Montag, 11. August 2014

Ist es wirklich der "böse" Islam?

Es war im Jahre 1961, da wurde im Norden Ugandas der Familie Kony ein kleiner Junge geboren. Seine recht armen Eltern trugen ihn vom Dörfchen Odek aus in die nächste katholische Kirche, dort wurde er auf den Namen Joseph getauft. Später war er hier auch Ministrant. Heute ist dieser junge Katholik aus dem Volk der Acholi einer der brutalsten Massenmörder des Planeten. Er hält sich selbst für auserwählt „Korruption, Sünde und unmoralischer Denkweise“ zu bekämpfen. 1987 übernahm er von seiner Tante die Führung einer Rebellengruppe und nannte diese fortan Lord's Resistance Army (LRA). Er machte daraus ein Heer, dessen jüngste Soldaten sieben Jahre alt sind. Seit vielen Jahren entführt die Gruppe Kinder in ihre Lager im Busch, man schätzt deren Zahl auf 11. bis 20.000. Kinder, so meint Rebellenführer Kony, sind die besten Soldaten. Sie sind leichter zu beeinflussen und besser zu motivieren als Erwachsene. Nach gründlicher "Ausbildung" werden sie zu furchtlosen, fürchterlichen Kämpfern. Wenn man den religiös motivierten Terrorchef reden hört, fühlt man sich an die Sprüche erinnert, die wir in diesen Tagen auch von islamistischen Kämpfern aus Syrien und dem Irak hören müssen. 

Den Kindersoldaten wurde manchmal nach einem Gewaltmarsch durch den Dschungel befohlen, die eigenen Geschwister zu töten. Manchmal ließ man sie auch in ihre Dörfer zurückkehren und zwang sie, dort die eigene Verwandtschaft zu massakrieren und damit ihre vertraute Heimat auszulöschen. Die Verbrechen dieses Mannes und seiner „Armee“ kann man kaum angemessen beschreiben. Es ist einfach fürchterlich!

Natürlich hat das alles nichts mit Katholizismus oder Christentum zu tun, auch wenn Kony katholisch getauft wurde. Er hat sich längst von seiner Kirche entfernt und nutzt nur noch einige - angeblich christliche – Bausteine, um die eigene wirre Ideologie zu begründen. Selbst hält er sich an nichts, die Gruppe plündert, mordet, vergewaltigt und zerstört - Menschen, Dörfer, Landschaften. „Der Zweck heiligt die Mittel!“ Ab und an berichtete mir mein Freund L. aus Uganda von diesen Greueltaten, z.B. davon, dass im Norden Ugandas die Kinder nicht mehr in den Dörfern schlafen, sondern in den Städten und bei der Kirche Schutz suchen. Er bat mich aber, nichts davon im Internet zu veröffentlichen, weil er selbst Angst vor der Rache dieser Bestien in Menschengestalt hat.

Was würden Sie wohl antworten, wenn ihr Nachbar Sie morgen früh darauf anspricht, wie Sie es verantworten können, einer Religion zu folgen, die solche Mörder hervorbringt? Eine solche Frage erscheint uns kaum vorstellbar, und jede(r) würde eine Mitverantwortung des eigenen Glaubens dafür weit von sich weisen. 
Kein Wunder, dass auch Muslime sich ungern die Untaten der Islamisten vorhalten lassen. In den letzten Tagen liest man im Internet beständig Forderungen wie die des Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU). Die muslimischen Verbände in Deutschland mögen doch die Verfolgung von Christen als Unrecht benennen. Ja, als was denn sonst? Und entsprechend haben sich die Islamverbände immer wieder geäußert, so auch jetzt. Im Grunde ist es doch eine Selbstverständlichkeit; welcher denkende und fühlende Mensch könnte solche Gräueltaten in irgendeiner Weise rechtfertigen? Bemerkenswert fand ich in diesem Zusammenhang die Worte von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland in der Süddeutschen Zeitung vom 6. August 2014: „Ich stelle mir heute schon die Fragen, die unsere Kinder und Enkel mir stellen werden, die mich und uns eines Tages dafür attackieren, dass wir vor den Katastrophen und Eskalationen im Nahen Osten - und damit meine ich nicht nur den israelisch-palästinensischen Konflikt - die Augen verschließen. ... Man wird über die Schande von Gaza, von Syrien, vom Irak, von Afghanistan und den vielen nicht die Schlagzeilen erreichenden Orten sprechen. Von der Unterdrückung, der Demütigung und dem vollständigen Versagen der Weltgemeinschaft, der Muslime im Speziellen, diesen Schandtaten Einhalt zu gebieten, wird noch in Hunderten Jahren die Rede sein. ...
Ich habe die seit Jahren gleichen Gesänge auf Konferenzen, Tagungen und anderen Treffen satt, in denen nicht selten Judentum mit Israel gleichgesetzt, Juden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit beleidigt werden und dieses Verhalten je nach Couleur mal patriotisch, mal pseudoreligiös unterlegt wird. ... 
Selbstmordattentate, Terroranschläge und Massenexekutionen sind Folge der Perversionen der Religionen. Sie haben alle denselben Ursprung in der Handlungsmaxime, dass jeder Zweck die Mittel heiligt. Während die Welt übrigens die Hunderten Toten in Gaza zu Recht beklagt, haben in Syrien Terrorgruppen in nur zwei Tagen mehr als 700 Menschen ins Jenseits befördert. Die kriminelle IS-Bande brandschatzt und mordet im Irak, der Wiege der Menschheit, und hat nach 1600 Jahren die christlichen Iraker aus Mossul fast vollständig vertrieben.
...Einer solchen - ja, man muss es sagen - faschistoiden Politik müssen wir alle, die die abrahamitischen und zivilisatorischen Werte hochhalten, eine eindeutige Absage erteilen. ... Zombies werden auf diese Weise produziert, ... die zum Himmel schreiendes Unrecht begehen, die skrupellos, terroristisch, gewalttätig und grenzenlos grausam sind. Unsere Welt ist in ein großes Ungleichgewicht geraten, und wir Muslime mittendrin.
Wo bleibt unser Aufschrei, ein Aufschrei gegen diese Schande? Wo ist der Aufruf zum demütigen Gebet, dass unser Schöpfer unsere Menschlichkeit erhalten möge? Wo ist die Bereitschaft, dass wir uns angesichts dieser Grausamkeiten ehrlich machen, damit die Würde des Menschengeschlechtes radikal und kompromisslos verteidigt werden kann?“
Diese Worte eines führenden Vertreters der hiesigen Muslime lassen doch keine Wünsche offen, oder? Ähnliche Äußerungen habe ich in den letzten Tagen immer wieder von Muslimen gehört.

Auch scheint es zunehmend „in“ zu sein, wechselnden Personengruppen „Untätigkeit“ und „Apathie“ mit Blick auf die Leiden der von den Terroristen eines selbsternannten Islamischen Staates Verfolgten und Ermordeten vorzuwerfen. Aber teilen nicht die, die so fragen, mit uns die Ratlosigkeit, was denn nun zu tun ist? Sollen wir unverzüglich die Bundeswehr in den Kampf schicken, nach den Erfahrungen der letzten Jahre mit militärischen Interventionen in Irak, Afghanistan und Libyen? Sollen wir alle in Ketten legen, von denen wir vermuten, dass sie der salafistischen Interpretation des Islam anhängen?

In diesen Tagen werde ich in den sozialen Netzwerken immer wieder mit grausamen Fotos und Videos von unbeschreiblichen Gewalttaten konfrontiert. Da zur Zeit keine Reporter Zutritt zu den Krisengebieten haben (nicht einmal der Sohn eines Freundes, der oft in Syrien war, fließend arabisch spricht und auch so aussehen kann, traut sich derzeit dorthin), müssen die schlimmsten Bilder von den Gräueltaten der Anhänger eines sogenannten „Islamischen Staates“ zumeist von diesen Leuten selbst stammen. Sie verbreiten sie, um Angst und Schrecken zu vervielfachen. Die IS-Terroristen stellen sich selbst als unbesiegbar dar, als Kämpfer, die weder Angst vor dem Tod noch den Tod selbst kennen. Wenn wir bei deren Verbreitung mitmachen (auch wenn wir damit auf das Leiden der Unterdrückten, Gefolterten und Gemordeten aufmerksam machen wollen) helfen wir ihnen dabei, ihre bestialische Saat im Westen auszusäen und – so widerlich es klingt – auch hier Anhänger zu gewinnen. Wir sollten daher damit vorsichtig und zurückhaltend sein! FAZ-Reporter Christoph Erhardt schreibt treffend: „Es ist eine Inszenierung des Terrors, die so perfide ist wie perfekt. Die Propagandaabteilung des Islamischen Staates verkauft verirrten und verführten Jugendlichen den neuen, coolen Dschihad. Und allen anderen den blanken Horror, die stete Bedrohung. Man erschauert und möchte den Blick abwenden. Aber das geht nicht.“ Im Grunde reichte die Beschreibung dessen, was geschieht aus, um unser Mitgefühl zu wecken - ohne dass sich Bilder in unser Herz fressen müssen. Denn das Ziel der extremen Islamisten ist es ja, die Gesellschaften im Westen zu erschüttern und so viel Angst und Unfrieden zu säen, wie nur irgend möglich. So werden auch hier friedliche gesinnte Christen, Muslime, Jesiden und wer auch sonst noch alles gegeneinander in Stellung gebracht. Zumindest aber wird eine Saat des Misstrauens und des Unfriedens ausgesät. 

Gerade der Krieg der Medien, den z.B. die Hamas führt, zeigt überdeutlich, wie gefährlich die Waffe Bild und Film geworden ist. Ich habe mir einige Filme bei facebook angeschaut und war nicht nur über die Bilder erschüttert, sondern auch über den Hass, der kübelweise und unverblümt mal über Israel, mal über die Palästinenser ausgeschüttet wurde. Man braucht schon einen dicken emotionalen Panzer, um das überhaupt zu lesen und zu sehen. Ich bin sicher, mancher Hamas–Stratege freut sich über jedes tote und verletzte Kind (sofern es Bild- und Filmmaterial davon gibt). Auch werden in diesen Konflikten Bilder verändert, gestellt, gestaltet, so dass sie der eigenen Sache dienen. Selbstverständlich ist es der blanke Horror, was mit vielen palästinensischen Zivilisten geschieht. Ich würde mir daher wünschen, dass Israel noch mehr bedenkt, wie wichtig heute solche Bilder sind und dass ein Krieg nicht nur militärisch gewonnen, sondern gleichzeitig auch moralisch verloren werden kann.

Auf „christlicher“ Seite tummeln sich ebenfalls allerhand Aktivisten, manchmal vernetzt mit ultrarechten Kreisen, die – ausgestattet mit obskuren Koranübersetzungen oder Sammlungen von bedenklichen Koranversen – Verschwörungstheorien über den Islam und seine Anhänger entwerfen, und von der Unterwanderung der westlichen Gesellschaften durch Muslime fabilieren, die – auch wenn sie zunächst liberal eingestellt seien – sich nach und nach radikalisieren ließen. Inzwischen werden solche Verschwörungstheorien auch gern mit Bildchen aus der ISIS – Datenbank verknüpft und wieder und wieder durch die sozialen Netzwerke gejagt. 
Ich mag sie nicht mehr lesen, die Aufzählungen der wirklichen und vermeintlichen Gewaltverse aus dem Koran und die Vorwürfe ein „Islamversteher“ zu sein, wenn man zu Vernunft und Differenzierung aufruft. Auch im Alten Testament kann ich zahlreiche Verse aus dem Zusammenhang entnehmen und finde Stellen, wo Gott zur Vernichtung ganzer Völker aufruft. Ich frage mich, was diese Leute erreichen wollen, die die gesamte Religion des Islam in Bausch und Bogen verdammen. Auf unserer Welt leben heute ca. 1,57 Milliarden Muslime! Was wollen diese Leute, erwarten sie ernsthaft, dass sie alle sich zum Christentum bekehren lassen? Wollen sie die Abschottung der ursprünglich „christlichen Länder“ gegenüber Muslimen oder gar selbst in den Heiligen Krieg gegen diese angeblich „falsche“ Religion? Es gibt doch überhaupt keine Alternative zum Miteinander und zum Dialog, was nicht bedeutet, menschenfeindliche Praktiken oder irregeleitete Fanatiker in irgendeiner Weise zu tolerieren oder auch nur zu dulden.  

