Dienstag, 26. Februar 2013

Wie macht man in der Kirche Karriere?


„Wie macht man in der Kirche Karriere, Herr Berger?“ So lautet die Überschrift über einem Artikel im aktuellen SPIEGEL, wenige Tage vor dem Ende des Pontifikats von Papst Benedikt XVI.. Es ist gleichzeitig der Tag, an dem einer der Kardinäle, die in einigen Wochen den neuen Pontifex wählen sollen, seinen Rücktritt erklärte, weil er einigen Priestern gegenüber „unangemessenes Verhalten“ an den Tag gelegt habe. 
Papst Benedikt wollte diesen speziellen Fall von Belästigung und Machtmissbrauch offensichtlich noch vor dem Ende seines Pontifikats ahnden und die Teilnahme des Kardinals am Konklave verhindern. Eigentümlich: einem Kardinal, der sich stets distanziert gegenüber den Homosexuellen und gegen rechtliche Verbesserungen ihrer Lebenssituationen ausgesprochen hatte – werden ebensolcher Neigungen vorgeworfen. Problematisch daran ist nicht nur, dass er zölibatäres Leben versprochen hatte, sondern auch, dass er (in den 80er Jahren) vermutlich das Machtgefälle gegenüber den Studenten schamlos ausgenutzt hat. 
Das alles geschieht zu einer Zeit, wo zahlreiche Zeitungen weltweit bereitwillig die Spekulationen der italienischen Zeitung „La Repubblica“ über „homosexuelle Netzwerke“ im Vatikan verbreiten, als sei dort der Beelzebul selbst zugange. Ich glaube zwar nicht daran, aber selbst wenn, was an homosexuellen Netzwerken an sich „gefährlich“ sein könnte erschließt sich mir nicht. Wie viele Leute sind eigentlich ein Netzwerk? Gibt es sowas wie den verborgenen „Verband der dem Zölibat untreuen Schwulen und Lesben im Gebiet des Vatikanstaates“ oder kann jetzt alles und jedes als Netzwerk betrachtet werden? Woher kommt diese „Schwulenfixierung“ in der Kirchenberichterstattung?
Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück. David Berger wird vom Spiegel vorgestellt als „Kirchenkritiker und ehemaliger Theologieprofessor in Rom“. Soweit es öffentlich nachvollziehbar ist wurde Berger zwar an einer Universität in Polen habilitiert, hat aber niemals eine ordentliche Professur bekleidet, als „korrespondierender Professor“ wurde er in der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin geführt. Der Name David Berger begegnete mir schon vor Jahren in der konservativen, betont „papsttreuen“ Zeitschrift „Theologisches“, deren Schriftleiter er von 2003 – 2010 war. Er galt als einer der profiliertesten Kenner der Theologie des Hl. Thomas von Aquin und war einer der theologischen Wortführer des extrem konservativen Kirchenflügels. Nicht wenige seiner Texte werden nach wie vor von den Herausgebern der Zeitschrift „Theologisches“ im Internet bereitgestellt. Der Publizist Alexander Kissler urteilt denn auch über ein Berger – Buch aus dieser Zeit (im Vatikan-Magazin): „Der Autor des Buches, das ich gerade lese, ist Traditionalist durch und durch...“. Wer in Bergers Artikeln die Tiraden gegen liberale Theologen wie Karl Rahner, Johann Baptist Metz und Herbert Vorgrimler liest, der glaubt nicht, dass der Verfasser derselbe David Berger des Jahres 2013 ist. Ich kenne kaum eine Lebensbiografie, die sich derartig umgekehrt, quasi von innen nach außen gekrempelt hat. Aus dem ultrakonservativen theologischen Jungstar wurde der bekennende homosexuelle Kirchenkritiker (wobei das noch milde beschrieben ist). So kann man sein Buch „Der heilige Schein!“ als Abrechnung mit seinem bisherigen Leben lesen. Der Ärger über die Kirche (oder, man müsste richtiger sagen, über den speziellen „Ausschnitt“ der katholischen Kirche, in dem Berger bisher gelebt und „Karriere“ gemacht hat) führt zu einer Generalabrechnung. Man fragt sich nur: Ist das, was Berger als „die Kirche“ beschreibt, wirklich die katholisch Kirche an sich oder geht es um den engen Ausschnitt der Kirche, der er die ersten Jahrzehnte seines theologischen Wirkens gewidmet hat. Das habe ich mich aber auch schon bei den Werken anderer „Kirchenkritiker“ gefragt, insbesondere bei der Lektüre von Drewermanns „Kleriker“. Mein damaliger Pastor sagte, dass Drewermann vollkommen recht habe, allerdings beschreibe er eine Kirche, die seit 30 Jahre so nicht mehr existiere. Schade, dass sie das Niveau ihrer wissenschaftlichen Arbeit bei ihrer Kirchenkritik nicht in Ansätzen erreichen.
David Berger hat seine homosexuellen Neigungen in seinem Lebensmilieu wohl viele Jahre verbergen müssen. Nach eigener Aussage war ihm schon 20 Jahre vor seinem „Outing“ klar, dass er schwul ist und als schwuler Mann auch leben möchte. Da ist es nicht verwunderlich, dass eine so lange Zeit des Versteckens und Verbergen – müssens ihre Folgen hat. Aber ist es wirklich angemessen aus persönlichen Erfahrungen heraus die Kirche sehr pauschal und sehr einseitig zu kritisieren? Mag das auch menschlich verständlich sein, an Tiefe und Glaubwürdigkeit gewinnt seine Kritik hierdurch nicht. Das Interview macht es – wieder einmal – deutlich. Berger überzieht! 
In ähnlicher Weise hatte sich Berger eigentlich schon disqualifiziert, als er davon sprach, dass er von einer homosexuellen Veranlagung Papst Benedikts XVI. ausgehe. Belege dafür konnte er niemals anführen, allenfalls eine angebliche „Homophobie“. In einem Interview mit der tageszeitung vom 30. November 2012 erklärte Berger, es gebe „keine Neujahrsansprache des Papstes, wo er die Homosexuellen nicht nur indirekt als Menschen zweiter Klasse bezeichnet und homosexuelle Veranlagungen verteufelt werden.“ Alexander Kissler wies ihm auch hier nach, dass nichts davon wahr ist und Berger hat dem (meines Wissens) bis heute nicht widersprochen. 
Ehrlich gesagt, mir geht es mit dem David Berger nach seinem Outing genau so wie mit David Berger zu seiner traditionalistischen Zeit: ich mochte seinen Überzeugungen weder vorher noch nachher zustimmen. „Vorsicht bei Konvertiten, sie sind die eifrigsten Kirchgänger und intolerantesten Inquisitoren!“ sagt eine alte katholische Lebensweisheit. Ob sie im Falle des Kirchenkritikers und Aktivisten David Berger nicht auch ein Körnchen Wahrheit enthält? 
In seinem SPIEGEL-Beitrag bedient er allzu gern die üblichen Klischees. Erstes Stichwort: „Opus Dei“. Macht erlange man in der katholischen Kirche nur über das „Opus Dei“, auch wenn ein Engagement in dieser geistlichen Gemeinschaft nicht „zwingend“ sei, es reiche dort ab und an zu predigen oder Exerzitien abzuhalten. Selbst wenn man das von Peter Hertel zur „Heiligen Mafia“ stilisierte „Opus Dei“ nicht leiden kann, das dürfte in der Wirklichkeit der Kirche wohl maßlos übertrieben sein. Bestimmt hat diese fromme und kirchentreue Gemeinschaft ihre eigentümlichen Seiten. Aber ihr Einfluss in der Kirche ist auch lange nicht so bedeutend, wie es unterstellt wird. 
Weiter meint Berger: Wer in der Kirche etwas werden will, müsse zeigen, dass er „konservativ“ sei und das gehe durch ein Faible für die „Alte Messe“. Das widerspricht diametral den Klagen der Freunde der „Alten Messe“ in aller Welt, die sich durch die allzu liberalen Bischöfe beinahe überall behindert und unterdrückt fühlen. Ich sehe unter der Priesterschaft allenfalls Minderheiten, die sich für die außerordentliche Form des römischen Ritus interessieren. Aber ich denke, es wäre korrekter, wenn man sagen würde, dass ein „Faible für die alte Messe“ eher einer Karriere entgegensteht als sie zu befördern. 
Anders sieht es sicher mit der priesterlichen Kleidung aus. Da wird man Berger recht geben müssen, wenn er schreibt, dass der römische Priesterkragen an Bedeutung gewinnt. Wobei er hier dem Irrtum unterliegt, dass das „Kollarhemd“, der sogenannte Tipp-Ex-Kragen, der inzwischen wieder häufiger getragen wird, ein „römischer Priesterkragen“ (rundum weiß) sei. Vollends wunderlich wird es, als Berger behauptet, die „Soutane“ sei ein Bekenntnis zum Vatikan und karriereförderlich. Das ist blanker Unsinn! Priester in Soutane wird man in Deutschland von heute mit der Lupe suchen müssen. Ich kenne persönlich im Bistum Münster (mit Ausnahme der Bischöfe zu öffentlichen Anlässen) keinen Priester, der regelmäßig Soutane trägt. 
