativer Kreise – den Segen „von oben“; also jetzt nicht von ganz oben, sondern vom Vatikan. 

In konservativen Diskussionsforen hatte nämlich 2006 ein Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte wie eine Bombe eingeschlagen, weil es darin heißt, dass der bloße Austrittsakt, beispielsweise vor einem Amtsgericht nicht zur Exkommunikation führe, sondern es dazu auch einer „inneren Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen“ bedarf. Kurz gesagt, würde das die Möglichkeit eröffnen „Katholisch ohne Kirchensteuer“ zu sein. Sehr konservativen Kreisen ist es nämlich schon lange ein Dorn im Auge, was mit „ihrer“ Kirchensteuer alles finanziert wird. Im Grunde finanzieren sie ja mit, was sie verbal heftig beklagen, z.B. die Rätestrukturen in den Bistümern, die katholische Jugendarbeit, die Caritas, den BDKJ, sogar das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. 
Es entstand dort die Hoffnung, man könne austreten und trotzdem – oder gerade erst recht – katholisch sein. Dieser Hoffnung haben die deutschen Bischöfe nun einen Riegel vorgeschoben. So erklärt sich die heftige Reaktion quer durch die konservativen Blätter, Portale und Blogs.

Lustigerweise spitzen manche Autoren (aus beiden „Lagern“) es nun auf die Frage „Sakramente gegen Geld“ zu und zerren damit den alten Ablasshändler Johann Tetzel wieder aus seiner historischen Ecke. Allen voran Reinhard Dörner (mein alter Deutschlehrer von den Beruflichen Schulen in Ahaus) in einer Erklärung des „Zusammenschluß papsttreuer Vereinigungen (ZpV)“: „Sakramente sind demnach käuflich: Wer Kirchensteuer zahlt, kann die Sakramente empfangen. ... Dass die Bischöfe jetzt über Luther hinausgehen, indem sie Sakramente an Geldleistungen binden, verleiht diesem Akt eine eigene Brisanz.“ Es irritiert, dass diese Gruppierungen „Papsttreue“ offensichtlich als Freibrief zu überschäumender Bischofskritik verstehen. Ich glaube, Dörner schießt weit über das Ziel hinaus und führt die Leser in die Irre. Es geht nicht in erster Linie ums Geld. Es ist doch schon heute so, dass die Mehrzahl der Kirchenmitglieder gar keine Kirchensteuer zahlt. Es gibt keine genauen Zahlen, aber man geht von ca. 30 – 35 % Kirchensteuerzahler unter den Kirchenmitgliedern aus. 
Ich bin sicher, dass es den Bischöfen mehr um eine notwendige Klarstellung ging, dass es nicht eine Kirche staatlicher Ordnung und eine weitere (die eigentliche) Kirche geben kann. Daraus würde bald eine gestaffelte Kirchenmitgliedschaft und ein neuer Spaltpilz in der einen Kirche. Das Dekret ist zwar etwas formal geraten, aber es kommt doch darauf an, was man daraus macht. 

Trotzdem sollte man die Einwände der Kritiker nicht leichthin verwerfen. Auch durch das sehr formale Schreiben an diejenigen, die der Kirche den Rücken kehren entsteht ein schiefer Eindruck. So spitzt denn auch der Philosoph Robert Spaemann den Knackpunkt der Neuregelung so zu: „Paradoxerweise sei nun das Zahlen der Kirchensteuer ein wichtigeres Kriterium für die Mitgliedschaft als das Bekenntnis zu zentralen Glaubenswahrheiten.“ Er fragt auch zu recht, wie das mit einer „Entweltlichung“ der Kirche zusammen gehen soll. 
So verständlich der Wunsch der „papsttreuen“ Katholiken ist, dass mit „ihrer“ Kirchensteuer auch nur das finanziert wird, was ihnen genehm ist und Ihrer Auffassung von Katholizität entspricht, so fatal wäre dieser Weg doch in der Wirklichkeit. Dann würden nämlich zahlreiche Anhänger anderer Katholizitäten dieses Privileg auch für sich in Anspruch nehmen. So leicht ist es nämlich nicht zu bestimmen, was ein „wahrer“ Katholik ist, wie z.B. die Diskussion um die Piusbruderschaft zeigt. Und soll demnächst jeder - der Kirche gespendete oder über Kirchensteuer gezahlte - Euro nur dann angenommen werden, wenn die Rechtgläubigkeit des Gebers geprüft ist? 
Oder möchten Herr Spaemann und Herr Dörner und andere in Deutschland die auseinanderdriftenden Strukturen der Schweizer Kirche? Da kommt die katholische Kirche in Deutschland doch beinahe schon überzeugend geschlossen und einheitlich daher. Jedenfalls schon mal so geschlossen, dass jeder Katholik vor Ort und jede Gemeinde für die Fehler und Mitkatholiken andernorts mitverantwortlich gemacht wird. Wer weiß nicht, was man sich bei Familienfeiern oder beim abendlichen Kneipenbesuch alles anhören muss, wenn mann sich als gläubig „outet“.