Der Terrorkrieg in Syrien und Irak rückt uns auf die Pelle, nicht nur, weil die IS – Terroristen uns die Bilder über soziale Netzwerke und Internetseiten direkt ins Haus liefern, sondern auch, weil Menschen von hier unter den schwarzen Fahnen des „Kalifats“ kämpfen. Eine fünfköpfige Gruppe die aus Dinslaken (wo ich bis vor einigen Jahren gewohnt habe) in den angeblichen Dschihad zog, bestand aus drei türkischstämmigen und zwei deutschstämmigen Muslimen. Wenigstens zwei von ihnen ließen ihre Familien unversorgt zurück, einer der Deutschen sprengte sich als Selbstmordattentäter in die Luft und riss 21 Kurden mit in den Tod. Wie kann es sein, dass die radikalislamischen Kämpfer in Syrien oder im Irak hierzulande Anhänger anwerben können? Selbst gute Bekannte dieser Leute sind absolut ratlos, wie das passieren konnte. 

Zumeist (aber nicht nur) kommen die Kämpfer aus salafistischen Gruppen. Es ist hier nicht der Platz, um den Salafismus in all seinen Spielarten darstellen können, aber die wahhabitische Religionsschule (in Saudi-Arabien eine Art Staatsraison) stellt sicher den ideologischen Unterbau der IS-Leute dar. Hieraus haben einige Protagonisten ein sehr einfaches, stringentes und strenges Islamverständnis „gezimmert“, das sich wenig um eine aufgeklärte Religion kümmert. Die Anhänger dieser Gruppierungen hierzulande werden gern als „gescheiterte Existenzen“, Außenseiter, stille Typen geschildert. Da kommt es darauf an, die Augen offen zu halten und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Es ist wichtig, dass solche Ideologien (das gilt ja ähnlich auch für christliche Sekten, gewalttätige und kriminelle Gruppen, Neonazis etc. etc.) keine Schwachstellen bei diesen Menschen finden, wo sie mit ihrer Gedankenwelt und ihrer Zuwendung andocken können. Solche Menschen sollten unsere Aufmerksamkeit haben und unsere Nähe spüren. Auch der familiäre Zusammenhalt über die Kernfamilie hinaus ist bestimmt wichtig und hilfreich. Jeder Mensch muss spüren, dass er gewollt, gebraucht und geliebt ist. Das immunisiert sicher am Besten gegen Prediger wie Pierre Vogel. Und was noch hilft: profundes Wissen über den eigenen Glauben. Man sollte auch gegenhalten können, wenn solche Gestalten die eigene Gläubigkeit durch den Kakao ziehen und sich von allzu viel Wortgeklingel und allzu klaren Überzeugungen nicht kirre machen lassen. Wenn ein solcher salafistischer Vogel mir einige Bibelverse um die Ohren haut sollte mich das nicht irritieren. Der hat halt vier oder fünf Verse und eine Argumentation dazu auswendig gelernt. Wenn ich ihm auf offener Bühne nicht kontern kann ... dann sollte ich die Bibel aufschlagen und werde bald merken, dass er sein Wissen aus dem Internet zieht und dass Gottes Wort viel umfassender ist.

Ganz ähnlich ist es mit dem Koran; wenn ein 25jähriger Prediger den ganzen Glauben zu kennen vorgibt und nicht ehrfürchtig einsieht, dass er nur ein ganz klein wenig vom weisen Ratschluss Allahs erkannt hat, dann ist er ein Scharlatan – und mag sein Bart noch so lang und dunkel, sein Gewand noch so arabisch und seine Überzeugung noch so fest erscheinen. Mir kommt die Augustinus-Geschichte in den Sinn: „Augustinus geht am Meer spazieren. Er begegnet einem Kind, das mit einer Muschel Wasser schöpft. Der alte Heilige fragt: Was machst Du da? Das Kind: Ich schöpfe das Meer aus! Darauf Augustinus zu sich selbst: Eigentlich klingt das völlig illusorisch, ja töricht, aber nichts anderes tue ich auch, wenn ich versuche, über Gott nachzudenken.“ Oder anders gesagt, wer zeitlebens auf der Suche nach Gott bleibt, der wird auch nicht in Versuchung kommen, seinen Nächsten mit seinem Gottesbild zu erschlagen. Papst Franziskus sagt dazu: „Um den Dialog mit dem Islam zu führen, ist eine entsprechende Bildung der Gesprächspartner unerlässlich, nicht nur damit sie fest und froh in ihrer eigenen Identität verwurzelt sind, sondern auch um fähig zu sein, die Werte der anderen anzuerkennen, die Sorgen zu verstehen, die ihren Forderungen zugrunde liegen, und die gemeinsamen Überzeugungen ans Licht zu bringen.“ (Evangelii gaudium)

Osama bin Laden wäre hochzufrieden, wenn er sehen könnte, was sich seit seinen Anschlägen auf die Zwillingstürme des World Trade Center in der Welt alles zum Schlechteren verändert hat. Ganze Länder und Regionen, die im Namen der Terrorbekämpfung in Schutt und Asche gelegt wurden; und dabei ist nicht nur die Infrastruktur draufgegangen, sondern auch die Strukturen des friedlichen Zusammenlebens der Menschen; selbst aus dem „arabischen Frühling“ ist ein menschenfressendes Monster geworden. So viele bewaffnete Konflikte in aller Welt. Die Opfer: in der großen Mehrzahl sind es: die Muslime selbst, vor allem Zivilisten. Das Misstrauen in der globalisierten Welt ist beständig gewachsen. Friedliche, gut integrierte Muslime müssen sich für ihren Glauben rechtfertigen und werden in die Terrorecke gestellt. Gut, dass Osama sich darüber nicht mehr freuen kann, denn – so schrieb es einer meiner facebook-Freunde etwas flapsig: „Wenn die Gotteskrieger wüssten, dass sie keineswegs im Paradies mit netten Jungfrauen, sondern in der Hölle mit pädosexuellen Mördern landen, würden sie vielleicht umdenken. Sagt ihnen aber keiner ihrer Hassprediger.“

Es macht heute wenig Sinn zu ergründen, wer alles dazu beigetragen hat, dass solche Terrorgruppen wachsen und kämpfen konnten. Bei IS sind ja Saudi Arabien und Katar, aber auch Israel und sein Mossad und die Amerikaner im Gespräch. Wichtig wäre, wenn allen Mächten auf dieser Welt klarer würde, dass die Gleichung: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ meist nicht aufgeht. Jemand, der menschenfeindlich denkt kann nie mein Freund sein und sollte es auch nie werden. Irgendwann kehrt sich dessen Menschenfeindlichkeit auch gegen mich. Die IS ist nicht einfach so aufgetaucht aus dem Nichts, sondern hat sich über Jahre zu einer schlagkräftigen Bewegung entwickelt. Insgesamt sind die islamistischen Terrorgruppen eine Folge von hundert Jahren Unterdrückung durch wechselnde Besatzer und Potentaten, was sich nun (zumindest bei den Terrorgruppen) in einer Mischung aus Hass und Mordlust entlädt, wobei keiner von ihnen zu bemerken scheint, dass sie die vermeintlich bessere, saubere, unbefleckte neue Herrschaft schon mit furchtbarem Unrecht beginnen. Hoffentlich gehen allen, die unter der hundertjährigen Unterdrückung leiden mussten aufgrund dieser Ereignisse die Augen auf und sie finden sich alle zusammen, um diesen „Geist“ wieder in die Flasche zurückzudrängen und einen wirklichen Neuanfang möglich zu machen.

Hier sollten die muslimischen Autoritäten entschieden die Friedenskräfte stärken (viele tun es ja auch schon – von uns im Westen weitgehend unbemerkt) und im Namen der Religion eindeutig Position gegen islamistischen Terror und Gewalt beziehen. Die Zersplitterung der Religionsschulen darf dabei keine Rolle spielen, die Religionsgelehrten sollten mit einer Stimme sprechen, auch wenn es im Islam – anders als im Christentum – zumeist keine religiöse „Obrigkeit“ gibt. Das ist aus verschiedenen Gründen sicher nicht immer einfach für die betreffenden Personen, behaupten manche Kämpfer doch ausdrücklich, gegen Unrecht in Vergangenheit und Gegenwart zu kämpfen und für den „Sieg“ des Glaubens zu streiten. Aber ihre Taten offenbaren doch deutlicher als manchmal ihre Worte, dass ihre Triebfedern weniger Gottes Wort als Hass und Mordlust; Gewalt- und Machtphantasien sind. 

Ich plädiere sehr dafür, die Augen offen zu halten und differenziert wahrzunehmen was ist und was geschieht. Auch unter deutschen Muslimen gibt es etliche, die problematisch denken und manche, die problematisch handeln. Aber ich bin auch gegen jegliche Panikmache. Man muss genau hinschauen und genau unterscheiden. Nicht die frommen Muslime sind unser Problem. Wenn ich über 10 Salafisten klage, dann darf ich nicht so tun als gäbe es die 4.000 guten Staatsbürger nicht, die Tag für Tag treu ihren Pflichten als Arbeitnehmer, Unternehmer, Bürger, Väter, Mütter... nachkommen. Sie dürfen für die Gewalttäter und für die Verbrecher nicht in Mithaftung genommen werden. Im Gegenteil! Wir sollten uns mit ihnen zusammentun und ihnen zeigen, dass wir ihre Leistung und ihre Religiosität schätzen und diese Erwartung gegenseitiger Wertschätzung auch an sie artikulieren. Wir sollten die offenen und integrationsbereiten Gruppen, Vereine und Moscheen unterstützen – und die, die sich etwas zuschulden kommen lassen - auch entsprechend bestrafen oder beschränken. Das ist ein schwieriger und langer Weg. Aber wir werden ihn gehen müssen, denn das Rad der Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen. Als Christen sollten wir nicht ignorieren, dass auch Schwestern und Brüder von uns in der Vergangenheit durch Gewalt und Intoleranz Schuld auf sich geladen haben. In Deutschland und in der Welt werden wir Christen mit den muslimischen Gläubigen zusammen leben müssen. Je mehr das im Miteinander gelingt, desto besser für alle.

„Angesichts der Zwischenfälle eines gewalttätigen Fundamentalismus muss die Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam uns dazu führen, gehässige Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Koran stehen jeder Gewalt entgegen.” (Papst Franziskus in Evangelii gaudium).
Mögen wir alle diesen Worten des Hl. Vaters folgen. 

Freitag, 27. Juni 2014

Unterwegs zu einer anderen Kirche? Ein Pfarrer schlägt Alarm!

Ein katholische Pastor hat einen Brief geschrieben! Einen (offenen) Brief an sein Bistum und seinen Bischof Rainer Maria Kardinal Woelki! Die „Netzzeitung“ Freiewelt.net, die den Text veröffentlichen durfte, drückte dem Vorgang sogar den Stempel der „Konspiration“ auf. Der Brief, der bisher „über private Kanäle in den Kreisen der katholischen Kirche zirkuliert“ sei „aufrüttelnd“ und warne vor dem „Weg zu einer anderen Kirche“, den das Bistum Berlin mit vielen anderen deutschen Bischöfen eingeschlagen habe.

Ich war durchaus neugierig, was der katholische Pfarrer der Teltower Gemeinde (in der Nähe von Berlin) mit dem klangvollen Namen Sanctissima Eucharistia kritisiert und vor allem, welche Vorschläge er für einen besseren Weg hat. Da der Brief lang war und manche Blogger und einige von mir geschätzte theologische Querdenker direkt Beifall klatschen war meine Erwartung hoch. Schließlich teile ich das „Magengrummen“, das viele Katholiken angesichts der Großraumpastoral befällt, egal ob sie sich einem „kirchenpolitischen Lager“ zuordnen oder einfach nur katholisch sein wollen.