Karriere mache man in der Kirche durch „vorgebliche Demut“. So Berger über die Tricks, mit denen man aufsteigen könne. Hilfreich seien auch „mächtige Förderer“. Als Priester im Umfeld von Kardinal Meisner habe man gute Chancen. Oberflächlich betrachtet hat Berger recht. Einige Weihbischöfe des Kölner Bistums sind in der Tat inzwischen Diözesanbischöfe geworden. Diese Analyse fällt nicht schwer. Da aber Kardinal Meisner in wenigen Monaten im Ruhestand sein wird, müsste sich hieraus ja dann ein schweres Karrierehindernis für den restlichen Kölner Klerus ergeben.
Mir stellt sich die Frage, was letztendlich mit Karriere gemeint ist. Und ich stelle fest, dass es in der Kirche durchaus Menschen gibt, die etwas werden möchten und andere, für die ihr Dienst in der Kirche die einzige Karriere ist, die sie sich vorstellen können. Sie möchten der Kirche und den Menschen dort dienen, wo Gott sie hinstellt. Ein gutes Beispiel dafür ist Papst Benedikt selbst. Er verzichtet auf die machtvolle Position des Papstes und sieht das für sich selbst sogar noch als Aufstieg: „Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen’, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, mit denen ich es bis jetzt versucht habe, aber in einer Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist“ (Ansprache zum letzten Angelus-Gebet). 
Das gute Gespür für Karrieristen, das wir fast alle haben, ist auch in der Kirche ausgeprägt. Dort wo die Worte mit dem Handeln nicht übereinstimmen, verliert der Amtsträger, was allein die Bedeutung seines Amtes ausmacht: Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. So sind die weitaus meisten kirchlichen „Karrieren“ mehr dem Zufall und dem Hl. Geist geschuldet als gezielter Karriereplanung. So gelangen manchmal kluge Köpfe an die Schalthebel und manchmal Leute, die am falschen Ort sind. Die Kirche ist – leider – nicht immer die Vorfeldorganisation des Himmels. Auch in ihr läuft manches falsch, aber vieles auch richtig. Sicher kommt es – wie in anderen Bereichen des menschlichen Lebens – darauf an, mit seinen Stärken und Fähigkeiten von Entscheidungsträgern bemerkt zu werden. Eine Castingshow wie im normalen Leben gibt es dafür nicht. Man muss sich in der Pastoral (oder der Theologie) bewähren. In der Nähe eines Bischofssitzes und als publizierender Mensch fällt man eher auf, als wenn man Landpfarrer am Niederrhein ist. Aber greifen solche Mechanismen nicht überall? 
Grober Schwachsinn ist letztendlich die Berger-Bemerkung, für eine kirchliche Karriere müsse man „homophob“ sein, „absolut loyal“ (wem gegenüber eigentlich? Wenn er Gott meint oder den Hl. Vater mag das stimmen) und man müsse „auf der Klaviatur von Angst und Geheimhaltung“ spielen können. Ich bin nun seit fast 25 Jahren im kirchlichen Dienst. Ich fühle mich dort bis heute freier als unter meinen früheren Dienstgebern, Angst habe ich auch noch nicht haben müssen und Geheimhaltung gehört zu meinen täglichen Pflichten, da ich über den Inhalt seelsorglicher Gespräch eisern schweige. Was Berger damit jenseits der selbstverständlichen Vertraulichkeit solcher Gespräche meint – erschließt sich mir nicht.
Das „Interview“ gipfelt in der Bemerkung, dass Frauen, die in der Kirche etwas „erreichen“ wollen entweder austreten müssen oder sich noch ein Jahrtausend gedulden sollten. Es ist keine Frage, dass die Rolle der Frau in der Kirche besprochen und geklärt werden muss, aber, was will man eigentlich in der Kirche „erreichen“? Allgemein verbindet sich mit der Idee einer „Karriere“ die Vorstellung von Genuss, Macht und Reichtum. Niemand wird bestreiten, dass Bischöfe in Deutschland von all dem etwas haben. Macht und Einfluss sicherlich, ein anständiges Gehalt (allerdings deutlich unter dem vergleichbarer „Manager“). Aber was können sei aus all dem machen? Luxusleben – Fehlanzeige, übervolle Kleiderschränke – fast undenkbar, dekadenten Luxus mit „Wein, Weib und Gesang...?“ - unvorstellbar, Flüge „Erster Klasse“ - um Himmels Willen! 
Das Leben eines deutschen Bischofs dürfte für weit mehr als 95 Prozent der deutschen Bevölkerung das genaue Gegenteil eines erstrebenswerten Lebens sein. Und nicht umsonst erklommen auch im Jahr 2012 in Deutschland nicht einmal mehr 100 potentielle Interessenten für einen solchen Aufstieg überhaupt nur die erste Stufe der Karriereleiter und ließen sich zum Priester weihen. Schaut man einmal in die Weltkirche, so sieht es bei den Aussichten auf Geld, Macht und Einfluss eher „mau“ aus. Als Bischof in Mauretanien, Island oder Brasilien macht man nicht so viel her und lebt oft sogar auf gefährlichem Fuß. Auch wenn der Ausschluss von der Priesterweihe für manche Frauen schmerzhaft ist. „Karrierechancen“ können auch nicht der Antrieb sein, einen solchen Beruf anzustreben. Da erscheint es dem eigentlichen Sinn des Priesteramtes auch weit näher, was Kardinal Kaper kürzlich anregte, ein eigenes Dienstamt für Frauen als Diakonin, abgeleitet aus dem altkirchlichen Diakoninnenamt. Vielleicht würde ein solcher echter Neubeginn sich auch positiv auf die „männlich“ besetzten Ämter der Priester und Diakone auswirken.
Aber, noch einmal zurück zum Ausgangspunkt und zum Kernthema des Konvertiten Berger: Die katholische Kirche und die Homosexuellen. Es ist offensichtlich, dass die Kirche hier zu einer neuen Sicht und Haltung gegenüber Schwulen und Lesben kommen muss. Was spricht zunächst einmal dagegen, dass sie sich in Zukunft einmal ähnlich positiv zu einzelnen Aspekten gleichgeschlechtlicher Liebe äußert, wie sie das im 2. Vat. Konzil beispielsweise zum Islam getan hat. Oder ähnlich wie es Rainer Maria Kardinal Woelki kürzlich im Dialog mit Homosexuellenverbänden seiner Bischofsstadt getan hat oder Christoph Kardinal Schönborn mit dem Schwulen Pfarrgemeinderat. Ich glaube kaum, dass die Homosexuellenverbände von der kath. Kirche erwarten, dass sie die Speerspitze einer Gleichstellungsbewegung bildet. Aber zu Recht kann sie erwarten, dass die Kirche den Schwulen und Lesben in ihren Gemeinden soviel Offenheit entgegenbringt und soviel Lebensmöglichkeiten bietet, dass sie als Katholikinnen und Katholiken dort selbstverständliches Heimatrecht haben und es auch beanspruchen können. Und dass sie unmißverständlich „nein“ sagt zu „Homophobie“ und Diskriminierung von Homosexuellen. Das hat sie in der Vergangenheit durchaus auch getan. Um es mit den Worten von Kardinal Meisner zu sagen:  „Auch wenn ein Homosexueller die kirchliche Sicht nicht uneingeschränkt übernehmen will, können beide Seiten gemeinsame Ziele entdecken und sich zum Beispiel energisch dafür einsetzen, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden, dass abfällige Äußerungen über Homosexuelle aus unserer Alltagssprache verschwinden und dass Stammtischgeschwätz seiner Plattheit überführt wird. Ich denke, das wären lohnende Ziele.“ 
Die Kirche hat ihre Positionen, die durchaus begründet sind und die sie nicht zunächst revidieren muss. Der Papst darf katholisch bleiben! Und auch nicht jeder Schwule tritt entschlossen für die Einführung einer Homo-Ehe ein.
Die Kirche darf durchaus darauf setzen, dass eine jahrtausendelang erprobte Lebensforn auch aus sich selbst heraus Bestand hat. Der katholische Publizist Andreas Püttmann plädiert in Christ und Welt für Zurückhaltung der Kirche: „Sollte nicht gerade, wer die natürliche Anziehung von Mann und Frau in Gottes Schöpferwillen verankert sieht, mehr Vertrauen haben, dass dies auch ohne kulturelle Stützungsklimmzüge immer so sein wird?“
Es ist offensichtlich, dass ein Reformbedarf an vielen Stellen der katholischen Kirche besteht. Es wird aber nicht immer der sein, der von gewissen „Kirchenkritikern“ eingefordert wird. Und ich kann es nicht besser sagen als ein anonymer Kommentator im Internet: „David Berger erweist seinen Anliegen mit seinen übersteigerten Verschwörungstheorien einen Bärendienst.“ Vielleicht denkt er auch selbst einmal darüber nach. Aber möglicherweise betrachtet Berger das Thema Kirche im Grunde schon „von außen“. Für sich selbst scheint er keine Veränderung in der Kirche mehr zu erwarten.