Ich glaube jedenfalls nicht, dass unter den 120.000 Katholiken, die im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten sind, die große Mehrheit deshalb austreten, weil sie die „Irrwege einer dem Papst untreuen deutschen Nationalkirche“ nicht mitzugehen bereit sind, wie es in manchen Kommentaren des konservativen Lagers anklingt. Das ist ein unredliches Argument. Viele, die austreten und nicht mehr formal Kirchenmitglied sind, haben durchaus den / einen Glauben bewahrt, distanzieren sich aber von dem, was sie als Kirche erlebt oder aus der Ferne erfahren haben. Anderen ist der Glaube selbst gleichgültig geworden. 

Sicher, die Kirchensteuer ist ein hinterfragbares historisches Konstrukt. Letztlich hat sie ihre Wurzel in der Entscheidung Napoleons, der Kirche ihren Reichtum, ihr Vermögen zu nehmen und der daraus folgenden Verpflichtung des Staates, die Kirche im Gegenzug „wenigstens auf Sparflamme“ zu finanzieren. Napoleon erhoffte sich hierdurch ein gutes Geschäft, aber schon bald wälzte der Staat diese Verpflichtung weitgehend wieder auf die Kirchenmitglieder ab. So ist es bis heute geblieben. Die Finanzhoheit eines gewählten Gremiums, des Kirchenvorstandes ist ebenfalls eine Folge staatlicher Einflussnahme auf kirchliche Finanzen. Insgesamt kamen aber diese staatlichen Maßnahmen letztlich der Kirche zu Gute und lange Zeit waren alle Beteiligten zufrieden. 

Das ist heute etwas anders geworden, aber bisher hat noch niemand ein Modell entwickelt, wie die Kirchenfinanzierung einer Großkirche funktionieren kann ohne schmerzhafteste Umbrüche in der sozialen Landschaft. Natürlich gibt es an vielen Einrichtungen der Gemeinden, der Bistümer und des Caritasverbandes durchaus Kritikwürdiges. Aber wer glaubt denn, dass es besser würde, wenn wir all diese Einrichtungen in staatliche Hände oder an andere Sozialverbände übergeben? Im Gegenteil! Es wird ganz viel an christlicher Zuwendung nicht mehr geleistet werden und sehr viel Begegnung mit Christus, Kontakt mit Gott wird nicht mehr möglich sein. Wer heute die Haltung von Vereinen wie Pro Familia z.B. in der Abtreibungsfrage etwas entgegensetzen möchte, kann sich nicht auf gute Worte und fromme Argumente verlassen. Der muss auch handfest anpacken, sich durchaus mal die Hände schmutzig machen und Hilfen bieten, die aus Spenden allein nicht aufzubringen sind. 

Die ganze Diskussion um das bischöfliche Dekret und über das Urteil über den bedingten Kirchenaustritt des Kirchenrechtlers Zapp sollte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Der Staat hat klar gestellt: Wer aus der Kirche austritt, der ist zunächst einmal draußen. Wie die Kirche dann mit diesem Austritt umgeht, das ist die Frage. Darüber muss in der Kirche weiter gesprochen werden. Darüber muss auch mit den Ausgetretenen gesprochen werden, denn aus ihren Rückmeldungen ließe sich vieles lernen. 

Auch das von den Bischöfen vorgeschlagene Verfahren lässt die Möglichkeit offen, dass der Pfarrer im Gespräch feststellt, dass der Ausgetretene eigentlich ein frommer Katholik ist, der seiner Kirche nur in einem Punkt nicht mehr folgen will, nämlich seinen Kirchenbeitrag in Form einer Steuer zu entrichten. 
Wenn der dann noch zusätzlich erklärt, dass er seinen Beitrag lieber der konkreten Gemeinde vor Ort zukommen lässt und so in angemessener Weise seinen finanziellen Beitrag dazu leistet, so dass die Kirche ihre Sendung erfüllen kann (c. 222 § 1 CIC i.V.m. 1263 CIC). Wie soll der Pfarrer dann reagieren? Das wird eine spannende Sache. 

Aber es ist doch auch klar, dass sich die deutschen Bischöfe auf solche Einzelfalllösungen nicht einlassen wollen und auch nicht können und dürfen. Es muss ein klares Recht gelten, dass Unklarheiten in dem etwas komplizierten rechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland möglichst vermeidet. Das ist die Grundlage eines fairen und gleichberechtigten Umgangs mit allen Gläubigen, unabhängig von deren Macht und Einfluss und ihren kirchen“politischen“ Überzeugungen. Das, was einige Kommentatoren aus den Lagern der Kirchengegner und dem der angeblich „Papsttreuen“ daraus machen, spitzt die eigentliche Sache unangemessen auf Teilaspekte zu.

Viel besser wäre es, wenn wir gemeinsam unsere Energie, unsere Glaubensüberzeugung und jeden Cent der Kirchenfinanzierung wirklich ausschließlich für die Sache Jesu investieren. Und um Missdeutungen vorzubeugen, natürlich unter Beachtung des markanten Satzes aus der Antrittsenzyklika des seligen Johannes Paul II.: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Das wäre eine echte Entweltlichung, wie sie Papst Benedikt angeregt hat.