Zunächst habe ich mich durch die Homepage der Gemeinde geklickt und geschaut, wer Pfarrer Michael Theuerl eigentlich ist. Er leitet die Gemeinde als Pfarrer, ist dort als Priester allein, es gibt zwei Kirchen. Zur Seite steht ihm eine Schwester als Seelsorgehelferin. Ansonsten handelt es sich offensichtlich um eine recht normale Gemeinde mit einem ganz lebendigen Gemeindeleben. Er hat im Bistum offensichtlich auch schon besondere Funktionen übernommen und eine Zeitlang in Russland mit Bischof Joseph Werth zusammen gearbeitet. Im Jahr 1999 gab er dem FELS ein lesenswertes Interview über seine Erfahrungen in der DDR und die 10 Jahre nach der Wende. Viele Themen seines aktuellen Briefes klingen auch hier schon an. Er ist also ein Mann der pastoralen Praxis mit einem weiten Horizont.

Mit seinem Brief greift er zunächst das verbreitete Unbehagen auf, mit dem viele Katholiken, die aktuellen kirchlichen Entwicklungen hin zu größeren pastoralen Einheiten beobachten. Egal, ob nun „Großgemeinden“ gegründet werden oder „Pfarr(eien)verbünde“; in der Regel führt dies dazu, dass diese pastoralen Großräume nunmehr von einem größeren Team aus Priestern und Laien „betreut“ werden. Im Normalfall gibt es einen Priester, den der Bischof als Leiter oder gar Moderator ernennt. Hintergrund dieser Entwicklungen ist der zunehmende Mangel an Priestern, aber auch sinkende Zahlen z.B. bei den Gottesdienstbesuchern und bei den Gläubigen insgesamt. Auch die finanziellen Mittel, die eine Gemeinde zur Verfügung hat, stagnieren (wenn auch noch auf hohem Niveau). In den meisten Bistümern (auch im Bistum Berlin) versucht man die Umstrukturierungen den Gläubigen und ihren Priestern über die erhoffen positiven Aspekte von Kooperation nahe zu bringen. Mancher Brief und manches Arbeitspapier aus den bischöflichen Ordinariaten überschlägt sich mit entsprechenden Euphemismen, statt ehrlich zuzugeben, dass es um einen angemessenen Weg geht, den Mangel (an Priestern, Geld, Gläubigen...etc.) zu verwalten. Positive Nebeneffekte nimmt man dann auch gerne mit.

Pfr. Michael Theuerl beginnt seinen Brief mit einigen atmosphärischen Beobachtungen, mit denen er einen grundlegenden Wandel in der Kirchenorganisation illustrieren will; die Sorge um geistliche Berufe habe der Gemeindeberatung weichen müssen; der BDKJ vergebe einen Demokratieförderpreis (was dieser aber schon seit vielen Jahren nicht mehr macht) und die hierarchische Organisation der Kirche sei inzwischen dem Organisationsmodell „Runder Tisch“ gewichen. Die in einigen Bistümern geförderte „kooperative Pastoral“ führe zu einer Aushöhlung des kath. Amtsverständnisses.

Hier setzt der Teltower Pfarrer mit seiner Kritik an und bringt seine Bedenken auf einen prägnanten Satz: „Man kann es als die Grundhäresie der westlichen Kirche bezeichnen: die theoretische und faktische Abschaffung des Hirtenamtes, des Apostolischen Amtes und der sakramental-hierarchischen Grundstruktur, die zum Wesen der göttlichen Stiftung Kirche gehört und ohne die man nicht mehr von Katholischer Kirche sprechen kann.“ 

Ich stimme dem sehr zu, es gibt Grundpfeiler des Katholischen, die man nicht aufgeben sollte. Allerdings möchte ich auch kritisch fragen, ob die Beobachtung des Pfarrers zutrifft. Er untermauert seinen starken Satz mit einigen kirchenpolitischen Beobachtungen und Beispielen, die man zusammenfassend sicher so interpretieren darf: Natürlich werden die „katholischen Basics“ heute nicht einfach offen abgeschafft, aber im Hintergrund werden Fakten geschaffen, die letztlich doch dazu führen. Diesen Eindruck von der deutschen Kirche teilen offensichtlich viele konservative Beobachter.

Es stellt sich wirklich die Frage, welche Position der Pfarrer einer Großgemeinde noch hat, wenn ihm nahe gelegt wird, eher als Moderator eines großen Teams aus – theologisch voll ausgebildeten – Pastoralreferenten, weiteren Priestern, Gemeindereferenten, Kirchenmusikern, Laien etc. etc. zu wirken und dabei 10.000 – 40.000 Katholiken angemessen zu betreuen. Das bedeutet einen enormen Wandel in der Arbeitsweise des Priesters und viele neue Herausforderungen. Wo früher manches leicht, schnell und eindeutig zu regeln und zu entscheiden war – ist heute viel mehr Absprache, Kooperation, Planung, Disziplin, Zeitmanagement, Organisation erforderlich. Die Reibungsverluste werden größer und mancher Konflikt kann schmerzhaft werden. 

Hören wir Pfarrer Theuerl einmal zu, wenn er sagt: „Man mag noch so oft betonen, das Hirtenamt werde nicht beschädigt – das Gegenteil ist der Fall bei der „Pastoral des Runden Tisches“. Denn schon rein menschlich wird der Pfarrer auf Dauer sich nicht gegen die Leute am Tisch stellen wollen. Bestenfalls wird er die Rolle als Moderator einnehmen. Das ist aber nicht das Hirtenamt.“ Und weiter: „Das Resultat wird kein anderes sein als Streit, Sich Zurückziehen, Dienst nach Vorschrift, Verantwortungslosigkeit oder Burn out und gänzliches Weggehen.“

Ich denke, man sollte über diese Sorgen nicht leicht hinweg gehen. Es ist die Aufgabe der Bischöfe, darauf zu achten, dass diese Befürchtungen nicht Wirklichkeit werden: „Das ist aber nicht das Hirtenamt“ - für Pfr. Michael Theuerl ist dies das Kernproblem und sicherlich ist seine Analyse ein bedeutsamer Einwurf in die Diskussion. Hier darf es auch keine Zweideutigkeiten geben: eine Neuorganisation der kirchlichen Strukturen muss vor dem Horizont einer klaren Antwort auf die Fragen geschehen: „Welche Rolle übernehmen die haupt- und ehrenamtlichen Laien?“ und „Wie wahren wir in der Frage des Amtes und der Sakramente das katholische Fundament?“ 

Pfarrer Theuerl erinnert an den seligen Bernhard Lichtenberg, der zu seiner Zeit (Priester von 1899 – 1943) eine Pfarrgemeinde mit 36.000 Katholiken geleitet habe. Damals sei die Pastoral auch in einem solchen, großen pastoralen Raum noch katholisch organisiert gewesen. „Er hatte seine Kapläne, die er anleitete, Anweisungen gab; und diese wiederum hatten vor Ort ihre Helfer – unendlich viel mehr Beichten, Kommunionen, Krankensalbungen, Messen … als irgendwo heute im Erzbistum Berlin.“

Wer möchte sich nicht am Beispiel eines, erst recht dieses seligen Priesters ausrichten? Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der heutige Teltower Pfarrer (1984 geweiht) mit etwas verklärtem Blick in die Vergangenheit blickt. Ich habe in einem alten Buch einmal einen „Hilferuf“ einer Berliner Pfarrei aus den 1920er Jahren gefunden. Dort wurde die pastorale Notsituation in Berlin mit der „komfortablen“ Situation der Pfarreien in der nordischen Diaspora verglichen, wo auf einen Priester und zahlreiche Ordensleute eher wenige Katholiken kamen, während man in Berlin nicht wußte, wie man mit so wenigen Geistlichen die Arbeit im Weinberg des Herrn stemmen soll. 

Grundsätzlich teile ich Pfarrer Theuerl Wunsch: Die Pfarrei der Zukunft sollte strukturell so klar wie zu Lichtenbergs Zeiten organisiert werden. Aber im Detail ist die Situation damals mit der heutigen nicht mehr vergleichbar. Wo es früher verhältnismäßig viele Kapläne gab müssen heute gestandene Priester diese Aufgaben übernehmen, ergänzend dann noch Gemeinde- und Pastoralreferenten und evtl. noch Seelsorgehelferinnen (davon gibt es nur noch wenige); evtl. auch noch ehrenamtliche Kräfte. Die meisten dieser Priester sind inzwischen älter und als gestandene Pfarrer nicht unbedingt mehr bereit, schlicht Anweisungen von oben auszuführen. Auch hat sich insgesamt der gesellschaftliche Umgangston geändert. Die Menschen sind es gewöhnt, auf Augenhöhe miteinander umzugehen, die Ehrenamtlichen mögen sich zwar im Beruf noch manchmal nach Anweisungen von oben richten müssen; im ehrenamtlichen Engagement möchten sie aber mitbestimmen und nach ihren Wünschen und Fähigkeiten arbeiten. Vieles, was heute „im Fluss ist“, war zu Lichtenbergs Zeiten noch klar und eindeutig. All das macht die theoretisch sehr einfache Kirchenorganisation heute schwieriger und manchmal nur lückenhaft umsetzbar. Dabei möchte ich nicht dafür plädieren, den Priester unter die „pastoralen Mitarbeiter“ zu subsummieren (was Pfr. Theuerl schon 1999 im FELS beklagte), sondern dafür, (soweit möglich) ein klares Berufsprofil für Pfarrer und Priester wieder zu gewinnen, da dieses teilweise wirklich zu verschwimmen droht.

Hier fehlt mir allerdings in dem offenen Brief eine realistischere Sicht der Problematik, denn die angebliche „Protestantisierung“ der Kirchenstruktur durch die Pastoral der runden Tische ist nur eine Seite. Dringend zu klären wäre, was denn das Hirtenamt des Priesters ausmacht. Denn dass es nicht einfach so weiter gehen kann wie früher, wo der einzelne Pfarrer der Vater einer überschaubaren Pfarrfamilie war, das liegt doch auf der Hand. 

Ich erinnere mich gut an zahlreiche Diskussionen des Diözesanforums im Bistum Münster. Interessant wurde es immer, wenn das Stichwort „Leitung“ fiel. „Leitung“, so lautete eine Position, kommt in der Pfarrei nur dem Pfarrer zu! Er hat die Leitung! Punkt! Ich habe dann oft gesagt, dass für mich Leitung nicht nur ein theologischer, sondern auch ein soziologischer Begriff sei und dass es notwendig sei zu klären, was theologisch mit „Gemeindeleitung“ gemeint ist, also mit dem Hirtenamt des Pfarrers.

Wenn Kinder im Kindergarten und in der Grundschule streiten, dann geht es manchmal darum, wer in einer Gruppe der „Bestimmer“ ist. Also, wer hat es zu sagen, wer bestimmt, was gespielt wird und wer zur Gruppe gehört...?

Schwierig wird es, wenn für die Pfarrer ungeklärt ist, was Leitung bedeutet. Es geht schief, wenn der Pfarrer im Grunde aus seinen Leitungspositionen verdrängt wird, wenn er z.B. in der Messe nur „zur Wandlung“ da ist und der Liturgiekreis sonst alles andere übernimmt. Da stimmt was nicht! Schwierig ist es aber auch, wenn der Pfarrer im Grunde jede noch so kleine Entscheidung an sich zieht und im Zweifel noch darüber bestimmen kann und will, welches Bronzekreuz die Kommunionkinder als Andenken überreicht bekommen, obwohl die ganze Katechese und Organisation eigentlich in der Verantwortung des Kaplans liegen. Ein Pfarrer Lichtenberg hätte seine Zeit nicht in solche – (mutmaßlich) unwichtigen – Details investieren wollen. Ein Pfarrer, der sein Hirtenamt wahrnimmt, muss heute (wie damals) auch gut delegieren können. 

Es kommt also darauf an, dass die Leitungsfrage für den Pfarrer und die weiteren Priester in der Pfarrei sorgfältig geklärt wird. Ein Hinweis mag das Weihegebet der Bischofsweihe geben. Dort wird gebetet: „Gieße jetzt aus über deinen Diener, den du erwählt hast, die Kraft, die von dir ausgeht, den Geist der Leitung. Ihn hast du deinem geliebten Sohn Jesus Christus gegeben, und er hat ihn den Aposteln verliehen. Sie haben die Kirche an den einzelnen Orten gegründet als dein Heiligtum, zur Ehre und zum unaufhörlichen Lob deines Namens." Leitung wird hier als Charisma verstanden. 