Freitag, 15. Februar 2013

Christus zieht aus, Allah zieht ein!


In Hamburg hat die muslimische, arabische Al-Nour-Moscheegemeinde ein altes Gebäude erworben, das seit gut zehn Jahren im Stadtteil Horn leer steht und mehr und mehr verfällt. 
Der Vorgang hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt, vor allem, weil es sich bei dem Gebäude nicht um eine alte Fabrikhalle, ein ehemaliges Bordell oder ein Geschäftshaus handelt, sondern um eine ehemalige evangelische Kirche. Bis 2002 betete in der damaligen Kapernaum-Kirche eine offensichtlich eher überschaubare christliche Gemeinde. Aus Kostengründen beschloss die evangelisch-lutherische Kirche das Gotteshaus aufzugeben. Es wurde entwidmet und geräumt, die Orgel und die Glocken hat man an andere Kirchengemeinden verkauft.  
Der Beobachter fragt sich, was hat die muslimische Gemeinde geritten, sich so etwas anzutun? Nicht nur die Aufregung, die dieser „Präzedenzfall“ in der „kritischen“ Öffentlichkeit auslöste, auch die Tatsache, dass die Muslime ein Gebäude übernehmen, für dessen Erhalt die Finanz- und Glaubenskraft der kirchensteuerfinanzierten christlichen Gemeinde nicht mehr ausreichte, lässt einen zunächst an der Vernunft der muslimischen Akteure zweifeln.
Die Presseberichte legen jedoch einen wichtigen Aspekt offen. Die Gemeinde hatte sich zunächst um andere Immobilien beworben – kam aber nirgendwo zum Zuge. Eine muslimische Gemeinde, die ihr Gotteshaus dort errichten möchte wo ihre Mitglieder wohnen, nämlich mitten in der Stadt, hat es nicht leicht. Freiflächen stehen kaum noch zur Verfügung und das Baurecht verbannt die meisten dieser Bauten oft in die Rand- und Gewerbebezirke der Städte. Die besonderen „Privilegien“ im Kirchenbau, die die Christen (zumindest theoretisch noch) genießen, gelten bis dato nicht für islamische Moscheen oder hinduistische Tempel. Widerstand aus der Bürgerschaft führt die gern übervorsichtigen Politiker dazu, das Baurecht vorzuschieben, bevor man sensible Fragen des Zusammenlebens oder die Islamskepsis bis Islamfeindlichkeit (und andere Gründe) diskutiert oder sich in der Öffentlichkeit dazu positionieren muss. 
So blieb der muslimischen Gemeinde in Hamburg nichts anderes übrig, als sich eine "Schrottimmobilie" zu kaufen, einen Kirchenbau des Jahres 1958, für den sich in den vergangenen 10 Jahren (trotz zunächst konkreter Pläne (eine Kindertagesstätte) und vertraglicher Vereinbarungen) keine vernünftige Folgenutzung gefunden hat. 
Der „Islam in Deutschland“ bietet ein komplexes Bild mit vielen unterschiedlichen Akteuren, Vereinen und Institutionen. Daher möchte ich hier meinen Blick ausschließlich auf die Frage richten, was wirklich gegen die Nutzung einer ehemaligen Kirche als Gebetsraum für Muslime spechen könnte. Ich gehe dabei von muslimischen Partnern aus, die an Dialog und guter Nachbarschaft ehrlich interessiert sind, also von den weitaus meisten Muslimen in Deutschland. 
Rollen wir das Feld einmal in Ruhe auf und betrachten einzelne Aspekte der – durchaus problematisch erscheinenden – Folgenutzung von Kirchenbauten. Für zusätzliche Aspekte bin ich durchaus dankbar. 
Als Katholik gehe ich erst einmal von der katholischen Sicht der Dinge aus. Ein katholischer Kirchenraum wird durch die Kirchweihe zu geweihtem Boden. Alljährlich wird der Weihetag dieser Kirche festlich begangen. Die Weihe hebt das Gebäude aus dem profanen Umfeld heraus. Die Gebete und Gottesdienste, die in einer Kirche gefeiert und gesprochen werden, „laden“ das Gebäude in gewisser Hinsicht mit Heiligkeit auf. Daher ist es im Grunde undenkbar, einen solchen Ort der Gottesverehrung einfach aufzugeben. Der Platz, auf dem der Beter steht, ist „heiliger Boden“. Daher bedarf es auch der ausdrücklichen Anweisung des katholischen Bischofs und eines festlichen Aktes, in dem eine Kirche wieder „profaniert“ wird. 
Auch wenn es eigentlich nicht sein darf, natürlich geschieht es, dass Kirchen aufgegeben werden. Und auch für solche Fälle muss eine Möglichkeit gefunden werden, mit dem Undenkbaren umzugehen. Einfach ist das, wenn es sich um ein Gebäude von historischem Rang handelt, ein Erbe der Menschheit oder ein Erbe für den Ort, in dem es steht. Hier werden Viele ein Interesse haben, dieses Gebäude nicht verfallen zu lassen. In den Niederlanden sehen wir das an den großen Kirchen, die heute zur Besichtigung offen stehen, aus denen sich die Christen aber längst zurückgezogen haben. Schwieriger wird es, wenn ein sakrales Gebäude keinen – in der Gegenwart schon erkennbaren – historisch–künstlerischen „Wert“ hat. 
Hier muss man auch schon einmal in der Lage sein, sich nach einem angemessenen Trauerprozess von einem Gotteshaus zu trennen. Das ist schmerzlich für alle, die in einem solchen Haus gebetet haben, schmerzhafter noch für die, die es mit eigener Hände Arbeit oder eigenem Geld errichtet und gestaltet haben. Aber das Leben mutet uns immer wieder zu, Abschied zu nehmen, von Menschen, von Plänen, von Häusern. Als Christen ist uns der Tabernakel, das Zelt Gottes immer noch näher als die „feste Burg“. Wir haben hier auf Erden (eigentlich) keine bleibende Stätte.
In der Diskussion um eine Kirche, die zur Moschee wird, richten sich die Blicke (und die Vorwürfe) zunächst auf die Muslime. Aber das ist unfair! Für Muslime ist das Kirchengebäude selbst zunächst nur einfach ein Gebäude. Er muss halt einige Voraussetzungen erfüllen, damit er nutzbar ist. Die bisherige Nutzung ist kein Kriterium... Das Gebäude selbst ist kein heiliger Ort, entscheidend ist, dass dort gebetet wird. In Dinslaken-Lohberg befindet sich eine Moschee in einer ehemaligen Metzgerei. Dort beten die Muslime also an dem Ort, wo zuvor Schweine geschlachtet wurden. Für die Gläubigen ist das kein Problem.
Ich halte es für absolut unangebracht, die muslimische Gemeinschaft, die eine Kirche als Gebetsraum nutzt, zum Sündenbock zu machen. Letztlich übertragen wir die Enttäuschung darüber, dass es dem Christentum (das es uns Christen) immer weniger gelingt unsere Gesellschaft zu prägen, von innen her menschlich zu machen und auf Gott hin auszurichten, auf die, denen das augenscheinlich „besser“ gelingt. Es erscheint manchen angesichts der Umwandlung einer Kirche so, als habe der Islam über das Christentum „gesiegt“. Die Gründe für den Rückgang des Christentums sind vielschichtig. Ein angeblicher muslimischer Missionserfolg ist daran kaum schuld. Der Schmerz der Christen angesichts eines immer schwächer werdenden Christentums kann nicht bei unseren muslimischen Schwestern und Brüdern abgeladen werden.
Dennoch sollten sich Muslime gut überlegen, ob sie eine Kirche zur Moschee umgestalten. Es kann auch ihnen nicht egal sein, welche Gefühle sie bei Christen (oder denen, die sich irgendwie noch dafür halten) damit auslösen. 
Die bauliche Gestalt einer Kirche ist ein Glaubenszeugnis. Es wäre gut, wenn Muslime dies vor der Umnutzung bedenken. Vor allem katholische Kirchen haben eine, dem Bau eingeprägte Symbolik, die je nach Kunstepoche unterschiedlich ist. Sie ist allerdings nicht zu leugnen. Es stellt sich also die Frage, ob der Kirchenbau so neutral und schlicht gehalten ist, dass er zur Moschee umgebaut werden kann, ohne beständig an die ehemalige Kirche oder theologische Überzeugungen zu erinnern. Ob im Kirchenbau eine Ausrichtung nach Mekka möglich ist, werden die Verantwortlichen sowieso prüfen. Oft erfordert aber diese Ausrichtung ein Abweichen von der christlichen Ostung einer Kirche.  Die Kapernaum – Kirche in Hamburg wird offensichtlich durch Öffnung des Daches und Einbau einer Empore auch baulich entscheidend verändert. Der Kirchturm allerdings, der 1958 besonders hoch gebaut wurde, um einen baulichen Gegenpol zu den umgebenden Hochhäusern zu bieten, er wird wohl kaum in ein Minarett verkleidet werden und immer an den christlichen Ursprung der Moschee erinnern. 
Belastend ist sicherlich bis heute der geschichtliche Befund, dass Kirchen von kämpferischen Muslimen, von den muslimischen Eroberern eines christlichen Landes in der Vergangenheit in Moscheen umgewandelt wurden. Das bekannteste Beispiel ist die heute – sensiblerweise zum Museum umgewandelte – Hagia Sophia – Kirche. Die antike Kirche aus dem 7. Jahrhundert, Hauptkirche des byzantinischen Reiches wurde 1453 erobert und fortan als Moschee genutzt. Angesichts ihrer geschichtlichen und kunsthistorischen Bedeutung wandelte Kemal Atatürk sie ab 1934 in ein Museum um. Solche traumatischen Erfahrungen der Christenheit haben eine gewisse Auswirkung bis in die Diskussionen des heutigen Tages hinein, auch wenn sie unter anderen Vorzeichen stattfinden und das allgemeine Geschichtsbewußtsein der Bevölkerung häufig lückenhaft ist. Man sollte die Nachwirkungen solcher „Kränkungen“ aber nicht völlig negieren und vernachlässigen. 
Es gibt übrigens auch gegenteilige Beispiele: Im Zentrum von Pécs (Ungarn) steht z.B. eine Moschee (Moschee Gazi Khassim), die heute als Kirche genutzt wird. Sie ist ein Überbleibsel aus dem osmanischen Reich. Der Halbmond auf ihrer Kuppel umschließt ein christliches Kreuz. 
Im Verlauf der Jahrhunderte hat sich eine Moscheebaukunst entwickelt, die zwar nicht unbeeinflußt von den antiken Kuppelbauten christlicher Kirchen ist, aber dennoch eigenständig. Die christliche Hagia Sophia beispielsweise wirkte für Moscheen stilprägender als für die späteren Kirchen. Doch auch in anderen Epochen, beispielsweise während der muslimischen Zeit in Spanien, bereicherten sich christliche und muslimische Baukunst gegenseitig. Dennoch: Muslime, die einen fertigen christlichen oder profanen Bau zur Moschee umgestalten wollen, müssen zahlreiche Kompromisse machen. Geld, das in aufwendige Umbauten, Renovierungen oder gar in das Beheizen schlecht isolierter Altbauten investiert wird, ist zunächst einmal verschwunden. Es könnte vielleicht auch besser investiert werden.
Letztlich steckt eine moderne europäische Moscheearchitektur noch in den Kinderschuhen. Einzelne „moderne“ Moscheen, wie z.B. die neue DITIB-Zentralmoschee in Köln oder die DITIB-Moschee in Moers, die Moschee des islamischen Forums in Penzberg oder das islamische Kulturzentrum in Wolfsburg scheinen noch Ausnahmen zu sein. Warum sollten muslimische Gemeinden nicht stärker in "moderne" Moscheen investieren, statt Altbauten zu sanieren. Leider orientieren sich die muslimischen Gemeinschaften  heute noch gern an historischen Bauten ihrer Heimatländer, was auch ein Schlaglicht auf eine besondere Funktion des angestammten Glaubens wirft, nämlich die eigene Identität im fremden Land zu wahren. 
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was spricht in der Tiefe, also theologisch gegen die Folgenutzung einer Kirche (die baulich dafür geeignet ist) durch Muslime? Sicher, es gibt gute pastorale Gründe (in einer Zeit des Übergangs), die allerdings nicht ewig gültig sein können. In die Diskussion um eine Kirchennutzung durch Muslime bringen ja selbst hochrangige Kirchenvertreter und gebildete Theologen fast ausschließlich Argumente mit den Stichworten „Emotion“ „Symbolkraft“ und Gefühl ein. Selbst Ayyub Axel Köhler, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland ist aus diesen "Gründen" kein Freund solcher Umnutzungen: „Ich ganz persönlich spreche mich auch grundsätzlich dagegen aus, ich glaube, dass damit religiöse Gefühle verletzt werden können, und darauf sollte man es nicht ankommen lassen“, sagte er (der FAZ). Die kirchenoffiziellen Verlautbarungen gehen in exakt dieselbe Richtung. Die Deutsche Bischofskonferenz hat festgelegt, dass die „kultische Nutzung“ von Kirchenbauten durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften „wegen der Symbolwirkung nicht möglich ist“. In einer Handreichung der EKD von 2006 heißt es, dass die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee „oftmals von vielen Christen nicht nur als ein persönlicher Verlust empfunden“ wird und „darüber hinaus auch zu Irritationen in der öffentlichen Wahrnehmung führen“ kann. Diese Argumentation greift der Hamburger Hauptpastor Alexander Röder mit der Bemerkung auf: „Religion ist nicht nur vernünftig, sondern auch emotional." 
Aber taugt eine so „flache“ Argumentation für eine endgültige Lösung des Problems? Dann müssten nämlich im Gegenzug die Kirchen bereit sein, jedes "heilige" Kirchengebäude auf Dauer zu nutzen und sinnvoll mit Leben zu füllen. Das wird in den nächsten Jahrzehnten wohl nicht einfacher werden, bei aller postulierten Liebe zum Kirchen-Gebäude, gerade auch durch nicht praktizierende Personen. Eine Kirche kann nur ein Haus aus lebendigen Steinen sein. Der Kult um ein „totes Gebäude“ ist im Grunde Götzendienst. 
Die inzwischen häufig gehörte Universallösung: „Besser Abriß als Moschee oder Disko“ hilft zwar kurzfristig aus einem Dilemma heraus. Allerdings bezweifle ich stark, dass die Zerstörung eines Kirchenraumes aus vordringlich emotionalen Gründen wirklich Balsam für das leidende Herz eines Christen sein kann. Und: welchen Sinn macht eine solche Vernichtung von Werten (nicht nur materieller Art) angesichts der Forderung, die Schöpfung (und die Kultur) zu bewahren. Auch die Architektur der letzten hundert Jahre ist wertvoll bzw. wird in Zukunft als wertvoll erkannt werden. Was, wenn die Muslime im 15. Jahrhundert die Hagia Sophia abgerissen hätten, weil man zu der Überzeugung gekommen wäre, dass ein uralter christlicher Bau sich nicht als muslimische Gebetsstätte eignet.
Ein anderer Grund, der gegen eine Umwidmung von Kirchen in Moscheen sprechen könnte, sind die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen. Man könnte sagen (manche tun das), die Kirche müsse alles tun, um einem anderen Glauben die Missionsarbeit zu erschweren. EKD-Kirchenamtspräsident Hans Ulrich Anke bringt das so auf den Punkt, man solle Kirchenräume nicht für das Predigen anderer Gottesbilder zur Verfügung stellen. Ob das sich aber an der Gebäudefrage entscheidet, wage ich zu bezweifeln.  Katholischerseits springt ihm der Hamburger Weihbischof Jaschke bei und meint: „Die Austauschbarkeit von Christentum und Islam ist nicht im Sinne eines guten interreligiösen Dialogs.“ Wirklich fundierter Einwände klingen anders. 
Im Grunde ist die Folgenutzung von Kirchen ein eher unbedeutendes Problem. Nicht jede Kirche eignet sich zur Nutzung durch andere Konfessionen und Religionen. Bis heute sind daher erst wenige Kirchen an Muslime verkauft worden. Aber als Christen sollten wir es nicht kategorisch ausschließen. Wenn es für profanierte Kirchen eine Folgenutzung geben soll, dann ist mir persönlich der muslimische Beter lieber als der christliche Geschäftemacher. 
Ich halte es allerdings für wichtig, darauf zu achten, dass die Gebäudediskussion nicht den Konflikt der Religionen befeuert und dass keine unnötigen Gegensätze entstehen. Eine Umwandlung einer Kirche in eine Moschee braucht also theologische Grundlegungen und intensive Gesprächs- und Informationsprozesse. Und die wären auch für ein besseres Miteinander der Glaubenden der abrahamitischen Religionen sinnvoll.
Vermutlich wird die Zukunft zeigen, dass das, was in Großstädten anderer Länder schon längst „normal“ ist, auch hierzulande keinen mehr aufregt. Was spricht wirklich dagegen, dass glaubende Menschen die Gebetsräume anderer Religionen für sich übernehmen und nutzen. Schließlich gibt es schon heute zahlreiche Beispiele interreligiöser Gebetsräume in Schulen, Flughäfen und vereinzelt auch schon in großen Städten. In denen – wohlgemerkt – jeder bleiben kann, was er ist, Katholik, Protestant, Buddhist oder Muslim.

Dienstag, 12. Februar 2013

"Mein" Papst Benedikt XVI.


Generalaudienz, Nov. 2005
Was für eine Überraschung: Es ist Karneval, Rosenmontag 2013. Vor einigen Minuten sind die Karnevalszüge in Köln und Düsseldorf losgezogen, da sickert die Meldung durchs Netz: „Italienische Medien berichten vom Rücktritt des Papstes.“ „Was für ein Quatsch!“, war mein erster Gedanke. Ein Karnevalsscherz, nicht mehr ... und obendrein überhaupt nicht witzig. 
Ich hatte kurz zuvor noch eine Diskussion über den künftigen Kölner Erzbischof auf kreuzgang.org verfolgt. Ein heißer Tipp war da Erzbischof Gänswein. Mein Kommentar: solange Benedikt XVI. lebt, ist es undenkbar, dass Erzbischof Gänswein "seinen Papst" im Stich lässt. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass Papst Benedikt zurücktreten könnte, auch wenn er diesen Schritt im Gespräch mit Peter Seewald vor einigen Jahren selbst erwogen hatte. Nach „sterbenskrank“ sah er trotz nachlassender Kräfte auch nicht aus. Also musste es sich um eine Falschmeldung handeln, denn seit 700 Jahren ist kein Papst zurückgetreten. Wie soll man auch als einfacher Katholik auf den Gedanken kommen, dass nun dieser (sonst eher traditionelle) Papst das tut, nach einem Pontifikat von noch nicht ganz acht Jahren.
Blenden wir einmal zurück. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie Kardinal Ratzinger in den Tagen nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. als Kardinaldekan „das Gesicht“ der katholischen Kirche wurde. Der Abschluß seiner Predigt ist mir noch lebendig in Erinnerung. Er erinnerte an den letzten Segen seines Vorgängers und versicherte, dass dieser nun vom Vaterhaus auf uns schaue, uns sehe und segne. Er stand plötzlich im Zentrum, er der zwar von der deutschen Presse als „Panzerkardinal“ oder „Rottweiler“ beschimpft wurde, eigentlich aber persönlich bescheiden und zurückhaltend daher kam. Er war mir einmal auf dem Petersplatz begegnet, als er von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz ging, mit einer schlichten, ledernen Arbeitstasche unter dem Arm, mit Baskenmütze und Collarkragen. Nicht anders als einer der vielen Priester, die rings um den Petersdom ihren Dienst tun. Ich habe ihn damals erst erkannt, als er längst an mir vorbei war. Auf den Fotos in den Zeitungen wirkte er zumeist weniger freundlich. In Erinnerung habe ich noch seine tiefliegenden dunklen Augen und ein Foto, wo er auf einem goldenen Thronstuhl sitzend in die Kamera blickte. Wenig sympathisch!
Dann kam der Tag der Papstwahl. Irgendwie war es durchgedrungen: „weißer Rauch“ über der Sixtina. Bald sollte der neue Papst namentlich genannt werden. Der rote Vorhang öffnete sich. Jorge Arturo Kardinal Medina Estévez betrat die Mittelloggia des Petersdomes, umständlich wurde ein Mikrofon bereitgemacht und eine Mappe mit dem Text bereitgehalten. Der Kardinal begrüßte umständlich in mehreren Weltsprachen die ungeduldigen anwesenden Brüder und Schwestern und sagte dann auf lateinisch „Ich verkünde euch eine große Freude (Applaus), Habemus Papam (Applaus, den er geduldig abwartet). Ich dachte damals: wie können die jetzt applaudieren, der Name ist doch gar nicht genannt worden. Der Kardinal schaute interessiert und geduldig in die Menge und sagte dann „Eminentissimum ac Reverendissimum Dominum (Pause) Dominum Josephum“ (Pause und vereinzelter Applaus), „Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalem Ratzinger“ (Jubel). Er verkündete noch den Namen des neuen Papstes, Benedikt XVI., winkte freundlich und verließ die Loggia, auf der kurz darauf der neue gewählte Papst erschien. 
Aus dessen Worten ist mir noch in Erinnerung, dass er sich als einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnete, der einem großen Papst folge. Es wirkt echt und stimmig so wie er das sagte.
Damals war Bruder Maurus Runge OSB aus meiner damaligen Lohberger Gemeinde zum Studium in Rom. An diesem Tag war er auf dem Petersplatz „live“ dabei und berichtete in einer e-mail von seinen Erlebnissen. Wir haben das direkt im Pfarrbrief abgedruckt und auch den Zeitungen zugesandt, die Rheinische Post mache eine ganze Seite daraus. 
Alle waren zurückhaltend gespannt, was dieser Papst wohl noch alles auf den Weg bringen würde. Es gab aber auch kritische Kommentare. „Er wird uns noch alle überraschen“, sagt der italienische Kardinal Ersilio Tonini später im Fernsehen: „Er kann ironische Witze machen, seine Überzeugungskraft ist enorm, und er ist sehr souverän“, meint der 90-jährige Kardinal. Die BILD brachte mit der Schlagzeile „Wir sind Papst“ eine Stimmung auf, die von großem Wohlwollen gegenüber dem Deutschen auf dem Stuhl Petri geprägt war. 
„Ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn“, nur dass dieser Weinberg einen äußeren Rahmen hatte, der so gar nicht zu einem „Arbeiter“ passte. Dennoch, Benedikt machte sein Wort wahr, er wirkte trotzdem immer bescheiden, milde, überzeugend, zugewandt. 
Tief eingeprägt hat sich mir, dass er einen seiner schärfsten Kritiker, den emeritierten Professor Hans Küng zu einem Gespräch empfing. Ich denke an die Begegnung mit den Vertretern der Weltreligionen in Assisi und die Besuche in orthodoxen und evangelischen Kirchen, in Moscheen und Synagogen. Fasziniernd auch, wie er bei einem Besuch in England die „Anti-Papst“-Stimmung in ein freundliches Interesse an seiner Botschaft verwandelte.
Gestört hat mich manchmal, dass es so schien, als kehre durch Benedikt XVI. manches geschnörkelte und goldgestickte, manches Barocke und Feudale ins Erscheinungsbild des Vatikan zurück. Mancher Stuhl wurde wieder zum Thronsessel; manches Messgewand entführte in längst vergangene Zeiten. Aber das Auftreten des Papstes, die Art der Nutzung solcher Äußerlichkeiten, sorgte dafür, dass das äußere Anschein nicht mit einer rückwärtsgewandten Bedeutung aufgeladen wurde. Benedikt setzte sich auf einen päpstlichen Thron wie auf einen Küchenstuhl. Auf die Amtsführung kommt es an, so signalisierte er und man bekam den Eindruck, dass es für ihn letztlich nur das Erbe der Jahrhunderte sei, dass nicht museal bewahrt sondern sinnvoll genutzt gehört. 
Dieser Papst war kein absolutistischer Herrscher, er wollte nicht von oben herab bestimmen, er wollte durch Worte und Taten überzeugen. Überhaupt, seine Worte! Ich konnte mich dem Zauber seiner Stimme und seinen klugen Gedankengängen nicht verschließen. Man kann ihm einfach gut zuhören und er versteht es, in wenigen, einfachen Sätzen einen ganzen Kosmos an Gedanken unterzubringen. Er ist sicher kein mitreißender Prediger, der durch sprachliche Effekte zu fesseln versteht, er fesselt durch den Gedanken, durch die Botschaft... Ich erinnere mich gut, dass man beim Weltjugendtag in Köln während der Predigt keinen Muks hörte, dabei waren über eine Millionen Menschen auf dem Platz versammelt. Eine tolle Atmosphäre, alle lauschten in stiller Andacht einer anspruchsvollen Meditation über Anbetung und Eucharistie. 
Generalaudienz, Nov. 2007
Kurz darauf erlebten wir den Hl. Vater bei unserer Gemeindepilgerfahrt nach Rom, bei der Audienz am Mittwoch und bei der Seligsprechung des seligen Charles de Foucault. 2007, 2009 und 2011 war ich wieder in Rom und durfte den Hl. Vater im Rahmen einer Audienz oder beim Angelus-Gebet hören (und sehen), gemeinsam mit meinen Kindern Joanna, Kilian und Carlotta. Sicher ist das „Setting“ einer solchen Veranstaltung nicht eben kindertauglich. Aber, zu meinem Erstaunen wurde es den Kindern nicht langweilig. Irgendetwas muss sie bewegt haben in dieser Begegnung mit dem bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Fleißig gaben sie später den päpstlichen Segen an alle weiter, die   daheim geblieben waren, genau so, wie er es in seiner Ansprache gewünscht hatte.
Ein besonderes Erlebnis war auch der Besuch des Papstes in Deutschland und mein Ausflug nach Berlin, mit dem ich diesen Blog einmal gestartet habe. 