Die Frage der Gemeindeleitung, des Hirtenamtes geht daher weit über praktische Fragen hinaus. Sie ist auch und zunächst eine geistliche Frage. Sie hat mit dem Selbstbild eines Priesters zu tun und sie hat mit der katholischen Lehre zu tun. Die Rolle des Priesters im lebendigen Organismus, im lebendigen Leib der christlichen Gemeinde muss möglichst klar und deutlich erkennbar sein. Und sie ist konstitutiv und bedeutsam, auch wenn der Priester gut delegieren kann und in vielen Arbeitsfeldern nicht mehr der Bestimmer ist. Er muss in der Lage sein seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und alle sind gefordert, Grenzüberschreitungen klar zu benennen und diese zu verhindern. 

Als Pastoralreferent stößt mir – naturgemäß – immer sauer auf, wenn meine Kolleginnen und Kollegen (und damit ich selbst) aus konservativer Perspektive immer wieder als „Grenzüberschreiter“ dargestellt und als Bedrohung für das rechte Verständnis des Priesteramtes gesehen werden. Oft schießt hier die Kritik über das Ziel hinaus, wie gerade heute noch wieder auf „gloria.tv“, wo eine Pastoralassistentin aus der Schweiz präsentiert wurde. Die Moderatorin mokiert sich über deren Predigtdienst und dass sie sich als „Priesterin“ verkleidet habe. Dabei trägt sie nur eine schlichte weiße Albe und der Videobericht lässt nicht erkennen, ob sie nicht – wie erlaubt – ein Glaubenszeugnis zur Einführung in den Gottesdienst gegeben hat. Dass sie in dem Video mit einem Bischof zu sehen ist, lässt mich aber vermuten, dass hier durchaus alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Auch Michael Theuerl geht auf meine Berufsgruppe ein. Zunächst mit einem ähnlichen, wie dem oben geschilderten Beispiel: „dazu braucht man keine Pastoralreferenten, die sich im Vespermantel auf den Priestersitz setzen und sich freuen, einen Gottesdienst „selbständig“ zu leiten“. Da hat er sicher recht, die braucht man nicht; aber vermutlich braucht man schon einen Pastoralreferenten, der in eine schlichte Albe gekleidet, den Wortgottesdienst zur Begräbnisfeier eines Katholiken leitet und auch die Predigt hält. Jedenfalls so lange die Priester der Gemeinde nicht beschließen, dass jede Trauerfeier mit einer Eucharistie verbunden wird oder dass sie jeden Verstorbenen selbst zum Grabe geleiten. Die „Spitze“ gegen den Kollegen im Vespermantel halte ich für übertrieben. Ich würde einen Vespermantel im Gottesdienst nicht tragen, denn das Gewand für den liturgischen Dienst der Laien ist die Albe, evtl. noch Talar und Rochett, wenn es in der Gemeinde für liturgische Dienste (z.B. Lektor, Kommunionhelfer) so üblich ist. Der Vespermantel hat seinen liturgischen Ort anderswo, aber dazu braucht man nicht die Pastoralreferenten abzuschaffen, sondern sollte eine Einigung über angemessene liturgische Kleidung herbeiführen. Rosenkranz, Laudes, Vesper oder eine Andacht aus dem Gotteslob ... dazu brauchen die Gemeinden wirklich keinen „Oberlaien“ als Vorsteher. Aber es gibt auch Gottesdienstformen, wo die Bischöfe eine liturgische Kleidung auch für Laien empfehlen oder vorschreiben.

Weiter im O-Ton Pfarrer Theuerl: „Als vor vielen Jahren die Seelsorgehelferinnen (so die richtige theologische Bezeichnung) sich in Gemeindereferenten umbenannten, hat offensichtlich niemand den tieferen Hintergrund und Bewusstseinswandel bemerkt: nicht mehr Helfer sein wollen (- non serviam!)! Aber wenn man seine theologische Position nicht richtig erfasst oder gar ablehnt, dann ist die Auseinandersetzung vorprogrammiert. Leute, die nicht dienen wollen und etwas anderes im Sinn haben, können wir in der Kirche nicht brauchen, weder bei Priestern noch bei Helfern in der Seelsorge. Sie sind eine Karikatur, wie Papst Franziskus sagt.“ 

In seiner Gemeinde hat der Teltower Pfarrer nun also kein Problem; seine pastorale Mitarbeiterin ist Seelsorgehelferin. Über die neuen Namen der pastoralen Laienberufe kann man sicher streiten, sie sind auch unter Gemeinde- oder Pastoralreferent(inn)en nicht unumstritten. Allerdings haben sich diese den Namen auch nicht selbst gegeben. Inhaltlich hat der Pfarrer bestimmt recht, zumal er seine Kritik ja ausdrücklich auch auf Priester ausweitet. Entscheidend ist sicher auch, einige Gedanken darauf zu verwenden, wem man dienst, Gott, der Kirche, der Gemeinde oder dem Pfarrer. Der Name Gemeindereferent selbst leistet dem Phänomen, dass jemand seine „theologische Position nicht richtig erfasst“ bestimmt keinen Vorschub. Ein „Referent“ ist qua Bezeichnung jemand, der etwas weiter gibt, das er nicht aus sich selbst heraus hat. In der Schweiz (und im Vatikan) spricht man von „Assistenten“, das kommt dann den „Helfern“ wieder nahe. „Helfer“ finde ich persönlich nicht mehr stimmig, weil es die Konnotation von „Hilfskraft“ hat und man an ungelernte Arbeiter auf Baustellen oder in der Landwirtschaft erinnert wird. Und das kann ja nicht die richtige Bezeichnung für einen Mitarbeiter mit theologischem Hochschulabschluss sein. Da finde ich es entscheidender, zu einer klaren Beschreibung des Berufsbildes und der Grenzen der Verantwortlichkeiten zu kommen, als sich auf solchen Nebenschauplätzen zu verlieren. Mir gefällt die Bezeichnung „Katechist(in)“, die man z.B. in Afrika und Lateinamerika verwendet. Ich meine, es muss auch möglich sein, den Beruf des Pastoralreferenten als geistlichen Beruf zu betrachten und die Berufsträger als Seelsorger(innen) zu sehen, ohne damit die Rolle und Funktion des Priesters und des Pfarrers auch nur um Millimeter zu schwächen. Was ist so schwer daran, den Beruf (im Sinne von Berufung) und die Funktionen von Pfarrern, Priestern, Kaplänen, Gemeindereferentinnen etc. klar zu beschreiben und deren Zusammenwirken zu regeln? Wir sollten dankbar sein für jede(n), der einen solchen geistlichen Beruf im „Weinberg“ des Herrn ergreift und diese nicht in Konkurrenz zueinander betrachten. Das schließt die Forderung an die Einzelnen zu guter Kooperation und Vermeidung von Grenzüberschreitungen ein. Wer Priester sein will sollte nicht Pastoralreferent werden. 

Ich kann viele der weiteren Überlegungen von Pfarrer Theuerl nachvollziehen: Welches Signal sende ich als Kirche mit Blick auf die Sakramentalität der Kirche aus, wenn ein Laie (zudem eine Frau) das Seelsorgeamt leitet? Diese Überlegung spricht zwar nicht grundsätzlich dagegen, einer Frau diese Aufgabe anzuvertrauen, aber es spricht deutlich dafür, die Bedeutung der Sakramente in der Seelsorge - vielleicht gerade aus der Perspektive dieser Frau - entsprechend in den Blick zu nehmen und zu fördern. 

Bei vielen seiner Argumente bin ich jeweils versucht laut „JA“ zu rufen, aber auch leise ein „ABER“ anzufügen. Natürlich sollte es möglich sein, dass sich Priester unter sich treffen. Es ist nicht gut, zwangsweise eine Gruppe von Laien bei Priestertreffen einzuführen. Aber es macht auch Sinn, wenn Priester und Laien sich miteinander treffen und miteinander austauschen. Ich habe das erst kürzlich sehr positiv erfahren bei einem Tag der Seelsorger, zu dem Bischof Genn uns nach Münster eingeladen hatte. Es muss dabei nicht um „Gehirnwäsche“ gehen. Welche Ängste stecken hinter einer solchen Sorge? Ich bin bis heute der Überzeugung, dass das priesterliche Amt so mit äußerlichen und geistlichen Merkmalen ausgezeichnet ist, dass ein Priester keineswegs veranlasst sein müsste, an Berufung und Standing zu zweifeln, wenn ein Laie in seine Nähe kommt, selbst wenn dieser ein Amt, Qualifikation, Aufgabe und Bedeutung in der Welt und / oder in der Kirche hat.

In vielen seiner Anfragen und Überzeugungen ist Pfarrer Theuerl zuzustimmen. Zumindest aber sind sie bedenkenswert. Ich erlaube mir, einige davon zu zitieren, sie sind oft schön und prägnant formuliert. 

  • „Es macht keinen Sinn, auf Vergängliches und Unwesentliches zu setzen. Die Kirche lebt aus der Eucharistie und den Sakramenten und ist nicht Menschenwerk.
  • es macht überhaupt keinen Sinn, sich aufzuzählen, dass man etwa einen guten Kirchenchor hat oder gute Kinderarbeit oder gute ökumenische Kontakte, weil das erstens überhaupt nicht zum Wesen der Kirche gehört und zweitens sich schnell ändern kann. 
  • Das alles wird sich in bescheidenem Rahmen abspielen. Offensichtlich werden auch in Zukunft nicht mehr als 10 % der Gottesdienstbesucher eine zusätzliche kirchliche Veranstaltung besuchen. 
  • Die Kirche wird von Christus (nicht durch menschliches Engagement) aufgebaut durch die Eucharistie: Der eucharistische Leib baut den mystischen Leib – die Kirche – auf. Der Mensch ist vor Gott ein Empfangender; Der Glaube kommt vom Hören, nicht vom Machen.
  • In den letzten Jahren sind wir sicher gefühlte 100 Mal in verschiedene Richtungen aufgebrochen. Die permanente Rede vom Aufbruch zeugt von Realitätsverlust (es gibt aufs Ganze gesehen keinen Zuwachs an Gottesdienstbesuchern, Beichten, Trauungen, Taufen …).“


Das halte ich für die wichtigste Perspektive: die Kirche wird aufgebaut durch die Eucharistie, die vornehmste Leitungsaufgabe der Priester ist die Feier der Sakramente. Daher sollte aus dem Aufgabenkatalog der Pfarrer und Priester von heute alles gestrichen werden, was sie strukturell daran hindert, diesen vorrangigen Aufgaben nachzukommen. Auch dann, wenn das bedeuten würde in dem ein oder anderen Feld Leitungsverantwortung abzugeben. 

Was Pfarrer Theuerl in seinem Brief vor allem beklagt, ist die schwindende Eindeutigkeit mit Blick auf die Rolle und Funktion der Priester in der praktischen Organisationsstruktur der Kirche. Ich teile nicht alle seine Bedenken gegen den Umbau der Kirchenorganisation und erst recht nicht teile ich den Alarmismus mancher Kreise über die angebliche Protestantisierung der kath. Kirche. Das ist nicht mehr als ein törichtes Schlagwort!

Dennoch, seine Bedenken sollten unbedingt ernst genommen werden. Erst recht da, wo sie Ausdruck der Besorgnis sind, der Priester, der Pfarrer könnte de facto immer unwichtiger und letztlich bedeutungslos in der Pastoral werden. Diese existentielle Verunsicherung teilt er mit einer ganzen Anzahl weiterer Pfarrer, die sich ja teilweise auch schon deshalb zusammen geschlossen haben (wenn auch nicht so öffentlichkeitswirksam, wie die Priester der Gegenseite in ihren Pfarrerinitiativen, die mit Blick auf die spezifische Rolle und Aufgabe des Priesters gerade die Gegenposition einnehmen).

Aber der durchaus beachtliche Zulauf von jungen Priesteramtskandidaten z.B. zur Piusbruderschaft aber auch zur Petrusbruderschaft und betont kirchentreuen Ordensgemeinschaften wie z.B. dem Stift Heiligenkreuz sendet schon ein deutliches (Warn-)Signal. Wenn ein junger Katholik eher zu den praktischen Schismatikern der Piusbruderschaft wechselt, weil er hier ein noch eindeutiges Priesterbild und überzeugte Gemeinden antrifft, wo niemand an seinem Priesteramt kratzt und niemand ihn wegen seiner Überzeugungen und seines Zölibates in Frage stellt ... sollte allein das schon den Verantwortlichen der Diözesen nachdenklich und unruhig machen: Warum hat dieser junge Mann nicht bei uns geklopft, warum erscheint es ihm so viel attraktiver, unter oft einfachsten Bedingungen (wenig Finanzmittel, wenige Gemeinden, wenige, einfache, kleine Kirchen) den Alumnen Erzbischof Lefebvres zu folgen als mit Papst und Bischof gemeinsam der Kirche von heute ein Gesicht zu geben und Gottes Wort zu verkündigen – mitten in der Welt.

Auf die Antworten wäre ich sehr gespannt. Natürlich gibt es Leute, die passen auch nicht in den diözesanen Klerus. Aber es muss doch mehr getan werden, das Amt des Priesters in unseren ganz normalen katholischen Gemeinden wieder attraktiver zu machen. Dazu trägt ein klares Berufsprofil sicher bei, aber damit allein ist es nicht getan. Es braucht auch einen attraktiven Rahmen und das Gefühl, sich als Priester einer großen Sache und einer Gemeinschaft anzuschließen, die Gottes Wort und seinen bewegenden Geist in die Welt trägt. 

Ich schließe mich den guten Wünschen und Hoffnungen des Teltower „Kollegen“ gerne an: „Vielleicht macht der große Seelsorger Bernhard Lichtenberg ein Wunder (und damit seine Heiligsprechung).
„Die Taten eines Menschen sind die Konsequenzen aus seinen Grundsätzen; sind die Grundsätze falsch, dann werden die Taten nicht richtig sein“, so der selige Bernhard Lichtenberg. Und ein anderer Grundsatz von ihm: die Dinge klar und furchtlos benennen und danach handeln.
Beten wir um den Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, der Wissenschaft und der Frömmigkeit!“

und sein Interview mit dem FELS aus dem Jahre 1999 (ab Seite 43): www.der-fels.de/1999/02-99.pdf

Donnerstag, 12. Juni 2014

Schriftsteller contra Journalist / Martin Mosebach contra Daniel Deckers

By GFreihalter
(Cropped from File:Limburg-Dom4.JPG Own work)
[CC-BY-SA-3.0 ], via Wikimedia Commons
„Wer zu spät kommt – den bestraft das Leben...“. Wirklich irgendwie „zu spät“ kam es mir vor, als vor einigen Tagen eine ausführliche Einlassung des Frankfurter Schriftstellers Martin Mosebach zum Umgang der Presse mit Bischof Franz-Peter Tebartz–van Elst auf kath.net veröffentlicht wurde. 

Mosebach ist nun mal nicht irgendwer, sondern ein weithin angesehener und mit dem Büchner-Preis (und vielen anderen Preisen) ausgezeichneter Schriftsteller. Über das „große Erzähltalent“ schrieb die FAZ einst: „Martin Mosebach, der Erzähler, Romancier und Essayist, der Grandseigneur in der Apfelweinkneipe, der orthodoxe Katholik und unorthodoxe Kenner der Künste, der konservative Anarch und hemmungslose Bewahrer von Stil und Form, ist ein glanzvoller Büchner-Preisträger“ und bezeichnet ihn zugleich als „genuinen Erzähler und [...] Essayisten von ungewöhnlicher stilistischer und intellektueller Brillanz.“ 

Man wird direkt neugierig, was er hier zu sagen hat. Und es scheint ja erst mal ein gutes Zeichen zu sein, dass Martin Mosebach – obwohl hochgelobt - dennoch kritisch bleibt und eben diesen FAZ - Journalisten den Vorwurf macht, „das die Zeitung sich entschlossen von einer um Objektivität bemühten Berichterstattung verabschiedet“ habe. Also dachte ich, den Artikel musst Du lesen, hier schreiben nicht die „üblichen Verdächtigen“ (gähn!). Obwohl ich finde, es wäre eigentlich gut, wenn jetzt Frieden einkehrt und man dem Bischof etwas Ruhe gönnt, egal ob von Seiten seiner Gegner oder von der seiner Unterstützer. Wie soll eine Wunde heilen, die der Papst mit der Einsetzung eines Diözesadministrators (ohne dabei das Domkapitel zu beteiligen) gesäubert hatte, wenn nun wieder dauernd von Leuten mit endogener Berufung zum Arzt darin herumgestochert wird? Einige meinten ja in den letzten Wochen, sich z.B. mit Überlegungen zur finanziellen Wiedergutmachung des Schadens profilieren zu müssen, als wenn es Ihnen schwer fiele zu akzeptieren, dass bei der Übergangsversorgung des Bischofs alles seinen normalen Verwaltungsgang gegangen ist, der Bischof also nach wie vor ordentlich (oder anständig) abgesichert ist. 

Der eigentliche Schaden, der insgesamt durch die Causa Tebartz-van Elst in der deutschen Kirche entstanden ist, der ist überhaupt nicht wirtschaftlich zu beziffern. Die Auseinandersetzung hat Gräben vertieft, nicht nur zwischen innerkirchlichen Fraktionen sondern auch zwischen der Öffentlichkeit insgesamt und der „Institution Kirche“, Gräben, die uns noch über Jahre hin die „Mission“ erschweren dürften. Und, um Missverständnissen vorzubeugen: Bischof Franz-Peter trägt nur einen Teil der Schuld daran. Auch wenn ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass weder seine Kritiker noch er selbst diesen seinen Anteil bis dato klar genug erkennen und bewerten. 

Ich gehörte nie zu denen, die aus Franz-Peter Tebartz-van Elst einen Sündenbock machen wollten und ich habe ihn lange gegen unberechtigte Vorwürfe verteidigt. Aber, was rund um den Limburger Domberg geschehen und schief gelaufen ist – das muss klar benannt werden. Da ich davon ausgehe, dass Bischof Franz-Peter inzwischen einige Schritte auf dem Weg der Klärung und der Buße gegangen ist ... sollte man ihm wirklich Ruhe gönnen und hoffen, dass ein Neuanfang gelingt, besonders im Bistum Limburg. Dass noch längst nicht alle aus dem „Abklingbecken“ raus sind, das zeigte ein Interview der Zeit mit dem Frankfurter Stadtdekan vor einigen Tagen. 

Aber zurück zu Herrn Mosebach und seinem Vortrag, den er am 1. Mai 2014 in Bonn im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema: „Erwartungen an den Qualitätsjournalismus in Zeiten der Skandalisierung“ hielt. 
Ende März 2014 wurde der Prüfbericht zur Bebauung des Limburger Dombergs veröffentlicht und der Papst nahm das Rücktrittsgesuch des Bischofs an. Etwa einen Monat danach kramte Martin Mosebach in seinem Zeitungsarchiv und fand dort den Artikel, den Dr. Daniel Deckers, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 23. Juni 2013 auf einem ersten Höhepunkt der Krise geschrieben und recht unverdächtig mit „Dem Glauben Gestalt geben“ überschrieben hatte: 

Mosebach selbst vermeidet es in seinem Vortrag, den Autor (den er persönlich kennt) bei seinem Namen zu nennen, beschäftigt sich aber ausführlich mit den unterschwelligen Botschaften, die er im Artikel findet. Dabei dürfte es schwer fallen, dem Autor Deckers wirkliche sachliche Fehler vorzuwerfen. Wer – im Wissen um die Inhalte des Prüfungsberichtes - dem FAZ-Autor die Ehre der Relectüre des Artikels angedeihen lässt, der wird vieles finden, wo dieser mit seinen Einschätzungen richtig lag ... während Mosebach an der ein oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießt. 

An einem Beispiel wird das besonders deutlich: Mosebach erklärt den Limburger Dom zur madonnenfreien Zone. „Die Limburger Bischofskirche zeichnete sich vor allen Bischofskirchen Deutschlands dadurch aus, dass in ihr kein einziges Madonnenbild zur Verehrung durch die Gläubigen zu finden war; der Vorgänger von Bischof Tebartz hielt marianische Präsenz für überflüssig.“

Ob hier wohl deutlich wird, dass der Konflikt in Limburg auch mit einem gefühlten, hohen Berg zwischen zwei katholischen Kraftzentren des Bistums, Limburg und Frankfurt zu tun hat? Ob Mosebach wohl zu Kamphaus Zeiten jemals den Limburger Dom zum stillen Gebet betreten hat? Die Limburger wissen sehr wohl, dass es dort eine Marienkapelle gibt und wo sie die Kerzen zur Verehrung der Gottesmutter aufstellen können. Aber vielleicht war Mosebach als großer Anhänger der „Alten Messe“ eher in anderen Kirchen zu Gast und nicht in der Hauskirche, des von ihm als kirchenpolitischen Gegner betrachteten vormaligen Limburger Bischofs Franz Kamphaus. Dass dieser, gebürtig aus dem münsterländischen Lüdinghausen kein marienfrommer Mann gewesen sein soll – das mag ich nicht glauben. Die Marienfrömmigkeit wird einem in dieser traditionell katholischen Gegend mit der Muttermilch mitgegeben. Mag sein, dass ein Münsterländer darum aber weniger Aufhebens macht als ein im Schatten des rheinischen Marienwallfahrtsortes Kevelaer aufgewachsener Niederrheiner. 

Der Fahrer des Bischofs von Limburg kommt im FAZ-Artikel nicht gut weg. Deckers schildert ihn als eine Art ergebenen Lakaien, beinahe in Mafia – Manier. Ich kenne den Mann nicht und vermute daher, dass das Bild, das hier gemalt wurde ähnlich schief ist, wie das freche Zitat „irres Bambi“ über den damaligen Bischof. Ob aber Mosebach dem FAZ – Redakteur da moralisch allzu viel voraus ist, wenn er beklagt, dass dieser doch mehr sei als ein „simpler Journalist“: „Das kann ein simpler Journalist nicht wissen? Nicht jeder, aber dieser hier durchaus, denn er hat Theologie studiert, hat die ewigen Gelübde als Mönch abgelegt und ist zum Diakon geweiht worden, bevor er den geistlichen Stand aufgab. Er wäre von seiner Vorbildung hervorragend dazu disponiert, den Ritenschatz der Kirche einem unwissenden Publikum zu erläutern – wenngleich seine Kenntnis der Sprachen der Bibel so wacklig sind, daß er nicht weiß, was eine „Phalanx“ ist.“

So recht kann der Vortragende sich nicht entscheiden, ob er den Theologen, den er als gescheiterten Mönch darstellt, nun Kompetenz zusprechen soll – oder zumindest anklingen lassen will, dass dieser quasi noch eine eigene Agenda hat und also weniger als theologischer Fachmann schreibt, sondern als einer, der mit der Kirche noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Etwas später erklärt Mosebach den Journalisten gar zum Kopf einer Bewegung: „Unser Autor ist eben viel weniger Repräsentant seines Intelligenzblattes, als der inoffizielle Sprecher gewichtiger Gruppierungen der deutschen Kirche, die ihn mit Informationen versorgen und ihm die zum Abschuß vorgesehenen Würdenträger bezeichnen.“ Mir scheint, da überschätzt Mosebach die Bedeutung von Daniel Deckers erheblich, dieser ist bestimmt im liberaleren Flügel der Kirche gut vernetzt, aber ohne wirklichen Anlass und Grund läuft auch die Kritik an einem Bischof schnell ins Leere, wie man durchaus an der journalistischen Wirkungsgeschichte beispielsweise von Johannes Dyba, Joachim Meisner – und ich versuche mich mal als Prophet, demnächst auch noch bei Rudolf Voderholzer und Stefan Oster erkennen und beobachten konnte/können wird. 