Ich bin keinesfalls ein „Benedetto-Rufer“ geworden. Das fand ich immer sonderbar und das passte auch nicht zur Persönlichkeit des Joseph Ratzinger. Sicher war ich auch nicht mit allen seinen Worten einverstanden oder in jeder Frage an seiner Seite. Bei der Regensburger Rede habe ich mir die Haare gerauft bei diesem Zitat, dass so leicht mißverstanden und mißbraucht werden konnte. Was hätte der Rede ohne das Zitat gefehlt? Hätte er den Ärger nicht ahnen können? Und warum hatte ihm niemand vor diesem Holocaustleugner und Exzentriker Williamsson gewarnt? Als Präfekt der Glaubenskongregation wußte er genau, dass es in der Piusbruderschaft neben der religiösen Haltung auch eine politische Untergrundströmung gab, die man von den theologischen Streitpunkten nicht einfach trennen kann. Ich bin überzeugt, dass Benedikt in seinen Stellungnahmen nach der Aufhebung der Exkommunikation absolut die Wahrheit gesagt hat und nur das Gute und Wahre für die Kirche suchen wollte. Leider hat er in seiner Hoffnung (auf den Hl. Geist) die Beharrungskräfte und die Komplexität der inzwischen sehr verfestigten Gedankenwelt der Piusbruderschaft unterschätzt bzw. sich von bestimmten Gesprächspartnern und deren postulierten guten Willen blenden lassen. Es ist schlimm, dass die ausgestreckte Hand von vielen so missgedeutet wurde, so als würde Benedikt selbst Sympathien für die abseitigen Botschaften aus den Niederungen der Bruderschaft hegen. 
Ich bin überzeugt, dass es richtig war, der tridentinischen Liturgie wieder ihren Platz im Leben der Kirche zu geben. Aber ich denke, dass noch die Aufgabe aussteht, dieses „Museumstück“, das über Jahrzehnte quasi im Depot lag, sinnvoll und behutsam nach den Vorgaben des 2. Vatikanischen Konzils zu aktualisieren, ohne sich erneut dem Vorwurf auszusetzen, einen liturgischen Bruch zu verursachen. Wie Liturgie auch in der erneuerten Form absolut würdig und heilig zu feiern ist, hat Benedikt uns bei zahllosen liturgischen Feiern als lebendiges Modell vor Augen gestellt. Dabei kann natürlich nicht einfach übernommen werden, was der Papst tut. Das gilt sicher auch für die Form des Kommunionempfangs, bei dem Benedikt sich angesichts der Besonderheiten der Papstliturgie für die Spendung der Kommunion in der Form der Mundkommunion ausgesprochen hat, ohne daraus eine allgemeine Regel für die gesamte Weltkirche entwickeln zu wollen (vgl. den Interviewband: „Licht der Welt“).
Eingeprägt haben sich aus diesem Pontifikat auch besondere Momente und quasi „Filmschnipsel“. Der Rabbiner der Kölner Synagoge bläst im Gebetsgottesdienst den Shofar; Benedikt steht in Istanbul in einer Moschee und betet still; der Papst in Auschwitz an der Hinrichtungsmauer; Benedikt im Deutschen Bundestag; der Einzug hunderter Messdiener in das Berliner Olympiastadion; der Regenschauer, als der Papst in die Sakristei dort ging, die „normalen Gläubigen“ blieben trocken, die Ehrengäste mussten sich Regenmäntel überstreifen. Seine Auftritte waren immer ein wenig zurückhaltend, niemals „triumphal“. Er wollte mehr erreichen als selbst der Mittelpunkt zu sein, er wollte, dass das Licht Christi durch ihn in die Welt leuchten konnte, dass Menschen sich durch sein Handeln und Sprechen von Christus angesprochen fühlten. 
Der größte Schmerz seines Pontifikates war für ihn sicherlich die Aufdeckung der Missbrauchsfälle in der Kirche. Selbst die kritisch gesinnten Medien hatten ein Gespür dafür, dass Missbrauch im Umfeld des Heiligen und der Verehrung Gottes ein besonders furchtbares Vergehen ist. Wenn sich die Berichterstattung über diese Fälle auch mit vielen andere Themen und mancher „alter Rechnung“ mit der Kirche mischte: diese Verbrechen haben den Papst und mit ihm die ganze Kirche schwer getroffen. Und zwar von innen heraus! Da gibt es (leider) nichts zu beschönigen. Wenn nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, allzu lange in der Kirche weggeschaut oder zu wenig getan wurde, so hat sich das Blatt inzwischen deutlich gewandelt. Die Sensibilität ist gestiegen, das Bewusstsein, dass Kirche auch an diesem wunden Punkt „sündige“ Kirche ist und die  Präventionsbemühungen sind auf allen Ebenen deutlich spürbar. 
Papstbesuch in Deutschland, Berlin 2011
Hier kann es nicht um eine umfassende Würdigung dieses großen Kirchenmannes gehen. Das traue ich mir auch gar nicht zu. Hier geht es um persönliche Erinnerungen und Eindrücke. Und meine sind durchweg positiv! Der Spiegel brauchte gestern in seiner Online-Ausgabe leider nur wenige Stunden um von der Überraschung über den päpstlichen Amtsverzicht zur ersten Negativ-Würdigung überzugehen. Die Kommentare in den Zeitungen, von Politikern und Bischöfen sind zwar zumeist von Hochachtung geprägt, aber einige Zeitgenossen entblöden sich nicht, in dieser historischen Situation zunächst den dutzendfach aufgekochten Kram neu aufzutischen, den sie seit Jahren erzählen. Aber auch unter Kirchenmännern gab es einige Ausfälle. War es angemessen, dass Erzbischof Stanisław Kardinal Dziwisz von Krakau in seinem Statement an Johannes Paul II. erinnern, der gesagt hatte: „Vom Kreuz steigt man nicht herunter!“ Ähnlich äußerten sich auch einige Leute aus dem traditionalistischen Lager. Eine schärfere und theologisch unfairere Kritik ist ja kaum denkbar. Wenn ein Papst so etwas sagt, der seine persönliche Motivation beschreibt, trotz schwerer Krankheit im Amt zu bleiben, dann ist das sicher gut und richtig. Es aber einem Papst zu sagen, der der Meinung ist, dass die Kirche heute einen Mann auf dem Höhepunkt seiner körperlichen und geistigen Kräfte braucht, lässt mich stark an der seelsorglichen Kompetenz des Sprechers zweifeln. 
Die hinlänglich bekannten Kritiker des deutschen Katholizismus beeilen sich, noch vor Beginn der Fastenzeit den Anlass zu nutzen, ihre sattsam bekannte Kritik an der ach so  papstkritischen deutschen Kirche und ihrer Bischöfe noch einmal zusammenzufassen. Beinahe skurril die Bezüge, die manche Facebook-User zu den Weissagungen des Malachias herstellen; so erleben obskure mittelalterliche Schriften ihre Wiederauferstehung zu den Bedingungen des 21. Jahrhunderts (mit bevorstehendem Weltuntergang natürlich, schließlich ist der Maya-Kalender inzwischen publizistisch „durch“. In diese Kategorie fallen dann auch die Spekulationen über die „passende“ Karikatur des Papsts aus einem Kalender von Sonntag und das originelle Foto, das einen just am Rosenmontag in die Kuppel des Petersdomes einschlagenden Blitz zeigte und nun vielfach gläubig – abergläubig kommentiert wird. Das Naturphänomen scheint manchem interessanter als die Rücktrittsankündigung selbst.
Kontemplatives Kloster
in den vatikanischen Gärten 2007
Ich hoffe sehr, dass die Welt sich in guter Weise von ihrem Papst Benedikt XVI. verabschiedet. Denn dieser hat seinen Dienst als Dienst für die Menschen verstanden, nicht nur für die, die ihn als Oberhaupt der Kirche anerkannten. Ich finde es faszinierend, dass er sich nun in ein kontemplatives Kloster zurückzieht um (gemeinsam mit den dortigen Schwestern (es ist noch nicht ganz klar, ob die Salesianerinnen, die das Kloster im November 2012 geräumt haben, zurückkehren)) für seinen Nachfolger und für die Kirche in der ganzen Welt zu beten. So leistet er seiner Kirche und seinem Gott einen wesentlichen Dienst. Es erinnert mich an die Biografie des Hl. Bruno, der für eine Zeit an den päpstlichen Hof gerufen wurde und der dann, als er spürte, dass es auch ohne ihn weiter ging, wieder in die Stille und Einsamkeit zurückkehrte und die Kartause St. Bruno in Kalabrien gründete, die Papst Benedikt 2011 besuchte. Damals begrüßte ihn der Prior Dom Jacques Dupont u.a. mit folgenden Worten: „Wir sind uns auch bewusst, eine sehr spärliche und geringfügige Aufgabe in der Kirche wahrzunehmen. Unser Leben wird nicht immer gut verstanden, aber wir versuchen nicht, jemanden zu überzeugen, denn die Liebe rechtfertigt sich nicht!“ Diese Worte gelten sicher auch heute, da der Papst sich anschickt den ebenso schlichten wie wichtigen Dienst des Schweigens und Betens auf sich zu nehmen. 