Deckers verwendet ein Bild um damit eine Stimmung zu erzeugen. Ist das jetzt journalistisch unredlich, wenn es vielleicht nicht ganz dem liturgischen Sinn eines „großen Einzugs“ entspricht? Und war das Bild für die damalige Situation – buchstäblich rund um den Limburger Dom wirklich so wenig stimmig, wie Mosebach mit seiner Kritik am „liturgischen Gefühl“ des Redakteurs nahe legt? Ich vermute einmal, dass Deckers wirklich draußen auf dem kalten und verregneten Domplatz gestanden und die Szene gesehen hat. Als journalistisches Stilmittel finde ich es statthaft ein solches äußeres Bild mit einer inneren Deutung aufzuladen. 

Deckers deutet das Bild als symptomatisch für die Spannungen, die es im Bistum zu dieser Zeit (nachweislich) gibt, geht aber nicht präziser darauf ein. Erst recht nicht auf die – wie Mosebach behauptet – Hauptspannung, die ein in fünf Jahrzehnten im Bistum angeblich „gezüchteter“ antirömischen Affekt darstellt. Aus der Perspektive des Kämpfers für die „Alte Messe“ und gegen die „Häresie der Formlosigkeit“ mag man das so empfinden. Viele Limburger, allen voran der damalige Generalvikar und heutige ständige Vertreter des Diözesanadministrators Pfr. Wolfgang Rösch widersprechen dieser Zuschreibung heftig. „Antirömisch“ sei das Bistum auf keinen Fall.

Hat Mosebach eigentlich übersehen, dass Deckers durchaus viele Zeilen gegen eine allzu forsche Einordnung (und Verschubladisierung) des Limburger Bischofs schreibt?
So liest man: Für viele „war der Beweis erbracht: Der Neue war ein reaktionärer Hardliner, von Papst Benedikt und dem Kölner Kardinal Meisner in Limburg installiert, um nach dem renitent-liberalen Kamphaus wieder römische Saiten aufzuziehen. Doch so war es nicht.
Tebartz-van Elst war Limburg weder von Rom aufgezwungen worden, noch war er der Favorit des Kölner Erzbischofs Kardinal Meisner. Tebartz-van Elst war ein Mann mit beträchtlichem Talent und einem Horizont, der weit über die Befindlichkeiten des Katholikentags-Katholizismus hinausreichte.“ Dann schildert er noch ausführlich die akademischen und pastoralen Meriten des neuen Bischofs.

Viel beachtet wurde seinerzeit ein Papstwort, das auch Deckers in seinem Artikel zitiert: „Der Hirte muss den Geruch seiner Schafe haben.“ Für den FAZ-Redakteur riecht der Limburger Bischof allerdings ganz anders. Und das allzu intensive „unter den Schafen sein“ gehört auch sicher nicht zu  den Stärken des Franz-Peter Tebartz-van Elst, das weiß ich aus eigener Erfahrung und von vielen Menschen, die ihm begegnet sind. Einen Vorwurf kann man dem Bischof daraus sicher nicht machen. Er ist keiner „zum Kuscheln“, das fiel seinem Vorgänger deutlich leichter. Bloß komisch, dass Mosebach selbst dann zu „antirömischen Effekten“ neigt, wenn er das Schafe und Hirten-Zitat des Papstes in seinem Vortrag als „etwas peinliches Papst-Wort“ bezeichnet. Was soll daran peinlich sein? 

Da kommt mir Mosebachs einigermaßen inhaltsarme Einlassung in einem KNA – Interview in den Sinn, die Worte des amtierenden Papstes seien ihm „zu simpel“ und blieben folgenlos wie die Schocksprüche auf Zigarettenschachteln. Manchmal fragt man sich, mit welcher Brille Mosebach auf die katholische Welt schaut; hatte er kürzlich in einem Interview mit Paix Liturgique auch behauptet: „Von Papst Benedikts Wirken hat nur Summorum Pontificum eine Chance auf Zukunft.“ Da bleibt einem angesichts des theologischen Wirkens von Papst Benedikt XVI. schon etwas die Luft weg. Ist das jetzt so viel besser als Deckers, der irgendwo von "grottenschlechter Theologie" geschrieben haben soll?

Bis dato war Mosebach auch gar nicht groß als Verteidiger des Limburger Bischofs aufgefallen. Ich habe noch einmal sorgfältig im Internet gesucht. In Zeiten der Not ist Martin Mosebach ihm – zumindestens öffentlich - nicht beigesprungen! (Gegen den Deckers-Artikel habe er bei der Redaktion protestiert, sagt er selbst.) Dabei hätte sein Wort sicher Gewicht gehabt! Ob es wohl daran lag, dass der Schriftsteller den Bischof nicht wirklich auf dem Radar hatte? Mag Tebartz–van Elst auch als besonders romtreu gegolten haben, als Kämpfer für die „Alte Messe“ standen Mosebach und Bischof Franz-Peter sicher nicht auf derselben Barrikade. Hat er jemals im „alten Ritus“ zelebriert? Ich glaube kaum und musste auch etwas schmunzeln, als bei der Nachricht, er ziehe nun nach Regensburg in einem Forum geschrieben wurde: ob er dann nicht dort mal die Firmung im „alten Ritus“ halten könne?
Wohl kaum oder - im Gegenteil, Tebartz-van Elst war und ist ein großer Freund der Liturgiereform und legt höchsten Wert auf Ästhetik und Treue zur „ordentlichen Form des römischen Ritus“, was ihm ja auch nicht gerade zum Freund derer machte, die meinten, die katholische Liturgie könne ruhig noch etwas mehr an Formlosigkeit gebrauchen und müsse noch mehr auf die (Unterhaltungs-)Bedürfnisse der Besucher eingehen. 

Angesichts der Anfrage des Daniel Deckers, ob ein eher gutbürgerlicher bis gehobener Lebensstil eines Bischofs zum neuen Bild der Kirche passe, wie es Papst Franziskus verkündet, stellt Mosebach fest, dass die Kirche in Limburg längst jeden Kontakt zu den „Armen“ verloren habe und wirft dem Autor Wirklichkeitsferne vor: „Kirche und Gläubige der Rhein-Main-Region riechen nun einmal nach „feinstem Leder“, um den spießigen Vergleich des Autors aufzugreifen. Die Limousine des Bischofs wird, wie jeder bischöfliche Dienstwagen in Deutschland, zum Vorzugspreis gemietet...“.

Die KNA hatte Mosebach schon bei seiner Kritik an den allzu „simplen“ und folgenlosen Papstworten gefragt, wie er selbst es mit „Askese“ und „Überwindung der Selbstsucht“ halte. So konkret wollte der es dann doch nicht werden lassen: „Eine eigene Einschätzung seines Lebenswandels lehnte Mosebach ab und sagte: «Wer öffentlich beichtet, will keine Vergebung, sondern Bewunderung.» Damit hat er sicher recht, aber was wollte er wohl mit seiner Kritik an den Papstworten erreichen? Oder war das nur ein Bauchgefühl, ein Unwohlsein mit Blick auf diesen Papst, das einfach mal raus wollte... 

Dabei ist es eine alte Erfahrung: Umkehr, Buße, Neuanfang, Verzicht ... wir Menschen finden immer Gründe, warum wir nicht tun, was wir sollten und was letztlich gut für uns wäre. Mal ist die Botschaft zu simpel und mal zu anspruchsvoll. Was sagt Jesus noch mal über das Kamel, das irgendwie nicht gut durch einen ganz engen Durchgang in der Stadtmauer zu zwingen ist?

Aber ich schweife ab. Vor mir liegen beide Texte, der des ehemaligen Dominikanermönchs Deckers und der des Frankfurter Schriftstellers. Und ich denke, beide sind sicher keine Glanzstücke der absoluten Sachlichkeit und Objektivität. Aber eines zeichnet den Deckers-Artikel aus, er erschien jedenfalls zur rechten Zeit! Und er hat Folgen gehabt! Deckers Artikel mag zwar nicht an jeder Stelle absolut fair sein und er geht mit seinem Bischof nicht zimperlich um. Aber er enthält doch weit mehr Wahrheit und Fairness als vieles, was später in manchem anderen Medium über den angeblichen „Protzbischof“ zu Limburg geschrieben wurde. Da hätte ich mir Mosebachs entschiedenes, verteidigendes Wort gewünscht, gegenüber dem Focus, dem SPIEGEL und in den Tagesthemen. Und da hätte auch heute noch sein Wort Gewicht!

Aber ausgerechnet diesen Deckers-Text nach fast einem Jahr zur Speerspitze der unsachlichen Berichterstattung zu erklären und sich daran selbst unter Zuhilfenahme verdrehter Fakten abzuarbeiten....  das überzeugt nicht, auch und gerade im Kontext eines Forums über „Qualitätsjournalismus“ und „Skandalisierung“. 

Herr Mosebach kommt mit seinem Vortrag zu spät. Aber ich bin sicher „das Leben wird ihn nicht bestrafen“. Das durchaus kluge Gorbatschow-Wort wirkt halt nicht „ex opere operato“.

Der FAZ-Artikel: www.faz.net/aktuell/politik/inland/bistum-limburg-dem-glauben-gestalt-geben-12241460.html

Mosebachs Vortrag hierzu: www.kath.net/news/46322

Montag, 19. Mai 2014

Beten und Bienen, einsam und gemeinsam, Stille und Schafe - zu Gast bei den Söhnen des Hl. Bernhard in Stiepel

Voerde – Duisburg – Oberhausen – Mühlheim – Essen – Hattingen. Es gilt, mit der Bahn das halbe Ruhrgebiet zu durchqueren, um nach Stiepel zu kommen, gelegen zwischen den Bahnhöfen von Bochum und Hattingen, unweit des Flusses Ruhr. Warum man überhaupt nach Stiepel fährt, wo die ganze Ruhrregion viele Highlights bietet? 
Dort liegt eine kleine neogotische Wallfahrtskirche, die den einzigen Marienwallfahrtsort des Ruhrbistums Essen beherbergt. Die Menschen verehren dort das Bild der schmerzhaften Mutter von Stiepel. Und: seit 25 Jahren gibt es dort auch ein Zisterzienserkloster, eine Tochtergründung des bekannten österreichischen Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald. 
In der Bahn kam mir das Wort “Der Weg ist das Ziel!” in den Sinn. Aber “der Weg” hatte erst mal ganz wenig mit dem Ziel zu tun. An der Haltestelle verfolgte ich die Gespräche der Schüler, die alle offensichtlich den Einheitsnahmen “Alter” (oder “Ey Alder!”) trugen und sich über ihre Freizeitgestaltung am Wochenende und die mögliche Zukunft in diesem oder jenem Beruf unterhielten. Eine aggressive, blonde und leicht angetrunkene Frau die mit ihrer ebenso blonden erwachsenen Tochter unterwegs war, zickte die junge, schwarze Mutter an, die mit ihren beiden kleinen Kindern reiste und den schweren Kinderwagen in den Zug wuchtete – weil diese sie wohl einen Augenblick zu lange angesehen hatte. Viele Mitreisende fixierten die Bildschirme ihrer Smartphones und andere nahmen einen tiefen Schluck aus der Bierflasche. Kurz vor Hattingen wurde der Blick frei auf ein idyllisches Ruhrtal. Am Zielbahnhof dann die weite und bunte Welt des Konsums, ein neu gebautes Einkaufszentrum mit Saturn und DM, Modeläden und Geschäften aller Art: Echte Kontraste!

Ich stieg in den Schnellbus, der mich zügig in die Nähe des Zielortes brachte. Nach Monaten erzwungener Zurückgezogenheit (wegen meiner Krebserkrankung soll ich Menschen eher meiden, um mich keinen Infektionen auszusetzen) in unserem Haus war ich wieder unter Menschen, im Bus, im Zug, an den Haltestellen. An der Haltestelle zeigte mir der grüne Dachreiter den Weg. Oben auf einem sanften Höhenzug hatten die Menschen im Jahre 1914/15 die neue Stiepeler Wallfahrtskirche vollendet, die das Gnadenbild aufnehmen sollte, das schon seit Jahrhunderten in Stiepel, zuvor aber in der über tausendjährigen Dorfkirche verehrt wurde. Das eigentliche Gnadenbild ging verloren und Anfang des 15. Jahrhunderts entstand ein neues “Vesperbild”, das bis heute das Ziel der Wallfahrer ist. Die Reformation hat das Gnadenbild der schmerzhaften Mutter von Stiepel “vertrieben”, um seinen Verbleib ranken sich einige schöne Legenden. So soll man es in die Ruhr geworfen haben, doch auf wunderbare Weise entging es allen Versuchen, es zu zerstören. Mehr darüber liest man hier: www.sagenhaftes-ruhrgebiet.de/Das_Gnadenbild_der_alten_Stiepeler_Dorfkirche.

1920 wurde das bis 1908 verschollen geglaubte Gnadenbild in feierlicher Prozession von Blankenstein nach Stiepel in die neu erbaute Wallfahrtskirche geleitet und in der Folge lebte die Stiepeler Wallfahrt wieder auf. Der erste Bischof des neu gegründeten Ruhrbistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach wünschte sich eine lebendigere Wallfahrtstradition in seinem - an besonderen religiösen Orten eher armen - Bistum. Die Ansiedlung von Ordensgemeinschaften und die Errichtung neuer Klöster war ihm daher ein wichtiges Anliegen. Mit einer benediktinischen Gemeinschaft wollte er an die Tradition der 1803 aufgehobenen Benediktinerabtei im nahen Essen-Werden anknüpfen. Gleichzeitig sollte das Kloster die Pfarr- und Wallfahrtsseelsorge am Ort übernehmen. Nach jahrelangem Drängen kamen die Zisterzienser aus Heiligenkreuz seinem Wunsch entgegen. 1988 wurde mit der Entsendung der ersten vier Mönche in Stiepel ein Priorat errichtet.

Heute leben hier vierzehn Mönche unter ihrem Prior, Pater Pirmin Holzschuh, einige von Ihnen stammen aus Österreich, andere wiederum aus Deutschland, sogar ein “Ostfriese” ist darunter. Das Kloster Stiepel wurde eine “Erfolgsgeschichte”, die in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag feiert. 

Zisterzienser – ein seltsamer Name für einen Orden. Es wäre für viele meine Reisegefährten aus der S-Bahn wohl eher ein Wort aus einem fernen Land oder einer fernen Vergangenheit als ein Teil ihrer Heimat. In der Tat hat man zunächst das Gefühl, die Welten zu wechseln, wenn man den Hof des Klosters betritt. Die neu errichteten Klostergebäude säumen den weiten Hof. Im Obergeschoss eines privat bewirtschafteten Gasthofs befinden sich die Räume der Pfarrei, die ebenfalls von den Ordensleuten betreut wird. Zisterzienser sind im Norden Deutschlands eine seltene Erscheinung. Außer in Stiepel gibt es noch eine Abtei in Langwaden bei Grevenbroich und die Abtei Himmerod in der Eifel. Zisterzienserinnenklöster finden sich im Süden und im Osten Deutschlands (z.B. das bekannte Kloster Helfta). Das hat auch damit zu tun, dass die kontemplativen Klöster der Zisterzienser unter der Regentschaft Napoleons durch die Säkularisation aufgehoben und enteignet wurden. In Österreich konnten sie einige ihrer Abteien bewahren, weil sie die rein kontemplative Ausrichtung aufgaben und sich unter dem Druck des Josephinismus teilweise der Pfarrseelsorge widmeten. Das Stift Heiligenkreuz ist seit seiner Gründung im Jahre 1133 ununterbrochen von den Zisterziensern besiedelt und damit das älteste Kloster Österreichs. Eine Kopie der wunderschönen Kreuzikone, die in der Heiligekreuzer Kirche hängt, befindet sich heute auch in der Stiepeler Wallfahrtskirche. 

Die Zisterzienser gehören – mit den Trappisten – zur benediktinischen Ordensfamilie. Immer wieder neig(t)en Ordensleute oder ganze Klöster dazu, nach einer gewissen Zeit von den ursprünglichen Ordensidealen abzuweichen und es sich einigermaßen bequem im Kloster einzurichten, zumal wenn sie wirtschaftlich erfolgreich waren. Aber immer wieder gab es auch “Gegenbewegungen”, Menschen, die das ursprüngliche Ordensideal wieder freilegen wollten. 

Zu diesen Persönlichkeiten zählte im 11. Jahrhundert Robert von Molesme, damals Abt im gleichnamigen Benediktinerkloster, das er selbst begründet hatte. Doch schon nach einigen Jahren ließ der Eifer der Mönche nach. Daraufhin verließ der Abt mit einer Anzahl gleichgesinnter Mönche sein Kloster und gründete in Citeaux, in einer einsamen, verlassenen Gegend ein neues Kloster. Das erinnert sehr an den Bericht von der Gründung des Kartäuserordens durch den Hl. Bruno von Köln – ebenfalls in dieser Zeit. Eine große Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und eine Rückbesinnung auf die alten Traditionen des Mönchtums hatte viele Mönche erfasst. Aber während Bruno einen starken Akzent auf das Leben als Eremiten legte, wollte Robert unmittelbar aus dem ursprünglichen Geist der Benediktsregel leben. Papst Urban II. (ein Schüler des Hl. Bruno) sorgte allerdings dafür, dass Robert wieder nach Molesme zurückkehren musste, um sein dort begonnenes Werk auch zu vollenden. Die Benediktiner von Citeaux (das Mutterkloster gab später dem ganzen Orden den Namen, Citeaux heißt Zisterze/Zisterne) wählte sich daher mit Alberich einen neuen Abt, der die Gemeinschaft im Geiste Roberts weiter führte. Kurz nach der Jahrhundertwende wurde dann der Engländer Stephan Harding zum neuen Abt gewählt. Dieser gab der Gemeinschaft mit der “Carta Caritatis” eine eigene Verfassung.

In eben dieses Kloster trat 1112 der Hl. Bernhard von Clairvaux mit zahlreichen Gefährten ein. Bernhard, ein charismatischer Mensch und mitreißender Prediger gibt dem neu-alten Zweig des Benediktinerordens den notwendigen Auftrieb. Schon 1115 gründete man eine dritte Tochterabtei in Clairvaux. In diesem Kloster wird Bernhard Abt. Fünf Jahre später entstand der weibliche Zweig des Ordens.

Der Zisterzienserorden zeichnete sich durch einige organisatorische Aspekte aus, die zu seinem enormen Erfolg beitrugen. Eine Abtei blieb immer der “Mutterabtei” verbunden, von der aus sie begründet wurde. Der Abt der Mutterabtei sorgte mit dafür, dass in der Tochterabtei das klösterliche Leben den Idealen der Zisterzienser entsprach. 
Der Regel des Hl. Benedikt folgend, dass man seinen Lebensunterhalt mit eigener Arbeit verdienen sollte, gab es bei den Zisterziensern keine Bauern, die vom Kloster abhängig waren. Die Mönche siedelten häufig in einsamen Gegenden, wo sie die Landschaft selbst urbar machten. Das brachte die Notwendigkeit mit sich, neben den Priestern, den Patres auch “Konversen” - Laienbrüder aufzunehmen. Diese waren weniger dem Gebet verpflichtet und konnten sich stärker den notwendigen Arbeiten widmen. Aber auch unter den Chormönchen gab und gibt es Laien. 

Nach dem Motto aus der Carta caritatis: “Una caritate, una regula similibusque vivamus moribus - "Wir wollen in einer Liebe, unter einer Regel und nach einheitlichen Bräuchen leben" entwickelten sich einheitliche Bauregeln, Tagesabläufe und Lebensregeln, was zu einer starken Verbundenheit der einzelnen Klöster untereinander und innerhalb des Gesamtordens führte. Die Zisterzienser schufen landwirtschaftliche Musterbetriebe, förderten Obst- und Weinbau, Pferde- und Fischzucht, Bergbau sowie den Wollhandel und trugen auch zur Verbreitung der hochmittelalterlichen Kultur bei. Unter der Orgelbühne in Stiepel hängt eine Bronzeskulptur von Werner Franzen, die die vier Gründer darstellt: Robert von Molesme, Alberich von Citeaux, Stefan Harding und Bernhard von Clairvaux. Auch ein Bronzestandbild dieses Künstlers im Klosterhof zeigt den Hl. Bernhard. Zu seiner Blütezeit – um das Jahr 1300 gab es 1.300 Zisterzienserklöster, in Deutschland bestanden insgesamt 91 Klöster, das erste von ihnen war das niederrheinische Kloster Kamp. Bis ca. 1250 entstanden auch 160 Frauenklöster in ganz Deutschland. 

Interessant ist, dass die Trappisten (benannt nach ihrer Gründungsabtei La Trappe) sich offiziell “Zisterzienser von der strengeren Observanz” nennen. Sie sind also Zisterzienser, die die Ordensregeln noch strenger beachten und daher eine weitere Reformbewegung innerhalb der Zisterzienserfamilie. Dieses Bestreben, die Ordensregeln immer treuer zu befolgen ist bis auf den heutigen Tag zu beobachten. Der Abt von Mariawald (Trappisten) begründete die kürzliche weitere “Reform” seines Klosters auch mit dem Bestreben, zu den strengeren Gebräuchen der Zisterzienser zurückzukehren, die er nach den Reformen des 2. Vatikanischen Konzils mit einigen seiner Mitbrüder als eher zu milde betrachtete. Auch das Mutterkloster der Zisterzienser, Citeaux ist heute von Trappisten besiedelt. 

Die Frage, nach dem rechten Weg eines Ordens hat die Mönche durch die Jahrhunderte immer beschäftigt und war häufig Ausgangspunkt für Neuaufbrüche. Während heute “Reform” eher mit Anpassung einer Organisation an die “neuen Zeiten” verstanden wird, waren die “Reformen” in den großen Orden eher ein “zurück” zu den Anfängen, zur Frische des Evangeliums, zur den Quellen der Ordensgemeinschaft und damit bei den Benediktinern zur Regel des Hl. Benedikt aus dem 6. Jahrhundert. In der Regel ging mit solchen Reformen auch eine gewisse Strenge einher, die Reform wandte sich gegen ein zu luxuriöses, zu weltliches Leben in den Klöstern, die sich in der “feudalen” Vergangenheit oft ähnlich verhielten wie die weltlichen Fürsten. Manches mal schossen die Reformer auch über das Ziel hinaus und überforderten ihre Gefolgsleute, so dass die Reform in sich zusammenbrach. 

Spannend wäre es, vor diesem Horizont einmal auf den Boom der Neugründung von Gemeinschaften und Orden nach der Säkularisation und die der neuen geistlichen Gemeinschaften und Ordensgemeinschaften nach dem 2. Vatikanischen Konzil zu blicken. Interessanterweise finden sich hier auch zahlreiche “Reformideen” die die Ursprünglichkeit des Ordenslebens in den Blick nehmen und gleichzeitig mitten in unserer Zeit wirken möchten. In Stiepel durfte ich zwei sehr junge belgische Ordensleute kennenlernen. Die Gemeischaft von Tiberias (Fraternité de Tibériade) hat sich in einem kleinen belgischen Örtchen gegründet. Die Schwestern (ca. 10) und Brüder (ca. 38) leben dort, in Litauen und im Zaire, orientiert am Hl. Franziskus und – der Name weist darauf hin – gehen auf den Ruf Jesu hin in die Welt und missionieren ... in Erinnerung an Petrus, der auf Jesu Ruf hin das sichere Boot verläßt und über die Oberfläche des Sees von Tiberias auf diesen zugeht. Schwester Benedicte und Schwester Eva-Marie sind aus dem Ort Lavaux-Sainte-Anne in Belgien zu Fuß nach Kevelaer gepilgert. Dort angekommen wurden sie von einem Pfarrer aus Gelsenkirchen abgeholt, wo sie eine geistliche Woche mit der Gemeinde St. Anna gestalteten. Die letzten Tage ihres Aufenthaltes verbrachten sie nun in Stiepel, um selbst körperlich und geistlich wieder aufzutanken. Mehr hierüber: www.tiberiade.de. Die reformatorische Kraft der Ordensleute führt heute zu Neugründungen und ab und an auch zu erstaunlichen Neu-Aufbrüchen in den großen Orden. 