Herr Jesus Christus, wir beten für unseren Papst Benedikt XVI.,
der in einem ungewöhnlichen Schritt seinen Rücktritt erklärt hat.
Wir danken Dir für den aufopferungsvollen Dienst
dieses bescheidenen und klugen Arbeiters im Weinberg des Herrn.
Wir bitten Dich um Deinen Beistand für seine letzten Tage im Pontifikat
und für die darauf folgende, zurückgezogene Zeit.
Gütiger Gott, wir wollen nicht nur für Benedikt XVI.,
sondern auch für die ganze Kirche beten.
Wir wollen die Heilige Kirche der Sorge des höchsten Hirten,
unseres Herrn Jesus Christus, anempfehlen.
Wir bitten seine heilige Mutter Maria,
damit sie den Kardinälen bei der Wahl des neuen Papstes
mit ihrer mütterlichen Güte und Weitsicht beistehe.
Herr, sende Deinen Heiligen Geist! Amen
(Quelle: www.katholisch.de)

Donnerstag, 7. Februar 2013

Zwischen Homo- und Kathophobie

Martin Lohmann - er war das Gesicht der Kirche an Bord dreier Flaggschiffe der Meinungsbildung im deutschen Fernsehen: Anfang Dezember bei Frank Plasbergs „Hart aber Fair“ zur Homo-Ehe; Anfang Februar bei Günther Jauch über den „gnadenlosen Konzern“ Kirche und etwas später im Talk bei Markus Lanz. Wer ist eigentlich dieser Mann, der der katholischen Kirche und ihrer Lehre seine Stimme und sein Gesicht lieh? Fast alle Katholiken mit denen ich sprach waren zunächst ratlos: Nie gehört, dieser Name! Auch das bekannte Nachrichtenmagazin „Focus“ spekulierte zunächst, Lohmann sei „TV-Pfarrer“.
Richtig ist, dass Lohmann CDU-Mitglied, Familienvater, Lebensschützer, Journalist und als solcher seit 2011 Chefredakteur des privaten Senders „K-TV“ ist. Ins öffentlich rechtliche Fernsehen kam er weil..., weil...., weil ... . Ja warum eigentlich?
Der katholische Zuschauer (auch ich war darunter) wunderte sich jedoch zunächst, dass hier (wo sonst wichtige Politiker oder bekannte Künstler diskutieren) kein deutscher Ortsbischof, kein aus der Öffentlichkeit bekannter Priester oder der päpstliche Nuntius Erzbischof Jean-Claude Perisset in den Ring gestiegen ist. So erhielt Martin Lohmann die Rolle, als „freier Katholik“ oder „katholischer Journalist“ die Stimme der katholischen Kirche zu sein. Aber was für eine Stimme? 
Natürlich werden die Leute zu einer solchen Talk – Show so ausgewählt, dass möglichst viel Bewegung entsteht, dass kontroverse Stimmen zur Sprache kommen und letztlich, dass eine solche Diskussion neben der sachlichen Seite auch genügend Show- und Krawall-Faktor hat, damit der Zuschauer sich vor der Röhre binden lässt und nicht schnell weiter zappt. Neben dem so gerne in den Vordergrund geschobenen Bildungsauftrag geht es natürlich auch um Einschaltquoten und damit auch ums schnöde Geld. 
Es ist verständlich, dass sich kein deutscher Bischof zur Zeit eine in diesem Sinne polarisierende Rolle zuschreiben lassen möchte. Aber sollte man den Planern der TV-Shows nicht einfach einen Strich durch die Rechnung machen? Haben wir Katholiken nicht das Recht zu erleben, dass ein deutscher Bischof die Sache der Kirche in der Öffentlichkeit mit Demut, Freundlichkeit und Entschiedenheit vertritt? Das ist keine einfache Sache und mancher ist damit schon auf die Nase gefallen. Aber ich halte „Talkshowtauglichkeit“ durchaus für eine Qualifikation, die ein Bischof mitbringen sollte. Bestimmt kann man sich mit Blick auf öffentliche Diskussionen  im Fernsehen auch helfen und schulen lassen und man kann lernen, die Mechanismen solcher Sendungen im Blick zu behalten. Ich traue da unseren Bischöfen so einiges mehr zu als heute sichtbar wird. 
Nun hätten die Sender ja auch einen katholischen „Freak“ z.B. in Soutane einladen können. Aber da hätten alle Beobachter gleich gesagt, so ein „Piusbruder“, der sieht ja gar nicht so aus wie mein Pfarrer oder das normale Pfarrgemeinderatsmitglied von nebenan. Den nehme ich nicht ernst.
Da ist Martin Lohmann ein anderes Kaliber und das ist sicher auch der Grund, warum gerade er es auf das Podium geschafft hat. Auf der einen Seite hat er nämlich den Ruf und das Verdienst, ein talentierter Journalist und ein eloquenter Gesprächspartner zu sein. Auf der anderen Seite steht er eindeutig und treu zu Papst und Kirche . Es gibt sogar eine Reihe von Bildern (die teilweise auch präsentiert wurden) auf denen Lohmann mit dem Hl. Vater zu sehen ist. Zudem engagiert er sich in der CDU.
Im Setting einer solchen Sendung konnte er also bestens als Vertreter für die „reine (und als weltfremd empfundene) kirchliche Lehre“ gesetzt werden. Für die anwesenden Kirchenkritiker oder die Sprecher der homosexuellen Menschen war er also eine wunderbare Reibungsfläche, an der sich eine feurige Diskussion entzünden konnte. So schob man den Katholiken Lohmann auf die angeblich dunkle, "böse" Seite der Kirche, die dem im Grunde auch ohne Glauben „guten Menschen“ ihre weltfremden Weisungen aufzwingen möchte. Und alle Moderatoren wollten Martin Lohmann in dieser Ecke halten. Die Versuche Lohmanns, die menschenfreundliche Lehre der Kirche darzulegen und im konkreten Fall auch auf die Freiheit und die Gewissensentscheidung der einzelnen Menschen zu verweisen wurden von Plasberg, Jauch und Lanz mit manchmal absurden Wendungen, Aktionen und Fragestellungen abgeblockt. Die Neutralität und Sachlichkeit blieb dabei immer öfter auf der Strecke. Wirklich keine journalistische Glanzleistung! 
Geradezu lachhaft war es zu erleben, wie Markus Lanz (der sich selbst als Katholik bezeichnete) eine klarere Weisung der Kirche verlangte. Sie solle den Relativismus lassen und verkünden, dass nach einer Vergewaltigung die Pille danach ganz selbstverständlich sei, wogegen Martin Lohmann die Gewissensentscheidung der Frau betonte, die die Kirche respektiere, auch wenn sie gegen kirchliche Lehre entscheide. Verkehrte Welt! Geradezu skurril war, dass Lanz in der Sendung auf einmal vom „Du“ zum „Sie“ wechselte, weil dies zu größerer Klarheit beitrage. 
Die FAZ wunderte sich über Günther Jauch und fragte angesichts der Diskussion: „will Jauch statt des mündigen den ahnungslosen Zuschauer, der sich an der falschen Stelle aufregt – Hauptsache, er regt sich auf?“ Die Frage ist gut, oder? Schade dass es keine Antwort geben wird.
So blies dem Katholiken Lohmann ein kräftiger Wind entgegen, beklatscht wurden nur wenige seiner Aussagen, gerne war auch das Publikum bereit, seine Sätze misszuverstehen (bevor sie überhaupt zu Ende geführt waren), oder nach einem Halbsatz protestierend zu raunen und zu lachen, weil es schien, als käme jetzt was „Frauenfeindliches“. Selbst verschuldet war allerdings die Bemerkung, in der Lohmann vom „genormten“ Gewissen sprach, das die Kirche fördere. Dass er damit das „informierte“ Gewissen meinte, mochte ihm das Publikum nicht mehr abnehmen. Oder was soll der Fernsehzuschauer beim verdienten abendlichen Bier mit einer Bemerkung dieser Qualität anfangen: „Wir leben in einer sexualisierten Diktatur des Relativismus!“
Trotz alledem muss ich aber gestehen, mein Mitleid mit dem Glaubensbruder hält sich in Grenzen. Denn Martin Lohmann ist kein Opfer! Er hält was aus und er ist keiner, der im Fernsehen gute Mine zum bösen Spiel macht (er fällt wirklich (fast) nie aus der Rolle). Aber er spielt dieses Spiel bewusst und gerne mit, weil er die – aus seiner Sicht – notwendige Klarheit auch über Polarisierung zu erreichen sucht. Er ist der ideale Talkshow – Gast. Lohmann ist Überzeugungstäter, er weiß genau, worauf er sich einlässt und was er bewirkt. 
Selbst die Reaktionen auf seine Auftritte, die etwas unfaire Moderation, der „Ausflug“ ins Persönliche durch Günther Jauch, die anonyme Drohung mit der aidsverseuchten Spritze, das „Ausgelacht und Ausgebuht-Werden“, der Verlust seines Minijobs als Dozent bei einer Kölner Akademie... all das macht er sich zu Nutze und bringt er geschickt und wohldosiert in facebook-Beiträgen und Stellungnahmen in die Öffentlichkeit. 
Nicht, dass ich gutheißen würde, dass ein Mensch bedroht, beschimpft, ausgelacht und ausgebuht wird. Ganz im Gegenteil, ich finde es widerlich. Aber hier ist es ein notwendiger Teils eines „Spiels“. Von Martin Lohmann kann man etwas lernen, selbst wenn ich den Eindruck habe, dass er zur Zeit einige wirkliche Opfer zu bringen hat. „Seine Sache“ bringt er gut voran. Aber ist „seine Sache“ auch wirklich die Sache der Kirche, des Papstes und des Lehramtes?
Unter den deutschen Bischöfen scheint er nicht viele Freunde zu haben. Bis heute ist ihm noch niemand beigesprungen. Auch das ist ein Signal! Die Pressestelle des Kölner Erzbistums teilt sogar mit, er sei ja „auf eigene Rechnung“ ins Fernsehstudio gegangen. 
Heute wurde ein Brief des Kölner Kardinals Joachim Meisner bekannt, den er an seine Priester und Seelsorger(innen) geschrieben hat. Er beklagt darin Feindseligkeit und Häme gegenüber der Kirche und fordert: „Um so wichtiger ist es, dass wir für solche Angriffe keine Gründe liefern. Nur dann können wir tapfer ungerechtfertigte Angriffe ertragen.“ ... und zitiert zum Abschluss Papst Benedikt: „Tapferkeit besteht nicht im Dreinschlagen, in der Aggressivität, sondern im Sich-schlagen-lassen und Standhalten...“ 
Wir können zur Zeit beobachten, dass interessierte Kreise versuchen, die Kirche in ihrem Herzen zu treffen, dort wo sie für die Menschen da sein will. Man versucht, ihr die „Fratze“ der Unmenschlichkeit überzustülpen, und zu belegen, dass sie selbst die von ihr verteidigte Humanität und Menschenfreundlichkeit gar nicht lebe. Im Umgang mit allen, die ihre Moralvorstellungen nicht teilen und mit denen, die im Leben scheitern und in kirchlichen Diensten lässt sich die Kirche leicht als hartherzig und unbarmherzig vorführen. Vielleicht allzu leicht, auch darüber sollten die Kirchenverantwortlichen nachdenken. Gibt es auch menschlichere, christlichere Wege mit Menschen umzugehen, die über lange Zeit der Kirche gedient haben und bei denen nun – durch welche Umstände auch immer – Lebensführung und kirchlicher Anspruch kollidieren? 
Und es mangelt in der Kirche nicht an echten Fehlern und Sünden. Davon haben die Bischöfe und auch die Päpst oft genug gesprochen. Darüber darf man auch sprechen, aber fair und dann auch von ihren Stärken und von ihren Heiligen.
Nun wäre es völlig verkehrt, Martin Lohmann einen Vorwurf zu machen, dass er sich aus der Deckung und in die Öffentlichkeit wagt. Er will für seine Überzeugungen streiten und sicher auch seinem Fernsehsender aus der Nische hinaushelfen und zu einem wichtigen Medium für fromme und treue Katholiken machen. 
In der aufgeheizten Situation sollten die Wortführer der Kirche und der Katholiken anders auftreten. Vielleicht einfach nachdenklicher, bescheidener, zurückhaltender, schuldbewußter, demütiger. Eben so, als würde man uns wie Schafe unter die Wölfe senden. Zeitweise wirkte sogar Martin Lohmann im Fernsehen so. Aber die Zuschauer nahmen es ihm meist (über weite Strecken ungerechtfertigterweise) nicht ab. Doch es gab auch Momente, die dieses Misstrauen verstärkten, zum Beispiel bei Lanz, wo er sehr süffisant in die Kamera sagte: „ich sag's noch mal zum Mitschreiben, für die lieben Zuschauer, zum Mitschreiben...“ Das wirkte arrogant und von oben herab. 
In den Foren und Blogs seiner Szene wird Martin Lohmann für seine Standhaftigkeit gefeiert, ein wenig sogar zum Märtyrer stilisiert. Mit Blick auf die negativen Rückmeldungen, die er erhält spricht der Journalist selbst von satanischen Stimmen und beschwört parallel zur „Homo-“ eine „Kathophobie“. Sein Kollege, der Publizist Michael Hesemann postet: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt." (Mt 5, 10-12) Warum fällt mir dieses Herrenwort jetzt so spontan ein???“ Tja, warum wohl? So was kommt an bei den Freunden und Anhängern.
Mir ist jedenfalls nicht wohl dabei. Und mir drängt sich ein anderes biblisches Wort auf. "Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: ... eine Zeit zum Schweigen / und eine Zeit zum Reden" (Kohelet). Der Volksmund hat daraus die Weisheit gemacht: „Reden ist Silber und Schweigen ist Gold“.
Leider muss ich gestehen: Ich habe mich heute selber nicht daran gehalten. Kyrie eleison!

Hier der Brief von Kardinal Meisner: http://media1.kathtube.com/document/30179.pdf

Zur Ergänzung: Ein lesenswerter Text gegen den Shitstorm gegen Martin Lohmann: http://www.queerpri.de/die-lohmann-diskussion-wenn-der-respekt-verlustig-geht-1104

Freitag, 18. Januar 2013

(un)Gerechte Prügel für die Kirche?