Das Mutterkloster der Stiepeler Zisterzienser, das Stift Heiligenkreuz hat den Ruf, ein eher strenges Kloster zu sein. Und es gilt auch als eine der florierendsten klösterlichen Gemeinschaften in Europa. Ähnlich “erfolgreich” sind zwei Trappistenklöster in Nový Dvůr in Tschechien und dessen Mutterabtei in Frankreich, Sept-Fons, auch sie haben den Ruf, die Ordensregeln besonders “streng” zu befolgen. Dass aber die “Strenge” allein nicht den Erfolg begründet zeigen ebenfalls zahlreiche Beispiele, zu denen ich auch die Abtei Mariawald zähle. Die “Reform” hat bis heute nicht zu einem Aufschwung des Klosters geführt. Offensichtlich gehört zu einer klösterlichen Reform sowohl der Blick in die Vergangenheit, die Orientierung an den lebendigen Quellen, wie auch die Verwurzelung in der Gegenwart und der Ausblick in die Zukunft. Wo dies überzeugend gelingt, wo die Gemeinschaft den einzelnen Mönch in dieser Ausrichtung zu tragen vermag, da “floriert” auch heute noch das Ordensleben. Die beständige Suche und Unruhe prägt das Mönchtum von seinen Anfängen in der syrischen und ägyptischen Wüste an, wie die Beispiele des Hl. Antonius (Einsiedler, später Abt einer Gruppe von Einsiedlern) und des Hl. Pachomius (Abt eines Mönchsklosters in dem die Mönche gemeinschaftlich lebten). Interessanterweise wies uns der koptische Bischof Anba Damian am Dienstag abend (13. Mai) auf diese beiden Ägypter an den Wurzeln des Mönchtums hin und am Donnerstag (am 15. Mai - allerdings nach der zisterziensischen Liturgie, im normalen kath. Heiligenkalender schon am 9. Mai) begingen wir den Gedenktag des Hl. Pachomius, ein Name, der hierzulande wohl kaum Aufmerksamkeit erregt und mit dem selbst ein frommer Katholik wohl wenig verbindet. Aber er war sicher der Vorläufer des Hl. Benedikt, der ja als Begründer des Mönchtums gilt. Die Klostergründung des Hl. Martin von Tours in Frankreich wäre ohne die “Engelsregel” des Hl. Pachomius nicht möglich gewesen. 

Als ich morgens um sechs in der Stiepeler Kirche sitze, hört man nur das Tschilpen der Spatzen und das Rascheln der Gewänder der einziehenden Mönche. Der Tag ist noch frisch! Während des Gebets stimmen nach und nach weitere Vogelstimmen in den gregorianischen Choral mit ein. Ein guter Start in den Tag. 

Zu den klassischen Vorgaben der Regel Benedikts gehört das Gebet: (ora, lege et labora). Die Gebetszeiten sind Vigil (Nachtwache), Laudes (Morgengebet), Terz (zur “Morgenmitte), Sext (zur Mittagszeit), Non (zum Nachmittagsanfang), Vesper (zum Abend) und Komplet (zur Nacht). Dazu kommt noch die täglichen Messfeiern. Die eher kontemplativen Orden halten diese Gebetszeiten ein. Normalerweise liegen sie in Abständen von jeweils drei Stunden. Auch in den meisten Zisterzienserinnenklöstern wird also z.B. um 6.00 Uhr, um 9.00 Uhr, um 12.00 Uhr, um 15.00 Uhr, um 18.00 Uhr und gegen 20.00 Uhr gebetet, wobei sich die genauen Zeiten aus praktischen Gründen oft um eine halbe oder dreiviertel Stunde verschieben. Die Zeiten orientieren sich an den römischen Tagwachen, zur sechsten Stunde (Sext) ist daher die zweite Wache, zur neunten Stunde (Non), (die Todesstunde Jesu) ist die dritte Wache u.s.w..

Schwierig wird das in einer Gemeinschaft, wie in Stiepel. Einige Mönche sind “immer” da, einer ist Pfarrer, einer Wallfahrtsrektor, mindestens einer studiert, andere kümmern sich um Gäste und andere Aktivitäten, so gibt es z.B. Schafe im Klostergarten und Bienen. Auch in Stiepel ist es so, dass die Mönche ihren Unterhalt und den des Klosters selbst zu erarbeiten bzw. durch Spenden zu bestreiten haben. Es gibt vor allem fünf Tätigkeiten, die für die Zisterziensermönche weltweit aber auch in Stiepel charakteristisch sind: Seelsorgedienst, Jugenderziehung, handwerkliche Arbeit, Gästebetreuung, kulturelle und wissenschaftliche Aufgaben. In Stiepel bedienen sie sich wegen der Gebetszeiten daher eines kleinen “Tricks”: Es werden einzelne Gebete zusammen gelegt. Daher ist die Gebetsordnung in diesem Kloster so: 6.00 Uhr Vigil, Laudes, Terz, anschl. Konventsmesse und Frühstück; 12.30 Uhr Sext und Non, anschl. Mittagessen, 18.00 Uhr Vesper und 19.30 Uhr Komplet. Auf diese Weise können möglichst viele Mönche an den gemeinsamen Gebeten teilnehmen, ohne ihre jeweilige Arbeit am Morgen oder Mittag sehr häufig durch Gebetszeiten zu unterbrechen. 

Nach den Worten des Hl. Benedikt soll “dem Gottesdienst nichts vorgezogen werden” (RB Kap. 43). In den aktuellen Klosternachrichten findet sich ein interessanter Hinweis, den ich gern zitiere: “Immer wieder tragen sich Männer mit dem Gedanken in das Kloster einzutreten. Manche Bewerber wissen jedoch nicht, dass zur Grundvoraussetzung des monastischen Lebens die Freude am Gebet gehört und halten es daher nicht lange bei uns aus. In Stiepel singen und beten wir täglich zwischen 3 und 3 ½ Stunden. Interessierte müssen vor allem also begeisterte Beter sein, wenn sie zu uns kommen möchten.” Gebetet wird (mit Ausnahme der Vigil) ausnahmslos in lateinischer Sprache. Für ihren gregorianischen Choral ist Stiepel / Heiligenkreuz weithin berühmt. Die Aufnahmen der Mönchsgesänge verkauften sich millionenfach. So ist es eine Freude, dem Chorgebet der Mönche beizuwohnen (selbst wenn man eigentlich kein ausdrücklicher Freund der lateinischen Liturgie ist).

Aufgrund der Bauform der Kirche gab es dort nicht die Möglichkeit, ein klassisches Chorgestühl einzubauen. Man hat daher im Chorraum zwei kleine Seitenkapellen gebaut, wo die Mönche in drei oder vier Reihen hintereinander sitzen. Es wirkt immer etwas sonderbar, wenn die Mönche sich während des Gebetes ab und zu zum “Apsis” bzw. nach Osten wenden. Eine Pilgerin fragte während der Andacht ihren begleitenden Diakon irritiert, warum die Mönche “zur Wand hin” beten würden. Die Irritation verginge, wenn man sich das etwas spezielle Spiepeler Chorgestühl als klassisches Chorgestühl denken würde. Zum Gebet tragen die Mönche besondere Oberwänder aus hellem Stoff (Kukulle) mit sehr weiten Ärmeln und Kapuze. Tagsüber sieht man sie (nur) in den klassischen weiß – schwarzen Zisterziensergewändern (weißes Untergewand (Tunika) mit schwarzem Überwurf (Skapulier) und nie in ziviler Kleidung. 

Anders als die Benediktiner verbinden die Zisterzienser in Stiepel mit ihren Chorgebeten keine ausgeprägte “Choreografie”. Die einzelnen Mönche kommen nach und nach in den Chorraum, es gibt keine gemeinschaftliche feierliche Prozession. Nur der Auszug erfolgt “gemeinsam” in Zweiergruppen. Vermutlich ist das ein Ausdruck der dem Orden eigenen Schlichtheit, die auch das Stiepeler Kloster prägt. So waren bei den frühen Zisterziensern Bilder, auch Darstellungen in Kirchenfenstern verboten – mit Ausnahme einer Darstellung der Gottesmutter Maria, deren Verehrung im Orden so bedeutsam ist, dass alle Zisterzienserklöster der Gottesmutter geweiht sind. Die Fenster im Kloster greifen diesen Aspekt der Einfachheit auf und zeigen ausschließlich Muster und Ornamente. Auch im Kloster selbst gibt es nur spärlich Bilder, alles ist funktional und schlicht - schön. Natürlich wurde die ursprüngliche Strenge des Ordens im Laufe der Jahrhunderte auch hier abgemildert. 

Diese schlichte Einfachheit erlebe ich auch in der Gastfreundschaft der Ordensgemeinschaft. Sie stellen einige Gästezimmer zur Verfügung und nehmen Männer und Frauen auf, die am Gebetsleben des Klosters teilnehmen möchten und Zeit für Stille und Gebet suchen. Ich habe das als sehr unaufdringliche, herzliche Gastfreundschaft erfahren. Den Gästen steht neben einem Zimmer auch der Speiseraum und eine Bibliothek zur Verfügung. Gäste und Mitarbeiter speisen hier zusammen und werden auch vom Gästepater bedient. Wer ein seelsorgliches Gespräch wünscht – findet einen Ansprechpartner – kann aber auch mit sich uns seinen Gedanken allein bleiben. So bildet sich rund um dieses Kloster ein interessantes Netzwerk von Kontakten und Freundschaften, das Menschen weit über die Bistumsgrenzen hinaus zusammenführt und mit Christus verbindet. 

Die Beschreibung des Klosterbaus selbst entnehme ich der Homepage des Klosters (www.kloster-stiepel.de) und ergänze das durch eigene Bilder. “Der moderne Kreuzgang von Stiepel ... ist durch seine Architektur ein Ort der Abgeschiedenheit und gleichzeitigen Offenheit in ebenmäßiger Harmonie: Geschieden vom Lärm der Welt, umschließt das Quadrum einen Raum der Stille, der durch seinen Innenhof nur zum Himmel hin offen ist. Der Blick richtet sich nach oben und überwindet so jegliche Enge. In dieser klassischen Form gestaltet, dient der Kreuzgang der Stille, dem Lesen und Meditieren wie auch der täglichen Prozession der Mönche. Zudem verbindet er alle wesentlichen Gemeinschaftsräume miteinander. Hier wird räumlich fassbar, was den Klosteralltag bestimmt: der gleichmäßige Rhythmus von ora, lege et labora. Immer wieder kreuzen sich diese Wege von Beten, Lesen und Arbeiten und münden schließlich in das eine Ziel, der Suche nach Gott (vgl. RB 58,7). Die Südseite des Kreuzganges ist ... der allabendlichen Lesung gewidmet. Hier sitzen die Mönche auf einer Holzbank, während einer von ihnen das Martyrologium des nächsten Tages vorliest, das heißt die Lebensbeschreibungen der christlichen Märtyrer und Bekenner... . Die sonst kahle Wand wird von einem kunstvollen Kreuz geziert. Es ist ein Geschenk unserer Mutterabtei....”

Der Tag endet für die Mönche mit der Komplet, dem Abendgebet. An der Tür zur Klausur stellt sich der Prior auf mit einem Aspergil in der Hand auf. Jeder Mönch tritt vor ihn hin, verneigt sich und wird mit Weihwasser gesegnet. Erinnerung an die Taufe, an den Ursprung, an die frische Quelle des Evangeliums und der Regel des Hl. Benedikt, die auch hier in Stiepel leise plätschert und die „Durchreisenden“ einlädt, hier zu rasten und Wasser zu schöpfen aus den Quellen des Heils. Mit dieser Segnung beginnt das große Stillschweigen und die Ruhe der Nacht, die bis zur Vigil am frühen Morgen gewahrt bleibt. „Rede, Herr; denn dein Diener hört.“

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als 
Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig 
empfängt und weiter gibt, während jene 
wartet, bis sie erfüllt ist. Auf diese Weise gibt 
sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen 
Schaden weiter...

Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen 
und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein 
als Gott. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst 
wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie 
zum Fluss, wird zur See. Die Schale schämt sich 
nicht, nicht überströmender zu sein als die 
Quelle...

Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei 
leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst 
schlecht umgehst, wem bist du dann gut? 
Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle, 
wenn nicht, schone dich.

Bernhard von Clairvaux (1090-1153)