(c) www.ko-tropfen-koeln.de 
Der Kölner Stadtanzeiger brachte die Geschichte an den Tag: In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2012 hatte eine junge Frau, 25 Jahre alt in der Kölner Innenstadt gefeiert. Was in dieser Nacht noch geschehen ist, daran vermochte sie sich nicht zu erinnern, als sie am nächsten Tag auf einer Parkbank in Köln-Kalk erwachte. Gemeinsam mit ihrer Mutter suchte sie die notdiensthabende Ärztin Dr. Irmgard Maiworm in Köln-Nippes auf, die üblicherweise im benachbarten Bergheim praktiziert. Die Ärztin äußerte nach der Untersuchung den schlimmen Verdacht, dass jemand der jungen Frau „KO-Tropfen“ verabreicht haben könnte. Möglicherweise sei sie während ihrer Bewusstlosigkeit vergewaltigt worden. Die Betroffene erinnerte sich noch, an der S-Bahn-Haltestelle auf den Zug nach Hause gewartet zu haben. Die Ärztin hatte sie über die möglichen Folgen einer Vergewaltigung aufgeklärt und zur Sicherheit die „Pille danach“ verschrieben, um eine mögliche Schwangerschaft auszuschließen.
Zur Beweissicherung (die Substanzen, die allgemein als KO-Tropfen bezeichnet werden lassen sich im Körper nur relativ kurze Zeit nachweisen) machte sich die Praxis per Telefon auf die Suche nach einem geeigneten Krankenhaus. Doch zu ihrer Überraschung weigerten sich zwei katholische Einrichtungen, das Opfer zu diesem Zweck aufzunehmen, wohl aus Sorge der jungen Frau die „Pille danach“ selbst verabreichen zu müssen. Erst im evangelischen Krankenhaus in Köln-Kalk wurde die Frau dann umfassend medizinisch betreut. 
Auch wenn das Erzbistum und der katholische Klinikträger das Geschehene umgehend bedauerten, um Entschuldigung baten und betonten, dass hier ein Missverständnis vorgelegen haben müsse ging die Geschichte einen Tag später durch sämtliche Medien. Bistum und Krankenhausträger – wie auch zahlreiche andere kirchliche Kliniken - teilten umgehend mit, dass die medizinische Versorgung eines Vergewaltigungsopfers selbstverständlich in jeder katholischen Einrichtung gesichert sei, allerdings mit Ausnahme der Verschreibung der „Pille danach“, was das Krankenhaus aus christlichen Überzeugungen ablehne.
Trotz allen Bedauerns und aller weitergehenden Erklärungsversuche: das Bild in der Öffentlichkeit ist (wieder einmal) verheerend. Überall lauten die Schlagzeilen: „Katholische Kliniken weisen Vergewaltigte ab!“ Von „unterlassener Hilfeleistung“ und „Strafvereitelung“ ist die Rede. 
Ich möchte nun gar nicht auf die Fehler, Widersprüche und Vereinfachungen selbst in seriösen Veröffentlichungen eingehen. Den genauen Sachverhalt möchte das NRW-Gesundheitsministerium aufklären. Die Staatsanwaltschaft Köln sieht allerdings keinen Grund der Sache nachzugehen. Was auch immer die Nachforschungen ergeben werden ... in den Köpfen der meisten Menschen wird hängen bleiben: Der Kirche ist die „reine, saubere Morallehre“ wichtiger als die Not eines Menschen. All die aufopfernde Arbeit zahlreicher Ärzte und Ordensschwestern, Pfleger und Pflegerinnen in der Krankenpflege, all die engagierte Hilfeleistung, das „für die Kranken da sein“ mit aller Kraft, wird in den Augen vieler Menschen nichts gelten gegen diese Schlagzeilen. 
Schon rufen wieder interessierte Kreise und die Leute an den Stammtischen und auf der Straße nach einer Trennung von „Kirche und Staat“ und der Verstaatlichung kirchlicher Krankenhäuser und weiterer Einrichtungen. 
Der bekannte Kölner Pfarrer Franz Meurer aus Köln–Vingst sagte im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: „Die katholische Kirche vertritt eine klare moralische Position. Eine solche Position läuft allerdings Gefahr, nicht verstanden zu werden. Gerade dann, wenn sie sich der Realität stellen muss, so wie es in dieser besagten Nacht passiert ist.“
Vielleicht zeigt die Situation recht eindringlich einen Aspekt dessen, was Papst Benedikt mit seinem Ruf nach „Entweltlichung“ gemeint hat. Wer in der pluralen und vielgestaltigen Gesellschaft Deutschlands eine weitgehend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung betreibt, der muss immer wieder Kompromisse machen. Im alltäglichen Leben kommt man mit der „reinen Lehre“ nicht unbedingt weiter. „Theoretisch“ ist es jedenfalls einfacher, über Empfängnisverhütung oder Lebensschutz zu sprechen, als wenn man selbst Kliniken betreibt. „Nebenan“, in der kommunalen Klinik wird nämlich als selbstverständliche Leistung angeboten, was die katholische Einrichtung aus ethischen Gründen ablehnt. Doch kann ein Rückzug aus dieser Verantwortung wirklich der richtige Weg sein? Heute betrifft es die Fragen rund um Verhütung oder gar Abtreibung, morgen geht es um Sterbehilfe, übermorgen um Euthanasie und dann?
Ohne eigene Krankenhäuser könnte die Kirche sicher leichter „klare Kante“ zeigen. In der Lehrverkündigung geht es um das „große Ganze“ und nicht um Grenzfälle, wo für komplizierte Güterabwägungen und Differenzierungen manchmal keine Zeit bleibt. Dazu sagt Pfarrer Meurer „Wer in der Gesellschaft mitspielen will, der muss die Realität anerkennen. Der muss auch demütig sein. Wir Christen haben ein Kommunikationsproblem. Für uns muss der Mensch im Mittelpunkt stehen.“
Im Grunde ist die Kirche ja Erfinderin der Sorge um die Kranken in Spitälern und Krankenhäusern, viele Ordensschwestern und -Brüder haben sich über Jahrhunderte in der Nachfolge Jesu um Kranke gekümmert, zahlreiche Heilige haben in der Krankenpflege ihr Leben hingegeben, denken wir nur an Persönlichkeiten wie Friedrich Spee in Deutschland oder Pater Damian de Veuster auf Hawai. Schon vor dem Hintergrund dieser Geschichte halte ich es für undenkbar, dass sie sich aus diesem Bereich des öffentlichen Lebens zurückzieht. 
Wohlfeil ziehen zahlreiche Kommentatoren des Vorfalls gleich Joachim Kardinal Meisner mit ins Boot, der als besonders konservativer Kirchenmann die Krankenhäuser zu solch „unmenschlichem“ Handeln gedrängt habe. Und ohne das genauer zu belegen, wird munter behauptet, dass die Kirche „Zuwiderhandlungen“ gegen die ethischen Grundordnungen der katholischen Krankenhäuser mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedrohe. Erst kürzlich sei (was die Kirche dementiert) einer Ärztin aus diesem Grund gekündigt worden. Die Sache bauscht sich mehr und mehr auf. 
Was mich wirklich betroffen macht, ist die Feindseligkeit und die Bereitschaft, völlig undifferenziert zu reden und zu schreiben, welche sich in diesen Tagen in den Diskussionsforen von Homepages und bei Facebook präsentiert. Wohlgemerkt dort, wo jede(r) mit seinem Namen für seine Meinung einsteht, nicht in anonymen Dialogforen! Kaum einmal ein Beitrag, der sich wohltuend vom „Shitstorm“ der Entrüstung abhebt. Klischees über Klischees werden ausgebreitet, an der Kirche bleibt kaum ein gutes Haar. Austritt, Austritt wird allenthalben empfohlen. 
«Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.» So beschrieb Papst Benedikt in seinem Brief an die deutschen Bischöfe nach dem Streit um die Piusbruderschaft, wie er die Eskalation des Konflikts erlebt hat. Mit Blick auf die zahllosen Kommentare unserer Zeitgenossen stimmt das auch heute wieder. Sprungbereite Feindseligkeit ist es, die manchmal denen entgegenschlägt, die sich in der Kirche engagieren und weiter zu ihr stehen. Was hat die Kirche in den letzten Jahren falsch gemacht?
Ob die Aufregung wohl kleiner geblieben wäre, wenn der Redakteur des KSTA seinen Bericht etwas weniger dramatisch aufgeladen hätte? Vielleicht hat es sich nämlich so zugetragen: Die Sprechstundenhilfe der Notdienstpraxis ruft im nahegelegenen katholischen Krankenhaus an. „Wir haben hier eine Patientin, die vermutlich vergewaltigt wurde. Sie braucht entsprechende Betreuung, sie braucht Notfallkontrazeption und eine anonyme Beweissicherung der Verbrechensspuren.“ Die diensthabende Ärztin hat darauf möglicherweise geantwortet: „Wir sind ein katholische Haus, wir können die Patientin zwar betreuen, aber eine Notfallkontrazeption ist in unserem Haus selbst nicht möglich. Finden Sie nicht, dass es sinnvoller wäre, die Patientin in ein Krankenhaus zu schicken, wo sie auch die „Pille danach“ erhält?“ Möglicherweise hat die Notdienstärztin sich gewundert, weil ihr so ein Fall noch nicht untergekommen ist und noch ein weiteres katholisches Haus angerufen und dort eine ähnliche Antwort erhalten. Der ganzen Sache wäre mit einer solchen Schilderung (die ja auch nicht unwahrscheinlich ist) etwas von ihrer die Dramatik genommen. (Nachtrag: Dass es vielleicht wirklich so war legt die aktuelle Berichterstattung des KSTA nahe: www.ksta.de/politik/-pille-danach--erzbistum-sah-sich-unter-zugzwang,15187246,21522926.html)
Egal ob es so oder anders war, jedenfalls sind wir damit bei „des Pudels Kern“. Ist es wirklich sinnvoll, ja ist es christlich, als kirchliche Einrichtung angesichts eines solchen Verbrechens eine Notfallkontrazeption zu verweigern und damit möglicherweise eine Schwangerschaft in Kauf zu nehmen? Angesichts der allgemeinen Rechtsprechung müsste eine Klinik doch mit Schadenersatzforderungen rechnen. Aber nicht nur deswegen, sondern auch aus ethischen und menschlichen Überlegungen (vom hippokratischen Eid einmal ganz zu schweigen) haben sich die meisten katholischen Krankenhäuser Wege überlegt, wie es dennoch geht und leisten jede mögliche  Hilfe. Einige Häuser sorgen sogar im eigenen Haus für die Gabe der „Pille danach“, manche vermitteln an andere Stellen weiter. Auch das betroffene Krankenhaus der Cellitinnen der Hl. Maria überläßt die Entscheidung über eine Notfallkontrazeption ausdrücklich der betroffenen Patientin, schließt in den ethischen Richtlinien auch eine entsprechende Beratung nicht aus, verweist allerdings für die Verschreibung des Medikamentes auf den Hausarzt der betroffenen Frau. 
Dennoch, ist das wahrhaftig. Die Verantwortlichen flüchten damit aus einem Dilemma. Da die Wirksamkeit der „Pille danach“ mit der vergehenden Zeit mehr und mehr sinkt, kommt es auf jede Stunde an. Ist es moralisch wirklich überzeugender, wenn eine Klinik die Gabe der „Pille danach“ durch andere Personen ermöglichst, aber nicht selbst verabreicht?
Es wäre sicher aufschlussreich, einmal eine intensive moraltheologische Abwägung der besonderen Situation anzustellen. Die ethischen Überlegungen der Klinik bleiben leider sehr an der Oberfläche. Kann es wirklich überzeugen, wenn die hohe Wertschätzung, die die katholische Kirche dem entstehenden Leben entgegenbringt und der Einsatz, mit dem sie das menschliche Leben von der Befruchtung an schützen möchte, letztlich dazu führt, dass die Kirche einem Vergewaltigungsopfer im Extremfall eine Schwangerschaft aufbürdet, mit all den furchtbaren Folgen für die Psyche und das weitere Leben dieser jungen Frau (und den Folgen für das mögliche Kind)? Wohlgemerkt, es geht hier nicht um eine Abtreibung, obwohl manche Prinzipienreiter die „Pille danach“ aus dieser Perspektive beurteilen. (Anmerkung: Soweit ich die medizinischen Informationen überblicken kann, beruht die Wirksamkeit der Medikamente auf einer Verhinderung des Eisprungs. Allerdings kann das Medikament in einem engen Zeitfenster auch die Einnistung einer evtl. schon befruchteten Eizelle verhindern. Auf eine bereits eingenistete Eizelle hat das Medikament wohl keine Auswirkung. In manchem "innerkirchlichen Diskurs" wird die "Pille danach" insbesondere aus diesem Wirkungsaspekt heraus als potentielle "Frühabtreibung" betrachtet.)
Daher schütteln über den Vorfall in Köln auch viele treue Kirchgänger den Kopf. Kein noch so trockener Theologe kann sich der Betroffenheit durch die offensichtlichen Folgen einer solchen Handlungsempfehlung entziehen: Aus einer Vergewaltigung kann so eine lebenslange Tragik und ein lebenslanges Trauma entstehen. Wer will dafür ernsthaft die Verantwortung übernehmen, wenn es möglich ist, ohne die bewusste „Tötung“ einer Eizelle, durch die „Pille danach“ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern, dass es überhaupt zu einer Befruchtung kommt. 
Der tiefe Hintergrund der Ablehnung von Verhütungsmitteln durch die katholische Kirche ist der Wunsch, dass aus der Liebe zweier verheirateter Menschen neues Leben entsteht. Eine größere Pervertierung dieser positiven Sicht der geschlechtlichen Liebe als eine Vergewaltigung ist doch kaum noch vorstellbar. 
Die Moraltheologie der kath. Kirche kennt ja durchaus eine Güterabwägung, wenn es um das Leben der Mutter und das Leben des ungeborenen Kindes geht. Ich erinnere mich zudem, dass sogar der Papst vor einigen Jahren einmal Überlegungen zu einem extremen Fall angestellt hat, wo er die Nutzung eines Kondoms für ethisch angemessener hielt als „ungeschützten“ Geschlechtsverkehr ohne Kondom. Als Verteidigerin des unbedingten Wertes des menschlichen Lebens möchte die Kirche das Leben von der Empfängnis an schützen. Ob es nicht auch besser wäre, mit der „Pille danach“ eine Schwangerschaft zu verhindern als später mit kriminologischer Indikation möglicherweise zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen zu sein, weil die Belastung der Frau durch die Schwangerschaft viel zu groß ist. Ist das menschlich? 
Hier sollten die Ethikkommissionen der jeweiligen Krankenhäuser noch einmal in Ruhe nachdenken. Ich bin kein Moraltheologe, aber meine (vermutlich lückenhafte) Kenntnis katholischer Moraltheologie und kirchlicher Praxis lassen mir durchaus Pfade möglich erscheinen, aus der moraltheologischen Klemme herauszukommen und Wege zu finden, die das Handeln der katholischen Kirche (nicht nur in der menschlichen Begegnung) sondern auch in der kirchenkritischen Öffentlichkeit wahrhaftiger und menschlicher erscheinen lässt.
Ich bin mir sicher, dass Joachim Kardinal Meisner den Krankenhäusern keine „ordre du mufti“ zu solchem Verhalten übermittelt hat. Trotzdem könnte es gut sein, wenn er das Versagen der Krankenhäuser benennen und dafür um Verzeihung bitten würde. Vielleicht könnte auch jemand erklären, dass man in Zukunft in so einer Situation parteilich an der Seite der Opfer stehe und mit der betreffenden Frau jeden Weg mitgeht, zu dem diese sich entscheidet, also z.B. deren Wunsch nach der „Pille danach“ in soweit akzeptiert, dass man das Medikament auch umgehend beschafft und zur Verfügung stellt und die Frau - soweit sie es wünscht - seelsorglich begleitet, um ihr zu helfen, die traumatische Erfahrung möglichst gut und unbeschadet zu überwinden. Und eine persönliche Vergebungsbitte gegenüber der betroffenen Frau (jenseits öffentlicher Berichterstattung) wäre sicher auch angebracht. Als engagierter Katholik möchte ich sie um Vergebung bitten, aus welchem Grund auch immer ihr letztlich nicht geholfen wurde.

Die ethischen Überlegungen der Kliniken im Originaltext: www.ksta.de/blob/view/21493554,17471472,data,StellungnahmeNFK.pdf.pdf

Dienstag, 1. Januar 2013

Mein erstes Mal!


Mein erstes Mal! Daher war ich etwas gespannt, als ich mich am Sonntag morgen auf den Weg nach Mariawald machte. Ich wollte an der tridentinischen Liturgie in der Trappistenabtei Mariawald teilnehmen. Ich bin 1967 geboren und getauft, also nach dem 2. Vatikanischen Konzil und mitten hinein in den liturgischen Wandel. Etwa 30 km waren zu fahren, von Udenbreth über Schleiden und Gemünd, hinauf in den Nationalplark Eifel über die wunderschöne Hochfläche „Wolfgarten“ auf dem Höhenzug des Kermeter. Etwa einen Kilometer vor der Abtei eröffnet sich in einer engen Kurve ein kurzer Blick auf die Abteikirche und die Klostergebäude. Da ich früh dran war machte ich zunächst einen kleinen Abstecher zu den Kriegsgräbern am Hang oberhalb des Klosters. So abgelegen die Abtei auch liegt, vom Krieg blieb sie (gleich mehrfach) nie verschont. Von hier aus öffnet sich heute ein schöner Blick auf die wunderbare Klosteranlage mit der von Kreuzwegstationen unterbrochenen Klausurmauer. Im vorderen Bereich die Klostergaststätte und dahinter das eigentliche Kloster, das einmal fast 100 Mönche in seinen Mauern geborgen hat. Heute sind es nach aktueller Auskunft des Abtes noch 10 Mönche und drei „Externe“, die zwar zur Abtei gehören, aber nicht mehr dort leben. 

Gegen halb zehn war ich in der Klosterkirche angekommen und erwartete mit Spannung die erste „tridentinische“ Messe meines Lebens. Mit mir war zu dieser frühen Stunde nur eine weitere Beterin vor Ort. Es war nicht gerade warm und die Kirche wurde mit einem provisorischen Gasbrenner beheizt, der kurz vor der Liturgie vom Abt persönlich beiseite getragen wurde. 
Um 9.40 Uhr waren fünf Mönche versammelt. Zwei von Ihnen, der Abt und ein etwa gleichaltriger Mönch (Br. Maria Johannes, der kürzlich seine ewige Profeß abgelegt hatte) trugen eine „altertümliche“ monastische Tonsur. Ein weiterer jüngerer Mönch (wohl der Novize) hatte ebenfalls den weißen Gebetsumhang der Trappisten umgehängt, allerdings keine Tonsur. Einer der älteren Mönche, ein ehrwürdiger bärtiger Mann, trug ein dunkles Ordensgewand. Das Stundengebet der Terz begann mit dem Ritus des Asperges, dem sonntäglichen Taufgedächtnis. Nach seinen Mitbrüdern besprengte der Abt, begleitet von einem älteren, tief gebeugten Mitbruder (Bruder Maria Bernhard) auch die versammelte Gemeinde mit dem Taufwasser. Kurz vor dem Beginn der Messe kam noch ein „gesetzter“ Mann als Messdiener hinzu.
Die fünf bzw. sechs Männer sangen einen durchaus beachtlichen Choral. Das hatte ich in Mariawald schon „spärlicher“ erlebt; hier gab es diesmal offensichtliche Freude am Choralgesang. 
Inzwischen waren in der Kirche etwa 40 – 50 Mitfeiernde versammelt, zumeist waren es ältere Leute, die mit einem älteren Schott oder einem ähnlichen Gebetbuch in die Kirche gekommen waren. Hinter mir saß ein jüngerer Mann in Soutane, der anscheinend im Kloster zu Gast war. Ansonsten war ein junges Mädchen mit seinen Großeltern gekommen. Nach kurzer Zeit fand ich mich im kleinen Messrituale der Petrusbruderschaft, das in der Kirche auslag, gut zurecht. Auch jemand wie ich, der im erneuerten römischen Ritus nach dem Messbuch Paul VI. zu Hause ist, kann sich in der tridentinischen Messliturgie orientieren. Für mich ungewöhnlich war allerdings, dass zahlreiche Texte, die man aus der ordentlichen Liturgie kennt und teilweise mitbetet hier nur vom Priester und dem Messdiener gebetet wurden. Auch ist die tridentinische Liturgie gegenüber der erneuerten Liturgie mit zusätzlichen Gebeten und Anrufungen „angereichert“. 
Das Ordinarium der Messe wurde von der Gemeinschaft der Trappisten gesungen, also Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei.
Auf „Gemeindelieder“, wie sie die Gottesdienste in unseren Gemeinden stark prägen, wurde ganz verzichtet. Die Orgel spielte nur ganz leise an, um den Mönchen den Einsatz für die gregorianischen Gesänge zu geben, nur nach der Kommunionausteilung kam sie einmal wirklich zum Einsatz. Erst zum Abschluss der Messe konnte die gesamte Gemeinde in ein Lied aus dem Gotteslob einstimmen: „Engel auf den Feldern singen...“
Beim Credo – als Wechselgesang - sangen auch einige Messbesucher hörbar mit, ansonsten beschränkte sich die Beteiligung der Gemeinde zu Beginn vor allem auf den Antwortruf „Et cum spiritu tuo“ - „Und mit deinem Geiste.“ 
Für mich ungewohnt war auch, dass das komplette Hochgebet still vom Priester gebetet wurde. Einzig die Erhebung der gewandelten Hostie gab Orientierung im Messablauf. Ein auch für mich als Neuling besonderer und erhebender Moment. Ein Mönch läutete die Kirchenglocke zur Kniebeuge des Priesters vor der gewandelten Hostie bzw. vor dem Kelch. 
Bei aller Hochachtung vor dieser Form der Hl. Messe vermisse ich persönlich die Beteiligung der Gemeinde. Es würde dieser besonderen Liturgie gut tun, wenn die Gottesdienstbesucher nicht weitgehend als Beiwohnende sondern als Mitfeiernde betrachtet würden. Ich denke, das war auch im 2. Vatikanischen Konzil ein Hauptanliegen der Konzilsväter: die tätige Teilnahme der Gläubigen. Dieses Anliegen war eine Quelle der Liturgiereform. Ob es auch eine behutsame Reform der außerordentlichen Form des römischen Ritus geben könnte, die den Freunden dieses Ritus stärkere Möglichkeiten der tätigen Teilnahme eröffnet und die Anliegen der Konzilsväter aufgreift? Ich sehe durchaus eine gewisse Gefahr, dass die Gläubigen (z.B. wie früher, den Rosenkranz betend) der vom Priester und den Messdienern gefeierten tridentinischen Messe mehr beiwohnen als mitfeiern. 
Eine interessante Erfahrung war auch die Predigt. Während die eigentliche Liturgie am Altar in der Apsis der Klosterkirche gefeiert wurde (also recht weit entfernt), kam hierzu der Zelebrant, Abt Josef Vollberg OSCO in den Raum jenseits des hölzernen Lettners zu uns Mitfeiernden. „Liebe Mitbrüder, liebe Gläubige“, so begann er nach der Verlesung des Evangeliums (von der Darstellung des Herrn) in deutscher Sprache seine Predigt. Es war mir schon vorher aufgefallen, dass die Liturgie in einem besonderen Sprechrhythmus vorgetragen wurde. Diese Art zu sprechen bewahrte er sowohl beim deutschen Evangelium als auch bei der Predigt. Es gab keinen Platz für Rhetorik oder Modulation der Sprache. Das wirkte eher befremdlich. Ich vermute allerdings, das es eine Eigenart des Mariawalder Abtes ist und weniger typisch für die „alte Liturgie“. So musste die Predigt durch ihre Inhalte wirken und weniger durch die Art des Vortrags. Es ging darum, dass Weihnachten nichts Niedliches und Kleines sei, sondern ein Anspruch Gottes an uns. „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen... er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.“ Während Jesus zunächst noch Zuspruch und Nachfolge gefunden habe, distanzierten sich die Bewohner von Jerusalem zunehmend von ihm und lehnten ihn ab. Daher sei sein Tod am Kreuz in diesen Worten Simeons schon vorgezeichnet. Unser Glaube erfordere entschiedene und überzeugte Nachfolge, auch Treue auf dem einmal eingeschlagenen Weg.
Dass der Priester sich nur selten der Gemeinde zuwendet habe ich persönlich nicht als störend erlebt. Oft hört man ja die Polemik, dass der Priester „mit dem Rücken zum Volk“ zelebriere. Das habe ich nicht so empfunden. Auch die lateinische Sprache hinderte nicht an der tätigen Teilnahme.
Einmal prägen sich die wichtigsten Texte sicher dem regelmäßigen Gottesdienstbesucher schnell ein, andererseits hilft auch das deutsch-lateinische Missale (das „Volksmessbuch“) zu einer vertieften Mitfeier. So erschließen sich die Texte und Gebete sicher mehr und mehr. Das wäre bestimmt auch in der deutschsprachigen „ordentlichen“ Liturgie wünschenswert, denn die leichte Verständlichkeit trägt ab und an sicher zu einer oberflächlicheren Mitfeier bei, obwohl es sich lohnen würde, einzelne Texte zu bedenken und tiefer zu verstehen. Insofern kann die neue Messe durchaus von der alten Messe lernen.
Das war es nun - mein erstes Mal, tridentinische Messe live. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Mein erster Eindruck: es ist alles nicht so schlimm, wie ihre Gegner behaupten aber sie rettet wohl auch nicht die Welt und das Christentum wie ihre Anhänger postulieren. Ich denke diese Liturgie hat ihr Recht und es sollte hier und da Orte geben, wo die Menschen, die der außerordentlichen Form der Liturgie verbunden (oder noch darin verwurzelt sind) sie in würdiger Weise mitfeiern können. 
Ich merke aber, dass ich selbst in der erneuerten Liturgie vollkommen zu Hause bin und das Wechselspiel zwischen Gemeinde und Priester nicht missen möchte. Dennoch kann ich mir vorstellen, hin und wieder auch die „alte Liturgie“ mitzufeiern. Die Argumente dagegen sind manchmal etwas oberflächlich. In Mariawald scheint mir diese Form der Liturgie gut aufgehoben, zumal hier auch schon früher Teile des Chorgebetes in lateinischer Sprache gebetet wurden. Schön wäre es, wenn ein lebendiger Konvent das liturgische Leben pflegen würde. 
Doch meine Sorge um die Lebensfähigkeit der Abtei ist nach diesem Besuch nicht geringer geworden. Wenn der Konvent tatsächlich 10 Mitglieder hat, dann waren zum Ende des Jahres 2012 die Hälfte von ihnen entweder alt und krank oder sie drücken ihren Widerstand gegen die Rückkehr zum alten Ritus durch Abwesenheit aus. (Ein Trappist lebt – wie man lesen kann – als Eremit im Kloster.) Mit 10 Mönchen kann eine solche Gemeinschaft auch nicht „birituell“ sein, wie z.B. die Benediktinerabtei Niederaltaich, die im lateinischen und byzantinischen Ritus zelebriert. All das kann der Gemeinschaft von Mariawald nicht gut tun. Ob die Abtei doch die Kraft für einen gewissen Aufschwung findet? Ich würde es ihnen wünschen. (Eine Anmerkung - weil ich darauf angesprochen wurde: Mir ist natürlich bewußt, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Riten handelt (wie beim römischen und byzantinischen), sondern um die ordentliche und außerordentliche Form des einen römischen Ritus.)
Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, nach der Messe (die etwa eineinhalb Stunden dauerte) einen Besuch in der Klosterbuchhandlung zu machen. Wenn ich bis dahin noch keine Antwort auf die Frage: „Geht das eigentlich: tridentinische Liturgie ohne traditionalistische Überzeugungen und skeptischen Blick auf das 2. Vatikanische Konzil?“ gefunden hätte, hier beantwortet sich die Frage schnell. Es geht augenscheinlich nicht! Ein großer Büchertisch bietet eine ganze Sammlung „einschlägiger“ Literatur bekannter Autoren an der Grenze zwischen konservativen und traditionalistischen Überzeugungen. Auch im sonstigen, allgemeinen Bücherangebot waren mehr und mehr sehr konservative Autoren vertreten. So bleibt auch zu wünschen, dass die Bemühungen des Papstes um eine Versöhnung gewisser kirchlicher „Lager“ auch in dieser Hinsicht erfolgreich werden: Den Schatz der Tradition zu heben und dennoch in der Mitte des Gottesvolkes verwurzelt und versöhnt sein mit der Vielfalt in unserer katholischen Kirche.

Gloria.tv zeigt einen Film von einem Pontifikalamt, das Abt Josef vor einiger Zeit in Vyšší Brod in Tschechien im dortigen Zisterzinserkloster gefeiert hat. Einen Teil der Predigt hört man ab der 10. Minute: http://www.gloria.tv/?media=382378